Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich darf erst einmal ankündigen, daß die SPD-Fraktion eine Fraktionssitzung hat und ich die Sitzung nach der Aktuellen Stunde deswegen unterbrechen werde.
Meine Damen und Herren, zunächst: Am 26. November 1983 hatte unsere Frau Kollegin Hoffmann einen sehr wichtigen Geburtstag. Wir gratulieren ihr noch herzlich.
Ferner: In einer Reihe von Gremien, denen vom Bundestag zu wählende Mitglieder angehören, ist ein Mitglied der Fraktion der CDU/CSU zu ersetzen.
Als Nachfolger benennt die Fraktion der CDU/ CSU im Vermittlungsausschuß nach Art. 77 Abs. 2 GG für das bisherige stellvertretende Mitglied Erhard den Kollegen Dr. Miltner als Stellvertreter des Kollegen Kroll-Schlüter, in der Parlamentarischen Kontrollkommission an Stelle des Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) den Kollegen Dr. Miltner, im Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses an Stelle des Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) den Kollegen Helmrich und in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle des Abgeordneten Handlos den Kollegen Glos als stellvertretendes Mitglied der Bundesrepublik Deutschland.
Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt den Zusatzpunkt auf:
Aktuelle Stunde
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde zu dem Thema
Offizieller Besuch des südafrikanischen Außenministers Botha in Bonn
verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwenninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde und Freundinnen Südafrikas! Wir haben den ersten Besuch eines südafrikanischen Außenministers seit 1979 zum Anlaß für diese Aktuelle Stunde genommen, weil wir in dem Empfang Bothas durch Außenminister Genscher eine bewußte Aufwertung des rassistischen Minderheitsregimes sehen.
Dieser Vorgang steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Reise des bayerischen Ministerpräsidenten nach Südafrika zur Eröffnung eines BMW-Zweigwerks.
Dort hat Franz Josef Strauß, der zu den maßgeblichen Kräften in dieser Regierung zählt, die südafrikanische Regierung offenbar ermuntert, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren.
Der Besuch Bothas in Bonn bietet dem Unrechtsregime eine willkommene Gelegenheit, das Referendum vom 2. November zur sogenannten Verfassungsreform auch bei uns als Schritt in die richtige Richtung zu verkaufen. Aber genau das Gegenteil ist doch der Fall: Die 23 Millionen Schwarzen, die — ebenso wie die sogenannten Inder und die sogenannten Farbigen — beim Referendum natürlich nicht stimmberechtigt waren, werden die elementaren Menschenrechte, z. B. one man — one vote, weiterhin nicht haben. Das Regime in Pretoria hält an seinem unmenschlichen Kurs der vollständigen Rassentrennung, der Apartheid, unbeirrt fest. Zwangsumsiedlungen in die sogenannten Homelands finden fast täglich statt. Wie läßt sich eigentlich die millionenfache Trennung der Familien durch die erzwungene Wanderarbeit der Männer mit dem von den Christdemokraten oft so feierlich vertretenen Grundsatz des Schutzes der Familie vereinbaren?
2700 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Schwenninger
Während sich im Innern die Verfolgung aller oppositionellen Kräfte verschärft, verfolgt Südafrika einen zunehmend aggressiven Kurs gegen seine Nachbarstaaten. Der verzweifelte Versuch, das ungerechte Ausbeutungssystem der Apartheid noch über einige Jahre zu retten, läßt Südafrika zu einer Bedrohung der ganzen Region und darüber hinaus zu einer Friedensgefährdung für die ganze Welt werden.
Über hunderttausend südafrikanische Soldaten halten Namibia und den Süden Angolas völkerrechtswidrig besetzt. Überfälle auf Mozambique und Lesotho sollen die Befreiungsbewegung African National Congress zerstören, die zu einer ernsthaften Gefahr für die weiße Vorherrschaft geworden ist. Wirtschaftliche und militärische Destabilisierung soll die Nachbarstaaten, vor allem Zimbabwe, Mozambique und Angola, unterwerfen und vollständig von Südafrika abhängig machen.
Die Bundesrepublik ist der größte Lieferant für das Regime in Pretoria. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert bestens, im Handel, in der Vergabe von Großkrediten durch bundesdeutsche Banken, in dem Ausbau der Direktinvestitionen namhafter bundesdeutscher Unternehmen, z. B. BMW, und im militärischen sowie nuklearen Bereich. Dafür möchte ich die Unimog-Militärlastwagen der Firma Daimler-Benz und die Munitionsfüllanlage der Rheinmetall AG erwähnen.
Daß die Regierung hier Dreck am Stecken hat, zeigen ihre unvollständigen bzw. verweigerten Antworten auf meine Kleine Anfrage vom 23. August.
Ich muß aber auch hinzufügen, daß die soeben kritisierte Zusammenarbeit auch schon unter der sozialliberalen Regierung bestens geklappt hat.
Die GRÜNEN im Bundestag richten deshalb folgende Forderungen an die Bundesregierung: Durchführung von Wirtschaftssanktionen in Obereinstimmung mit den Beschlüssen der UNO-Vollversammlung, Herr Genscher, Kündigung des in der Welt einmaligen Kulturabkommens, sofortiger Stopp jeglicher Rüstungsexporte nach Südafrika und Unterstützung der Befreiungsbewegungen von Namibia und Südafrika.
Solange dies nicht der Fall ist, fordern wir die Bevölkerung auf, dem Aufruf der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland zu einem Boykott von Früchten und Krügerrands aus Südafrika zu folgen. Daß wir damit nicht alleine stehen, zeigt die Erklärung der 6. Vollversammlung des Weltkirchenrats von Vancouver — ich zitiere —:
Die Vollversammlung bekräftigt die Notwendigkeit von umfassenden und verbindlichen Sanktionen gegen Südafrika und ruft die Regierungen dringend auf, der Durchführung eines wirksamen Ölembargos höchste Priorität einzuräumen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich möchte schließen mit dem Motto — —
Mit dem Zitat war Ihre Redezeit zu Ende, Herr Abgeordneter.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich hörte, daß zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde stattfinden werde, habe ich mich gefragt, wie viele uns denn in nächster Zeit wohl noch bevorstünden; denn es gibt eine Fülle von Ländern auf dieser Erde, die eine Fülle von Problemen haben, die wir außerordentlich kritisch beurteilen.
— Herr Kollege Voigt, es gibt eine Menge von Problemen. Ich will nicht sagen, es gebe eine Sache, die eine besondere sei, und andere, die nicht besondere seien.
Meine Damen und Herren, konkret zu dem Anlaß dieser Stunde, zu dem Besuch des Außenministers der Republik Südafrika.
— Herr Fischer, wir haben doch schon begriffen, worum es Ihnen heute morgen geht. Ihnen liegt es unglaublich am Herzen, hier heute morgen wieder eine Polit-Show abzuziehen, und sonst gar nichts.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß die Bundesregierung, daß der Bundesaußenminister mit dem Außenminister Südafrikas spricht. Herr Kollege Voigt, die Probleme im südlichen Afrika sind groß; das weiß jeder von uns. Aber wie, meine sehr geehrten Damen und Herren von den
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Dr. Hornhues
GRÜNEN, wollen Sie diese Probleme denn eigentlich angehen,
wenn Sie nicht einmal die Chance nutzen, die Meinung zu sagen, Einfluß zu nehmen, zu diskutieren, mit denjenigen zu sprechen, denen man — besonders Sie — etwas vorzuwerfen hat?
Was tun Sie denn heute morgen konkret für den Gefangenen in Südafrika, der unter sogenannten gesetzlichen Vorschriften dort einsitzt, die weder Sie noch ich billigen können? Was tun Sie denn? Meinen Sie, dem helfen Sie heute morgen mit Ihrer Geschichte hier?
— Ich bin ziemlich sicher: Er hat mehr für manche Menschen dort unten getan, als Sie je zustande bringen werden.
Ihr Vorwurf, den Sie in Sachen militärische Zusammenarbeit und dergleichen erheben, wird nicht dadurch richtiger, daß Sie ihn permanent erheben. Wenn Sie den Unimog ansprechen: Ich warte noch auf den Tag, an dem Sie irgendeine Fahrradfirma ansprechen, weil man, wie Sie wissen, mit dem Fahrrad verschiedene Personen befördern kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ziel der Bemühungen muß es sei — deswegen ist es wichtig, im Dialog zu stehen —, den friedlichen Wandel im südlichen Afrika zu erreichen. Wenn man sich überlegt, wie man dies erreichen kann, was man tun kann, wird man über manche Schritte nachdenken und auch über manches miteinander sprechen können. Wenn allerdings erklärt wird, die Regierung solle nicht mit dem Außenminister sprechen, kann ich nur sagen, daß dann die Frage auftaucht: Wenn das erste und wichtigste, das ureigenste Element der Politik, nämlich miteinander zu sprechen, nach Ihrer Vorstellung nicht sein soll und nicht sein darf, wenn das etwas Unanständiges ist — was wollen Sie dann eigentlich?
Wollen Sie tatsächlich den friedlichen Wandel im südlichen Afrika? Voraussetzung dafür wäre, daß man miteinander spricht, daß man auch Einfluß nimmt.
Was Sie fordern, was Sie sich vorstellen, meine sehr geehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, erweckt bei mir den Eindruck, daß es Ihnen im Ernst überhaupt nicht um einen friedlichen Wandel im südlichen Afrika geht.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, daß der Bundesaußenminister gestern den Außenminister von Südafrika empfangen hat, ist für meine Fraktion kein Anlaß zum Tadel.
Wir meinen, daß der Bundesregierung mit diesem Besuch eine hochwillkommene Gelegenheit geboten wurde, die von ihr zu verantwortenden Unklarheiten, Verschwommenheiten und Halbherzigkeiten in der Afrikapolitik auszuräumen. Gerade so kurz nach dem Referendum in Südafrika war die Chance wichtig, dem Regime dort klarzumachen, auf welcher Seite wir stehen. Wie wollen wir Druck auf die weiße Minderheit ausüben, wenn wir uns weigern, mit ihren Repräsentanten zu reden? Reden muß man, aber Klartext.
Genau diesen Klartext vermissen wir bei der Bundesregierung von Anfang an.
Klartext hieße, dem südafrikanischen Regime klarzumachen, daß es mit seinem Rassismus und Kolonialismus, mit seiner Gewalttätigkeit nach innen und nach außen den Anspruch verwirkt hat, als eine westliche Demokratie und als Teil der westlichen Wertegemeinschaft zu gelten.
Die sogenannte Verfassungsreform ist keineswegs ein Schritt in die richtige Richtung. Das Ergebnis dieser Reform ist vielmehr weniger Demokratie, nicht mehr. Die Schwarzen sollen Menschen zweiter, j a letzter Klasse in ihrem eigenen Land bleiben. Die neue Verfassung nimmt ihnen alle Hoffnung, daß es besser werden könnte. So wird Gewalt die Folge dieser neuen Verfassung sein, nicht Befriedung.
Es ist auch ein schreiendes Unrecht, wenn Südafrika Millionen von Menschen gegen ihren Willen in sogenannte Homelands umsiedelt und sie dort einem unvorstellbaren Elend ausliefert. Der richtige Name für diese Umsiedlung, meine Damen und Herren, heißt gewaltsame Vertreibung; denn da werden auch solche schwarzen Familien von ihrem Grund und Boden verjagt, die dort seit Generationen ansässig sind und das Land bebauen.
Wir müssen dem Regime klarmachen, was in unseren Augen Apartheid bedeutet. Politik der getrennten Entwicklung hat keinen anderen Sinn als den, die Herrschaft der weißen Minderheit über die schwarze Mehrheit zu verewigen. Wir müssen dem Regime auch klarmachen: Wenn es weiterhin die Unabhängigkeit Namibias sabotiert, souveräne Nachbarstaaten überfällt, dann verschafft es dem
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Verheugen
Kommunismus im südlichen Afrika überhaupt erst eine Chance.
Das Regime dort ist nicht das vielgerühmte Bollwerk gegen den Kommunismus; es ist vielmehr dessen Trojanisches Pferd.
Hat die Bundesregierung das alles getan? Hat sie die Chance genutzt, oder hat sie sich nur so durchgewurstelt, wie ihre außenpolitischen Handlungsmaximen zu sein scheinen? Warum hatte die Bundesregierung z. B. das südafrikanische Referendum in den Vereinten Nationen nicht mit verurteilt, sondern sich mit nur sechs anderen Staaten der Stimme enthalten, und zwar gegen das Votum von sage und schreibe 141 Mitgliedstaaten?
Warum hält die Bundesregierung nicht am Namibia-Plan der Vereinten Nationen fest, sondern ermutigt durch Staatsminister Mertes Südafrika noch, sich hinter der Forderung nach Abzug der Kubaner aus Angola zu verstecken?
Hat die Bundesregierung dem Außenminister gesagt, daß wir durch seine Rohstoffe nicht erpreßbar sind? Hat sie gesagt, daß wir die Sanktionen der Vereinten Nationen auf das Strikteste anwenden und auch auf stärkeren wirtschaftlichen Druck nicht verzichten werden, wenn sich die Verhältnisse nicht ändern?
Hat die Bundesregierung mit dem Außenminister über Folterungen gesprochen, über Killer-Kommandos und spurloses Verschwinden von Menschen, über Zensur, Unterdrückung der Meinungsfreiheit bis in den Bereich der Kirchen hinein? Hat sie ihm klargemacht, warum wir nicht schweigen können? Denn wer schweigt und dieses Regime und seine Politik unterstützt, wer die südafrikanischen Märkte für wichtiger als die südafrikanischen Menschen hält, der macht sich mitschuldig.
Warum, Herr Bundesaußenminister, hat es die Bundesregierung bis heute nicht fertiggebracht, die Große Anfrage meiner Fraktion vom 10. Juli zur Politik im Südlichen Afrika zu beantworten?
Auch in der jüngsten Ihrer sporadisch stattfindenden Kabinettssitzungen haben Sie die Chance, Klarheit zu schaffen, nicht genutzt. Vielleicht wollen Sie das, aber Sie können nicht. Vielleicht dürfen Sie auch nicht. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, meine Damen und Herren von der CSU: Es ist wieder einmal der Vorsitzende der zweitgrößten Koalitionspartei, der in seiner Eigenschaft als größter Besserwisser aller Zeiten nun eine Kursänderung der deutschen Afrikapolitik verlangt und die jetzige Politik kritisiert, und das loyalerweise in Südafrika selbst.
Wenn Pressemeldungen stimmen, hat sich Minister Botha zuerst mit Strauß und dann erst mit der Bundesregierung getroffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fünf-Minuten-Beiträge in einer Aktuellen Stunde sind offenbar dazu geeignet, pauschale Urteile über sehr komplizierte Zusammenhänge kurzgefaßt abzugeben, wie es von seiten der GRÜNEN und der SPD, Herr Kollege Verheugen, von Ihrer Seite, eben getan worden ist.
Wenn dann noch die Gelegenheit benutzt wird, im Zusammenhang mit den südafrikanischen Fragen auch ein Pauschalurteil über die Bundesregierung und über den Außenminister abzugeben, mit dem Sie lange Jahre sehr eng zusammengearbeitet haben,
dann ist allerdings die Grenze dessen erreicht, was Sinn einer solchen Aktuellen Stunde sein kann.
Man kann sicherlich eine solche Aktuelle Stunde über den Besuch des südafrikanischen Außenministers nicht ablaufen lassen, ohne eine Frage zu stellen nach dem Sinn diplomatischer Beziehungen und nach dem Sinn und Zweck von Gesprächen zwischen Vertretern von Staaten auch unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen und unterschiedlicher staatlicher Ordnungen. Gewiß besteht auf all diesen Gebieten ein eigenes Interesse desjenigen Staates, der solche Gespräche führt, Besuche empfängt, diplomatische Beziehungen einrichtet; aber es besteht auch ein Interesse der Bevölkerungen der Länder, mit denen wir solche Beziehungen unterhalten und Gespräche führen. Es ist unsere Aufgabe, eine Einflußnahme vorzunehmen, die nur dort möglich ist, wo tatsächlich miteinander gesprochen wird.
Ich möchte den Kritikern aus den Reihen der GRÜNEN hier einmal sagen: Entspannungs- und Vertragspolitik der 70er Jahre wäre allerdings nicht möglich gewesen, wenn wir auf westlicher Seite, wenn wir in der Bundesrepublik eine derartige Berührungsangst gehabt hätten,
wie sie sich im Antrag auf die Aktuelle Stunde und in der Begründung heute ausgedrückt hat.
Wir hätten keine Möglichkeit, auch auf dem Wege wirtschaftlicher Beziehungen zu einer Entspannung zwischen West und Ost beizutragen, wenn wir glaubten, durch den Abbruch wirtschaftlicher Beziehungen, Herr Kollege Verheugen, dem Staat oder den Menschen einen Dienst zu tun, mit denen wir solche Beziehungen bisher unterhalten haben
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2703
Ronneburger
und mit denen wir sie jedenfalls ausbauen wollen, um eine friedliche Entwicklung zu ermöglichen.
Das ist der Grundgedanke dessen, was sich auch in dem Besuch des südafrikanischen Außenministers ausdrückt.
Darüber hinaus muß ich Ihnen sagen: Die Politik der Bundesregierung, Herr Kollege Verheugen, hat klare Prioritäten,
auch gegenüber den unbestreitbaren Problemen — —
— Nun, unterbrechen Sie bitte nicht in Fünf-Minuten-Beiträgen! Ich würde das auch bei Ihnen nicht tun. — Die Politik der Bundesregierung hat klare Prioritäten, Herr Kollege Ehmke, gegenüber dem südlichen Afrika in der Kontaktgruppe der westlichen Fünf. Niemand kann diesem Staat und dieser Regierung vorwerfen, sie bemühten sich nicht, nach Kräften zu einer Lösung dieser Probleme beizutragen.
Wir wissen, daß es Probleme gibt, und wissen, daß neue Schritte notwendig sein werden auch für eine innenpolitische Entwicklung im südlichen Afrika mit weiteren Schritten auf Abbau der Apartheid
hin zu einem friedlichen Wandel und damit auch zu einer Verhinderung, Herr Kollege, chaotischer Entwicklungen, wie sie sich bei der Entlassung früherer Kolonien in anderen Teilen Schwarzafrikas in die Selbständigkeit allerdings vollzogen haben.
Ich bin als Vertreter der FDP in diesem Hause sehr froh darüber, daß die Liberale Partei in Südafrika allerdings einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, daß sich solche Schritte auch in Zukunft vollziehen werden.
Wir werden diese Gespräche weiter führen. Wir werden unseren Einfluß weiter geltend machen und werden damit für eine Bevölkerung des südlichen Afrikas mehr tun, als Sie das mit einer Aktuellen Stunde je zu tun in der Lage sein werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke, ich sehe geradezu, wie Sie ein außenpolitisches Thema genießen, in dem
Ihre Partei ihre Haltung in den letzten zwölf Monaten nur wenig und nicht total geändert hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung unterhält diplomatische Beziehungen zu fast allen Staaten der Welt. Nur so können wir mit allen ein vertrauensvolles und, wo notwendig, auch ein kritisches Gespräch führen. Friedenspolitik ist nur möglich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn man den Dialog nicht verweigert, sondern wenn man ihn führt.
Wer auf den Dialog verzichtet, verzichtet auf die unserem Selbstverständnis gemäße Möglichkeit der Einflußnahme.
Der gestrige Besuch des Außenministers Botha, mit dem ich zuletzt vor vier Jahren zusammengetroffen bin, hat entgegen dem Eindruck der GRÜNEN auch gar nichts Sensationelles, aber er war notwendig und auch sinnvoll. Gerade weil die Republik Südafrika für den afrikanischen Kontinent ein wichtiges Land ist, und gerade weil unser Interesse an Frieden, Stabilität und Fortschritt im südlichen Afrika von großem Ausmaß ist, verschließen wir auch vor den internen Problemen Südafrikas nicht die Augen.
Die Bundesregierung hat an ihrer Ablehnung der Apartheidpolitik nie einen Zweifel gelassen. Die mit Gesetzeskraft zum System erhobene Rassentrennung und — um nur auf eine besonders unwürdige, leider aber sehr aktuelle Ausprägung dieser Politik hinzuweisen — die zwangsweise Umsiedlung von Menschen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit sind unvereinbar mit den höchsten Werten, die allen westlichen Demokratien gemeinsam sind.
Eine baldige und friedliche Änderung der Lage kann aber realistischerweise niemand ohne eine Mitwirkung der südafrikanischen Regierung erwarten. Im Gegenteil. Der notwendige Wandel in der Republik Südafrika setzt Entscheidungen in Pretoria voraus. Unser Einfluß auf die Entwicklung in der Republik und der Region des südlichen Afrikas ist begrenzt. Dennoch: Allein im Kontakt und im Dialog können wir versuchen, diesen Einfluß gemeinsam mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern geltend zu machen.
Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen und Wirtschaftssanktionen hält die Bundesregierung weltweit für ein untaugliches Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele.
Gerade wirtschaftliche Beziehungen können dazu beitragen, auch bei schwierigen Problemstellungen miteinander zu sprechen und Einfluß zu nehmen. Es ist Einseitigkeit und Einäugigkeit in der Politik, wenn man im West-Ost-Verhältnis zu Recht die Wirtschaftsbeziehungen als ein wichtiges Element
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Bundesminister Genscher
der Politik betrachtet, aber wirtschaftlichen Boykott gegenüber Südafrika fordert.
Zu fordern, man müsse die Regierung politisch boykottieren, man könne sich auf eine Verurteilung dieser Politik beschränken, bedeutet das Gegenteil einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Problemen des südlichen Afrikas.
Statt ohne jede Aussicht auf greifbare Erfolge die Wirtschaftsbeziehungen abzubrechen, suchen wir gemeinsam mit unseren Partnern der Europäischen Gemeinschaft, diese Wirtschaftsbeziehungen zur Förderung sozialen Fortschritts und eines allmählichen Abbaus rassischer Benachteiligungen fruchtbar zu machen.
Ich kenne die Grenzen der Wirksamkeit des Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft für europäische Tochterunternehmen in Südafrika. Trotzdem sage ich Ihnen: Dieser Kodex hat bewirkt, daß in den Unternehmen, in denen aus Deutschland investiert wird, schrittweise mehr soziale Rechte für schwarze Arbeitnehmer geschaffen worden sind.
Auch in bezug auf Südafrika gilt das, was für jeden Bereich der Politik, insonderheit der Außenpolitik, gilt: Eine Politik des „alles oder nichts" wird nichts für die bringen, um die es geht. Eine Politik der schrittweisen Veränderung ist die einzige sinnvolle Alternative zu gewaltsamen Bestrebungen. Und wir sind für Friedenspolitik.
Auch unsere kulturpolitische Arbeit in Südafrika, besonders der Austausch von Studenten und Künstlern, liegt im Interesse auch der schwarzen Bürger Südafrikas. Er kann auch im Kontakt mit allen Gruppen dazu beitragen, verkrustete Auffassungen, festgefahrene Meinungen aufzulockern. Wir nützen die Möglichkeiten des Kulturabkommens und unserer kulturellen Arbeit in Südafrika, um gezielt schwarze Südafrikaner in ihren Bildungschancen zu fördern
und sie in den kulturellen Austausch mit unserem Land einzubeziehen.
Wenn Sie hier erneut, Herr Kollege von den GRÜNEN, von angeblicher militärischer und nuklearer Zusammenarbeit gesprochen haben, so wird diese unsinnige Behauptung durch die Wiederholung im Deutschen Bundestag nicht richtig. Sehen Sie sich einmal an, wie ein schwarzafrikanischer Staat nach dem anderen von dieser unsinnigen Beschuldigung der Bundesrepublik Deutschland abgeht. Und tun Sie hier nicht so, als wüßten Sie nicht genauso wie wir, daß die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegenüber Südafrika verhängte Politik des Waffenembargos von uns strikt befolgt wird.
Genehmigungen zur Ausfuhr von Waffen, von militärischen Ausrüstungen oder paramilitärischen Polizeiausrüstungen sowie Ersatzteilen werden nicht erteilt.
Eine besondere Priorität auch für die bilateralen Beziehungen hat für uns die Namibia-Frage. Wir drängen die südafrikanische Regierung, endlich den Weg freizumachen für die überfällige Durchführung des Lösungsplans, den wir gemeinsam mit unseren vier westlichen Partnern erarbeitet haben und dem Südafrika schon 1978 zugestimmt hat. Die Arbeit der Kontaktgruppe wäre ohne jede Basis gewesen, die Einigung aller Konfliktparteien auf diesen Lösungsplan hätte es niemals gegeben, wenn die fünf westlichen Regierungen, die Vereinigten Staaten, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Kanada und die Bundesrepublik Deutschland, nicht bei aller kritischen Auseinandersetzung mit dem Apartheidssystem den kontinuierlichen Dialog mit allen relevanten Kräften und natürlich auch mit der Regierung in Pretoria selbst gepflegt hätten.
— Wenn Sie sagen, ohne Ergebnis, dann sprechen Sie mal mit den Vertretern der Frontlinienstaaten; die werden Ihnen dazu etwas anderes sagen. Ich wünschte mir, Herr Kollege, daß wir in allen internationalen Fragen von Afghanistan bis Kambodscha so viele Fortschritte erzielt hätten, wie wir für Namibia schon erzielt haben.
Auch jetzt, meine Damen und Herren, können wir die Namibia-Lösung mit Sicherheit nicht dadurch weiterbringen, daß wir den Kontakt zu Südafrika einstellen. Ohne das beharrliche Gespräch wäre nur ein weiteres Festzurren unvereinbarer Positionen zu erwarten. Das würde genau die Verwirklichung des Lösungsplans in immer weitere Ferne rücken.
Aus Anlaß der gegenwärtigen Europareise des südafrikanischen Außenministers haben uns gerade die afrikanischen Regierungen, die dem Konflikt in Südafrika am nächsten sind, die an einer baldigen Namibia-Lösung interessiert sind, die zu Südafrika ein geordnetes Verhältnis haben wollen, gebeten, dieses Gespräch zu nutzen, um durch einen Abbau der Apartheid und auch durch den Dialog zwischen schwarzafrikanischen Staaten und Südafrika zur Stabilisierung und schließlich Überwindung der Lage im südlichen Afrika beizutragen.
Die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche, Amnesty International haben uns gebeten, über Einzelschicksale zu sprechen. Das alles ist geschehen.
— Ja, wenn es selbstverständlich ist, dann tun
Sie doch nicht so, als ob wir das nicht täten, Herr
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Bundesminister Genscher
Kollege. Deshalb haben wir ja gerade dieses Gespräch geführt. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Fortsetzung unserer geduldigen und beharrlichen Politik dazu beitragen wird, daß in Südafrika, aber auch in Namibia die von uns gewünschten Lösungen herbeigeführt werden. Mein Kollege Ronneburger hat eben von der Liberalen Partei in Südafrika gesprochen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, das, was dort gesagt wird, auch aus dem weißen Bevölkerungsteil, wäre vor Jahren noch nicht möglich gewesen. Wenn Sie das Land ins Abseits drängen, werden Sie diese Kräfte nicht stärken, sondern schwächen. Im übrigen wünschte ich mir, daß es noch mehr Staaten gäbe, wo wir auch mit einer legalen Opposition über friedliche Veränderungen reden können.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauchler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Laut einer Meldung von Radio Johannesburg erklärte der südafrikanische Außenminister am Vorabend seiner Reise nach Bonn, die Heuchelei der westlichen Welt gegenüber Südafrika hänge ihm zum Halse heraus. Diese Bemerkung ist kein guter politischer Stil. Sie ist aber, wiewohl angesichts der südafrikanischen Verfassungskomödie aus unberufenem Munde, gleichwohl zutreffend. Die Politik der Bundesregierung gegenüber dem südlichen Afrika ist in der Tat heuchlerisch.
Da erklärt der Deutsche Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung, die Bundesregierung trete für die Überwindung der Apartheid in Südafrika ein, und dann feiert der bayerische Ministerpräsident in Südafrika ein Regime, das drei Vierteln des Volkes keinerlei Rechte gewährt, in Gettos sperrt, die Gewerkschaften unterdrückt — Herr Genscher, da ändert auch der Verhaltenskodex nichts —, und seine Nachbarstaaten mit militärischen Übergriffen terrorisiert.
Da macht die Bundesregierung ihre Entwicklungshilfe von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig und betreibt dann gleichzeitig „business as usual" mit einem rassistischen Regime. Wer schöne Worte über die überlegenen Werte der westlichen Staatengemeinschaft im Munde führt und dem nicht in den Arm fällt, der diese Werte mit Füßen tritt, ist unglaubwürdig.
Die Bundesregierung tut — das läßt sich in vier Punkten beweisen — nicht das ihr Mögliche, um Südafrika zu einer wirklichen Revision seiner Apartheid-Politik zu veranlassen. Dialoge allein,
Herr Genscher, helfen hier nicht; wir wollen auch sehen, daß Sie den Dialogen Taten folgen lassen.
Erstens. Die Bundesregierung hemmt nicht den Handel mit Südafrika; sie fördert ihn. Da wird nicht nur schamhaft zugelassen, was zwischen privaten Industrien gehandelt und von ihnen investiert wird; da wird von Regierungsseite kräftig mitgeholfen, die Export- und Importabhängigkeit unnötigerweise zu verstärken.
Kein Wunder, daß die Bundesrepublik einer der größten Handelspartner Südafrikas geworden ist!
Zweitens. Die Bundesregierung unternimmt wenig, um die Umgehung des von der UNO geforderten Embargos für Waffen, militärische und paramilitärische Güter zu verhindern.
Sie hat auf diesbezügliche Anfragen der SPD-Fraktion keine Antworten parat. Seit fünf Monaten haben Sie auf diese Fragen nicht geantwortet! Zeugt das etwa von schlechtem Gewissen?
Drittens. Die Bundesregierung hat — wiederum sofort nach der Regierungsübernahme — der Vergabe eines Kredits durch den IWF an Südafrika in Höhe von sage und schreibe 3 Milliarden DM zugestimmt. Wird damit, Herr Bundesaußenminister, der kostspielige Polizei- und Militärapparat Südafrikas nicht indirekt mitfinanziert?
Viertens. Während das Apartheid-Regime vom Westen direkt oder indirekt gestützt wird, schwächt die Bundesrepublik jene Staaten der Dritten Welt, die in der Region von eben diesem Regime militärisch bedroht und wirtschaftlich erpreßt werden. Sie kürzt ihnen — Botsuana, Tansania, Sambia — die Entwicklungshilfe.
Was veranlaßt also die Bundesregierung, ihren Lippenbekenntnissen zu Menschenrechten keine Taten folgen zu lassen? Der Verdacht scheint nicht unbegründet, daß sich die Bundesregierung nicht zuerst einem Minimum an politischer Moral verpflichtet fühlt, sondern zuallererst den kurzfristigen Interessen der deutschen Industrie.
2706 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Dr. Hauchler
Der Gedanke liegt nahe, daß sich die Bundesregierung hier — wie kürzlich bei der Stationierungsdebatte — nicht von politischer Vernunft und von langfristigen deutschen Interessen in Gesamtafrika leiten läßt, sondern von Vasallentreue zu der Vormacht im Bündnis.
Die Bundesregierung läuft Gefahr, in der Dritten Welt jenes Vertrauenskapital zu verspielen, das insbesondere Willy Brandt
dort Stück für Stück geschaffen hat.
Südafrika ist für viele Staaten der Dritten Welt die Probe aufs Exempel, ob die Bundesrepublik eine glaubwürdige Politik gegenüber Südafrika und der Dritten Welt betreibt.
Herr Abgeordneter Hauchler, ich rüge das Wort „heuchlerisch".
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Kollege Verheugen und auch der letzte Sprecher der SPD heute früh die Presse gelesen hätten, hätten sie hier nicht behaupten können, die Bundesregierung habe zur Situation in Südafrika geschwiegen. Aus den Berichten geht ganz deutlich hervor, daß nicht nur die Menschenrechtsverletzungen und andere negative Entwicklungen mißbilligt werden, sondern der Außenminister in seinen Gesprächen genau diese Punkte auch behandelt hat.
Wir möchten aber etwas anmerken, was uns an der Debatte, die jetzt entfesselt worden ist, mißfällt. Zum einen mißfällt uns das Messen mit zweierlei Maß.
Ich frage mich, ob die GRÜNEN oder andere eine solche Aktuelle Stunde veranstaltet hätten, wenn der sowjetische Außenminister hierher gekommen wäre.
Ich frage mich auch, ob der Kollege der SPD z. B. rügt, daß die Bundesrepublik Deutschland der größte Handelspartner der Sowjetunion ist.
Denjenigen, die sich daran nicht stören, würde ich
empfehlen, einmal die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in diesem Land nachzulesen.
Dann unterhalten wir uns wieder über die Frage, ob hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird.
Im übrigen mißfällt es uns auch, wenn hier versucht wird, Stellvertreterkriege zu entfesseln. Viele dieser Leute, die hierauf ihre Zeit verwenden, sollten besser in den Ausschüssen des Parlaments mitarbeiten, um unseren deutschen Probleme zu lösen.
Ich begrüße, daß unser Außenminister erklärt hat, daß gar nicht daran gedacht ist, unsere diplomatischen Beziehungen einzuschränken, sondern daß wir im Gegenteil diese diplomatischen Beziehungen dazu benutzen, daß gebessert werden kann, was zu verbessern ist, soweit unser Einfluß reicht.
Eines möchte ich dem Antragsteller, Herrn Schwenninger, sagen.
Es ist erstaunlich, daß hier Aufnahme von Kontakten mit Organisationen gefordert wird, die in diesen Ländern für die Gewaltanwendung, für Terror und Mord verantwortlich sind.
Es ist eigenartig, daß die gleichen Leute, die dem westlichen Bündnis die Verteidigungswaffen verweigern wollen, es unterstützen, daß mit Gewalt und Terror in diesen Ländern versucht wird, politisch etwas zu ändern.
Wir jedenfalls unterstützen jede Anstrengung,
die friedlich dazu dient, die Verhältnisse zu ändern. Wir anerkennen und befürworten den Gewaltverzicht nicht nur in Europa, sondern auch in diesen Ländern.
Noch eine Anmerkung zu dem wirtschaftlichen Boykott, der hier gefordert worden ist. Unterhalten Sie sich einmal mit Menschen aus Südafrika,
dann werden Sie hören, daß dort gesagt wird: Um Gottes willen ihr werdet doch nicht die Arbeitslosen und die Masse der Leute, die auf ihren Verdienst angewiesen sind, treffen wollen, indem ihr Wirtschaftsboykott einführt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2707
Dr. Althammer
In der südafrikanischen Republik müssen jedes Jahr für 300 000 Menschen neue Arbeitsplätze gefunden werden.
— Ich habe mich sehr wohl mit den christlichen Kirchen dort unterhalten, meine sehr verehrten Anwesenden. Immerhin hat die schwarze Bevölkerung in der südafrikanischen Republik mit Abstand den höchsten Lebensstandard in ganz Schwarzafrika.
Ich stelle die Frage: Wollen Sie mit dem, was Sie hier verlangen, den Lebensstandard der Bevölkerung senken?
Ich werde noch etwas sagen, was Sie vielleicht auch erregen wird. Zu dem Gesamtkomplex in der südafrikanischen Region gehört auch das Existenzrecht der weißen Bevölkerung in diesem Land. Es gibt auch einen Rassismus von schwarzer Seite.
Viele Länder in Schwarzafrika haben es erlebt, daß die Beseitigung der Zusammenarbeit mit den Weißen zum Schaden der eigenen Bevölkerung war.
Verfolgen Sie doch einmal die wirtschaftliche Entwicklung vieler dieser Länder; dann sehen Sie, welcher Schaden hier eingetreten ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen auch, daß die Sowjetunion in dieser strategisch wichtigen Region ihre Ziele verfolgt. Wir von der Union sind nicht bereit, durch verkehrte Maßnahmen dieser sowjetischen Strategie in die Hände zu arbeiten, durch eine Destabilisierung dazu beizutragen, daß Stammeskämpfe, daß Bürgerkriege in dieser Region ausbrechen; sondern wir möchten mit friedlichen Mitteln die Entwicklung in Südafrika zu mehr Menschenrechten, zu mehr Gleichheit und zur Beseitigung der Rassentrennung fördern.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, wenn ein Redner nur 5 Minuten Zeit hat, ist es eine Behinderung, wenn man ununterbrochen
Zwischenrufe macht. Das gilt für jeden Redner. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, seien Sie hier etwas kollegial. Anders ist es wirklich nicht machbar.
Das Wort hat der Abgeordnete Brück. Was ich eben sagte, gilt auch, wenn der Abgeordnete Brück redet.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ronneburger, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Fünf-Minuten-Beiträge seien geeignet für Pauschalurteile. Ihre Rede war ein Beweis für die Richtigkeit dieses Hinweises.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben von den Lösungsvorschlägen gesprochen, die in der Kontaktgruppe erarbeitet worden sind. Ich stimme Ihnen zu. Dies waren gute Lösungsvorschläge. Aber die Frage lautet: Was ist mittlerweile geschehen? Sie haben doch auch hier die Wende betrieben. Sie machen das Gegenteil von dem, was Sie versprochen haben.
Sie hatten Kontinuität in der deutschen Außenpolitik versprochen. Was Sie im südlichen Afrika machen, ist genau das Gegenteil.
Herr Kollege Althammer, Sie haben die Stichworte Gewalt und Terror in diese Debatte eingeführt. Ich wäre da sehr vorsichtig. Ich entsinne mich noch, daß Ihr Parteivorsitzender Frau Schlei Zusammenarbeit mit Mördern vorgeworfen hat, als wir darangingen jungen Simbabwern die Möglichkeit zu geben, in der Bundesrepublik Deutschland ausgebildet zu werden.
Heute sind auch Sie froh, daß dies die Chance geschaffen hat, mit der neuen Regierung in Simbabwe freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Deshalb wäre ich mit diesen Worten sehr vorsichtig.
Herr Kollege Althammer, Sie sagen, daß die Sowjetunion dort ihre strategischen Ziele verfolgt. Wer wird Ihnen da widersprechen? Die Frage ist nur, ob wir nicht mit unserer Politik der Sowjetunion helfen, daß sie ihre strategischen Ziele dort verfolgen kann.
Hätten wir unsere Ideale — mit „unsere Ideale" meine ich nicht nur die der Bundesrepublik Deutschland, sondern des Westens insgesamt — in der Vergangenheit im südlichen Afrika immer durchzusetzen versucht, dann gäbe es den sowjetischen Einfluß, so, wie es ihn heute gibt, im südlichen Afrika nicht.
Hätten wir dafür gesorgt, daß das, was in unseren Verfassungen steht — ich will es einmal mit den
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Brück
Idealen der französischen Revolution ausdrükken —, verwirklicht wird, daß es mehr Freiheit, mehr Gleichheit und mehr Brüderlichkeit im südlichen Afrika gibt, dann hätte die Sowjetunion nie die Chance gehabt. Wir müssen uns dem Vorwurf stellen. Hätten wir vor vielen Jahren unseren NATO-Partner Portugal dazu gebracht, so zu handeln wie Großbritannien und Frankreich, nämlich die ehemaligen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen, dann wäre vieles in Afrika besser gewesen.
Ich hoffe, wir ziehen daraus die Lehren. Es ist soeben vom Kollegen Hauchler gesagt worden, daß die jetzige Bundesregierung die Entwicklungshilfe an die Frontstaaten verkürzt. Dies ist, wenn Sie sich die Rahmenplanung anschauen, auch der Fall. Wir, die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung, haben die Zusammenarbeit mit den Frontlinienstaaten verstärkt. Es ist eine Tatsache, daß die Frontlinienstaaten in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Südafrika sind. Wenn man wirtschaftlich abhängig ist, kann man wohl auch politisch nicht unabhängig sein.
Deshalb will ich zum Schluß noch einmal unsere Forderungen präzisieren. Wir müssen alles dafür tun, daß der letzte Rest von Kolonialismus in Afrika verschwindet, daß Namibia unabhängig wird.
— Sie haben völlig recht: Kubaner raus! Ich halte es für falsch, wenn wir die Lösungsvorschläge für Namibia an die Anwesenheit kubanischer Truppen in Angola binden.
Es ist schlimm, daß sie dort sind. Aber ich sage es noch einmal: Wir müssen uns fragen, was wir getan haben, daß sie dort sind. Ich glaube, nur dann können wir vernünftige Politik machen.
Wir müssen alles tun, um die Abhängigkeit der Staaten im südlichen Afrika von Südafrika zu beseitigen. Ich will es noch einmal sagen: Wir müssen alles tun, damit der letzte Rest von Kolonialismus in Afrika verschwindet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Protokoll der GRÜNEN aus der vorigen Woche muß nach Joschka Fischer der dramaturgische Aufbau einer Rede so sein, daß man zuerst Betroffenheit zeigt, dann die Kompetenz der Regierung anzweifelt und dann zum Angriff übergeht.
Dann steht da in einem merkwürdigen Deutsch: „Es sollte eindeutig eine Klimax am Schluß einer Debatte entstehen." Nach genau dem gleichen Muster inszenieren Sie heute morgen hier Ihre Reden. Ich denke, die meisten von uns sind in die Politik gegangen, damit man Menschen hilft, Sie aber sind in die Politik gegangen, um Aktionismus zu machen, hier mit Taschen rumzuwedeln, und das halten Sie für Politik.
Das ist kindisch.
Sie wollen eine Politschau abziehen, und mich nervt dabei am meisten,
daß Sie hier wieder wie schon so oft völlig unglaubwürdig sind. Sie machen grünen Protest nur, wenn das Fernsehen da ist. Wir können sehen, daß Plakate eingerollt werden, sobald die Medien abziehen. Sie stimmen hier gegen die Diätenerhöhung, müssen sich aber von Ihrem eigenen Geschäftsführer sagen lassen, daß Sie aus der Fraktionskasse mehr Geld als die Kollegen hier in diesem Hause haben. Sie kaufen sich ein Dienstfahrrad, lassen sich aber nachts in Bonner Kneipen fahren.
Sie wollen den innerdeutschen Flugverkehr wegen Kerosinmangels abschaffen, aber in Wahrheit fliegen Sie 1. Klasse. Alles ist unglaubwürdig, was Sie hier inszenieren.
Was Sie wollen, ist, viel mehr zu sein, als Sie in Wahrheit sein können. Das zeigt auch diese merkwürdige Aktuelle Stunde.
Sie kommen nämlich hierher und sagen, wir sollen nicht mit einem Außenminister reden, der Ihnen nicht paßt. Sie sind aber im Jahre 1982 — ich nehme an, im Vorgriff auf die Fraktionskasse — nach Libyen gefahren. Sie — konkret war es Herr Schily — mußten sich hinterher von Gräfin Dönhoff in der „Zeit" folgendes fragen lassen:
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Daweke
Was macht Schily, ein Anwalt des Rechts, beim libyschen Staatschef,
der im Ausland lebende Männer seines Landes mit der Angabe, sie seien vom Volksgericht zum Tode verurteilt worden, von Mördergangs auch in der Bundesrepublik umbringen läßt?
Ich dachte, Sie hätten ihn vielleicht einmal auf Menschenrechte angesprochen. Als Sie wiederkamen, sagte der Kollege Vogt: „Es gibt objektive Interessenüberschneidungen mit Libyen."
Sie haben übrigens heute morgen gefordert, daß wir keine Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern haben dürfen, die Ihnen nicht passen. Heißt das: kein 01 mehr aus Libyen?
— Herr Stratmann, wenn ich das sagen darf: Es gibt keine Zwischenfragen. Sie müssen sich das jetzt schon anhören. Sie sind im übrigen auch derjenige, der nachts immer so gerne mit dem Dienstauto fährt. Wenn Sie dazu etwas sagen wollen, können Sie darauf noch zurückkommen.
Herr Abgeordneter, es gibt keine Zwischenfrage in der Aktuellen Stunde.
Meine Damen und Herren, das gleiche könnte man von der Einstellung der GRÜNEN etwa zu Nicaragua sagen.
Ich glaube, das schlimmste, was man feststellen muß — auch in dieser Aktuellen Stunde — ist, daß sich die GRÜNEN hier trotz allem als die Partei der Glaubwürdigkeit, der Konsequenz darstellen.
In Wahrheit sind Sie es nicht. Wissen Sie, wann wir das endgültig feststellen werden? In einem Jahr und drei Monaten, dann nämlich, wenn Sie alle noch hier sitzen und Ihre Kindereien aufführen und wir sehen werden, daß Sie noch eines Ihrer Versprechen nicht eingehalten haben, nämlich daß wir Sie bald loswerden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier über den Besuch des südafrikanischen Außenministers.
Ich möchte sagen, Außenminister Botha war ein willkommener Gast in der Bundesrepublik Deutschland und ist zu Recht vom Bundesminister des Auswärtigen eingeladen worden.
Er ist um so willkommener, als die Verfassungsreform gezeigt hat, daß hier etwas in Bewegung geraten ist, wie wir hoffen, in die richtige Richtung.
Es geht ja nicht nur um die Verfassungsreform. Es geht auch um die Tatsache, daß z. B. das Gesetz über die gemischtrassige Eheschließung im Januar überprüft wird, wie wir hoffen, in der richtigen Richtung. Es geht um wirtschaftliche, um arbeitsrechtliche Verbesserungen für die schwarzen Afrikaner,
die im übrigen von allen Ländern Afrikas den höchsten Lebensstandard haben.
Aber ich lasse keine Zweifel daran, daß wir von der CDU/CSU für die volle Verwirklichung der Menschenrechte für alle Menschen — gleich welcher Hautfarbe — im südlichen Afrika und überall in der Welt eintreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt aber auch deutsche und westliche Interessen im südlichen Afrika. Das ist nicht nur die Sicherheit der Kaproute, das ist nicht nur die Sicherheit der Rohstoffversorgung, das sind auch die vielen unserer Landsleute, die dort leben, das ist die Erhaltung einer freiheitlichen Wirtschaft und eines für unsere Wirtschaft wichtigen Austauschs mit Südafrika, und das ist auch die Stabilität eines Kontinents, insbesondere gegenüber der sowjetischen Subversion.
Es gibt — dies hat der Bundesminister des Auswärtigen ausgeführt — keine militärische Zusammenarbeit. Trotzdem halten wir es für richtig, daß Südafrika angesichts der vielen gemeinsamen In-
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Graf Huyn
teressen einen Militärattaché hier in Bonn hat und behält. Es gibt gemeinsame Interessen gegen diejenigen, die dort wie die ANC und die SWAPO als Vertreter Moskaus tätig sind.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe hier den Bericht des amerikanischen Senats,
den Denton-Bericht über Terrorismus und Sicherheit, in dem das im einzelnen ausgeführt wird.
Im übrigen ist es ja interessant, daß es die Schwarzafrikaner selbst sind, die sich gegen marxistische Fremdherrschaft erheben,
ob es die RNM in Mozambique ist oder ob es die Unita unter dem bemerkenswerten afrikanischen Politiker Sawimbi ist, die gegen die Anwesenheit der Kubaner, des Staatssicherheitsdienstes und der Sowjetunion in Angola sind. Es wird deswegen keine Lösung für Namibia geben ohne einen bindenden vorherigen Abzug der Kubaner. Die SWAPO hat ihr Programm fast wörtlich von der SED in Ost-Berlin abgeschrieben. Der ANC besteht aus in der Sowjetunion ausgebildeten Terroristen. Jussuf Dadoo, Chef des Exekutivkomitees der ANC, ist zugleich Chef der südafrikanischen kommunistischen Partei. Er lenkt diese von London aus. Und Joe Slovo der Chef des militärischen Flügels der ANC, hat zugleich den Rang eines Oberst im sowjetischen KGB. Deswegen wissen wir sehr wohl, wer unsere Freunde und wer unsere Gegner sind aus dem südlichen Afrika, wer uns willkommen und wer uns weniger willkommen ist.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Voigt .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das Parlament muß heute Klartext reden, weil die Bundesregierung in ihren Gesprächen mit Herrn Botha nicht Klartext geredet hat.
Es ist ganz offensichtlich,
daß man in der Südafrikapolitik eher einen Pudding an die Wand nageln kann, als daß es gelingen
könnte, diese Bundesregierung zu einem klaren Standpunkt festzulegen.
Es ist überhaupt keine Frage, daß die Änderung der Verfassung nur die Festlegung und Bestätigung des alten Rassismus im neuen Gewande bedeutet.
Das sind Tatsachen, die nur von Herrn Strauß und seinen Anhängern bezweifelt werden. Die Verhältnisse in Südafrika müssen wir als Sozialdemokraten verurteilen. Die Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse können wir nicht hinnehmen.
Wenn Herr Huyn eben davon sprach, daß es unser Interesse sei, die freiheitliche Wirtschaft in Südafrika zu erhalten, eine Wirtschaftsordnung, die auf dem Rassismus beruht und in der der Rassenstaat mit dem Klassenstaat verbunden ist, dann kann man sich vorstellen, was er von Freiheit und von freier Wirtschaftsordnung wirklich hält.
Die Freiheit, die Sie in bezug auf eine solche Form des Wirtschaftens meinen, meinen wir nicht, weder politisch noch wirtschaftlich. Dieser Staat ist aggressiv nach innen, dieser Staat ist aggressiv nach außen. Ein Staat, der im inneren Rassenschranken aufrechterhält, der wirtschaftlich, politisch und sozial unterdrückt, ist ein Staat, bei dem wir uns mit der Oppossition und nicht mit denjenigen solidarisieren müssen, die unterdrücken.
Deshalb muß diese Debatte auch ein Beitrag dazu sein, nicht darüber zu streiten, ob man mit Vertretern der Regierung spricht — wir sagen auch, daß man mit ihnen sprechen darf und soll —, sondern zu klären, was man ihnen sagt und mit wem man in der Sache solidarisch ist.
In der Sache solidarisch sind wir mit denjenigen, die der südafrikanischen Opposition angehören. Das sind glücklicherweise nicht nur Schwarze, sondern auch Weiße und Mischlinge, das sind besonders Kirchen, das sind Gewerkschaften, dazu gehört auch der ANC und im ehemaligen Südwestafrika — in Namibia — auch die SWAPO.
Deshalb muß in dem Zusammenhang dieser Debatte auch unsere Solidarität mit diesen Oppositionsgruppen ausgedrückt werden. Es muß unsere Solidarität mit denjenigen in unserem Lande ausgedrückt werden, die sich auf die Seite dieser Opposition stellen, und nicht mit denjenigen Kräften, die zu verschleiern versuchen, was in Südafrika an Unterdrückung passiert.
Die Bundesregierung verschleiert die tatsächlichen Verhältnisse in Südafrika.
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Voigt
Die Sprecher der Koalitionsparteien, insbesondere soweit es heute die CDU-Seite betraf, Herrn Huyn und Herrn Althammer,
sind der Beweis dafür, warum verschleiert wird: weil sich die Bundesregierung in der Sache nicht einig ist, weil ein Teil der Bundesregierung die Politik der alten Koalition fortsetzen will — wir begrüßen das — und weil ein Teil der Bundesregierung das rassistische Regime verharmlosen, mit ihm kooperieren will.
Dieser innere Widerspruch in der Koalitionsregierung ist der Grund, warum bisher keine Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion gegeben worden ist; das ist der Grund dafür, warum sie gegenüber Botha nicht Klartext redet; das ist der Grund dafür, warum verschleiert wird, anstatt Klarheit zu schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Lage muß das Parlament sprechen, in dieser Lage soll das Parlament sprechen, weil die Bundesregierung in dieser Lage nicht gesprochen hat.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es freut mich ja ungemein, daß der Herr Kollege Daweke so Schwierigkeiten mit der Glaubwürdigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der GRÜNEN hat. Nur nehme ich ihm das leider nicht ab. Es wäre besser gewesen, wenn Sie versucht hätten, hier über das Problem Südafrika, den Rassismus in Südafrika als über Ihre Probleme mit den GRÜNEN zu reden.
— Das wird Ihr gutes Recht sein. Sie können das an jeder Stelle tun, ohne inhaltlich dazu etwas zu sagen.
Meine Damen und Herren, Herr Althammer und Herr Huyn haben hier dargestellt, wo denn wessen Freunde stehen. Ich danke Herrn Voigt, daß er das ebenfalls dargestellt hat. Wir haben dabei feststellen können, wer in Südafrika wessen Freund ist. Wir haben feststellen können, daß die Freunde der CDU/CSU diejenigen sind, die bereit sind, den Rassismus in Südafrika als Ausbeutungsstrategie aufrechtzuerhalten.
Wir haben hören können, daß sich die SPD der Opposition in Südafrika verpflichtet fühlt.
Ich darf dazu folgendes sagen, um klarzumachen, daß das nicht einfach dahergeredet ist. Am 18. November ist Zeitungsmeldungen aus den UN zu entnehmen, daß sich der Rassismus in Südafrika verhärtet. Heute, am 1. Dezember, hören wir, daß der Rassismus in Südafrika — das habe ich soeben vernommen — offenbar zurückgegangen ist. So etwas dient offensichtlich dazu, die Entwicklung in Südafrika zu verschleiern. Diese Verschleierung der Entwicklung wird auch durch Äußerungen der Bundesregierung sehr deutlich: Der Herr Außenminister hat hier die Position vertreten, daß dem Rassismus entgegenzutreten sei. In den UN stimmt die Delegation der Bundesrepublik gegen eine entsprechende Resolution.
— Ich bitte um Entschuldigung: Sie stimmt nicht dagegen, sondern sie enthält sich
bei einer übergroßen Mehrheit der UN für eine Verurteilungs-Resolution betreffend Südafrika.
Es scheint offenbar nicht bekannt zu sein, was in Südafrika wirklich geschieht. Ihnen ist offensichtlich nicht bekanntgeworden — es gab da ja eine Nachrichtensperre —, daß in der Ciskei, einem dieser Homelands, die von der südafrikanischen Regierung eingerichtet worden sind, um die Schwarzafrikaner abzuschieben, stillzusetzen, aus ihren angestammten Gebieten herauszuhalten, damit sie selbst in der landwirtschaftlichen Produktion nicht einmal mehr ihre Eigenversorgung sichern können, in Zusammenarbeit — ich beziehe mich auf eine Meldung im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" — zwischen der Sicherheitspolizei Südafrikas und der Homeland-Polizei vor nicht allzu langer Zeit ein Massaker verübt worden ist, und zwar deswegen, weil die einheimische Bevölkerung des Homelands Ciskei nicht mehr bereit war, die Erhöhung der Busfahrtkosten zu bezahlen. Die Busse müssen sie benutzen, um an ihre Arbeitsplätze zu kommen. In dem Moment, in dem sie versucht hatten, in die Züge, die auch aus diesem Lande herausfahren, einzusteigen, wurden sie beschossen. Man rechnet, daß dabei mehr als 70 Menschen getötet worden sind.
Dies geschieht in Übereinstimmung mit der Regierung Südafrikas, durch die Regierung dieses sogenannten Staates, der sich Homeland nennt. Das bitte ich zu bedenken, wenn hier so getan wird, als wären der Rassismus und die Unterdrückung in Südafrika auf dem Wege zu einer Auflösung. Das stimmt nicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Anfrage ist mit dem Besuch des Außen-
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Ertl
ministers der Südafrikanischen Republik begründet worden.
— Aktuelle Stunde, na ja. — Es ist schon gut, daß Sie inzwischen wenigstens das gelernt haben. Es ist schon ein Fortschritt.
Aber ich bin Ihnen sehr dankbar für den Einwand. Wir kennen ja inzwischen Ihr Strategiepapier und wissen, daß es zu Ihrer Strategie gehört, Störenfried der Nation durch offensichtlich despektierliches Verhalten hier im Parlament zu spielen. Das ist Ihr Rezept. Und so fangen Sie bei mir schon wieder an. Das ist wohl Ihre Art.
Ich möchte mich damit befassen. Frau Präsidentin, gestatten Sie, daß ich, bevor ich das Thema des Besuches aufgreife, etwas zu unserer Geschäftsordnung sage. Frau Präsidentin, ich wäre Ihnen wirk-
lich dankbar, .. .
Bevor ich Sie unterbreche, möchte ich erst einmal hören, was Sie zu sagen haben.
... wenn sich das Präsidium — und das betrifft doch uns alle — Gedanken darüber machte, wo wir hinkämen, wenn jeder bei dem Besuch eines x-beliebigen Außenministers, der ihm gerade nicht paßt, eine Aktuelle Stunde beantragte.
Ich halte das einfach für der Würde dieses Parlaments nicht entsprechend.
— Das ist eine sehr wichtige Sache, verehrte Freunde, weil das, was Sie hier machen, stillos ist.
Selbst wenn Sie dieser Regierung in Ihrer berühmten Einäugigkeit sicherlich nicht sehr freundlich, sondern intolerant, gehässig gegenüberstehen, ist es dennoch eine ganz ungewöhnliche Art, sich gegenüber Verantwortlichen einer Regierung zu verhalten — selbst wenn man deren Standpunkte nicht in allen Teilen billigt.
Das Parlament muß sich darüber im klaren sein, ob es seiner Würde entspricht, — —
— Es gibt auch noch eine Würde, verehrter Freund Horst Ehmke. Ich sage doch gar nichts, wenn Sie dazu eine Große Anfrage einbringen. Doch die GRÜNEN sind wegen eurer Großen Anfrage beleidigt, und ihr revanchiert euch damit, daß ihr sie ernster nehmt, als es ihnen eigentlich zusteht. Viel
besser wäre es, ihr würdet die GRÜNEN so behandeln, daß ihr ihnen sagt:
Benutzt die außenpolitische Aussprache bei der Behandlung des auswärtigen Etats. — Wir können doch das Problem nicht in einer Aktuellen Stunde, nicht in Fünf-Minuten-Beiträgen ernst und seriös behandeln. Dies wäre der richtige Weg, Freunde, damit wir uns hier im klaren sind.
Nun einige Bemerkungen — —
— Erst muß ich Ihnen sagen: Ich rede so, wie ich es zu verantworten gedenke, und nicht so, wie es GRÜNE in ihrer Intoleranz und Gehässigkeit hören möchten. So weit sind wir noch nicht, Freunde.
Ihr Geist ist der Geist der Totalität, der böse Geist der Totalität und der Intoleranz.
Verehrte Freunde, der Außenminister — —
Meine Damen und Herren, es ist etwas schwierig, die Sachzusammenhänge immer ganz genau zu sehen. Ich gebe das zu.
Aber dennoch bitte ich Sie jetzt, den Herrn Kollegen Ertl zu Ende reden zu lassen.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. „Die getroffenen grünen Hunde bellen ja sehr laut."
Um es mit einem abgewandelten Sprichwort zu sagen.
Der Außenminister ist übrigens unter der sozialliberalen Koalition eingeladen worden und ist unter der jetzigen Koalition gekommen.
Im übrigen: Wir haben uns bei der Abstimmung über die Resolution enthalten, weil sie nach unserer Meinung und nach der Meinung der Bundesregierung sehr Zutreffendes, aber auch sehr Überzogenes enthielt. In diesem Falle ist es richtig, sich der Stimme zu enthalten. Was nach Meinung der Bundesregierung richtig ist, findet auch bei einer Enthaltung seinen Niederschlag. Das, was wir nicht wollen und für überzogen halten, kann zwangsläufig nicht durch Zustimmung gebilligt werden. Das ist eine ganz einfache Erklärung dafür, daß sich die Regierung bei der Abstimmung der Stimme enthalten hat.
Im übrigen behandeln wir Südafrika nach den Regeln, deren erster Grundsatz die Nichteinmi-
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Ertl
schung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes beinhaltet.
— Das ist ja wohl im Interesse der Arbeitsplätze. Wenn wir überall dort die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen wollten, wo wir keine freundschaftlichen Beziehungen haben, müßten wir uns sehr auf Europa konzentrieren. Da hört es im Osten bereits an der Elbe auf. Meine verehrten Freunde, Sie bilden sich doch ein, etwas von der Sache zu verstehen.
— Auf jeden Fall nicht unter unwürdigeren Bedingungen als in anderen Staaten, deren Herrschaftssystem ich nicht billige.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist ab sofort zu Ende.
Ich bin auch sehr froh, daß mich die GRÜNEN sehr gestört haben. Falls das im Protokoll wiedergeben wird, kann es das deutsche Volk nachlesen.
Unsere Politik ist eine Politik, die dazu dienen soll, die Menschenrechte in der Welt zu verwirklichen, aber ohne Druck und Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Das gilt für Ost und West, für Nord und Süd gleichermaßen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Redezeit für die Aktuelle Stunde erschöpft.
Herr Fischer hat den Zwischenruf gemacht „Herr Althammer, Sie sind eine christliche Dreckschleuder!". Ich rufe den Abgeordneten Fischer zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche jetzt die Sitzung wegen der beantragten Fraktionssitzung der SPD bis 10 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurf eines Fünfunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— aus Drucksache 10/183 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksachen 10/684, 10/697 — Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schmude Dr. Hirsch
Krey
Fischer
b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze
— aus Drucksache 10/183 —
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksachen 10/684, 10/697 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schmude Dr. Hirsch
Krey
Fischer
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/685 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Kleinert (Marburg)
Austermann
Hoppe
Zu Tagesordnungspunkt 2 b liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/702 vor. Im Ältestenrat ist für beide Tagesordnungspunkte eine verbundene Aussprache von 90 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Krey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Innenausschuß hat mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP beschlossen, den Ihnen auf Drucksache 10/697 vorliegenden Bericht des Innenausschusses wie folgt zu ergänzen. Auf Seite 21, zweiter Absatz, sind in den letzten Satz nach dem Wort „Neuregelung" die Worte „nach Auffassung der SPD im Ausschuß" einzufügen und ist folgender Satz anzufügen: „Die Mehrheit im Ausschuß hat erklärt, daß diese Frage allein von der rechtsprechenden Gewalt zu entscheiden sei."
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht gehört. Wünscht einer der anderen Berichterstatter das Wort? — Herr Abgeordneter Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dürre Worte, verehrter Kollege Krey, für all die Aufregung in dieser Nacht, die Sie hier gefunden haben. Die Telefondrähte haben bis in die späten Stunden geglüht. Es wurde für eine offensichtlich ganz unbedeutende Veränderung getagt.
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Fischer
Ich muß Ihnen ehrlich sagen, vielleicht liegt es daran, daß ich hier noch zu neu bin. Aber was ich hier erlebt habe bei dieser Schnellgangformulierung, bei diesem gesetzgeberischen Aktionismus, um das Parteienfinanzierungsgesetz nebst sämtlichen Rahmenveranstaltungen durchzubringen, das ist es doch wert, berichtet zu werden.
Gestern wurde plötzlich die berühmte Seite 21 des Berichts, den die Berichterstatter unterschrieben hatten, zum zentralen Dreh- und Angelpunkt. Die Aufregung war groß. Bei der Überprüfung stellte ich fest, daß es mittlerweile neben der erwünschten Letztfassung noch zwei weitere gab, nämlich sowohl die Fassung, die im Bericht stand und die von den vier beteiligten Herren unterschrieben war, als auch noch eine andere.
Die erste, die ursprüngliche Fassung sagte zu diesem Thema überhaupt nichts, sondern sprach im wesentlichen von Änderungsanträgen der SPD. Diese erste Fassung wurde dann aus redaktionellen Gründen gestrichen, weil es, wie gesagt wurde, auf den Seiten 8 und 9 des Berichts schon besser formuliert sei.
Der verehrte Kollege Krey sagte: Dann war da zunächst nichts. Aber plötzlich war da etwas, nämlich ein ganz zentraler Punkt. Ich erlaube mir, das ausführlich zu zitieren:
Die vorgesehene Neuregelung über die steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten von Parteispenden soll entsprechend dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung erstmals für das Wirtschaftsjahr 1984 und später gelten.
Daraus folgt im Umkehrschluß, daß es bis dahin bei der bisherigen Rechtslage sein Bewenden hat. Auswirkungen auf vorangegangene Fälle einer Steuerverkürzung hat die Neuregelung nicht.
Dann begann das Zeter und Mordio, denn hier geht es um die rückwirkende Amnestie. Das muß man sich einmal genau überlegen! Hier wird im Schnellverfahren ein Gesetz beschlossen, ein Gesetz, bei dem es für die Berichterstatter eine Lesart nach der anderen gibt.
Das Papier war noch nicht trocken, es war noch nicht gelesen. Vielleicht bin ich als sogenannter Newcomer da etwas schwer von Begriff; das will ich Ihnen gern zubilligen. Aber es gibt mittlerweile dero zehn und noch mehr Versionen. Das wurde laufend fortgeschrieben. Laufend wurde versucht, da mit heißer Nadel etwas zusammenzuflicken, nämlich auf der einen Seite eine Amnestie für die Steuerhinterziehungsfälle und auf der anderen Seite das Bemühen, dem drohenden Bankrott zu entgehen.
Es gab hier, wie gesagt, eine Fülle von Formulierungen, bei denen ich nicht mehr durchgestiegen bin. Verehrte Kollegen Berichterstatter, nach dem, wie das gestern nacht ausging, behaupte ich, daß
bis auf den Kollegen Schmude auch die anderen Herren nicht mehr so richtig durchgeblickt haben.
Herr Kollege Schmude, ich möchte Ihnen demnach von dieser Stelle aus ausdrücklich ein Kompliment machen. Aber ich muß Ihnen ehrlich sagen: Daß es hier in diesem Hause so mafiös zugeht, habe ich mir nicht vorgestellt. So habe ich mir das nicht vorgestellt!
Das will ich hier als Berichterstatter einmal zu Protokoll geben.
Kurz und gut, jetzt wurde mit großer Mehrheit, mit der Mehrheit der Fraktionen von FDP, CDU/ CSU und SPD, beschlossen, diese Änderung herbeizuführen. Wir sprechen uns gegen diese Änderung aus. Generell sind wir mittlerweile der Meinung, daß hier ein Gesetz vorliegt, bei dem ja selbst die beiden Verfassungsminister, der Innenminister und der Justizminister, nicht bereit sind, das Risiko mitzutragen. Vielmehr haben sie gesagt, es besteht da ein erhebliches verfassungsrechtliches Risiko, und die politische Entscheidung soll das Parlament gefälligst selber tragen.
Wir lehnen das ab. Wir werden da nicht mitmachen. Dieses schmutzige Geschäft müssen Sie alleine betreiben.
Das Wort hat als Berichterstatter der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Da ich als Berichterstatter spreche, beschränke ich mich auf die Stellungnahme zum Bericht und behalte die Würdigung des Gesetzes, auf die Herr Fischer hier schon zu sprechen gekommen ist, dem Debattenbeitrag, der gleich kommt, vor.
Richtig ist, daß für die Abfassung dieses Berichts nicht gerade viel Zeit zur Verfügung gestanden hat. Herr Fischer, Sie verweisen darauf, daß es Ihnen vielleicht an Erfahrung mangelt. Das ist kein Manko. Es kommt vor, auch in vielen anderen Fällen, daß Gesetzesvorhaben besonders vor Pausenzeiten, wie jetzt vor der Weihnachtspause, mit Nachdruck und zügig beraten werden und daß bei der Berichtabfassung schnell gearbeitet wird. Das ist in diesem Fall geschehen. Dabei mußten vier Berichterstatter gefragt werden, ob das, was der eine oder andere in Erinnerung gebracht oder als Ergänzungswunsch vorgetragen hat, die Billigung der jeweils anderen findet. Ich habe den Eindruck, das ist mit großer Korrektheit geschehen.
Wenn Ihnen das eine oder andere durchgegangen ist, wenn Sie dazu sagen, Sie seien nicht durchgestiegen, dann akzeptiere ich das. Ich muß allerdings darauf verweisen, der Absatz, der Sie jetzt so sehr verwundert, weil er drinsteht, der aber offenbar inhaltlich Ihre Billigung findet, ist schon zehn Tage alt. Er ist Ihnen in einem Brief von mir und in einer
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2715
Dr. Schmude
Drucksache bzw. in einem Informationspapier des Ausschusses zugegangen. Das alles dürfte Sie nicht so sehr überraschen.
Ich akzeptiere Ihren Hinweis, daß das recht eilig vor sich gegangen ist; aber ich stelle dazu fest: Es ist gleichwohl — dafür bin ich dem Ausschußsekretariat, das die Arbeit geleistet hat, dankbar — korrekt und übersichtlich zugegangen.
Damit sind wir am Ende der Berichterstattung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Krey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Fischer zwar als Berichterstatter gesprochen hat, aber bereits einen Debattenbeitrag geleistet hat, möchte ich eine Feststellung treffen. Aufgabe des Berichtes ist es, das gesamte Parlament und die gesamte Öffentlichkeit über den tatsächlichen Ablauf der Beratungen im Ausschuß korrekt zu unterrichten. Dieser Aufgabe haben wir uns unterzogen. Nach meiner Meinung ist der Innenausschuß heute morgen in seinem mit breiter Mehrheit gefaßten Beschluß dieser Aufgabe gerecht geworden.
Wenn wir uns heute mit der gesetzlichen Neuordnung der Parteienfinanzierung befassen, meine Damen und Herren, so ist es unerläßlich, auf die Bedeutung der politischen Parteien für die Sicherung unseres demokratischen Staates zu sprechen zu kommen. Ohne funktionsfähige Parteien kann der demokratische Staat, so, wie wir ihn uns vorstellen, so wie wir ihn bejahen, so, wie wir ihn fördern wollen, einfach nicht funktionieren. Daher muß der Staat im Interesse seiner Bürger dafür sorgen, daß die Parteien ihre Aufgaben auch erfüllen können und daß ihr Wettbewerb um den Wählerauftrag im gesicherten und kontrollierbaren Rahmen verläuft.
Wer — dies geschieht leider allzu häufig — Mißtrauen in der Bevölkerung, ja, Ablehnung gegen die Parteien erzeugt, dem muß man entgegenhalten, daß der Weg in die Diktatur des Nationalsozialismus ganz entscheidend mit einer Entwicklung begann,
in der die demokratischen Parteien verunglimpft, diffamiert, beleidigt und verächtlich gemacht worden sind.
Es muß hier erlaubt sein, auf historische Erfahrungen hinzuweisen,
aus denen die Väter unseres Grundgesetzes bei der Abfassung unserer Verfassung die Konsequenzen gezogen haben.
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Parteien bemühen sich um politische Macht. Wer Macht ausübt, muß nach unserem Demokratieverständnis ganz besonderer Kontrolle unterworfen sein. Die Fähigkeit, den politischen Wechsel unter den Parteien immer wieder möglich zu machen, setzt aber gerade deren Existenzfähigkeit voraus, egal, ob es sich um Regierungsparteien, um Oppositionsparteien, ob es sich um etablierte oder um neuen Parteien handelt. Hier sollten wir uns über diesen Tatbestand einig sein.
Parteien üben wechselseitig Kritik. Sie stellen die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Prüfstand ihrer politischen Bewertungen. Dies ist notwenig und im Interesse der Bürger unerläßlich. Ihr Bemühen um die Durchsetzung der dabei gewonnenen Ziele setzt dabei aber voraus, daß sie mit großer Sachkunde in einer immer komplizierter werdenden Welt den tatsächlichen Verhältnissen gerecht werden. Sie müssen Lösungen erarbeiten, die ernsthafter Betrachtung standhalten. Die Parteien müssen aber auch in der Lage sein, die Öffentlichkeit über ihre Auffassungen umfassend zu informieren, und sie müssen in der Lage sein, für ihre Ziele zu werben.
Die Parteien haben es nicht leicht, diese ihre umfassenden Aufgaben zu erfüllen. Leider sind nach wie vor viel zu wenig Bürger bereit, in den politischen Parteien aktiv mitzuwirken. Aber jene rund 2 Millionen Mitbürger, die Opfer an Zeit und Geld für die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates durch ihre Mitgliedschaft in unseren Parteien erbringen, haben Respekt, Dank und öffentliche Anerkennung verdient. Wer bereit ist, einen Teil seines Einkommens, seiner Vermögens freiwillig der Partei seiner Wahl zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben zur Verfügung zu stellen, hat es nicht verdient, von vornherein verdächtigt oder gar kriminalisiert zu werden.
Umgekehrt braucht sich mancher angesichts pauschaler Kritik und eilfertiger Vorverurteilung niemand zu wundern, daß sich viele Bürger gehindert sehen, daß sie sich scheuen, einen persönlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Parteien zu leisten. Um es mit meinen Worten noch deutlicher zu sagen: Wer einer Partei beitritt, ihr Beiträge zahlt oder auch für sie spendet, wird daran auch die Erwartung knüpfen, seinen politischen Wünschen und Zielen den Durchbruch zu verschaffen. Er dient damit aber zugleich auch der Gesamtheit aller Bürger, deren Freiheit und Unabhängigkeit in unserem Staat nur durch die Demokratie garantiert werden.
Die Arbeit der Parteien vollzieht sich auf allen Ebenen unserer staatlichen Ordnung und in der Europäischen Gemeinschaft. Die Parteien unterhalten im Interesse unseres Volkes vielfältige Kontakte in alle Welt. Zu der Bewältigung ihrer vielfältigen Aufgaben brauchen die Parteien Geld. Ihre Finanzierung beruht auf drei Säulen, den Mitgliedsbeiträgen, den Spenden und den Erstattungen der Wahlkampfkosten. Die Parteien haben große Anstrengungen unternommen, um ihre Kosten zu begrenzen, die Mitgliedsbeiträge zu steigern und auch in den Wahlkampfaufwendungen äußerst sparsam zu
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Krey
sein; aber es gibt Grenzen, die all diesen Bemühungen gesetzt sind.
Die Beitragsordnungen der Parteien müssen dafür sorgen, daß jedem Bürger unabhängig von seinem Einkommen die Mitgliedschaft offen ist. Jeder, der die Arbeit der Parteien objektiv prüft, wird jedoch leicht erkennen, daß Mitgliedsbeiträge oft nicht einmal ausreichen, die heute notwendigen Aufwendungen für die Verwaltung und die erforderliche kontinuierliche Information' der Mitglieder zu finanzieren.
Daher sind die Parteien auf Spenden angewiesen. Wer dies bejaht, muß dafür sorgen, daß die Diskriminierung der Parteispenden beendet wird.
Ich frage mich, wie manche Leute, die gegen diese Behandlung von Parteimitgliedern und Parteispendern im Steuerrecht zu Felde ziehen, die ihnen vom Staat gewährten Steuervergünstigungen für ihre sonstigen Aufwendungen sehen oder etwa ihre Beiträge zu vielfältigen ebenso politischen Aktivitäten bewerten. Viele Kritiker sind bewußt oder unbewußt auf diesem Wege in die Rolle von Pharisäern geschlüpft. Gerade weil wir nicht wollen, daß politische Entscheidungen von Interessenten „gekauft werden", ist es erforderlich, einen für jedermann zugänglichen Anreiz für die Gewährung von Spenden an die politischen Parteien zu schaffen, wie es die Steuervergünstigung nun einmal ist. Es ist deshalb auch nur konsequent, daß das Parteienfinanzierungsgesetz jetzt sogenannte finale Spenden ausdrücklich verbietet und Zuwiderhandlungen mit einer empfindlichen Sanktion belegt. Auf der anderen Seite werden die politischen Parteien, was die Steuervergünstigung von ihnen zugedachten Spenden angeht, endlich mit jedem Sportverein gleichgestellt.
Zu den Berichten über die angeblich jetzt übermäßige Wahlkampfkostenerstattung an die Parteien möchte ich nur soviel sagen. Die Ausgaben der politischen Parteien vor Wahlen sind, auch wenn man dabei die eine oder andere Werbemaßnahme kritisch prüfen mag, alles andere als Verschwendung. Wenn es eben so ist, daß über 95% der Bürger nicht Mitglied in einer politischen Partei sind,
die von den Regierungen und Parlamenten zu lösenden Aufgaben immer komplizierter werden, ist es nur natürlich, daß die politische Information und Aktivierung der Bürger für die Wahlentscheidung auch notwendigerweise kostspieliger wird. Hier handelt es sich in der Tat um die notwendigen Kosten unserer Demokratie, die guten Gewissens — das hat das Bundesverfassungsgericht auch mehrfach bestätigt — den Parteien erstattet werden können.
In dem Bericht zur Neuordnung der Parteienfinanzierung der vom Bundespräsidenten berufenen Sachverständigenkommission vom 18. April dieses Jahres heißt es — ich zitiere —:
Die öffentliche finanzielle Förderung der Parteien ist verfassungsrechtlich gerade wegen ihres besonderen öffentlich-rechtlichen Status in den Grenzen der verfassungsrechtlichen Gebote der Parteienfreiheit und der Chancengleichheit aller politischen Parteien zulässig. Sie ist auch zur Aufgabenwahrnehmung, falls erforderlich, von Verfassung wegen geboten; auf Grund der Aufgabenzuweisung durch das Parteiengesetz kann der Staat sogar dazu verpflichtet sein, wenn die Parteien ansonsten den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben nicht gerecht werden können.
Dieser Feststellung, meine Damen und Herren, trägt das Ihnen vorliegende Parteienfinanzierungsgesetz Rechnung.
Neben einer angesichts der Entwicklung des Geldwertes und des Umfangs der Wahlkampfaufgaben angemessenen Erhöhung der Wahlkampfkostenerstattung wird die steuerliche Begünstigung von Spenden an politische Parteien neu und eindeutig für die Zukunft geregelt. ich stelle hier noch einmal ausdrücklich fest, daß wir eine klare und eindeutige Regelung wollen, um die Rechtsunsicherheit der Vergangenheit zu beenden.
Die Spendenpraxis vieler Parteien beschäftigt heute nicht nur die Justiz, insbesondere die Lehrmeinung, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Wir wollen uns nicht — das ist eben noch einmal deutlich geworden — in die Entscheidung der dritten Gewalt einmischen. Wir wollen die Parteien in die Lage versetzen, sich in Zukunft an eindeutigen Vorschriften zu orientieren, die in dieser Form vielen anderen Organisationen, die ja auch an der Willensbildung des Volkes beteiligt sind, nicht auferlegt werden, obwohl auch für sie steuerliche Vorteile in Anspruch genommen werden, wovon wir uns alle Tag für Tag überzeugen können.
Flankiert werden diese Regelungen, die wir gefunden haben, mit denen für die Parteien künftig eine tragfähige Finanzierungsgrundlage geboten wird, von einer Reihe wichtiger Bestimmungen, durch welche die Transparenz, die Staatsfreiheit und die Chancengleichheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden. Dazu gehört die Regelung, daß die staatlichen Wahlkampfkostenerstattungen nicht gegenüber den sonstigen Einnahmen einer Partei überwiegen dürfen. Dazu gehört der Chancenausgleich zwischen den Parteien, durch den die Steuervergünstigungen für Parteispenden entsprechend dem Wahlerfolg bei Bundestagswahlen angeglichen werden. Dazu gehört ein langer Verbotskatalog von Zuwendungen an politische Parteien und die bei Verstößen gegen diese Verbote vorgesehene Sanktion bei der Wahlkampfkostenerstattung. Dazu gehört weiter die Einführung der Spendenpublizität als Voraussetzung der Steuerbefreiung.
Hier liegt die besondere Bedeutung der heute zu beratenden und zu beschließenden Gesetze und Beschlußempfehlungen des Innenausschusses. Das Ziel ist also: Transparenz der Einnahmen und Ausgaben der Parteien, die Begrenzung ihrer öffentli-
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Krey
chen Finanzierung auf weniger als die Hälfte ihrer Einnahmen, die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung. Die Verpflichtung zur Transparenz soll nach der Empfehlung des Innenausschusses auch Eingang in das Grundgesetz finden.
Nach eingehender Beratung, nach Anhörung von Sachverständigen und der Bundesregierung auf der Grundlage des Berichts der von dem Herrn Bundespräsidenten berufenen Sachverständigenkommission und nach Würdigung der Empfehlungen der mitberatenden Ausschüsse legt der Innenausschuß dem Hohen Hause seine mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gefaßten Beschlußempfehlungen vor. Die Übereinstimmung der drei Fraktionen ist nach meiner festen Überzeugung ein Beweis für den gottlob vorhandenen Konsens in den Grundfragen unserer staatlichen Ordnung.
Betrachtet man diese Regelungen des Parteienfinanzierungsgesetzes als Ganzes, so brauchen sie eine Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu scheuen.
Das vorliegende Gesetz, das eben auf dem Bericht der Sachverständigenkommission aufbaut und in vielen Punkten die bei der Anhörung von Staatsrechtlern im Innenausschuß vorgetragenen Anregungen aufgreift, verdient die breite Zustimmung des ganzen Hauses.
Ich hoffe zuversichtlich, daß die Parteien diese Gesetze, um deren Zustimmung ich Sie bitte, mit Leben erfüllen, sie mit allen Konsequenzen tragen, zum Wohle unserer Demokratie und zum Nutzen unseres ganzen Volkes. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nachdem die Staatsanwaltschaft Bonn in dieser Woche ihre abschließenden Entscheidungen im Ermittlungsverfahren gegen Politiker und Wirtschaftsmanager bekanntgegeben hat, mag mancher Betrachter fragen, ob dies der richtige Zeitpunkt für einen Bundestagsbeschluß zur Neuordnung der Parteienfinanzierung ist.
Einen richtigen Zeitpunkt in dem Sinne, daß die Neuregelung mit allgemeiner Zustimmung und Zufriedenheit aufgenommen wird, gibt es allerdings nicht.
Insofern besteht auch kein Anlaß, diese jetzt fällige Debatte zu verschieben. Wir sollten vielmehr das geschärfte kritische Interesse der Öffentlichkeit nutzen, um Klarstellungen zu treffen und Antworten zu geben.
So ist im Hinblick auf die neueröffneten Strafverfahren klarzustellen, daß der dort erhobene schwere Vorwurf der Bestechlichkeit und der Bestechung mit der von uns heute neu zu gestaltenden Rechtslage unmittelbar nichts zu tun hat. Insoweit bestehen eindeutige strafrechtliche Vorschriften, deren Geltung bisher unstreitig war und auch künftig nicht berührt werden wird.
Da es sich bei den von der Staatsanwaltschaft untersuchten Vorgängen aber auch um die finanzielle Förderung von Parteien und einzelnen Politikern handeln soll, ist zugleich jener weit größere Bereich der privaten Parteienfinanzierung angesprochen, in dem zahlreiche Vorgänge seit Jahren den Argwohn der Öffentlichkeit erregen und der zum Teil ebenfalls Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ist.
Diesen Vorgängen muß bei unseren heutigen Beratungen unsere besondere Aufmerksamkeit gehören. Viel zu sehr hat das öffentliche Interesse an ihnen angesichts der jetzt zur Anklage gebrachten Flick-Vorgänge nachgelassen. Dabei sind es gerade die über Jahrzehnte hinweg praktizierten Mißstände in der privaten finanziellen Förderung der Parteien, die uns besorgt machen und die wir abstellen müssen. Der massive politische Einfluß, der bis in die letzten Jahre hinein von privaten Spendern nicht durch Mitarbeit in den Parteien, nicht durch ihre Wählerstimme und auch nicht durch das Gewicht ihrer Argumente, sondern ausschließlich über den Einsatz von Geld gesucht und ausgeübt wird, belastet das Ansehen nicht nur der Parteien, sondern auch unserer Demokratie.
Wer zur Kenntnis nehmen muß, in welchem Umfang stattliche Spendenbeträge unter Umgehung der gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Kontrolle und unter Ausnutzung von unzulässigen erschlichenen Steuervorteilen in die Parteikassen geleitet worden sind, versteht leicht die in der Öffentlichkeit verbreitete Geringschätzung von Parteien und Politikern. Der Eindruck der Käuflichkeit ist angesichts dieser Vorgänge nicht ganz von der Hand zu weisen.
Das erkennbar schlechte Gewissen der Verantwortlichen auf der Spender- und auf der Empfängerseite unterstreicht die Berechtigung der gegen beide erhobenen Vorwürfe. Was ist es denn anderes als schlechtes Gewissen, wenn Tarnorganisationen eingeschaltet werden, um durch Parteispenden ungerechtfertigte Steuervorteile zu ergattern und um zugleich deren Herkunft entgegen dem Publizitätsgebot des Parteiengesetzes zu verdunkeln?
Ebenso zeigen sich Unrechtsbewußtsein und anstößiges Vorteilsstreben in der Zuleitung von Parteispenden mit Hilfe bloß vorgetäuschter wirtschaftlicher Geschäfte, die den steuerlichen Abzug als Betriebsausgaben ermöglichen sollen, oder über sogenannte Geldwaschanlagen im Ausland.
Bekanntlich — und bedauerlicherweise, so füge ich hinzu — ist in ähnlichen Zusammenhängen auch meine Partei nicht von Vorwürfen auszunehmen. Wer Bilanz ziehen und einen neuen Anfang machen will, muß das schonungslos feststellen.
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Dr. Schmude
Zur Vollständigkeit dieser Feststellung gehört aber auch, daß die Parteien bei weitem nicht in gleichem Maße betroffen sind. Es sind die kapitalnahen Parteien CDU/CSU und FDP,
die über Jahrzehnte hin größten Nutzen aus weitgehend verdeckt gewährten Parteispenden gezogen und sich — davon gehe ich aus — entsprechendem Einfluß unterworfen haben.
In einer Reihe von Spendenfällen besteht der Verdacht strafbaren Handelns, zumeist begangen in Form der Steuerhinterziehung. Die Rechtsordnung sieht dafür eine Form der Bereinigung vor, die für jedermann gilt und von der Politiker wie ihre Förderer selbstverständlich nicht ausgenommen sein dürfen:
die Strafverfolgung und — bei Bestätigung des Verdachts — die Bestrafung.
Diese Selbstverständlichkeit sollte vor etwa zwei Jahren außer Kraft gesetzt werden. Zum Rückblick auf die Vorgeschichte der heute behandelten Gesetzentwürfe gehört leider auch die peinliche Erinnerung an den Versuch im Dezember 1981, durch eine amnestieähnliche Gesetzesregelung straffällig gewordene Spender und Politiker sowie ihre Helfer von der drohenden Bestrafung freizustellen. Dieser überaus anstößige Anschlag auf die Rechtsstaatlichkeit unseres Gemeinwesens, der sich bei einem Erfolg zerstörerisch auf das allgemeine Rechtsbewußtsein ausgewirkt hätte, ist damals am entschlossenen Widerstand der SPD-Fraktion — und nur an ihr — gescheitert.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß damals vor allem der „Spiegel" vor dem Amnestie-Vorhaben frühzeitig gewarnt hat.
Sachkundige und erfahrene Betrachter haben uns damals gesagt — und wiederholen es bis in die Gegenwart —, daß die frühere Regierungskoalition durch diese Weigerung des sozialdemokratischen Partners ihrem Bruch in entscheidender Weise nähergekommen ist. Ob und wieweit diese für das spätere Zerbrechen der Koalition unter einem engen Blickwinkel gegebene Erklärung zutrifft, mag dahinstehen. Selbst wenn sie stimmt, ändert das — auch aus heutiger Sicht — nichts an der Richtigkeit unseres damaligen Verhaltens. Eine Grenze war erreicht, über die wir um keine Preis hinauszugehen bereit waren und deren Verteidigung uns große Opfer wert war.
An dieser Grenze halten wir auch heute fest. Sie darf und sie wird durch die heute anstehenden Gesetzesänderungen weder aufgehoben noch durchbrochen werden. Eine strafbefreiende Rückwirkung haben die neuen Vorschriften nicht.
Diese Strafbefreiung kann bereits grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Der Gesetzgeber, der nach einer Steuerstraftat durch Steuersenkung oder erweiterte Absetzungsmöglichkeiten für die Zukunft auf Steuern verzichtet, ändert damit nichts an seinem in der Vergangenheit bestehenden Anspruch. Steuergesetze sind Zeitgesetze und nicht etwa milderes, in die Vergangenheit zurückwirkendes Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 des Strafgesetzbuches. Wer also in der Vergangenheit Steuern in strafbarer Weise hinterzogen hat, kann aus dem neuen Gesetz auch deshalb nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil sein Verhalten in der begangenen Form auch künftig nicht rechtmäßig wäre.
Die ausgleichenden Instrumente der besonderen steuerlichen Begünstigung von kleineren Spenden, des Chancenausgleichs und der steuerrechtlichen Publizitätspflicht, die allein die steuerliche Begünstigung von Parteispenden in größerem Umfang als früher erträglich machen können und sollen, hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Ohne sie — darüber besteht Einvernehmen — wäre eine erweiterte steuerliche Spendenbegünstigung völlig unvertretbar.
Der Innenausschuß hat bei der Abfassung der neuen steuerrechtlichen Vorschriften und ihrer Begründung mit besonderer Sorgfalt darauf geachtet, daß das Mißverständnis einer strafbefreienden Rückwirkung für die Vergangenheit erst gar nicht aufkommen kann. Gesetzlich klargestellt ist für die Zukunft, daß Parteispenden nicht Betriebsausgaben und Werbungskosten sein dürfen. Die ganz anderen Vorschriften des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen haben wir im Innenausschuß verworfen und einvernehmlich dazu in den Bericht geschrieben, daß wir „die steuerliche Absetzungsmöglichkeit von Spenden an Parteien als Betriebsausgaben und Werbungskosten gerade nicht eröffnen wollen". Sie war auch bisher nicht offen, doch wurde das in der steuerrechtlichen Literatur vereinzelt bestritten.
Ich will mein Befremden darüber nicht verhehlen, daß es während der Ausschußberatungen großer Mühe und Energie bedurft hat, um die Koalition an der Durchsetzung von Gesetzesvorschriften zu hindern, die für die Vergangenheit die Schlußfolgerung erlaubt hätten, Parteispenden seien doch als Betriebsausgaben und Werbungskosten absetzbar gewesen.
— Das werde ich Ihnen begründen.
So hat die Koalition noch in der vorigen Woche
im Finanzausschuß mit ihrer Mehrheit einen Gesetzesvorschlag durchgesetzt, die Vorschriften über die Unvereinbarkeit von Parteispenden und Betriebsausgaben oder Werbungskosten seien erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1983 enden.
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Dr. Schmude
Am Widerstand der Sozialdemokraten im Innenausschuß sind diese Vorschläge gescheitert.
Wer im übrigen eine strafbefreiende Rückwirkung von der erweiterten Zulassung steuerbegünstigter Parteispenden im neuen § 10b des Einkommensteuergesetzes erwartet, mag sich auf den einvernehmlichen Bericht des Innenausschusses dazu hinweisen lassen, in dem es ausdrücklich heißt, daß die Neuregelung erstmals für das Wirtschaftsjahr 1984 und später gelten solle, daß es bis dahin bei der bisherigen Rechtslage sein Bewenden habe. Daran ändert auch die heutige Klarstellung im Bericht nichts.
Nach dem Vorspiel um die versuchte Amnestie im Dezember 1981 liegt uns Sozialdemokraten sehr daran, das Fehlen strafbefreiender Rückwirkungen für das neue Gesetz ausführlich und nachdrücklich klarzustellen. Nicht Rachsucht leitet uns dabei, sondern die Überzeugung, daß wir einen neuen Anfang in der Konsolidierung der Finanzen und des Ansehens der Parteien nur erfolgreich schaffen können, wenn die Vergangenheit schonungslos bereinigt wird,
und zwar dort, wo es geboten ist, auch strafrechtlich bereinigt wird.
Für die Zukunft, meine Damen und Herren, soll das neue Recht in zahlreichen wichtigen Einzelfeldern Konsequenzen aus bisherigen Unzulänglichkeiten oder Mißständen bei der Parteienfinanzierung ziehen, Konsequenzen, die den Vorschlägen der vom Bundespräsidenten Anfang 1982 berufenen Sachverständigenkommission und auch den Anregungen der verfassungsrechtlichen Sachverständigen entsprechen, die der Innenausschuß angehört hat. Dieser verbesserten Kontrolle der Parteifinanzen durch die Bürger wird es dienen, daß nach der heute zu beschließenden Grundgesetzänderung die Parteien künftig nicht nur über ihre Einnahmen, sondern auch über ihre Ausgaben und über ihr Vermögen — das schließt die Schuldenangabe ein — Auskunft zu geben haben. Ein in seiner Struktur und Ausführlichkeit erheblich verbesserter Rechenschaftsbericht wird die notwendige Transparenz ebenso bieten wie ein besonderer Ausweis für Wahlkampfkosten.
Dem in der steuerrechtlichen Literatur vielfach unternommenen Versuch, die private steuerbegünstigte Parteienfinanzierung entgegen der bisherigen Lehre und Praxis durch Anerkennung von Parteispenden als Betriebsausgaben und Werbungskosten enorm auszuweiten, wird durch die gesetzliche Klarstellung endgültig ein Riegel vorgeschoben — die Klarstellung, daß Parteispenden keine Betriebsausgaben und keine Werbungskosten sein können.
Eine Mehrzahl von Verboten sorgt künftig dafür, daß in der Vergangenheit geflossene dubiose Spenden künftig von den Parteien nicht mehr angenommen werden dürfen. Dazu gehören Spenden von politischen Stiftungen, bei denen auch verboten ist, daß sie von denselben Funktionären beherrscht
werden wie die Parteien. Verboten ist auch die Spendenannahme von gemeinnützigen Vereinigungen, bisher ein gern benutzter Transportweg zur Umgehung des Parteiengesetzes wie zur rechtswidrigen Ausnutzung von Steuervorteilen. Sogenannte Durchlaufspenden von Berufsverbänden dürfen ebenfalls nicht mehr angenommen werden. Dabei handelt es sich um Beträge, die den Berufsverbänden außerhalb der Mitgliedsbeiträge zu dem Zweck zur Verfügung gestellt werden, sie an eine politische Partei weiterzuleiten.
Zu unserem, der Sozialdemokraten, Bedauern hat sich die Koalition dem Vorschlag verweigert, jegliche Parteispenden von Berufsverbänden für unzulässig zu erklären. Hier gibt es nach einem Gutachten des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1952 eine von Land zu Land unterschiedliche Praxis der Steuerbehörden. Zum Teil wird leider immer noch zugelassen, daß nicht unerhebliche Beträge aus den Mitgliedsbeiträgen der Berufsverbände, die bei ihren Mitgliedern doch steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben sind, an Parteien gespendet werden. Immerhin haben wir uns im Innenausschuß darauf verständigen können, im Bericht die Erwartung an die Finanzverwaltung auszusprechen, daß die bisherige Praxis der steuerlichen Behandlung solcher Spenden auf der Grundlage der neuen gesetzlichen Regelungen überprüft wird. Der gesetzlich bekräftigten Unzulässigkeit der steuerlichen Berücksichtigung von Parteispenden als Betriebsausgaben und Werbungskosten wird dabei besondere Bedeutung zukommen.
Weiterhin von Bedeutung wird auch in diesem Zusammenhang das Verbot der Annahme sogenannter finaler Spenden sein. Gelder, die nur eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Zwecks willen gespendet werden, dürfen nicht angenommen werden — ein wichtiger Sperriegel gegen die Käuflichkeit politischer Entscheidungen.
Ein Annahmeverbot besteht auch für anonym gewährte Spenden. Dem ärgerlichen Mißstand, daß nicht wenige Rechenschaftsberichte der Parteien in den 70er Jahren stattliche Spenden aus anonymer Quelle ausgewiesen und die damals schon bestehende Veröffentlichungspflicht des Parteiengesetzes damit verhöhnt haben, wird durch das neue Verbot Rechnung getragen. Es ist auf solche Fälle erweitert, in denen der scheinbare Spender in Wirklichkeit Spendensammler oder bloßer Spenden-übermittler ist; denn der Hintermann, der wirkliche Spender, muß selbst in Erscheinung treten, auch in veröffentlichten Rechenschaftsberichten der Partei, oder die Spende muß unterbleiben. Auch was insoweit in der Vergangenheit an skandalösen Vorgängen passiert ist, wird sich künftig nicht wiederholen.
Spenden aus dem Ausland werden nur noch unter bestimmten Voraussetzungen und damit nur beschränkt zulässig sein. Ein weiteres Feld der Umwegefinanzierung von Parteien wird auf diese Weise versperrt.
Damit alle diese Verbote nicht nur auf dem Papier stehen, sind sie durch Sanktionen bewehrt. Wer gegen die Verbote verstößt, muß im Regelfall
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Dr. Schmude
den dreifachen Betrag an das Bundestagspräsidium abführen. Gleiches soll gelten, wenn Parteien dem gesetzlichen Erfordernis der Veröffentlichung von Spenden über 20 000 DM in den Rechenschaftsberichten zuwiderhandeln. Die ausdrückliche Regelung dieser Sanktionen, die die vom Bundespräsidenten berufene Kommission vorgeschlagen hat und die wir im Innenausschuß gewollt haben, hat dort wegen eines Versehens keine Aufnahme in das Gesetz gefunden. Deshalb der heute zur zweiten Lesung vorliegende Änderungsantrag zu § 23 a des Parteiengesetzes, um dessen Annahme ich an dieser Stelle bitte.
Diese neuen Vorschriften werden in ihrer Gesamtheit die tatsächliche Lage bei der finanziellen Förderung von Parteien durch private Spender wesentlich verändern. Bisherige Grauzonen werden aufgehellt, zweifelhafte Spendenvorgänge mit eindeutigen Verboten belegt, Verbote mit gewichtigen Sanktionsdrohungen untermauert, damit ihre Beachtung auch gewährleistet ist. Die Folgerungen aus trüben Erfahrungen der Vergangenheit werden damit gezogen.
Nur vor diesem Hintergrund sind auch solche Gesetzesänderungen vertretbar, die eine bessere finanzielle Ausstattung der Parteien ermöglichen. Dabei geht es einmal um die steuerliche Begünstigung von Parteispenden. Das neue Gesetz sieht vor, daß Mitgliedsbeiträge und Spenden an politische Parteien neben sonstigen Ausgaben zur Förderung gemeinnütziger Zwecke bis zur Höhe von insgesamt 5 vom Hundert des Gesamtbetrags der Einkünfte oder 2 vom Tausend der Summe der gesamten Umsätze und der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter als Sonderausgaben bei der Steuer abzugsfähig sind. Die bisher insoweit geltenden Höchstgrenzen von 1 800 DM bzw. 3 600 DM bei Verheirateten im Jahr werden damit aufgegeben.
Daß an ihre Stelle keine neuen festen Höchstgrenzen treten sollen, trifft nicht nur in der Sozialdemokratie auf ernsthafte Bedenken. Dabei verkennen wir nicht den Wert jener neuen Regelungen, die diese grundlegende Änderung der steuerlichen Begünstigung von Parteispenden begleiten und sie erträglich machen sollen. So ist es ein wirklicher Fortschritt in Richtung auf eine verstärkte öffentliche Kontrolle der Parteifinanzen und des etwaigen Einflusses von Großspendern, daß bei Beiträgen über insgesamt 20 000 DM im Jahr künftig auch der Spender nachhaltig daran interessiert sein muß, daß er mit seiner Spende und seinem Namen im veröffentlichten Rechenschaftsbericht der Partei erscheint. Er kann die Spende sonst nicht steuermindernd geltend machen.
Es entspricht einer alten Forderung sozialdemokratischer Steuerpolitik und hat übrigens den einhelligen Beifall aller Sachverständigen gefunden, daß künftig Beträge und Spenden bis zu 1 200 DM oder bis zu 2 400 DM bei Verheirateten im Jahr durch einen Steuerabzug von 50 % des Spendenbetrags besonders begünstigt werden.
Zu begrüßen ist schließlich das neue Instrument des Chancenausgleichs. Mit ihm sollen diejenigen Parteien einen staatlichen Zuschuß erhalten, die beim Spenden- und Beitragsaufkommen, gemessen an der Zahl ihrer Wähler, benachteiligt sind und dadurch auch nur einen unverhältnismäßig geringen Nutzen von der steuerlichen Begünstigung der Parteispenden haben.
Alle diese dem Chancenausgleich zwischen den Parteien und der verstärkten öffentlichen Kontrolle größerer Spenden dienenden Vorkehrungen hat das Bundesverfassungsgericht nicht kennen und nicht zugrunde legen können, als es wiederholt auf die Unzulässigkeit der steuerlichen Begünstigung solcher Parteispenden hingewiesen hat, die in der Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Einkommen oder Umsatz gewährt werden. Das Gericht hat diese Hinweise mit Ausführungen zur Chancengleichheit der Parteien und zum Gebot gleicher Teilhaberechte der Bürger auch bei der finanziellen Förderung von politischen Parteien einleuchtend begründet. Ob dem damit ausgesprochenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Prozentabzugsregelung durch die neuen Ausgleichsinstrumente hinreichend Rechnung getragen wird, unterliegt Zweifeln. Ein verfassungsrechtliches Risiko dieser gesetzlichen Neuregelung ist nicht auszuschließen. Das haben uns im Innenausschuß angehörte Sachverständige erklärt; das ist aber insbesondere durch die Haltung der beiden Verfassungsminister des Bundes bei ihrem Auftreten im Innenausschuß deutlich geworden.
Eine besondere Würdigung dieses bemerkenswerten Auftritts kann ich mir nicht ganz versagen. Da wünscht der Innenausschuß des Deutschen Bundestages vom Bundesminister des Innern und vom Bundesminister der Justiz eine verfassungsrechtliche Einschätzung des vorliegenden Entwurfs, die sie selbst abgeben sollen. Beide erscheinen auch, aber nur, um in einer eineinhalbminütigen Erklärung, zu deren Ergänzung sie erkennbar nicht bereit sind, das Bestehen eines verfassungsrechtlichen Risikos zu bestätigen und seine Bewertung als schwierig zu bezeichnen.
Inhaltlich, meine Damen und Herren, ist das für uns nichts Neues. In aufsehenerregender Weise neu aber war, daß die beiden Verfassungsminister, die als Abgeordnete Mitglieder der beiden Regierungsfraktionen sind, angesichts des verfassungsrechtlichen Risikos demonstrativ in Deckung gehen und jedem Anschein einer Verantwortung ausweichen.
Das somit bekräftigte Risiko ist nicht schicksalhaft. Es ist ausdrücklich gewollt und in den überparteilichen Gesprächen von den beiden Fraktionen durchgesetzt worden, denen die Minister angehören.
Wir räumen ein, daß Sie in der Koalition gewichtige Stimmen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Gesamtsystems neuer Regelungen zur steuerlichen Begünstigung von Parteispenden an-
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Dr. Schmude
führen können. Es wäre auch aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt, schlicht die Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen zu behaupten. Angesichts der erheblichen und wirkungsvollen Verbesserungen im übrigen steht deshalb das gesamte Gesetz als zwischen den Parteien gefundener Kompromiß für uns nicht in Frage.
Aber das unbestreitbar verbliebene Risiko läßt sich doch mindern oder gar ausschließen. Wir haben deshalb im Innenausschuß Festgeldbeträge als Obergrenzen für steuerbegünstigte Parteispenden gefordert und auch die Streichung des Maßstabes „2 %o der Umsätze usw.", weil er einen besonders bedenklich weiten Spendenrahmen eröffnet. Beides hat die Koalition abgelehnt. Sie nimmt das geschilderte Risiko in vollem Umfang in Kauf und hält daran fest. Sie mag es sich dann bitte auch zurechnen lassen. Wir Sozialdemokraten werden unsere skeptische Einschätzung durch Stimmenthaltung bei der Einzelabstimmung über den neuen § 10 b des Einkommensteuergesetzes unterstreichen.
Meine Damen und Herren, Kritik hat in der Öffentlichkeit auch die vorgesehene Anhebung der Wahlkampfkostenpauschalen gefunden. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Erstattung der notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes ist unbestritten. Dennoch werden diese Zahlungen und besonders ihre Erhöhung von vielen Betrachtern mit unverhohlenem Ärger kritisiert. Dieser Kritik liegt oft die erklärte Auffassung zugrunde, Parteien sollten sich durch die Beiträge ihrer Mitglieder und allenfalls durch Spenden finanzieren, den Griff in die öffentlichen Kassen aber gefälligst unterlassen. Ich spreche diesen Kritikern die klare Vorstellung von den Konsequenzen dessen ab, was sie da fordern.
Wer die finanzielle Leistungs- und Lebensfähigkeit der Parteien auch dort, wo es um Wahlkämpfe geht, allein der Privatinitiative überläßt, öffnet — mit und ohne steuerliche Begünstigungen — den wirtschaftlichen Machtverhältnissen in der Gesellschaft die vollständige, spiegelbildliche Wirkungsmöglichkeit auch in der Politik.
Politische Gegenmacht gegen wirtschaftliche Macht kann unter solchen Voraussetzungen kaum mehr entstehen. Durch Beispiele aus dem westlichen Ausland läßt sich das eindrucksvoll belegen. Wer sich dort gründlich umsieht, wird die Vorzüge unseres Systems der Parteienfinanzierung überwiegend durch die Beiträge und Spenden der Bürger, aber auch — zu einem begrenzten Teil — aus öffentlichen Kassen schätzen lernen.
Nur mit diesen letztgenannten Zuwendungen sind die Parteien in der Lage, sich für die Wahrnehmung ihrer in unserem demokratischen Verfassungssystem unverzichtbaren Aufgaben dauerhaft zu konsolidieren und mit ihrem gefestigten organisatorischen Bestand zur politischen Stabilität des
Gemeinwesens maßgeblich beizutragen. Die öffentliche Zuwendung schafft im übrigen einen weiteren Chancenausgleich zwischen den von Spendern begünstigten Parteien und jenen anderen, die den finanzkräftigen Kreisen der Bevölkerung fernstehen.
Die Anhebung der Wahlkampfkostenpauschale nach fast zehn Jahren ihres bisherigen Bestandes ist angesichts der zwischenzeitlichen Preisentwicklung und der damit verbundenen Steigerung der Wahlkampfkosten durchaus angemessen. Mehr als die Wahlkampfkosten selbst, die ja künftig auch besonders ausgewiesen werden, darf ohnehin nicht erstattet werden.
Wir alle wissen, daß die Neuregelung denen zusätzlichen Auftrieb gibt, die sich in der allgemeinen Beschimpfung der Parteien gegenwärtig zu Meisterleistungen aufschwingen. Die Parteien sind, wie ich ausdrücklich eingeräumt habe, mitschuldig an ihrem schlechten Ansehen in der Öffentlichkeit. Aber sie haben auch immer wieder die Kraft zur Selbstkorrektur gefunden und beweisen sie auch in den zahlreichen Regelungen dieses Gesetzentwurfs. Es ist kein Zufall und auch nicht das Ergebnis parteipolitischer Eigenmächtigkeiten, daß die Parteien in der Verfassungswirklichkeit unserer Bundesrepublik eine inzwischen nicht mehr wegzudenkende verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Position gewonnen haben. Es ist vielmehr die Folge ihrer Aufgabenerfüllung in der Demokratie, das Ergebnis des oft lebenslangen Einsatzes zahlloser Parteipolitiker für die Erhaltung und Verwirklichung der Demokratie und gleichermaßen für die staatliche Handlungsfähigkeit zum Besten der Allgemeinheit.
Meine Damen und Herren, wir blicken selbstbewußt auf diese Leistungen, die notwendig gewesen sind und notwendig bleiben. Pauschale Parteibeschimpfungen können uns darin nicht beirren, auch wenn sie, literarisch gestaltet, einen hohen Unterhaltungswert und Gehässigkeitsgrad aufweisen wie im „Spiegel" aus dieser Woche.
Die Ruchlosigkeit der Bösewichter, die dort als Parteipolitiker vorgestellt werden, ihre „rattenhafte Geldgier", ihre Verschwendungssucht, mit deren Auswirkungen sie ihre völlige Inhaltsleere und Überflüssigkeit verschleiern, zwingt doch geradezu die Frage auf, was das wohl für ein Volk ist, das eine solche „Gangsterbande" immer wieder bei denkbar hoher Wahlbeteiligung bestätigt. Und siehe da, das Volk ist auch danach: Mit „uferloser Gutmütigkeit" und „unerhörter Toleranz" erträgt es in „bleierner Gelassenheit" seine parteipolitischen Oligarchien, ja es hat sich schließlich selbst von ihr zu einem „Volk von Trickbetrügern" erziehen lassen. Da ist also jemand in eine schlechte Welt geraten, die er nur angewidert beschimpfen und eigentlich gar nicht ertragen kann. Aber sie erträgt ihn. Sie ernährt ihn nicht nur, auch durch die Bezahlung solcher Kritik; sie gewährleistet ihm auch die Freiheit, diese gehässigen Angriffe ohne die Besorgnis
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Dr. Schmude
irgendwelcher nachteiliger Folgen öffentlich vorzutragen.
Und darauf allerdings sind wir, die vielgescholtenen Politiker und Parteien, stolz:
daß wir in unserem demokratischen Staat das Recht auch zur härtesten Kritik und die Möglichkeit zur verändernden Fortentwicklung gewährleisten, selbst wenn diese uns auf Grund unserer Überzeugung unbequem sind
oder auch peinigen.
Wir selbst wünschen uns als Bürger aus dieser Offenheit unseres demokratischen Systems, die allein seine Lebensfähigkeit auf Dauer erhalten kann, Nutzen und Vorteile. Dabei geht es nicht um Sondervorteile, sondern um das allgemeine Wohl, dem wir in unseren politischen Funktionen dienen: so gut, wie wir es können, und so lange, wie die Wähler es wollen.
Wer meint, dazu gehört kein Geld, der Dienst sei allenfalls kleinste Preise wert, dem empfehle ich in seinem eigenen Interesse dringend, er möge sich nicht billigere Politiker und Parteien, er möge sich bessere wählen und damit die im ganzen sehr maßvollen Kosten unseres Parteiensystems zu einer lohnenden Investition machen.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns wird heute zur Schlußberatung der Entwurf eines Parteienfinanzierungsgesetzes vorgelegt, an dem bis zuletzt mit außergewöhnlicher Emsigkeit herumgebastelt, dekoriert und retuschiert worden ist. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat dazu eine treffende Formulierung gefunden. Sie bezeichnet das, was herausgekommen ist, als einen Bonner Kompromiß mit folgendem Inhalt:
„Parteien werden gemeinnützig".
Man kann natürlich mit Fug und Recht bei diesem Vorhaben die Frage stellen, ob man sich ausgerechnet mit diesem Gesetz den Status der Gemeinnützigkeit verleihen kann, wenn es sich deutlich um ein gemeinschädliches Unternehmen handelt,
gemeinschädlich schon deshalb, weil dieses Gesetz
mit Kosten verbunden ist, die ja wohl nicht in die
heutige finanzpolitische Landschaft hineinpassen,
wenn man die Sparappelle, die Appelle zur Bescheidenheit hört.
Vielleicht sollte man sich doch noch einmal vor Augen führen — die Zahlen, die verdienstvollerweise auch mit diesem Gesetzentwurf bekanntgegeben werden, sind sicher noch recht moderate Schätzungen —, was an Belastungen für den Fiskus auf uns zukommt. Für die Erhöhung der Wahlkampfkostenpauschale im Jahre 1984 werden 44 Millionen benötigt, für die Nachzahlung, den Nachschlag, den man sich für das vergangene Jahr bewilligt, nochmals schlappe 44 Millionen.
Für die Wahlkampfkostenpauschale für die Europawahl 1984 werden 66 Millionen benötigt. Die Steuerverzichte, die durch eben diese Verbesserungen der Steuerbegünstigung für Großspenden und ähnliches herauskommen sollen, machen 50 Millionen DM aus. Der sogenannte Chancenausgleich ist in diesen Zahlen noch gar nicht enthalten. Sie kommen allein nach diesen Zahlen auf 200 Millionen DM Belastungen für den Fiskus. Wie wollen Sie das eigentlich verantworten, gerade diejenigen, die sonst immer die Familie hochhalten und das christliche Gewissen anführen, in einer Zeit, in der Sie sich nicht scheuen, das Mutterschaftsgeld zu kürzen, in der Sie keine Skrupel haben, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zu kürzen, in der jeder fünfte Bezieher von Arbeitslosenhilfe unter den Sozialhilfesatz gerät, in einer Zeit, in der man Behinderten ihre Rentenbezüge verkürzt? Da bewilligen sich Parteien 200 Millionen DM aus der Staatskasse, ohne rot zu werden,
— ohne rot zu werden.
Der zweite Punkt, der schon mehrfach angesprochen worden ist und der den eigentlichen Kern der Diskussion ausmacht, die wir hier zu führen haben, sind die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen dieses Gesetzgebungswerk geltend zu machen sind. Nach unserer Überzeugung ist das, was Sie hier vorlegen, verfassungsrechtlich unhaltbar. Der zentrale Punkt besteht darin, daß eine Gleichstellung der Begünstigung von Spendenzuwendungen mit gemeinnützigen Organisationen erfolgen soll. Damit findet eine Begünstigung gerade des Kreises der Großspender statt, die den Grundsatz der gleichen Teilhabe bei der politischen Willensbildung deutlich verletzt. Da hilft kein Herumgerede, das ist in diesem Gesetz enthalten. Das muß man sich einfach mal an einem Beispiel vergegenwärtigen. Wenn heute ein Großspender auftritt und einer Partei 440 000 DM zuwenden will, dann muß er das halt aus seinen Bezügen finanzieren. Wenn die Regelung, die Sie heute vorlegen, Gesetz wird, wird es künftig so sein, daß zusätzlich zu diesen 440 000 DM der Partei aus der Staatskasse 660 000 DM zufließen, also 1 Million DM steuerbegünstigt in die Parteikasse kommt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2723
Schily
Wenn man solche Zahlen hört, weiß man doch, daß alle Ihre Beschwörungen von Stärkung der Demokratie und ähnliches Makulatur sind.
Das hat doch nichts mit Stärkung der Demokratie zu tun, sondern das ist eine Schwächung, das ist eine Aushöhlung der Demokratie. Und, lieber Herr Schmude, da waren einige schöne Sätze, auch selbstkritische Sätze. Aber Sie kommen doch über diesen Tatbestand nicht hinweg. Gerade von Sozialdemokraten sollte man doch eigentlich erwarten, daß sie eine solche Regelung einer klaren Begünstigung dieser Großspender nicht mitmachen. Ich verstehe nicht, wie Sie sich dazu hergeben können.
Diese Regelung wird noch dadurch verschärft, daß der Großspender nicht nur diese Möglichkeit hat. Er bekommt nicht nur die Belohnung aus der Staatskasse mit den 660 000 DM, sondern dadurch, daß Sie die Möglichkeit der Spendenbegünstigung auch über Körperschaften schaffen, kann er das womöglich mehrfach tun. Wenn Sie eine Ein-MannGmbH eines Großspenders haben, dann hat er auch darüber die Möglichkeit, einer Partei steuerbegünstigt in staatlich geförderter Form die entsprechenden Gelder zuzuschanzen. Es wird also mit diesem Gesetzgebungswerk nichts besser, lieber Herr Schmude, sondern es wird nur versucht, eine miese Praxis der Vergangenheit zu legalisieren.
Das wird nicht funktionieren! Solange es ein Bundesverfassungsgericht gibt — und das gibt es erfreulicherweise in Karlsruhe —, glaube ich nicht daran, daß so etwas bei uns Bestand haben kann.
Nun wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht: Ja, aber das ist jetzt alles ganz anders, wir haben ja den Chancenausgleich. — Meine Damen und Herren, der Chancenausgleich ist eine juristische Schminke, die sehr schnell abblättert, denn er ist gar kein echter Chancenausgleich, und zwar in mehrerer Hinsicht.
Erster Punkt: Er beseitigt nicht die Chancenungleichheit unter den Parteien, und zwar deshalb nicht, weil die Mittel, die einer Partei aus dem Chancenausgleich zugewendet werden, staatliche Finanzierungsmittel sind, die gegen den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsatz verstoßen, daß man als Partei nur solche staatlichen Mittel in Anspruch nehmen kann, die der Wahlkampfkostenfinanzierung dienen. Andere Mittel dürfen Parteien nicht für sich in Anspruch nehmen.
Zweiter Punkt: Selbst wenn man dem ersten Argument nicht folgen will, wird er zu einer Verzerrung führen. Er wird dazu führen, daß sich bei einer Partei, die nicht so viele Spenden bekommt und nicht so viele Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen hat, möglicherweise die Frage der Staatsquote stellt. Eine Partei, die in ihrer Chancengleichheit beeinträchtigt ist, kann möglicherweise den Chancenausgleich gar nicht in Anspruch nehmen, weil
sie sonst über die 50 % der staatlichen Finanzierung hinausgeriete.
Der dritte und wichtigste Punkt: Es geht nicht nur um die Chancengleichheit zwischen den konkurrierenden Parteien. Es geht auch — das ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts — um die gleiche Teilhabe des einzelnen Bürgers an der politischen Willensbildung. Wie soll denn der Chancenausgleich diese Verzerrung eigentlich beseitigen? Denn dem einzelnen Bürger wird ja nicht aus dem Staatssäckel etwas zugewendet, wovon er vielleicht auch eine große Spende leisten könnte, sondern es wird nur unter den Parteien verteilt. Der Sachverständige Professor von Arnim, der sich in der Anhörung des Innenausschusses dazu auch geäußert hat, hat mit Recht betont: Im Gegenteil, es könnte ja sogar eine Tendenz der Korrumpierung der Partei, die vielleicht auf den Chancenausgleich schaut, sozusagen unterlegt sein, weil sie womöglich auch indirekt an Großspenden interessiert sein könnte, damit sie an den Topf des Chancenausgleichs herankommt.
Das alles ist also Schminke, die die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht verdecken kann.
Ihr Gesetzentwurf weist auch in anderer Hinsicht zahlreiche Mängel auf. Ich will nur einen Punkt erwähnen, nämlich den, daß ein gesonderter Ausweis der Krediteinnahmen im öffentlichen Rechenschaftsbericht nicht vorgesehen ist. Das ist ein sehr bedenklicher Vorgang, denn wir wissen j a, daß heute der Einfluß auf Parteien nicht nur auf dem Wege von Spenden, sondern auch durch Kreditgewährung sehr aktuell ist. Auch ist die Namhaftmachung von Großgläubigern im Rechenschaftsbericht nicht vorgesehen. Jeder weiß aber, daß Kreditgewährung in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt.
Herr Abgeordneter Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?
Es tut mir leid, ich möchte im Moment meinen Gedankengang zu Ende bringen.
Das ist Ihr gutes Recht.
Der Gesetzentwurf geht also leider über die Bedenken des Sachverständigen von Arnim hinweg.
Durch die Korrektur, die wir heute in dem Bericht gehört haben, ist im übrigen deutlich geworden, daß die Amnestiegefahr, die mit diesem Gesetzgebungswerk verbunden ist, keineswegs ausgeräumt ist.
Man muß sich doch fragen, warum die CDU/CSU und die FDP so großen Wert darauf gelegt haben, daß diese Formel in dem Bericht erschien. Warum sind Sie eigentlich nicht der Empfehlung des Sachverständigen Professor von Arnim gefolgt, in den Gesetzgebungstext ausdrücklich hineinzuschrei-
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Schily
ben, daß damit keine strafbefreiende Rückwirkung verbunden sein soll. Im übrigen werden Sie über die Sache so viel nachgedacht haben, daß Sie wissen: Selbst wenn eine unmittelbare Amnestiewirkung nicht einträte, könnte es Auswirkungen nach § 153 oder § 153 a der Strafprozeßordnung auf Entscheidungen haben, nämlich hinsichtlich einer Einstellung wegen Geringfügigkeit gegen Geldbuße.
Wenn man jetzt also eine dunkle Praxis der Vergangenheit auf diesem Wege legalisiert, dann kann das natürlich bei Gericht, bei der Staatsanwaltschaft den Weg bahnen, von solchen Einstellungsmöglichkeiten sehr viel großzügiger Gebrauch zu machen. Daß die Maßstäbe, die bei der Ahndung solcher Delikte notwendig sind, ohnehin nicht allzu streng sind, können wir an einem Fall erkennen, den ich jüngst irgendwo in einem Pressebericht entdeckt habe. Hier ging es um den Fall, daß ein frommer Mann, der hier in der Nähe wohnt,
den Fiskus um mehrere Millionen DM geschädigt hat. Er kam mit einer Geldstrafe von 35 000 DM davon. Das zahlt er doch mit der linken Hand bei solchen Verdienstspannen.
35 000 DM sind ja wohl noch nicht einmal eine größere Provision, die ein Finanzmakler sonst für sich in Anspruch nehmen könnte. Diese Form von Ahndung ist doch lächerlich.
Wir haben etwa tausend Ermittlungsverfahren. Herr Schmude sagt, da ist Schlimmes passiert, und klopft sich an die eigene Brust. Fällt Ihnen eigentlich nicht auf, daß es bisher keine Ahndungen dieser Verstöße, daß es keine Sanktionen wegen dieser Verstöße gegeben hat, daß Sie heute aber etwas beschließen wollen, was das Gegenteil einer Ahndung ist? Sie wollen nämlich noch eine Belohnung für Ihre Verstöße beschließen.
Es ist ein unglaublicher Vorgang, daß man sich für seine Sünden nachträglich mit kräftigen, üppigen Mehreinnahmen belohnen will. So geht es in einer vernünftigen Demokratie doch wohl nicht, die hier so gepriesen wird.
Nun noch ein deutliches Wort an die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie. Sie tun mir eigentlich ernsthaft leid.
Sie scheinen finanziell in die Klemme geraten zu sein. Man sagt, Sozialdemokraten können mit Geld nicht umgehen. Ich teile diese Auffassung nicht. Was aber Ihre eigenen Parteifinanzen angeht, muß man fast zu der Vorstellung gelangen, daß sie sich heute gar nicht mehr bewegen können, daß Sie offenbar so in die Klemme geraten sind, daß Sie nichts mehr an Skrupeln entwickeln, daß Sie unentwegt juristische Beruhigungspillen schlucken und
damit Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken hinunterschlucken.
Sie können doch die verfassungsrechtlichen Gebrechen, die dieser Entwurf hat, nicht einfach beiseite schieben!
Herr Abgeordneter Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Sofort, Herr Duve.
Es gibt im Bürgerlichen Gesetzbuch den § 138: sittenwidriges Rechtsgeschäft. Danach sind Rechtsgeschäfte, die die Notlage ausbeuten, mit den guten Sitten nicht vereinbar. Ich muß schon sagen: Diese Rechtsgeschäfte, die hier von der einen Seite zu der anderen Seite laufen, erfüllen meiner Auffassung nach manchmal fast diesen Tatbestand der Sittenwidrigkeit.
Herr Duve, bitte schön.
Herr Abgeordneter Duve zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Schily, da Sie davon sprechen, wie es der Sozialdemokratie finanziell geht: Wäre es jetzt nicht an der Zeit, im Verlauf Ihrer Rede einen Hinweis darauf zu geben, mit welchem Anteil die GRÜNEN sich zur Zeit finanzieren müssen und daß diese 50 %-Marge, die Sie selber angesprochen haben, ausschließlich die GRÜNEN unter allen deutschen Parteien betreffen kann, weil der Anteil der Staatsfinanzierung bei Ihnen so hoch ist? Ich halte es für ein Gebot der Fairneß, hier in einer öffentlichen Erörterung des deutschen Parlaments darauf hinzuweisen. Herr Schily, es wäre gut, wenn Sie es getan hätten.
Herr Duve, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil ich auf diese Weise mit einer Legendenbildung aufräumen kann. Gukken Sie sich freundlicherweise einmal unseren Rechenschaftsbericht aus dem vergangenen Jahr an! Er ist veröffentlicht worden, wie sich das gehört. Dann werden Sie feststellen, daß wir bei Gesamteinnahmen von 7,4 Millionen DM genau die Hälfte aus Eigenfinanzierung haben. Es ist sogar ein bißchen mehr als die 50%. Hören Sie doch mit dem Vorwurf der Überschreitung der Staatsquote auf! In unserem Rechenschaftsbericht steht ganz genau, daß wir mehr aus Eigeneinnahmen als aus der Staatsfinanzierung bekommen. Das steht in dem Rechenschaftsbericht eindeutig.
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Genau das sagt auch das Bundesverfassungsgericht: Es darf keine überwiegende Finanzierung aus staatlichen Mitteln stattfinden.
Ich denke, damit ist diese Legende nun endlich einmal begraben, die hier immer wieder aufgetischt wird.
— Für 1983 wird das im nächsten Jahr veröffentlicht, wie sich das gehört.
— Wir werden sehen, wie es dann aussieht.
An die Adresse der Sozialdemokratie, aber auch an die rechte Seite des Hauses möchte ich folgendes sagen. Sie wehklagen immer über Ihre Finanznöte und sagen, was Ihnen alles Schreckliches bevorsteht, wenn nicht endlich der Geldhahn mit den Millionen aufgedreht wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung vom 24. Mai 1979 den schönen Satz geprägt, den Sie sich täglich hinter den Spiegel stecken sollten. Da heißt es: „Das Grundgesetz hat den Parteien das Risiko des Fehlschlagens eigener Bemühungen um ihre Finanzierung nicht abgenommen: es nimmt prinzipiell die Risiken in Kauf, die darin liegen, daß es die politische Willensbildung der Urteilskraft und der Aktivität der Bürger anvertraut". Also klopfen Sie nicht beim Staat an, klopfen Sie nicht beim Finanzminister an! Lassen Sie sich etwas anderes einfallen, aktivieren Sie die Urteilskraft ihrer Mitglieder, machen Sie sich attraktiver — attraktiver können Sie sich nicht durch solche Gesetzgebung machen —, dann kommen Sie vielleicht auch mit Ihren Finanzen wieder klar.
Zum Schluß möchte ich noch folgende Bemerkung machen. Ich erlebe es als makaberes Schauspiel, Herr Kollege Krey, wenn Sie das, was hier auf den Tisch gelegt wird, als ein Unternehmen ausgeben wollen, das sozusagen in der Tradition des antifaschistischen Widerstandes steht. Es war doch gerade immer eine Gefahr für die Demokratie, und es hat die Demokratie ausgehöhlt, daß die Industrie, daß kapitalkräftige Kreise in der Lage waren, sich politische Meinungen und politischen Willen einkaufen und zur Verfügung halten zu können.
Da sollten Sie Ihr Gewissen prüfen, und Sie sollten diese schlimme Vergangenheit, die Sie alle zu bewältigen haben, mit einem Gesetzgebungswerk nicht noch mit einer Prämie versehen. Dieser Prämie verweigern wir unsere Zustimmung, und wir befinden uns, wie häufig, zwar hier in diesem Hause in der Minderheit; aber mit Sicherheit können wir uns bei unserer Verweigerung auf die Mehrheit der Bevölkerung stützen.
Ich danke Ihnen sehr.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Schily, wer 440 000 und 660 000 Mark auf eine Million zusammenrechnet, zeigt damit in etwa, wie er den Fakten, die hier zugrunde liegen, gewachsen ist.
So geht das dann weiter. Da glauben Sie allen Ernstes — Sie kommen doch auch herum —, die Mitgliederversammlungen der CDU/CSU, FDP und SPD würden zusammenschrecken, wenn der Unterbezirksvorsitzende oder Kreisvorsitzende sagt: Haltet jetzt einmal mit eurer Meinung zurück, weil wir von dem Fabrikanten Y so dringend Geld brauchen, und belästigt uns nicht mit so dusseligen Resolutionen! — Ich möchte einmal wissen, was dann in unseren Mitgliederversammlungen passieren würde und ob man damit Stimmen von Parteimitgliedern kaufen kann.
So gehen Sie vollkommen an der Wirklichkeit vorbei.
Wenn Sie, Herr Schily — um diese Reihe fortzusetzen —, Seite 13 der Ihnen vorliegenden Bundestagsdrucksache aufschlagen, dann finden Sie rechts unten den Abschnitt, in dem die Kredite erwähnt sind. Von diesen Darlehen haben Sie lautstark behauptet, die erschienen in der ganzen Rechnung einfach nicht. Man kann doch nicht so mit Fakten umgehen und dann auch noch sagen, man sei derjenige, der hier dafür sorge, daß die Dinge endlich einmal auf die Füße gestellt würden.
Wenn Sie schon in den einfachen Dingen so im Irrtum sind, dann fällt es um so leichter, zu erkennen, daß Sie in den komplizierteren Fragen, z. B. des Verfassungsrechts, vermutlich auch nicht sehr richtig liegen.
Ich muß Ihnen nämlich sagen — ich bedauere das, weil ich Sie aus früheren Tätigkeiten durchaus auch in Ihrer Eigenschaft als Jurist schätze; aber das sind dann wohl speziell entwickelte Fähigkeiten —:
im Bereich des Verfassungsrechts haben wir es eben damit zu tun, daß Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus früheren Jahren vorliegen — die wir respektieren —, die sich jeweils aus gegebenem Anlaß mit Einzelfragen der Parteienfinanzierung befaßt haben und in denen so oder so entschieden wurde.
Bei dem Vorstoß aus meinem Heimatland Niedersachsen, der zu dem Urteil von 1979 geführt hat, das Sie zitiert haben, hat es insbesondere daran gefehlt,
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dem Verfassungsgericht das ernsthafte Bemühen aller Parteien in diesem Hause vorzustellen, zu einer grundlegend neuen Lösung zu kommen. Und genau das ist es, was wir auf Grund der ungewöhnlich gründlichen — auch im Hinblick auf die Erarbeitung der zugrunde liegenden Fakten — und deshalb so verdienstvollen Ausarbeitung der vom Herrn Bundespräsidenten einberufenen Sachverständigenkommission jetzt tun. Wir legen nämlich erstmals ein völlig neues und, soweit das überhaupt möglich ist, in sich ausgewogenes und sich damit dem Streben nach Gerechtigkeit wenigstens annäherndes System der Parteienfinanzierung vor, von dem wir hoffen, endlich aus dem Stückwerk der Vergangenheit herauszukommen und mit den daraus hervorgegangenen Untugenden fertig zu werden.
Da es sich hiermit um ein völlig neues Faktum handelt, können wir auch davon ausgehen, daß das Bundesverfassungsgericht dieses Bemühen in seinem Gesamtzusammenhang würdigt, uns auf unserem Wege zu einer erstmalig soliden Gestaltung dieser schwierigen Frage hilft und uns bei dem versteht, was wir tun wollen und auch tun müssen. Hätten wir das vor 20 Jahren getan, dann wäre eine Reihe von Schwierigkeiten erspart geblieben, von denen jetzt hier die Rede ist.
Wenn gerade aus Kreisen der GRÜNEN hier so fröhlich gelacht wird, dann will ich Ihnen sagen: Es fällt mir jedenfalls unglaublich schwer — um nur das allerwenigste zu sagen —, zu glauben, daß es Ihnen bei Ihren Organisationsmethoden — falls man das so nennen will —, die man aus Ihren Kreisen berichtet bekommt, gelingen sollte, Ihre Finanzierung überhaupt zu überschauen,
geschweige denn hier verbindliche Erklärungen darüber abzugeben, wie das alles zustande kommt. Es macht Sie geradezu sympathisch, daß das so ist.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? Ich habe den Eindruck, Sie wollen das tun.
Herr Kollege Schily, bitte schön. Ich hatte Sie ja angesprochen.
Herr Kollege Kleinert, Sie haben mich wegen der Frage des gesonderten Ausweises der Einnahmen aus Krediten angesprochen. Habe ich den Entwurf in Drucksache 10/684 falsch gelesen, daß die Empfehlung des Beschlusses des vierten Ausschusses so lautet, daß unter Ziffer 8 nur noch „Sonstige Einnahmen" erscheinen, während in dem Entwurf vorher unter Ziffer 8 der gesonderte
Ausweis „Kredite" vorgesehen war? Was Sie offenbar ansprechen wollen, ist die Vermögensaufstellung. Der gesonderte Ausweis der Einnahmen aus Krediten erscheint in diesem Entwurf aber nicht mehr.
Sehen Sie, das ist genau das, was ich gesagt habe: Kredite sind keine Einnahmen, sondern Schulden.
Deshalb haben wir das auf die andere Seite gestellt, wo es nämlich nach sämtlichen Bilanzierungsvorschriften hingehört.
Sie bestätigen aufs trefflichste die Vermutung, die ich eben über die Kompetenz Ihrer Fraktion in Finanzierungsfragen aufgestellt habe.
Ich möchte nicht ausschließlich darüber sprechen.
Ich möchte einmal auf etwas hinweisen, was Sie in einer sehr verdienstvollen und leider von viel zu wenigen Mitgliedern des Hause gelesenen Publikation finden, nämlich in der Zeitschrift für Parlamentsfragen. Sie finden da auf Seite 338 ff. des Jahrgangs 1982 einen Bericht über die Parteienfinanzierung in Kanada. Ich habe in den letzten Wochen des öfteren gehört, nirgends auf der Welt gebe es so etwa wie das, war wir jetzt vorhätten, daß nämlich die Parteien versuchten, sich öffentliche Mittel — ausdrücklich und gesetzlich geregelt — zuzusprechen. Das Gegenteil ist richtig. Es findet sich dort das bezeichnende Zitat, daß Parteienfinanzierung allgemein in allen westlichen Demokratien — und zwar völlig allgemein in allen westlichen Demokratien — ohne irgendeine Subvention heute nicht mehr denkbar sei.
Das ist auch sehr vernünftig. Es ist nur dann unvernünftig, wenn es nicht anständig und fair geregelt ist.
Sie reden hier über die großen Zahlen, die bewegt werden. Wenn Sie einmal den Blick der Bürger für das schärfen würden, was in diesem Lande für die unterschiedlichsten Zwecke größenordnungsmäßig an Finanzmitteln bewegt wird, dann kommen diese Zahlen erst in eine vernünftige Gewichtung. Ich bin der Ansicht, daß z. B. der Allgemeine Deutsche Automobil-Club — bei all seinen Verdiensten — ein erheblich größeres Finanzvolumen bewegt als sämtliche Parteien dieser Bundesrepublik zusammen. Überlegen Sie sich doch einmal, was das bedeutet. Nichts gegen das, was da geschieht, was da geschehen muß, was da mit allen technischen Einzelheiten und der Organisation getan wird, die dazugehört! Wenn Sie heute aber einen Bürger fragen würden: Wer verbraucht mehr Geld, alle Parteien zusammen für alles, was sie tun, oder der ADAC?, dann würden Sie wahrscheinlich erleben, daß sie immer auf die Parteien hinweisen. Das ist aber un-
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richtig: Wir sind immer noch sparsamer gewesen als fast alle anderen Institutionen in diesem Lande.
— Herr Fischer, ich nehme das gerne auf und sage Ihnen: Nicht nur unsere Berichte, sondern z. B. ein Besuch einer Landesgeschäftsstelle der Freien Demokratischen Partei — ich lade Sie gerne ein, einmal in die Walter-Gieseking-Straße in Hannover hineinzuschauen — lehren Sie ohne weiteres, wie sparsam da im Verhältnis zu vielen Einrichtungen gearbeitet wird. Deren Nutzen ist vielleicht gleichgroß, aber auch nicht größer als das, was von den Parteien nicht nur verlangt, sondern auch geleistet wird.
Das muß bei dieser Gelegenheit auch einmal gesagt werden, verbunden mit einem herzlichen Dank — die Herren Vorredner haben es schon angesprochen; ich wiederhole es aber, weil es mir so wichtig erscheint — an alle die, die in diesem Land ehrenamtlich tätig sind und dabei viel Zeit und Geld aus eigenen Mitteln aufwenden, damit unser Volk seinen politischen Willen artikulieren kann, und zwar — abseits von sehr unartikulierten Formen öffentlicher Darstellung — in einem geregelten Verfahren, so wie unsere Verfassung es vorsieht. Denen allen, die dafür ihre Opfer bringen, daß das so geschehen kann, herzlichen Dank.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Reetz?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie mir bitte sagen, woher der ADAC seine vielen Mittel hat? Meiner Meinung nach doch von seinen Mitgliedern!
Die Gegenfrage liegt auf der Hand: Woher kommen die Mittel der GRÜNEN?
Ich kann Ihnen aber auch diese Frage beantworten.
Herr Abgeordneter Fischer, ich möchte Sie ermahnen.
Herr Fischer, auf Ihre Fragen, besonders wenn sie in der Ihnen eigenen Art, so nett und angenehm, wie Sie das soeben wieder gemacht haben, vorgetragen werden, gehe ich aus diesem Grunde nicht ein.
Aber ich habe in den letzten Wochen ganzseitige Anzeigen in großen Tageszeitungen gesehen: mit vielen Unterschriften, mit großen Texten. Und unten stand dann immer: Wenn Sie wollen, daß von diesen Anzeigen noch mehr erscheinen, dann schikken Sie einen Betrag an den und den Verein. Ihre Spende ist steuerlich abzugsfähig, weil dieser Verein gemeinnützig ist. —
Auf diese Weise finanzieren GRÜNE ihre politischen Anliegen, kommen aber gleichwohl hierher und machen uns Vorwürfe, wenn wir das, was eine Partei will, auch für eine Partei erklären wollen
und uns nicht hinter irgendeinem Verein verstekken, der dann obendrein auch noch als gemeinnützig figuriert. Das ist der Gipfel der Heuchelei!
Da die Darstellung der Sachfragen und der wesentlichen sachlichen Entscheidungen des Gesetzes von den Vorrednern bereits vorgenommen worden ist, möchte ich jetzt allmählich zum Ende kommen.
Aber ich möchte Ihnen, Herr Schmude, noch sehr dafür danken, daß Sie erwähnt haben, daß auch die Sozialdemokratische Partei in der Vergangenheit an, gelinde gesagt, unerfreulichen Entwicklungen beteiligt gewesen ist; das haben wir gehört. Ich kann mich dem für meine Partei nur anschließen, aber nicht, falls das jemand glauben sollte, so, als ob wir im Übermaß, in irgendeiner Art von Übermaß daran beteiligt gewesen seien. Vielmehr hat es da Entwicklungen bei allen gegeben. Ihre weiteren Ausführungen, Herr Schmude, konnten den Eindruck erwecken, daß die Sozialdemokratische Partei ihre Verfehlungen aus der Vergangenheit zwar — ehrlich und anständig, wie sie ist — zugibt, sich aber von den kapitalverflochtenen anderen, die im Grunde ja erheblich fieser sind, doch deutlich abhebt.
Da Sie diesen Weg der Darstellung gewählt haben, muß ich nun leider auf einen Vorgang hinweisen, der in der Geschichte der Rechnungslegung der politischen Parteien meines Wissens bisher einmalig geblieben ist. Unter dem Namen eines Verstorbenen, den ich hier namentlich nicht nennen will, ist in Ihrem Haushalt 1982 eine Einzelspende von 7,4 Millionen DM ausgewiesen worden, eine Spende von jemandem, der eine Spende mit Sicherheit nicht bringen konnte. Sie haben einen gewißen Versuch gemacht, diesen naturgemäß etwas auffälligen Vorgang dadurch abzumildern, daß Sie dazugeschrieben haben: Ergebnis einer von dem Verstorbenen — zu seinen Lebzeiten — durchgeführten Sammlung. Das ändert aber überhaupt nichts daran, daß diese Sammlung und diejenigen, bei denen
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gesammelt worden ist, mit keinem Wort auftauchen. Aber es handelt sich um 7,4 Millionen DM. Und das ist das dickste Ding, das je auf diesem Sektor passiert ist.
Deshalb wollen wir dabei bleiben, daß wir alle in der Vergangenheit gesündigt haben und deshalb dankbar sind, daß es jetzt zu einer klaren und sauberen Lösung kommt. Aber wir wollen doch nicht hergehen und sagen, irgend jemand sei da anders gewesen oder irgend jemand habe sich da besonders ins Unrecht gesetzt. Wir wollen vielmehr wirklich einmal gemeinsam daran arbeiten, daß das für die Zukunft eine bessere Grundlage für die Arbeit unserer Parteien wird und daß wir das gemeinsam dem Bürger auch so klarmachen können, ohne Ränke, ohne Tücken und ohne Listen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Spilker. — Darf ich, bis der Redner ans Podium getreten ist, die neu hinzugekommenen Kollegen darauf aufmerksam machen, daß wir uns noch in der Debatte befinden? — Herr Abgeordneter Spilker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach Art. 21 des Grundgesetzes wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Mit dieser Feststellung wurden 1949 erstmals in der deutschen Geschichte die Parteien von der Verfassung anerkannt, aber gleichzeitig auch gefordert.
Zuvor hatte der Parlamentarische Rat nach den schlechten Erfahrungen vor allem in der Weimarer Zeit und deren Schlußphase, aber auch nach den schlimmen Erfahrungen in der Folgezeit einen Schlußstrich unter die damals fast 100jährige Entwicklung der politischen Parteien ziehen wollen, in deren Verlauf diese im allgemeinen als störende, zwieträchtige und damit überflüssige Organisationen dargestellt wurden.
Herr Abgeordneter Spilker, ich muß Sie einen Moment unterbrechen, um Ihnen ein bißchen mehr Ruhe und Aufmerksamkeit zu verschaffen. — Ich bitte die Kollegen sehr, sich hinzusetzen und zuzuhören oder ihre Gespräche draußen zu führen. — Ich darf das noch einmal sehr laut sagen! Hier spricht ein Redner am Rednerpult! Er richtet sich an uns alle. Ich bitte um Aufmerksamkeit.
In das damalige Erscheinungsbild gehören Schlagworte und Bemerkungen, die geeignet waren und sein sollten, politische Parteien zu diffamieren, um sie letztlich unmöglich zu machen. „Politik verdirbt den Charakter", sagten die einen; „Parteien sind ein notwendiges Übel", meinten die anderen. All diese Kritiker konnten und wollten nicht verstehen, daß eine parlamentarische Demokratie ohne politische Parteien schlechterdings unvorstellbar ist.
In dieser Zeit gab es bekanntlich bereits politische Parteien, alte und junge, auch solche, die heute gar nicht mehr existieren. Den demokratischen Parteien war der Wille gemeinsam, im Rahmen des Grundgesetzes beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland mitzuhelfen. Mögen die Wege der demokratischen Parteien verschieden gewesen sein — sie waren es in der Tat —, sicherlich war man sich in dem Ziel einig, mitzuhelfen, um auf dem materiellen und geistigen Trümmerhaufen wieder eine gesunde, friedliche und freiheitliche Republik aufzubauen.
Gewiß hatten wir zu und nach dieser Zeit kein Parteiengesetz. Der Gesetzgeber hatte es in den Folgejahren auch gar nicht eilig, ein solches zu verabschieden, ja, man kann sagen, daß der Gesetzgeber nur zögernd darangegangen ist, ein Gesetz über politische Parteien zu erarbeiten, da zunächst andere, — nach Meinung des Parlaments wichtigere — Aufgaben zu erledigen waren. Die durch das Grundgesetz geschaffene neue Situation war ja auch Neuland für das Parlament, und die Parteien wußten selbst nicht so recht, wie sie sich organisieren und strukturieren sollten; schließlich waren sie von der Verfassung erstmals nicht nur anerkannt, sondern auch verpflichtet worden, wobei über den Umfang dieser Verpflichtung zunächst keine genauen Vorstellungen bestanden.
Die Anforderungen, die man seit 1949 an die politischen Parteien in der Bundesrepublik stellte, wurden im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer umfangreicher. Ihre Aufgaben erweiterten sich entsprechend. Als verfassungsrechtliche Institutionen wurden sie gefordert. Ein sich immer mehr entwikkelndes Angebot von Dienstleistungen für die Bürger im Rahmen des Verfassungsauftrags war die Folge. Heute, nach über 30 Jahren, sind die Parteien nicht wegzudenkende Institutionen innerhalb der parlamentarischen Demokratie. Die Parteien sind allerdings — das sei hier nicht verschwiegen — in eine ernste finanzielle Krise geraten. Es entwikkelte sich eine nicht zu überbrückende Diskrepanz zwischen der genannten Aufgabenstellung und deren materieller Bewältigung.
Aber zunächst noch einmal zurück zu den 50er Jahren. Ich sagte vorher schon: Es gab nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für viele Jahre kein Parteiengesetz; dieses trat bekanntlich erst 1967 in Kraft.
Der Gesetzgeber verabschiedete in den 50er Jahren einzelne Gesetze, die für die Finanzierung der politischen Parteien einschlägig waren. Ich darf an das Einkommensteuergesetz von 1955 mit der Durchführungsverordnung aus demselben Jahr, aber auch an das Gutachten des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1952 — es wurde schon genannt — erinnern, das für die Parteienfinanzierung von großer Bedeutung war.
Aber es gab auch wieder Schwierigkeiten, die man kaum erwartet hatte. Nach § 10b des Einkommensteuergesetzes von 1955 im Zusammenhang mit der eben genannten Durchführungsverordnung waren Ausgaben — so war es einmal — zur Förderung staatspolitischer Zwecke bis zur Höhe von
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10 % der Einkünfte und bis zur Höhe von 2 vom Tausend der Summe der Umsätze und der aufgewendeten Löhne und Gehälter als Sonderausgaben abzugsfähig. Diese Regelung galt besonders für Spenden an politische Parteien.
In dem Urteil vom 24. Juni 1958 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Steuerbegünstigung jedoch für verfassungswidrig, weil sie die gebotene Chancengleichheit verletze, indem sie faktisch vorhandene Ungleichheiten zwischen den Parteien verschärfe. Dieses Urteil wurde ein Jahr später bestätigt. 1967 kam es dann endlich zum Parteiengesetz mit einer Steuervergünstigung für Spenden und Beiträge für politische Parteien in Höhe von 600 DM bzw. 1 200 DM. Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht 1968 als verfassungsgemäß anerkannt.
1977 wurde dieser Betrag durch Änderung von § 10b Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und von § 9 Abs. 3 b des Körperschaftsteuergesetzes auf 1 800 DM bzw. 3 600 DM erhöht.
Das erwähnte Gesetz aus dem Jahre 1967 führte damals erstmals eine Wahlkampfkostenerstattung von 2,50 DM je Wahlberechtigten ein. Dieser Betrag wurde 1974 — vor fast zehn Jahren — auf 3,50 DM erhöht und zwischenzeitlich nicht mehr geändert.
Mit diesen finanziellen Hilfen, die das Parteiengesetz den politischen Parteien gewährte, war erstmals ein umfangreicher gesetzlich normierter Aufgabenkatalog verbunden, der das ganze Gewicht verdeutlicht, das den Parteien in unserem Rechtsstaat zugewiesen ist.
Ich möchte gern § 1 des Parteiengesetzes zitieren, um damit die Fülle der Aufgaben für die politischen Parteien wenigstens anzudeuten, die heute von manchen Kritikern der Parteienfinanzierung nur zu gern übersehen wird. In Abs. 2 dieser Bestimmung heißt es:
Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen;
die politische Bildung anregen und vertiefen,
die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern,
zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden,
sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen,
auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß nehmen,
die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und
für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.
Herr Abgeordneter Spilker, ich muß Sie noch einmal unterbrechen, um Ihnen ein bißchen mehr Ruhe zu verschaffen. Ich finde wirklich, daß es der Sache angemessen wäre, wenn wir auch dem letzten Redner aufmerksam bis zum Schluß zuhörten.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident, und fahre fort.
Für die Arbeit der politischen Parteien im europäischen Rahmen lassen sich vergleichbare Aufgaben nennen.
Aber es gab auch andere Entwicklungen bei der Parteienfinanzierung und der gehandhabten Praxis, die hier nicht verschwiegen werden sollen. Ich denke z. B. an das bereits erwähnte Gutachten des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1952, an zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, aber auch an die unterschiedliche Praxis der Finanzämter bzw. Finanzbehörden. Oft nämlich stand Meinung gegen Meinung, Wissenschaft gegen Praxis und auch Praxis gegen Wissenschaft. Dies zieht sich bis heute hin, wenn ich an den bemerkenswerten Aufsatz von Herrn von Wallis oder an das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. Februar 1982 oder auch an die Veröffentlichung des Instituts für Finanzen und Steuern aus dem Jahre 1983 über Spenden und deren Absetzbarkeit denke. All das hat bestimmt nicht dazu beigetragen, daß wir heute auf diesem Gebiet von Rechtssicherheit sprechen können.
Im Gegenteil: Diese Veröffentlichungen aus Wissenschaft und Praxis mit ihren verschiedenen, zum Teil grundverschiedenen Inhalten, aber auch die unterschiedliche Handhabung des Steuerrechts durch die Finanzbehörden führten in der Bundesrepublik zu einer Rechtsunsicherheit, die vom Gesetzgeber so nicht mehr hingenommen werden konnte.
Es entwickelte sich neues Mißtrauen gegenüber den Parteien; das Wort der Parteienverdrossenheit machte die Runde.
So war es logisch, daß sich die Parteien bereits in den 70er Jahren zusammensetzten, um eine solche, von keinem Demokraten gewünschte Entwicklung zu verhindern. — Herr Schmude, es waren keine Gedanken an eine Amnestie; zu dieser Zeit gab es weder ein Verfahren noch irgendwelche Ermittlungen. Zu dieser Zeit ging es einfach um die Frage, ob wir eine sichere, überschaubare Grundlage für die Parteienfinanzierung finden.
Daß an diesen Besprechungen Vertreter Ihrer Partei teilgenommen haben, wissen Sie wie ich.
Diese ersten Besprechungen fanden im übrigen lange vor dem Normenkontrollverfahren statt, daß das Land Niedersachsen in Karlsruhe angestrengt hat. Die Entscheidung in diesem Verfahren von 1979 und insbesondere ihre Gründe haben erneut — darauf möchte ich hinweisen — eine Fülle von verfassungsrechtlichen Vorgaben geschaffen, die die
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Grenzen für das heute anstehende Gesetz zusätzlich abstecken.
Aber von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1979 bis zum heutigen Tag war es noch ein weiter Weg. Wieder setzten sich Parteien, aber auch Vertreter der Fraktionen zusammen, um die Parteienfinanzierung in sichere und geordnete Bahnen zu lenken. Dies gelang leider nicht. Man sah wohl die Probleme, die aus den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen erwuchsen, zu punktuell. Vielleicht fand man auch kein in sich geschlossenes Gesamtkonzept.
Wohl nicht zuletzt deshalb wandten sich die Parteien und ihre Vorsitzenden an den Bundespräsidenten und baten ihn, eine unabhängige Kommission mit dem Auftrag zu berufen, Vorschläge für die Finanzierung politischer Parteien in der Bundesrepublik zu erarbeiten. Die Vorsitzenden aller Parteien, die in diesem Haus vertreten waren, wollten den Rat unabhängiger Wissenschaftler und Praktiker. Vielleicht wollten sie der Gefahr einer möglichen eigenen Betriebsblindheit bei der Bewältigung dieser Aufgabe vorbeugen. Wie dem auch sei, im Jahre 1982 wurde die Sachverständigenkommission vom Herrn Bundespräsidenten eingesetzt, die bekanntlich am 18. April des Folgejahres ihren Bericht vorlegen konnte.
Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP setzt das Ergebnis der Kommission weitestgehend um. Der Kommissionsbericht ist gewissermaßen die Basis für unseren Entwurf eines Gesetzes über die Neuregelung der Parteienfinanzierung, der heute hier zu Entscheidung steht.
Nun bin ich, meine Damen und Herren, nicht legitimiert, für alle Kollegen des Hohen Hauses hier zu sprechen, aber wenigstens für die CDU/CSU-Fraktion möchte ich sagen, daß wir allen Grund haben, der Sachverständigenkommission unseren Dank für ihre hervorragende Arbeit auszusprechen.
Immerhin ist es ihr als Ad-hoc-Kommission zum erstenmal gelungen, eine Gesamtkonzeption zur Parteienfinanzierung vorzulegen, die, politisch umgesetzt, im Einklang mit dem Grundgesetz steht und von der überwiegenden Mehrheit des Hauses gebilligt wird.
Nachdem der Entwurf bereits am 21. 6. 1983 eingebracht wurde, hat es eingehende Beratungen im federführenden Ausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen gegeben. Das Ergebnis ist der Konsens der Fraktionen mit Ausnahme der GRÜNEN, ein Konsens, der ohne die wertvollen Vorarbeiten der Sachverständigenkommission nicht zustande gekommen wäre.
Jeder weiß, daß die Sozialdemokraten ursprünglich gegen die Neuregelung eingetreten sind. Im Verlauf der parlamentarischen Beratungen konnte jedoch eine weitgehende Annäherung der CDU/ CSU, FDP und SPD erreicht werden. In der Zwischenzeit hat es auch in der Frage der Wahlkampfkostenerstattung hinsichtlich der Höhe der öffentlichen Mittel Übereinstimmung gegeben, die ebenfalls im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen steht.
Ich gestehe offen, meine Damen und Herren, daß es uns nicht leichtgefallen ist, den Forderungen der SPD nachzugeben. Nach meiner Überzeugung überwiegt aber das zwingende verfassungsrechtliche Interesse an einem Konsens der politischen Parteien bei diesem Gesetz bei weitem diese Bedenken. Ich halte es für unverzichtbar, daß ein Gesetz, das unmittelbaren Einfluß auf den Wettbewerb zwischen den Parteien hat, von der breitesten parlamentarischen Basis getragen wird, die in diesem Hause derzeit vorstellbar ist.
Es ist auch gut, wenn Parteien bei Fragen, die den Chancenausgleich untereinander betreffen, auf mögliche Mehrheiten in einer Kampfabstimmung verzichten. Es entspricht dem demokratischen Selbstverständnis, bei derartigen Fragen den Konsens der sonst rivalisierenden Parteien herbeizuführen.
Schließlich schafft dieses Gesetz noch eines, woran es in der Vergangenheit offensichtlich gemangelt hat. Es macht durch den Zugang zu einer umfangreichen Rechnungslegung das Innenleben der Parteien für den Bürger verständlicher und überschaubarer. Ich bin ganz sicher, daß dies hilft, das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und politischen Parteien zu festigen. Was für das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie Voraussetzung ist.
Eines möchte ich noch erwähnen, um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen, gerade deshalb, Herr Kollege Schmude, weil ich Mißverständnisse dieser Art nach Ihrer heutigen Rede befürchte.
Es hat in den letzten Wochen und Monaten nicht an Versuchen gefehlt, diesem hier zur Debatte stehenden Entwurf zur Änderung des Parteiengesetzes zu unterstellen, er habe in Wahrheit eine versteckte Amnestie zum Ziel. Im Namen meiner Fraktion möchte ich dazu dies sagen. Ich habe in meinen Ausführungen von der Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Parteienfinanzierung im Hinblick auf einige Steuergesetze und deren Handhabung gesprochen und über den Entwurf der Regierungskoalition, der sich Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Parteienfinanzierung nennt. Er blickt also in die Zukunft. Sein Ziel sind Rechtssicherheit und Überschaubarkeit.
Die Würdigung von Praktiken bei der Parteienfinanzierung in der Vergangenheit müssen und wollen wir denen überlassen, die nach den Grundprinzipien der Gewaltenteilung als unabhängige Richter dazu berufen sind.
Es ist nicht unsere Sache, es ist nicht Sache der
Legislative, die Anwendung von Gesetzen rechtlich
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2731
Spilker
zu würdigen oder mögliche Verletzungen des Rechts zu ahnden. Das ist Sache der Judikative.
Unsere Aufgabe ist es allerdings, für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Dafür ist Rechtssicherheit unerläßlich. Diese schaffen wir dadurch, daß wir klare und überschaubare Gesetze dort machen, wo sie nötig sind.
Genau das gilt für diesen Gesetzentwurf, den wir heute behandeln. Dieser Gesetzentwurf beseitigt nach meiner festen Überzeugung alles, was heute an Unsicherheit und an Widersprüchen bestehen mag.
Ich danke Ihnen.
Bevor wir in unseren Beratungen fortfahren, möchte ich gern einen Gast begrüßen. Auf der Tribüne hat der Herr Ministerpräsident der Republik Irland, Mr. Garrett FitzGerald, Platz genommen.
Herr Ministerpräsident, wir freuen uns über Ihren Besuch, was Sie eben sehr deutlich gehört haben.
Zu unserer Debatte liegen weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Abgeordnete Schily hat zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung um das Wort gebeten.
Herr Kollege Kleinert, ich glaube, es ist angebracht, daß wir zum Schluß der Aussprache doch noch einmal auf einen Punkt eingehen, mit dem Sie hier so großen Jubel ausgelöst haben. Ich glaube, daß es notwendig ist, einfach einmal eine Sache klarzustellen.
Es gibt ja wohl — und das sollte man eigentlich beim betriebswirtschaftlichen kleinen Einmaleins gelernt haben — zwei Kategorien von Rechnungen:
eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung und eine Vermögensrechnung.
Herr Abgeordneter Schily, darf ich Sie unterbrechen. Es geht hier um eine Erklärung zur Aussprache nach § 30. Bitte für alle!
Mir ist Inkompetenz zu der Frage unterstellt worden, wie man Einnahme- und Ausgaberechnung und Vermögensrechnung unterscheidet. Ich will Ihnen nur erklären, daß Sie da offenbar ein falsches Pferd gesattelt haben. In dem ursprünglichen Entwurf hieß es bei der Einnahmenaufstellung im Rechenschaftsbericht unter Ziffer 7 „Sonstige Einnahmen", unter Ziffer 8 „Einnahmen aus Krediten". In dem jetzigen Entwurf werden unter Ziffer 8 diese beiden Einnahmearten in „Sonstige Einnahmen" zusammengefaßt. Sie werden ja wohl bei diesen sonstigen Einnahmen auch die Einnahmen aus Krediten mit einrechnen. Sie verwechseln Vermögensrechnung und Einnahme-und Ausgaberechnung. Es tut mir leid, daß Sie das nicht begreifen wollen.
Ich danke Ihnen.
Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 a.
— Ist das ein Antrag zur Geschäftsordnung? — Herr Fischer, dann haben Sie das Wort zur Begründung eines Antrages zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend § 25 beantrage ich eine Vertagung der Beratung zu diesem Punkt.
Ich möchte das ganz kurz begründen. Auf dem Hintergrund der Ereignisse gestern und heute, aber auch nach der Lektüre der Tagesordnung, wo man bei Punkt 2 a und b feststellt, daß jeweils bei der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Innenausschusses in beiden Punkten, vor allem bei dem entscheidenden Punkt betreffend Änderung des Parteiengesetzes, die Drucksache noch gar nicht ausgedruckt ist, und da heute noch die letzten Korrekturen angebracht wurden, sehen wir die Notwendigkeit zu einer Vertagung der Beratung, um nochmals ausführlich prüfen zu können, worum es sich hier wirklich handelt, was hier beschlossen werden soll.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eines klar zurückweisen, Herr Kollege Kleinert. Wenn Sie sich hier in Ihrer unnachahmlichen schwankenden Größe aufbauen ...
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Fischer. Ich bitte Sie herzlich, dabei zu bleiben, daß Sie jetzt zur Geschäftsordnung sprechen.
... und uns unser Chaos in den Geschäftsstellen vorwerfen und uns gleichzeitig Ihre geordnete Geschäftsstelle der FDP entgegenhalten,
dann sage ich Ihnen: In unserem Chaos gibt es nicht den penetranten Geruch von Korruption. Den gibt es ganz woanders.
2732 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Herr Kollege Fischer, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß dies nicht mehr zur Geschäftsordnung war.
Zwischenrufe von hier oben sind nicht im Rahmen der Geschäftsordnung.
Ich habe eine weitere Meldung zur Geschäftsordnung. Herr Abgeordneter Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion lehnt den Antrag auf Vertagung der Beratung ab. Die Beschlußempfehlung des Innenausschusses, über die wir hier abzustimmen haben, datiert vom 25. November 1983 auf der Drucksache 10/684. Sie ist völlig unverändert. Alles andere, was Sie hier vorgetragen haben, ist eine Legendenbildung. Wir haben lediglich im Bericht, der diese Beschlußempfehlung begründet, heute morgen eine mündliche Ergänzung von einem einzigen Satz gehört. Das ist kein Grund zu einer Vertagung der Beratung. Im übrigen, Herr Kollege Fischer, haben wir erlebt, warum Sie hier das Wort unter Mißbrauch der Geschäftsordnung ergriffen haben.
Schließlich, Herr Kollege Fischer, haben Sie in der vergangenen Woche hier vorgeführt und vorgetragen, daß Sie Abstimmungen dieses Hauses verhindern wollen. Wir wollen nicht, daß dieses Haus entscheidungsunfähig wird. Wir wollen, daß dieses Haus entscheidungsfähig bleibt. Deswegen lehnen wir die Vertagung ab und wollen hier abstimmen.
Wir sind alle offensichtlich ein bißchen erregt.
Ich kann nur uns alle dazu ermahnen, daß wir dieses etwas schwierige Geschäft in Ruhe abschließen.
— Entschuldigen Sie, ich habe hier eben Zurufe gehört, die ich damit meinte.
Wir kommen nun zur Entscheidung über den Antrag zur Geschäftsordnung, der mit Rede und Widerrede hier soeben behandelt worden ist.
Ich bitte diejenigen, die dem Antrag nach § 25 der Geschäftsordnung — Vertagung der Beratung — ihre Zustimmung geben wollen, um das Handzeichen. — Danke schön. Die Gegenprobe! — Danke schön. Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag abgelehnt. Wie fahren in den Beratungen fort.
Ich komme jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 2 a der Tagesordnung. Es geht also um den Entwurf eines Fünfunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes. Ich rufe Art. I und II, Einleitung und Oberschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Ich stelle fest, daß die aufgerufenen Vorschriften einstimmig angenommen worden sind. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
Interfraktionell ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen will, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Nein, wer sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die weiße Abstimmungskarte hier vorn in die Urne zu legen.
Um es noch einmal deutlich zu machen, damit keine Irrtümer entstehen: Wir stimmen jetzt in einer von allen Fraktionen gewünschten namentlichen Abstimmung über die Änderung des Grundgesetzes ab.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Das scheint nicht der Fall zu sein.
Ich schließe die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen. —
Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen.
Dann darf ich Ihre Aufmerksamkeit für das Ergebnis, das von den Schriftführern mitgeteilt worden ist, der Schlußabstimmung über den Entwurf eines Fünfunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes erbitten. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Vorlagen auf den Drucksachen 10/183, 10/684 und 10/697 ist folgendes: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 456 ihre Stimme abgegeben; dabei sind keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 453, mit Nein haben gestimmt 2, es hat eine Enthaltung gegeben. Von den 22 Berliner Abgeordneten haben 20 ihre Stimme abgegeben, davon keine ungültige. Alle 20 haben mit Ja gestimmt, keiner mit Nein, keine Enthaltung.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 455 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 453 und 20 Berliner Abgeordnete
nein: 2 Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer
Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker Berger
Biehle
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2733
Vizepräsident Westphal
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Böhm
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Braun
Breuer
Broil
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens Carstensen (Nordstrand) Clemens
Conrad Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Eigen
Engelsberger
Erhard
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer Francke (Hamburg) Franke
Dr. Friedmann
Ganz
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach Gerstein
Gerster
Glos
Dr. Göhner
Dr. Götz Günther Dr. Häfele
Hanz Hartmann Haungs
Hauser Hauser (Krefeld) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka
Graf Huyn
Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki Keller
Kiechle
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lemmrich
Dr. Lenz Lenzer
Link Link (Frankfurt) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller Müller (Wadern)
Müller Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Rawe
Reddemann Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth Rühe
Ruf
Sauer Sauer (Stuttgart) Saurin
Sauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble
Schartz Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer
von Schmude
Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schulhoff
Dr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger Dr. Sprung
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stoltenberg
Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wörner
Würzbach
Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Dr. Hackel Kalisch
Schulze Straßmeir
SPD
Amling
Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker
Bernrath Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brandt
Brosi
Brück
Buckpesch
Büchler
Büchner
Dr. von Bülow
Buschfort Catenhusen
Collet
Conradi Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme Dreßler Duve
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Dr. Enders
Esters
Ewen
Fiebig
Fischer
Fischer
Franke
Frau Fuchs
Gerstl
Gilges
Glombig Dr. Glotz Gobrecht Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase
Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Heyenn Hiller
Hoffmann
Dr. Holtz Horn
Ibrügger
Jahn
Jansen Jaunich Dr. Jens Jung
Junghans Jungmann
Kastning Kiehm Kirschner
Kisslinger
Klein
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow Kretkowski
Dr. Kübler
Kühbacher
Kuhlwein
Lambinus
Lennartz Leonhart Liedtke Lohmann
Lutz
Frau Matthäus-Maier Meininghaus
Menzel
2734 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Vizepräsident Westphal
Dr. Mertens Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Pauli
Dr. Penner
Peter
Pfuhl
Polkehn
Porzner
Poß
Purps
Rapp Rappe (Hildesheim) Reimann
Frau Renger
Reschke
Reuschenbach
Reuter
Rohde Roth
Sander
Schäfer Schanz
Dr. Scheer
Schlatter
Schluckebier
Frau Schmedt
Schmidt Schmidt (Wattenscheid)
Schmitt
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl
Dr. Steger
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Vogelsang
Voigt Vosen
Waltemathe
Walther
Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Wieczorek Wiefel
von der Wiesche Wimmer Wischnewski
Dr. de With
Wolfram Würtz
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Dr. Mitzscherling Stobbe
Dr. Vogel Wartenberg
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn Eimer Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Grüner
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Weng
Wolfgramm Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard
Bastian
Frau Beck-Oberdorf Burgmann Drabiniok
Fischer Frau Gottwald
Frau Dr. Hickel Horacek
Hoss
Dr. Jannsen Frau Kelly
Kleinert Krizsan
Frau Nickels Frau Potthast
Frau Reetz Schily
Frau Schoppe Schwenninger Stratmann
Verheyen Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider
Nein
DIE GRÜNEN
Dr. Ehmke
fraktionslos Handlos
Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung stelle ich fest, daß die erforderliche Zweidrittelmehrheit der voll stimmberechtigten Mitglieder des Hauses, das wären 332, erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Wir kommen nun zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 2 b, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 11 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Danke schön. Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 12 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/702 ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Danke schön. Enthaltungen? — Danke schön. Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit bei wenigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Wer Art. 1 Nr. 12 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Danke. Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit bei Gegenstimmen aus der Fraktion der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 13 bis 18 a in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit gegen einige Stimmen angenommen.
Auf Antrag der Fraktion der SPD soll über Art. 4 Nr. 3 gesondert abgestimmt werden. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.
Ich rufe deshalb zunächst Art. 2 und 3 sowie Art. 4 Nr. 1 und 2 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2735
Vizepräsident Westphal
Mehrheit und bei Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Jetzt rufe ich Art. 4 Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Wer der aufgerufenen Vorschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Danke schön. Die aufgerufene Vorschrift ist mit Mehrheit bei Gegenstimmen der Fraktion der GRÜNEN und bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe jetzt auf: Art. 4 Nr. 4 und 5 und Art. 5 bis 9 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann sind diese Vorschriften bei Gegenstimmen der GRÜNEN und einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Meine Damen und Herren, nach Annahme von Änderungsanträgen in der zweiten Beratung darf sich nach § 84 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder fünf v. H. der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dies beschließen. Ein Antrag, die dritte Beratung jetzt unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Ich frage Sie: Sind Sie damit einverstanden, sofort in die dritte Beratung einzutreten? Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltung? — Dann kann ich feststellen, daß die erforderliche Zweidrittelmehrheit dafür vorhanden war, daß wir in unserer Beratung und Abstimmung fortfahren können.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Auch hier ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegenstimmen will, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Nein", wer sich der Abstimmung enthalten will, den bitte ich, die weiße Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit zwischendurch noch für eine Sekunde in Anspruch nehmen. Ich glaube, es dient dem Ablauf, wenn ich Ihnen sage, daß wir nach Abschluß dieser Abstimmung in die Mittagspause eintreten und um 14 Uhr mit der Fragestunde beginnen.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Mir scheint, das ist nicht der Fall. Dann kann ich die Abstimmung schließen. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze bekannt. In namentlicher Abstimmung über diesen
Gesetzentwurf — Drucksachen 10/183, 10/684 und 10/697 — haben von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses 453 ihre Stimme abgegeben. Es gab keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 416 gestimmt; mit Nein haben 26 gestimmt; enthalten haben sich 11 Abgeordnete. Von den 22 Berliner Abgeordneten haben 20 ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 15 gestimmt; mit Nein hat 1 gestimmt, und es hat bei den Berliner Abgeordneten 4 Enthaltungen gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 453 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
j a: 416 und 15 Berliner Abgeordnete
nein: 26 und 1 Berliner Abgeordneter
enthalten: 11 und 4 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker Berger
Biehle
Dr. Blank
Dr. Blens
Dr. Blüm
Böhm
Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen Borchert
Braun Breuer Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens Carstensen (Nordstrand) Clemens
Conrad Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke Deres
Dörflinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Erhard
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer Francke (Hamburg) Franke
Dr. Friedmann
Ganz
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George Gerlach
Gerstein Gerster
Glos
Dr. Göhner Dr. Götz
Günther
Dr. Häfele Hanz
Hartmann Haungs
Hauser
Hauser
Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann
Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Dr. Köhler
Dr. Köhler
Kolb
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz
Lamers
Dr. Lammert
Landré
2736 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Vizepräsident Westphal
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich
Dr. Lenz Lenzer
Link
Link Linsmeier Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann Louven
Lowack
Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Pohlmann Dr. Pohlmeier
Rawe
Reddemann Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Frau Rönsch
Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth
Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Saurin
Sauter Sauter (Ichenhausen)
Dr. Schäuble
Schartz Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer
von Schmude
Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schulhoff
Dr. Schulte
Schwarz
Dr. Schwörer
Seehofer Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger Dr. Sprung
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stoltenberg
Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch
Weiß
Werner
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wörner
Würzbach
Dr. Wulff
Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom
Dolata Feilcke Dr. Hackel
Kalisch
Schulze Straßmeir
SPD
Amling Antretter
Dr. Apel Bahr
Bamberg
Becker Bernrath
Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brandt Brosi
Brück Buckpesch
Büchler
Büchner
Dr. von Bülow
Buschfort
Catenhusen
Collet
Curdt
Frau Dr. Czempiel
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dreßler
Dr. Ehmke
Dr. Ehrenberg
Dr. Enders Esters
Ewen
Fiebig
Fischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)
Frau Fuchs
Gerstl
Gilges
Glombig Dr. Glotz Grunenberg
Dr. Haack Haar
Haase
Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Heyenn
Hiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. Holtz
Horn
Ibrügger
Jahn
Jansen
Jaunich Dr. Jens
Jung Junghans Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow Kretkowski
Dr. Kübler Kühbacher
Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke Lohmann
Lutz
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt)
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Pauli
Dr. Penner Peter
Pfuhl
Polkehn Porzner Poß
Purps
Rapp Rappe (Hildesheim) Reimann
Frau Renger
Reschke
Reuter
Rohde
Roth
Sander
Schäfer Schanz
Schlatter
Schluckebier
Frau Schmedt
Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude
Schreiner
Schröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling
Stahl
Dr. Steger
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak
Vahlberg
Verheugen
Vogelsang
Voigt
Vosen Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal
Frau Weyel
Wieczorek Wiefel
von der Wiesche Wimmer Wischnewski
Dr. de With
Wolfram
Würtz Zeitler Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich Löffler
Dr. Mitzscherling
Stobbe Dr. Vogel
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum
Beckmann
Bredehorn
Eimer Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Genscher
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2737
Vizepräsident Westphal Grünbeck
Grüner
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert
Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger Dr. Rumpf
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Weng
Wolfgramm
Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
Nein
SPD
Reuschenbach
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Bastian
Frau Beck-Oberdorf Burgmann
Drabiniok
Dr. Ehmke
Fischer
Frau Gottwald Frau Dr. Hickel Horacek
Hoss
Dr. Jannsen Frau Kelly Kleinert
Krizsan
Frau Nickels Frau Potthast
Frau Reetz Schily
Frau Schoppe Schwenninger
Stratmann
Verheyen
Frau Dr. Vollmer
Berliner Abgeordneter Schneider fraktionslos
Voigt
Enthalten
SPD
Bachmaier Conradi
Duve
Gobrecht Jungmann Frau Matthäus-Maier
Dr. Scheer
Dr. Schöfberger
Frau Simonis
Dr. Spöri Zander
Berliner Abgeordnete
Egert
Heimann
Frau Luuk
Wartenberg
— Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache 10/683 —Zur Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich. des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer erschienen.
Ich rufe die Frage 41 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Wäre es angesichts der Ausbildungsnot der Jugendlichen nicht angezeigt, die Erfahrungen der beruflichen Schulen zu nutzen und ohne Diskussion über das duale System wenigstens vorübergehend die Abschlüsse an festzulegenden Berufsfachschulen als Berufsausbildungsabschlußprüfung gemäß § 43 Berufsbildungsförderungsgesetz (BerBiFG) anzuerkennen?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung hat bereits Anfang des Jahres kurzfristige Möglichkeiten zur Sicherung von Ausbildungsplätzen beschlossen und dabei auch die Länder auf Grund der Zuständigkeit für die Bereitstellung schulischer Ausbildungsplätze angesprochen. In den letzten Monaten haben viele Länder zusätzliche Anstrengungen zur Vergrößerung des Angebots an vollzeitschulischen beruflichen Bildungsmaßnahmen unternommen, wobei sich die Aktivitäten entsprechend den jeweiligen Bedingungen auf verschiedene Schulformen und Berufsbereiche erstreckt haben.
Damit Jugendliche, die eine voll qualifizierende Ausbildung durchlaufen, einen anerkannten Ausbildungsabschluß nach dem Berufsbildungsgesetz erhalten können, dürfte sich in erster Linie eine Zulassung zur Abschlußprüfung nach § 40 Abs. 3 Satz 1 Berufsbildungsgesetz bzw. nach § 37 Abs. 3 Satz 1 Handwerksordnung anbieten. Voraussetzung ist, daß die schulische Ausbildung der Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz entspricht. Dieses Verfahren wird auch zur Zeit praktiziert, wie bekanntgewordene Absprachen mit zuständigen Stellen zeigen.
Eine Gleichstellung von schulischen Abschlußzeugnissen mit den Zeugnissen über das Bestehen der Abschlußprüfung nach dem Berufsbildungsgesetz auf der Grundlage von § 43 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz bzw. § 40 Abs. 1 Handwerksordnung ist nicht völlig ausgeschlossen, erfordert aber ein sehr zeitaufwendiges Prüfungs- und Beteiligungsverfahren, so daß sich dieses Verfahren schon wegen der geringen Flexibilität im Hinblick auf kurzfristig einzuleitende Maßnahmen in der Regel nicht eignet.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, in dem Bericht des Bundesinstituts für Berufsbildung sind ja die verschiedensten Maßnahmen aufgeführt, u. a. — ich nehme an, Sie kennen das ja — die Dinge, die schon im vollzeitschulischen Bereich mit qualifizierender Berufsabschlußprüfung möglich sind. Ich möchte von Ihnen einmal wissen, wie denn die Erfahrungen der Absolventen im Hinblick auf den Abschluß sind.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Im Augenblick kann ich Ihnen, was die Erfahrungen angeht, nur sagen, daß sich von der Praktikabilität her am ehesten das Verfahren über § 40 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz und der entsprechenden Bestimmung der Handwerksordnung als vernünftig erwiesen hat und daß wir deswegen auch der Meinung sind, daß in den Ausnahmefällen, um die es hier geht, besser dieser Weg beschritten wird.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben erwähnt, daß die Bund-Länder-Korn-
2738 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Frau Steinhauer
mission für Bildungsplanung dem Hauptausschuß des Bundesinstituts für berufliche Bildung ja die verschiedensten Vorschläge gemacht hat und ihn insbesondere aufgefordert hat, auch von dort aus vorübergehend mehr Initiativen zu ergreifen. Kann man etwas sagen, ob solche Initiativen von dort aus unterstützt worden sind und welche Erfahrungen gemacht worden sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Verständnis. Das ist auch eines der Themen, die wir vielleicht im Zusammenhang mit dem nächsten Berufsbildungsbericht im einzelnen nochmals diskutieren sollten, wie alle Maßnahmen, die im Jahr 1983 ergriffen worden sind, in ihren Auswirkungen natürlich erst beurteilt werden können, wenn wir eine Gesamtschau, eine Art Gesamtdarstellung zur Verfügung haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, einmal grundsätzlich anzuerkennen, daß die berufliche Vollzeitschule, insbesondere die dreijährige Berufsfachschule, nicht nur vorübergehend, sondern auch grundsätzlich in der Lage ist, in anerkannten Ausbildungsberufen vollqualifizierend auszubilden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Weg über § 40 Abs. 3,
den ich eben als den Weg dargestellt habe, der sich am praktikabelsten erwiesen hat, sichert als Notmaßnahme den Jugendlichen, die im Rahmen der außergewöhnlichen Maßnahmen zur Unterbringung der geburtenstarken Jahrgänge eine vollzeitschulische Ausbildung erhalten, einen anerkannten Ausbildungsabschluß. Darauf kommt es ja an.
Wir kommen zu Frage 44 des Herrn Abgeordneten Vahlberg:
Ist die Bundesregierung bereit, sich an den Hilfsaktionen der Kommunen, Kirchen und anderer Initiativen für in Not geratene iranische Studenten finanziell zu beteiligen, da laut Antwort der Bundesregierung vom 26. September 1983 auf meine schriftliche Frage vom 16. September 1983 eine Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht möglich ist?
Herr Staatssekretär, bitte.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung begrüßt die Hilfsaktionen von Kirchen, verschiedenen Kommunen und privaten Initiativen zur Unterstützung von in Not geratenen iranischen Studenten. Über die in der Antwort der Bundesregierung vom 26. September 1983 genannten Erleichterungen bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis hinaus bestehen für die Bundesregierung keine weiteren Hilfsmöglichkeiten. Insbesondere stehen nach Mitteilung der in Betracht kommenden Bundesressorts keine Mittel für eine Beteiligung an Hilfsaktionen Dritter zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vahlberg.
Herr Staatssekretär, Sie haben mir mitgeteilt, daß die ausländerrechtlichen Bestimmungen insoweit geändert sind, als es den iranischen Studenten möglich ist, für zwei Monate im Jahr Arbeit aufzunehmen. Sind Sie der Meinung, daß man damit seinen Lebensunterhalt finanzieren kann, daß man zwei Monate im Jahr arbeitet? Und glauben Sie wirklich, daß die wirtschaftliche Situation der Bundesrepublik im Moment so ist, daß iranische Studenten eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich glaube nicht, daß die zwei Monate ausreichend sind. Ich habe deswegen auch ausdrücklich begrüßt, daß von den verschiedensten Institutionen Hilfsmaßnahmen in die Wege geleitet worden sind. Mir liegt außerdem ein Bericht über ein Gespräch vor, das beim Deutschen Studentenwerk zu dieser ganzen Thematik stattgefunden hat. In diesem Gespräch wurde eine Lösung des Problems — und ich halte eine Lösung für erforderlich — eher in privaten und kommunalen Initiativen gesehen. Aus diesem Grunde — das muß ich noch einmal sagen — kann die Bundesregierung — auch weil die Haushaltsmittel nicht zur Verfügung stehen — diese Initiativen finanziell nicht unterstützen.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vahlberg.
Herr Staatssekretär, es handelt sich doch um einen überschaubaren und unverschuldet in Not geratenen Kreis von Betroffenen. Sie sprechen die privaten Initiativen an. Ist es der Bundesregierung nicht möglich, wenn die Betroffenen nicht unmittelbar unterstützt werden können, die privaten Initiativen, deren finanzielle Mittel und Möglichkeiten j a auch begrenzt sind, zu unterstützen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Man muß sich darüber im klaren sein, daß es sich zwar im Augenblick in der Tat um einen überschaubaren Personenkreis handelt; aber Sie dürfen die generelle Präzedenzwirkung für in Not geratene ausländische Studenten nicht übersehen, wenn hier — ich wiederhole — mit Mitteln des Bundes unterstützt würde, zumal man in dem Gespräch, das das Deutsche Studentenwerk veranstaltet hat, zunächst einmal gesagt hat, wir wollen den Weg über private und kommunale Hilfen gehen. Ich halte das auch für richtig.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Staatssekretär Pfeifer für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Hier steht Herr Staatsminister Dr. Jenninger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Würtz auf:
Denkt der Bundeskanzler an eine Neugliederung der Bundesregierung, und wenn ja, wie soll dies geschehen?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2739
Herr Kollege Würtz, der Bundeskanzler hat sich bei der Neubildung der Bundesregierung dafür entschieden, die bisherige Organisation der Bundesregierung beizubehalten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Würtz.
Herr Staatsminister, habe ich Ihre Antwort richtig verstanden, daß Sie Überlegungen über eine Ressortumbildung oder Kabinettsreform in das Reich der Fabeln verweisen?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Sie haben, Herr Kollege Würtz, nach der Neugliederung der Bundesregierung gefragt, und ich habe die Antwort gegeben, daß eine Neugliederung der Bundesregierung nicht vorgesehen ist.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Würtz.
Herr Staatsminister, für welche Dauer gilt diese Aussage, die Sie hier machen, für eine Woche, einen Monat, ein Jahr oder für die gesamte Legislaturperiode?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Herr Kollege, es ist sicherlich immer möglich, darüber nachzudenken, wie man eine Regierung besser organisieren kann. Deswegen kann ich mich dazu nicht festlegen; aber Sie können davon ausgehen, daß diese Fragen zu Beginn der Regierungsbildung, bei der Regierungsneubildung gründlich geprüft worden sind und deswegen keine Veranlassung besteht, wie ich schon gesagt habe, eine Änderung der Organisation der Bundesregierung herbeizuführen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, gibt es nicht Überlegungen, beispielsweise das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium in eine Hand zu überführen, um der Bundesregierung einen modernen Zuschnitt zu geben?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Ich habe schon auf die Grundfrage eine Antwort gegeben, und die bezieht sich auch auf diese Ihre Frage jetzt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatsminister, darf man Ihre erste Antwort so interpretieren, daß entgegen umlaufenden Gerüchten das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft für die Dauer der Amtszeit dieser Regierung erhalten bleibt?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Ja.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, können Sie denn auch behaupten, daß keine schleichende
Neugliederung stattfindet, wenn Sie sehen, daß man sich im Innenministerium bereits mit dem Bauordnungsrecht beschäftigt?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Herr Kollege, es gibt weder eine schleichende noch eine nicht schleichende Neugliederung, sondern es bleibt bei der Antwort, die ich soeben gegeben habe. Das schließt, wie ich schon gesagt habe, nicht aus, daß immer wieder darüber nachgedacht werden kann, wie einzelne Teilkompetenzen Ressorts künftig zugeordnet werden können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, können Sie sich vorstellen, daß den Fragen der Kollegen die Überlegung zugrunde gelegen hat, daß die Organisationsstruktur der früheren Regierung weder modern noch sachdienlich war? Und wären Sie bereit, die entspechenden Kenntnisse der Kollegen aus der früheren Regierungszeit anzufordern, um Ihre Überlegungen zu stützen?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Dies, Herr Kollege Hüsch, schließe ich nicht aus.
Na, endlich wird's ein bißchen fröhlicher hier. — Herr Dr. Scheer zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist im Zuge von Überlegungen, die noch nicht offiziell ,,Neugliederung der Bundesregierung" heißen, vielleicht daran gedacht, künftig den bayerischen Ministerpräsidenten an den Kabinettssitzungen teilnehmen zu lassen?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Sie wissen, Herr Kollege, daß dies nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung nicht möglich ist. Deswegen ist diese Frage von mir zu verneinen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatsminister, sind auch keine Überlegungen im Gange, eine Neugliederung der Bundesregierung dergestalt vorzunehmen, daß man aus personellen Gründen eventuell einen Minister ohne Geschäftsbereich aufnimmt?
Dr. Jenninger, Staatsminister: Ich möchte noch einmal — wenn es sein muß, bis heute abend — Ihre Fragen so beantworten, wie ich sie eingangs beantwortet habe. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen, was ich gesagt habe.
Vizepräsident Westphal: Danke schön.
Wir sind am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Herr Staatsminister Dr. Jenninger, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister
2740 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Vizepräsident Westphal
Möllemann steht zur Fragenbeantwortung zur Verfügung.
Als erste rufe ich die Frage 45 des Abgeordneten Schneider auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wahlen vom 6. November 1983 in der Türkei im Hinblick auf eine Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, daß — neben einer großen Anzahl anderer Parteien — die beiden Parteien, die bisher über 80 v. H. der türkischen Wähler auf sich vereinigten , überhaupt nicht an der Wahl teilnehmen durften und nach wie vor verboten sind?
Die Bundesregierung bedauert, daß der demokratische Willensbildungsprozeß bei den türkischen Parlamentswahlen vom 6. November durch die bekannten Eingriffe der türkischen Militärregierung behindert wurde. Sie respektiert aber, daß die türkischen Wähler diese Wahlen nicht boykottiert und sich, wie das Wahlergebnis zeigt, für mehr Demokratie entschieden haben. Sie geht davon aus, daß die Wahlen der Herstellung einer demokratischen Ordnung in der Türkei einen neuen Impuls gegeben haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schneider.
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang, daß das Kriegsrecht in der Türkei mit Wirkung vom 19. November um vier weitere Monate verlängert wurde und daß — auch im Zusammenhang mit Ihrer Antwort — in der Türkei Wahlpflicht herrscht?
Möllemann, Staatsminister: Zu Ihrer ersten Zusatzfrage möchte ich sagen, daß natürlich die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in vollem Umfang — und ich sagte dazu, wir hoffen, daß das ein Impuls dafür ist — auch die Aufhebung des Kriegsrechts umfassen sollte und muß. Wir gehen davon aus, daß die neue türkische Regierung, die jetzt zustande kommen wird, sich in diesem Sinn engagieren wird.
Zu der Frage nach der Wahlpflicht. Es gibt eine Vielzahl von Staaten, auch demokratischen Staaten, denen man keinerlei undemokratische Strukturen nachsagen wird, die Wahlpflicht haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schneider.
Wie ist der Umstand, daß in der Türkei noch immer 5 7000 Menschen mit der Todesstrafe bedroht sind, weil sie gegen sie beantragt wurde, daß weiterhin Massenprozesse stattfinden und die Verteidigerrechte bei diesen Prozessen eingeschränkt sind im Zusammenhang mit Ihrer Bemerkung zu verstehen, daß ein Impuls für eine Demokratisierung gegeben wurde? Sehen Sie irgendwelche Anzeichen, daß sich diese Praxis, die ich soeben erwähnt habe, verändert?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, wenn die Bundesregierung der Meinung gewesen wäre,
daß diese Wahlen sozusagen der Abschluß des Demokratisierungsprozesses sein könnten, dann hätten wir das sicher nicht so gesagt. Wir haben nur davon gesprochen, daß sie einen Impuls für einen weiteren Demokratisierungsprozeß aus unserer Sicht darstellen oder daß, wie es das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gesagt hat, diese Wahlen eine Ermutigung für alle Demokraten seien. Auch dem kann man zustimmen. Das alles sagt doch, daß wir davon ausgehen, daß ein Prozeß in Gang gekommen ist, der die Phänomene, von denen Sie gesprochen haben, auch noch überwinden wird.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Gottwald.
Ist die Bundesregierung in der Lage, mal genauer zu charakterisieren, was ein positiver Impuls meint, auch angesichts dessen, daß bei den letzten Wahlen überhaupt keine oppositionellen Parteien zugelassen wurden? Und kann man davon ausgehen, daß die Bundesregierung, wenn sie so großen Wert auf positive Impulse oder Demokratisierungsprozesse legt, damit intendiert, eine noch engere Zusammenarbeit mit der Türkei anzufangen?
Möllemann, Staatsminister: Ich glaube, es hat keinen Sinn, zu versuchen, der Tatsache, daß diese Wahlen abgehalten wurden, und denen, die sich daran beteiligt haben, sowie dem Ergebnis auf die von Ihnen angeführte Art und Weise gerecht zu werden. Wir konstatieren zunächst einmal, daß die türkische Führung und das bisher herrschende türkische Militär das Wahlergebnis akzeptiert haben. Der Vorsitzende der NDP, General a. D. Sunalp, hat kurz nach den Wahlen eine Erklärung abgegeben. Dabei hat er folgendes festgestellt: „Die Nation hat so entschieden. In einer Demokratie kann und sollte niemand die Entscheidung der Nation überspielen." Der Präsident Evren hat erklärt: „Die Nation hat gewählt und sich für eine politische Partei ausgesprochen." Ich meine also, daß das eine Orientierung hin zu einem Prozeß der Demokratisierung ist. Ich habe allerdings auch bereits gesagt, daß die in der Frage Ihres Kollegen angesprochenen Eingriffe vor der Wahl in der Tat eine Beeinträchtigung der vollen Wahlfreiheit darstellen und daß wir diese Eingriffe bedauern.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.
Herr Staatsminister, war für die Bundesregierung die Höhe der Wahlbeteiligung und dann das Ergebnis überraschend?
Möllemann, Staatsminister: Ich glaube, daß es fast keinen gegeben hat, der über das Wahlergebnis nicht überrascht war. Aber ich tue mich da schwer, das als Bundesregierung zu bewerten. Ich persönlich war jedenfalls überrascht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jannsen.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2741
Herr Staatsminister, wie stellt sich die Bundesregierung zu der Tatsache, daß über eine Million Wähler, die an dem Verfassungsreferendum vom November 1982 nicht teilgenommen hatten, bei den Parlamentswahlen vom 6. November 1983 aus den Wählerlisten gestrichen wurden und gewissermaßen als Strafe nicht an der Wahl teilnehmen durften?
Möllemann, Staatsminister: Auch das gehört sicherlich in die Rubrik der Sachverhalte, die wir nicht billigen können.
Danke schön.
Die Fragen 46 und 47 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 48 des Abgeordneten Dr. Scheer:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die UdSSR ihre in der Öffentlichkeit angekündigten Vorschläge zur Reduzierung ihrer nuklearen Mittelstreckenwaffen in der Substanz auch am Genfer Verhandlungstisch gemacht hat?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, dies trifft nicht für alle sowjetischen Vorschläge zu. Generalsekretär Andropow hatte am 27. 8. 1983 in einem Interview mit der Prawda folgendes erklärt:
Im Falle der Erreichung einer gegenseitig annehmbaren Vereinbarung einschließlich des Verzichts der USA auf die Stationierung neuer Raketen in Europa würde die Sowjetunion beim Abbau ihrer Mittelstreckenraketen im europäischen Teil des Landes bis auf einen Stand, der der Anzahl der Raketen Großbritanniens und Frankreichs gleichkäme, alle abzubauenden Raketen liquidieren. In diesem Falle würde auch eine bedeutende Zahl der modernsten Raketen, die im Westen unter der Bezeichnung SS 20 bekannt sind, beseitigt werden.
Soweit das Zitat von Generalsekretär Andropow. — Er hatte damit den Eindruck erweckt, die Sowjetunion werde sämtliche europabezogenen Raketen bis auf 162 — ebenso viele, wie das Vereinigte Königreich und Frankreich besitzen — liquidieren.
Dies hat sich am Verhandlungstisch nicht bestätigt. In Genf erklärte die sowjetische Delegation zunächst, daß sich die Zusage der Verschrottung keineswegs auf Raketen, sondern nur auf SS-20-Startgeräte in Europa beziehe. Später korrigierte sie diese Aussage und erklärte, es werde auch je eine Rakete pro Startgerät vernichtet.
Die Sowjetunion hat sich jedoch weder zu einer Begrenzung der Gesamtmenge des europabezogenen sowjetischen Bestandes an Mittelstreckenraketen noch zu einer Begrenzung der Produktion dieser Raketen bereit erklärt. In Anbetracht der Mobilität der SS 20 und ihrer Nachladefähigkeit würde von einem unbegrenzten Bestand und einer weitergehenden Produktion dieser Raketen eine starke Bedrohung ausgehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatsminister, Sie bestätigen also, daß auf jeden Fall die Aussage nicht richtig wäre, keiner der Vorschläge, die im letzten halben Jahr gemacht worden sind, hätte den Genfer Verhandlungstisch erreicht.
Möllemann, Staatsminister: Ja. Eine solche Aussage kenne ich nicht. Sie würde auch nicht zutreffen.
Sie würde nicht zutreffen? Gut, dann habe ich eine weitere Zusatzfrage.
Bitte.
Könnte es sein, daß die Vorschläge vielleicht deshalb nicht am Verhandlungstisch detailliert worden sind, weil von der westlichen Verhandlungsseite die Struktur dieser Vorschläge bereits von vornherein als nicht akzeptabel bezeichnet wurde?
Möllemann, Staatsminister: Nein, das kann nicht sein, denn die westliche Seite hat prinzipiell in den Verhandlungen jeden einzelnen Vorschlag, wenn er am Verhandlungstisch unterbreitet wurde, sorgfältig analysiert und auch sorgfältig gewertet. Ich glaube, daß auch in der Sowjetunion bekannt ist, daß man solche Verhandlungen nicht über Presseerklärungen führt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatsminister, wenn Sie von der Sowjetunion vielleicht erwartet haben, daß ein Angebot der Liquidation, also der Verschrottung von Raketen und Startgeräten gemacht wird: Ist eigentlich seitens der Amerikaner mit dem Angebot, unter bestimmten Voraussetzungen keine Mittelstreckenraketen auf europäischem Boden aufzustellen, auch das Angebot verbunden gewesen, keine Pershing II und Cruise Missiles zu produzieren sowie Startgeräte zu verschrotten?
Möllemann, Staatsminister: Das ist damit nicht verbunden gewesen, konnte aber Gegenstand der Verhandlungen sein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.
Herr Staatsminister, da es — jedenfalls meiner Auffassung nach — unterschiedliche Aussagen einzelner Mitglieder des Bundeskabinetts zu diesem Thema gibt, hätte ich gern gewußt, ob diese Antwort, die Sie hier gegeben haben, in der Bundesregierung abgestimmt ist.
Möllemann, Staatsminister: Ja.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch Vorschläge, die beinhalten, sowohl Sprengköpfe als auch Startgeräte zu verschrotten, Teil des Verhandlungspa-
2742 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Dr. Klejdzinski
kets, das die Sowjetunion auf den Tisch gelegt hat, waren?
Möllemann, Staatsminister: Das gilt für einen Teil, j a.
Danke schön.
Dann rufe ich Frage 49 des Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Behauptungen einzelner Mitglieder der Bundesregierung entgegenzutreten, wonach die öffentlichen Abrüstungsangebote der UdSSR von den am Genfer INF-Verhandlungstisch unterbreiteten Vorschlägen in der Substanz abweichen und deswegen als bloße Propaganda zu bewerten seien?
Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, aus Ihrer Frage ist nicht ersichtlich, auf welche Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung sie sich bezieht.
Eine Äußerung des Inhalts, das sämtliche Abrüstungsangebote der UdSSR von den am Genfer INF-Verhandlungstisch unterbreiteten Vorschlägen in der Substanz abweichen, ist mir nicht bekannt. Wie in meiner Antwort auf Ihre erste Frage ausgeführt, ist aber jedenfalls die Differenz zwischen dem von Generalsekretär Andropow öffentlich bekanntgegebenen Angebot zur Liquidierung von Mittelstreckenraketen und der tatsächlichen Verhandlungsposition festzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Scheer.
Herr Staatsminister, Sie wären also bereit, dann, wenn wir Ihnen konkrete, zitierfähige Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung, die Ihren Aussagen entgegenstehen und die meine Frage rechtfertigen, vorhalten könnten, diesen Behauptungen entgegenzutreten?
Möllemann, Staatsminister: Ja. Das, was ich hier festgestellt habe, ist der Sachverhalt. Wenn es Außerungen gäbe, die dem widersprechen, wären sie nicht korrekt. Mir sind sie nicht bekannt, und deswegen brauche ich den Nachsatz eigentlich nicht auszusprechen, aber ich schließe nicht aus, daß auch Äußerungen von Mitgliedern der Bundesregierung gelegentlich nicht hundertprozentig den Sachverhalt treffen. Mir sind aber keine solchen Äußerungen bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Scheer.
Herr Staatsminister, wären Sie bereit, die Aussagen, die Sie hier in bezug auf meine Frage 48 — das hängt mit Frage 49 zusammen — gemacht haben, den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen mitzuteilen, damit sie nicht weiter die gegenteiligen Behauptungen bei öffentlichen Diskussionen verbreiten?
Möllemann, Staatsminister: Diese Veranstaltung hier dient ja der Mitteilung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Würtz.
Herr Staatsminister, ist Ihnen der Brief des Bundesministers der Verteidigung an mich bekannt, in dem ein paar Sätze enthalten sind, die der Aussage, die Sie hier machen, offensichtlich widersprechen?
Möllemann, Staatsminister: Nein, der Brief an Sie ist mir nicht bekannt.
— Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 50 des Abgeordneten Dr. Hüsch:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu den Behauptungen vor, daß kurz vor dem Gipfeltreffen der drei ostafrikanischen Präsidenten in Arusha politische Flüchtlinge, Opponenten und Exilierte gegenseitig überstellt worden seien?
Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Hüsch, der Bundesregierung liegen inzwischen zuverlässige Informationen vor, daß im Vorfeld des Arusha-Gipfeltreffens der drei ostafrikanischen Staatsoberhäupter zwischen Kenia und Tansania bilateral in zwei Aktionen, nämlich am 1. November am kenianischen Grenzort Namanga und am 14. November am kenianischen Grenzort Lunga, die Überstellung von Opponenten — Oppositionspolitikern —, politischen Flüchtlingen, Exilanten und auch Kriminellen erfolgte. Unter den 16 bisher von Tansania nach Kenia Ausgelieferten bzw. Überstellten befinden sich auch die beiden Luftwaffenunteroffiziere Ochuka und Okuhn, die den Putschversuch vom 1. August 1982 organisiert haben sollen, sowie drei ehemalige kenianische Parlamentsabgeordnete, die sich der Strafverfolgung wegen Betrugs durch Flucht nach Tansania entzogen hatten.
Von einer vergleichbaren Überstellungsaktion zwischen Uganda und Kenia, wo sich derzeit rund hundert ugandische politische Flüchtlinge befinden sollen, ist der Bundesregierung bisher nichts bekannt. Allerdings hat Kenia der ugandischen Regierung im Zuge der Annäherung zwischen beiden Staaten zugesagt, daß ugandische politische Flüchtlinge in Kenia nicht politische Aktionen oder bewaffnete Kampfmaßnahmen gegen die ugandische Regierung von Kenia aus betreiben dürfen.
Keine Zusatzfragen des Abgeordneten Dr. Hüsch.
Dann kommen wir zu seiner weiteren Frage, der Frage 51:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Behauptung, daß in den drei ostafrikanischen Ländern Kenia, Tansania und Uganda künftig kein Platz für Dissidenten sei, und welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung insbesondere auf den Zustrom neuer Asylanten in die Bundesrepublik Deutschland?
Möllemann, Staatsminister: In der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen Kenia und Tansania dadurch schwer belastet, daß beide Länder politischen Gegnern des Regimes im Nachbarland
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2743
Staatsminister Möllemann
freundliche Aufnahme gewährten. Dies traf vor allem für die Aufnahme nach Tansania geflohener kenianischer Luftwaffenputschisten zu sowie für die Aufnahme von Tansaniern, die den Putschversuch gegen Präsident Nyerere vom Januar 1983 organisiert hatten.
Es trifft offenbar zu, daß Kenia, Tansania und Uganda übereingekommen sind, zukünftig Dissidenten aus den jeweiligen Nachbarländern grundsätzlich keinen Aufenthalt mehr bieten zu wollen. Der Bundesregierung sind jedoch bisher keine konkreten Einzelheiten des Übereinkommens bekannt. Wenn auch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig abzusehen ist, ob sich auf Grund dieses Übereinkommens eine größere Flüchtlingsproblematik ergeben wird, so kann doch grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Bereitschaft der drei ostafrikanischen Staaten zu einer engeren Zusammenarbeit auf allen Gebieten zu einer Stabilisierung der Situation in dieser Region insgesamt führen wird, was vielleicht auch die Problematik der Dissidenten reduzieren kann. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß mit dem Treffen der drei Staatsoberhäupter in Arusha insgesamt ein entscheidender Schritt zur Wiederaufnahme der regionalen Zusammenarbeit dieser drei Länder getan worden ist, der unsere Unterstützung verdient.
Unabhängig von der Frage, ob sich aus dem Übereinkommen der drei Länder in der Behandlung von Dissidenten gegebenenfalls ein neues Flüchtlingsproblem stellen wird, ist mit einem Zustrom neuer Asylanten in die Bundesrepublik Deutschland schon deshalb nicht zu rechnen, weil Flüchtlinge aus diesen Ländern erfahrungsgemäß aus traditionellen Bindungen und sprachlichen Gründen eher in Großbritannien oder in anderen englischsprachigen Ländern um Asyl bitten würden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, würde es die Bundesregierung als eine Stabilisierung bewerten können, wenn das Recht auf Asyl, das j a auch von Angehörigen dieser drei Länder in der Bundesrepublik beansprucht wird, und zwar seit vielen Jahren, in diesen drei Ländern künftig keinen Respekt mehr fände?
Möllemann, Staatsminister: Nein, das ist ganz sicher nicht der Fall. Dazu haben wir unsere bekannte, dem entgegenstehende Auffassung. Meine Bemerkung hinsichtlich einer möglichen Stabilisierung bezog sich darauf, daß manches an inneren Unsicherheiten und damit auch an Reaktionen, die wir nicht gutheißen, darauf zurückgeführt werden kann, daß es das Spannungsverhältnis zwischen diesen drei Ländern gegeben hat. Ich glaube, es ist eine allgemeine Beobachtung, daß die innere Lage in Staaten, die in einem Spannungs- oder Kriegszustand zueinander sind, sehr häufig so ist, daß Rechte, die wir als sehr positiv würdigen, eingeengt werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hüsch.
Herr Staatsminister, sähe die Bundesregierung Anlaß zu einer in der gebotenen Form vorzutragenden Intervention, wenn sich die Entscheidungen im Vorfeld der Arusha-Konferenz nun doch — entgegen Ihrer Erwartung — als Pressionsmaßnahmen gegenüber legalen Oppositionen erweisen sollten?
Möllemann, Staatsminister: Wir haben zu diesen Ländern intakte Beziehungen und nutzen diese in geeigneter Weise, um unsere Auffassungen zu den von Ihnen angesprochenen Fragen deutlich zu machen und auf entsprechende Lösungen hinzuwirken.
Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Nachrichten liegen der Bundesregierung nach den jüngsten Entscheidungen der NATO hinsichtlich von Rückwirkungen aus dem sowjetisch-finnischen Freundschaftsvertrag vor , der vor einigen Wochen bis über das Jahr 2003 verlängert wurde und eine Konsultationsklausel im Zusammenhang mit einer angeblichen Bedrohung Finnlands seitens des Völkerrechtssubjekts Deutschland oder seiner Verbündeten enthält?
Herr Staatsminister, bitte.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Nachrichten nach den jüngsten Entscheidungen der NATO hinsichtlich von Rückwirkungen aus dem sowjetisch-finnischen Freundschaftsvertrag vor. Zur Kommentierung deutscher Pressemeldungen über hypothetische Fragestellungen in der finnischen Presse darüber, was die Sowjetunion verlangen könnte, sieht sich die Bundesregierung außerstande.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß es in Finnland selbst eine breite Debatte über diese Frage gibt, ob die Sowjetunion auf Grund des Freundschaftsvertrages Finnland zu zusätzlichen Verpflichtungen für sowjetische Hilfeleistung gegen die Bundesrepublik und die westlichen Verbündeten veranlassen oder fordern will, sich für Maßnahmen im Luftraum bereitzuhalten?
Möllemann, Staatsminister: Mir ist nur nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang möglicherweise solche Diskussionen zu jüngsten Entscheidungen der NATO stehen sollen. Das war Ihre Frage.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Da die Diskussion offensichtlich mit der Stationierung hier und bei Verbündeten zusammenhängt, frage ich zusätzlich: Trifft es zu, daß dieser bis zum Jahre 2003 verlängerte Vertrag bis dahin ausdrücklich nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch auf ganz Deutschland Bezug nimmt, und zwar wohl im Sinne des Viermächtestandpunktes, und was folgert die Bundesregierung bezüglich der sowjetischen Auffassung daraus, nämlich des bis 2003 festge-
2744 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Dr. Czaja
schriebenen Fortbestands Deutschlands, der auch zu Hilfeleistungen führen soll?
Möllemann, Staatsminister: Den ersten Teil der Frage beantworte ich mit Ja.
Ich möchte auf das verweisen, was der frühere Staatspräsident Kekkonen zu dieser Frage in seinem 1980 erschienen Buch „Gedanken eines Präsidenten, Finnlands Standort in der Welt" gesagt hat. Ich möchte das zitieren:
In der Öffentlichkeit ist auch darüber diskutiert worden, ob der Text des Vertrages erneuert werden sollte. Man hat die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, daß der Text sich immer noch auf ein „Gespenst der Vergangenheit" wie Deutschland bezieht. Diese Beziehung wird nicht für im Einklang mit der Gegenwart gehalten. Heute hat Finnland j a gute Beziehungen zu beiden deutschen Staaten, und die Verdienste der Bundesrepublik Deutschland beim Öffnen des Weges zur Entwicklung der Entspannung werden allgemein anerkannt.
Wichtig ist, daß der Hinweis auf Deutschland unter Bedingungen geprägt wurde, die wesentlich anders waren als heute. Wahr ist jedoch auch, daß man diesen Artikel des Vertrages heute nicht mehr buchstäblich verstehen kann. Aber gleichzeitig, wie man von dieser Seite zu analysieren beginnt, muß man die häufig wiederholt erwähnte Tatsache bedenken, daß der Vertrag eine Ganzheit darstellt. Da dies so ist, muß man — wenn man etwas wegnehmen will — schon wissen, was man an seine Stelle setzt. Die Tatsache, daß keine der beiden Seiten während der zurückliegenden 30 Jahre auch im geringsten an den Text des Vertrags hat rühren wollen, sondern daß er zweimal verlängert wurde, ohne auch nur einen Buchstaben oder ein Komma zu ändern, zeigt, daß Form und Inhalt des Vertrages früher wie heute den Sonderbedingungen Finnlands und der Sowjetunion sowie den Interessen beider Partner entsprochen haben und entsprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, wundert sich die Bundesregierung, daß man in anderen Staaten die These vom Fortbestand des Deutschen Reiches, wie sie hier an mancher Stelle vertreten wird, auch noch in irgendeiner Form zur Kenntnis nimmt?
Möllemann, Staatsminister: Nein.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministers des Auswärtigen. Danke, Herr Staatsminister Möllemann, für die Beantwortung der Fragen.
Zu den Fragen 53 des Abgeordneten Böhm und 54 des Abgeordneten Klose haben die Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Zu den Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Dr. Laufs sowie zu den Fragen 57 und 58 der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher wurde von den Fragestellern um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 59 des Abgeordneten Dr. Jannsen:
Welche Kriterien müssen Organisationen und/oder Initiativen erfüllen, um im Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern als DKP-beeinflußte Organisationen, unter der Rubrik „Volksfront-Politik" und darüber hinaus in der Rubrik „Orthodoxe Kommunisten" registriert zu werden, insbesondere unter Abwägung des Gesichtspunktes, daß in demselben Verfassungsschutzbericht rechtsradikale Organisationen wie die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit gestrichen werden soll oder über das Wirken anderer rechtsextremistischer Gruppen nur ein sehr lückenhafter Überblick gegeben wird?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Kriterien, die Ihnen die Bundesregierung darlegen soll, sind im Verfassungsschutzbericht 1982 im einzelnen aufgeführt. Daraus ergibt sich folgendes.
Erstens. Das wesentliche Merkmal der DKP-beeinflußten Organisationen besteht darin, daß entscheidende Funktionen vor allem in den Vorständen und Sekretariaten in den Händen kommunistischer und prokommunistischer Funktionäre liegen. Diese im Sprachgebrauch der DKP als „Bündnisoder Massenorganisationen" bezeichneten Vereinigungen geben sich nach außen meist unabhängig und demokratisch, werden in Wirklichkeit aber über ihre kommunistischen und prokommunistischen Funktionäre, die der DKP aus Tarnungsgründen häufig nicht offiziell beitreten, von der DKP erheblich beeinflußt und von ihr auch häufig materiell unterstützt.
Zweitens. „Volksfront-Politik" ist eine Form der von orthodoxen Kommunisten betriebenen Bündnispolitik. Entsprechend marxistisch-leninistischer Strategie und Taktik bemüht sich die DKP dort, wo es ihr nützlich erscheint, auch mit nichtkommunistischen Kräften zusammenzuarbeiten. Mit Hilfe solcher Bündnisse will sie zu einer „Massenbasis" und damit zu größerem politischen Einfluß gelangen. Innerhalb dieser Bündnispolitik bezeichnet die „Volksfront-Politik" das Bestreben der DKP, über die „Aktionseinheit der Arbeiterklasse" — d. h. nach ihrem Verständnis die Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und parteilosen Arbeitern — hinaus ein „breites antimonopolitisches Bündnis" unter Einbeziehung bürgerlicher Kreise bis hin zum mittleren Unternehmertum zu schaffen. Im Verfassungsschutzbericht sind somit als Zielobjekte oder Bündnispartner kommunistischer „Volksfront-Politik" nichtextremistischer Organisationen und Initiativen erwähnt.
Drittens. Als „Orthodoxe Kommunisten" werden diejenigen Organisationen bezeichnet, die sich dem
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Parl. Staatssekretär Spranger
politischen und ideologischen Führungsanspruch der „Kommunistischen Partei der Sowjetunion" unterordnen. Grundlage ihres politischen Wirkens ist der Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Erste Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, was „prokommunistisch" in diesem Zusammenhang bedeutet?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß meine Antwort unter Ziffer 3 das sehr deutlich gemacht hat.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Senator Grolle, daß es abwegig sei, immer dann willkürlich Indizien für eine Volksfront-Politik zu konstruieren, wenn Menschen unterschiedlicher Überzeugung im Rahmen der Friedensbewegung miteinander in Berührung kommen und unter diesen auch organisierte Kommunisten sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier keine Bewertungen über irgendwelche Zitate abzugeben, sondern die Meinung der Bundesregierung zu dem von Ihnen angesprochenen Fragenkomplex darzulegen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Gottwald.
Herr Staatssekretär, bezugnehmend auf Ihre Erläuterungen, was die DKP macht und was sie vertritt, möchte ich Sie gerne fragen, aus welchem Grunde eine Partei, die diese Ziele verfolgt, im Verfassungsschutzbericht der Bundesrepublik Deutschland auftaucht?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Nach § 3 des Verfassungsschutzgesetzes ist es Aufgabe der Behörden für Verfassungsschutz, Vereinigungen im Rechts- wie im Linksbereich zu beobachten, bei denen konkrete Anhaltspunkte vorhanden sind, daß von ihnen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgehen. Auch ist es kraft Gesetzes Aufgabe der Bundesregierung, über solche verfassungsfeindlichen Organisationen die Bürger unseres Landes zu informieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen über die Taktik der Volksfront haben Sie unter anderem die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften als Zielorganisationen benannt. Sind Ihnen Bestrebungen innerhalb dieser Volksfront-Taktik bekannt, auch Organisationen, die der CDU nahestehen, oder etwa die GRÜNEN als Zielgruppe für diese Volksfront-Taktik zu bezeichnen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich möchte hier nicht die ganze Bandbreite der Bemühungen der DKP im Rahmen der Fragestunde darlegen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen den Verfassungsschutzbericht des Jahres 1982 zu übersenden, in dem Sie den ganzen Bereich der Bemühungen der DKP nachlesen können.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, würden Sie den Verfassungsschutz darauf hinweisen, daß prokommunistische Aktivitäten möglicherweise durch agents provocateurs provoziert werden, die den Anschein existierender staatsmonopolkapitalistischer Bündnisse erwecken und die möglicherweise sogar bis in die Reihen der Bundesregierung hineinreichen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin bei der Qualität der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden sicher, daß alle denkbaren Überlegungen bei der Arbeit berücksichtigt werden.
Wir kommen zur Frage 60 des Abgeordneten Dr. Jannsen:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß der Kölner Kongreß der „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" von den Landesverbänden Hamburg und Nordrhein-Westfalen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veranstaltet worden ist, und wird daher im Verfassungsschutzbericht 1983 auch die GEW als Einflußorganisation kommunistischer Bündnispolitik bezeichnet?
Herr Staatssekretär, bitte.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die Presseberichte über den zweiten bundesweiten „Pädagogen-Friedenskongreß" am 10. und 11. September 1983 in Köln, zu dessen Veranstaltern neben den GEW-Landesverbänden Hamburg und Nordrhein-Westfalen im übrigen auch die Initiative „Kölner Lehrer für den Frieden" und „Pädagogen gegen den Rüstungswahnsinn" zählten, verfolgt. Sie hat dabei zur Kenntnis genommen, daß von den im Kongreßprogramm für die Arbeitsgruppen und Seminare namentlich angekündigten 187 Mitwirkenden nachweisbar mehr als ein Viertel als Funktionäre oder Mitglieder der „Deutschen Kommunistischen Partei" oder den von ihr beeinflußten Organisationen angehört. Die Bundesregierung sieht hierin eine Bestätigung der bereits im Verfassungsschutzbericht 1982 getroffenen Feststellung, wonach die DKP in ihrem Bemühen um „Aktionseinheit" mit Gewerkschaften in einzelnen Landesverbänden der GEW Erfolge erzielen konnte. Auch führende Gewerkschafter haben wiederholt vor linksextremistischen Unterwanderungsversuchen gewarnt. Der frühere GEW-Vorsitzende Erich Frister forderte mehrfach, unter anderem im „Vorwärts" vom 27. Februar 1975, der Wühlarbeit der Kommunisten in der GEW entgegenzutreten. Auch im Verfassungsschutzbericht 1983 wird über die Bestrebungen der DKP, in der GEW und deren
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Parl. Staatssekretär Spranger
Publikationen Einfluß zu gewinnen, informiert werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht, entsprechend diesen Aussagen auch den Senator Grolle und den ehemaligen Kultusminister Girgensohn in diesen Bericht aufzunehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Sie sollten hier nicht den Versuch unternehmen, demokratische Organisationen oder Demokraten in ein Bewertungsfeld einzubeziehen, das die Bundesregierung so nicht abgegrenzt hat. Es geht vielmehr darum, daß hier Bestrebungen verfassungsfeindlicher Organisationen gegenüber Demokraten und gegenüber demokratischen Personen der Öffentlichkeit dargelegt werden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Halten Sie alle, die an diesem Kongreß teilgenommen haben, für Nicht-Demokraten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, meine Antwort hat hier klar differenziert und deutlich gemacht, in welchem Ausmaß der Einfluß der DKP vorhanden war.
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt .
Herr Staatssekretär, nachdem Sie über diese „erschreckende Wühlarbeit" so ausführlich haben Auskunft geben können: Können Sie vielleicht auch noch Auskunft geben, wieviel Prozent dort kommunistisch gesteuert werden, wieviel Prozent kommunistisch geneigt waren und wieviel Rest-Demokraten sich auf solchen Kongressen befinden?
Spranger, Parl Staatssekretär: Sie sollten die Leistungskraft der Sicherheitsbehörden nicht überstrapazieren. Ich glaube, es ist ausreichend Informationsmaterial in dem Bereich zur Verfügung gestellt worden, damit jeder die Möglichkeit hat, die politische Zielsetzung und die Arbeit der DKP ernstzunehmen und sich entsprechend zu verhalten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Gottwald.
Herr Spranger, sind Sie in der Lage, eine klare Differenzierung zwischen „extrem" und „demokratisch" vorzunehmen?
— Als Vertreter der Bundesregierung, selbstverständlich.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist auf Grund der Gesetzeslage sehr wohl in der Lage, wie in der Vergangenheit auch zukünftig genau zu differenzieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Abschrekkungswirkung der Nennung einer solchen Organisation oder Veranstaltung im Verfassungsschutzbericht in dem gleichen Umfang nachläßt, wie die Bereitschaft, solche Nennungen auszudehnen, zunimmt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich nehme Ihre Meinung zur Kenntnis, ohne sie zu teilen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ich komme noch auf eine Bemerkung von vorhin zurück. Sie haben gemeint, die Sicherheitsbehörden seien nicht in der Lage, in bezug auf den Kölner Kongreß präzise zu zählen: Von wieviel Prozent Kommunisten an sprechen Sie denn bei solchen Veranstaltungen von einer kommunistischen Beeinflussung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Verhältnisse, soweit sie den Behörden bekannt sind, in meiner Antwort doch klar zur Kenntnis gegeben. Darüber hinaus weitere Informationen zu vermitteln ist nicht möglich, da Informationen über die bisher vermittelten Erkenntnisse hinaus nicht vorhanden sind.
Wir kommen zur Frage 61 der Abgeordneten Frau Nickels:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor, um die Initiative „Pädagogen gegen den Rüstungswahnsinn" als „fach- und berufsspezifisches Unterstützungsforum" für kommunistische Friedensaktivitäten zu deklarieren, und ist die Bundesregierung bereit, diese Behauptung im Verfassungsschutzbericht 1983 zu revidieren?
Herr Staatssekretär, bitte.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Im Verfassungsschutzbericht 1982 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Initiative „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" als eine der „berufsspezifischen" Unterstützergruppen für den „Krefelder Appell", der seinerseits „im Mittelpunkt kommunistischer ,Friedensaktitiväten"` stand, erwähnt. Auf die Beteiligung der DKP und vor allem der von ihr beeinflußten „Deutschen Friedens-Union" am Zustandekommen und an der Organisation des „Krefelder Appells" hat die Bundesregierung — auch in Antworten auf parlamentarische Anfragen — wiederholt hingewiesen.
In der Initiative „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" arbeiteten von Beginn an Kommunisten und Funktionäre DKP-beeinflußter Vereinigungen maßgeblich mit. Die Beteiligung von Linksextremisten an der organisatorischen und inhaltlichen Planung der Aktivitäten der Initiative „Pädagogen ge-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2747
Parl. Staatssekretär Spranger
gen Rüstungwahnsinn" zeigte sich besonders deutlich bei einer Sitzung am 9. Juli 1982 in Köln, auf der das Arbeitstreffen „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" vom 12. September 1982 in Dortmund vorbereitet wurde. Mindestens fünf der 13 Teilnehmer dieser Sitzung waren Kommunisten, wobei sich allerdings nur eine Teilnehmerin offen als DKP-Mitglied zu erkennen gab. Außerdem waren u. a. drei führende Funktionäre DKP-beeinflußter Organisationen anwesend. Die ser übermäßige kommunistische Einfluß auf den Kern der Initiative „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" und auf deren Aktivitäten war für die Erwähnung der Initiative im Verfassungsschutzbericht 1982 maßgeblich.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, mit welcher Absicht und mit welcher Legitimation — abgesehen von dem, was Sie gerade vorgetragen haben — sieht sich die Bundesregierung veranlaßt, diese beiden Gruppen „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" und „Künstler für den Frieden" in unmittelbarer Nähe des Mittelpunkts kommunistischer Friedensaktivitäten anzusiedeln, wie das im Verfassungsschutzbericht 1982 ja getan wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe vorhin versucht, darzulegen, daß die Bundesregierung kraft Gesetzes verpflichtet ist, derartige Aktivitäten der Öffentlichkeit vorzustellen.
Weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, vorhin sind Sie wiederholt nach Prozentzahlen gefragt worden: ab welchem Prozentsatz man von kommunistischer Unterwanderung sprechen könne. Ich habe gerade mitbekommen, daß Sie sehr genau gezählt haben, wieviel Kommunisten oder Nichtkommunisten auch bei kleineren Veranstaltungen waren. Meine Bitte ist jetzt, zu erfahren: Ab welchem Prozentsatz hat man ein Chance, im Verfassungsschutzbericht zu erscheinen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Da kann ich Ihnen leider keine exakten Grenzzahlen oder Prozentzahlen nennen, an denen man sich orientieren könnte.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Gottwald.
Herr Spranger, wie Sie vielleicht wissen, ist Frau Petra Kelly, heute Mitglied der GRÜNEN-Fraktion im Bundestag, Mitbegründerin des Krefelder Appells. Meine Frage an die Bundesregierung: Kann es nach Meinung der Bundesregierung sein, daß sich in den Reihen der GRÜNEN-Bundestagsfraktion heute ein U-Boot der DKP befindet, und ab wieviel Prozent müssen wir damit rechnen, daß wir als kommunistische Partei eingestuft werden? -
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Ihre Frage kann ich am besten mit einer Presseerklärung der GRÜNEN vom 5. April 1982 beantworten, die u. a. lautet:
Besonders auffällig ist die immer deutlicher zutage tretende Einflußnahme der DKP und ihrer Subsysteme, die es verhindern, daß es zu einer Loyalität der Friedensbewegung in Ost und West untereinander kommt.
Ich darf vielleicht auch noch das zitieren, was drei Bundesvorstandsmitglieder der GRÜNEN, u. a. Frau Kelly, vor kurzem erklärt haben:
Die Verhältnisse sind verkehrt. Während bei der Demonstration am 10. Oktober höchstens 5 bis 8 % zur DKP und ihrem Umfeld zu rechnen waren, wurde auf dem Aufruf ,Treffen am 16. März 1982' der Passus über Polen ,Wir fordern die Aufhebung des Kriegsrechts in Polen` in eine Sprache umgestaltet, die auch für Jaruzelski und Breschnew tragfähig ist.
Diese Veränderung des ursprünglichen Textes wurde mit 13 : 12 Stimmen beschlossen. Die 13. Stimme kam von einem Bundesvorstandsmitglied der DKP.
Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage 61 dargestellt, daß bei einem Treffen fünf Kommunisten waren, wovon sich einer zu erkennen gegeben habe: Wie haben Sie denn, bitte, die anderen vier herausgefunden?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne bereit, Ihnen hier nähere Auskünfte zugänglich zu machen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Voigt .
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht darin zu, daß Frau Kelly, trotz des Tatbestands der Unterzeichnung des Krefelder Appells, schon deshalb nicht als kommunistisch gesteuert bezeichnet werden kann, weil sie überhaupt nicht steuerbar ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, auf Grund welcher eigenen Erfahrungen Sie zu einer solchen Bewertung kommen.
Ich möchte hier keine Wertung in der einen oder anderen Richtung abgeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
In Übereinstimmung darin, daß es notwendig ist, daß wir uns schützen: An welcher Stelle des eindrucksvollen Schaubildes des In-
2748 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Peter
nenministeriums ist diese Kölner Veranstaltung einzuordnen, und an welcher Stelle wären die beiden GEW-Organisationen dort einzuordnen?
Spranger, Pari. Staatssekretär: Ich kann mich nicht erinnern, daß diese Thematik, die wir jetzt behandelt haben, in dem Schaubild auftaucht, was auch mit der umfangmäßigen Beschränktheit zusammenhängt, die die Vereinfachung der Darstellung erfordert hat.
Wir kommen zur Frage 62 der Abgeordneten Frau Nickels:
Hat die Bundesregierung zukünftig die Absicht, alle diejenigen Bürgerinitiativen in Zusammenhang mit angeblicher kommunistischer Volksfrontpolitik zu bringen, zu deren Veranstaltungen und Treffen die DKP oder die Zeitung „Unsere Zeit" aufrufen, wie dies die Methode des Kapitels 2.2 im Verfassungsschutzbericht 1982 nahelegt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das Kapitel „Aktionseinheit und Bündnispolitik" des Verfassungsschutzberichtes informiert die Öffentlichkeit über die Bemühungen der orthodoxen Kommunisten, mit nichtextremistischen Kräften zur Durchsetzung gemeinsamer Teilziele zusammenzuarbeiten. Aus dem Begriff „Bündnispolitik" geht unmißverständlich hervor, daß es sich bei den Zielgruppen dieser kommunistischen Politik, bei den gewünschten oder bereits gewonnenen „Bündnispartnern", in der Regel um Nichtextremisten handelt; Demokraten sind nicht davor gefeit, daß bei ihren Aktionen wie z. B. bei Gewerkschaftskundgebungen Extremisten mitlaufen. Es besteht aber ein Unterschied, ob sich Kommunisten mit ihrem Umfeld ungebeten an Aktionen von Demokraten „anhängen" oder ob sie beim Zustandekommen von Aktionsbündnissen maßgeblich mitwirken, die Vorbereitung und Durchführung von Aktionen, an denen sich auch Demokraten beteiligen, wesentlich mittragen, die dabei zu verfolgenden Ziele maßgeblich mitbestimmen und von Demokraten als „Partner" in Bündnissen und „Bewegungen" akzeptiert werden. Gerade diesen „Rückgang antikommunistischer Vorbehalte, namentlich in der Friedensbewegung", bewertet die DKP — darauf hat der Verfassungsschutzbericht 1982 ausdrücklich hingewiesen — als Erfolg ihrer Bündnispolitik.
Im übrigen legt das Kapitel 2.2 des Verfassungsschutzberichts 1982 die von Ihnen gezogene Schlußfolgerung nicht nahe. Vielmehr wird in diesem Abschnitt der Einfluß der DKP z. B. auf die „Friedensbewegung" sehr differenziert dargestellt. So heißt es beispielsweise zur Bonner Großdemonstration vom 10. Juni 1982, die DKP habe „maßgeblich auf die Formulierung des Demonstrationsaufrufes Einfluß" genommen. Diese Wertung deckt sich im übrigen mit den Zitaten, die ich vorhin anläßlich von Zusatzfragen hier schon darstellen konnte.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Nickels.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen will die Bundesregierung aus der Kritik des Hamburger Schulsenators Grolle ziehen, der in einem Schreiben an Bundesminister
Zimmermann die Einordnung der Initiativen „Künstler für den Frieden" und „Pädagogen gegen Rüstungswahnsinn" als Teil kommunistisch gesteuerter Volksfrontpolitik hart kritisiert hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wir sind bereit, jede Kritik zu überprüfen, sie einer angemessenen Wertung zu unterziehen und dann die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, hat der Verfassungsschutz auch den Auftrag, zu prüfen, ob sich die DKP nicht manchmal unter Umständen irrt, wenn sie etwas als Erfolg auf ihre Fahnen schreibt, obwohl es gar keiner ihrer Erfolge ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, worauf Sie jetzt konkret Bezug nehmen. Bloß habe ich weniger die Befürchtung, daß man die Ziele der DKP nicht ernst nimmt; vielmehr habe ich eher die Befürchtung, daß viele in diesem Lande die Ziele und die Strategie und die Hartnäckigkeit der DKP unterschätzen.
Wir kommen zur Frage 63 des Abgeordneten Kalisch:
Was ist der Bundesregierung über die Zielsetzung der von dem sogenannten „Koordinierungsausschuß" angekündigten „Nationalen Widerstandstage " im Dezember 1983 und Januar 1984 und über den linksextremistischen Einfluß auf diese Aktionen und die daran Beteiligten bekannt?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: In einer Presseerklärung vom 7. November 1983 informierte der bundesweite „Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung" über Ziele und Formen der für die nächste Zukunft geplanten Protestaktionen. Darin wird u. a. der Beschluß mitgeteilt, „den 12. Dezember 1983, den vierten Jahrestag des NATO-Doppelbeschlusses, als bundesweiten Widerstandstag gegen die Stationierung der neuen Atomwaffen zu erklären".
Weiterhin heißt es dort:
An diesem Tag wird das „Nein" zu den neuen Atomwaffen millionenfach durch vielfältige Aktionen, insbesondere Aktionen des zivilen Ungehorsams, überall in der Bundesrepublik erschallen. Ein weiterer bundesweiter Widerstandstag ist für den 30. Januar 1984, den Jahrestag der faschistischen Machtergreifung, vorgesehen ... Für den 12. Dezember werden an den Stationierungsorten Blockaden der Atomwaffenlager vorbereitet.
Der Vorschlag zu diesen bundesweiten „Widerstandstagen" war insbesondere von DKP-orientierten Gruppen in die Diskussion gebracht worden, so z. B. in einem Rundbrief und in einer weiteren Schrift des kommunistisch beeinflußten „Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" noch vor der sogenannten Aktionswoche im Oktober.
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Parl. Staatssekretär Spranger
Dort ist im Hinblick auf den 12. Dezember 1983 u. a. ausgeführt, daß es ein „vielfaches Gorleben" geben werde.
Seit der Aktionswoche im Oktober 1983 propagierten auch die Deutsche Kommunistische Partei und ihre Nebenorganisationen den 12. Dezember als bundesweiten „Widerstandstag". Zur „Vierten Aktionskonferenz der Friedensbewegung" am 5./6. November 1983 legte das KFAZ, soweit bekannt, den einzigen schriftlichen Aktionsvorschlag vor, der sowohl den 12. Dezember als auch den 30. Januar als „neue Höhepunkte" im Kampf gegen die NATO-Nachrüstung vorsah. Jochen Dietrich, Mitglied der DKP, Sekretär des Bundesvorstands des orthodoxkommunistischen MSB Spartakus und Vertreter der Vereinigten Deutschen Studentenschaften in der sechsköpfigen Geschäftsführung des „Koordinationsausschusses der Friedensbewegung", kündigte in einem Interview an, für den 12. Dezember würden an Hochschulen „Aktionen, Streiks, Blockaden und Institutsbesetzungen vorbereitet".
Zusatzfrage des Abgeordneten Kalisch.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß man insbesondere im Hinblick auf diejenigen, die es mit dem Frieden ernst meinen, diese Fakten mit viel breiterer Öffentlichkeitswirkung klarmachen müßte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist bemüht, die Bevölkerung nicht nur zu diesem Bereich, sondern umfassend über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Strategien insgesamt zu unterrichten. Wir werden auch zukünftig diese Aufgabe ernst nehmen.
Wir kommen zu einer Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie Kommunisten grundsätzlich die Fähigkeit absprechen, es mit dem Frieden ernst zu meinen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, die Entwicklung in den letzten Jahren auch im außenpolitischen Bereich hat gezeigt, daß die Kommunisten von einem etwas anderen Friedensbegriff ausgehen, als es Demokraten tun.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Jannsen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die von Ihnen erwähnte Veranstaltung Anfang November öffentlich war?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe in meiner Antwort nicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, nach der eindrucksvollen Darstellung der Gefahren, die auf uns zukommen, möchte ich Sie fragen: Wäre es dann nicht an der Zeit, eine Neuauflage Ihres Schaubilds vorzunehmen, damit die eben von Ihnen genannten Organisationen u. a. auch über die Personenidentität des VDS in diesem Schaubild Platz finden könnten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sagte vorhin, schon: Wir sind immer für Kritik zugänglich und immer um Verbesserungen der politischen Arbeit besorgt.
Wir kommen zur Frage 64 des Abgeordneten Kalisch:
Trifft es zu, daß die kommunistische SDAJ sich nicht ohne Erfolg um Einfluß auf einen sogenannten „Ersten bundesweiten Schülerkongreß" bemüht, der Mitte Dezember unter dem Motto „Schülerpower gegen Raketenbauer" in Köln stattfinden soll?
Herr Staatssekretär, bitte.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, aus einer Meldung des Zentralorgans der Deutschen Kommunistischen Partei „Unsere Zeit" vom 10. November 1983 und aus einer etwa eine Woche danach in Bonn verteilten Presseerklärung der Konferenz der Landesschülervertretungen ist bekannt, daß in der Zeit vom 16. bis 18. Dezember 1983 in Köln von der Konferenz der Landesschülervertretungen ein erster bundesweiter Schülerkongreß unter dem Motto „Schülerpower gegen Raketenbauer" veranstaltet werden soll. Auf dem Kongreß soll die Gründung einer Bundesschülervertretung diskutiert werden. Aus der DKP-Zeitung geht hervor, daß die SDAJ eine solche Gründung unterstützt. Die Presseerklärung der KdLSV ist von einer Claudia Walter unterzeichnet, die bereits im März dieses Jahres in den vom SDAJ-Sprachrohr „elan" herausgegebenen „Jugendpolitischen Blättern" eine Bundesschülervertretung gefordert hatte.
Hinweise für eine Zusammenarbeit der SDAJ mit der KdLSV gab es auch schon bisher. So war die KdLSV Gast des 7. SDAJ-Bundeskongresses im März 1982 in Düsseldorf. Dort erklärte ihr Vertreter in seinem Grußwort, die Schülerbewegung müsse zu einer stärkeren politischen Kraft werden. Dafür hoffe man auf die Unterstützung der SDAJ. Eine der weiblichen SDAJ-Delegierten auf diesem SDAJ-
Kongreß arbeitet heute hauptamtlich im Sekretariat der KdLSV mit.
Die SDAJ sitzt, wie im Bundesverfassungsschutzbericht 1982 ausgeführt, nach wie vor in Landesschülervertretungen, so auch nach wie vor in der Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen, deren Anschrift der KdLSV als Kontaktadresse zur Vorbereitung des bundesweiten Schülerkongresses dient. Welchen Stellenwert die SDAJ ihrer Schülerarbeit beimißt, wird nicht zuletzt durch ihren Aufruf zu den Schülervertretungswahlen für das Schuljahr 1983/84 unterstrichen. Die SDAJ forderte zur Wahl aktiver Schülervertretungen auf, „die gegen Druck, reaktionären Mief, gegen jedes Stück Rechtsruck an ihrer Schule vorgehen". Damit ver-
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Parl. Staatssekretär Spranger
band sie den Aufruf, in Schulklassen Unterschriften für den „Krefelder Appell" zu sammeln und im Rahmen der Widerstandswoche den Widerstandstag der Schulen am 20. Oktober für vielfältige Friedensaktivitäten zu nutzen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kalisch.
Herr Staatssekretär, liegt den Aktivitäten der SDAJ im Rahmen dieses Schülerkongresses eine Ideologie zugrunde, und, wenn ja, wie ist diese zu bewerten?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, ich habe vorhin schon darzulegen versucht, daß sich auch die SDAJ erprobter kommunistischer Methoden bedient. Die große Strategie ist die Bündnispolitik und die Aktionseinheit. Im Verfassungsschutzbericht 1982 wie auch bei den Antworten auf viele hier im Bundestag gestellte Fragen ist schon deutlich geworden, welche nicht unbeträchtlichen Erfolge die DKP und ihre Nebenorganisationen mit dieser Strategie der Aktionseinheiten und Bündnispolitik in weiten Teilen unseres Landes erzielt haben.
Dann kommen wir zu einer Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Bemerkungen als eine Aufforderung an die Anhänger Franz Alts in der Schüler-Union verstehen, das Feld der SDAJ wegzunehmen und sich selber aktiv um das zu kümmern, worum sich jene bisher leider zu stark kümmerte?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, ich bedauere, daß Sie den Namen von Franz Alt erneut in der Fragestunde erwähnt, aber wiederum in einen falschen Zusammenhang gebracht haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, damit die Schüler in Köln sich schon darauf einstellen können: Wird die Bundesregierung ihre noch sehr lükkenhaften Erkenntnisse über den Einfluß der SDAJ auf die bundesweite Schülerbewegung nun dadurch erweitern, daß sie beim „Ersten bundesweiten Schülerkongreß" durch die entsprechende Zahl von Beamten des Verfassungsschutzes vertreten sein wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß die Erkenntnisse, die Sie als lückenhaft bezeichnen, nicht derartig lückenhaft sind, daß eine Beurteilung der Arbeit der SDAJ auch in diesem Bereich nicht bereits schon jetzt möglich wäre.
Wir kommen zur Frage 65 des Abgeordneten Müller :
Welche Auswirkungen ergeben sich aus dem langanhaltenden Niedrigwasserstand des Rheins auf die Trinkwasserversorgung der Anliegergemeinden, und wie steht die Bundesregierung zu der Forderung der Anliegergemeinden für Rheinwasserwerke, einen Notplan für Niedrigwasserführung des Rheins zu erstellen?
Herr Staatssekretär!
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, der Niedrigwasserstand des Rheins in den vergangenen Wochen hat zu keiner Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung der Anliegergemeinden geführt, da er mit hohen Grundwasserständen zusammenfiel. Diese sind insbesondere eine Folge der beiden Rheinhochwasser im Frühjahr dieses Jahres. Der Anteil des Grundwassers gegenüber dem Rheinuferfiltrat am geförderten Rohwasser war deshalb besonders hoch, so daß sich erhöhte Schadstoffkonzentrationen des Rheins nicht auf die Trinkwasserversorgung auswirkten. Eine Forderung der Arbeitsgemeinschaft nach Erstellung eines Notplans für Niedrigwasserführung des Rheins liegt nicht vor. Eine Notwendigkeit hierfür ist auch seitens der Bundesregierung zur Zeit nicht erkennbar.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Sind dann die Forderungen, die der Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft der Rheinwasserwerke aufgestellt hat, falsch?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Nachsicht, daß mir die Forderung des Pressesprechers dieser Arbeitsgemeinschaft nicht bekannt sind; sie sind auch in Ihrer Frage nicht angesprochen. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir diese Forderung zugänglich machten, damit wir sie einer weiteren Bewertung unterziehen können.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Glauben Sie nicht, daß sich entsprechend der Aussage der Rheinwasserwerke gerade bei Niedrigwasserstand ein additiver Effekt bei Schadstoffen ergibt und dies erhebliche Auswirkungen auch auf das Trinkwasser, das über das Uferfiltrat gewonnen wird, hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, ich kann hier nur wiederholen, was die Sachverständigen unseres Hauses auf Grund der Situation dargelegt haben; sie kommen zu dem Ergebnis, daß es sich bisher nicht negativ auf die Trinkwasserversorgung ausgewirkt hat.
Wir kommen zur Frage 66 des Herrn Abgeordneten Müller :
Wie hoch ist bei dem Niedrigwasserstand des Rheins die Entwicklung der Schadstoffbelastung, insbesondere der Salzbelastung, und welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Nutzung des Rheinwassers und des Uferfiltrats?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller, die Schadstoffkonzentrationen des Rheinwas-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2751
Parl. Staatssekretär Spranger
sers sind infolge des Niedrigwasserstandes und damit der geringeren Wasserführung zum Teil deutlich angestiegen. Dies gilt insbesondere für die Salzbelastung. Wie ich in meiner Antwort auf Ihre erste Frage bereits dargelegt habe, ergeben sich dadurch für die derzeitige Nutzung des Rheinwassers und des Uferfiltrats keine für die Gesundheit der Bevölkerung nachteiligen Auswirkungen bei den Anliegergemeinden am Rhein.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann den Widerspruch zu der Aussage der Bundesregierung bei der Beantwortung der Drucksache 10/679 erklären, wo Sie gerade gesagt haben, die Schadstoffbelastung ist nur bei Hochwasserführung da, nicht aber bei Niedrigwasserführung?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich bin jetzt nicht in der Lage den von Ihnen behaupteten Widerspruch nachzuprüfen; aber ich werde es gerne tun und Ihnen dann auch eine Antwort zukommen lassen.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Hier meine zweite Zusatzfrage, die nach der bisherigen Antwort auf meine Fragen nahezu zwingend ist: Glauben Sie ernsthaft, daß Sie mit dieser zentralen Frage der Trinkwasserversorgung der Menschen in der Art und Weise umgehen können, wie Sie das hier mit Informationen über das Lebensgut Wasser betreiben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Unterstellung in Ihrer Frage nicht. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie aus umwelt- und gesundheitspolitischen Gründen Verantwortung trägt, diese Verantwortung ernst nimmt und bei ihren politischen Entscheidungen auch berücksichtigt.
Zu den Fragen 67, 68, 69 und 70 haben die Fragesteller schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 71 und 72 sind zurückgezogen worden.
Wir kommen zu Frage 73 des Herrn Abgeordneten Schmidbauer:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, daß bereits vor dem von ihr vorgesehenen Termin 1. Januar 1986 mit Katalysatoren ausgerüstete Fahrzeuge auf dem deutschen Markt angeboten werden können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmidbauer, die Vorstandsvorsitzenden der deutschen Automobilindustrie haben dem Bundesminister des Innern in einem Gespräch am 10. November 1983 zugesagt, daß die für den Export produzierten umweltfreundlichen Modelle schon vor 1986 auch auf dem deutschen Markt angeboten werden sollen, sobald bleifreies Benzin in ausreichenden Mengen und regionaler Verteilung verfügbar ist. Der Bundesminister des Innern wird hierzu in Kürze Gespräche mit der Mineralölwirtschaft aufnehmen, sobald das von den beteiligten Wirtschaftsverbänden zugesagte Konzept für die Einführung bleifreien Benzins vorliegt.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß es im Sinne einer Anreizstrategie, um den Altwagenbestand möglichst rasch zu reduzieren, während dieser Übergangszeit steuerliche Anreize geben wird?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Frage steuerlicher Anreize ist eine sehr wichtige Problematik, die natürlich innerhalb der Bundesregierung diskutiert wird. Es gibt eine Reihe von Argumenten, die für eine solche Lösung sprechen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Argumente, die Bedenken erwecken. Man wird das in den nächsten Wochen und Monaten reiflich abzuwägen haben und dann zu Entscheidungen kommen, die einen möglichst schnellen Umstellungsprozeß fördern.
Weitere Zusatzfragen? — Keine.
Wir kommen zu der weiteren Frage des Abgeordneten Schmidbauer, der Frage 74:
Wie gedenkt der Bundesminister des Innern, eine Vorreiterrolle bei Beschaffung und Einsatz umweltfreundlicher Kraftfahrzeuge durch die öffentliche Hand wahrzunehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Wie von seiten des Bundesinnenministeriums bereits wiederholt öffentlich geäußert worden ist, spielt die gezielte Nachfrage der öffentlichen Hand nach umweltfreundlichen Produkten für die Durchsetzung des Umweltschutzes eine wichtige Rolle. Das gilt auch für die Einführung von bleifreiem Benzin und von Kraftfahrzeugen, die die ab 1986 vorgesehenen Abgasgrenzwerte einhalten. Dabei kommt es darauf an, bereits vor dem Termin 1986 das Angebot von Kraftfahrzeugen mit Abgaskatalysatoren zu forcieren und Voraussetzungen für den frühzeitigen Ausbau eines Netzes von Tankstellen mit „Bleifrei"-Zapfsäulen zu schaffen.
Der Bundesminister des Innern hat daher angeordnet, daß bei allen Dienststellen in seinem Geschäftsbereich — selbstverständlich auch im Ministerium selbst — bei der Beschaffung von Personenkraftwagen umweltfreundlichen Kraftfahrzeugen, d. h. insbesondere solchen mit Katalysator, aber auch Dieselfahrzeugen, der Vorzug gegeben wird. Außerdem soll auch von Kraftfahrzeugen ohne Katalysator die Möglichkeit des bleifrei-Betriebs voll genutzt werden.
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Parl. Staatssekretär Spranger
Der Bundesminister des Innern geht davon aus, daß andere Bundesressorts seinem Beispiel folgen werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, da nach der Vorreiterrolle des Innenministers gefragt worden war: Haben Sie nicht daran gedacht, Ihren Minister zu Pferd seinen Dienstwagen ziehen zu lassen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihre Frage akustisch nicht verstanden.
Das wird wohl auch mehr scherzhaft gemeint gewesen sein. Das muß nicht beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 75 des Abgeordneten Seesing:
Hat die Bundesregierung Möglichkeiten, das Umweltbewußtsein zu fördern, insbesondere durch eine verstärkte Einführung von Umweltthemen in den Schulunterricht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Die Einführung von Umweltthemen in den Schulunterricht ist Ländersache. Die Bundesregierung unterstützt die Länder dabei nach Kräften, etwa bei der Verbesserung der Lehrpläne in den Schulen, der inhaltlichen Vertiefung des Umweltunterrichts in den verschiedenen besonders geeigneten Fächern von der Grundschule bis zur Universität, der fachlichen Unterstützung von Schulbuchverlagen und Autoren bei der Verbesserung vorhandener oder bei der Entwicklung neuer Schulbücher, der Unterstützung der zuständigen Länderbehörden bei der Lehrerfortbildung, der Überarbeitung von Ausbildungsordnungen für Berufe mit besonderem Umweltbezug.
Die sachgerechte Information und die Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen wird vom Bundesinnenministerium zusammen mit dem Umweltbundesamt durch gezielte Verteilung von Informationsmaterial, Ausstellungen, Mitwirkung an Veranstaltungen, Vorträgen usw. nachdrücklich gefördert. Entsprechend groß ist die Nachfrage von Schulen, Lehrern und Schülern nach unseren Materialien. Außerdem unterstützt das Bundesinnenministerium die Deutsche Umwelt-Aktion, die mit Billigung der Landeskultusbehörden sogenannte unterrichtsbegleitende Umweltschutzstunden durchführt.
Keine Zusatzfrage.
Sie haben eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Seesing, die Frage 76:
Welche Möglichkeiten bestehen für die Öffentlichkeit, das Informations- und Dokumentationssystem Umwelt des Umweltbundesamtes zu benutzen?
Ich bitte um Beantwortung.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Seesing, die Umweltforschungs- und Literaturdokumentation von UMPLIS kann vom Bürger in folgender Weise benutzt werden:
Erstens. In der Bibliothek des Umweltbundesamtes stehen die Abschlußberichte der vom Bundesinnenminister finanzierten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Verfügung. Dort ist ferner ein Großteil der Umweltliteratur als Original oder als Mikrofiche vorhanden. Die Benutzung der Bibliothek ist unentgeltlich und jedermann zugänglich.
Zweitens. In regelmäßigen Abständen erfolgen aus den Datenbanken Veröffentlichungen, die über den Buchhandel erworben werden können. Weite Verbreitung haben der alle zwei Jahre erscheinende Umweltforschungskatalog und die Hefte des Literaturdienstes Umwelt gefunden.
Drittens. Zu Beginn des Jahres 1984 werden die Forschungs- und Literaturdokumentation im Selbstwähldienst den Benutzern unmittelbar zur Verfügung stehen. Der Selbstwähldienst wird über einen Host-Rechner zu marktüblichen Bedingungen abgewickelt und steht allen Interessenten offen. Wer über ein EDV-Datensichtgerät verfügt, kann über das öffentliche Fernsprechnetz mit dem Host-Rechner verbunden werden und jederzeit in den UMPLIS-Datenbanken recherchieren.
Auch zufrieden? —
Die Frage 77 des Abgeordneten Steger und die Frage 78 der Abgeordneten Frau Odendahl sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Schneider auf:
Welche konkreten Auswirkungen hat die politische Beurteilung der Wahlen in der Türkei vom 6. November 1983 auf die künftige Auslieferungspraxis der Bundesregierung?
Ich bitte um Beantwortung.
Herr Kollege Schneider, zur allgemeinen Bewertung der Parlamentswahlen vom 6. November 1983 in der Türkei und deren Auswirkungen auf die politische Situation in diesem Staat darf ich auf die Ausführungen des Vertreters des Auswärtigen Amts zu der Frage Nr. 45 Bezug nehmen. Nach den Ihnen gegebenen Antworten und Feststellungen besteht für die Bundesregierung keine Veranlassung, die Auslieferungspraxis im Verhältnis zur Türkei im Hinblick auf die durchgeführten Wahlen grundsätzlich zu ändern. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft — wie schon bisher — in jedem Einzelfall über die Bewilligung der Auslieferung unter Berücksichtigung aller hierfür erheblichen Umstände entscheiden.
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Keine weiteren Zusatzfragen. Dann sind wir auch schon am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Justiz. Denn zu den Fragen 80 und 81 ist vom Abgeordneten Dr. Kübler schriftliche Beantwortung erbeten worden. Die Antworten werden als Anlage beigefügt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Hierfür steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß das Bundesbauministerium mehrfach darauf hingewiesen hat, daß das Auslaufen des Heizenergiesparprogramms nur die Besitzer selbstgenutzten Wohneigentums trifft, während Besitzer vermieteten Wohnraumes die Kosten von Modernisierungs- und heizenergiesparenden Maßnahmen größtenteils als Erhaltungsaufwand steuerlich geltend machen können?
Herr Kollege Dr. Sperling, wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich beide Fragen zusammen.
Dann rufe ich auch die Frage 83 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die damit verbundene Benachteiligung selbstgenutzten Wohneigentums, und wann wird sie Vorschläge zur Beseitigung dieser Benachteiligung vorlegen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Subventionen abzubauen und die vorhandenen knappen Mittel möglichst wirkungsvoll einzusetzen. Hiervon betroffen ist auch das Heizenergiesparprogramm, das sich aus einer unmittelbaren und einer steuerlichen Förderung zusammensetzte. Das Auslaufen der unmittelbaren Förderung betrifft selbstnutzende Wohneigentümer und Eigentümer vermieteten Wohnraums gleichermaßen. Im steuerlichen Bereich sind hiervon in erster Linie Modernisierungs- und Wärmeschutzmaßnahmen nach § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung betroffen. Das Auslaufen dieser Maßnahmen hat noch die vorangegangene Bundesregierung beschlossen. Auf Grund der Beschlüsse der jetzigen Bundesregierung bleiben jedoch aus energiepolitischen Gesichtspunkten solche Heizungstechnologien begünstigt, deren Einsatz noch nicht wirtschaftlich erscheint.
Von dem teilweisen Auslaufen der Förderung nach § 82a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung werden, worauf auch Bundesminister Dr. Schneider wiederholt hingewiesen hat, vorwiegend selbstnutzende Wohneigentümer berührt. Durch Maßnahmen zur Modernisierung oder zum Wärmeschutz eines Gebäudes wird regelmäßig nichts Neues geschaffen, sondern nur Vorhandenes ersetzt oder verbessert. Diese Aufwendungen sind deshalb regelmäßig — im Rechtssinn — als Erhaltungsaufwand zu behandeln. Erhaltungsaufwand kann bei Gebäuden, bei denen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln
sind, sofort als Werbungskosten abgezogen werden. Ist dagegen, wie im Fall eines selbstgenutzten Einfamilienhauses, der zu versteuernde Nutzungswert nach § 21 a des Einkommensteuergesetzes pauschal zu ermitteln, sind sowohl der als Einnahmen anzusetzende Mietwert als auch alle Erhaltungsaufwendungen und Absetzungen für Abnutzung mit dem pauschalierten Wert abgegolten.
Bei der von der Bundesregierung beabsichtigten Neuregelung der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums werden alle damit zusammenhängenden Fragen geprüft werden.
Eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, da diese Antwort, daß etwas geprüft wird, so etwas wie eine Dauerbekanntschaft von mir ist, würde ich gern wissen, ob die Bundesregierung mit dem Prüfen schon ein Stück weit vorangekommen ist, seit sie sagt, daß geprüft wird.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir machen das sehr gründlich und haben vom ersten Tag an gesagt, daß wir im ersten Halbjahr des nächsten Jahres hoffen, daß die Entscheidungen vorgelegt werden können.
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, daß Sie vom ersten Halbjahr nächsten Jahres an hoffen, daß etwas vorgelegt wird. Wann wird es dann vorgelegt, das heißt, wann rechnen Sie damit, daß im ersten Halbjahr nächsten Jahres keimende Hoffnung noch ihre Rechtfertigung durch Nachlieferung von Ergebnissen erfährt.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, Sie haben sicher gesehen: Im letzten Jahr ist alles das, was der Bundesfinanzminister angekündigt hat, nachher besser eingetroffen, als wir es selbst gesagt haben. Wir sind immer sehr vorsichtig bei Ankündigungen. Lieber nachher besser, als man es ankündigt.
Herr Staatssekretär, wenn Sie in diesem Ausmaß auf Zufälle vertrauen, glauben Sie, daß der Zufall Ihnen treu bleiben wird auf der glücklichen Seite?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir haben bisher sehr gute Bilanzen. Wir haben die Absicht, sie weiterzuführen.
Das war die dritte Frage. Jetzt kommt die vierte und letzte Zusatzfrage von Herrn Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, gibt es irgendeinen Grund, anzunehmen, daß die Prüfungen, die Sie da vornehmen und auf die Sie hoffen, für die selbstnutzenden Wohneigentümer mit geringem Einkommen die Chance bieten werden, genauso ge-
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Dr. Sperling
stellt zu werden wie jene vermietenden Eigentümer, die über große Einkommen verfügen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, Sie wissen genau, das ist die große Frage: Soll man zu dem einen oder zu dem anderen Modell greifen, zum Privatgut- oder Konsumgutmodell oder zum Investitionsmodell? Das hat natürlich Folgen bei den Abschreibungen.
Aber Sie wissen auch, daß heute die pauschalierte Besteuerung bei selbstgenutzten Einfamilienhäusern nach § 21 a des Einkommensteuergesetzes sehr günstig ist. Die Betreffenden sind nicht etwa benachteiligt. Die Regelung ist günstig, denn die 1,4 % vom Einheitswert sind ein sehr niedriger Betrag.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müntefering.
Herr Staatssekretär, wie hoch waren bisher die Steuermindereinnahmen des Staates nach dem Heizenergiesparprogramm, und wie hoch veranschlagen Sie die jetzt — nach der neuen minimalen Regelung — noch entstehenden Steuermindereinnahmen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin im Moment überfragt. Das steht in der Drucksache, die wir nächste Woche behandeln. Bei dem Gesetz, das wir machen, ist das angeführt. Ich kann Ihnen die Antwort gern schriftlich zukommen lassen, aber Sie können vielleicht in der Drucksache zum Steuerentlastungsgesetz nachschauen. Da ist das genau aufgeführt.
Ich rufe Frage 84 des Abgeordneten Uldall auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Beteiligung von bundeseigenen Unternehmen an anderen Unternehmen im Ausland?
Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall, Ihre erste Frage darf ich so beantworten: Die Unternehmen mit Bundesbeteiligung waren von ihrem ursprünglichen öffentlichen Auftrag her inlandsbezogen. Soweit sie inzwischen im Wettbewerb mit anderen in- und ausländischen Unternehmen stehen, ist es je nach Branche erforderlich, daß sie Bezüge, Produktion und Absatz international verteilen. Dazu kann im Einzelfall auch eine Beteiligung an einem Unternehmen im Ausland zweckmäßig sein. Dabei sind sowohl günstige als auch ungünstige Erfahrungen festzustellen, wie das auch für Unternehmen der Privatwirtschaft — auch auf dem amerikanischen Markt — gilt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Uldall.
Herr Staatssekretär, wenn es sich um Einzelfälle handeln soll: Gibt es dann Richtlinien oder Anweisungen von seiten der Bundesregierung an die bundeseigenen Unternehmen, bei Erwerb von Beteiligungen im Ausland besonders restriktiv und vorsichtig zu sein? Wenn nein:
beabsichtigt die Bundesregierung, solche Anweisungen zu erlassen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wir alle kämpfen gegen Bürokratie. Wir können nicht alles mit Richtlinien erfassen. Wir wollen, daß die bundeseigenen Unternehmen möglichst unternehmensbezogen die richtigen Entscheidungen treffen. Dies mit allgemeinen Richtlinien einfangen zu wollen, wäre sicher nicht richtig.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in Fällen, in denen bundeseigene Unternehmen im Ausland produzieren und ihre Güter in Konkurrenz zu deutschen Unternehmen unter Marktpreis anbieten, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Sollte ein solcher Fall vorliegen, wird es die Aufgabe geben, das auch einmal im Aufsichtsrat des Unternehmens zur Sprache zu bringen und mit dem Vorstand in ein Gespräch darüber, was man ändern muß, einzutreten, weil so etwas nicht im Sinne unserer Wettbewerbspolitik sein kann.
Ich rufe Frage 85 des Abgeordneten Uldall auf:
Welche Auswirkungen haben die jetzt in der Presse gemeldeten Verluste eines bundeseigenen Unternehmens in den USA auf den Bundeshaushalt?
Herr Staatssekretär!
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Uldall, die in der Presse gemeldeten Verluste einer Tochtergesellschaft der nach wie vor mit Gewinn arbeitenden SKW Trostberg AG in den USA haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Die nach anfänglichen Gewinnen in den Jahren 1981 bis 1983 durch die weltweite Stahlkrise entstandenen Verluste von rund 100 Millionen DM sind durch Rückstellungen der Muttergesellschaft nach dem Auslandsinvestitionsgesetz aufgefangen worden. Auf Grund der eingeleiteten Rationalisierungsmaßnahmen und einer günstigeren konjunkturellen Entwicklung bestehen begründete Aussichten, bereits 1984 die Verlustzone wieder zu verlassen.
Die Dividendenpolitik der Konzernobergesellschaft, Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG , ist dadurch nicht berührt worden. Sie, die — wenn Sie so wollen — Großmutter dieses amerikanischen Unternehmens, wird für 1983 Dividende ausschütten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Uldall.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht darin zu, daß, je höher der Gewinn auch einer Enkeltochtergesellschaft ist, desto höher auch der Gewinn der unmittelbaren Bundesbeteiligung sein wird, so daß die Abführungen dieser Ge-
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Uldall
sellschaft und damit die Entlastungen des Haushalts größer sein werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja. Bloß machen solche Konzerne, die verflochten sind — hier handelt es sich j a um drei Stockwerke: Großmutter, Mutter und Tochter —, auch Rückstellungen. Sie denken auch in längeren Zeiträumen, so daß natürlich oft Ausgleiche stattfinden, ohne daß es in einem Jahr eine unmittelbare Auswirkung gibt. Natürlich kann man, wenn Verluste auftreten, mittelbare Auswirkungen nicht ausschließen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen. Herr Staatssekretär, ich danke für die Beantwortung der Fragen.
Bestätigt die Bundesregierung verbindlich, daß mit den Beschlüssen des Aufsichtsrates der Ruhrkohle AG vom Buß-
und Bettag am 16. November 1983 eine neue „Auffanglinie" für die Bergbauförderung erreicht und dadurch der Absatz mittel- und langfristig stabilisiert wird?
Herr Kollege, das vom Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG gebilligte Konzept sieht eine schrittweise Verminderung der Förderkapazität um 7 Millionen t und einen Abbau des Personalbestands bis 1988 um 14 000 Mitarbeiter vor. Dadurch soll in Anpassung an den Nachfrageeinbruch im Bereich der Stahlindustrie die Kapazität auf 55 Millionen t zurückgeführt werden. Damit konkretisiert die Ruhrkohle AG den Kapazitätsabbau, der bei der Kohlerunde am 10. Oktober 1983 als aus heutiger Sicht unvermeidbar angesehen worden ist.
Gleichwohl ist der künftige Absatz deutscher Steinkohle mittelfristig nicht frei von Risiken, z. B. im Bereich der Stahlindustrie sowie im Bereich der subventionierten Exporte, die kein Beitrag zur Sicherung der heimischen Energieversorgung sind und für die daher längerfristig keine öffentlichen Mittel mehr zur Verfügung stehen. Insofern ist die Bundesregierung nicht in der Lage, dem Bergbau eine umfassende Absatz- und Fördergarantie zu geben.
Die Bundesregierung hat aber in der Kohlerunde die Bedeutung der heimischen Steinkohle für die Sicherheit der Energieversorgung des deutschen Marktes erneut bestätigt. Sie hält daher an dem bewährten kohlepolitischen Instrumentarium fest, insbesondere an der Verwirklichung des Jahrhundertvertrags, der Fortsetzung des Kokskohlesystems, der Beibehaltung des Schutzes der Absatzposition der deutschen Kohle im Wärmemarkt. Damit soll auch langfristig der energiepolitisch erforderliche Beitrag der deutschen Steinkohle zur heimischen Energieversorgung gesichert werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, da es bei der angesprochenen Problematik nicht nur um die Sicherung der heimischen Energieversorgung, sondern auch um die Sicherung bergmännischer Arbeitsplätze geht, was hoffentlich auch von Ihrem Hause gesehen wird, frage ich Sie: Bedeutet das, daß sich der Bergbau und die Bergleute schon heute darauf einstellen müssen, daß nach Ihrem Willen demnächst weitere Kapazitäts-
und Fördereinschränkungen anstehen, wenn Sie den Kokskohleexport nicht mehr fördern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das dürfen Sie aus meiner Antwort nicht herauslesen. Ich habe auf das Konzept der Ruhrkohle AG verwiesen, also auf das Konzept der für den Absatz und für die Politik des Unternehmens zuständigen Unternehmenseinheit. Ich habe allerdings auch darauf aufmerksam gemacht, daß die Sicherung der heimischen Energieversorgung die Grundlage für die außerordentlich umfangreichen staatlichen Hilfen ist, die wir in diesem Bereich seit sehr langer Zeit zahlen. Ich habe darauf hingewiesen, daß an diesem Instrument unverändert festgehalten wird.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, sind Sie, da es sich bei dieser Problematik ja auch um eine Angelegenheit des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl in Europa handelt, nicht mit mir der Auffassung, daß Exporte in die Länder der Gemeinschaft genauso unter dem Aspekt der Sicherung, in diesem Fall nicht der deutschen, sondern der europäischen Energieversorgung zu sehen sind? Und sind Sie bereit zuzusagen, daß sich der Bergbau nicht auf weitere Kapazitäts-
und Arbeitsplatzvernichtungen einstellen muß, vor allem, wenn man berücksichtigt, daß der badenwürttembergische Ministerpräsident Späth jetzt noch die abenteuerliche Absicht hat, den Pfeiler Kohleverstromung durch Importe von Kernenergiestrom aus Frankreich zu gefährden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder hat erst vor wenigen Tagen den Standpunkt der Bundesregierung bekräftigt, daß wir am Jahrhundertvertrag festhalten. Ich halte das für eine sehr bemerkenswerte Entscheidung der Länder, die hier getroffen worden ist.
Wir kommen zur letzten in dieser Fragestunde beantwortbaren Frage, zur Frage 87 des Abgeordneten Wolfram:
Was gedenkt die Bundesregierung nach der verantwortungsbewußten Demonstration der Betriebsräte und Mitarbeiter der Firma Klöckner-Becorit am 11. November 1983 in Bonn zu tun, um der Bergbauzuliefererindustrie zu helfen, deren Arbeitsplätze zu sichern oder von Anpassungsmaßnahmen betroffene Arbeitnehmer abzusichern?
Herr Staatssekretär.
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Grüner, Parl. Staatssekretär: Am 11. November 1983 hat Herr Staatssekretär Dr. von Würzen die von Ihnen begleitete Delegation der Betriebsräte der Firma Klöckner-Becorit empfangen. Dabei wurden sowohl die Beschäftigungslage der Bergbauzulieferindustrie als auch spezielle Fragen der Firma Klöckner-Becorit erörtert. Herr von Würzen hat der Firma in den Fällen Hilfe zugesagt, in denen das Bundesministerium für Wirtschaft im Rahmen seiner Kompetenzen unterstützend eingreifen kann.
Zur Beschäftigungssituation ist deutlich gemacht worden, daß sich auch die Bergbauzulieferindustrie der geänderten Nachfragesituation ihres Hauptkunden, des deutschen Steinkohlebergbaus, anpassen muß. Aus der Sicht der Bundesregierung können Unternehmensentscheidungen, die auf Grund der Markt- und Beschäftigungslage gefaßt werden, keine Alternativen entgegengesetzt werden. Auswirkungen von Entlassungen können durch das Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes sozial abgefedert werden. Die Kompetenz für solche Maßnahmen liegt bei den Arbeitsverwaltungen. Dabei sind Leistungen an die Beschäftigten der Bergbauzulieferindustrie, die über die für alle Beschäftigten geltenden Regeln hinausgehen, nicht möglich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, durch Aufstocken der Investitionshilfen für den Bergbau für bessere Beschäftigung in der Bergbauzulieferindustrie zu sorgen und noch einmal zu überlegen, ob die personellen und sozialen Auswirkungen, die die Folge Ihrer falschen Energiepolitik sind, aufzufangen und abzumildern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Probleme, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, soweit sie die Politik betreffen, sind eine Folge einer von uns gemeinsam getragenen Politik, die in diesem Hause auch immer die Zustimmung aller Fraktionen gefunden hat.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welcher Form gedenkt die Bundesregierung der deutschen Bergbauzulieferindustrie auf Drittlandsmärkten gegen unlautere Konkurrenz zu helfen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde dieser Frage gern nachgehen, wenn Sie konkretisieren würden, um welche unlautere Konkurrenz es sich handelt, weil erst dann beurteilt werden kann, ob und welche Maßnahmen von seiten der Bundesregierung getroffen werden können.
Damit sind wir aus Zeitgründen am Ende der Fragestunde. Ich danke Herrn Staatssekretär Grüner für die Beantwortung der Fragen.
Die nicht aufgerufenen Fragen werden, soweit sie nicht vom Fragesteller zurückgezogen worden sind *), schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:
3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Europäischer Rat in Athen am 6. Dezember 1983
— Drucksache 10/663 —4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für die Verordnung des Rates zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unlautere Handelspaktiken
— Drucksachen 10/472, 10/596 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Mitzscherling
5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften — Die künftige Finanzierung der Gemeinschaft
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Die künftige Finanzierung der Gemeinschaft:
Vorschlag für einen Beschluß über die eigenen Mittel
— Drucksachen 10/358 Nr. 48, 10/329, 10/576 — Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann Borchert
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 bis 5 und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung oder Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau zehn Jahren hat der damalige Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Europäischen Parlament in Straßburg folgendes ausgeführt:
*) Die Fragen 96 und 97 des Abg. Berschkeit sowie 101 und 102 des Abg. Clemens sind zurückgezogen worden.
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Dr. Hauff
Wir können und wir werden Europa schaffen. Die Vereinigung Europas ist eine Frage des Überlebens zwischen den Giganten und in der zerklüfteten Welt der jungen und alten Nationalismen. Nur in einem Europa, das seine Persönlichkeit gefunden hat, sind unsere nationalen Identitäten zu sichern. Der Nationalstaat klassischer Prägung ist die Lebensform von gestern.
So sprach vor zehn Jahren Bundeskanzler Willy Brandt in Straßburg, und zu diesen Worten stehen wir Sozialdemokraten.
Im westlichen Teil Europas ist das historische Werk der Versöhnung gelungen. Statt eines zerstörerischen Nationalismus hat sich partnerschaftliches Miteinander durchgesetzt, statt Mißtrauen vertrauensvolle Zusammenarbeit, statt Krieg und Zerstörung gibt es jetzt Begegnung und Zusammenarbeit, statt Händel blüht in Europa der Handel. Ich möchte an der Stelle auch unseren Kommunalpolitikern danken, die über die Städtepartnerschaften in vielfacher Weise mit dazu beigetragen haben, daß dieses Europa tatsächlich zusammengewachsen ist.
Nach jahrhundertlangen Feindschaften ist der Frieden in Westeuropa zu einer Selbstverständlichkeit geworden, Gott sei Dank. Kriege sind undenkbar. Die Europäische Gemeinschaft sollte auch eine wichtige Rolle für den Frieden in der Welt übernehmen, wobei ich insbesondere an das Nord-Süd-Verhältnis denke. Die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes in Europa hat wesentlich zum Wohlstand, zur wirtschaftlichen Stabilität beigetragen. Die Gemeinschaft hat sich in der Wirtschaftskrise der 70er Jahre behauptet.
Gerade die Bundesrepublik Deutschland ist besonders auf den freien Handel angewiesen. 1982 erzielten deutsche Exporteure in den neun Partnerländern der Gemeinschaft einen Überschuß von 25 Milliarden DM; das sind pro Arbeitstag 100 Millionen DM.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesrepublik als wirtschaftlich stärkster Mitgliedsstaat eine ganz besondere Verantwortung für die Gemeinschaft.
Meine Damen und Herren, dieser kurze Rückblick auf all das, was auf dem europäischen Weg bereits geleistet wurde, macht uns nicht blind und darf uns nicht blind machen für die Gefahren, die der Gemeinschaft heute drohen.
Nur noch wenige Tage trennen uns von dem nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft in Athen. Dieses Treffen in Athen wird kein Routinegipfel werden, denn seit Stuttgart liegt ein fast unentwirrbares Knäuel von Problemen auf dem Tisch der Regierungschefs. Die Gemeinschaft steckt in ihrer bisher schwersten Krise. Wir alle fragen uns mit Besorgnis: Wird das wohl ehrgeizigste und wichtigste Unternehmen der Nachkriegszeit, das Unternehmen Europäische Gemeinschaften, in kleinlichen nationalen Egoismen versinken?
Aus dieser Sorge um die Zukunft Europas, die Zukunft der Gemeinschaft, haben wir Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag diesen Antrag eingebracht. Wir wissen, wie schwierig die Verhandlungen sind. Aber wir haben diesen Antrag eingebracht und auf einer Debatte bestanden, weil die Regierung wissen soll, wo sie mit unserer Unterstützung rechnen kann. Aber sie muß auch wissen, wo sie mit unserer Kritik rechnen muß.
Und wir sagen dies vor dem Gipfel von Athen.
Die Lage in der Gemeinschaft ist ernst: Die Kasse ist leer, die Landwirtschaft produziert wachsende Überschüsse, 12 Millionen Menschen sind arbeitslos, eine Lösung des Stahlproblems ist nicht in Sicht, die Wälder sterben — und niemand handelt europäisch. Spanien und Portugal warten auf den Beitritt. Dies alles macht die Krise aus.
Die Gemeinschaft befindet sich mitten in einer Belastungsprobe, und manche reden in der Tat von einer Zerreißprobe. Das ganze Haus droht einzustürzen. In dieser Situation will die Bundesregierung im wesentlichen das Dach neu ausbauen durch feierliche Deklarationen. Nein, meine Damen und Herren, die Fundamente müssen von Grund auf erneuert werden.
In diesem Jahr, das ja mit der deutschen Präsidentschaft begonnen hat, wurde noch vollmundig angekündigt — ich habe das noch einmal nachgelesen, was da zu Beginn in Straßburg alles versprochen wurde —, was in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gelöst werden sollte: Beitritt Spaniens und Portugals; und jeder junge Mensch soll eine Ausbildungsstelle erhalten und was sonst noch alles gesagt wurde. Ich kann es Ihnen gerne noch einmal vorlesen, Herr Bundesaußenminister.
Der Stuttgarter Gipfel war als abschließende Krönung gedacht. Nur wurde die Bundesregierung im Laufe der Monate immer kleinlauter. Stuttgart hat kein einziges Problem gelöst, alle wichtigen Fragen blieben ohne Antwort: Die Frage nach der Süderweiterung, die Frage nach der künftigen Finanzierung der Gemeinschaft, die Frage nach einer gerechteren Verteilung der finanziellen Lasten innerhalb der Gemeinschaft, die überfällige Reform der Agrarpolitik, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Frage nach der Zukunft der Stahlindustrie.
Die Bundesregierung selbst hat das nach Stuttgart und nach ihrer Präsidentschaft dann folgendermaßen formuliert: „In Wahrheit" — das hat sie wörtlich formuliert — „ist es gelungen, durch Schnüren eines Paketes zu erreichen, daß alle Beteiligten daran interessiert sind, daß dieses Paket im Dezember in Athen erfolgreich verabschiedet werden kann". — So sagte die Bundesregierung im Juli. Nur: Jetzt ist Dezember. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht.
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Dr. Hauff
Jetzt wissen wir: In Stuttgart wurde ein Wechsel auf Athen gezogen. Dieser Wechsel droht jetzt zu platzen. Dieser Wechsel trägt die Unterschrift des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt sich heraus, daß es falsch war, in Stuttgart alle Probleme zu vertagen. Es war falsch, auch in der Europapolitik das Prinzip zu verfolgen, das für unseren Bundeskanzler das liebste Prinzip ist, nämlich: Probleme lösen sich entweder von selbst, oder man soll sie liegenlassen und ersatzweise lautstark darüber reden.
Das rächt sich jetzt.
Der französische Landwirtschaftsminister, Herr Rocard, meinte in diesen Tagen, es wäre — wörtlich — pure und simple Verrücktheit, zu glauben, daß die Probleme bis Anfang Dezember gelöst werden könnten. Noch dramatischer äußerte sich der belgische Außenminister Tindemans — gewiß kein Sozialist —, der offen mit Konsequenzen droht. Er hat wörtlich gesagt:
Wenn einige Mitgliedsländer nicht mitmachen wollen, müssen die anderen, die sich zu Europa bekennen, überlegen, wie sie alleine weitergehen können.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind trotz all dieser pessimistischen Aussagen noch voller Hoffnungen, daß die Staats- und Regierungschefs in Athen die Kraft und die Kompromißbereitschaft aufbringen werden.
Das Schlimmste ist die sich zuspitzende Finanzkrise der Gemeinschaft. Es ist kein Geheimnis, daß die Gemeinschaft bereits in diesem Jahr mit ihrem Geld nicht mehr auskommt. Ich befürchte, daß der deutsche Steuerzahler — besonders die Verbraucher und die Arbeitnehmer — ohne einen Durchbruch in Athen für die Versäumnisse auch dieser Bundesregierung noch kräftig zur Kasse gebeten werden wird.
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sagen noch einmal mit großer Eindringlichkeit: Erst nach einer grundlegenden Korrektur und Reform im Agrar-
und im Haushaltsbereich kann beurteilt werden, ob eine Erhöhung der Finanzausstattung der Gemeinschaft notwendig ist.
Die Finanzkrise der europäischen Gemeinschaften ist eine Krise der Agrarpolitik. Die gemeinsame Agrarpolitik wird als tragender Pfeiler der Gemeinschaft bezeichnet.
— Das ist richtig.
Aber die gegenwärtige Politik trägt nicht mehr. Der Pfeiler droht einzubrechen. Die Agrarpolitik ist in der bestehenden Form nicht mehr fortzuführen.
Schon 1983 sind wir am Ende. In diesem Jahr, in
dem wir jetzt leben, Herr Eigen, sind die Agrarausgaben gegenüber dem letzten Jahr um 30 % gestiegen. Am Jahresende fehlen 1,5 Milliarden DM in der Kasse der Gemeinschaft. Sie müssen ins nächste Jahr geschoben werden, um notdürftig die 1-%-Grenze einzuhalten.
Das ist keine seriöse Finanzierung mehr. Der Landwirtschaftsminister, Herr Kiechle, hat recht, wenn er sagt, in der Finanzierung der Gemeinschaft werde bereits heute mit Tricks gearbeitet. Wir werden solche Tricks nicht hinnehmen, weil das keine solide Grundlage ist.
Der Wahnsinn dieser gemeinsamen Agrarpolitik zeigt sich besonders bei den Überschüssen. 1983 werden mehr als 12 Millionen t Milch zuviel erzeugt. Fast 1 Million t Butter werden am Ende dieses Jahres auf Lager liegen. Das entspricht einem Butterverbrauch der Gemeinschaft von 7 Monaten. Täglich kommen neue, unverkäufliche Mengen an Butter hinzu. Meine Damen und Herren, aus den derzeitigen Lagerbeständen lassen sich 4 Milliarden Stück Butter packen. Wenn man sie einmal hintereinanderlegt, macht das eine Strecke aus, die man einmal rund um den Äquator legen kann. So viel Butter liegt mittlerweile in den Lagerhäusern Europas. Einmal rund um den Äquator! Hinzu kommt 1 Million t Magermilchpulver, die in den Lagerhäusern der Gemeinschaft liegt. Das sind alles Produkte, die hier in Europa niemand will, die mit hohem Finanz- und Energieaufwand erzeugt und eingelagert worden sind. Ihr Absatz bringt nach Angaben des Bundesfinanzministers in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage, die er vorgelegt hat, Verwertungsverluste von 7,5 Milliarden DM pro Jahr.
Meine Damen und Herren, für die Vernichtung von Obst und Gemüse gab die Gemeinschaft in diesem Jahr, 1983, zwölfmal mehr aus als für die Förderung der Zukunftstechnik Informatik;
das ist die Situation. Und wenn die Agrarproduktion weiter so ansteigt, wird die Agrarpolitik zur Gefahr für die europäische Einigung.
Ich weiß um die Bedeutung der Agrarpolitik für Europa. Ich kenne ihre Bedeutung für Länder wie Frankreich, Italien, Griechenland, Irland, die Niederlande oder auch Dänemark. Aber ich warne eindringlich davor, die gegenwärtige Agrarpolitik für sakrosankt zu erklären.
Wenn im Agrarbereich alles so weiterläuft, dann wird das Trennende in der Zukunft überwiegen, dann führen die Gegensätze zu Gegnerschaft innerhalb der Gemeinschaft.
Wer die Gemeinschaft stabilisieren, vielleicht sogar retten will, der muß für eine Reform der Agrarpolitik eintreten.
Denn die gegenwärtige Agrarpolitik geht nach dem Motto: Immer mehr Geld für immer weniger Landwirte nach immer ungerechteren Maßstäben.
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Dr. Hauff
Dazu ein Zahlenvergleich: Zur Zeit erhält ein Bauer in den Niederlanden von der Gemeinschaft im Jahr durchschnittlich 16 000 DM. Ein Bauer in Italien erhält im Durchschnitt 1 700 DM, also rund 10 % davon. Wenn diese Zahlen auch nur einigermaßen stimmen, dann kann dies auf die Dauer nicht gutgehen.
Letztlich geht es dabei um die Verbraucher und die Arbeitnehmer, denen nicht mehr zuzumuten ist, Geld für die subventionierte Verschleuderung von Agrarprodukten, für die Vernichtung von Obst und Gemüse, für die Lagerung von Butterbergen und Milchseen auszugeben. Die wirklichen Nettozahler in Europa sind die Verbraucher und die Arbeitnehmer,
und das ist ihnen nicht mehr zuzumuten. Ihnen wird ständig gepredigt, sie müßten sich einschränken. Ihnen werden die Renten und das Arbeitslosengeld gekürzt. Ihnen wird das Krankengeld gekürzt. Von ihnen erwartet man, daß sie auf das Mutterschaftsgeld verzichten. Gleichzeitig aber sollen sie Verständnis und auch Geld, ihr Geld, ihr Steuergeld, für eine industrialisierte Landwirtschaft aufbringen, die weder ökonomisch noch ökologisch vertretbar ist.
Die Gemeinschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie ihre Finanzen in Ordnung bringt. Und Gesundung der Finanzen heißt Reform der gemeinsamen Agrarpolitik.
Herr Dr. Hauff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eigen?
Nein, ich möchte im Zusammenhang reden.
Das dritte Problem — neben Finanzen und Agrarpolitik — ist die Erweiterung der Gemeinschaft.
Spanien und Portugal gehören zur europäischen Völkerfamilie. Hans Matthöfer hat unsere Gedanken, was den Beitritt von Spanien und Portugal angeht, aber auch unsere Hoffnungen vor kurzem zusammengefaßt. Er sagte:
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß die Regierungs- und Staatschefs innerhalb der EG keinen Weg sehen, Spanien und Portugal den Weg in die Europäische Gemeinschaft zu eröffnen. Spanien gehört zu Europa ... Wie wollen wir uns eigentlich Europa am Mittelmeer, wie eine dauerhafte Friedensordnung im Nahen Osten, wie einen wirtschaftlichen und politischen Brückenschlag zu den Völkern Lateinamerikas vorstellen, wenn wir Spanien und Portugal dabei ausklammern?
So weit Hans Matthöfer.
Lassen Sie mich — mit aller Vorsicht — die Frage anknüpfen: Wie soll der spanische Regierungschef das in Spanien umstrittene Problem der NATO-Mitgliedschaft bewältigen, wenn die Gemeinschaft die Tür für Spanien nicht öffnet? Wie soll er dieses Problem eigentlich lösen? Die Gemeinschaft kann auf Spanien und Portugal nicht verzichten. Wir wissen, daß Fortschritte bei der Erweiterung nicht in erster Linie an der Bundesregierung scheitern. Wir appellieren deswegen auch von dieser Stelle aus an unsere französischen Freunde und Partner. Wir sagen ihnen: Wir vergessen eure großartigen Verdienste um die demokratischen Kräfte der Iberischen Halbinsel nicht. Aber wir rufen ihnen zu: Ermöglicht jetzt auch durch einen mutigen und vorwärtsweisenden Schritt, daß Spanien und Portugal ihren Platz in der Gemeinschaft finden.
Wir dürfen nicht wegen Südfrüchten, wegen Gemüse, wegen Oliven und wegen Wein — so groß und wichtig diese Probleme auch sein mögen — eine große Chance für ein starkes Europa verspielen.
Die deutsche Präsidentschaft hat viel Zeit in dieser Frage verschwendet,
aber es ist noch nicht zu spät. Beim Beitritt von Spanien und Portugal hat die Bundesregierung unsere volle Unterstützung. Wir sagen ja zu diesem Beitritt — auch in dem Wissen, daß diese Länder für die Gemeinschaft ganz gewiß keine Nettozahler werden.
Meine Damen und Herren, betrachten wir all diese schwierigen Probleme am Vorabend von Athen, so müssen wir den Bundeskanzler auch fragen: Welche Anstrengungen hat er eigentlich zur Vorbereitung von Athen unternommen?
Har er sich wirklich genügend persönlich eingesetzt? Wo waren seine konkreten Vorschläge, seine Initiativen? Und wo ist die unumgängliche deutschfranzösische Gemeinsamkeit, um die Gemeinschaft vor dem Verfall zu retten? Ohne die geht es doch nicht.
Nur, man muß ihm einmal sagen: Im Elsaß spazieren zu gehen, reicht dafür nicht aus. Das ist kein Ersatz. für Entscheidungen.
Im September 1983 hat die französische Regierung dem Rat ein Memorandum für eine gemeinsame Industrie- und Forschungspolitik für Europa vorgelegt. Wie hat denn die Bundesregierung auf diese wichtige zukunftweisende Aufgabe bis jetzt reagiert? Unseres Erachtens überhaupt nicht.
Vor allen Dingen fällt die widersprüchliche Haltung der Bundesregierung in der Finanzfrage auf. Bundeskanzler Kohl signalisiert schon seit Monaten seine Bereitschaft zur Erhöhung der Eigenmittel. Der Finanzminister hält unbedingt an der Grenze von 1 % des Mehrwertsteueraufkommens fest, und der Landwirtschaftsminister spricht, wie
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Dr. Hauff
gesagt, von Finanzierungstricks, mit denen da zur Zeit gearbeitet werde. Der Außenminister Genscher zieht es wie üblich vor, sich nicht festzulegen. Das kann ich auch verstehen. — Aber ich frage: Welches Wort gilt hier eigentlich? Wer spricht in dieser wichtigen Frage der Finanzierung für die Bundesregierung? Fast ist man geneigt, zu sagen: Vermutlich muß man auch hier warten, bis Herr Strauß von München aus ein Machtwort spricht, damit sich das in dieser Regierung irgendwie klärt.
— Ja, das muß kommen, in der Tat, so, wie die Dinge liegen, muß es kommen. Das tut mir leid für Sie, Herr Eigen, aber Sie müssen sich damit abfinden, daß Sie Krach im eigenen Hause haben.
Meine Damen und Herren, wir verkennen nicht, in welch schwieriger Lage sich die Gemeinschaft derzeit befindet. Aber es ist eben nicht die erste Krise der Gemeinschaft. Lassen Sie mich an die Politik des leeren Stuhls de Gaulles Mitte der 60er Jahre erinnern. Es war insbesondere Bundeskanzler Willy Brandt — und die SPD —, der damals sein Europakonzept entwickelte, es einbrachte, dafür persönlich eintrat und dann Erfolg hatte. Ich erinnere an die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, an den Ausbau der Zollunion zu einer Wirtschaftsunion, an die Entwicklung der Eigeneinnahmen der Gemeinschaft und die stärkere politische Zusammenarbeit. Sein Europakonzept stand unter dem Begriff „Vertiefung, Ausbau und Erweiterung". Diese Vorstellungen vertrat er mit Nachdruck auf der Haager Gipfelkonferenz im Dezember 1969, mit der dann ein Durchbruch in der Europapolitik gelang.
Er hat sich persönlich engagiert, und er hat etwas gewagt. Er hat ein Risiko auf sich genommen.
In den 70er Jahren dann überzeugte Bundeskanzler Helmut Schmidt trotz vieler Bedenken, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch bei den Regierungen der Mitgliedstaaten, und trotz der immensen weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten seine Partner von der Notwendigkeit einer engeren währungspolitischen Zusammenarbeit. Damals hatten wir eine währungspolitische Krise. Ohne sein persönliches Engagement, sein Drängen bei den anderen Regierungen wäre weder die Entscheidung über das Europäische Währungssystem zustande gekommen noch die über eine Direktwahl zum Europäischen Parlament.
Auch hier gilt: Er hat etwas gewagt, und er hat gewonnen. Ohne Helmut Schmidt und ohne Giscard d'Estaing gäbe es kein Europäisches Währungssystem.
Gemessen an den Taten Ihrer Vorgänger — so müssen wir es dem Bundeskanzler sagen — fällt Ihre Schwäche auf. Ihre Aussagen zu Europa sind unverbindlich, ohne genaue Zielvorstellungen und ohne zusammenhängendes Konzept. Was sagt diese Bundesregierung eigentlich unseren Stahlarbeitern, was sagt sie den Bergarbeitern, was sagt sie den Werftarbeitern, denen der Verlust des Arbeitsplatzes droht? Und was sagt sie vor allem den vielen, vielen tausend jungen Menschen, die arbeitslos sind? Warum weicht diese Regierung vor allen den Sorgen und Nöten derer aus, die von der Krise am schwersten betroffen sind? Und was sagen Sie den Menschen, die Umweltschutz in der Tat als europäische Aufgabe verstehen und mit Sorge das zur Kenntnis nehmen, was die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute in den Satz gekleidet hat: „Von einer gemeinsamen Umweltpolitik kann keine Rede sein"?
So massive Kritik ist selten vorgetragen worden. Und warum spricht diese Bundesregierung, der Bundeskanzler jedenfalls, nur noch von einer Unterstützung des Beitritts von Spanien und Portugal? Unterstützen reicht nicht aus. Da sind eigene Initiativen gefordert. Man muß etwas wagen, um Europa voranzubringen.
Den beiden Vorgängern des jetzigen Bundeskanzlers ist es nicht nur gelungen, aus der Krise herauszuführen, sondern sie haben darüber hinaus Impulse für die weitere und langfristige Entwicklung der Gemeinschaft gegeben. Das erwarten wir auch vom jetzigen Bundeskanzler. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion appelliert deswegen heute an Sie, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Krise positiv zu wenden. Die schwierige Finanzlage schafft die seltene Gelegenheit, alle Beteiligten zu zwingen, die bisherigen Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Weichen neu zu stellen.
In diesem Zusammenhang möchte ich gern an ein Wort von Bundeskanzler Konrad Adenauer aus dem Jahre 1954 erinnern, das er übrigens mit Blick auf die europäische Einigung formuliert hat. Er warnte wörtlich: „Richtige Gelegenheiten zu versäumen ist gefährlich; sie kehren selten wieder." Das ist ein sehr wahrer Satz in der Politik.
Nie war der Druck für die betroffenen Regierungen so groß, Fehlentwicklungen zu ändern, Reformen einzuleiten und langfristige Perspektiven für die Gemeinschaft zu entwickeln.
Wenn jetzt die Gelegenheit von Athen verschenkt wird ohne solche Reformen, ohne die notwendigen Weichenstellungen, dann ist zu befürchten, daß die Chancen für Europa auf lange Zeit verschüttet werden.
Wir hoffen in unserem und im Interesse der Gemeinschaft auf einen Erfolg in Athen. Die Bundesregierung kann mit unserer Unterstützung rechnen, wenn sie ihre Verantwortung für ein starkes und
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Dr. Hauff
handlungsfähiges Europa wahrnimmt. Wir werden im Lichte der Ergebnisse von Athen aber auch nicht zögern, die Verantwortlichen bei einem eventuellen Mißerfolg unmißverständlich beim Namen zu nennen.
Wir wollen ein starkes Europa, ein Europa, das seiner Rolle in der Welt gerecht wird, das seine Verantwortung bei der Überwindung von Konflikten übernimmt, das zur Überwindung des Hungers in der Welt beiträgt und das den Menschen in den Ländern unserer Gemeinschaft eine Zukunftsperspektive eröffnet.
Wir wollen keine Gemeinschaft, die sich beschränkt auf Butterberge, auf Milchseen, auf die Vernichtung von Obst und Gemüse, auf eine Gemeinschaft, die keine Arbeit mehr für 12 Millionen Menschen hat und die das Gefälle zwischen armen und reichen Regionen in Europa noch vergrößert.
Eine solche Gemeinschaft lehnen wir ab, weil es eine Fehlentwicklung ist, weil sie von den Bürgern nicht getragen wird. Diese Unterstützung der Bürger brauchen wir; wir brauchen sie dringend.
Meine Damen und Herren, ein Gefühl geht um in Europa: Es ist das Gefühl der Ohnmacht. Dieses Gefühl ist auch nicht ganz abwegig. Täuschen wir uns alle miteinander nicht: Aus dieser scheinbaren Ohnmacht der Mächtigen kann gerade in Europa sehr rasch die Macht der Ohnmächtigen entstehen.
Jean Monnet, der große Europäer, dem Europa so viel zu verdanken hat, hat in seinem Buch „Erinnerungen eines Europäers" geschrieben — ich darf zitieren —:
Die Zeit vergeht, und Europa zögert auf dem Weg, auf dem es schon so weit vorangekommen ist. Wir können nicht stehenbleiben, wenn um uns herum die ganze Welt in Bewegung ist. Wie gestern unsere Provinzen, so müssen heute unsere Völker lernen, nach gemeinsamen Regeln und unter gemeinsam frei verfaßten Institutionen zu leben, wenn sie die Dimensionen erreichen wollen, die zu ihrem Fortschritt und zur Meisterung ihres Geschicks notwendig sind. Die souveränen Nationen der Vergangenheit sind nicht mehr der Rahmen, in dem sich die Probleme der Gegenwart lösen lassen, und die Gemeinschaft ist nur eine Etappe auf dem Weg zur Welt von morgen.
So weit Jean Monnet.
Wir Sozialdemokraten hoffen, daß die Staats- und Regierungschefs bei ihren Beratungen in Athen, die sich natürlich mit den ganz konkreten und ungelösten Alltagsproblemen der Gemeinschaft beschäftigen und beschäftigen müssen, diesen geschichtlichen Auftrag Jean Monnets für Europa nicht vergessen.
Wir wollen in Athen erfolgreiche Beratungen und klare Entscheidungen für ein starkes Europa, das sich seiner selbst sicher ist, aber insbesondere für
ein Europa, in dem sich die Menschen auch zu Hause fühlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß der Kollege Hauff den Staats- und Regierungschefs gute Wünsche für Den Haag mit auf den Weg gegeben hat.
Er hat gewünscht, daß nach einem Jahr Regierung der CDU/CSU und der FDP in Erfüllung gehe, was in den 13 Jahren der Regierung der SPD nicht in Erfüllung gegangen ist.
.Es war ja eine erstaunliche Rede, meine Damen und Herren. Es wurde der Staatslenker Schmidt gepriesen, und ich wäre durchaus geneigt, Herr Kollege Hauff, in diesen Chor mit einzustimmen. Ich hätte auch in der letzten Woche gerne mit eingestimmt, bloß hat man Herrn Schmidt da ziemlich alleine singen lassen.
Außerdem war ich ganz überrascht, daß offenbar die gemeinsame Agrarpolitik, die Sie hier beklagt haben, auf einem anderen Planeten als auf dem stattgefunden hat, auf dem Herr Schmidt Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war.
Wie können Sie eigentlich die Leistungen eines Mannes gleichzeitig loben und tadeln; denn er war doch als Bundeskanzler, mit der Richtlinienkompetenz des Grundgesetzes ausgestattet, auch für die von Ihnen so beklagte Agrarpolitik verantwortlich? Über die Berechtigung dieser Klagen will ich gleich sprechen.
Sie sitzen doch 17 Jahre lang in der Regierung und haben seit 1966 wichtige Ressorts innegehabt. Das waren die Jahre, in denen die gemeinsame Agrarpolitik zwar nicht ihre geistige Formierung, aber ihre zahlenmäßige Ausfüllung gefunden hat. Das können Sie ganz wunderbar trennen von den großen Leistungen Helmut Schmidts? Irgendwo, Herr Kollege Hauff — es tut mir leid —, scheinen Sie eine gespaltene Seele zu haben.
Zur gemeinsamen Agrarpolitik möchte ich einmal die positiven Seiten ansprechen. Meine Damen und Herren, wir leben hier im Überfluß; das stimmt. Aber die ältere Generation kann sich noch erinnern, daß dieser Überfluß nicht naturgegeben ist, sondern das Ergebnis menschlicher Arbeit und vernünftiger Politik. In den Jahren der gemeinsamen Agrarpolitik sind wir weitgehend von der Einfuhr von Lebensmitteln unabhängig geworden. Diejenigen, die den Anfang und die Mitte dieses Jahrhunderts erlebt haben, wissen, was das bedeuten kann.
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Dr. Lenz
Wir haben Nahrungsmittel in nie gekannter Qualität und in ausreichender Menge; wir haben mehr soziale Sicherheit für unsere Landwirte als früher.
Ich bin ganz sicher, daß wir dies nur im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft erreichen konnten. Allein hätte die Bundesrepublik Deutschland dem Druck gewisser Exporteure von landwirtschaftlichen Erzeugnissen niemals standhalten können. Außerdem haben wir hier vom Punkt Null aus einen ganz neuen Exportzweig für landwirtschaftliche Erzeugnisse aufgebaut, der rund 200 000 Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland sichert.
Herr Kollege Hauff, wir alle wissen, daß die Kritik stimmt, die Sie geäußert haben; aber zur Vollständigkeit des Bildes gehört eben auch, daß man die anderen Faktoren hier einmal vom Rednerpult dieses Hauses aus nennt.
Im übrigen, Herr Kollege Hauff, ist die Produktion von Überschüssen leider kein Privileg der Landwirtschaft. Ich kenne ganz andere noble Industriezweige, die unter dem gleichen Phänomen zu leiden haben. Bloß vermisse ich da die Anklage von Ihrer Seite.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Wort zum Beitritt sagen. Herr Kollege Hauff, wir haben Ihr Bekenntnis zum Beitritt Spaniens und Portugals gehört. Wir haben auch neulich das gleiche Bekenntnis im Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages gehört. Wir wollten von Ihnen einmal wissen, wie denn Ihre Unterstützung real und konkret aussieht. Werden Sie einer durch den Beitritt Spaniens und Portugals eventuell notwendigen Erhöhung der Mehrwertsteuer zustimmen, oder werden Sie das nicht tun?
— Auf den Antrag komme ich jetzt. In Ihrem Antrag steht, Sie machten das von einer, wie Sie es nennen, „grundlegenden Reform der EG-Agrarpolitik" abhängig.
— Herr Kollege Hoffmann, ich habe wörtlich zitiert. Das heißt mit anderen Worten, daß Sie die Frage schlicht und einfach offenlassen und das tun, was Sie anderen hier vorwerfen: Sie antworten auf diese Frage weder mit Ja noch mit Nein. Ich bin gespannt, Herr Kollege Hauff, wie Sie diese Ihre Haltung Ihren spanischen Freunden erklärlich machen werden. Sie haben sich von Ihren französischen und italienischen Freunden bereits in einer anderen Frage separiert; jetzt separieren Sie sich auch von den spanischen. Es muß für einen deutschen Sozialdemokraten ein Vergnügen sein, Präsident der Sozialistischen Internationalen zu sein, wenn
alle großen Mitgliedsparteien, die in der Regierung sind, mit Ihnen überquer stehen.
Im übrigen, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das noch sagen —, bin ich gar nicht glücklich über diese Tatsache, denn deutscher Einfluß in der Sozialistischen Internationalen ist auch deutscher Einfluß, aber bei dieser Politik, die Sie hier betreiben, können Sie auf Einfluß außerhalb Deutschlands nicht mehr rechnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, meine Redezeit ist, wie Sie wissen, begrenzt. Ich schlage dem Kollegen Hoffmann vor, daß er seine Zwischenfragen an die Kollegen von der SPD richtet; dann verkürzt er deren Redezeit.
Meine Damen und Herren, was wir hier von Ihnen wissen wollen — nicht mit einer Zwischenfrage, sondern in einer Antwort vom Pult hier oben —, ist: Stimmen Sie hier zu, wenn es notwendig wird, oder versuchen Sie, sich mit angeblich mangelnden Reformbemühungen oder Reformerfolgen auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik herauszureden? Das ist die Frage, um die es geht.
Sie haben hier von der Konferenz von Den Haag gesprochen, Herr Kollege Hauff. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Da war von Vollendung, Vertiefung und Erweiterung die Rede. Die Erweiterung haben wir bekommen, aber auf die Vollendung und Vertiefung in weiten Bereichen warten wir noch. Deswegen wünschen wir, daß, bevor der Beitritt Spaniens und Portugals beschlossen wird, die offenen Fragen geklärt werden.
Dazu gehört unter anderem die Landwirtschaft, dazu gehört die Fischerei, und dazu gehört die Stahlpolitik.
— Herr Kollege Hauff, wir haben es erlebt — nicht unter unserer Verantwortung —, daß Beitritte ausgehandelt wurden und daß wir heute mit den neu beigetretenen Staaten noch über die Bedingungen ihrer Mitgliedschaft diskutieren. Diese Schlamperei darf sich nicht wiederholen.
— Ich freue mich, daß ich gelegentlich auch einmal Zustimmung bei der SPD finde.
Jetzt noch ein Wort zu der Finanzverfassung und zu den Finanzen der Europäischen Gemeinschaft. Also, das war ja eben geradezu herrlich zu hören, wie Sie die Grundsätze einer soliden und sparsamen Haushaltsführung gelobt haben, Herr Kollege Hauff, Grundsätze, die Sie 13 Jahre lang nicht beachtet haben, als Sie in der Regierung waren. Sie
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Dr. Lenz
können nicht so tun, als wäre das überall in der Welt schon vergessen. Wäre die Kasse noch etwas voller, dann könnten wir in manchen Fragen in der Europäischen Gemeinschaft etwas großzügiger sein, als wir es jetzt sein können.
Im übrigen möchte ich sagen, wir sollten hier keine Illusionen haben. Wir sind das volkreichste, wirtschaftlich stärkste Land in der Europäischen Gemeinschaft und wollen es bleiben. Deshalb werden wir auch das meiste zu bezahlen haben. Alles andere wäre Illusion. Es darf aber nicht so sein oder werden, daß wir der einzige Zahlmeister Europas sind. Das wäre nicht nur für Deutschland nicht gut, das wäre auch nicht gut für die Europäische Gemeinschaft; denn dann könnten wir ja kein Interesse an einer Weiterentwicklung haben, wenn wir sie per saldo alleine bezahlen müßten. Deswegen brauchen wir eine gerechtere Verteilung der finanziellen Lasten auf alle Mitgliedstaaten nach dem Maßstab der Leistungsfähigkeit im Interesse der Europäischen Gemeinschaft selbst. Ich bin ganz sicher, daß unser Bundesfinanzminister in Athen auch in diesem Sinne tätig werden wird.
Der Kollege Hauff hat hier eben viel von der Verantwortung für das Ergebnis von Athen gesprochen. Wenn man seine Rede gehört hat, hatte man den Eindruck, die Bundesregierung allein würde nach Athen fahren und bräuchte da niemanden mehr zu fragen, sondern es genügte ein einsamer oder auch gemeinsamer Entschluß des Bundeskanzlers mit dem französischen Staatspräsidenten, um die Krise zu überwinden. Herr Kollege Hauff, wenn dies so wäre, dann wäre, davon bin ich überzeugt, sogar unter Ihrer Regierung mehr zustande gekommen, als zustande gekommen ist. Leider brauchen wir, wie wir das schon oft bedauernd hier in diesem Hause besprochen haben, die einhellige Zustimmung von zehn Mitgliedsregierungen. Ich bin sicher, die Bundesregierung wird sich bemühen, diese Zustimmung zu erreichen. Aber wenn sie darin nicht ganz so erfolgreich sein sollte, dann wäre es sicher auch in Ihrem Sinn ungerecht, wenn man ihr die alleinige Verantwortung für diese Ergebnisse in die Schuhe schieben würde.
Ich bin mit Ihnen darin einig, daß Taten gefordert sind, auch Mut und Initiative. Es kommt nicht nur darauf an, daß man spitz rechnet — auch das ist erforderlich —, sondern es gehört Mut dazu, die europäische Sache voranzubringen. Und ich bin überzeugt: Der Bundeskanzler hat ihn. Und ich bin sicher, die große Mehrheit des deutschen Volkes und auch unserer Partner ist über diesen Sachverhalt sehr wohl unterrichtet.
Wir müssen jede Chance wahrnehmen, um das europäische Schiff wieder flottzumachen. Das Beste, was die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ihren Volkswirtschaften antun könnten, wäre, die EG voranzubringen. Das wäre besser als jedes Konjunkturprogramm.
Allein im Handel sind wir in der Größenordnung von 400 Milliarden DM mit der Europäischen Gemeinschaft verflochten; wir erwirtschaften in diesem Bereich 24 Milliarden, d. h. knapp die Hälfte unseres Exporterlöses. Und daran sind auch die Landwirtschaftspolitik und die deutsche Landwirtschaft beteiligt. Wenn wir diesen Binnenmarkt wieder flotter machen könnten — Sie haben das vorige Mal von 400 Handelshemmnissen gesprochen, die es dort gibt und die ja auch nicht erst gestern entstanden sind —, dann wäre dies in der Tat ein großer Schritt vorwärts, der zur Belebung unserer Volkswirtschaften, zur Besserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt und von allem, was damit zusammenhängt, beitragen könnte.
Der Europäische Rat findet in Athen statt, in Griechenland.
Das veranlaßt mich, einen Blick in die altgriechische Geschichte zu werfen.
— Ja, ganz recht. Ich freue mich, daß Sie offenbar ein bißchen klassische Bildung genossen haben.
Dieses alte Griechenland bestand aus einer großen Zahl von unabhängigen Stadtstaaten, die jedoch unfähig waren, sich zu einigen. Der englische Historiker Toynbee hat dies als den Anfang vom Ende der hellenischen Kultur bezeichnet. Ich finde das sehr interessant, was dieser englische Historiker über Alt-Griechenland gesagt hat. Ich kann nur wünschen, daß sein Buch in beiden hier betroffenen Ländern gelesen wird. Die Einigung Griechenlands kam trotzdem. Sie kam von außen. Sie kam mit Gewalt. Und sie hatte zur Folge, daß Griechenland für 2000 Jahre Abschied von der Weltgeschichte nehmen mußte.
Die Spuren schrecken. Wir hoffen, daß die Staats- und Regierungschefs dieses Beispiel durchaus vor Augen haben.
Die Konferenz findet am Tag des griechischen Nationalheiligen, am Sankt-Nikolaus-Tag, statt. Dem heiligen Nikolaus,
wurde die Fähigkeit zugeschrieben, Schiffe aus Seenot sicher in den Hafen zu bringen.
Wir hoffen, daß die Staats- und Regierungschefs in diesem Punkt mit dem heiligen Nikolaus wetteifern. — Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute nachmittag über die künftige Finanzierung der EG.
Damit sind Grundprobleme der Existenz einer Institution aufgeworfen, die man eigentlich zu Unrecht als Europäische Gemeinschaft bezeichnet, zu Unrecht schon deshalb, weil es sich ja eigentlich weder um einen gesamteuropäischen Zusammenschluß — noch nicht einmal alle westeuropäischen Staat sind Mitglieder — noch wirklich um eine Gemeinschaft handelt.
Das zeigt sich nicht zuletzt an dem schon seit vielen Monaten andauernden Streit zwischen den Regierungen über diese künftige Finanzierungsregelung.
Wie wir gerade im Bundestag durch eine wahre Flut von Vorlagen, von Vorschlägen und Berichten erfahren, ist diese EG auch weniger eine europäische Gemeinschaft als vielmehr ein bürokratisches Monster, in dem die nationalstaatlichen Egoismen mehr oder weniger ungezügelt aufeinanderprallen.
Die EG der Römischen Verträge ist ein reiner Zweckverband der nationalen Bürokratien und Staatsführungen und der dominierenden nationalen und multinationalen Wirtschaftsinteressen. Diese Tatsache, daß die EG ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen darstellt und daß die EG eben gerade nicht zu einer wirklichen Gemeinschaft der Menschen und der Völker geworden ist, ist der Kern der seit langem erkennbaren Strukturkrise, einer Strukturkrise, die weit über die momentane Finanzkrise der EG hinausreicht. Weil das so ist, weil dies die eigentliche Krise der EG ist und weil dies die eigentliche Struktur der sogenannten, muß man fast sagen, Europäischen Gemeinschaft ist, wenden wir GRÜNEN uns gegen jede Stärkung der EG in ihrer heutigen Form.
Und weil wir uns gegen eine solche Stärkung wenden, deshalb können wir auch der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zur EG-Handelspolitik, so wie sie vorliegt, durchaus zustimmen; denn der darin angesprochene Vorschlag der EG-Kommission strebt einen Machtausbau für dieses Organ an, einen Machtausbau, den wir grundsätzlich ablehnen. Die von der Kommission vorgeschlagenen erweiterten Einwirkungsrechte der Industriekonzerne auf die Handelspolitik stoßen ebenso auf unsere entschiedene Ablehnung. Ebenso befürworten wir die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur künftigen Finanzierung der Gemeinschaft. Es ist für uns unter keinen Umständen akzeptabel, daß die EG einen immer größeren Anteil der nationalen Mehrwertsteuereinnahmen für den Ausbau einer verfehlten Politikbürokratie ausgibt, während gleichzeitig die Bundesregierung hier Sozialprogramme unter dem Diktat einer angeblichen Haushaltskonsolidierung zusammenstreicht.
— Das werden wir nächste Woche ja noch eingehend diskutieren, was hier „angeblich" heißt, meine Herren.
Unsere kritische Haltung zur EG in ihrer heutigen Form bedeutet gleichzeitig, daß wir dem Antrag der SPD zum Athener Gipfel nicht zustimmen können.
Der SPD-Antrag stellt weder die institutionellen Strukturen der Gemeinschaft noch die EG-Politiken in ihrer Gesamtheit grundsätzlich in Frage. Zwar wird zu Recht die EG-Agrarmarktordnung kritisiert. Es wird kritisiert, daß diese Agrarmarktordnung strukturelle Überschüsse produziert, und es wird eine effiziente Verwaltung des EG-Strukturfonds gefordert. In seinem Grundsatz aber baut der SPD-Antrag auf der Illusion, daß es gelingen könne, den bürokratischen Wildwuchs und die verfehlte Politik in einzelnen Sektoren, vor allem im Industrie- und Energiebereich, zu überwinden, ohne dabei die EG grundsätzlich zu verändern. Die EG ist aber in ihrer heutigen Struktur im wesentlichen eine Interessengemeinschaft multinationaler Konzerne, der Großbanken und der Europa-Bürokraten. Hier soll ein einheitliches Wirtschaftsgebiet verwirklicht werden, das im wesentlichen ausschließlich den Interessen dieser Gruppen dient.
Und weil die Konzerne, von denen ich eben sprach, ihr Produktionsvolumen fast nach Belieben zwischen ihren Standorten innerhalb der EG hin und her schieben können, hat sich z. B. ihre Macht gegenüber den Arbeitern und Angestellten laufend vergrößert. Die Gewerkschaften, die sich bisher nur wenig über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg organisiert haben, haben dadurch einen erheblichen Verlust ihres Einflusses hinnehmen müssen. Während sich im Produktionssektor die Tendenzen zur Zentralisierung und zur Konzentration beschleunigen,
vertieft sich gleichzeitig die Rückständigkeit der EG-Randgebiete, werden gleichzeitig ganze Regionen geopfert, Regionen, deren Ressourcen — soweit sie mobil sind — von den Zentren aufgesaugt werden. Zurück bleiben dabei oft genug Menschen ohne Arbeit und Zukunft, Menschen, denen in die-
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Kleinert
sen Regionen die Existenzgrundlage entzogen wird.
— Herr Bötsch, auf solche Zwischenrufe fällt mir wirklich nichts mehr ein.
— Ja, Sie haben vollkommen recht. Es ist wirklich schwer, darauf noch etwas zu entgegnen.
Die Zentralisierung der bürokratischen Apparate und die Konzentration der Kompetenzen in Brüssel sowie die Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitik in der EG schränken auch die Gestaltungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene ein. Ein eigenständiger Entwicklungsweg einzelner Mitgliedstaaten, der etwa die Grundlage des kapitalorientierten und umweltfeindlichen Wirtschaftsprogramms wirklich in Frage stellen würde, sähe sich durch diese Einbindung in den EG-Rahmen vor zusätzliche Probleme gestellt. Das muß man ganz klar sehen.
Die Sektorpolitiken der EG sind unseres Erachtens vom Ansatz her verfehlt. Das deutlichste Beispiel dafür liefert die Agrarmarktordnung.
Die gemeinsame Agrarpolitik fördert eine hochmechanisierte, chemie- und energieintensive Produktionsweise, und sie führt zu einer Verdrängung der klein- und mittelbäuerlichen Betriebseinheit.
Die Überschußproduktion der EG, die uns etwa in Form der Butter- und Fleischberge peinlich genau bekannt sein müßte, trägt gleichzeitig zu Hunger und Verelendung in den Entwicklungsländern bei.
Denn diese Überschußproduktion bei uns ist nur durch den Import von Futtermitteln aus den ärmsten Teilen der Welt möglich.
Diese Produkte
bzw. die volkswirtschaftlichen Ressourcen, die zu ihrer Produktion eingesetzt werden, werden dort der Versorgung der einheimischen Bevölkerung entzogen.
Der besondere Zynismus dieses Beispiels einer sogenannten weltwirtschaftlichen Integration liegt in der Tatsache, daß wir diese Importe aus den Entwicklungsländern noch nicht einmal für den eigenen Verbrauch in Anspruch nehmen. Wir machen im Gegenteil folgendes: Wir lagern die unter großen Substanzverlusten von pflanzlichem zu tierischem Eiweiß umgewandelten Nahrungsmittel nur in unseren Kühlhäusern ein, wo wir dann zur eigenen Bestrafung noch enorme Kosten für die Lagerhaltung zu tragen haben. Das ist unseres Erachtens ein politischer Skandal,
der nur der deutlichste Beweis dafür ist, wie verfehlt diese Sektorpolitik im EG-Rahmen ist.
Die EG-Politik baut insgesamt im wesentlichen auf der Ideologie ungebrochenen Wirtschaftswachstums auf. Die Gefährdung ökologischer Kreisläufe, die Verschwendung von Energie und Rohstoffen, die Zerstörung der natürlichen Umwelt, dies alles wird in einem einseitig auf Expansion der materiellen Produktion fixierten Wirtschaftsprogramm kaum wahrgenommen.
Im Mittelpunkt der EG-Politik stehen — im Gegensatz zu den vielen Bekundungen, wie wir immer wieder hören — nicht die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Förderung kapitalintensiver Großanlagen und die ungezielte Beschleunigung des technischen Fortschritts um jeden Preis.
Auf die steigende strukturelle Arbeitslosigkeit infolge von Rationalisierung und Automatisierung hat die EG ebensowenig eine Antwort wie auf die soziale Not und Verelendung immer größerer Bevölkerungsgruppen vor allem in den strukturschwachen Randgebieten der EG.
Diese grundsätzliche Kritik an der jetzigen Struktur der EG bedeutet für uns allerdings nicht, daß wir unser Heil in nationalstaatlichen Konzepten und Entwicklungswegen sehen würden. Wir sind nicht für eine Isolierung der Bundesrepublik in Westeuropa oder gar in Gesamteuropa. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir GRÜNEN treten ein für eine wirkliche europäische Gemeinschaft, für eine Gemeinschaft allerdings, die die Menschen verbindet, nicht für eine Gemeinschaft, die vor allem den Interessen der Bürokraten und der großen Wirtschaftskonzerne dient.
Wir bejahen Europa als politische Idee. Damit verbindet sich für uns die Erinnerung an die Geschichte: an das Leiden, das das deutsche Volk seinen Nachbarn und den anderen Staaten Europas während der Zeit des Nationalsozialismus zugefügt hat. Deshalb sind wir der Auffassung, daß Verständigung und Versöhnung mit allen Völkern Europas, nicht nur mit denen Westeuropas, oberstes Gebot zu sein hat.
Das sind auch die vorrangigen Ziele einer grünen Europapolitik. Es geht uns in erster Linie darum, die Menschen Europas zusammenzuführen und sicherzustellen, daß die Völker Westeuropas weder untereinander noch mit den Völkern Osteuropas je wieder einen Krieg führen werden. Gerade deshalb wehren wir uns ja auch so entschieden dagegen, daß die westeuropäischen NATO-Mitglieder zu bloßen Schachfiguren in der Militärstrategie der USA werden, die jetzt auf Konfrontationskurs mit der Sowjetunion geht und auf Wiedererlangung der globalen Vorherrschaft ausgerichtet ist.
2766 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Kleinert
Wir GRÜNEN treten für ein Europa von unten ein. Wir wollen eine europäische Gemeinschaft, in deren Mittelpunkt die gemeinsamen Interessen der wirtschaftlich abhängigen, sozial benachteiligten Menschen stehen.
Daß dies keine inhaltsleere Illusion ist, zeigt die seit vielen Jahren praktizierte Gemeinsamkeit von Basisbewegungen in grenznahen Räumen, z. B. die Gemeinsamkeit der Umweltschutzbewegung im deutsch-französisch-schweizerischen Grenzgebiet. Das ist eine Kooperation über nationale Grenzen hinweg, für die wir arbeiten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie zum Schluß zu kommen.
Ich komme zum Schluß.
Meine Damen und Herren, unsere Vorstellung von einem gemeinsamen Europa läßt es nicht zu, daß das bürokratische Monster, das die EG zur Zeit darstellt, noch weiter aufgebläht wird. Sie läßt es ebenfalls nicht zu, daß der EG-Kommission weitere Kompetenzen zugebilligt werden.
Aus allen diesen Gründen lehnen wir jede Erhöhung des Mehrwertsteueranteils für die EG entschieden ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird wohl niemand erwarten, daß ich auf die defätistische Miesmacherei von Herrn Kleinert im einzelnen eingehe. Auch der Antrag der SPD-Fraktion ist unserer Meinung nach nicht geeignet, die Einigung Europas voranzubringen oder auch nur den deutschen Beitrag für das Zustandebringen einer Einigung zu unterstützen. Der Antrag läuft vielmehr darauf hinaus und trägt dazu bei, die negativen Berichte über Europa um eine weitere Schlagzeile zu bereichern. Der erste Satz Ihres Antrags lautet:
Die Europäische Gemeinschaft steckt in einer tiefen Krise.
Wie soll die deutsche Bevölkerung, wie sollen die Völker Europas für eine Sache begeistert werden, wenn sie täglich mit Hiobsbotschaften konfrontiert werden? Ich meine, gerade wir Abgeordnete und Parlamentarier sollten immer wieder auf die positiven Seiten dieser Europäischen Gemeinschaft hinweisen,
selbstverständlich ohne dabei die notwendigen Reformen aus dem Auge zu verlieren. Dies hat die Bundesregierung unmißverständlich erklärt: Erst werden die Struktur der Ausgaben und die Beteiligungen der einzelnen Staaten geändert, und dann kann der deutsche Beitrag erhöht werden. Mit dieser Haltung kann die Bundesregierung mit der Unterstützung der FDP rechnen.
Wenn der bevorstehende Gipfel in Athen Erfolg haben soll, dann kann das nur über den Weg der Kompromißbereitschaft aller — ich betone: aller — Verhandlungspartner erfolgen. Das heißt, alle Partner müssen in die bevorstehende Runde flexibel und konzessionsbereit hineingehen. Das ist auch der Hauptgrund, weswegen wir Freien Demokraten dem SPD-Antrag nicht zustimmen können, sondern seine Überweisung befürworten. Dies ist auch der Grund, weswegen die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und FDP auf einen eigenen Antrag verzichtet haben. Durch starre Festlegungen würde die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung eingeschränkt, und es würde genau das erreicht, was Sie von der SPD auch nicht haben wollen, nämlich daß keine Bewegungsspielräume mehr da sind. Wenn alle Regierungen mit vorher im Parlament festgezurrten Bedingungen nach Athen reisen, wäre ein Scheitern in Athen direkt vorprogrammiert.
Meine Damen und Herren, für den Bürger in der Europäischen Gemeinschaft wird es zunehmend schwieriger, die Diskussion in Europa und die Problematik zu überschauen. Deshalb sollte man die Positionen auf das Wesentliche konzentrieren, und das Wesentliche ist, daß es zur europäischen Einigung keine Alternative gibt. Dies sei vor allen Dingen den GRÜNEN ins Stammbuch geschrieben. Man sollte gar nicht erst den Eindruck erwecken, als gebe es eine Möglichkeit von Alleingängen oder Abkoppelungen. Nur ein geeintes Europa kann auf Dauer Frieden und Freiheit auf diesem Kontinent sichern, und nur ein geeintes Europa kann sich mit seiner Stimme in der Welt Gehör verschaffen.
In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden — das ist doch keine Illusion, Herr Kleinert —, daß Europa als politische Kraft schon heute vollkommen gleichrangig neben den USA und der UdSSR steht. Die EG ist der größte Handelspartner der Welt. Ihr Außenhandelsvolumen ist mit über 40 % größer als das der USA, Japans und der UdSSR zusammen. Die EG erwirtschaftet das zweitgrößte Bruttosozialprodukt der Welt nach den USA und bringt die Hälfte der gesamten Entwicklungshilfe für die unterentwickelten Länder auf. Schließlich ist der Handelsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander seit 1958 um das 23fache und der Anteil der Bundesrepublik Deutschland sogar um das 27fache gestiegen. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland ist durch den Handel und die Zusammenarbeit in Europa gesichert. Ich meine, dies reicht für positive Schlagzeilen aus und zeigt deutlich, daß es für Europa keine Alternative gibt.
Ich räume ein, daß man in Zukunft über andere Modelle der europäischen Zusammenarbeit nachdenken kann. So hat der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europäischen Parlament, nämlich Martin Bangemann, ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten vorgeschlagen. Beim „Hambacher Disput" wurde diese Idee auch von konservati-
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Dr. Rumpf
yen und sozialistischen Politikern aufgegriffen, darunter alte Europäer wie Pierre Pflimlin und Altiero Spinelli. Aber auch Piet Dankert, der Präsident des Europäischen Parlamentes, und der belgische Außenminister Tindemans formulieren vorsichtig ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, wonach ein konzentrisches Europa in der Einigung schneller vorangehen könnte. Ich finde diese Gedanken sehr interessant.
Herr Hauff, Sie haben Herrn Tindemans und vor allen Dingen seine Schlußfolgerungen in dieser Hinsicht falsch zitiert. Es wird genau geprüft werden müssen, ob die verschiedenen Geschwindigkeiten eher zu einer Einigung ganz Europas führen oder ob das Gegenteil bewirkt wird, ob die Zentripetalkräfte größer als die Zentrifugalkräfte sind. Aber es ist immerhin vorstellbar, daß sich die Länder mit längerer EG-Erfahrung leichter einigen als später hinzugekommene oder noch vor dem Beitritt stehende.
Nun ein Wort zur Agrarpolitik. Es ist klar, daß bei der Agrarfinanzierung insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland eine Einigung erzielt werden muß. Aber bei aller Notwendigkeit, hier einen Kompromiß zu finden, muß der deutschen Öffentlichkeit doch auch mal gesagt werden, daß der gesamte EG-Haushalt nicht größer ist als der Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen. Er macht nämlich nur 57 Milliarden DM aus und die Kosten für die Agrarpolitik belaufen sich auf 32 Milliarden DM. Das sind nur 2 % der Verbraucherausgaben für Lebensmittel in der Europäischen Gemeinschaft oder, in D-Mark ausgedrückt, genau 155 DM pro Bürger und Jahr.
Herr Lenz hat vorhin schon darauf hingewiesen: Ist es nicht angesichts des Hungers in der Welt, angesichts der Verteilungskämpfe um die Nahrungsmittel und angesichts der Rationierung und schlechten Verteilung der Lebensmittel in unseren unmittelbaren östlichen Nachbarländern, in Polen, der DDR und der Sowjetunion, ist es angesichts solcher Probleme nicht enorm, daß wir in der Europäischen Gemeinschaft eine Regulierung der Überschüsse managen müssen, während dort der Mangel verteilt werden muß?
Der Bürger nimmt es mit Recht krumm, wenn Überschüsse an Nahrungsmitteln vernichtet werden. Sorgen wir dafür, daß sie in jeder Form und in jeder Hinsicht verwertet werden. Sorgen wir dafür, daß die Grenzkontrollen in Europa weiter abgebaut werden.
Namens der FDP-Fraktion wünsche ich den Verhandlungsführern in Athen Festigkeit, gepaart mit Kompromißbereitschaft,
klare Vorstellungen in Einzelbereichen, immer das große Ziel vor Augen: die Vereinigung Europas, die europäische Union.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß sich der Deutsche Bundestag in der heutigen Aussprache zur Vorbereitung des Europäischen Rates mit den wichtigen Themen dieser bedeutsamen Konferenz befaßt. Wir hätten es natürlich noch mehr begrüßt, Herr Kollege Hauff, wenn Sie sich nicht darauf beschränkt hätten, die Mängel in Europa darzulegen, sondern konkrete Vorschläge gerade für die dringend notwendigen Einsparungsmaßnahmen vorzunehmen.
Wer Sie hier reden hörte, Herr Kollege Hauff, hatte den Eindruck, hier spricht ein Oppositionsvertreter aus einem Land, das gerade in die Gemeinschaft eingetreten ist, und der nun Übelstände, die in Jahrzehnten entstanden sind, beklagt. Aber wir wissen doch alle, daß wir über diese Probleme seit langem im klaren waren, denn in der Europäischen Gemeinschaft gilt nicht das Kommando eines Staates, sondern die gemeinsame Einigung. Vieles von dem, was Sie mit Recht kritisieren, konnte von uns nicht durchgesetzt werden. Lasten Sie nicht der jetzigen Regierung an, was durch gemeinsame Fehler in der Vergangenheit durch alle europäischen Staaten geschaffen wurde.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Gern.
Herr Bundesaußenminister, nachdem Sie anmahnen, welche Vorstellungen denn die Sozialdemokraten zur Lösung der schwierigen Probleme der Reform des Agrarmarktes vorzutragen hätten, darf ich Ihnen ankündigen, daß ich Ihnen unsere Position, die seit 1980 veröffentlicht ist und detailliert und umfassend ist zur Gesamtreform des Agrarmarktes zusenden werde, so daß wir in zukünftigen Debatten auf den Punkt hoffentlich nicht mehr zurückkommen müssen.
Ich will Ihre Vorstellungen einmal nicht bewerten, Herr Kollege Hauff, aber schon die Tatsache, daß Sie nach Verabschiedung dieser Beschlüsse zwei Jahre als Regierungspartei Zeit hatten, sie durchzuführen, sie aber nicht durchführen konnten, zeigt doch, wie schwierig so etwas in der Europäischen Gemeinschaft ist.
— Herr Kollege, Ihr Sprecher hat auch keine Zwischenfragen zugelassen. Ich habe eine zugelassen,
aber ich würde jetzt gerne weiterreden dürfen. Sie
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Bundesminister Genscher
haben hinterher Gelegenheit, dazu noch einmal Stellung zu nehmen.
Ich wollte eigentlich nur noch sagen: Ich war ein bißchen erstaunt darüber, daß sich die Kollegen von der SPD so gefreut haben als — natürlich nicht in Übereinstimmung mit mir — der Kollege Dr. Lenz bei früheren Beitrittsverhandlungen von schlampiger Verhandlungsführung gesprochen hat. Die Verhandlungsführung war erstklassig, Herr Kollege, aber niemand kann die Entwicklungen voraussehen, nur, Sie dürfen mir ja widersprechen, weil Sie nicht beteiligt waren, aber die SPD kann sich daran nicht delektieren,
denn die für die Europafragen zuständigen Staatsminister im Auswärtigen Amt gehörten jeweils der sozialdemokratischen Fraktion an. Aber ich nehme diese Kollegen ausdrücklich in Schutz, weil ich wirklich der Meinung bin, daß diese Beitrittsverhandlungen gut geführt worden sind.
— Nein, sie sind auch gut geführt worden, nicht nur, weil ich die Verantwortung trage, sie waren wirklich gut. Herr Hauff, Sie können doch einmal etwas anerkennen, was wir gemeinsam gemacht haben. Das sind die Teile der Außenpolitik, zu der Sie auch heute noch überwiegend stehen. Beim Doppelbeschluß ist das anders, da würden Sie sich heute anders geäußert haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht darum, daß wir uns in der Europäischen Gemeinschaft bewußt sind — das, finde ich, sollte bei einer so ätzenden Kritik, Herr Kollege Hauff, die Sie hier geübt haben, vor unserer Öffentlichkeit auch gesagt werden —, daß es nicht weiterführt, mit den Begriffen „Zahlmeister" und „Nettozahler" die Lage in der Europäischen Gemeinschaft zu beschreiben.
Wenn wir uns einmal die Nettozahlerposition ansehen, dann stelle ich fest, daß wir im wirtschaftlichen Bereich Bruttoempfänger innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind. Wir haben Vorteile wirtschaftlicher Art aus dieser Gemeinschaft.
Und in der Landwirtschaft, wo man in der Vergangenheit bei der Gründung der Gemeinschaft annahm, das werde sich nur zum Vorteil der Franzosen auswirken, hat sich gezeigt, daß wir auch im Agrarmarkt für unsere Landwirtschaft davon profitiert haben. Wenn es um die außenpolitische Handlungsfähigkeit geht — das sage ich Ihnen —, sind wir das Land, das den allergrößten Vorteil aus dem Zusammenschluß der Europäischen Demokratien hat.
Wenn Sie diese Gesamtbilanz aufnehmen, dann ist bei allen Problemen, die wir haben, festzustellen:
Diese Europäische Gemeinschaft liegt im nationalen Interesse der Deutschen. Deshalb bekennen wir uns dazu.
Aus dieser Haltung heraus gehen wir daran, die Probleme zu lösen, die hier entstanden sind.
Meine Damen und Herren, wir müssen in der Tat zunächst darangehen, die Ausgaben zu beschränken. Da ist es wichtig, daß wir zu einer Begrenzung, zu einer Eindämmung des Anstiegs der Agrarausgaben kommen. Aber hier müssen wir auch die Auswirkungen solcher Maßnahmen sehr genau vor Augen haben. Im Antrag der sozialdemokratischen Fraktion heißt es:
Sparmaßnahmen dürfen nicht zu Lasten ertragsschwacher kleinerer Landwirtschaftsunternehmen gehen.
Ich weiß jetzt nicht, was Sie mit „Landwirtschaftsunternehmen" meinen. Unser gesellschaftliches Bild ist der bäuerliche Familienbetrieb.
Den wollen wir fördern.
Wir wollen auch nicht, daß nur die ertragsschwachen bäuerlichen Familienbetriebe erhalten bleiben, sondern wir möchten, daß auch die gesunden bäuerlichen Familienbetriebe erhalten bleiben und nicht durch Sparmaßnahmen von gesunden Betrieben zu notleidenden Betrieben werden.
Anerkennen Sie doch endlich einmal, was hier in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 25 Jahren geschehen ist. Hier hat es eine Reform im agrarpolitischen Bereich gegeben, die gesunde bäuerliche Familienbetriebe geschaffen hat.
Das ist ein Stück großer gesellschaftspolitischer Stabilität, die Ihnen möglicherweise nicht paßt, die aber dafür sorgt, daß es in diesem Lande aus dieser Richtung keine neue politische Radikalisierung gegeben hat.
Dazu bekennen wir uns.
Wenn Sie sich hier über den bäuerlichen Familienbetrieb lustig machen, sollten Sie als GRÜNE, die so tun, als ob sie besonders besorgt über die Natur in unserem Land sind — ich nehme Ihnen ernsthaft ab, daß Sie das sind —, auch die große landschaftspflegerische Leistung unserer Bauern anerkennen.
Ein großes Stück Natur verdanken wir unseren Bauern und ihrer Arbeitsleistung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn hier so großzügig über die Sparmöglichkeiten in der Landwirtschaft geredet wird, dann möchte ich Ihnen unter ökologischen Gesichtspunkten etwas sa-
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Bundesminister Genscher
gen: Daß bei praktisch stagnierenden Preisen oder nur sehr geringfügig angehobenen Preisen für unsere Landwirtschaft der bäuerliche Familienbetrieb überhaupt noch überleben konnte im Hinblick auf die Konkurrenz mit steigenden Preisen in anderen Bereichen, beruht darauf, daß mit einer großen Arbeitsleistung des Bauern und seiner Familie — vor allen Dingen auch der Ehefrau auf dem Bauernhof —
und mit Einsatz technischer Mittel und mit Einsatz — das muß ich Ihnen sagen — zum Teil eines Übermaßes von künstlichen Düngemitteln ökologische Probleme geschaffen worden sind, bei denen wir jetzt mindestens an der Grenze des Möglichen angekommen sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Ich finde, man soll nicht leichtfertig über Sparmaßnahmen — —
Herr Bundesminister, entschuldigen Sie bitte. Ich habe Sie gefragt. Ich konnte nicht verstehen, ob Sie ja oder nein gesagt haben. Haben Sie nein gesagt? Wollten Sie keine Zwischenfrage zulassen? — Haben Sie generell nein gesagt?
Frau Präsidentin, ich hatte schon vorher gesagt, ich wollte eine Frage beantworten, aber nicht eine zweite Frage.
Dann teile ich mit: Der Herr Bundesminister läßt in seiner Rede generell keine Zwischenfrage mehr zu, meine Damen und Herren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb bitte ich, über die Einsparmöglichkeiten nicht so leichtfertig zu reden, als sei das eine Sache, die man nur einmal so entscheiden müsse.
Wenn in dem SPD-Antrag vor der Gefahr des Protektionismus gewarnt wird, stimmen wir sehr zu. Nur: Sie wissen doch, daß ein großer Teil der Überproduktion gerade bei der Milch dadurch entsteht, daß Futtermittel aus dem Ausland in die Europäische Gemeinschaft eingeführt werden, daß es heute Agrarfabriken gibt, die mit dem bäuerlichen Familienbetrieb nichts zu tun haben,
wo eine große Anzahl von Milchvieh auf kleiner Fläche vorhanden ist. Das abzustellen wird allerdings eine wichtige Aufgabe in Athen sein. Sie können sicher sein: Dafür wird sich die Bundesregierung einsetzen. Ob sie die Zustimmung all ihrer Partner dafür findet, will ich noch einmal mit einem großen Fragezeichen versehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht darum, daß wir auf der Grundlage einer vorsichtigen — in bestimmten Fällen auch restriktiven — Preispolitik eine sichere Einkommensgrundlage für die landwirtschaftlichen Betriebe erhalten.
Denn es kann nicht Ziel der Sparmaßnahmen sein, Existenzen zu vernichten. Vielmehr müssen wir gerade mit dem Agrarmarkt den bäuerlichen Familienbetrieben im Norden und im Süden ausreichend Raum lassen.
Damit bekennt sich die Bundesregierung ausdrücklich und mit großem Nachdruck zum Beitritt Spaniens und Portugals. Sie weiß aber auch, daß der Beitritt Spaniens und Portugals eine Reihe von zusätzlichen Problemen für die Gemeinschaft schafft. Wer deshalb großzügig über Sparmaßnahmen im Agrarmarkt redet, muß wissen, daß wir zu einem neuen Verhältnis der Mittelmeer-Produkte zu den Produkten aus dem Norden kommen müssen. Dieses neue Verhältnis kann nur darin bestehen, daß die Mittelmeerprodukte — natürlich — zwar ihre Existenzmöglichkeit im Markt haben, daß sie aber in der Förderung nicht so behandelt werden können, daß sie die Existenzgrundlagen der bäuerlichen Familienbetriebe im Norden beeinträchtigen. Das ist eine außerordentlich schwierige Aufgabe. Da hören Sie einmal hinein, wie das in Südfrankreich, in Italien aussieht, welche Probleme die spanischen Bauern haben. Da kann man nicht so tun, als ob sich die Bundesregierung nicht bemühe, als ob sie nur nach Athen zu fahren und vorher noch drei Telefongespräche zu führen bräuchte und damit das Problem erledigt sei. Meine Damen und Herren, hier geht es um die existentiellen Grundlagen von Millionen und Abermillionen Menschen in allen Teilen der Europäischen Gemeinschaft.
Das verlangt verantwortungsvolles Handeln. Da kann man nicht einfach großzügig reden und sagen, das wird schon gemacht. In der Tat müssen wir zu einer Begrenzung der Agrarausgaben kommen, aber es muß eine sorgfältig abgewogene Entscheidung sein, die der Gemeinschaft nicht neue Probleme schafft, wo es in Wahrheit darum geht, diese Probleme zu überwinden.
Natürlich wollen wir auch eine Verbesserung der Haushaltsdisziplin. Es war die Bundesregierung, die verlangt hat, daß der Europäische Rechnungshof einen Bericht über die Effektivität bei der Verwendung der Mittel aus den Fonds vorlegt. Wir werden dafür sorgen, daß die Erkenntnisse aus diesem Bericht in die Beratungen in Athen einbezogen werden. Wir werden dafür sorgen, meine Damen und Herren, daß alle Kraft darauf verwendet wird, daß ein Korrektur- und Ausgleichsmechanismus zur Beseitigung des Haushaltsungleichgewichts im Budget der Europäischen Gemeinschaft führt. Das bedeutet auch Entlastung für das Vereinigte Königreich — das hat die jetzige Regierung gesagt, das haben frühere Regierungen anerkannt —, aber wir wollen auch eine Berücksichtigung, eine Begrenzung unserer Belastung und die Überschaubarkeit der auf uns zukommenden Lasten aus der Europäi-
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Bundesminister Genscher
schen Gemeinschaft, damit der Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland disponieren kann.
Nun zur Süderweiterung: Im SPD-Antrag wird nicht deutlich — es ist nicht ganz klar ausgedrückt, wie vieles in diesem Antrag —, ob die SPD erst nach einer Erweiterung zur Erhöhung des Umsatzsteueranteils bereit ist oder nicht. Ich sage Ihnen mit aller Klarheit: Ein Beitritt Portugals und Spaniens ist ohne eine gleichzeitige Anhebung des Mehrwertsteueranteils nicht zu finanzieren.
Allerdings sind wir auch nicht bereit, einer Erhöhung des Mehrwertsteueranteils ohne diesen Beitritt zuzustimmen; beides gehört zusammen.
Das ist der Sinn der Paketlösung, für die wir uns schon in Stuttgart ausgesprochen haben. Herr Kollege Hauff, Sie haben es etwas ironisiert, daß wir nach Stuttgart von einem Paket gesprochen haben.
Sie wissen doch: Dann, wenn verschiedene Interessen vorhanden sind, z. B. Begrenzung der Agrarausgaben, Erweiterung, Erhöhung des Mehrwertsteueranteils, Verbesserung der Ausstattung beim Sozialfonds, beim Regionalfonds, muß man diese bündeln. Dann packt man ein Paket, damit jede Seite daran interessiert ist, daß man sich einigt. Deshalb fand ich es ganz gut, daß — im Gegensatz zu Ihnen, der Sie das ironisieren — Ihr Fraktionsvorsitzender Vogel unmittelbar vor dem Europäischen Rat in Stuttgart auf die Frage „Unter welchen Voraussetzungen könnte die Opposition dieser Erhöhung von 1% auf 1,4 % der Mehrwertsteuereinnahmen zustimmen?" geantwortet hat: „Ich glaube, es muß ein Paket geschnürt werden." Da kann ich nur sagen: Er hatte recht, und wir haben das gemacht. Wir hätten es auch so gemacht, aber wir fanden uns hier von der Opposition unterstützt. Und dann sagt er weiter:
In dieses Paket gehört erstens die substantielle Reform der Agrarmarktordnung mit erheblicher Kostenminderung,
— darum sind wir bemüht, das als Zielvorstellung in dem Paket zu erhalten —
zweitens Klarheit über den Beitritt Spaniens und Portugals,
— das wollen wir, und deshalb verknüpfen wir beides, Beitrag und Erhöhung des Mehrwertsteueranteils, im Gegensatz zu Ihnen —
und drittens die Bereitschaft, die Leistungen, die dann zusätzlich von uns erwartet werden, vor allem auf dem Gebiet einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und der Strukturreform .. .
Wir sind auch bereit, an einer besseren Ausstattung der Fonds mitzuwirken, unter zwei Voraussetzungen: erstens, daß eine effektivere Mittelverwendung stattfindet, und zweitens, daß das Gießkannenprinzip durch eine Konzentration der Mittel auf die wirklich bedürftigen Gebiete beim Regionalfonds und auf die wirklich förderungswürdigen Zwecke ersetzt wird. Und da hat doch der Bundesarbeitsminister während der deutschen Präsidentschaft erreichen können, daß eine wesentliche Mittelkonzentrierung gerade für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit durchgesetzt worden ist. Wenn man also schon die deutsche Präsidentschaft würdigt, dann hätte man wenigstens diese Frage, die uns doch alle gemeinsam bedrückt, als positive Bilanz erwähnen können.
Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube, es lohnt sich nicht, in den Fragen der europäischen Politik gegenseitig Rechnungen aufzumachen. Was sich lohnt, ist, zu erkennen, welche Bedeutung dieses Europa für unser Land hat, welche Interessen für uns über die eigentlichen Themen von Athen hinaus im Spiel sind. Und vor diesem Hintergrund finden wir, daß wir mit der sehr nüchternen Verhandlungsplanung, wie sie sich aus dem Europäischen Rat von Stuttgart ergibt, nach Athen gehen und den Versuch unternehmen sollten, dort zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Es wird dann in der Zeit der französischen Präsidentschaft die Aufgabe sein, die politischen Beschlüsse in einzelne Gesetzesvorschriften der Gemeinschaft umzusetzen, deren Inkrafttreten wir mit dem Inkrafttreten der Mehrwertsteuererhöhung verbinden werden, damit wir die Sicherheit haben, daß aus politischen Erklärungen auch geltendes EG-Recht wird. Da werden wir gute Wahrer auch der deutschen Finanzinteressen sein. Aber wir werden darüber hinaus nie vergessen: Unser Land braucht Europa. Deshalb wollen wir Europa stärken.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, hätten Sie doch bloß die Vorlagen gelesen — jetzt hört er auch noch nicht zu; aber ich will es ihm trotzdem deutlich machen —, und hätten Sie doch bloß dem zugehört, was Herr Hauff gesagt hat. Es wären Ihnen einige Mißverständnisse erspart geblieben. In Abwandlung des Satzes „Wo sitzt der Liberale?" kann ich da nur fragen: Wo sitzt Herr Genscher? — Herr Genscher sitzt zwischen zwei Stühlen auf einem Sessel
und ist so bequem geworden, daß er nicht mehr wirklich nachvollziehen kann, warum wir diese Vorlage überhaupt gemacht haben. Sehen Sie, Herr Genscher, das Ziel, und zwar in einer außenpolitischen Kontinuität, war, der Bundesregierung
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Hoffmann
vor wichtigen Verhandlungen in Athen das Kreuz so zu stärken, daß sie vernünftige Entschließungen und Beschlußlagen produzieren kann.
Ich sage Ihnen auch, warum ich meine, daß Sie nicht nachgelesen haben. Sie haben bei den Punkten, die Sie vorhin kritisiert haben, dummerweise übersehen, daß die identisch in den einstimmig verabschiedeten Beschlüssen des Haushaltsausschusses und des Wirtschaftsausschusses zu finden sind. Das heißt, Sie hätten sich die ganze Agenda sparen können, wenn Sie wenigstens gelesen hätten, was die entsprechenden Ausschüsse des Bundestages beschlossen haben.
Aber manchmal kommt offensichtlich noch nicht einmal der Wunsch von unserer Seite zu Gehör, eine politische Debatte zu führen, um zu zeigen, wo wir Gemeinsamkeiten haben.
— Hören Sie bitte zu. Dann können Sie nachher weiterhin dazwischenrufen.
Wir wollten darstellen, wo wir glauben, daß die Bundesregierung mit gemeinsamen Beschlußfassungen der einzelnen Ausschüsse nach Athen gehen kann.
Nun hat der Herr Lenz ein Beispiel gegeben, wie man es machen kann. Er folgte in einsamer Spitze dem, was ich der Presse entnommen habe. Im Vorlauf auf den Gipfel von Athen habe ich einen ganz anderen Gipfel erlebt. Ich zitiere das einmal aus dem „General-Anzeiger":
Der SPD warf Stoltenberg vor, durch einen Beschluß des Bundestages die Aufstockung der EG-Finanzen blockieren zu wollen, obgleich sie über die Zusammenhänge der Gemeinschaftsprobleme Bescheid wisse.
Meine Damen und Herren, das ist auch ein Gipfel; das ist ein Gipfel an Frechheit,
nämlich zu unterstellen, daß wir in der Finanzfrage etwas blockieren wollten, um die Europäische Gemeinschaft zu stören. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir waren in den Ausschüssen nahtlos einstimmig der Meinung, daß wir so verfahren müßten. Wieviel Schizophrenie steckt denn eigentlich in Ihren Köpfen? Ich selbst habe doch die Verhandlungen mit den Kollegen von der CDU/CSU und der FDP geführt, damit wir diesen Text bekamen! Wir haben nichts weiter gemacht, als das etwas vornehmer und etwas unterstützungsfähiger in unseren Antrag hineinzuschreiben, damit sogar Sie zustimmen können.
Das heißt in Klarheit, Sie haben nicht einmal gelesen, was die Ausschüsse erklärt haben. Ich finde das sehr bedauerlich. Deshalb will ich Ihnen Nachhilfeunterricht geben; Herr Genscher, wenn Sie mir einmal zuhören können. Ich zitiere jetzt aus der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, die Ihnen als Drucksache vorliegt. Da haben wir einstimmig formuliert — ich will gar nicht aufführen, wer es im einzelnen gewesen ist —, die Begrenzung des Ausgabenanstiegs bei den EG-Agrarausgaben und die Einhaltung der 1 %-Grenze bei der Mehrwertsteuer seien unbedingt sicherzustellen. Das haben wir gemeinsam formuliert.
Weiter haben wir formuliert, daß wir voraussetzen, daß eine Eindämmung der Gesamtausgabenentwicklung, insbesondere der Agrarausgaben, die nicht zu Lasten ertragsschwacher kleinerer Landwirtschaftsunternehmen gehen darf, durchgesetzt werden soll. — Sehen Sie, da sind Sie schon wieder in die Falle getappt. Sie haben geglaubt, Sie zitieren etwas aus dem SPD-Antrag. Wir haben es aber wörtlich aus dem einstimmigen Beschluß des Haushaltsausschusses abgeschrieben.
Ich kann nur sagen: Es ist nicht nur eine leichte intellektuelle Entgleisung, sondern es ist makaber, wenn Sie sich hinstellen und erklären, daß Sie für den bäuerlichen Familienbetrieb sind. Darüber kann ich nicht mehr lachen. Man weiß ja, wie die Agrarentwicklung in Europa vor sich ging; ich füge hinzu: nicht immer in der Steuerungsfähigkeit durch uns. Es ist nicht so gewesen, daß die Agrarentwicklung sich so vollzogen hat, weil wir alle das so wollten. Aber hier hat es Fehlentwicklungen in einem solch immensen Umfang gegeben, daß man an diese Frage herangehen muß. Es stellt sich die Frage: Haben wir den entsprechenden machtpolitischen Hebel oder nicht? Darum geht es.
Deshalb sage ich Ihnen ganz deutlich, Herr Minister: Wenn wir hingingen und die 1 %-Grenze im Zusammenhang mit der Agrarfrage auflösten, wäre genau das passiert, was wir vermeiden wollten: Wir hätten die einzige Chance aus der Hand gegeben, tatsächlich die Korrekturen zu vollziehen, die notwendig sind.
Damit Sie wissen, was notwendig ist: Die Einkommensunterschiede bei den landwirtschaftlichen Unternehmungen betragen 1:7.
— Es geht hier um die staatlichen Finanzierungen, die wir betreiben. Herr Eigen, das wissen Sie doch ganz genauso. Wenn Sie hier dazwischenrufen, dann tun Sie das entgegen Ihrer eigenen Überzeugung; denn Sie sind doch immer mit uns der Auffassung gewesen, daß wir etwas für die Kleinen tun sollen.
— Dann machen Sie nicht einen solchen Zwischenruf.
Die geringsten Jahreseinkommen betragen 7 600 DM. Da ist etwas faul an diesem System der Agrar-
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wirtschaft. Das können Sie doch gar nicht erst bezweifeln.
— Herr Lenz, Sie haben einen Beitrag geliefert, über den ich deshalb traurig bin,
weil ich weiß, daß Sie ein überzeugter Europäer sind und eine Menge Erfahrung haben. Daß Sie sich auf das Podium des Deutschen Bundestags stellen und hier eine solche Rede ablassen, ist eine der schwächsten Leistungen, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.
Ich will Ihnen auch sagen, warum, Herr Lenz. Sie sind beispielsweise hingegangen und haben genauso falsch wie der Herr Außenminister geglaubt, uns zeihen zu dürfen, wir hätten im Sinne der Süderweiterung eine falsche Politik betrieben. Sie haben ein Zitat gefunden, aber leider haben Sie es falsch gemacht, denn auch hier stimmt es nicht. In unserer Vorlage steht zur Süderweiterung folgendes — ich will Ihnen das gleich darstellen, damit Sie genau wissen, was wir meinen; das ist unser Vorschlag an den Bundestag —:
Der Deutsche Bundestag befürwortet nachdrücklich den Beitritt von Spanien und Portugal zur Europäischen Gemeinschaft und spricht sich für einen raschen Abschluß der Beitrittsverhandlungen aus. Er weist Forderungen nach einer Erhöhung der EG-eigenen Einnahmen als Vorbedingung für den Beitritt zurück. Die aus dem Beitritt von Spanien und Portugal sich ergebenden finanziellen Fragen müssen im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die künftige Finanzierung der Gemeinschaft gelöst werden.
Jedem, der lesen kann, ist klar, daß wir sagen — es werden weder so noch so Junktims von uns hergestellt —: Wir wollen als oberste politische Priorität — darin waren wir immer mit Ihnen einverstanden —, daß Spanien und Portugal in die Europäische Gemeinschaft kommen. Damit das zügig passiert, müssen wir Klarheit darüber haben, welche Auswirkungen es hat.
Wir sind kein Hemmschuh — ich weiß, wer die Hemmschuhe sind —, sondern wir wollen den möglichst schnellen Abschluß der Beitrittsverhandlungen, wie immer möglich.
Herr Abgeordneter Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Ja, bitte.
Herr Kollege Hoffmann, ich habe mich — das war aus dem Wortlaut meiner Ausführungen auch deutlich geworden
— auf eine Verhandlung im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages bezogen
— das Fragezeichen kommt am Schluß —, bei der ich Ihre Kollegen gefragt hatte, ob es zutreffe, daß Sie Ihre Zustimmung zu einer Erhöhung der Mehrwertsteueranteile für die Europäische Gemeinschaft außer vom Beitritt noch von einer weiteren Bedingung abhängig machen, über deren Erfüllung Sie allein entscheiden, nämlich die grundlegende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik. Darauf ist mir geantwortet worden, das sei eine faire Interpretation Ihrer Absichten. Ich frage Sie: Stimmen Sie nun zu, j a oder nein?
Wissen Sie, diese Fragestellung ist aus dem schlichten Grund ungeeignet, weil wir die Frage schon dreimal beantwortet haben, Herr Kollege. Wir haben klar und deutlich gesagt, für uns gebe es keine finanziellen Vorbedingungen, kein Junktim, wir wollten, daß Portugal und Spanien hereinkommen. Wenn Sie hören wollen, dann tun Sie es bitte; ich brauche das noch nicht zum zehntenmal wiederholen.
— Lassen Sie mich weitermachen. Danke schön, aber — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie — —
Bitte, ich möchte jetzt fortfahren. Sonst komme ich ja gar nicht mehr dazu, das zu sagen, was ich eigentlich darstellen will.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Oostergetelo?
Also, ich weiß, daß er das sehr gut meint, aber — —
Gilt das generell?
Ich möchte das jetzt nicht mehr, sonst komme ich nicht zu den Punkten, die ich ausführen wollte; vielen Dank.
Ich möchte noch einen kleinen Ratschlag geben. Es ist j a leider Gottes so, daß die Regierung nur partiell zuhört; aber vielleicht darf ich ihn dann Ihnen geben, obwohl er bei Ihnen an der falschen Stelle ist, denn Sie sind ja für Landwirtschaft zuständig. Ich möchte Ihnen den Ratschlag geben, daß es taktisch falsch wäre, ein weiteres Junktim zwischen der 1-%-Mehrwertsteuerfinanzierung und der Frage von Zugeständnissen im Stahlbereich aufzustellen. Meine Damen und Herren, wenn wir
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Hoffmann
das machten, hätten wir überhaupt keine Verhandlungsposition mehr. Wir würden für ein Butterbrot und ein Ei etwas kassieren, was nachher nicht kontrollierbar und vollziehbar ist, und hätten dann den einzigen Hebel aus der Hand gegeben, mit dem wir die Agrarreform wirklich ausführen können.
Natürlich weiß ich, daß ein finanzieller Gesamtzusammenhang besteht. Das kann kein Mensch leugnen, und das haben wir im übrigen auch in den Antrag hineingeschrieben; ich bitte das unter Punkt 5 nachzulesen. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß man eine Verhandlungsposition verschenkte, wenn man hier ein Junktim knüpfte, weil ich als jemand, der aus der Stahlregion kommt, aus Erfahrung weiß, daß Sie das so nicht durchhalten können.
Nun weiß ich, daß auch diese industriepolitischen Fragen auf dem Gipfel eine Rolle spielen werden. In diesem Zusammenhang hat mich ein Schock erreicht: Der Bundeskanzler hat versprochen, sich persönlich um diese Frage zu kümmern.
Man weiß ja, was dabei herauskommt; ich will jetzt gar nicht an die Lehrstellen-Debatte anknüpfen, sondern nur fragen, was denn der Herr Bundeskanzler beispielsweise vor den Wahlen zur Werftenfrage in Bremen versprochen hat und was dabei herausgekommen ist. Was hat er vor der Bundestagswahl mit Blick auf den Stahlbereich — z. B. für ARBED-Saarstahl versprochen — und was ist hinterher herausgekommen?
Ich weiß, daß diese beiden Konflikte nicht national zu lösen sind und sage nur: Europäische Fragen müssen wir konkret so aufnehmen, wie sie gestellt sind. Wer glaubt, wir könnten einen dieser Sektoren im nationalen Alleingang in Angriff nehmen, der irrt gewaltig, und zwar nicht nur aus handelspolitischen Gründen, sondern auch aus systematischen Gründen. Ich bin der Überzeugung: solange wir nur Krisenmanagement betreiben — diese Kritik geht nicht nur an eine Seite des Hauses —, anstatt die Krisen zu bewältigen zu versuchen, werden wir auch an den Krisen scheitern. Man muß wissen, daß die Stahlkrise und die Werftenkrise und die Textilkrise und die Elektronikkrise und demnächst eine Automobilkrise mit Sicherheit nur dann wirklich in den Griff zu bekommen sind, wenn man einmal eine größere Umverteilung der Mittel aus verschiedenen Sektoren vornimmt. Wenn man weiß, daß Krisenlösungen immer nur durch Mitformulierungen der betroffenen Arbeitnehmer erfolgen können, dann heißt das nach meiner Auffassung, daß wir uns hier an eine systematische Frage unseres Wirtschaftssystems heranmachen müssen, wenn wir wirklich über Europa diskutieren wollen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang gibt es eine weitere Vorlage auf Drucksache 10/596, die ich für sehr wichtig halte. Auch diese Vorlage wurde, wie ich schon mehrfach betont habe, im Ausschuß einstimmig verabschiedet. Ich will deshalb noch einmal ganz deutlich machen: Auch die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß eine Antwort auf die Krisenfrage, die ihr Heil in protektionistischen Vorstellungen suchte, völlig töricht wäre. Die Beschlußempfehlung in der genannten Drucksache lautet:
Der Deutsche Bundestag befürwortet grundsätzlich eine Stärkung der gemeinsamen EG-Handelspolitik. Gegen den Kommissionsvorschlag
— über den wir damit in diesem Zusammenhang diskutieren —
bestehen jedoch schwerwiegende handelspolitische Bedenken. Er enthält einen einseitigen Ausbau der gemeinsamen Handelspolitik im protektionistischen Sinne.
Er widerspricht somit — auch das ist noch ein Zitat daraus — „den Zielen des GATT" und wird von uns entschieden zurückgewiesen.
Ich denke, daß wir hier eine gemeinsame Auffassung des Deutschen Bundestages formulieren. In Anlehnung an die Position meines Kollegen Mitzscherling, der einer der Berichterstatter in dieser Frage ist, will ich hier ausführen: die Kommission vergißt offenbar in dem Wunsche, der Verwirklichung des EG-Binnenmarkts über Kompromisse näherzukommen, alle guten Vorsätze. Statt eine offensive Strategie zur Förderung des Welthandels und eines fairen Wettbewerbs zu entwickeln, hat sie, den Vorstellungen weniger Mitgliedsländer folgend, ein Abwehrinstrumentarium gegen unlautere Handelspraktiken zusammengebastelt.
Ich will die Diskussion nicht im einzelnen weiterführen, aber ich denke, es ist ein gefährlicher Schritt, der hier von der Kommission vorgeschlagen wird; es ist nicht nur allgemeiner Protektionismus, sondern man gibt auch noch bestimmte Mitwirkungsmöglichkeiten an die Unternehmen selbst ab, eine nach unserer Auffassung außerordentlich gefährliche Fragestellung.
Wir wollen also, daß offene Grenzen da sind, daß offene Handelsbedingungen herrschen. Aber ich füge auch hier hinzu: offene Grenzen in der Europäischen Gemeinschaft haben auch zu Umverteilungsproblemen geführt. Das ist ein Problem der neu beitretenden Staaten. Das war so für die Staaten, die nach den Sechs nachgekommen sind, und das wird so sein für Spanien und Portugal. Wir müssen also beispielsweise darüber nachdenken, daß Kapitalkonzentrationen auf die Wohlfahrtssituation dieser Länder negative Auswirkungen haben können. Auch das gehört in die Frage des regionalen Ausgleichs zwischen Nord und Süd.
Meine Damen und Herren, wenn ich freien Handel sage, dann meine ich nicht das, was vor zwei Stunden auf den Tisch gekommen ist. Herr Strauß hat erklärt, er sei der Auffassung, daß wir die Han-
2774 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Hoffmann
delsbeschränkungen für den Waffenexport senken sollten. Nein, das meinen wir damit nicht.
Damit ist auch noch einmal angesprochen, daß die Dimension der Europäischen Gemeinschaft eben nicht nur die der Pfeffersäcke oder der Erbsenzähler ist, sondern daß sie in ihren gesellschaftspolitischen Bedingungen auch Rückgrat haben muß.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Diskussion heute hier gewollt, um Ihnen zu sagen, daß wir Ihnen für die von uns mit Ihnen gemeinsam getragenen Positionen das Rückgrat stärken wollen. Nur, meine Damen und Herren, damit wir das können, müssen Sie uns auch zeigen, daß Sie eines haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schartz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und meine Herren! Ich finde, es sind hier bemerkenswerte Reden gehalten worden. Ich möchte mir als praktischer Bauer erlauben, Ihnen, Herr Bundesaußenminister, herzlich danke schön zu sagen für die sehr konkreten und für die Landwirtschaft sehr zutreffenden Ausführungen, die Sie gemacht haben.
Ich meine, es war gut, daß die Bundesregierung hier durch ihren Außenminister erklärt hat, daß sie bereit ist, beim Eintritt von Spanien und Portugal die Mehrwertsteuer anzuheben, und ich meine, es war gut, daß die Bundesregierung auch die Schwächen der europäischen Politik hier dargetan hat.
Ich finde, Herr Kollege Hoffmann, daß auch Sie eine bemerkenswerte Rede zusammen mit Ihrem Kollegen Hauff gehalten haben.
Sie haben etliche Male den bäuerlichen Familienbetrieb angesprochen. In einer Zwischenfrage ist das agrarpolitische Papier der SPD angezogen worden; nur, mir geht das Verständnis dafür ab, wie Sie den bäuerlichen Familienbetrieb stärken und erhalten wollen bei der These, die Sie in Ihrem Papier haben und die noch vor acht Tagen hier in der Milchdebatte vorgetragen worden ist, nämlich mit Senkung der Agrarpreise. Wie Sie bei diesem System bäuerliche Familienbetriebe erhalten wollen, verstehe ich nicht.
Ich finde, daß in der öffentlichen Diskussion über die europäische Politik viel zu sehr auch optisch die negativen Dinge der EG in den Vordergrund gerückt worden sind. Dieses Hohe Haus sollte sich in der Meinung einig sein: die Europäische Gemeinschaft ist die Voraussetzung für wirtschaftliches Wohlergehen aller Länder in Europa und ist nicht zuletzt auch die Voraussetzung für den Frieden, den wir in der Welt erhalten wollen.
Die Voraussetzung für das wirtschaftliche Wohlergehen will ich an einigen Zahlen deutlich zu machen versuchen. Der Handelsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den übrigen europäischen Ländern hat die Summe von fast 200 Milliarden erreicht. Wir haben in dem Handelsverkehr zwischen den Ländern einen Überschuß von mehr als 40 Milliarden. Ich habe soeben gesagt: Ich spreche hier auch als praktischer Bauer. Ich möchte auch einen Hinweis darauf geben, daß die Überschüsse im Handelsverkehr zugunsten der Bundesrepublik Deutschland mit über 25 Milliarden DM durch Importe nach Deutschland ausgeglichen werden. Das heißt, die deutsche Landwirtschaft hat hier eine bedeutsame, die deutsche Industrie, das deutsche Gewerbe unterstützende Aufgabe.
Ich meine, ich sollte Ihr Augenmerk auch darauf lenken, wie sich die Ausgaben der EG letztlich zu dem Gesamthaushaltsvolumen aller nationalen Haushalte in Europa verhalten, das 1 749 Milliarden DM beträgt: Die Europäische Gemeinschaft hat einen Haushalt von gut 56 Milliarden. Das heißt, rund drei Prozent der nationalen Haushalte sind die Summe des EG-Haushalts. Mit diesen drei Prozent kann man, glaube ich, wohl nicht alles bewältigen.
Herr Kollege Hauff, ich will eine Bemerkung von Ihnen aufgreifen. Sie haben das Interesse der Arbeitnehmer in den Vordergrund gerückt. Wenn es für die Richtigkeit der Europäischen Gemeinschaft einen gesamtwirtschaftlichen Beweis gibt, dann ist das die Veränderung der Einkommenssituation unserer Menschen. Heute hat das Statistische Bundesamt die neuesten Zahlen veröffentlicht. Der durchschnittliche Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland gibt für Nahrungsmittel durchschnittlich 525 DM im Monat aus. Das sind etwas mehr als 15 % des Gesamteinkommens. Bei der Gründung der EG waren es mehr als 40 % des Gesamteinkommens, die für Nahrung ausgegeben werden mußten.
Ich möchte mir ein Wort zu den Damen und Herren der Fraktion der GRÜNEN erlauben.
Wissen Sie, wenn Sie von Ökologie um jeden Preis unter Außerachtlassung jeder Wirtschaftlichkeit sprechen, daß Sie dann die Lebensmittel für jeden Arbeitnehmer, für jeden Bürger in diesem Land verteuern? Wissen Sie, daß Sie damit die unteren Einkommensschichten treffen
und daß in einem Wirtschaftsbereich immer nur ein Zusammenwirken von vernünftigen wirtschaftlichen Überlegungen mit den Überlegungen, die wir Bauern naturgemäß haben müssen, nämlich die Fruchtbarkeit unseres Landes auch für die nächste Generation zu erhalten —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2775
Darf ich zuerst eine Bemerkung zu dem Herrn Zwischenrufer machen. Wenn Sie, Herr Kollege, meinen, daß die Erhaltung der Fruchtbarkeit für die nächste Generation ein dummes Geschwätz ist, dann kann ich Ihnen nur sagen: Dann verstehen Sie die Moral der Handhabung und des Verhältnisses der Politik nicht.
— Bitte schön, Herr Kollege Müller.
Herr Kollege Schartz, stimmen Sie mir zu, daß Sie, wenn Sie die Überschüsse vermindern wollen, die Produktionsmengen vermindern müssen — was entweder zu einer Einkommensminderung der Landwirte führt oder dazu, daß Sie die Preise dieser Produkte, z. B. Milch, erhöhen müssen — und daß dadurch automatisch die Preise steigen, was Sie soeben gerade vorgeworfen haben?
Nein, Herr Kollege Müller, ich stimme Ihnen nicht zu. Ich stimme Ihnen insoweit zu, als es notwendig ist, die Überschüsse durch eine Mengenbegrenzung zumindest einmal festzufrieren. Aber ich stimme Ihnen nicht zu, daß dies gleichzeitig mit einer Absenkung der Preise geschehen kann und daß dies automatisch mit einer Minderung des Einkommens stehen muß. Es mag einen Einkommensstillstand in manchen Bereichen dabei geben. Aber eine Einkommensminderung muß das nicht notwendig sein.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Bitte schön. Vizepräsident Wurbs: Bitte.
Herr Kollege, wenn Sie die Notwendigkeit des Abbaus der Überschüsse betonen, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie, wenn Sie die Überschüsse um acht Prozent abbauen, automatisch eine Einkommensminderung von fünf Prozent haben, und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie, wenn Sie das noch mit einer Quote verbinden, genau die bäuerliche Struktur kaputtmachen und die Struktur der Großbetriebe erhalten helfen?
Herr Kollege Oostergetelo, eine Quotierung der Milch, die j a auch mit einer Preisanhebung für die weiter produzierte Menge einhergehen kann,
kann durchaus zu einer Stabilisierung des Einkommens führen. Das, was die SPD will, ist der erklärte Wille, den Sie auch in Ihrem Memorandum festgelegt haben, nämlich Absenkung der Preise für landwirtschaftliche Produkte. Das ist Ihre agrarpolitische Zielsetzung.
Meine Damen und Herren, ich muß mit Rücksicht auf die Kollegen meiner Fraktion, die nach mir sprechen wollen, leider meine Ausführungen kürzen. Ich möchte nur noch etwas sagen. Wer glaubt, die Europäische Gemeinschaft könne mit einem sturen fiskalischen Betrachten ihrer Probleme diese lösen, wer glaubt, die Probleme der Landwirtschaft könnten durch das sture Absenken der Agrarpreise, wie Sie von den Sozialdemokraten dies wollen, gemildert werden, wer glaubt, daß damit die Kraft der Europäischen Gemeinschaft erhalten wird, der irrt sich. Ich meine, das, was der Bundesaußenminister und mein Kollege Dr. Lenz hier vorgetragen haben, nämlich eine Reorganisation der Ausgaben in allen Bereichen der Europäischen Gemeinschaft, eine politische Neuentwicklung der Europäischen Gemeinschaft und das Verständnis dieses Parlaments auch für die Interessen der Bauern, das wäre der richtige Weg.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die FDP-Fraktion in den verbleibenden paar Minuten doch noch einiges klarstellen. Ich bin der Auffassung, daß der Kollege Hauff die Dinge hier doch etwas zu einseitig dargestellt hat. Wer hat denn bis jetzt die Hauptlast der Einigung Europas getragen? Die Hauptlast der Einigung Europas haben bisher die 5,6 Millionen bäuerlichen Familienbetriebe Europas getragen, diese 20 Millionen Menschen.
Herr Hauff, wenn Sie mit so schönen Worten davon reden, was den Beitritt Spaniens und Portugals anbetrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß das eben in Italien, wenn es um die Frage der Zitrusfrüchte, der Oliven, um Gemüse und alle diese Dinge geht, in erster Linie kleine Bauern sind, auch in Spanien.
Herr Kollege Hauff, wenn Sie in der pauschalen Weise von Vernichtung von Gemüse, Obst, Nahrungsmitteln usw. sprechen, um die Emotionen hier in der Bundesrepublik Deutschland hochzujagen, wenn Ihre Partei — —
— Sehen Sie doch einmal nach, wo diese Gelder hingekommen sind: in erster Linie nach Südfrankreich, nach Süditalien, aber nicht in die Bundesrepublik Deutschland! Sie verteilen hier Äpfel, um bei den Verbrauchern den Eindruck zu erwecken, auch in diesem Jahr würde Obst vernichtet. In der Bundesrepublik Deutschland ist doch das Allerwenigste passiert. Wenn Sie diesen Weg nicht mehr beschreiten wollen, dann müssen Sie über direkte Hilfen den armen Leuten in Süditalien, in Südfrankreich und in der Zukunft auch in Spanien und Portugal helfen. Dann muß man gemeinsam einen anderen Weg finden.
2776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Gallus
Es wird nicht bestritten, daß wir in Europa Probleme haben. Ich kann das für meine Person, für meine Fraktion sagen. Ich war immer der Agrarpolitiker, der gesagt hat, es muß so viel Markt wie möglich stattfinden. Hier sind Fehler gemacht worden. Es gilt, sie gemeinsam zu bereinigen. Aber ich muß dem Herrn Außenminister für seine Ausführungen und seine Haltung in bezug auf Athen danken. Sie greifen hier den Landwirtschaftsminister an. Der Landwirtschaftsminister Kiechle ist der erste Landwirtschaftsminister Europas, der sich überhaupt dafür einsetzt, daß keine Förderung von Kuhställen, von Schweineställen usw. mehr stattfindet. Wo ist denn Ihr sozialistischer Kollege Rocard in Frankreich? Sie zitieren hier den französischen Landwirtschaftsminister, während jedermann weiß, daß es sehr schwierig ist, gerade mit Frankreich zu einem Akkord zu kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Wird es angerechnet? Vizepräsident Wurbs: Nein.
Gut, dann muß ich darauf verzichten. Tut mir leid.
Ich möchte nur noch einmal herzlich darum bitten: Wenn Sie schon so enge Beziehungen zum französischen Landwirtschaftsminister, zu Ihrem sozialistischen Freund dort, haben, dann sagen Sie ihm, er soll die Bundesrepublik Deutschland unterstützen. Diese Regierung ist nämlich diejenige, die an der Spitze der Agrarreform in Europa steht.
Wer bremst dann auf der anderen Seite? Das ist doch das Problem! Hier kann man die Dinge nicht mit schönen Worten verbrämen wollen.
Herr Kollege Hauff, wo sind denn die Großverdiener in der deutschen Landwirtschaft?
Sie reden hier von Kleinen und Großen. Nehmen Sie einmal die durchschnittliche Einkommenssituation.
— Doch, das ist sogar in Ihrem Leitantrag enthalten.
— Vielleicht ist Herr Oostergetelo das Leitbild der SPD
für den bäuerlichen Familienbetrieb in Deutschland.
Dann, Herr Kollege Hauff, kann ich allerdings sagen: Da müssen noch viele ausscheiden!
Herr Kollege Hauff, Sie reden pauschal über etwas, obwohl Sie im Detail wenig davon verstehen. Das muß ich Ihnen hier einmal sagen.
Das gilt auch in bezug auf die Ökologie. Wollen Sie denn wieder den Bauernknecht auf Höfen, wie wir sie vor hundert Jahren gehabt haben, machen? Da würden Sie gut aussehen!
Das muß ich Ihnen allerdings sagen!
Meine Damen und Herren, wer glaubt, heute noch in dieser Form Politik machen zu können, der hat sich getäuscht. Das gilt auch bezüglich der Verbraucher, denn diese Agrarpolitik, die wir bisher gemeinsam getrieben haben und die wir auch in Zukunft in der neuen Regierung betreiben wollen,
hat dazu geführt, meine Damen und Herren von der Opposition, daß der Verbraucher heute noch 18% für Nahrungsmittel ausgibt, 18%!
Das hat es in der Geschichte
dieser Republik noch nie gegeben.
Die Situation in bezug auf die Verbraucher ist genauso gut wie in Amerika. Dabei darf ich eines hinzufügen: Heute hat uns die Nachricht erreicht, daß in Amerika ein Gesetz verabschiedet worden ist, nach dem für jede nichtabgelieferten 100 pounds Milch 10 Dollar gezahlt werden — das sind 60 Pfennige für einen Liter! —, und zwar 15 Monate lang. Sie können uns hier doch nicht weismachen, daß die Agrarpolitik in anderen Gebieten der Erde nichts kostet. Das gibt es überhaupt nicht!
Sie müssen bei jeder Agrarpolitik — auch beim Sparen — daran denken, daß wir die Einkommen dieser bäuerlichen Familienbetriebe Europas absichern müssen. Da vertrauen wir auf die Bundesregierung,
vertrauen wir auf Hans-Dietrich Genscher, auf den Finanzminister
und auf den Landwirtschaftsminister.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 . 2777
Gallus
Gott sei dank sind diese Männer in der Lage, unsere Interessen so zu vertreten, daß wir erwarten können, daß in Athen vernünftige Beschlüsse herauskommen. Sie, meine Damen und Herren, sollten — wie wir alle in diesem Hohen Hause — eigentlich nur eines tun: der Bundesregierung Glück bei den Verhandlungen in Athen wünschen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich werde mich nicht mit der Hauffschen Rhetorik befassen.
Zeitweise waren das „Hauffsche Märchen".
Ich möchte zu einem Thema Stellung nehmen, das heute noch nicht angesprochen wurde, nämlich zur Vorlage unter Punkt 4 der Tagesordnung, wobei es sich um eine Verordnung der EG handelt, die zeigt, daß — bei aller Bejahung der Europäischen Gemeinschaft — Vorsicht am Platze ist, damit nicht Dinge in Europa eingeführt werden, die wir alle gemeinsam nicht wollen.
Es geht um einen Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission gegen unlautere Handelspraktiken in Drittländern.
— Sie sind aber nur ganz kurz darauf eingegangen.
Bekanntlich sieht der EG-Vertrag eine freiheitliche Gestaltung des Welthandels und eine schrittweise Beseitigung der Beschränkungen vor. Nun haben wir einen Entwurf der EG-Kommission, der wenn wir ihn annähmen, genau das Gegenteil dessen bringen würde.
Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie sich gegen diesen Entwurf gewandt hat. Wir wollen ihr bei ihren künftigen Verhandlungen den Rücken stärken, daß dieser Entwurf nicht Recht in der EG wird. Die Kommission will hier eine neue Regelung, obwohl sie noch vor einem Jahr gesagt hat, daß die bestehende Schutzklausel des Art. 113 ausreicht. Aber sie will ihre Stellung stärken. Sie will hauptsächlich auf französischen Wunsch hin die Stellung der Industrie stärken, gegen Handelspraktiken, die ihr nicht gefallen, vorzugehen.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat gegen diese Verordnung größte Bedenken. Es sind hauptsächlich vier Gründe, die wir dagegen anführen.
Erstens. In der heutigen Situation der Weltkonjunktur brauchen wir nicht mehr, sondern weniger Beschränkungen des Handels. Oft haben wir in den letzten Jahren gegen die häufige Anwendung des Art. 113 durch einzelne Mitgliedstaaten Bedenken erhoben. Es wäre inkonsequent, wenn wir nun einer Superschutzklausel, wie der jetzt vorgesehenen, zustimmten. Damit würden Eingriffe in die Handelsströme geradezu ermutigt. Was die Folge wäre, können wir uns ausrechnen. Es kämen Vergeltungsmaßnahmen unserer Partner bis hin zu einem Handelskrieg. Wozu das letzten Endes führen würde, haben wir in den 30er Jahren erlebt. Wir wollen aus dieser geschichtlichen Lektion unsere Lehren ziehen. Deshalb sagen wir: im Zweifel gegen Handelsbeschränkungen.
Zweitens. Die bestehenden Instrumente der Gemeinschaft, Art. 113, und des GATT reichen aus. Bürokratische Eingriffe führen zu Kosten, zu Unsicherheit, zu Wachstumsverlusten. Deshalb sind wir für eine Verringerung der Möglichkeiten von Behörden, in wirtschaftliche Vorgänge einzugreifen.
Drittens. Es wäre nicht gut, wenn die Industrie durch ein eigenes Antragsrecht ermutigt würde, in Brüssel ständig zu versuchen, ihre Konkurrenz durch behördliche Hindernisse zu behindern. Die Industrie soll sich auf ihre Aufgabe konzentrieren, durch intelligente, kostengünstige Produkte sichere Arbeitsplätze zu bieten. Auch wenn die Konkurrenz unbequem ist, ist sie die bewegende Kraft der Marktwirtschaft. Deswegen sind wir dafür, diese Konkurrenz auch in schwierigen Zeiten zu erhalten. Zu Ehren der deutschen Industrie muß gesagt werden, daß es unsere Industrie war, die einmütig und ohne Wenn und Aber gegen diese Verordnung, gegen diese Pläne der EG-Kommission Stellung genommen hat.
Viertens. Falsch wäre, wenn die Kommission die erste Zuständigkeit für handelspolitische Eingriffe hätte. Die Verantwortung muß bei den politisch Verantwortlichen in den Ländern und beim Ministerrat bleiben. Die Folgen einer Handelsbeschränkung können nämlich so weitreichend sein, daß nicht nur handelspolitische Gesichtspunkte für Entscheidungen auf diesem Gebiet eine Rolle spielen dürfen.
Zusammenfassend sage ich also: Wir unterstützen die Ziele, die in Williamsburg feierlich formuliert wurden: Abbau der Handelsschranken, Widerstand gegen jede Art von Protektionismus. Wir wollen eine fairen, offenen Wettbewerb. Wir wollen auch den Entwicklungsländern unsere Märkte öffnen. Nur so kommt die internationale Arbeitsteilung zustande, die die heutige wirtschaftliche Krise langfristig überwindet.
Wir wünschen dringend Fortschritte bei der Verwirklichung des Binnenmarkts innerhalb der EG. Das ist ein anderes Thema, das wir vor einem halben Jahr hier diskutiert haben. Aber diese Fort-
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Dr. Schwörer
schritte dürfen nicht mit Abschirmungsmaßnahmen gegen Drittländer erkauft werden.
Deshalb, Herr Bundesaußenminister, bitten wir die Bundesregierung, diesen Kommissionsvorschlag, auch wenn er mit erwünschten Dingen zusammengepackt wird, keinesfalls anzunehmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Borchert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Kürze der Zeit will ich mich nicht mit den gespenstischen Beiträgen der Kollegen Hauff und Kleinert auseinandersetzen. Es war interessant, daß sich der Kollege Hoffmann in seinem Debattenbeitrag überwiegend auf die Ausschußvorlagen bezogen und darauf hingewiesen hat, daß in diesen Ausschußvorlagen einer Eigenmittelerhöhung der EG unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt wird, die in diesen Entschließungsanträgen der Ausschüsse genau definiert sind, während in dem Antrag der SPD unter Ziffer 2 jede Erhöhung der Eigenmittel der EG kategorisch abgelehnt wird.
Dies, meine ich, ist ein interessanter Punkt, auf den der Kollege Hoffmann in der Debatte leider nicht eingegangen ist. Ich meine, mit dem Beitritt von Spanien und Portugal muß doch über die Eigenmittelausstattung der EG neu nachgedacht werden, sie muß neu geregelt werden, um die Finanzierung der EG-Politik und der Gemeinschaftsmaßnahmen sicherstellen zu können.
— Sie haben in Punkt 2 ohne jede Bedingung formuliert, daß Sie jede Erhöhung ablehnen.
Voraussetzung für diese Erhöhung ist aber, daß alle Möglichkeiten für Einsparungen vorher ausgeschöpft und daß die offenen Fragen bis dahin geklärt werden.
Darüber hinaus muß die Bundesregierung in Athen darauf bestehen, daß eine größere Ausgewogenheit bei der Finanzierung der EG hergestellt wird.
Wir wissen, daß wir auf Grund unserer relativ guten wirtschaftlichen Situation die größte Last der Finanzierung zu tragen haben; aber die EG kann nur weiterentwickelt werden, wenn die finanziellen Bedingungen für alle gerechter gestaltet werden. Eine Gemeinschaft, die auf Kosten eines einzigen finanziert wird, ist auf Dauer keine Gemeinschaft. Daher müssen wir in Athen durch einen geeigneten Korrekturschlüssel eine ausgewogene finanzielle Belastung aller Mitgliedsstaaten erreichen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auf die Reform der Agrarpolitik eingehen, die als eine der wichtigsten gemeinsamen Politikbereiche zur Zeit die größten Kosten verursacht. Dies ist sicher nicht Schuld der Bauern, weder in der Bundesrepublik noch in den anderen Ländern Europas, sondern das liegt an einer falschen Weichenstellung.
Am dringendsten erscheint im Agrarbereich eine Reform des Milchmarktes. Wir sind sicher, daß die Einführung eines Garantiemengenmodells die geeignetste Maßnahme Ist, um die angebotenen Mengen relativ kurzfristig in den Griff zu bekommen und um die finanziellen Auswirkungen sofort wirksam werden zu lassen. Im Vergleich zu allen anderen Modellen, auch im Vergleich zu den Modellen der SPD, werden dabei die kleinen Betriebe am wirksamsten geschützt.
— Wir können darüber gern gelegentlich diskutieren.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Nein.
Daß Sie in Ihrem Antrag über eine Verschärfung der dirigistischen Eingriffe klagen, erscheint mit angesichts der dramatischen Lage auf dem Milchmarkt und der bestehenden staatlichen Eingriffe unverständlich.
Bei aller Bereitschaft, über ordnungspolitische Einwände zu diskutieren, meine ich, daß der Milchmarkt ein völlig ungeeignetes Beispiel ist, um gerade an dieser Stelle marktwirtschaftliche Standfestigkeit zu demonstrieren.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, wir haben in der nächsten Woche bei der Haushaltsdebatte genug Gelegenheit zur Demonstration marktwirtschaftlicher Standfestigkeit, und ich bin dabei auf Ihre Beispiele gespannt.
Für die Bundesregierung ist eine befriedigende Regelung des europäischen Stahlmarktes eine unverzichtbare Voraussetzung für die zukünftige Finanzierung der EG. Das Subventionsunwesen in der europäischen Stahlindustrie hat zu einer unerträglichen Belastung der deutschen Stahlindustrie geführt. Die Subventionspraktiken und ihre Auswirkungen gefährden nicht nur die Stahlindustrie, sondern sie gefährden darüber hinaus auch die Grundpfeiler der Europäischen Gemeinschaft. Eine Fortentwicklung der EG kann daher nur gelingen, wenn auch die Probleme des europäischen Stahlmarktes mit gelöst werden.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2779
Borchert
Ich bin aber sicher, daß trotz aller Probleme, die in Athen gelöst werden müssen,
nach Jahren der Stagnation in Europa mit den Beschlüssen aus Stuttgart und den Verhandlungen in Athen eine neue Phase der europäischen Politik begonnen hat und daß wir die Stagnation der letzten 13 Jahre, für die Sie verantwortlich sind, mit diesen Gipfeltreffen überwinden werden.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP soll der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/663 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. Die Fraktion der SPD beantragt sofortige Abstimmung. Der Antrag auf Ausschußüberweisung geht vor. Deshalb lasse ich zunächst über die beantragte Überweisung an die Ausschüsse abstimmen. Wer der vorgeschlagenen Überweisung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen. Damit ist der Antrag auf sofortige Abstimmung erledigt.
Des weiteren wird von den Fraktionen von CDU/ CSU und FDP die Rücküberweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 4 und 5, und zwar die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 4 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, die Vorlage zu Tagesordnungspunkt 5 zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Finanzausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, beantragt. Sind Sie mit dieser Überweisung einverstanden? Wer der Überweisung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Reuschenbach, Dr. Jens, Junghans, Hoffmann , Urbaniak, Stiegler, Schluckebier, Wieczorek (Duisburg), Dr. von Bülow, Dr. Ehrenberg, Jung (Düsseldorf), Frau Dr. Martiny-Glotz, Dr. Mitzscherling, Rohde (Hannover), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Wolfram (Recklinghausen), Zeitler, Meininghaus, Sieler, Stockleben, Grobecker, Waltemathe, Brück, Frau Steinhauer, Liedtke, von der Wiesche, Menzel, Purps, Reschke, Toetemeyer, Lohmann (Witten), Grunenberg, Dr. Klejdzinski und der Fraktion der SPD
Sicherung der Arbeitsplätze in den Stahlstandorten
— Drucksache 10/578 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Entschließungsantrag anläßlich der Novellierung des Investitionszulagengesetzes eingebracht — —
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, einen Augenblick. Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Platz zu nehmen.
Ich werde mich schon durchsetzen.
Davon bin ich überzeugt, aber trotzdem.
— eingebracht, weil wir es für nötig halten, über den speziellen Punkt hinaus klarzustellen, daß die ganze Stahlpolitik zur Rede steht.
Heute ist es offensichtlich, daß die Bundesregierung vor dem Scherbenhaufen dessen steht, was sie vor neun Monaten noch als „Stahlpolitik aus einem Guß" bezeichnet hat. Nichts von dem, was der noch amtierende Bundeswirtschaftsminister seither und dann alle paar Wochen angekündigt, versprochen und beschworen hat, ist realisiert worden. Keine Klarheit auf der EG-Ebene, im Gegenteil: Jetzt wird mit der EG-Kommission vor Gericht verkehrt.
Vor dem letzten europäischen Gipfel gab es starke Worte, die nun für Athen wiederholt werden, voraussichtlich wieder ohne Ergebnis.
Kein einziges unternehmensübergreifendes Konzept ist übriggeblieben. Die Abschiebung der Verantwortung für eine sinnvolle Neuordnung auf die Stahlwirtschaft hat, wie von vielen vorhergesagt, zum erbarmungslosen Verdrängungskampf geführt. Keine Woche vergeht, ohne daß dieser oder jener Aufsichtsrat Teil- und Betriebsstättenstillegungen beschließt, ohne daß dabei Branchen- oder Regionalgesichtspunkte berücksichtigt werden, von diesen Einzelunternehmen wohl auch nicht können.
Die Bundesregierung scheut sich nicht, der Tarifautonomie an den Kragen zu gehen, um vage und unsichere Sanierungskonzepte durchzusetzen. Wir halten das wirklich für einen unglaublichen Vor-
2780 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Reuschenbach
gang, daß eine der wichtigsten verfassungsmäßigen Grundlagen, die Koalitionsfreiheit, durch eine Bundesregierung in Frage gestellt wird, indem sie ein Unternehmen sozusagen zwingt, aus dem Tarifverband auszusteigen. Es ist eigentlich ein Skandal, daß nach dreimaliger gewaltiger Subvention die Lage und Entwicklung von Arbed immer noch als völlig offen und unübersichtlich bezeichnet werden muß.
Alles, was es heute überhaupt an positiven Elementen in der Stahlpolitik gibt, ist bis zum Herbst des vorigen Jahres auf den Weg gebracht worden: das Investitionshilfegesetz, das Investitionszulagengesetz für Stahlstandorte, die unverzichtbare und fortzuführende soziale Flankierung und die Verabredungen und Vereinbarungen über die Einhaltung von Preisdisziplin. Aber da fehlte der wichtigste Punkt: Wir hatten bis zum Herbst des vorigen Jahres und in der Zeit danach den damaligen und derzeitigen Bundeswirtschaftsminister gedrängt, das Ganze in eigene Vorstellungen der Bundesregierung über die Neuordnung der Stahlindustrie einzubetten. Es waren und sind ja nicht nur die Sozialdemokraten, die das fordern. Das hat die Monopolkommission getan. Das hat der Wirtschaftsverband getan. Das haben die Gewerkschaften getan. Das haben diverse Landesregierungen und viele andere mehr getan.
Nicht einmal der Minimalforderung der Koalition im Wirtschaftsausschuß ist der Wirtschaftsminister gefolgt. Die Mehrheit von CDU und FDP hatte dort am 21. Februar dieses Jahres unter anderem beschlossen:
Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt der Bundesregierung ihrer Entschlossenheit zur Existenzsicherung der deutschen Stahlindustrie zu unterstreichen durch die Formulierung einer Auffanglinie, um der anhaltenden Gefährdung der Existenz der deutschen Stahlindustrie und ihrer wettbewerbsfähigen Arbeitsplätze ... entgegenzuwirken.
Nicht einmal diese Minimalforderung der eigenen Koalition ist bis heute in die amtliche Ministerienpolitik eingegangen. Mit ideologischer Sturheit lehnen der Wirtschaftsminister und seine Kollegen im Kabinett das ab.
In diesen Tagen hat der Bundeskanzler einen Brief aus Oberhausen bekommen. Er bekommt viele Briefe, aber es gab auch einen Brief aus Oberhausen. Die dortige CDU fordert ihn verzweifelt auf, endlich ins Revier zu kommen. Dort herrsche — so seine Parteifreunde — wegen der Politik am Revier vorbei tiefe Resignation. „Ergreifen Sie die Initiative", heißt es in diesem Oberhausener Brief. Wir machen ihn uns ausdrücklich zu eigen.
Die Novellierung des Investitionszulagengesetzes, die in der kommenden Woche beschlossen werden soll, halten wir für richtig. Sie ist aber kein Ersatz für ein Neuordnungskonzept. Sie erhöht zwar die Einzelfallhilfe, hatte bzw. hat aber auch schwere Mängel. Wir hatten in zwei Hauptpunkten Kritik geübt. Die Bundesregierung hatte versucht, sich aus der nationalen Verantwortung zu stehlen.
Sie wollte den Bundesländern die Hälfte der stahlspezifischen Finanzierungshilfen aufbürden. Wir haben mit der Mehrheit des Bundesrats gefordert, daß der traditionelle Schlüssel von zwei Drittel zu ein Drittel beibehalten wird. Die Koalition hatte diese Forderungen im Wirtschaftsausschuß noch abgelehnt, aber inzwischen scheint es doch ein Einlenken der Bundesregierung zu geben. Sie scheint sich den besseren Argumenten anzupassen und zu beugen. Wir begrüßen das ausdrücklich und würden uns freuen, wenn dieser traditionelle Schlüssel nun gefestigt und auch auf andere Teile der Bundesrepublik Deutschland ausgedehnt würde.
Wir sehen ferner nicht ein, daß die landesseitigen Mittel auch für Betriebsstätten gegeben werden sollen, die in einem ganz anderen Bundesland liegen. Die Konzernsitzstruktur ist nun einmal so, daß auf diesem Wege eine Landeskasse über Gebühr strapaziert wird. Dieser Forderung hatte der ganze Wirtschaftsausschuß zugestimmt, die Mehrheit im Finanzausschuß hatte sie wiederum abgelehnt, und nun ist die Bundesregierung — wie man hört — nach einem Gespräch zwischen dem Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und dem Bundeswirtschaftsminister bereit, diesem Petitum in geeigneter Weise zu folgen. Ich hoffe sehr, daß das nicht nur ein Gerücht ist, und ich hoffe auch sehr, daß der Bundesrat, der in dem Zusammenhang ja wohl auch noch eine Rolle spielt, keine unüberwindlichen Hürden in den Weg legt.
Bei unserer Forderung in diesem Zusammenhang handelt es sich nicht etwa darum, daß das Land Nordrhein-Westfalen als zugeknöpft zu bezeichnen sei. Die rund 800 Millionen DM, die jetzt erneut für Stahlhilfen zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müssen, gehen zusammen mit seinem Kohlehilfenanteil — allein bei der Koks-Kohle-Beihilfe handelt es sich um eine Erhöhung um weitere 240 Millionen DM — ganz bestimmt bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit, dies um so mehr, als die Handlungsspielräume der Länder z. B. durch Steuergesetzgebung immer weiter beschnitten werden.
Wir hoffen sehr, daß die Bundesregierung auch bereit ist, wenigstens ernsthaft zu prüfen, ob der Stahlwirtschaft durch gemeinsame Bürgschaften nicht die Möglichkeit eröffnet werden kann, die preiswerten EG- Modernisierungskredite in Anspruch zu nehmen. Es wäre ja wohl ein Witz, wenn diese Unterstützungsmaßnahmen seitens der EG an dieser Ecke scheitern würden.
Und dann habe ich noch eine dringende Bitte. So merkwürdig es klingt: Die Bereitschaft des Bundeswirtschaftsministers, dem Verkauf von Kruppstahl-Aktien an die WestLB endlich zuzustimmen, hat etwas mit dem Weihnachtsgeld der Kollegen zu tun.
Denn nur dann, wenn dieser Verkauf stattfindet, hätte dieses Unternehmen — so jedenfalls die Auskünfte der Unternehmensleitung — die Möglichkeit, die Chance, das fest vereinbarte Weihnachts-
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geld auch auszuzahlen. Es gibt in der Sache überhaupt keinen Grund dafür, diesen Aktienverkauf an die WestLB weiter zu blockieren, so wie der Bundeswirtschaftsminister das mit heuchlerischer Sorge um das künftige Schicksal der nordrheinwestfälischen Landesregierung tut.
Wir werfen der Bundesregierung und dem noch amtierenden Bundeswirtschaftsminister nicht vor,
daß es in der Stahlindustrie Arbeitsplatzverluste gibt.
— Nein, wir werfen es ihm nicht vor, daß es dort Arbeitsplatzverluste gibt, bestimmt nicht. Aber wir werfen ihm vor, daß er die Stahlindustrie und die Stahlarbeiter sich selbst auf einer schiefen Ebene überläßt und allenfalls betet, daß der Fall doch noch durch irgendein Wunder gebremst werden möge. So zu denken, mag für den eigenen Fall vielleicht angebracht sein, für die Stahlindustrie ist das kein tragfähiges Konzept.
Noch eindeutiger klagen wir die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundesrates wegen ihrer regionalpolitischen Untätigkeit und Gleichgültigkeit an.
— Natürlich, es ist ja Sache der Opposition, den Finger auf die Wunden zu legen, und ich denke, es sind in der Tat Wunden, die wir ansprechen. Ich weiß doch, wie die Kollegen aus dem Saarland, aus Nordrhein-Westfalen und aus Bremen, die Ihrer Fraktion angehören, denken. So außergewöhnlich ist doch das, was ich hier vortrage, nicht, daß Sie sich darüber erregen müßten. — Wenn es schon so kommt, daß in einigen wenigen Regionen 13 000 bis 17 000 Stahlarbeitsplätze abgebaut werden, wenn infolge eines gebrochenen Versprechens, einer in die Welt gesetzten Hoffnung, die nicht erfüllt wird,
in Bremen nun erneut Arbeitsplätze draufgehen — wobei übrigens auch die GRÜNEN im Bundestag der Regierung den Rücken stärken, und zwar ungeachtet der schlimmen Folgen, die sich daraus ergeben, daß die Fusion nicht zustande kommt —, wenn schon erzwungen wurde, daß es allein zwischen Dortmund und Duisburg weitere 14 000 Arbeitsplätze im Bergbau weniger geben wird, wenn man also, einschließlich Zulieferer- und Mantelindustrie sowie Dienstleistungsgewerbe, mit einer weiteren Arbeitsplatzverringerung von 60 000 bis 70 000 fest rechnen muß, dann sind ausreichende Anstrengungen für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in diesen Regionen doch wohl das mindeste, was man verlangen kann.
Auch hier berufen wir uns auf den erwähnten Mehrheitsbeschluß im Wirtschaftsausschuß vom
Februar dieses Jahres, mit dem die Mehrheit — wohlgemerkt: die Mehrheit — die Bundesregierung aufgefordert hat, zusammen mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaft eine weitere Verbesserung insbesondere im Hinblick auf die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen herbeizuführen. Nichts, kein Ansatz für Schlußfolgerungen. Unsere mehrfach wiederholten Forderungen, daß bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" eine an der Arbeitslosigkeit orientierte Meßlatte angelegt werden sollte, blieben in der Koalition ohne Echo. Sie sind bei der vorjährigen Überprüfung des Maßstabes abgelehnt worden. Für die Bergbau- und Stahlgebiete gibt es Stillegungen, aber keine strukturpolitischen Perspektiven.
In seiner Regierungserklärung hat der Bundeskanzler u. a. gesagt:
Das Ruhrgebiet war immer ein Zentrum wirtschaftlicher Leistungskraft und industriellen Fortschritts. Das verdanken wir den Menschen im Revier, ihrem Arbeitswillen und Unternehmungsgeist. Wir wollen helfen, die Leistungskraft des Reviers wiederherzustellen.
Das war zwar wenig genug in der Regierungserklärung, aber nicht einmal von dem Wenigen ist bisher irgend etwas sichtbar geworden.
Ich muß Ihnen offen gestehen: Bei uns verstärkt sich der Eindruck, daß infolge tätiger Untätigkeit und lässiger Unterlassung der Koalition hier eine Politik gegen das Revier im Gange ist, deren Folgen 1984 und 1985 dann wohl den roten Rathäusern im Revier und den Sozialdemokraten in Düsseldorf angelastet werden sollen. Wenn das die Wahlkampfstrategie sein sollte, wäre sie verdammungswürdig, weil sie auf dem Rücken der Menschen ausgetragen würde.
Sie würde aber auch erfolglos bleiben, weil sie zu durchsichtig ist. Der Hilferuf der Oberhausener CDU sollte Ihnen das doch ganz klar vor Augen führen.
Die herbe Kritik aus unseren Reihen ist keine Ablehnung von Zusammenarbeit. Das haben wir bei jeder Gelegenheit angeboten. Engagement in Brüssel, das über Drohgebärden hinausgeht, wird von uns unterstützt. Klärungen, die jetzt in Athen fällig wären, würden von uns begrüßt.
Wenn der Bundeskanzler vage Andeutungen gegenüber dem Vorsitzenden der IG Metall, im Prinzip sei auch er für die Erhaltung aller Stahlstandorte, mit Fleisch anreicherte und sichtbare Konsequenzen zöge, hätte er unsere Unterstützung. Wenn er über die etwas unklare Zusage einer Prüfungsbereitschaft hinaus, die Bundesregierung werde den Vorschlag der IG Metall aufgreifen, in einem Stahlausschuß Lösungen zu erarbeiten, aktiv würde, würden wir dies vorbehaltlos unterstützen. Ich gebe zu, daß unsere Hoffnungen recht gering sind. Der Bundeswirtschaftsminister will wohl nicht von seinem Roß herunter. Wahrscheinlich hat er auch aus
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anderen Gründen nicht mehr die Kraft, etwas nach vorn zu bewegen.
Der Bundeskanzler will vielleicht, traut sich aber nicht, die Führung zu übernehmen
Ich wünschte, beide nähmen gute Ratschläge an; denn nur denen ist zu helfen, die sich raten lassen.
Ich bitte Sie, unseren Entschließungsantrag anzunehmen, der helfen soll, der helfen kann und in weiten Zügen im Grunde mit vielem von dem übereinstimmt, was auch die Kollegen aus Ihren Reihen, die sich mit der Sache befassen, wünschen und für richtig halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Reuschenbach, Ihre Rede fing so schön an —
mit der Berufung auf Briefe von CDU-Kreisverbänden und der Inanspruchnahme von Beschlüssen der Mehrheit im Wirtschaftsausschuß, die, wie Sie wissen, von der CDU/CSU und der FDP gestellt wird.
Und sie hatte ein so trauriges Ende, indem Sie den verzweifelten Versuch unternahmen, die noch traurigeren Verhältnisse im Ruhrgebiet ausgerechnet der Partei in die Schuhe zu schieben, die seit vielen Jahren auf die Entwicklung in dieser Gegend bedauerlicherweise so gut wie keinen politischen Einfluß hat.
Seit 30 Jahren, Herr Reuschenbach, beherrschen Sie die Kommunen im Revier. Seit fast 20 Jahren stellen Sie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
Bis Ende vergangenen Jahres haben Sie die Bundesregierung gestellt. Und in diesen 30 Jahren haben Sie das Ruhrgebiet zum traurigen Denkmal Ihrer wirtschaftspolitischen Inkompetenz verkommen lassen.
Wir lassen gerne mit uns darüber reden, an welcher Stelle welche Maßnahmen erforderlich wären, um den unvermeidlichen Strukturwandel hier ins Werk zu setzen. Aber, Herr Reuschenbach und Ihre Kollegen von der SPD, Sie sind die ungeeignetsten Zensoren für die angemessene Politik, die in dieser Region in den nächsten Jahren stattfinden muß — um das gleich zu Beginn deutlich zu sagen.
Meine Damen und Herren, die Stahlkrise, die auch nicht über Nacht über uns gekommen ist, die weder mit dem Regierungswechsel verbunden war
noch eine plötzliche, gewitterartige Erscheinung der letzten Wochen und Monate, hat sich in der Tat in den letzten Monaten und Wochen dramatisch zugespitzt.
Insofern trifft das im ersten Satz dieses Antrages von der SPD dargestellte Bild ohne Frage zu. Wir haben eine akute Existenzgefährdung mehrerer Stahlunternehmen in der Bundesrepublik, und mit dieser Gefährdung der Existenz einzelner Unternehmen ist das Risiko der Vernichtung der industriellen Substanz ganzer Bundesländer und bedeutender Industriereviere verbunden. Jeder, der aus einer dieser Gegenden kommt, weiß, daß die Stimmung in den Betrieben explosiv ist. Dies ist auch mehr als verständlich. Viele Stahlarbeiter an der Saar, an der Ruhr, in der Oberpfalz, in Niedersachsen oder Bremen erwarten ein trauriges Weihnachtsfest, weil sie ihren Arbeitsplatz entweder verloren oder nur mit spürbaren Einkommensverzichten auf unbestimmte Zeit haben erhalten können. Das Schlimmste in diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich die Ungewißheit, die Unsicherheit, was morgen und übermorgen passieren wird.
Deswegen sind sie so entsetzt über das Unvermögen von Unternehmensleitungen und auch Mitbestimmungsorganen, ihnen eine Perspektive zu eröffnen. Sie sind irritiert von der Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit auch ihrer eigenen Gewerkschaft, und sie sind, wie ich gut weiß, auch enttäuscht von den Beiträgen der Politik, von der sie mehr und vor allen Dingen wirksamere Hilfe erwarten, als sie zumindest in der Vergangenheit oft zur Verfügung stellen konnte.
Es gibt also ganz ohne Frage und ganz unbestreitbar einen akuten Handlungsbedarf sowohl für die Politik als auch für die Wirtschaft selbst, zumal hier ja auch der Terminkalender der Europäischen Gemeinschaft für uns alle sehr ernst zu nehmende Fristen setzt.
Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß der Versuch, durch eine Fusion der beiden Unternehmen Krupp und Thyssen zu einer unternehmensübergreifenden Umstrukturierung in der deutschen Stahlindustrie zu kommen, trotz der zusätzlichen Finanzzusagen der Bundesregierung in einer Größenordnung von noch einmal 500 Millionen DM gescheitert ist. Die Zeit und die Chance für Großfusionen scheint vorerst vorbei zu sein. Aber gleichzeitig glaubt kein einziger Sachverständiger ernsthaft, daß mit Alleingängen aller deutschen Stahlunternehmen, wie sie sich jetzt abzeichnen, eine auf Dauer erfolgreiche Umstrukturierung zustande kommen kann. Hier wird nämlich verzichtet auf die Ausschöpfung vorhandener Rationalisierungspotentiale, die in der gesamten deutschen Stahlindustrie eine Größenordnung von mehreren hundert Millionen DM pro Jahr ausmachen. Dies bedeutet umgekehrt das Risiko periodischer Wiederholungen staatlicher Sauerstoffzufuhr für die chronischen Erstickungsanfälle notleidender Stahlunternehmen.
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Dr. Lammert
In dieser Situation macht es wenig Sinn, wechselseitige Vorwürfe auszutauschen und vergangene Versäumnisse aufzurechnen. Was wir in dieser Situation brauchen, ist so etwas wie eine Große Koalition aller, die an der Lösung dieses Problems interessiert sind, um durch wirklich gemeinsame Anstrengungen — da gehe ich mit den Antragstellern konform — von Bundesregierung, Landesregierungen, Gewerkschaften, Unternehmen und politischen Parteien die höchst schwierigen und vor allen Dingen sehr schmerzhaften Maßnahmen im Innern und, wenn das Ganze einen Sinn machen soll, die damit verbundene Neuordnung des gesamten sogenannten europäischen Stahlmarkts tatsächlich durchsetzen zu können.
Für einen solchen Versuch — deswegen bin ich für den Beifall an dieser Stelle, lieber Herr Reuschenbach, besonders dankbar — sehe ich auch ernsthafte Chancen. Ich sehe ernsthafte Chancen sowohl auf der Basis des Antrags, den Sie hier eingebracht haben, als auch auf der Basis der Entscheidungen und der Entwicklungen, die sich gerade in den letzten Tagen abgezeichnet haben.
Das in diesem Antrag angegebene Ziel ist in diesem Hause völlig unstrittig, nämlich das Ziel, zu einer beschäftigungs-, regional- und wettbewerbspolitisch ausgewogenen Lösung der Stahlkrise und zur Erhaltung einer möglichst großen Zahl von Arbeitsplätzen zu kommen. Über dieses Ziel gibt es in der Tat überhaupt keine Debatte. Es gibt auch über eine Reihe von Forderungen, wie sie in diesem Papier noch einmal vorgetragen werden, durchaus Übereinstimmung. Die Forderung, in Brüssel für eine Aufrechterhaltung unseres traditionellen Marktanteils zu sorgen, ist ebenso Bestandteil der ständigen Bemühungen der Bundesregierung wie der Versuch, die wettbewerbsverzerrenden Subventionen in der Europäischen Gemeinschaft endlich abzubauen, wie auch die allzu hohen Stahlimporte, die in den letzten Wochen geradezu sintflutartig über die Bundesrepublik gekommen sind, in erträglichen Grenzen zu halten. Wir sind der Opposition auch dankbar, wenn sie in diesem Antrag erklärt, die Bundesregierung unterstützen zu wollen, wenn sie in den anstehenden europäischen Verhandlungen auf den Zusammenhang verweisen wird, der zwischen der Subventionspraxis der Nachbarländer auf der einen Seite und unserem eigenen Finanzierungsspielraum bei der Lösung anderer europäischer Probleme auf der anderen Seite besteht.
Meine Damen und Herren, den deutschen Stahlarbeitern ist in der Tat nicht länger zuzumuten, daß sie mit ihren eigenen Steuern in Form von deutschen Beiträgen an die Europäische Gemeinschaft die Subventionspraxis von Nachbarländern erleichtern und auf diese Weise die Gefährdung ihrer eigenen Arbeitsplätze finanzieren.
Deswegen sollten wir auch diese Gelegenheit nutzen, um völlig unmißverständlich deutlich zu machen: Über deutsche Finanzbeiträge an die Europäische Gemeinschaft ist bei Fortsetzung der „Subventionsolympiade" überhaupt nicht mit uns zu reden.
Tatsächlich macht nämlich die notwendige Umstrukturierung der deutschen Stahlindustrie nur Sinn, wenn sie mit einer Reorganisation des europäischen Stahlmarkts verbunden ist. Es macht keinen Sinn, Kapazitäten abzubauen und dennoch Verluste zu machen, weil an anderer Stelle die gleichen notwendigen Operationen nicht stattfinden und nach wie vor eine viel zu große Produktmenge auf einen viel zu kleinen Bedarf trifft.
Deswegen gibt es hier einen unmittelbaren Zusammenhang, bei dem wir aber jetzt nicht so tun dürfen, als wären wir Spitzenreiter im Prozeß der europäischen Umstrukturierung der Stahlindustrie. Ich sage das ganz vorsichtig und eher in Klammern: Nach meinem Eindruck ist der Umstrukturierungsprozeß in fast allen europäischen Ländern inzwischen weiter als bei uns. Auch dies unterstreicht den akuten Handlungsbedarf, den wir alle gemeinsam haben und von dem ich eingangs gesprochen habe.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt sehr die Bemühungen der Bundesregierung, die erstarrten Fronten, die auf allen Seiten hier bestanden haben, wieder in Bewegung zu bringen und hier zu Beschlüssen zu kommen, die über lange Zeit kaum möglich erschienen. Mit der Erklärung der Bundesregierung, von den zugesagten Strukturbeihilfen in Höhe von 1,8 Millionen DM einen Zweidrittel-Anteil selbst zu übernehmen und den betroffenen Stahlländern nur ein Drittel dieser Kosten zuzumuten, hat diese Koalition und hat dieser Bundeskanzler dem Land Nordrhein-Westfalen und den anderen von Stahlproblemen betroffenen Ländern eine Finanzregelung zugestanden, die der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, noch ausdrücklich verweigert hatte, indem er auf der paritätischen Beteiligung von Bund und Ländern bestand.
Das nur, um Legendenbildungen zu verhindern!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach? — Bitte.
Herr Kollege Lammert, müßten Sie nicht hinzufügen oder jedenfalls einräumen, daß sich seit dem Tag, von dem Sie hier sprechen, bis heute die zur Rede stehenden Summen verfünffacht oder versiebenfacht haben und daß dies natürlich einen beträchtlichen Unterschied für eine Landeskasse macht, die nach unserer Steuer- und Finanzordnung ihre eigenen Einnahmen nicht selbst bestimmen kann?
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Ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar, weil sie mir durch die in ihr enthaltene authentische Bestätigung unserer Hilfszusagen die Gelegenheit gibt, zwei Dinge doch einmal klarzustellen:
Erstens. Das Finanzvolumen hat sich seit dem Regierungswechsel, wie Sie freundlicherweise bestätigt haben, vervielfacht. Das widerlegt die Behauptung in Ihrer Rede vorhin, alle wesentlichen Entscheidungen seien zu Zeiten der sozialliberalen Koalition getroffen worden.
Zweitens. Trotz der Vervielfachung der zur Diskussion stehenden Summen und der damit vervielfachten Belastung sowohl des Bundes als auch der Länder hat sich diese Bundesregierung bereit erklärt, die Zweidrittelbeteiligung zu übernehmen, die Helmut Schmidt bei wesentlich geringeren Summen für den Bund nicht zumutbar gehalten hat.
— Ich bitte um Nachsicht, Herr Brück. Ich bin fast am Ende meiner Redezeit. — Deswegen, Herr Reuschenbach, meine Damen und Herren, gibt es keinen Grund dafür, daß sich nun Herr Rau in Nordrhein-Westfalen als Retter der Stahlindustrie feiern läßt, zumal das Land Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten mehr durch die Verweigerung fast aller konkreten Vorschläge zur Umstrukturierung der Stahlindustrie als durch konstruktive eigene Beiträge aufgefallen ist. Mit der noch immer — das sage ich jetzt ganz ernsthaft und völlig unpolemisch — aufrechterhaltenen Weigerung, Sozialpläne mit zu finanzieren, behindert Nordrhein-Westfalen objektiv den Umstrukturierungsprozeß in der Stahlindustrie; denn Gegenstand dieses Umstrukturierungsprozesses — das weiß doch jeder, der den Sachverhalt kennt — wird eben nicht nur die Neuinvestition zum Zwecke der Modernisierung, sondern der Abbau von Kapazitäten und, so traurig das ist, der Abbau von Arbeitsplätzen sein müssen. Man tut niemandem einen Gefallen, am wenigsten den betroffenen Stahlarbeitern, wenn man großspurig erklärt, an der Finanzierung von Abwrackoperationen werde man sich jedenfalls nicht beteiligen. Diesen Zusammenhang sollte man bei dieser Gelegenheit ebenfalls noch einmal ausdrücklich klarstellen.
Das Land Nordrhein-Westfalen bleibt mit dieser Weigerung auch weit zurück hinter den Anstrengungen anderer Bundesländer, die,
wie beispielsweise im Saarland, bei mindestens ebenso schwieriger Haushaltslage ein ganz anderes Engagement zur Lösung der Probleme im eigenen Lande auf die Beine gestellt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß auf ein Problem aufmerksam machen, das
ich zur besonderen Beobachtung der Bundesregierung ans Herz lege, weil es bei einer Betrachtung der Stahlprobleme im engeren Sinne leicht übersehen wird. Wir müssen uns nicht nur um das Problem der Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft kümmern, sondern müssen auch darauf achten, daß wir nicht durch die Förderung der Umstrukturierung der Stahlindustrie eine Wettbewerbsverzerrung in unserer eigenen Volkswirtschaft verursachen, indem wir die eigene Stahlindustrie in die Weiterverarbeitung treiben und auf diese Weise in der Konkurrenzlage mit wettbewerbsfähigen, gesunden, meist mittelständischen verarbeitenden Betrieben an anderer Stelle Arbeitsplätze gefährden, um hier bestimmte halten zu können.
Dieses Problem müssen wir genauso ernst nehmen wie das, zu dem ich heute die Position meiner Fraktion deutlich zu machen versucht habe.
Meine Damen und Herren, der Strukturwandel, mit dem wir es hier zu tun haben, ist unaufhaltsam. Der Glaube, man könne ihn durch hohe Summen an Steuergeldern stoppen, ist eine schiere Illusion. Ich empfehle jedem, der diese Illusion nicht aufgegeben hat, sich die Erfahrungen in den Nachbarländern anzusehen, die inzwischen beides haben: Milliardenbeträge an verlorenen Subventionen und Hunderttausende verlorener Arbeitsplätze. Wer Strukturen konservieren will, erhält keine Arbeitsplätze, auch nicht die, die er mit massiven Steuergeldern subventioniert.
Deshalb gehört zu einer ernsthaften Behandlung dieses Themas nicht nur die Bereitschaft zur Hilfe, sondern auch der Mut zur Wahrheit. Wir sind zu beidem entschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burgmann
Meine Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Haus in den letzten Monaten schon öfter über Stahl unterhalten und uns dabei allerdings meistens im Kreise gedreht. Ich glaube, wir drehen uns jetzt hier eine Runde weiter.
Natürlich ist zu begrüßen, daß ein Initiativantrag auf den Tisch gelegt wird, der wieder Anlaß zur Diskussion gibt. Aber es ist auch festzustellen, daß dieser Antrag eigentlich zu spät kommt. Wäre dieser Antrag vor wenigen Jahren gekommen, als noch ein sozialdemokratischer Kanzler die Richtlinienkompetenz hatte, dann hätte dieser Kanzler diesem Herrn Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff vielleicht den Auftrag geben können, ein Konzept für die Stahlindustrie vorzulegen. Das ist leider nicht passiert. Heute sagt er — und das hat er immer wiederholt — ausdrücklich, die Bundesregierung hat kein Konzept für die Stahlindustrie und will und wird auch keines vorlegen. Ich möchte sagen, daß wir GRÜNE diese Position von Herrn Lambsdorff
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2785
Burgmann
für unverantwortlich halten. Denn die Stahlkonzerne haben bis heute trotz aller Aufforderungen kein Konzept vorgelegt und sind auch offensichtlich nicht in der Lage und bereit, ein solches Konzept vorzulegen, das den Gemeinschaftsinteressen genügt.
Auf der anderen Seite ist Stahl nicht irgendein Produktionszweig, den wir uns sozusagen schenken können, wenn er nicht mehr funktioniert. Es ist eine Branche, die in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung kaum zu übertreffen ist. Sie liefert einen der wichtigsten Grundstoffe für unsere Industrie. Sie hat einen Jahresumsatz von über 40 Milliarden DM, also im Bereich eines Sechstels unseres Bundeshaushaltes. Sie beschäftigt immer noch 180 000 Menschen. Dazu kommen natürlich Zulieferbetriebe. Von diesen Beschäftigten sollen allein im nächsten Jahr 33 000 entlassen werden. Wenn das, was zu erwarten ist, noch mindestens je einen Arbeitsplatzverlust im Zuliefergewerbe nach sich zieht, bedeutet das, daß in den nächsten Jahren rund 70 000 Arbeitsplätze verlorengehen. Das kostet Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, Wohngeld, Beitrags- und Steuerausfälle von 1,5 Milliarden DM. Das sind in drei Jahren 4,5 Milliarden DM. Dazu kommen die geplanten drei Milliarden DM Subventionen. Es sind also rund 7,5 Milliarden DM, die diese Entwicklung den Staat in den nächsten Jahren kosten wird. Dabei ist abzusehen, daß diese Entwicklung ja keinesfalls am Ende ist, sondern daß hier im Stahlbereich noch große Rationalisierungsmöglichkeiten gegeben sind. Das heißt, daß diese Entwicklung noch durchaus weitergeht
und daß ganze Regionen davon bedroht sind; Bereiche im Saarland, im Siegerland, in der Oberpfalz, bei Salzgitter drohen auszubluten, wenn die Stahlbetriebe dort schließen müssen.
Vor allem und nicht zuletzt hat gerade die Stahlproduktion natürlich eine ganz entscheidende ökologische Auswirkung. Stahl ist selber ein wichtiger Rohstoff.
Die Produktion von Stahl ist mit einem außerordentlich hohen Energieverbrauch verbunden. Kohle, Koks und Strom werden in großen Mengen für die Stahlproduktion notwendig. Auch Zusätze wie Mangan, Chrom, Nickel, Kobalt werden für die Stahlproduktion bzw. die Stahlveredelung gebraucht. Die Abluft enthält Staub, Schwefel, Kohlendioxid. Der Bleigehalt mit 920 t im Jahr 1980 steht an zweiter Stelle nach dem Verkehr. Cadmium mit 21,5 t im Jahr steht ebenfalls an zweiter Stelle nach den Kraftwerken. Beim Zinkausstoß hat
die Stahlproduktion mit 3 720 t pro Jahr die einsame Spitze in der Umweltverschmutzung.
Hinzu kommen Schlacken und sonstige giftige Stoffe, die in der Stahlproduktion beigesetzt werden.
Ich kann also zusammenfassend feststellen, daß die Stahlproduktion wirtschaftlich, sozial und ökologisch ein außerordentlich wichtiger Wirtschaftszweig ist
und daß die Krise hier sehr schwere Schäden für die Volkswirtschaft auslösen muß.
Nun haben unsere Minister allerdings geschworen, Schaden vom deutschen Volke zu wenden.
Wenn so eine Branche in die Krise kommt, halten wir es für schlichtweg unverantwortlich, wenn die Regierung und der Wirtschaftsminister sich weigern, hier ein Konzept vorzulegen, nur weil das der gerade herrschenden Ideologie in der Partei widerspricht.
Die Forderungen von Herrn Lambsdorff, die Konzerne sollen ein Konzept vorlegen, können keine Lösung bringen, denn die Konzerne werden mit ihrer eigensüchtigen, gewinnorientierten Politik hier keine Möglichkeiten haben. Im Gegenteil. Sie haben diese Krise ja erst verursacht. Die Konzerne berücksichtigen ihre eigenen Interessen. Die Konsequenz ist die Konzentration der Kapazitäten an ganz wenigen Standorten in riesigen, durchrationalisierten und sehr teuren Anlagen mit einem hohen Durchsatz. Die Kapazität in diesem Bereich ist ja in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gesteigert worden. Die regionalen Interessen, die Interessen der Betroffenen und vor allem die Notwendigkeiten unserer Umwelt bleiben dabei auf der Strecke. Diese Probleme werden nie und können nie von einzelnen Betrieben gelöst und berücksichtigt werden. Von daher ist es notwendig, hier ein Gesamtkonzept vorzulegen.
Da finden wir allerdings den Antrag der SPD vollkommen unzureichend. Er zeigt überhaupt keine Perspektive. Was heißt es denn, wenn hier gefordert wird: „ausgewogene Neuordnung"? Nach welchen Kriterien soll denn der Stahl neugeordnet werden? Und was heißt „Erhöhung der Quoten",
wenn wir wissen, daß diese Erhöhung der Quoten im europäischen Bereich natürlich zwangsläufig auf Kosten der Arbeitsplätze in anderen Ländern geht? Ist das unsere internationale Solidarität, die wir in der Gewerkschaft immer so hochloben? Und zu was führen die Stahlinvestitionszulagen und -subventionen, wenn sie nicht an konkrete Auflagen gebunden sind? Dann führen sie doch auch nur zur zusätzlichen Vernichtung von Arbeitsplätzen, dann werden mit Staatsmitteln Arbeitsplätze wegrationa-
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Burgmann
lisiert. Herr Reuschenbach, gerade aus diesem Grund sind wir dagegen — und nicht, weil wir der CDU den Rücken stärken wollen —, daß hier vollkommen undifferenziert irgendwelche Subventionen gegeben werden.
— Wir haben ja in den letzten Jahren sozialdemokratische Politik gehabt und gesehen, was für die Arbeitnehmer getan worden ist.
Hier nützen überhaupt keine propagandawirksamen Appelle an die Regierungen, gleichgültig, ob sie nun von der SPD oder von der CDU kommen. Die Stahlkrise ist eine Herausforderung. Es ist die erste große Branche, die am Ende einer Wachstumsphase auf stabile Verhältnisse umstrukturiert werden muß. Es wird im Stahlbereich kein großes Wachstum mehr geben. Wir müssen hier, ohne die Möglichkeit zu haben, Aufträge und Arbeit in anderen Bereichen zu finden und so auszuweichen, konkrete Vorschläge machen. Mit Sozialplänen sind hier keine Lösungen mehr zu finden. Diese bedeuten effektiv auch nur eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit.
Wir haben eine zweite Herausforderung, angesichts der sterbenden Wälder die Stahlproduktion in dem Augenblick, wo eine Umstrukturierung notwendig ist, in Einklang mit unserer Umwelt neu zu strukturieren. Der kapitalistische Wildwuchs, der zu dieser Entwicklung geführt hat, muß gestoppt werden, und wir brauchen heute eine Neuordnung der Stahlproduktion nach ganz neuen Kriterien.
Diese will ich kurz darstellen.
Der erste Punkt betrifft die gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkte. Das heißt, es müssen nicht nur die betriebsinternen Interessen berücksichtigt werden, sondern auch die Kosten für die Arbeitslosigkeit der Menschen, die auf die Straße geschickt werden. Die Umweltschäden müssen einbezogen werden, weiter die Hilfen, die wir an andere Staaten geben, wenn wir diese mit unserer Konkurrenz an die Wand drücken.
Wir müssen zweitens die sozialen Gesichtspunkte berücksichtigen. Das bedeutet, daß die Arbeitszeit neu zur Diskussion gestellt werden muß, genauso, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen, daß der Gesundheitsschutz berücksichtigt werden muß und daß letzten Endes auch die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen am Arbeitsplatz in eine Neustrukturierung eingehen muß.
Wir müssen drittens die regionalen Gesichtspunkte, also die Zulieferer, Arbeitskräfte, Verkehr, Rohstoffe und Fachkräfte vor Ort mit in unsere Kalkulation einbeziehen.
Wir müssen vor allem — und das ist eine der zentralen Herausforderungen, die sich gerade in den
letzten Monaten deutlich gestellt hat — die Stahlproduktion nach ökologischen Gesichtspunkten neu strukturieren. Dazu ist allerdings hier in diesem Hause noch sehr wenig gesagt worden.
Das bedeutet erstens, daß die Stahlproduktion mit geringem Energieverbrauch laufen muß. Hier sind erhebliche Einsparungen möglich, beispielsweise durch Energierückgewinnung.
Es muß vor allen Dingen dafür gesorgt werden, daß der Rohstoffverbrauch dadurch zurückgeht, daß man Stahlwerke so organisiert, daß wieder in sehr viel stärkerem Maße Schrott eingeschmolzen werden kann. Es muß die Möglichkeit der Abluftentgiftung ausgeschöpft werden, es muß die Schlacke verwertet werden, anstatt sie zu riesigen Halden aufzufahren. Und wir müssen auf eine ständige Ausweitung der Produktion verzichten und möglicherweise sogar eine Schrumpfung in Kauf nehmen. Insbesondere dann, wenn wir zu langlebigen Produkten kommen, ist eben kein wachsender Stahlmarkt zu erwarten.
Das sind neue Kriterien, nach denen wir unsere Stahlproduktion ausrichten müssen und nach denen wir auch die Technologie entwickeln müssen. Denn Technologie ist j a auch kein Selbstzweck. Sie hat sich bisher nach den Prinzipien der Gewinnmaximierung entwickelt. Sie muß nun nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten entwickelt werden. Dann kommt man zu anderen Ergebnissen, erstens zu wesentlich kleineren Stahlwerken, die viel besser an die regionalen und ökologischen Bedingungen anzupassen sind. Damit verbunden ist zwangsläufig die Erhaltung der regionalen Standorte, in denen zum Teil durchaus kleinere Stahlwerke vorhanden sind. Das bedeutet die Einbindung in die regionalen Strukturen, den Absatz der Produktion auch in der Region, Abwärmeausnutzung, Abfallverwertung, Schrottverarbeitung, Weiterverarbeitung der Halbzeuge und vor allem kürzere Arbeitszeiten und kürzere Schichten sowie möglicherweise Wegfall der Nachtschichten und der Sonntagsschichten in den Stahlwerken. Es bedeutet auch und vor allem eine Beteiligung der Arbeiter an der Entwicklung der Arbeitsbedingungen und der Produktion in den Betrieben. Das muß an die Stelle dessen gesetzt werden, daß Sie, wie von seiten der Bundesregierung geschehen, durch Erpressung dazu gezwungen werden, die Tarifautonomie außer Kraft zu setzen.
Es gibt da einige Beispiele. In der Maxhütte habe ich erlebt, daß es durchaus ganz gute Ansatzpunkte in dieser Richtung gibt. Dort hat man noch eine eigene Erzgrube, man hat den Stahlabsatz weitgehend in der Region sichergestellt, man hat schon die Abwärme genutzt und auch in anderer Beziehung durchaus interessante Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge kommen vor allem von den Beschäftigten, kommen von den örtlichen Betriebsrä-
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Burgmann
ten und den Gewerkschaften. Deshalb wäre es eine Notwendigkeit, sie in eine Umstrukturierung einzubeziehen.
Ich meine, es müßte heute angesichts der ungeheuren Mittel, die hier hineingebuttert werden, die Möglichkeit bestehen, solche Betriebe wie beispielsweise die Maxhütte in der Oberpfalz, in einer Region, der sowieso geholfen werden muß, oder auch die bundeseigenen Betriebe von Peine & Salzgitter zu Musterbetrieben einer ökologischen und regionalen Einbindung und einer menschlichen Produktion zu machen. Das wäre die Aufgabe dieser Bundesregierung, damit angesichts der neuen Herausforderungen wirklich eine Neustrukturierung, eine Umstrukturierung der Stahlproduktion vorgenommen werden kann.
Wenn der Staat diese Möglichkeiten aufgreift, das auf der einen Seite beispielhaft durchzuziehen und auf der anderen Seite in den Betrieben, die zur Diskussion stehen, ähnliche Entwicklungen in der Form einzuleiten, daß die Subventionen, die gegeben werden müssen, unter der Bedingung gegeben werden, daß eine ähnliche Umstrukturierung erfolgt, und dies unter der Voraussetzung, daß dann, wenn die Gemeinschaft zubuttert, diese Betriebe auch der Gemeinschaft unterstellt werden, dann ergibt sich die Möglichkeit, diese Betriebe entsprechend den ökologischen Herausforderungen und nach den Interessen der Beschäftigten, der Kollegen in den Betrieben, umzustrukturieren.
Durch Zurufe, die ich durchaus zur Kenntnis genommen habe, habe ich gemerkt, daß so etwas hier nur auf Lachen stößt.
Das wird hier so wie eine Illusion verstanden.
Aber ich glaube, es gibt nur eine Illusion in diesem Lande, nämlich die Illusion, man könne immer so weiterwursteln und alles könne so weiterwachsen wie in den letzten 30 Jahren. Illusion ist der Glaube, die 3 Millionen Arbeitslosen und die sterbenden Wälder seien nur ein Schönheitsfehler, den man morgen oder übermorgen wieder beseitigt hätte.
Nimmt man diese katastrophalen Entwicklungen im sozialen Bereich, im Bereich der Gemeinkosten, im Gesundheitswesen und bei den Umweltschäden wirklich zusammen, kommt man dazu, daß eine solche Umstrukturierung der Stahlproduktion nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten letzten Endes viel wirtschaftlicher ist als dieses Weiterwursteln und diese ungeheuren Schäden, die durch die derzeitige Umstrukturierung entstehen, die in Form von immer stärkerer Rationalisierung und Vernichtung der Arbeitsplätze stattfindet.
Ich meine, hier könnte die BRD im Rahmen der EG eine Vorreiterrolle übernehmen,
und dann könnte die Stahlkrise für uns zu einer Chance werden, wirklich eine neue Politik einzuleiten. Mir scheint, in der Richtung muß eine Umstrukturierung erfolgen.
Zum Schluß möchte ich nur noch hinzufügen: Wir wollen keine neuen Atomraketen in diesem Lande!
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich habe ich nach dem mich sehr bewegenden Konzept zur Lösung der deutschen Stahlkrise, das hier eben vorgetragen wurde, gar nicht mehr den Mut gehabt, hier hinaufzugehen. Aber meine Fraktion hat mich dringend gebeten zu sprechen; deswegen wage ich es.
Herr Kollege Burgmann, das, was Sie uns erzählt haben, hat sich alles ganz hübsch angehört, aber ich hatte bei all dem immer den Eindruck, daß Sie die Vorstellung haben, daß Geld dadurch entsteht und auch seinen Wert hat, daß man es einfach druckt, und zwar auf umweltfreundlichem Papier,
und daß die Dinge dann schon laufen. Aber ein bißchen anders stellen sich die Zusammenhänge wohl doch dar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen sehr, daß der Bundestag erneut über die Stahlkrise und über Wege zu ihrer Lösung debattiert. Damit wird den Sorgen der Menschen in den Stahlregionen um ihre Existenz, um ihren Arbeitsplatz und um ihren Lebensunterhalt Rechnung getragen. Die Debatte gibt uns aber auch gleichzeitig wieder einmal Gelegenheit, die umfangreichen Bemühungen der Koalition von CDU/CSU und FDP und insbesondere von Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff um die Lösung der Stahlkrise darzustellen und die Mängel des Antrags der SPD-Fraktion hier aufzuzeigen.
Dieser Antrag der SPD — er ist von Herrn Reuschenbach in sehr farbigen, zum Teil aber auch sehr unschönen Worten dargestellt worden — enthält wiederum den Vorwurf, die Bundesregierung sei gegenüber Brüssel zu lange unentschlossen und untätig gewesen. Auch wenn man diese Behauptung ständig wiederholt, wird sie nicht richtig, Herr Kollege Reuschenbach. Die Fakten sprechen nämlich eine ganz andere Sprache.
Der Bundeswirtschaftsminister hat in sehr harten Verhandlungen in Brüssel erreicht, daß der traditionelle Anteil der deutschen Stahlindustrie im EG-Bereich erhalten bleibt. Außenminister Genscher hat dem Präsidenten der EG-Kommision klargemacht, daß die Bundesregierung nur dann einer Neuregelung der EG-Finanzen zustimmen wird,
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Beckmann
wenn die deutschen Stahlinteressen zum Tragen kommen und der Stahlsubventionswettlauf bei den anderen EG-Partnern beendet wird.
Die Bundesregierung wird auch nicht müde, in Brüssel darauf zu drängen, daß der EG-Stahlbereich zu geordneten Wettbewerbsverhältnissen zurückfindet und die Lieferungen auf die traditionellen Handelswege beschränkt werden.
Schließlich hat auf Initiative des Bundeswirtschaftsministers die Bundesregierung die EG-Kommission beim Europäischen Gerichtshof verklagt, weil nach ihrer Meinung bei der Quotenaufteilung durch die Kommission Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind.
Wie man angesichts dieser eindrucksvollen Liste von Aktionen von Untätigkeit sprechen kann, Herr Kollege Reuschenbach, bleibt schleierhaft.
Die Sache — ich muß das leider sagen — wird als das entlarvt, was sie ist: ganz billige Polemik.
Zwar hat die EG-Kommission kürzlich beschlossen, ab dem 1. Dezember, also ab heute, für die wichtigsten Walzwerkprodukte Mindestpreise einzuführen, um mit Hilfe von Warenbegleitpapieren mehr Transparenz im Hinblick auf die Warenströme zu schaffen. In Übereinstimmung mit dem Bundeswirtschaftsminister ist meine Fraktion der Ansicht, daß diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die Situation zum Besseren zu wenden. Denn gegenüber der Wirksamkeit von Mindestpreisen ist große Skepsis angebracht. Ich verweise auf die schlechten Erfahrungen, die wegen der vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten mit Mindestpreissystemen in der Vergangenheit gemacht worden sind.
Auch gegen die beschlossene Kautionsregelung hat meine Fraktion erhebliche Einwände. Denn durch die Hinterlegung von Sicherheiten würde den Unternehmen Liquidität entzogen und ihr Kreditspielraum eingeengt.
Inzwischen haben die EG-Wirtschaftsminister — ich meine, zu Recht — die Kommission angewiesen, ihre Vorschläge weiter zu konkretisieren und vor allem die Sanktionen im Falle eines Verstoßes genau zu definieren. Basis muß dabei das EG-Recht sein. Diese Regelung soll nun frühestens zum 1. Januar 1984 in Kraft treten.
Die FDP-Bundestagsfraktion bleibt dabei: Nur eine Kontrolle der Liefermengen ist zur Zeit geeignet, die Schwierigkeiten auf dem EG-Stahlmarkt zu beheben, vor denen wir stehen. Die Stahlunternehmen sowie die europäischen Regierungen und die EG-Kommission müssen endlich Ernst machen mit dem kurzfristigen Abbau der Subventionen und der kurzfristigen Anpassung an die geänderten Marktverhältnisse, damit die Arbeitsplätze in den unter normalen Wettbewerbsverhältnissen wettbewerbsfähigen Stahlunternehmen gesichert werden. Hierzu müssen die Unternehmen entsprechend ihrer wirtschaftspolitischen und rechtlichen Verantwortung die Anpassung ohne Verzug vorantreiben, wobei sie auch die unternehmensübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten wahrnehmen müssen. Es wird höchste Zeit, daß die Unternehmen die nötigen Entscheidungen verbindlich treffen und die Umstrukturierung einleiten und weiterführen. Herr Kollege Reuschenbach, bei den Unternehmen liegt nämlich die Verantwortung für diese Angelegenheiten, nicht beim Stahlreferat des Bundeswirtschaftsministers.
Der Staat darf und kann nicht in die Rechte und Pflichten der Unternehmensorgane eintreten, sondern hat die unternehmenspolitische Verantwortung und die Handlungsverpflichtung bei den Vorständen und den montan-mitbestimmten Aufsichtsräten der Stahlkonzerne zu belassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Bitte sehr.
Kollege Beckmann, Sie sagen der Staat habe nicht das Recht einzugreifen. Aber er hat offensichtlich das Recht, in die Tarifautonomie einzugreifen. Sind Sie nicht der Meinung, daß der Eingriff des Staates dort am eklatantesten zu spüren und zu erkennen gewesen ist, wo er ein Unternehmen gezwungen hat, aus einer Tarifgemeinschaft auszuscheiden? Da wollen Sie sagen: Er hat nicht das Recht, Mittelhergabe an eine Neuordnungsvorstellung in der Stahlindustrie zu binden?
Herr Kollege Reuschenbach, ich teile Ihre Auffassung und die Unterstellung, die in Ihrer Frage liegt, daß nämlich die Bundesregierung den Willen habe, die Tarifautonomie in dieser Frage zu beeinträchtigen, überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat insgesamt 3 Milliarden DM an Flankierungshilfen für die Bewältigung der Stahlkrise bereitgestellt.
Leider wird der Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Professor Jochimsen, nicht müde, insbesondere die Strukturverbesserungshilfen als — ich zitiere — „Stillegungshilfen" oder „Abwrackprämien" zu diffamieren. Er nimmt einfach nicht zur Kenntnis, daß diese Hilfe keineswegs den Abbau von Arbeitsplätzen fördert. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Hilfen sind nicht zweckgebunden, und es wird erwartet, daß die Hilfen für zukunftssichernde Maßnahmen eingesetzt werden. Sie knüpfen in der Höhe, rein als Bemessungsgrundlage, an die Umstrukturierungslasten der Unternehmen an, d. h. an die Aufwendungen im
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Sozialbereich und an die Abschreibungen; aber sie dienen nicht ihrer Finanzierung. Dies ergibt sich schon daraus, daß auch Aufwendungen der Jahre 1980 bis 1982 bei der Höhe der Strukturverbesserungshilfen berücksichtigt werden.
Im übrigen dürfen diese Hilfen, selbst wenn sie für soziale Aufwendungen gezahlt werden, nicht als Abwrackprämie verteufelt werden. Schließlich werden derartige besondere Sozialhilfen im Stahlbereich nach Art. 56 des EGKS-Vertrags und im Steinkohlebereich als Anpassungsgeld gewährt, und kein Land hat das bisher beanstandet. Herr Professor Jochimsen sollte sich daher bei der IG Metall schlaumachen lassen. Dort werden die Strukturverbesserungshilfen nämlich als richtige Maßnahme bewertet.
Zu diesen Hilfen gehört auch die vorgesehene Erhöhung der Stahlinvestitionszulage von 10 auf 20 %. Die FDP-Bundestagsfraktion wird dieser Erhöhung gern zustimmen. Sie hat sich mit aller Kraft dafür eingesetzt, daß die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung der Antragsfrist in den Gesetzentwurf übernommen wird. Dies wird insbesondere dem Saarland und den dort besonders drückenden Stahlproblemen zugute kommen. Die FDP-Fraktion hofft, daß damit dem Saarland eine weitere Hilfe zur Lösung dieses Problems an die Hand gegeben wird.
Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag weiter, die Gewährung von Hilfen auch mit an die Bedingung äußerster Anstrengungen der Konzerne zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen zu binden. Ich bin der Ansicht, daß man die Stahlunternehmen damit Schlichtweg überfordern würde. Sie müssen doch ihre ganze Kraft darauf richten, die Umstrukturierung in ihren eigenen Betrieben durchzuführen. Die gleichzeitige Forderung, auch noch für Ersatzarbeitsplätze zu sorgen, ist kontraproduktiv. Sie würde die Wettbewerbsposition der deutschen Stahlunternehmen gegenüber ihren EG-Konkurrenten erheblich verschlechtern.
Nein, meine Damen und Herren, hier ist die von den Ländern so oft betonte und von ihnen reklamierte regionalpolitische Verantwortung gefragt. Die Landesregierungen und die Kommunen müssen alle ihre Kraft und ihren Einfallsreichtum einsetzen, um hier die Unternehmen zu animieren.
Herr Kollege Reuschenbach, ich könnte jetzt vieles zu dem sagen, was im Ruhrgebiet von der SPD-regierten Städten versäumt worden ist, wenn der Kollege Borchert das hier nicht schon so eindrucksvoll getan hätte. Auch ich habe als früherer Essener Kommunalpolitiker einschlägige Erfahrungen mit konstruktiven Vorschlägen zu Wirtschaftsförderungsmaßnahmen, die von Ihren Mehrheiten immer wieder abgeblockt worden sind. Alle anderen Kollegen aus dem Revier können ähnliches berichten.
Wir begrüßen das im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung auf Initiative des Wirtschaftsministers zustandegekommene Sonderprogramm für Ersatzarbeitsplätze in den Stahlregionen. Als
Bürger aus dem Ruhrgebiet erkenne ich besonders gerne an, daß Bochum, Dortmund und Duisburg als förderungswürdige Standorte in diesem Programm vorgesehen sind. Auch dies ist eine weitere Hilfe der Bundesregierung zur Bewältigung der Stahlkrise.
Ich bedaure es aber — so, wie es auch im Antrag der SPD zum Ausdruck kommt —, daß der Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" die Städte Gelsenkirchen, Hagen und Siegen nicht als förderungswürdige Standorte anerkannt hat. Dies wäre angesichts der Arbeitsmarktprobleme in diesen Regionen ebenfalls notwendig gewesen, aber in dem Planungsausschuß, dem neben dem Bundeswirtschaftsminister alle Wirtschaftsminister der Länder angehören, konnte keine Mehrheit bei den anderen Ländern gefunden werden.
Zu den im Antrag vorgesehenen sozialen Flankierungsmaßnahmen ist festzustellen, daß die geforderte Herabsetzung der Altersgrenze auf unter 55 Jahre zu einer weiteren ganz erheblichen Kostenbelastung der Unternehmen führt und damit nur weitere Arbeitsplätze gefährden würde. Die Anpassungsschichten im Kohlebergbau sind bereits in der letzten Kohlerunde einvernehmlich geregelt worden. Mit dieser Maßnahme, mit der Verlängerung der Anpassungsgeldregelung sowie den anderen sozialpolitischen Instrumenten wird eine Verringerung der Belegschaften in den Zechen ermöglicht, ohne daß Entlassungen notwendig werden.
Ich möchte für die FDP-Fraktion abschließend folgendes feststellen:
Erstens. Meine Fraktion steht nach wie vor hinter der von der Bundesregierung und insbesondere vom Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff verfolgten Politik zur Überwindung der Stahlkrise. Angesichts des Schicksals der Menschen in den Stahlregionen ist hier nach unserer Auffassung kein Platz für polemische Parteipolitik
oder eine etwas spitzfindig geführte verfassungsrechtliche Diskussion über das Bund-Länder-Verhältnis. Daher hoffen wir, daß aus den begonnenen Gesprächen zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen weiter Positives für die Regionen an Rhein, Saar und Ruhr herauskommt.
Zweitens fordern wir nachdrücklich und wiederholt und eindringlich die deutschen Stahlunternehmen auf, endlich konkret ihre Restrukturierungskonzepte vorzulegen, damit die Hilfen endlich eingesetzt werden können und die Arbeitnehmer wissen, woran sie sind.
Drittens unterstützt die FDP-Bundestagsfraktion den Bundeswirtschaftsminister weiterhin in seinem beharrlichen Kampf in Brüssel um die Erhaltung der deutschen Stahlanteile und um die Beendigung des Subventionswettlaufs im europäischen Stahlbereich. Wir fordern die SPD-Fraktion auf, diesen Kampf mit zu unterstützen, so wie sie es in ihrem Antrag angekündigt hat.
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Wir werden gegenüber unseren Partnern in der EG und gegenüber der Kommission unsere stahlpolitischen Interessen um so wirkungsvoller durchsetzen können, je geschlossener wir, Bundesregierung mit Landesregierungen und Parlamenten, Unternehmer und Arbeitnehmer, in Brüssel auftreten. Die FDP-Bundestagsfraktion ist hierzu bereit.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Kollegen Beckmann und Lammert haben Antworten zur Stahlpolitik gegeben, die den Standpunkt der Bundesregierung darstellen. Ich bedanke mich dafür. Aber ich hatte doch den Eindruck, daß erwartet wird, daß ich noch ein paar Worte sage, obwohl mich der Kollege Reuschenbach schon hat wissen lassen, die würden ihn ohnehin nicht befriedigen, ich könne es mir demzufolge auch sparen. Aber auch Unbefriedigendes, Herr Kollege Reuschenbach, muß man sich gelegentlich anhören.
Zunächst einmal bin ich dankbar dafür, daß wir das Thema wieder einmal diskutieren können, obgleich es einige Fragen gibt, die man, weil sie mitten in der Beratung sind, nicht in aller Öffentlichkeit diskutieren kann. Da geht es insonderheit um das Thema der Unternehmenskonzepte. Ganz wichtig ist aber die Unterstützung der Regierung durch das Parlament bei unseren Bemühungen in Europa. Vorgestern war wieder ein Stahlrat, am 14. Dezember dieses Jahres ist der nächste Stahlrat. Herr Kollege Reuschenbach, man kann auf einem Gipfel in puncto Stahl natürlich nur dann etwas durchsetzen, wenn man auf dem Gipfel insgesamt zu einem Ergebnis kommt. Bleibt der Gipfel ergebnislos, ist der Hebel für die Lösung des Stahlproblems leider nicht vorhanden. Ich mache keine Voraussagen über den zukünftigen Gipfel. Beim letzten war es aber so. •
— Ja, da erinnere ich mich dann an Ausführungen in diesem Hause, die damals gemacht wurden und die ich zitiere:
Aber ich bestreite Ihnen allen das Recht, so zu tun, als ob Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundestages in der Lage wären, mit GSG 9 oder wie auch immer diese Praxis in anderen europäischen Ländern zu beseitigen. Ich empfinde es wirklich als schiere Heuchelei und auch unzulässig, ... mit einer solchen Art von Debattenbeitrag so zu tun, als sei die Bundesregierung in der Lage, die Praxis anderer Regierungen Europas einfach ungeschehen zu machen.
Ende des Zitates des Abgeordneten Reuschenbach vom 17. September 1981.
Herr Reuschenbach, was die Bemühungen anlangt, wollen wir versuchen, uns gegenseitig zu übertreffen. Ich fand das damals richtig. Ich finde es auch heute noch richtig. Sie sehen, Ihre Äußerungen befriedigen mich im Gegensatz zu den Äußerungen, die ich für Sie von mir gebe.
Zweitens. Was das Thema Tarifautonomie anlangt, will ich nur die kritischen Bemerkungen ansprechen. Wir haben wirklich — lassen Sie mich das einmal sagen — eine erneute große Anstrengung für ARBED-Saarstahl in Fortsetzung der Politik unternommen, die wir seit 1978 betreiben. Viele im Lande fragen einen: Ist das eigentlich wirklich noch sinnvoll?
Das Thema, um das es hier ging, war: Banken sollten einen Beitrag leisten, Arbeitnehmer sollten einen Beitrag leisten, der Eigentümer sollte einen Beitrag leisten. Sie wissen, daß das letzte unter den Umständen an der Saar — der Eigentümer sitzt in Luxemburg — leider nicht durchzusetzen war. In der Tat stellt sich die Frage bei vereinbarten Sozialplänen der Güte, wie sie dort vorhanden waren, ob es eigentlich eine so unterschiedliche Behandlung von Arbeitslosen auf der einen Seite und Arbeitslosen, die nicht von solchen Sozialplanabsprachen geschützt werden, geben kann oder nicht. Um diese Frage ging es.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Selbstverständlich.
Bitte, Herr Reuschenbach.
Herr Minister, da bin ich mißverstanden worden. Ich meinte nicht in erster Linie die Kürzungen der Sozialpläne. Darüber wird jetzt vor Gericht gestritten. Ich meinte in erster Linie den Druck von beiden Regierungen — Bund und Land — auf das Unternehmen, aus der Tarifgemeinschaft auszuscheiden und sie damit der tarifvertraglichen Vereinbarung allgemeiner Art zu entziehen. Das meinte ich.
Ja, das ist richtig. Vielen Dank, Herr Kollege, ich wäre auch noch auf diesen Punkt gekommen.
Die zweite Frage ist natürlich nicht der Tarif autonomie entzogen, sondern — durch die Aufforderung an das Unternehmen, den Arbeitgeberverband zu verlassen — der Allgemeinverbindlichkeit. Sie können aber die Lebensfähigkeit dieses Unternehmens ohne eine Null-Runde — es sei denn, Sie wollten weitere hohe Subventionen in die Hand nehmen — nicht erreichen. Tragfähigkeit ist sonst nicht mehr gegeben. Vor dieser Frage standen und stehen wir.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Herr Kollege Reuschenbach, ich füge hinzu: Als ich vor zwei oder drei Tagen davon hörte — ich habe nur eine Radiomeldung gehört; ob sie ganz korrekt an mein Ohr gekommen ist, vermag ich deswegen nicht zu sagen —, daß die Tarifverträge in der Stahlindustrie mit dem Ziel gekündigt worden sind, die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen, fragte ich mich
— ich will das ganz zurückhaltend machen; ich will keine neue Debattenrunde provozieren —, ob ein Haushaltsausschuß, ob ein Parlament angesichts der derzeitigen Verlustlage — man kann nicht von Ertragslage sprechen — der deutschen Stahlindustrie und der Subventionsforderungen und der mühsam tragfähig gemachten Konzepte eigentlich verantworten kann, diese Konzepte angesichts solcher Zukunftsmöglichkeiten zu finanzieren.
Das wird bei uns noch eine schwierige Diskussion werden.
— Doch, die kapieren das schon. Man muß ja nur rechnen können, wobei ich im übrigen die Rechnerei, ob das nur 12 % oder 15 oder 18 % kostet, auch nicht überzeugend finde. Diejenigen, die da rechnen, sollten sich einmal auf einen Zuschlag, den das ausmacht, einigen. Es wird ja nicht glaubhafter, wenn man unentwegt unterschiedliche Zahlen hört.
Wir haben uns — davon hat Herr Reuschenbach ebenfalls gesprochen; die Kollegen der Koalitionsfraktionen haben das aufgegriffen — inzwischen dahin verständigt, daß wir mit den Ländern einen 1/3—2/3-Finanzierungsschlüssel finden.
Herr Reuschenbach, ich bin ein bißchen zusammengezuckt, als Sie dabei vom traditionellen Schlüssel sprachen. Zum Glück sind wir noch nicht so weit, daß es hier schon ganze Traditionen gibt; wahrscheinlich haben Sie den Kohleschlüssel gemeint. Im übrigen bringt uns das in Schwierigkeiten gegenüber dem Saarland. Bei der Finanzierung von ARBED-Saarstahl war der traditionelle Schlüssel nämlich 50 : 50.
— Nein, der sieht als Folge dieser Belastung natürlich auch nicht erfreulich aus. Im übrigen: Wer aus Nordrhein-Westfalen kommt, sitzt, glaube ich, im Glashaus, wenn er über anderer Leute Landeshaushalt spricht.
Jedenfalls entnehme ich das meinen Unterhaltungen mit dem nordrhein-westfälischen Finanzminister. Dazu sei gesagt, Herr Reuschenbach, daß der Bund — der Kollege Posser wird Ihnen das bestätigen können — das Thema Betriebsstättenkonsequenz im Sinne der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom ersten Tage an unterstützt hat.
Wir sind von Anfang an der Meinung gewesen, daß es keinen Sinn macht, daß man nur deshalb, weil der Firmensitz in Nordrhein-Westfalen liegt, Steuerausfälle für Arbeitsplätze hinnehmen muß, die außerhalb der Landesgrenzen liegen. Aber da der Bundesrat mit 9 : 2 anders entschieden hat, wird es wohl kaum eine Möglichkeit geben, diese Dinge zu ändern.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt: Sie haben von den Ruhrstahl-Aktien gesprochen, aber Sie haben die Ruhrkohle-Aktien gemeint, die bei der Kruppstahl AG gehalten werden. Nun, Herr Reuschenbach, Sie sind ja derjenige gewesen, wenn ich darauf aufmerksam machen darf — aber das wissen Sie inzwischen längst —, der der Bundesregierung den Argwohn eingepflanzt hat, was denn wohl mit den Aktien der Ruhrkohle AG passieren könnte, wenn sie bei der Westdeutschen Landesbank und damit — so sehen wir es — bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung landen. Denn Sie haben ja — in der Zeitung war es nachzulesen — öffentlich gesagt: Dann kann man über den Aufsichtsrat Personalentscheidungen treffen, Unternehmenspolitik machen.
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Bundesminister?
Wenn ich diese Frage klargestellt bekomme, kriegt der Kollege Reuschenbach, wenn es von Ihnen genehmigt wird, Frau Präsidentin, sogar zwei Zwischenfragen.
Herr Reuschenbach.
Ich bin in der Tat der Meinung — das habe ich auch gesagt —, daß derjenige, der als öffentliche Hand, Bund und Land, so viel Geld gibt, das Recht haben sollte, mit am Tisch zu sitzen, wo die Entscheidungen fallen, um es nicht nötig zu haben, auf die Entscheidungen um drei Ecken herum Einfluß zu nehmen.
Vielen Dank für die Klarstellung. Da sind wir genau da, daß Sie über den Aktionärseinfluß — nicht über den Einfluß des Geldgebers; den nehmen wir ganz gewiß wahr, das wissen Sie auch sehr genau; in der letzten Kohle-Runde ist das ja deutlich geworden — im Aufsichtsrat der Ruhrkohle Platz nehmen und damit natürlich — Herr Reuschenbach, lassen Sie uns auch das deutlich ansprechen — die Über-Montan-Mitbestimmung bei der Ruhrkohle installieren wollen, jedenfalls solange Sie noch die Regierung in Nordrhein-Westfalen stellen. Das kann sich natürlich einmal ändern.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
Wenn Sie so weitermachen, wird es sich vermutlich sogar ändern.
Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren, der hier angesprochen worden ist — und das muß ich klarstellen, Herr Reuschenbach —: Im Hinblick auf die Regionalpolitik haben Sie von einem gebrochenen, Bremen gegebenen Versprechen geredet. Dies ist nicht wahr. Wir haben vor der Bremer Wahl gesagt, daß wir die Konzepte der Fusionsüberlegungen der Bremer Großwerften prüfen. Wir haben nie gesagt, daß wir zahlen. Wir haben, wie Sie alle wissen, im Planungsausschuß regionale Wirtschaftspolitik die notwendige Zustimmung der Ländermehrheit, und zwar insonderheit der Küstenländer, für das Sonderprogramm Bremen nur bekommen können, nachdem wir die vom Bund verlangte Erklärung abgegeben haben, es gebe kein Bundesgeld für die Fusionshilfe. Sonst wäre das Sonderprogramm nicht zustande gekommen; eine Mehrheit wäre nicht zu haben gewesen. Ich bitte, hier jetzt nicht eine Legende zu entwickeln, der ich schon, wie Sie wissen, widersprochen habe, als sie aus Bremen kam, eine Legende, die da heißt, der Bund habe ein gegebenes Versprechen nicht eingehalten. Dies ist nicht wahr.
Nun, meine Damen und Herren, noch kurz einige wenige Bemerkungen. Es wird immer wieder vom Konzept gesprochen. Ich will, Herr Kollege Reuschenbach, die alte Diskussion — sie ist j a hier ausreichend geführt worden — nicht wieder aufleben lassen. Aber ich will doch aus einem Antrag zitieren, der wie folgt lautet:
Die deutschen Stahlunternehmen werden nunmehr aufgefordert, so schnell wie möglich die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Zulage zu schaffen und bei betrieblichen Zusammenlegungen auch die ertragreicheren Betriebsteile mit einzubeziehen.
Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom August 1981. Das findet meine volle Zustimmung; ich bin hier mit Ihnen ganz einig.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Ja.
Herr Minister, finden Sie es fair, einen Antrag aus einer Zeit zu zitieren, wo das, was man damals dort hineingeschrieben hatte, noch aussichtsreich erschien, und das mit der Lage des Herbstes 1983 zu vergleichen, wo sich gezeigt hat, daß dies Konzept „Unternehmen, macht ihr mal etwas" einfach nicht aufgeht? Dieser Vergleich mit der Situation 1981 ist doch wirklich einer, der nicht zutreffend ist.
Ich beantworte Ihre Frage mit einer Gegenfrage: Finden Sie es fair, der Bundesregierung vorzuhalten, daß sich die Unternehmen nicht zu Fusionen und Zusammenarbeit bereitfänden, nachdem sich herausgestellt hat, daß wir sie auch nicht mit der GSG 9 oder irgend jemand anderem — um Sie noch einmal zu zitieren — dazu zwingen können?
Mit der Hergabe von Geld wird in vielen anderen Fällen, z. B. bei ARBED, eine bestimmte Konzeption „notfalls erzwungen". Und es gibt viele Beispiele dafür, daß öffentliches Geld nur dann gegeben wird, wenn ... Und dies muß auch für die Stahlwirtschaft gelten.
Herr Kollege Reuschenbach, wenn Sie das Beispiel ARBED hier anführen: Wollen Sie uns damit auffordern, uns ARBED der Größenordnung, den Summen nach zum Vorbild zu nehmen? Dann hätten Sie nämlich Einfluß. Mit den 3 Milliarden DM, die wir jetzt zur Verfügung stellen, haben wir ihn nicht.
Weil wir an den 3 Milliarden DM festhalten, ist allein von der Betragsgröße her — ich habe das doch öffentlich gesagt; wenn Sie daraus 10 Milliarden DM machen, dann könnten Sie etwas kommandieren — unter den gegebenen Umständen keine Einflußnahme möglich.
Im übrigen, was die Konzepte anlangt — Herr Burgmann hat das angesprochen —: Er hat gesagt, die Stahlkonzerne hätten kein Konzept vorgelegt, sie könnten kein Konzept vorlegen. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen mitteilen, auch Herrn Burgmann: Seit wenigen Tagen liegen von allen Stahlunternehmen der Bundesrepublik Deutschland die Konzepte im Bundeswirtschaftsministerium vor. Natürlich können sie das. Sie haben das übrigens auch in der Vergangenheit getan. Erinnern Sie sich doch einmal, wie Phoenix Rheinrohr und Thyssen-Mannesmann zustande gekommen sind. Das ist alles durch Entscheidungen der Unternehmen geschehen, die dort getroffen wurden, wo sie hingehören. Das geht also schon. — Und wir prüfen diese Konzepte nunmehr auf ihre Tragfähigkeit und darauf, ob sie finanzierbar und zu bezuschussen sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgmann?
Bitte.
Herr Lambsdorff, haben Sie auch meinen Nachsatz gehört? Ich hatte gesagt, sie könnten kein Konzept vorlegen, das die Gemeinschaftsinteressen — d. h. die ökologischen und sozialen Folgen — berücksichtige.
Herr Burgmann, ich komme zu dieser Frage
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
und den aus Ihrer Sicht idealtypischen Bedingungen, unter denen man Stahl produzieren kann. Das geht nur dann, wenn Sie gleichzeitig erreichen, daß Stahl in der Zukunft ein bevorzugter Werkstoff deutscher Juweliere wird. Aber das ist noch nicht der Fall. Was Sie vorschlagen, ist zu einigermaßen vernünftigen, wettbewerbsfähigen Preisen überhaupt nicht mehr auf den Markt zu bringen. Und dies würde weitere Arbeitsplätze vernichten.
Uns — und ich hoffe, allen miteinander — geht es darum, in dieser Diskussion klarzustellen, daß wir, so bitter das ist, ohne Kapazitätseinschränkungen und -beschneidungen die Probleme nicht werden lösen können, daß wir das auf eine Weise tun, die so wenig wie möglich Arbeitsplätze kostet, und daß dort, wo Arbeitsplätze verlorengehen, die menschliche Seite durch soziale Abfederung, soweit das irgend geht, berücksichtigt wird. Und es geht uns auch darum, meine Damen und Herren, ganz klar zu sagen, daß ein hochentwickeltes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft auf die Produktion von Stahl als einem wichtigen Grundstoff nicht verzichten kann und nicht verzichten will. Aber unter den gegebenen Umständen in der Welt, einer riesigen Überproduktion, die einer geringer gewordenen, stark geschrumpften Nachfrage gegenübersteht, ist das beinahe die Quadratur des Kreises. Wir werden uns darum bemühen, sie zu lösen. Angesichts der Art und Weise, wie die Debatte hier heute geführt worden ist, hoffe ich und gehe ich davon aus, daß uns das Parlament dabei unterstützt.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/578 zur federführenden Beratung an den Ausschuß. für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 7, 8 a und 8 b der Tagesordnung auf:
7. Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — Drucksache 10/562 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
8. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Frau Blunck, Bachmaier, Catenhusen, Frau Dr. Czempiel, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Diederich , Egert, Dr. Emmerlich, Fischer (Osthofen), Frau Fuchs (Köln), Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Klein (Dieburg), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lambinus, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau
Matthäus-Maier, Müller , Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (München), Schröder (Hannover), Dr. Schwenk (Stade), Frau Simonis, Frau Dr. SkarpelisSperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten
Drucksache 10/585 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Besserer Schutz der Opfer von Sexualstraftaten
—Drucksache 10/580 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Tagesordnungspunkte 7, 8 a und b eine gemeinsame Beratung mit einer Runde vereinbart worden. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat Frau Abgeordnete Schoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Freundinnen! Liebe Freunde! Herr Saubermann schaltet den Fernseher aus, trinkt den letzten Schluck Bier aus der Flasche und schreitet zur Tat.
Seit dem Bestehen von Frauenhäusern und seit dem Wissen über die von Frauen berichteten Erfahrungen aus der Ehe ist ein Delikt bekanntgeworden, dessen Ausmaß und Brutalität Erschrecken hinterlassen. Vergewaltigung, so steht seither fest, findet auch in der Ehe statt.
Noch immer ist bei uns die Auffassung weit verbreitet, eine Frau habe mit ihrem Ja zur Ehe auch ihre generelle Zustimmung zum Geschlechtsverkehr gegeben. Ehegattennotzucht verletzt in gravierender Weise die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau. Die grundsätzliche Forderung nach Wahrung der Menschenwürde und der Freiheitsrechte wird jeder Frau genommen, die einen rücksichtslosen Ehemann über sich ergehen lassen muß.
Wer in diesem Sinne auf Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, den Schutz der Ehe, verweist, verkennt die Rangfolge der Grundrechte untereinander und unterstützt ein Gewaltverhältnis auch in der Ehe, das aus anderen Zusammenhängen unserer Gesellschaft ja leidlich bekannt ist. Eine von Waffen strotzende Gesellschaft wie die unsrige, die Gewalt und Vernichtung von Menschen ins politische Kalkül zieht, wird Gewalt gegen Frauen fortschreiben. Der
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Frau Schoppe
schreckliche Vergewaltigungsmord letzte Woche in Berlin zeigt dies deutlich. Diese Tat zeigt auch, daß der Bestand von Strafrechtsparagraphen kein ausreichender Schutz vor Untaten ist. Aber Paragraphen setzen auch Grenzen von Moral und Unmoral, von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit.
Wir halten die Ausdehnung der Strafrechtsparagraphen 177, 178 und 179 auf den ehelichen Bereich auch aus Gründen der Gleichbehandlung für längst überfällig. Es kann doch nicht so sein, daß Frauen durch die Heirat plötzlich den Schutz des Strafrechts verlieren. Wir Frauen sind doch kein Freiwild.
Wir begrüßen ausdrücklich den fast gleichlautenden Antrag der SPD, der nur wenige Tage nach unserem Antrag eingebracht wurde.
Wir sind gespannt darauf, wie sich die FDP verhalten wird, da ausgerechnet sie bereits 1981 in einem Papier zur Rechtsstellung der Frau beschloß, die §§ 177 ff. wenigstens auf in Scheidung oder getrennt lebende Ehefrauen auszuweiten. Wahrscheinlich, so denken wir, fürchtet sich die FDP davor, daß der Staat in bestehende Ehen eingreift. Dies passiert allerdings heute schon durch die Anwendung des Nötigungsparagraphen, da im Rahmen der sexuellen Nötigung die Männer durch das Strafrecht zur Verantwortung gezogen werden können.
Auch bei anderen Delikten wie Erpressung, Mordversuch oder Raub unter Eheleuten wird doch heute schon eingegriffen. Wir glauben, daß die Vertreter dieser Argumentation im Kampf zwischen Patriarchat und Gleichberechtigung wieder einmal auf patriarchalisch-reaktionären Strukturen verharren. Den Frauen wird Unterdrückung und Abhängigkeit zugewiesen. Was ist denn an einer Ehe, in der vergewaltigt wird, noch lobens- und erhaltenswert?
Abzuwarten wäre auch, wieviel Frauen nicht gleichzeitig mit der Anzeige wegen Vergewaltigung auch die Scheidung einreichen.
Ein anderer Einwand ist die Beweisschwierigkeit bei diesem Delikt. Das ist nicht von der Hand zu weisen; denn nur etwa 15 % der zur Anzeige kommenden Delikte von Vergewaltigung führen heute zu einer Verurteilung. Bei Ehegattennotzucht wird es wahrscheinlich noch darunter liegen. Aber auch die Nötigung in der Ehe und der Beischlaf unter Verwandten unterliegen der schwierigen Beweislage; sie werden dennoch strafrechtlich verfolgt.
Wir müssen uns fragen, wie gut eine Ehe ist und ob sie eigentlich noch besteht, wenn der Tatbestand der Ehegattennotzucht vorliegt. Eine Ausweitung der §§ 177 ff. auch auf die Ehe und eine damit zusammenhängende öffentliche Diskussion könnten dazu führen, daß Sensibilität für dieses Problem geweckt wird. Die mangelnde Achtung der Männer vor den Frauen, die sich auch durch vielfältige Formen von Gewalt und Unterdrückung in der Ehe
äußert, hat dazu geführt, daß gerade Frauen die Ehe ablehnen.
Es ist ohnehin eine Schande, daß wir zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen ein gesetzliches Vergewaltigungsverbot benötigen. Wenn wir bedenken, daß bis zur Änderung des Scheidungsrechts im Jahre 1977 die Ehefrau zum Beischlaf gezwungen war, um sogenannte eheliche Pflichten zu erfüllen, so erwarten wir von der Änderung der §§ 177 ff. Aufklärung und Bewußtseinsänderungen der Frauen, die, wie eine Erhebung des Allensbacher Instituts aus dem Jahr 1976 zeigt, noch immer zu 22 % glauben, zum Geschlechtsverkehr mit dem Ehemann rechtlich gezwungen zu sein, auch unter Anwendung von Gewalt. Wenn die Frauen wissen, daß sie sich Vergewaltigungen in der Ehe nicht mehr gefallen lassen müssen, fördert das doch nur eine aufgeklärte partnerschaftliche Beziehung und zerstört keine Ehe.
Schädliche Auswirkungen des Familiendramas der Vergewaltigung auf Körper und Psyche der Frau und ebenso der Kinder dieser Familie könnten zumindest gemindert werden. Der Mord an der Seele der Frau muß aufhören.
Der SPD-Antrag sieht vor, der Frau die Möglichkeit zu geben, die Öffentlichkeit ausschließen zu können. Wir halten den Ausschluß der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung für problematisch. Es sollten keinesfalls Methoden des Mittelalters zurückgeholt werden, nach denen Frauen hinter verschlossenen Türen ein zweites Mal von der Männerjustiz vergewaltigt werden.
Heute sind in der Strafjustiz nicht einmal 10 aller Stellen mit Frauen besetzt. Die Vergewaltigungsprozesse machen deutlich, daß Richter in Identifikation mit den Tätern oft den Fall als Kavaliersdelikt abtun.
Da allerdings der Ausschluß der Öffentlichkeit nur auf Antrag der Frau durchgeführt werden soll, wären wir nicht abgeneigt, dem zuzustimmen.
Es bleibt aber abzuwarten, ob sich diese Gesetzesformulierung als Bumerang für die Frauen herausstellt. Es besteht die große Gefahr, das Vergewaltigungsopfer vor Gericht unter Druck gesetzt werden, dem Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit zuzustimmen. Die Anwesenheit von solidarischen Frauen, die Richter, Staatsanwälte, Verteidiger, Zeugen, ja das ganze Prozeßgeschehen verfolgen, stellen nach allen Erfahrungen in bisherigen Prozessen ein ganz besonderen Schutz von Frauen dar. Bemerkenswert und erwähnenswert ist an dieser Stelle, daß die Berufsvereinigungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie die Notrufgruppen stets die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gefordert haben, um die gesellschaftlichen Zusammenhänge der tabuisierten Gewalt gegen Frauen nicht hinter verschlossenen Türen von Wohnungen und Gerichtssälen zu belassen.
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Frau Schoppe
In dieselbe Richtung gehen unsere Bedenken hinsichtlich des von der SPD in ihrem Antrag zum sogenannten besseren Schutz der Opfer von Sexualstraftaten ins Auge gefaßten „Tests zur Glaubwürdigkeit" der vergewaltigten Frauen. Dieses Ansinnen weisen wir entschieden zurück. Es stellt unserer Meinung nach einen unglaublichen Angriff auf die Persönlichkeit und die Integrität der vergewaltigten Frauen dar. Unserer Ansicht nach spricht dieser Antrag den Sexualopfern die Kompetenz der richtigen Beurteilung des Tathergangs ab. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.
Die Fraktion der GRÜNEN erwartet von ihrem Antrag eine präventive Wirkung, die zumindest bei Teilen der Männer die Untat verhindert. Wir wollen, daß die Frauen in der Ehe den gleichen Schutz haben wie die Frauen, die nicht verheiratet sind. Allein der Gleichheitsgrundsatz gebietet dies.
Eine Ausweitung des Straftatbestandes der Vergewaltigung auf die Ehe wird nicht eine Flut von Anzeigen nach sich ziehen. Unser erklärtes Ziel ist die Aufklärung über die Machtverhältnisse innerhalb unserer Gesellschaft und in der Ehe. Hier sind in besonderer Weise die Politiker gefordert; denn die sanfte Macht der Familie stellt sich bei vielen Frauen als nackte Gewalt dar. Uns allen wäre viel mehr geholfen, wenn nicht nur über Familie gegaukelt würde, sondern wenn Realitäten angeklagt würden, um sie zu verbessern.
Ich ahne Böses; wir müssen in diesem Parlament wieder abstimmen, und eine überwältigende Männermehrheit führt zu männerfreundlichen Entscheidungen, aber diese sind meist frauenfeindlich. In dieser Rederunde, wo es um Gewalt gegen Frauen geht, werden nach mir nur Männer reden. Ich hoffe, jede und jeder von Ihnen hat ein leises Gespür dafür, daß es eine Unverschämtheit ist, daß Männer noch immer über das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen reden und darüber entscheiden wollen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Lowack.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Werte Frau Kollegin Schoppe, bitte gehen Sie davon aus, daß wir nicht frauenfeindlich sind und daß wir durchaus in der Lage sind, als Politiker Entscheidungen zu treffen, die allen Teilen unserer Bevölkerung und ihren besonderen Anliegen gerecht werden.
Mit dem Gesetzentwurf vom 2. November 1983 möchte die Fraktion der GRÜNEN die Verbrechenstatbestände der Vergewaltigung — § 177 des Strafgesetzbuches — und der sexuellen Nötigung —§ 178 des Strafgesetzbuches — sowie des Vergehens des sexuellen Mißbrauchs gemäß § 179 des Strafgesetzbuches auf den ehelichen Verkehr ausdehnen.
Die Fraktion der SPD hat mit einem eigenen Gesetzentwurf vom 9. November 1983 nachgezogen
und zu den §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches eine im Wortlaut identische Änderung vorgeschlagen. Offenbar, meine sehr verehrten Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, möchten Sie sich von den GRÜNEN in diesem Bereich nicht ganz die Butter vom Brot nehmen lassen. Gleichzeitig schlägt Ihre Fraktion eine Ergänzung der Strafprozeßordnung vor, bei der in Anlehnung an die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei schweren Deliktsfällen zukünftig auch beteiligte Zeugen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung das Recht haben sollen, Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand zu stellen. Durch eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes soll das richterliche Ermessen beim Ausschluß der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung eingeschränkt und das Recht eines beteiligten Zeugen bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung eingeräumt werden, auf Antrag die Öffentlichkeit ausschließen zu lassen. In einem gesonderten Entschließungsantrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu bewirken, so daß Opfer von Sexualstraftaten durch besonders geschultes Personal vernommen und bezüglich der Glaubwürdigkeit durch Sachverständige begutachtet werden können.
Der Bundesrat hat es in der Sitzung vom 25. 11. 1983 abgelehnt, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen.
Zunächst zur Erweiterung der Verbrechens- und Vergehenstatbestände in den §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches. Wir werden darüber noch ausführlicher im Rechtsausschuß zu beraten haben. Ich möchte aber bereits jetzt folgendes klarstellen. Keine Frau, kein Mann wird mit dem Eingehen der Ehe in der sexuellen Selbstbestimmung schutzlos. Meine sehr verehrte Kollegin Frau Schoppe, das haben Sie leider nicht erwähnt oder nur am Rande angeführt. Der notwendige Schutz ist durch die bestehenden Strafrechtstatbestände gewährleistet. Für Ehemann wie für Ehefrau gilt, daß die Mißhandlung des anderen in der Ehe, daß Gewaltanwendung oder Gewaltdrohung zum ehelichen Verkehr oder zu sexuellen Handlungen strafbar sind: entweder unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung oder dem Gesichtspunkt der Nötigung. Die Ehe ist kein Freiraum für kriminelles Verhalten. Sie gibt auch keine Legitimation, alle Maßstäbe eines kultivierten zwischenmenschlichen Zusammenlebens aufzugeben. Wir haben da möglicherweise weniger Probleme als andere, die das immer auf ihre Fahnen schreiben.
— Sehr verehrte Frau Kollegin, warten Sie bitte bis zum Schluß; wenn ich mit der Zeit hinkomme, bin ich gern bereit, eine Frage zu akzeptieren.
Trotzdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Die Familie, das auf Dauer ausgerichtete familiäre Zusammenleben, hat eigene Maßstäbe, die wir nicht alle mit der Elle der Justiz messen und die wir als Außenstehende in der Regel auch nur
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Lowack
selten beurteilen können. Wie sollen eigentlich der Richter und zuvor der Staatsanwalt in einer Gemeinschaft, die als Geschlechtsgemeinschaft auf Lebenszeit eingegangen ist, feststellen können, daß es zum Geschlechtsakt oder zu sonstigen sexuellen Handlungen, die gewöhnlich immer noch Ausdruck besonderer in der Ehe erwiderter Zuneigung sind, ohne Zustimmung des jeweiligen Partners gekommen ist?
— Würden wir, Herr Kollege Schily, nicht neues Unrecht mit der Möglichkeit schaffen — und bitte, seien Sie in Ihrer Denkweise konsequent —, den anderen Teil mit der Drohung zu erpressen, ihn oder sie wegen unerlaubten ehelichen Verkehrs bzw. sexueller Handlungen beim Staatsanwalt anzuzeigen?
Wollen wir neue Kriminalitättatbestände ausgerechnet in einer Zeit begründen — und jetzt gebe ich die Frage an Sie zurück —, in der beide Geschlechtspartner in der Ehe —
— Verehrte Frau Kollegin, Sie hatten doch Gelegenheit, mit Frau Schoppe das vorzutragen, was Sie bewegt. Das haben wir uns in aller Ruhe angehört. Wir haben keine Angst vor der Frage, und wir haben auch keine Angst vor der Erörterung der Probleme.
Ich sprach von unserer Zeit, in der beide Geschlechtspartner in der Ehe auf die Ausübung ihrer Sexualität mehr Wert legen, als es früher allgemein üblich war.
Immerhin: Die Strafe für Vergewaltigung liegt gemäß § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch bei mindestens zwei Jahren, für sexuelle Nötigung gemäß § 170 Abs. 1 Strafgesetzbuch bei mindestens einem Jahr. Das muß man wissen, wenn man verantwortlich entscheiden will.
Und ich betone noch einmal: Niemand braucht sich in der Ehe der Gewalt zu beugen. Aber es wäre verkehrt, eine geschlechtsbezogene Handlung in einer auf Lebenszeit eingegangenen, vom Staat besonders geschützten Geschlechtsgemeinschaft zum Tatbestandsmerkmal eines Verbrechens zu erheben. Das wollen Sie mit Ihrem Antrag erreichen.
— Die Würde des Mannes ebenfalls. Wollen wir doch davon gemeinsam ausgehen! Wir wollen beide die Würde der Frau wie die des Mannes schützen. Darüber sind wir uns einig. Die Frage ist nur, ob wir einen bestehenden Straftatbestand erweitern, ob ein unabweisbares Erfordernis vorliegt. Ich habe
Ihnen erklärt, daß es nicht notwendig ist, weil wir bereits einen Strafrechtsschutz haben.
Es gibt nun das ebenso einfältige wie plakative Argument, durch das bestehende Strafrecht sei der Gleichheitsgrundsatz verletzt, die Ehefrau wäre schlechter gestellt als die nicht verheiratete Frau.
Frau Kollegin, wenn Sie doch bitte warten würden, weil der Kollege eine Zwischenfrage zur Zeit nicht zugelassen hat, sondern erst für das Ende seiner Rede. Seien Sie so freundlich!
Dieses Argument ist, meine sehr verehrten Kollegen, vordergründig. Zunächst geht es hier schon lange nicht mehr allein um die Frau. Es gibt heute weit mehr Ehefrauen, die zur Erfüllung iher sexuellen Wünsche auf ihr Recht pochen, als es früher der Fall gewesen sein mag. Sollte die vom Mann nicht erwiderte oder gar abgelehnte Zärtlichkeit der Ehefrau allen Ernstes bereits als der Versuch einer sexuellen Nötigung strafbar sein können mit der Mindeststrafe von einem Jahr? Bitte überlegen Sie sich auch mal die Konsequenz Ihrs gesetzgeberischen Antrags. Sie reißen ja nur an, aber Sie sind nicht bereit, wirklich mal durchzudenken, was es hinterher in der Praxis und in der Ermittlungspraxis von Justiz und Staatsanwaltschaft tatsächlich bedeutet.
Vor allem aber ist die Situation des Straftäters, der dem ihm unbekannten Mädchen auflauert und es dann zu sexuellen Handlungen nötigt, in keiner Weise mit der Situation in einer Ehe vergleichbar, die die Eheleute gerade deshalb geschlossen haben, weil sie darin ihre geschlechtliche Erfüllung finden wollen. Wir haben eben noch ein relativ gutes Bild von der Ehe. Das mag uns manchmal von anderen unterscheiden. In gleicher Weise besteht ein gravierender Unterschied zu dem Deliktstyp, der im Bereich der §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuchs eine große Rolle spielt, dem Täter, der das Mädchen ein paarmal gesehen hat und absichtlich einige Freundlichkeiten von ihrer Seite mißversteht. Wer die Ehe mit ihrer besonderen Bedeutung als Geschlechtsgemeinschaft nicht mehr anerkennt und sie mit lockeren Formen des Zusammenlebens gleichsetzt, zerstört den Kern der Ehe.
Schwieriger ist schon die Frage, weshalb wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung derjenige nicht bestraft werden soll, der vom Ehepartner getrennt lebt. Wir werden dieses Problem detailliert zu erörtern haben. Letztlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dürfte entscheidend sein, welche Bedeutung wir der Ehe als Lebensgemeinschaft beimessen wollen. Ist die Trennung etwas Natürliches und Selbstverständliches, die freie Partnerwahl für den getrennt lebenden Ehepartner ein höchstpersönliches Recht, oder ist die Trennung, wie wir meinen, nach dem Wesen der Ehe eher etwas Anormales, das der ehelichen Lebensgemeinschaft zuwiderläuft und überwindbar bleiben muß? Ich darf nochmals daran erinnern: Bei den
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Anträgen, die gestellt wurden und über die wir zu beraten haben, geht es nicht um eine Minderung der Strafbarkeit und damit Gleichstellung, sondern um eine Ausdehnung des Täterkreises, die nach unserer Auffassung einer besonderen Rechtfertigung bedarf.
Fasse ich zusammen, daß wir mit einer Erweiterung des Täterkreises in den §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuchs auf Eheleute Konfliktstoff in der Ehe erheblich anreichern und künstlich schaffen, den ehelichen Intimverkehr zum Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen machen und damit beide Ehegatten bloßstellen, so spricht eigentlich alles gegen eine Erweiterung der bestehenden Straftatbestände.
Ein psychologisches Argument sollten wir zudem nicht außer acht lassen. Ohne ein gewisses Maß an Aggression gibt es zwischen höheren Lebewesen keine auf Dauer ausgerichtete Lebensgemeinschaft. Fragen Sie Konrad Lorenz!
Wie wollen Sie eigentlich diese Tatsache strafrechtlich einfangen?
Wollen Sie diesen gesamten Bereich menschlichen Zusammenlebens in einer Ehe justiziabel machen? Meine verehrten Damen und Herren, hier würde der Gesetzgeber sich eher lächerlich machen, als tatsächlich Unrechtmäßiges und Unrechtwürdiges zu regeln.
Letztlich sollten wir hellhörig werden, wenn uns Vorschläge über neue Straftatsbestände im sexuellen Bereich der Ehe von einer Seite unterbreitet werden, die sich früher mit Nachdruck für eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts und der Pornographie mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen eingesetzt hat. Ich halte dies für einen typischen Fall einer doppelbödigen Moral.
Kommen wir zum zweiten Punkt, der Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren. Die hier vorgeschlagene Änderung der Strafprozeßordnung, wonach dem Zeugen bei einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, würde erstmals den Zeugen bei der Wahrnehmung seiner Rechte einem Beschuldigten gleichstellen, dem besonders schwere strafrechtliche Vorwürfe gemacht werden. Ich halte dies für überzogen. Jeder Zeuge hat bereits nach dem geltenden Strafprozeßrecht die Möglichkeit, einen Rechtsanwalt als Beistand beizuziehen. Er ist in einer Reihe von Verfahren berechtigt, als Nebenkläger aufzutreten und sich insoweit vertreten zu lassen, auch mit der Konsequenz, daß ein Angeklagter eventuell die Kosten zu tragen hat. Ein besonderes Regelungsbedürfnis besteht zur Zeit nicht. Trotzdem sollte das Problem im Rechtsausschuß nochmals eingehend erörtert werden.
Gegen die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes bestehen erhebliche Bedenken, weil das tatrichterliche Ermessen über den Ausschluß der Öffentlichkeit ausgeschaltet wird. Damit würde nicht nur einer der wichtigsten Grundsätze des Strafprozeßrechts, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, in Frage gestellt, das bedeutete auch ein nichtbegründetes Mißtrauen in die Urteilsfähigkeit des Strafrichters, in der Mehrzahl der einschlägigen Fälle des Vorsitzenden eines Schöffengerichts oder der Richter in der Strafkammer. Nun mag man sich darüber beklagen, daß die bisher bestehende Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, in der Praxis ungenügend genutzt wird. Das wäre dann aber eher eine Frage der Sensibilisierung unserer Richter als eine Frage einer Gesetzesänderung. Ich darf dazu anmerken: Wir als Gesetzgeber können vieles gar nicht regeln, was letztlich mit der Ausbildung und der Fortbildung unserer Richter und Staatsanwälte zu tun hat. Ich persönlich habe den Eindruck, daß die Gerichte durchaus sachgerecht und bereitwillig von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Öffentlichkeit in den hier angesprochenen Fällen auszuschließen.
Zur angeregten Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren darf ich schließlich ausführen: Es ist die selbstverständliche Pflicht der Strafverfolgungsorgane, die dem Tatopfer aus dem Strafverfahren gegen den Beschuldigten entstehenden Nachteile so gering wie möglich zu halten. Insbesondere darf das Opfer der Straftat bei einer Vernehmung nur solchen Belastungen ausgesetzt werden, die sich aus der Notwendigkeit der Wahrheitsfindung im Verfahren gegen den Beschuldigten unabweisbar ergeben.
Eine gute Vernehmung setzt Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme voraus. Im Einzelfall kann es sogar geboten sein, dem Tatopfer zu gestatten — und das ist bereits möglich —, zur Vernehmung eine Person seines Vertraues beizuziehen. Bei der richterlichen Vernehmung des Tatopfers innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung hat der Staatsanwalt auf eine Einhaltung dieser Grundsätze durch Anregungen und Anträge hinzuwirken. Er hat auch darauf zu achten, daß das Tatopfer durch Fragen und Erklärungen des Beschuldigten und seines Verteidigers nicht unabweisbaren Belastungen ausgesetzt ist.
Dem besonderen Anliegen, die Intimsphäre des Tatopfers zu schützen, hat der Staatsanwalt durch entsprechende Anträge auf Ausschluß der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Für die Vernehmung des Tatopfers soll besonders geschultes und erfahrenes Personal eingesetzt werden. Die Beiziehung eines Sachverständigen zur Prüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sollte schon im Ermittlungsverfahren erwogen werden. Diesen Schutz auch des Zeugen meint der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Liebe Frau Schoppe, lesen Sie das in der Begründung noch einmal nach.
Diese Grundsätze sind bereits in einigen Bundesländern — z. B. in Bayern — durch Bekanntmachungen der Innen- bzw. Justizminister geregelt.
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Lowack
Wenn sie als Vorbild für eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren dienen können, bestehen von seiten der Union selbstverständlich keine Einwände.
Sehr verehrte Kolleginnen, ich bin vor meinem letzten Satz und darf Sie deswegen fragen, ob Sie noch eine Frage stellen wollen. — Anscheinend nicht.
— Dann will ich den letzten Satz für nachher lassen.
Herr Kollege Lowack, wenn Sie bereit sind, die Fragen zu beantworten, wäre es, glaube ich, ganz gut, wenn wir sie jetzt zuließen. Ist das so, oder wollen Sie den letzten Satz erst noch beenden?
Nein, ich möchte jetzt die Fragen zulassen.
Gut, dann erst Frau Schoppe und danach Frau Beck-Oberdorf, bitte.
Nach der Allensbacher Studie aus dem Jahre 1976, die ich vorhin zitiert habe, haben 2' /2 Millionen Frauen angegeben, mindestens einmal in ihrer Ehe vergewaltigt worden zu sein. Selbst wenn man davon ausgeht, daß diese Vergewaltigungen, die die Frauen benannt haben, vielleicht dann, wenn es vor Gericht zu einer Verhandlung käme, dem Tatbestand nicht ganz entsprechen würden, muß man doch immerhin davon ausgehen, daß viele Frauen in der Ehe vergewaltigt werden. Es gibt — —
Pardon, Frau Kollegin, welche Frage stellen Sie?
Moment, die Frage kommt sofort.
Ja, seien Sie so gut, stellen Sie die Frage!
Es gibt über hundert Frauenhäuser, die von Frauen aufgesucht werden. Diese Frauen geben an, in der Ehe vergewaltigt und geschändet worden zu sein.
Was haben Sie dagegen, daß man eine Vergewaltigung, die in der Ehe stattfindet, auch so nennt?
Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie haben mich offenbar nicht richtig verstanden. Ich habe darauf hingewiesen, daß Vergewaltigung in der Ehe als Nötigung und in der Regel auch als Körperverletzung strafbar ist. Das hatte ich an den Anfang meines Beitrages gestellt.
Ich halte dies für ausreichend, weil ich das große Problem sehe, daß ich einen weiteren Straftatbestand nicht dadurch begründen kann, daß ein geschlechtlicher Tatbestand aus einer auf Lebenszeit angelegten Geschlechtsgemeinschaft in die Strafbarkeit hineingebracht wird.
Wollen Sie auch die nächste Zwischenfrage zulassen? — Bitte.
Können Sie mir dann bitte erklären, warum dieser Nötigungstatbestand nicht für Nichtverheiratete ausreicht? Dann müßten Sie doch so konsequent sein, die Abschaffung der entsprechenden Strafvorschrift zu fordern.
Verehrte Frau Kollegin, es ist auch nach meiner Auffassung in der Frage der geschlechtlichen Beziehung ein großer Unterschied, ob ich eine Gemeinschaft eingehe, die davon ausgeht, daß die beiden Partner auf Lebenszeit eine Geschlechtsgemeinschaft — mit allem, was sich daraus ergeben kann — begründen, oder ob die Partner diese Bindung nicht eingehen und sich jederzeit vorbehalten, wieder auseinanderzugehen.
Ich darf den letzten Satz noch sagen: Ich beantrage im Namen der Fraktion der CDU/CSU, den Gesetzentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes der GRÜNEN, Drucksache 10/562, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zum Schutz der Opfer von Sexualdelikten, Drucksache 10/585, den Antrag der Fraktion der SPD „Besserer Schutz der Opfer von Sexualstraftaten", Drucksache 10/580, gemäß den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates, federführend dem Rechtsausschuß, zu überweisen.
Danke schön.
Danke schön, daß Sie die Fragen noch zugelassen haben.
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist prinzipiell der Auffassung, daß das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung mit Eingehung der Ehe natürlich nicht endet und daß, wo es notwendig ist, auch strafrechtlich Schutz geboten werden muß. Aber es bestehen ganz erhebliche Bedenken gegen die uns hier vorliegenden Gesetzentwürfe, auf die ich kurz eingehen möchte.
Bereits nach geltendem Recht — darauf ist hingewiesen — ist die Erzwingung des intimen Verkehrs mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel auch in der Ehe strafbar wegen Nötigung nach § 240 des Strafgesetzbuches. Auf den Strafrahmen — Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren — ist in diesem Zusammenhang bereits hingewiesen worden. Deswegen besteht eben keine Regelungslücke. Niemand hat bis jetzt klarzumachen gewußt, wo eine solche Regelungslücke eigentlich liegen sollte.
Nun geht die Argumentation dahin — die Gesetzentwürfe führen dies ja aus —, die Strafmöglichkeit nach § 240 des Strafgesetzbuches sei nicht in das
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Bundesminister Engelhard
Bewußtsein der Bevölkerung gedrungen. Das wirft natürlich hochinteressante Fragen auf. Denn: Werden hier nicht zwei sehr bedeutsame Dinge miteinander verwechselt? Das Bewußtsein und die Kenntnis, daß ein bestimmtes Tun Unrecht ist und daß es möglicherweise oder ganz sicher auch strafbar ist, wird verwechselt mit der strafrechtlichen Detailbewertung. Dies sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Wem ein Gegenstand, der ihm lieb und wert ist, nicht durch Verlieren, sondern auf andere Weise abhanden kommt, der pflegt sich bei der Polizei einzufinden und Diebstahlanzeige zu erstatten. Er wird in sehr vielen Fällen erfahren, daß er die völlig falsche Nomenklatur gewählt hat und daß es sich um etwas ganz anderes handelt, etwa um Unterschlagung. Aber er hat prinzipiell erkannt, daß hier ein Tun gegen ihn geübt wurde, das Unrecht ist und das strafbar ist. Das muß man meines Erachtens sehr deutlich unterscheiden.
Deswegen kommt es nicht darauf an, nun den Tatbestand der Notzucht auf die Ehe auszudehnen, weil, wie dargelegt, eine Regelungslücke in diesem Bereich nicht besteht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?
Bitte sehr.
Ich möchte auch an Sie, Herr Bundesminister, die Frage stellen: Wenn das so ist, wie Sie es eben beschrieben haben, warum sträuben Sie sich dagegen, daß man die Vergewaltigung, die in der Ehe stattfindet, auch als solche benennt und als solche strafrechtlich verfolgt?
Ich werde, Frau Kollegin Schoppe, im weiteren Verlauf auf die Frage zu sprechen kommen. Ich weise zunächst einmal darauf hin, daß neue Straftatbestände hier nicht erforderlich sind.
Das Rechtsbewußtsein — das habe ich versucht deutlich zu machen — ist mittlerweile einem sehr starken Wandel unterworfen worden. Wenn aus Meinungsumfragen hervorgeht, daß in der Vergangenheit die Auffassung bestand, man müsse willfährig und zu jeder Zeit zu diesem Tun bereit sein, so ist hier ganz sicherlich ein wesentlicher Wandel eingetreten. Dieses Selbstbewußtsein bei Frauen ist mit den hier aufgezeigten Grenzen sehr zu begrüßen. Nur hat dies überhaupt nichts damit zu tun, unter welchen Straftatbestand Sie dies stellen. Denn jetzt — darin liegt auch eine Beantwortung Ihrer Frage — bestehen dagegen ganz erhebliche praktische Bedenken. Strafanzeigen wegen Notzuchthandlungen zwischen Ehegatten werden meist vor dem Hintergrund eines Scheidungsverfahrens erstattet werden. Hieraus dürften sich dann ganz erhebliche Beweisschwierigkeiten ergeben,
die in unverhältnismäßig vielen Fällen Einstellungen oder Freisprüche zur Folge haben würden.
— Ich wollte es eigentlich nicht auf die Weise wegdrücken, aber durch Ihre eigenen Bemerkungen zwingen Sie einen dazu: Mir ist kein Verfahren bekannt, wo eine Ehefrau unter dem Gesichtspunkt der Nötigung eine Strafanzeige erstattet hätte.
Solches ist unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung und ähnlichem durchaus vorgekommen; aber das andere ist mir jedenfalls aus meiner Praxis als Rechtsanwalt nicht bekannt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen gegangen ist.
Nun rufen Sie „Aha" und sagen: Eben deswegen brauchen wir das andere. Nein, Sie werden mit dem anderen keinesfalls zu besseren Ergebnissen kommen, sondern es sollen diejenigen, die hier gegen ihren Willen mißbraucht worden sind, zu den rechtlichen Möglichkeiten greifen, wenn es für notwendig gehalten wird, die heute bereits bestehen.
Jedenfalls muß man in diesem Zusammenhang die praktischen Schwierigkeiten sehen. Dazu möchte ich jetzt ein Wort sagen, weil hier natürlich ein gewaltiger Unterschied zwischen außerehelichen Beziehungen mit dem heute geltenden Recht der Notzucht und dem besteht, was mit Ihren Gesetzentwürfen von Ihnen angestrebt wird.
Herr Kollege Lowack hat versucht, darauf mit seinem Hinweis etwas einzugehen, daß die Ehe auch eine Geschlechtsgemeinschaft ist. Man könnte fast sagen, daß sich hier ein solches Delikt in einem Nahbereich abspielt,
wo bereits während der Dauer der Ehe — oft über viele Jahre hin —, im Wesen der Ehe liegend, so war und nun plötzlich in einem einzelnen Fall zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, eine Frau ist eine Frau, ob sie verheiratet ist oder ob sie nicht verheiratet ist. Halten Sie es mit dem Gleichheitsgrundsatz für vereinbar, daß die Frau außerhalb der Ehe den Schutz des Strafrechtsparagraphen genießt und eine Ehefrau nicht?
Eben darüber unterhalten wir uns. Es ist nicht die Frage des gesetzlichen Schutzes, sondern es gibt praktische Gründe, die die größten Bedenken dagegen aufbau-
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Bundesminister Engelhard
en, daß man Ihren Vorstellungen in den Anträgen, die Sie vorgelegt haben, folgt.
Ich habe darauf hingewiesen, daß dies meistens im Zuge eines Scheidungsverfahrens eine Rolle spielen wird,
und dann wird die Beurteilung und die richterliche Entscheidung ausschließlich vom Prozeßverhalten der Ehefrau abhängen. Andere Möglichkeiten der Erkenntnis gibt es für das Gericht nicht.
Ich will mit aller Deutlichkeit auf etwas hinweisen, was man in diesem Zusammenhang überhaupt nicht übersehen kann. Wir brauchen im Bundesgesetzblatt nur einige tausend Seiten zurückzublättern, und dann werden wir uns daran erinnern, daß wir vor Jahren die Strafbarkeit des Ehebruchs abgeschafft haben. Warum? Wir taten das, weil wir in diesem Zusammenhang keine Verfahren hatten und weil diese damals noch bestehende Strafrechtsbestimmung gezielt dort, wo wir sie genau nicht haben wollten, nämlich im Zuge von Scheidungsverfahren, stets und häufig eingesetzt worden ist. Traditionell bestimmte Gemüter haben damals vom Zusammenbruch der Moral in unserem Lande und der Aushebelung einer vernünftigen Rechtsordnung gesprochen und dem sehr widerraten. Heute sind wir damit alle sehr glücklich.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Potthast?
Bedaure, Frau Präsidentin.
Diejenigen aber, die sich als die Spitze des Fortschritts verstehen und von denen das Ansinnen, die Strafbarkeit des Ehebruchs etwa wiederherzustellen, nur als Kuriosität verstanden würde, begegnen uns heute und wollen etwas unternehmen, was absehbar ganz gezielt als ein Mittel der Erpressung in völlig anderem Zusammenhange eingesetzt werden wird. Es wird nicht zu diesen Verfahren in jener von Ihnen erhofften Fülle kommen. Nein, aber der Wink damit, daß man durchaus eine Anzeige in dieser Richtung erstatten könne, wenn die Scheidung vor der Tür steht, wenn nicht gewisse Bedingungen materieller Art erfüllt würden, das liegt ungeheuer nahe.
— Herr Kollege Schily, Ihnen nehme ich es zum letzten ab, weil wir — auch als Anwälte Kollegen — doch Bescheid wissen. Sie werden sich auch an jene Zeit erinnern, wo man als Prozeßvertreter einer Partei in völlig sozial adäquater Weise einmal so ganz nebenbei die Bemerkung hat fallen lassen, daß Ehebruch ja immerhin noch strafbar sei, und auf so ganz wundersame Weise sind zivilrechtliche Vergleichsverhandlungen plötzlich in eine viel bessere Richtung gekommen.
In dem Zusammenhange werden wir gleichfalls mit aller Deutlichkeit sehen müssen, daß dies die Richtung sein wird, die, würden ihre Anträge angenommen werden, eingeleitet werden würde.
Wir sollten uns statt dessen viel vertiefter über verfahrensrechtliche Verbesserungen der Situation von Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unterhalten. Ich habe in dem Zusammenhange bereits Maßnahmen eingeleitet. Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, die in dieser Weise — hoffentlich können diese Änderungen am 1. April 1984 in Kraft treten — ganz Wesentliches für die Opfer bringen werden, sind bereits erwähnt worden.
Darüber hinaus prüft das Bundesministerium der Justiz, ob Änderungen des Strafverfahrensrechts vorgeschlagen werden können, die geeignet sind, die Privatsphäre der an einem Verfahren Beteiligten besser als nach geltendem Recht zu schützen. Dann allerdings läßt sich dies wohl kaum, anders als im Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg und im Entwurf der SPD-Fraktion, auf das Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung beschränken. Ein Opfer, das an diesem Verfahren als Zeuge beteiligt ist, auch andere Beteiligte, nicht zuletzt auch der Beschuldigte eines Strafverfahrens, sehen sich häufig persönlichen Bloßstellungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt, die durch das legitime und berechtigte Ziel eines solchen Verfahrens in keiner Weise gedeckt sind.
Entsprechend der in der vergangenen Woche beschlossenen Empfehlung des Bundesrates muß sich daher die Prüfung auf alle am Strafverfahren Beteiligten ohne Beschränkung auf bestimmte Deliktsgruppen beschränken. Ich verkenne dabei nicht, daß im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung ein Bereich liegt, der in diesem Zusammenhang mit besonderer Sensibilität betrachtet werden muß. Der Entwurf der SPD-Fraktion sieht demgegenüber ja nur bestimmte punktuelle Änderungen vor, auf die ich im einzelnen jetzt aus Zeitgründen nicht eingehen kann.
Ich meine, wir sollten uns vor einer abschließenden Stellungnahme die Vielfalt der mit diesem Themenkreis zusammenhängenden Probleme in ihren Auswirkungen auf das Verfahrens-, insbesondere aber auf das Revisionsrecht sehr genau ansehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war Frau Eva Leithäuser, die Justizsenatorin des sozialdemokratisch geführten Landes Hamburg, die in diesem Jahr die erste Initiative zu diesem Thema im Bundesrat einbrachte. Ihre Initiative wurde leider mit der CDU/CSU-geführten Mehrheit des Bundesrates — ich muß schon sagen: brüsk — abgelehnt. Ich sage dies, damit deutlich wird, daß das Erstgeburtsrecht keineswegs den GRÜNEN zusteht. Wenn hier jemand abgeschrieben hat,
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Dr. de With
— das mußte ich Ihren Ausführungen entnehmen, Frau Schoppe — dann hatte ich den Eindruck, daß Sie eher von Frau Leithäuser abgeschrieben haben als anders herum.
Ein Zweites: Vor zehn Jahren hat die Union zu diesem Thema sehr viel vorsichtiger agiert.
Man lese nur die entsprechenden Protokolle des Strafrechtssonderausschusses nach. Es war nämlich vor zehn Jahren, als im Deutschen Bundestag das Sexualstrafrecht reformiert wurde, eine Reform — nebenbei bemerkt —, die sich bewährt hat. Heute sind wir froh, daß wir damals unser altes Strafgesetzbuch entrümpelt haben. Heute sind wir froh, daß wir das einschlägige Kapitel im StGB überschrieben haben mit „Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung", damit deutlich wird, was wir eigentlich zu schützen haben.
Es war damals, daß wir die Mindeststrafe bei der Vergewaltigung von einem auf zwei Jahre erhöhten, eben unter diesem neuen Obertitel. Es war auch exakt damals, als wir schon den Versuch unternahmen, die Vergewaltigung auch in der Ehe wie außerhalb der Ehe unter Strafe zu stellen. Ich habe damals den Antrag gestellt und bin leider — mit nur einer Stimme — unterlegen. Wenn Sie die Protokolle nachlesen, wird eben sehr deutlich — Herr Lowack, ich empfehle es Ihnen sehr —, daß Ihre Vorgänger — es war Herr Eyrich, heute Justizminister in Baden-Württemberg — zu diesem Thema sehr viel vorsichtiger und sehr viel weniger altväterlicher agiert haben als Sie es heute tun.
Hier hat sich im liberalen Selbstverständnis der Union ganz offenbar eine deutliche Wende vollzogen, ebenso wie offenbar — wenn ich den Herrn Minister Engelhard höre — bei der FDP.
Wenn ich ein Resümee unter die bisherige Debatte hier im Bundestag ziehe, dann muß ich sagen, daß sich die Einwendungen gegen eine Ausdehnung der Strafbarkeit der Vergewaltigung auch in der Ehe im Gegensatz zur Zeit von vor zehn Jahren beinahe wie ein Ei dem anderen gleichen. Ich darf die drei wesentlichen Einwände wiederholen, damit sie verdeutlicht werden. Sie haben sie heute hier schon gehört:
Erstens, der Staatsanwalt habe in der Ehe nichts zu suchen, die bisherigen Vorschriften reichten aus. Ein Argument von Herrn Minister Engelhard.
Zweitens, die beabsichtigte Vorschrift gebe der Frau eine Erpressungsmöglichkeit — erneut Herr
Minister Engelhard — gegenüber dem Ehemann in die Hand.
Drittens, Vergewaltigungshandlungen seien in der Ehe keineswegs allzu häufig. Zumindest wisse man zu wenig. Auf alle Fälle aber nage eine solche Vorschrift am Bestand der Ehe. — Beispiel: Kollege Lowack.
Zu Punkt 1: Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist doch wohl unstreitig: Der Staatsanwalt ist schon in der Ehe, denn das Nötigungsdelikt muß von Amts wegen verfolgt werden, ohne daß es eines Antrages bedarf. Wenn Sie, Herr Minister Engelhard, die Zeitschriften und Zeitungen in der letzten Zeit verfolgt hätten, wüßten Sie, daß vor nicht allzulanger Zeit in Baden-Württemberg ein Ehemann wegen Nötigung und Körperverletzung, begangen gegenüber seiner Frau, bestraft wurde, obwohl es eine handfeste Vergewaltigung war.
Es ist also nicht ganz so selten, was hier geschieht. Es gibt deswegen auch Verurteilungen, aber eben nur wegen Nötigung und Körperverletzung. Nur, was ist der Unterschied zwischen Nötigung und Vergewaltigung? Die Strafandrohung bei Nötigung ist weitaus geringer als bei der Vergewaltigung. Und ich frage: Warum sollte die Vergewaltigung außerhalb der Ehe privilegiert werden? Oder, andersherum gefragt: Hört der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung mit dem vor dem Standesamt abgegebenen Ja auf?
Ich kann nicht einsehen, Herr Kollege Lowack, warum die Frau in ihrer sexuellen Selbstbestimmung außerhalb der Ehe anders geschützt werden soll als innerhalb der Ehe. Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung innerhalb oder außerhalb der Ehe ist gleich und sollte mit gleichem Nachdruck verfolgt werden.
Zu Punkt 2: Früher war viel und oft mit einem gewissen Unterton — es ist schon einmal gesagt worden; ich wiederhole es — von den ehelichen Pflichten die Rede. Es gab eine jetzt gestrichene Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, die man die „Entscheidungsgewalt des Mannes" nannte, die freilich nichts mit dem ehelichen Verkehr zu tun hatte, die aber — das ist wohl unbestreitbar — Wirkungen hatte, Wirkungen zeitigte. Ja, man verwies in diesem Zusammenhang auf die Eherechtskommentare. Seit 1958 haben wir das Gleichberechtigungsgesetz, seit 1976 ein neues Eherecht. Mann und Frau sind seitdem von Gesetzes wegen absolut gleichgestellt. Auf Kommentare zum Eherecht — das räume ich ein — kann man zwar immer noch verweisen — hier sollte man einmal überlegen, ob es da nicht auch gewisse Änderungen geben sollte —, aber eine Prädominanz des Mannes gibt es nicht mehr. Gleichwohl hat es den Anschein — ich sage das ein bißchen anzüglich —, daß bis heute der Satz in manchen Köpfen spukt: Die Frau gehört mir. Zumindest erregt das bei manchen ganz offensichtlich noch den Kopf. Das ist, wie Sie wissen, ein alter Filmtitel. Und ich meine, auch der Gedanke sollte der Vergangenheit angehören. Dieses patriar-
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Dr. de With
chalische Bewußtsein begraben zu helfen und es durch die Idee der Partnerschaft zu ersetzen — auch deshalb, meine ich, ist die Ausdehnung der Strafbarkeit auf Vergewaltigung in der Ehe nötig.
Jetzt zu den weiteren Punkten: Es kann das Vorhaben der Ausdehnung der Strafbarkeit der Vergewaltigung auch in der Ehe nicht dadurch abgeblockt werden, daß man dem mit dem Hinweis entgegentritt, eine derartige Ausdehnung vergrößere die Erpreßbarkeit des Mannes. Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß es hier mißbräuchliche Anzeigen gibt. Aber die gibt es woanders auch. Und: Deutet nicht schon der bloße Hinweis auf die hier gegebene größere Erpreßbarkeit des Mannes ein gewisses männliches Vorurteil an, das wir bekämpfen sollten? Steckt nicht hinter dieser Argumentation im Grunde — wenn auch vielleicht ganz unbewußt — auch ein Stückchen Diskriminierung der Frau? Um Himmels willen, wie kann denn bewiesen werden, daß die Gefahr hier groß ist, daß es mehr als anderswo zu einer Erpreßbarkeit des Mannes kommt? Ich glaube, diejenigen, die damit argumentieren, sollten sich das im stillen Kämmerlei einmal ganz sachte überlegen.
Sicher — das sei eingeräumt — gab es bei den Beratungen im Strafrechtssonderausschuß 1972/73 nicht ausreichend Material, obwohl wir einige Strafakten kannten, die uns zu denken gaben, die Bände sprachen. Heute haben wir mehr Material. Ich verweise auf die bereits vorliegenden Berichte des Berliner Frauenhauses aus der Zeit vom 1. Juni 1979 bis zum 9. Februar 1980. Von den mehr als 2 500 betreuten Frauen dort haben 70 v. H. angegeben, daß sie von Mißhandlungen ihrer Ehemänner betroffen seien, und — man höre und staune — 50% der betreuten Frauen, daß sie Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung erlebt hätten. Selbst wenn Sie hier einen gehörigen Abstrich vornehmen, ist die Zahl immer noch eminent. Ich glaube, wir im Bundestag sollten alle darin übereinstimmen, daß wir in einem Anhörungsverfahren im Rechtsausschuß einmal alle Berichte der Frauenhäuser sehr sorgfältig prüfen, abwägen sollten, damit wir zu einem vernünftigen Urteil kommen können.
Dieses Material in dieser Form hatten wir vor zehn Jahren nicht. Das war auch ein Grund, weswegen wir Sozialdemokraten nach zehn Jahren erneut den Versuch unternommen haben, eine Initiative in diese Richtung zu starten.
Im übrigen — was bisher untergegangen ist —, wenn gesagt wird, das beabsichtigte Gesetz sei ehezerstörend: Wir haben im Gegensatz zur Initiative von vor zehn Jahren die Möglichkeit vorgesehen, daß dann von Strafe abgesehen werden kann, wenn sich die Eheleute im Verlaufe des Strafverfahrens doch wieder einigen können. Das heißt, daß es fortan die Möglichkeit für den Richter gibt — und wer wollte dem Richter nachsagen, er würde nur strafverfolgen —, die Ehe so wieder kitten zu helfen. Ich sehe beim besten Willen nicht, wieso hier gesagt wird, dies sei ehezerstörend.
Nun hat die SPD-Bundestagsfraktion nicht nur vorgeschlagen, die Vergewaltigung in der Ehe mit Strafe zu bedrohen. Unser Vorschlag bezieht drei weitere begleitende Maßnahmen ein, so daß unser Vorhaben in einem Gesamtzusammenhang gesehen werden muß.
Eine Maßnahme ist die Einführung eines sogenannten Opferanwaltes. Das heißt, wir wollen, daß die Polizei die Frau schon bei der ersten Vernehmung darauf hinweist, daß sie sich eines unterstützenden Anwaltes bedienen kann, also schon beim ersten Zugriff, wie man so schön sagt, also schon im Vorverfahren. Denn eines ist wohl ganz sicher: Manche vergewaltigte Frau scheut den Weg nächtens zum Polizeirevier, weil sie nur allzugut weiß, daß hier leicht die Gefahr besteht, daß sie unversehens in die Rolle des Angeklagten gebracht werden kann.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeutet überhaupt kein Mißtrauen gegen Polizeibeamte. Viele Polizeibeamte, die in ihrer Uniform im Revier stehen und nachts um zehn vor einem Berg von Arbeit stehen, sind vielleicht einfach überfordert. Und weil es so ist, haben wir zusätzliche Vorschläge unterbreitet. Und wenn hier jemand sagt, das verteuere die Anwaltsgebühren, das verteuere die Kosten des Staates, sage ich: Das, was hier anfällt, ist um eines höheren Zieles willen zu verschmerzen. Im übrigen kriegt der Staat doch dann eine ganze Menge wieder herein, wenn der Täter rechtskräftig verurteilt wird.
Im übrigen darf ich hier mit Dankbarkeit erwähnen, daß der Deutsche Juristentag auf seiner nächsten Konferenz das Thema Opferanwalt auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Wir wollen weiter, daß das Opfer in der Hauptverhandlung durch die Sensationslüsternheit mancher Zuschauer nicht gehemmt und gehindert wird; denn die Erfahrung lehrt, daß heutzutage nur sehr selten die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Und ich frage Sie: Wer ist schon in der Lage, über Intimstes unbefangen und ohne Beklemmung vor aller Ohren auszusagen, das nächsten Tages in der Zeitung wieder zu lesen und darüber von Nachbarn und Bekannten gefragt zu werden?
Wir wollen letztlich, daß noch mehr als bisher geeignete Ermittlungspersonen zur Verfügung stehen, die mit mehr Fingerspitzengefühl bei diesen sehr heiklen Ermittlungsverfahren der Sache auf die Spur gehen. Wenn Frau Schoppe hier meinte, zurückweisen zu müssen, daß wir für mehr Psychologen plädieren, weise ich darauf hin, daß das keineswegs gedacht ist, die Unglaubwürdigkeit der Frau belegen zu wollen, sondern um ihr zusätzlich eine Stütze zu geben. Natürlich wollen wir dabei auch — jedes Ding hat seine zwei Seiten —, daß die Zuverlässigkeit mancher Aussage besser als bisher erhärtet wird.
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Dr. de With
Wir meinen — damit möchte ich zum Schluß kommen —, jedes Opfer eines Sexualdelikts soll in Zukunft wissen, daß es schon bei der ersten Anzeige Beistand erwarten kann, daß in der Hauptverhandlung ein sensationslüsternes Publikum kein Hinderungsgrund mehr für die Aussage sein muß und daß im gesamten Ermittlungsverfahren mit größerem Einfühlungsvermögen vorgegangen wird.
Wenn ich so auf die Seite zu meiner Rechten schaue, dann muß ich schon sagen: Was wir hier diskutieren, mag vielleicht für den einen oder anderen weniger wichtig oder nicht erörterungsbedürftig sein.
Ich darf zu bedenken geben, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir uns hier im Deutschen Bundestag alle versichert haben, Ungereimtheiten, Ungleichheiten und Diskriminierungen der Frau, wo immer sie zu finden sind, aufzuspüren und zu beseitigen.
Das hier in Rede stehende Gesetzesvorhaben geht eine für die betroffenen Frauen unverständliche und sehr schmerzliche Lücke an. Ich kann nur hoffen, daß die Betroffenheit der nicht Betroffenen größer ist als vor zehn Jahren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Tollste ist ja die Idee, wir hätten als Freie Demokraten weniger Interesse an dem Thema. Wir sind ungefähr mit 20 % unserer Stärke vertreten, die Sozialdemokraten mit 5 %.
So fängt das erst mal an.
Im übrigen möchte ich Ihnen sagen: Es ist wirklich ein viel zu ernstes Thema, als daß wir uns dabei irgendwelche gegenseitigen Vorteile, Nachteile, Ersterfindungsrechte usw. hin und her zuschieben sollten, sondern es geht einfach um den Grundtatbestand.
Der Grundtatbestand ist nun allerdings nach unserer Auffassung der, daß man nicht versuchen kann, mit Mitteln des Rechts in einen höchstpersönlichen Raum einzugreifen, weil man dadurch die Dinge immer noch schlimmer macht.
Sie müßten, gnädige Frau, liebenswürdigerweise — wir werden dieses Gesetz hier in irgendeiner Form wiedersehen — bereit sein, uns zu sagen: Wollen Sie sich um die Verhältnisse in der Ehe kümmern,
oder wollen Sie zur Bewußtseinsbildung im Verhältnis zwischen Mann und Frau auf einem Weg beitragen, den wir allerdings dafür nicht für geeignet halten, weil nämlich die Ehe als ein sehr schätzenswertes Institut unter den Bestrebungen, für die ich unter mehreren Gesichtspunkten Verständnis habe, nur Schaden erlitte?
Ich kann nur das unterstützen, was mein Freund Hans Engelhard hier vorhin gesagt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Potthast?
Bitte schön.
Herr Kollege Kleinert, halten Sie die Würde der Frau für weniger schützenswert als die Ehe?
Glauben Sie, daß die Ehre der Frau und die Würde der Frau ohne das Institut der Ehe in dieser Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, so bewahrt werden könnten, wie sie zum Schluß durch die Ehe bewahrt sind?
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
Meine Frau hat mir heute morgen gesagt: Ihr seid wohl nicht mehr ganz richtig im Kopf, daß ihr euch über so etwas in dieser Form zum wiederholten Male streiten wollt.
Ich sage Ihnen: Ehe ist schon etwas anderes als Zusammenleben. Ich gestatte Ihnen jede Art von Zusammenleben, aber wenn Sie auf diese Art an dieses Thema herangehen wollen, dann können Sie vielleicht j a auch versuchen, etwas noch Irreguläreres zu erfinden. Ich meine, etwas „Freischwebenderes"; das ist der bessere Ausdruck. „Irregulär" war falsch.
— Bitte schön, ich denke j a beim Reden nach. Ich habe j a keinen Text.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege, ob Sie noch eine Zwischenfrage zulassen.
Nein, nein! Das führt nämlich in ganz seltsame Richtungen, wie ich soeben feststelle.
Man muß doch wirklich einmal überlegen, was Würde in diesem Zusammenhang bedeutet.
Ich teile ja Ihre sämtlichen Auffassungen über das, was ganz dringend vermieden werden soll. Unser Strafrecht bietet dafür Sanktionsmöglichkeiten, die ungewöhnlich selten genutzt werden. Das spricht für meine Idee, daß das in einer Ehe nicht die richtige Art der Auseinandersetzung ist.
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Kleinert
Sie wollen jetzt etwas Zusätzliches einführen. Ich habe das Gefühl — es kann ja alles ganz anders sein; Sie können das beim nächsten Mal erklären —, daß Sie auf ein Ziel losgehen, das mit dem Ziel, das Sie hier dargestellt haben, nicht ohne weiteres in Deckung zu bringen ist. Ich habe nämlich das Gefühl, daß Sie zunächst einmal die Institution der Ehe anzweifeln. — Sie haben eben sehr fröhlich genickt. Danke schön, so kommen wir uns langsam in der Diskussion näher. Sie zweifeln erst einmal die Institution der Ehe an.
Dann kommen Sie auf diesem skurrilen Wege auf die Idee, Sie müßten mehr für den Schutz der Frauen tun, um die Ehe noch mehr zu zerstören. Dazu sage ich Ihnen: So herum kommen wir überhaupt nicht zusammen;
denn wir wissen wirklich, daß es an sich unter einigermaßen gescheiten Menschen, die auf vernünftige Art miteinander umgehen wollen, nichts Vernünftigeres als die Ehe gibt, um die damit zusammenhängenden Probleme zu lösen.
Sie können es j a auch anders machen. — Gnädige Frau, Sie lachen sich schon richtig kaputt. Ich bin gerne bereit, Ihnen bei Gelegenheit einmal zu erzählen, warum doch etwas dran ist. Bloß habe ich früher schon einmal einer Fraktionskollegin von Ihnen hier etwas zu der Frage sagen müssen, wie man meiner Ansicht nach Intimthemen im Deutschen Bundestag behandeln soll.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, nicht von der Seite,
wenn hier in der Form gelacht wird, wenn ich versuche, einige Gedanken zu einem sehr schwierigen Thema zu formulieren.
— Es ist j a alles prima, was Sie sagen.
Und nun sage ich Ihnen folgendes: Die Mehrheit unserer Bevölkerung, die angeblich dauernd hinter Ihnen steht und von der ich von Ihrer Seite ganztägig höre, obwohl sie Ihnen nicht ganz zur Mehrheit in diesem Parlament verholfen hat, hat zu Fragen der Ehe eine ganz andere Auffassung. Wir möchten sie gerne in dieser Auffassung von der Ehe bestätigen
und möchten uns nicht von Ihnen auf Seitenwegen von dieser Auffassung von der Ehe abbringen lassen.
Das, was der Kollege de With eben gesagt hat, war alles ganz korrekt und sehr überlegt und sehr nachdenklich. Er hat nur eines außer acht gelassen, nämlich die Motive, die Sie dazu bringen, hier einen zusätzlichen Straftatbestand einführen zu wollen.
Das haben Sie soeben sehr eindeutig durch Ihr Verhalten bestätigt, daß Sie in Wirklichkeit, und zwar sehr zum Nachteil der angeblich von Ihnen Vertretenen, diese Schutzinstitutionen zerbrechen wollen, indem Sie vorgeben, eine andere und bessere Art von Schutz geben zu wollen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Sie werden das Institut der Ehe — —
Es gibt eine Mehrheit der Bürger dieses Landes — ich sagte es soeben bereits —, die tatsächlich der Meinung sind — und dies Gott sei Dank nicht aus einer Pflicht und nicht, weil wir es gesetzlich vorgeschrieben haben, und nicht, weil Sie es gesetzlich so regeln wollen —, weil sie es so empfinden, daß das sehr wohl eine Schutzinstitution ist.
Und das ist eine deutliche Mehrheit in diesem Lande.
Wir werden es uns verbitten, daß Sie auf Umwegen das zerstören.
Es gibt genügend Möglichkeiten — auch und gerade strafrechtlicher Art —, auch das, was derzeit mit unserer äußersten Mißbilligung in Ehen geschieht, zu bestrafen, ohne daß man Ihr Prinzip, die Institutionen zu beseitigen, einführt. So geht das.
Deshalb werden wir Ihren Antrag nicht einfach ablehnen; wir werden ihn und den der SPD ja sowieso dem Ausschuß überweisen. Wir werden uns darüber unter Sachkennern auch sehr sachlich unterhalten. Wir stellen uns dem Problem in jeder Weise und ganz sachlich. Aber ich möchte schon, daß es sachlich bleibt.
Was ich hier heute abend gerade von seiten der Antragsteller Nummer eins gehört habe, bringt mich zu der Idee, daß sich die Antragsteller Nummer zwei mal überlegen sollten, wie weit sie in ihrer Nacheiferung der Antragsteller Nummer eins gehen sollten. Zweitens bringt es mich auf die Idee, Ihnen zu sagen: sachlich kann man mit uns sowieso über alles reden, und praktische Erfahrungen wollen wir auch einbringen. Aber wenn Sie glauben, daß wir auf irgendeinem trickigen Umweg dahin zu bringen sind, Grundwerte unserer Gesellschaft in Frage stellen zu lassen — nur auf einem Umweg unter Vorwänden —, obwohl diese Grundwerte
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Kleinert
schon längst tadellos geschützt sind, dann haben Sie sich allerdings sehr, sehr geirrt.
Die sämtlichen Ausführungen der SPD zu der Frage, wie man in diesen Dingen Nachhilfe geben sollte für bessere Ausbildung, wie man Benachteiligungen im Prozeß entgegenwirken kann usw., halte ich für hochgradig bedenkenswert und begrüße ich. Wir werden den Antrag im Sinne der Unterstützung behandeln, aber das hat überhaupt nichts zu tun mit dem vorher behandelten Grundsatzthema.
Ich hoffe, daß ich Ihnen einigermaßen deutlich machen konnte, daß wir das Ding zwar eigentlich nicht für öffentlich verhandelbar halten, aber, wenn Sie es schon öffentlich verhandeln wollen, auch in der Lage sind, Ihnen so deutlich Antwort zu geben, daß die Mehrheit unserer Bevölkerung das versteht.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen an die Ausschüsse vor, wie es in unserer Tagesordnung wiedergegeben ist. Es handelt sich um den Tagesordnungspunkt 7, 8 a und 8 b.
Sind Sie damit einverstanden, daß die Überweisung so vorgenommen wird? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung zur Frage, ob bundesgesetzliche Grundlagen zur Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können
— Drucksache 10/291 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, jeweils bis zu zehn Minuten zu debattieren. — Auch damit sind Sie einverstanden. Es ist beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Bericht der Bundesregierung vom 8. August 1983 zur Frage, ob bundesgesetzliche Grundlagen zur Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können, ist für mich ein Anlaß, um auch von hier aus den in dieser neuen und sehr schwierigen sozialen Aufgabe engagierten Frauen im Namen der Bundesregierung besonders zu danken.
In den Frauenhäusern leisten Frauen seit vielen Jahren eine vorbildliche gesellschaftliche Arbeit, die geprägt ist durch Selbsthilfe und weitgehend
ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Sozialarbeit insgesamt verdankt ihnen Impulse für neue Ansätze der persönlichen Hilfe, die wieder mehr der Kraft der spontanen Mitmenschlichkeit vertraut. Deshalb gebührt dieser verantwortungsvollen Arbeit Dank und Respekt.
Der vorliegende Bericht der Bundesregierung geht auf eine Entschließung des Deutschen Bundestages vom Juni 1980 zurück, in der die Bundesregierung gebeten wurde, zu prüfen, „ob und welche bundesgesetzlichen Grundlagen für die Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können".
Dieser Berichtsauftrag läßt bereits erkennen, daß viele Frauenhäuser finanzielle Schwierigkeiten haben. Sie bilden aber nur einen Ausschnitt aus dem Kreis der gesamten Probleme der Frauenhäuser.
Bekannt sind außerdem Überfüllung und Überbeanspruchung der dort tätigen Frauen, die wenig Gelegenheit zur Nachbetreuung haben. Diese Schwierigkeiten begleiten die Frauenhausarbeit seit Bestehen des ersten Berliner Frauenhauses, das vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit als Modell gefördert worden ist. Inzwischen gibt es über 100 Frauenhäuser, in denen mißhandelte Frauen und Kinder Zuflucht finden. Ihre starke Inanspruchnahme offenbart das erschrekkende Ausmaß der bis dahin verborgenen Gewalttätigkeiten in der Familie.
Frauenhäuser finden sich meistens in großen und mittleren Städten. Im ländlichen Bereich fördert der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zur Zeit das Modell eines Frauenhauses im Landkreis Rendsburg in Schleswig-Holstein, um aufzuzeigen, wie auch außerhalb der Städte den leidenden Frauen geholfen werden muß.
Der Bericht der Bundesregierung schildert die für Frauenhäuser geltenden Finanzierungsregelungen. Der individuelle Anspruch auf Sozialhilfe ist für die hilfsbedürftigen Frauen und Kinder gewährleistet. Gegenstand der Prüfung ist die institutionelle Förderung der Frauenhäuser, die Einrichtungs- und Betriebskosten umfaßt. Zu dieser Frage wurden die verschiedenartigen Kostenträger, Fachverbände und Frauenhausträger gehört. Während die Träger von Frauenhäusern eine bundesgesetzliche Regelung forderten, sprachen sich einhellig alle Länder, die kommunalen Spitzenverbände und die Fachverbände der Sozialhilfe dagegen aus.
Die Bundesregierung hat sich auf Grund der vorgebrachten Argumente davon überzeugen lassen, daß bundesgesetzliche Initiativen zu Lasten der Länder und Gemeinden — denn eine Kostenbeteiligung des Bundes an diesen Aufgaben der Länder und Gemeinden ist ausgeschlossen — nicht zur Problemlösung beitragen könnten. Die Länder und Gemeinden heben zu Recht übereinstimmend hervor, daß Frauenhäuser nach den gleichen Grundsätzen finanziert werden müßten, wie die vielfältigen anderen sozialen Einrichtungen, die lebenswichtige Aufgaben erfüllen. Die geltenden Vorschriften reichten aus. Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung lägen nicht im Fehlen bundesgesetzlicher Vor-
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Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
schriften, sondern im Mangel an Haushaltsmitteln.
— Ich spreche von den Ländern, verehrte Kollegin. Wir haben uns hier heute morgen über uns selbst unterhalten.
Zur Verbesserung der Finanzierungspraxis würden die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge erarbeiteten Empfehlungen und die zwischen einzelnen Sozialhilfeträgern geschlossenen Verwaltungsvereinbarungen beitragen. Bei ihrer Prüfung nach zusätzlichen Normen konnte sich die Bundesregierung schließlich auch nicht dem Argument verschließen, daß bundesgesetzliche Vorschriften den bestehenden unterschiedlichen Finanzierungsformen in den Ländern und Gemeinden nicht gerecht werden könnten.
Praktische Möglichkeiten zur Förderung der Frauenhausarbeit liegen für die Bundesregierung neben den erwähnten Modellen der Frauenhäuser in der finanziellen Unterstützung von bundesweiten Veranstaltungen, auf denen sich die Träger von Frauenhäusern mit bestimmten Themen ihrer Arbeit befassen. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit wird im Rahmen des Möglichen diese Förderung fortsetzen. Anfang 1984 wird der Bundesminister eine Fachtagung zum Thema der Gewalt gegen Frauen durchführen, in die Ergebnisse einer von ihm geförderten Notruf- und Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen einbezogen werden. Alle diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Gleichgültigkeit gegenüber dem dunklen Kapitel der Gewalt in der Familie zu überwinden und Verständnis und Hilfe für die Nöte der Frauen und Kinder aufzubringen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Czempiel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen war Inhalt schon des vorherigen Tagesordnungspunktes. Die Debatte jetzt über das Problem Frauenhausfinanzierung fällt in das gleiche Gebiet. An Hand des Berichts der Bundesregierung erörtern wir Möglichkeiten und Vorschläge. Wir werden in den Ausschüssen noch vertiefen, wie diese Frauenhausfinanzierung aussehen soll. Das ist, wie wir meinen, eine notwendige und vor allem dringliche Angelegenheit.
Mit einem gewissen Stolz möchte ich darauf verweisen, daß es Bundesministerinnen der Sozialdemokratischen Partei waren, die engagiert die Einrichtung von Frauenhäusern in der Bundesrepublik vorangetrieben haben. Hier möchte ich besonders Frau Katharina Focke erwähnen, die 1976 den Modellversuch in Berlin eingerichtet und unterstützt hat.
Damals waren — ich erinnere mich sehr gut daran — die Vorurteile gegen Frauenhäuser noch recht groß, und es gehörte doch eine Portion Zivilcourage dazu, diesen Widerstand und vor allem auch den Spott, der damit verbunden war, zu überwinden. Der Berliner Senat finanzierte das Haus während der Modellphase zunächst anteilig und übernahm dann vom 1. Januar 1980 an die Sicherung des Fortbestandes.
Inzwischen haben wir, wie wir eben gehört haben, weit über 100 Frauenhäuser in der Bundesrepublik, autonome Träger, aber auch nicht autonome Träger. Die Notwendigkeit dieser Einrichtungen kann bei der großen Inanspruchnahme von Frauenhäusern, die wir sowohl in den Städten als auch in Landbezirken haben, wohl von niemandem mehr bestritten werden. Nur die Frage der Finanzierung ist unsicherer denn je.
Wenn immer wieder und mit Recht auf die Bedrängnisse und auf die Not der Frauen hingewiesen wird, die in diesen Frauenhäusern Unterschlupf und Zuflucht finden, so möchte ich an dieser Stelle einmal besonders auf die Situation der mitbetroffenen Kinder hinweisen. Sie vor allem nehmen durchweg — das sagen uns die Kinderschutzverbände und auch die Ärzte — großen seelischen Schaden bei den gewalttätigen Ausseinandersetzungen in den Elternhäusern. Ich meine, schon hier werden Wurzeln für späteres Verhalten, für späteres Versagen und auch für künftige eigene unglückliche Partnerschaften gelegt.
Hier Abhilfe zu schaffen ist ein Stück praktischer Familienpolitik. Nicht nur die intakten Familien haben Anspruch auf unsere Förderung; wir sind auch aufgerufen, jenen Familien Beistand zu geben, die in schwierige Situationen geraten sind und allein nicht zurechtkommen. Da liegt auch eine besondere Verantwortung gegenüber der jungen Generation. In diesem Kontext gehören auch die Frauenhäuser mit zur erweiterten Familienpolitik.
Was nun die Finanzierung betrifft, so haben wir, hat die SPD kein Patentrezept. Es kann ja wohl auch nicht Aufgabe der Opposition sein, hieb- und stichfeste Vorschläge zu unterbreiten. Allerdings gibt es für uns Fixpunkte, an denen wir den Rahmen unserer Vorstellungen zur Finanzierung von Frauenhäusern festmachen wollen:
Erstens. Die Finanzierung sollte einheitlich geregelt werden. Im Augenblick sind es die unterschiedlichsten Stellen, die zur Kasse gebeten werden, und die unterschiedlichsten Quellen: Länder, Kommunen, Arbeitsämter, Bußgelder, Mitgliedsbeiträge — und was es sonst noch alles auf diesem Gebiet gibt. Hinzu kommt, daß die Aufteilung, wer nun was wofür bezahlt, landauf, landab völlig verschieden ist.
Wenn man zudem weiß, wie kurzfristig oft die Gelder zur Verfügung stehen — ich denke da besonders an die Kommunen, die zum Teil Sperrvermerke einbauen und die Gelder nur auf Anfrage oder auf Antrag freigeben —, so muß man zugeben, daß dies für die Träger der Frauenhäuser ein unzumutbarer und völlig der Zufälligkeit unterworfener Zustand ist, der eine vernünftige, eine etwas weiterreichende Planung überhaupt nicht zuläßt.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2807
Frau Dr. Czempiel
Zweitens erwarten wir eine Finanzierung, die nicht zu einer Diskriminierung der betroffenen Frauen führt. Daher sehen wir eine Änderung des BSHG als außerordentlich problematisch und auch als noch nicht genügend überdacht an. Vor allem halten wir Vorschläge, die einen Begriff wie „Hilfe für Mißhandelte" in das BSHG einbringen wollen, für nicht annehmbar.
Drittens. Bei einer künftigen Finanzierung muß eine Lösung gefunden werden, die Ausländerinnen nicht vor der Tür stehenläßt. Gerade in den letzten Tagen, im „Kölner Stadtanzeiger" vom 23. November, habe ich gelesen, daß ein Landschaftsverband, der dort zitiert worden ist, hat verlauten lassen, es seien Integrationsschwierigkeiten, die für eine Nichtübernahme der Kosten sprächen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Thema hinweisen, das sehr ernst zu nehmen ist. Ich meine den Handel mit Ausländerinnen, mit jungen Frauen beispielsweise aus Thailand oder von den Philippinen, die über Agenturen in die Bundesrepublik vermittelt werden. Sie alle werden dieses Problem kennen; ich habe darüber in einer Botschaft gestern mit einer Dame gesprochen. Für diese Frauen gibt es zum Teil überhaupt keinen anderen Ausweg als die Zuflucht ins Frauenhaus. Man darf sie nicht abweisen.
Viertens. Bei den Überlegungen, wie man die Frauenhausfinanzierung rechtlich absichern und ihre Stetigkeit am besten gewährleisten kann, sollte man auch an Projekte denken, die das ehrenamtliche Engagement und die Förderung der Selbsthilfe von Frauen beinhaltet. Die Entwicklung, daß dies nicht über die normale Unterhaltsfinanzierung läuft, muß im Interesse aller gefördert werden.
An dieser Stelle möchte ich einmal den Einsatz der ehrenamtlichen Helferinnen und die Solidarität der Frauen vor Ort erwähnen und anerkennen, Leistungen, von denen ich meine, daß sie finanziell überhaupt nicht abgegolten werden können.
Fünftens sollten die Vorschläge zur Finanzierung aber auch nicht utopisch sein. Die Frauen in den Frauenhäusern sind viel zu realistisch, um Versprechungen hinterherzulaufen, die nachher — so nach dem Muster der Ausbildungsplatzzusage — nicht eingelöst werden können. Ich denke dabei ganz konkret an Widerstände der Länder und Gemeinden bei Regelungen, die einseitig zu Lasten der Kommunen gingen. Daher sind länderübergreifende Initiativen zu erwägen, wie Hamburg und Hessen dies vorgeschlagen haben, wenn es nicht zu bundeseinheitlichen Gesetzesregelungen kommt, und lokale Übereinkünfte kommunaler Verbände, wie sie bereits in Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen geübt werden, um gegenseitige Kostenerstattung zu ermöglichen.
Dies alles bedarf gründlicher, aber auch schneller Prüfung, damit wir zu einer Lösung kommen, die praktikabel ist, die nicht aus leeren Zusagen besteht, gerecht ist und vor allem den Fortbestand der
Frauenhäuser — hier sind wohl vor allem die autonomen Frauenhäuser in Gefahr — gewährleistet.
Wir können und dürfen aber, wie ich meine, nicht bei der Hilfe und Unterstützung der in bereits eingetretenen Notfällen Stehenden bleiben. Wir müssen uns überlegen, wie man einen Schritt weitergehen kann und was zu tun ist, um Gewalt an Frauen und ihren Kindern schon im Vorfeld auf ein Mindestmaß zu beschränken, wenn nicht gar ganz zu unterbinden. Aufklärung ist hier wohl ein wichtiger Schritt. Er wird vorbildlich bereits von den Frauenhäusern geleistet. Die Aufwertung der gesellschaftlichen Stellung der Frau insgesamt muß aber unser Ziel sein, das wir anstreben und mit den Möglichkeiten, die wir hier im Hause haben, auch voranbringen.
Meine Fraktion hofft im Februar in einem größeren Zusammenhang diese Thematik noch einmal aufgreifen zu können und dann auch zukunftsweisende Vorschläge zu unterbreiten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat einen Bericht vorgelegt, der die Finanzierungsfrage und auch die Finanzierungsproblematik von Frauenhäusern näher beleuchtet. Wir haben bereits gehört, daß die Bundesregierung in diesem Bericht zu dem Ergebnis kommt, daß die geltenden Vorschriften eigentlich ausreichend sind.
Die CDU/CSU teilt diese Auffassung im grundsätzlichen. Sie sieht sich nicht in der Lage, sich die Gegenvorstellungen einiger Träger von Frauenhäusern zu eigen zu machen, insbesondere aus der Richtung der autonomen Frauenbewegung. Diesen schwebt eine einheitliche Pauschalzuwendung vor, die sich nach der durchschnittlichen Belegzahl des betreffenden Frauenhauses richtet. Frauen sollen einen Rechtsanspruch auf Hilfe allein auf Grund der Tatsache erhalten, daß sie Zuflucht ins Frauenhaus nehmen. Eine Einzelprüfung durch die Sozialämter soll nach deren Vorstellung nicht mehr stattfinden. Es ist so ein bißchen die Vorstellung damit verbunden, daß das, was hinter den geschlossenen Türen des Frauenhauses geschieht, nicht offengelegt werden soll.
Ich glaube, es muß gesagt werden, daß wir mit einer derartigen Form der Finanzierung nicht einverstanden sind. Wir sagen ganz deutlich: Unterstützung von Frauenhäusern — j a. Denn leider mehren sich die Gewaltakte gegen Frauen und Kinder — auch gegen Männer, aber das ist hier heute nicht unser Thema. Leider sind diese Einrichtungen dringend notwendig.
Wir müssen uns jedoch die Frage stellen, wie diese Hilfe geschieht, in welcher Art und Weise sie geschieht, welche Konzeption hinter einigen Frauenhäusern steckt.
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Frau Männle
Für uns sind Frauenhäuser eine Maßnahme unter vielen anderen. Sie sind notwendig. Sie können aber nur kurzfristig greifen und den Frauen nur vorübergehend Schutz bieten. Ziel eines Frauenhauses muß es sein, eine Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, wie auch Frau Czempiel schon gesagt hat. Den Frauen muß Hilfestellung gegeben werden bei der Wiedergewinnung von Selbstvertrauen oder auch bei der Gewinnung von Selbstvertrauen — denn viele haben es von vornherein nicht gehabt. Sie müssen Eigenverantwortung lernen. Aufgabe eines Frauenhauses ist es, Frauen in Zukunft ein eigenständiges Leben geradezu auch in ihrer bisherigen Umgebung und Lebenssituation zu ermöglichen.
Wir wissen, daß viele Frauen wieder in ihre Situation zurück müssen, und darauf müssen sie auch vorbereitet werden.
— Sie gehen in diese Lebenssituation wieder zurück. Das werden Sie bei den Befragungen feststellen.
— Sie gehen wieder zurück, weil sie zum Teil auch wollen.
— Sie gehen wieder zurück, wenn sie wieder zu ihren Männern zurück wollen, wenn es die finanzielle Situation nicht anders erlaubt, wenn es die Wohnsituation nicht anders erlaubt,
wenn sie nicht in der Lage sind, eigenständig zu leben. Ich will gar nicht abstreiten, daß es gewisse Ursachen gibt, die in der Wohnsituation, in der finanziellen Situation oder in der Art der Konfliktaustragung liegen. Wenn Sie meinen, ich wollte das abstreiten, hätten Sie mich mißverstanden.
Ich darf vielleicht fortfahren, weil Sie nur einen ganz kurzen Zwischenruf machen wollten. Ich meine, Ziel eines Frauenhauses darf es nicht sein, die sogenannte Gruppenselbsthilfe als die einzig richtige Methode anzusehen, Parteilichkeit in Teilbereichen nur für die Frauen zu ergreifen, nur weibliche Helfer einzubeziehen, Frauen vom alltäglichen Leben zu entfernen, manchmal auch von der Gesellschaft zu entfremden und Männer ganz auszusperren.
Ich habe mir einige Filme in der Richtung angesehen und mit einigen gesprochen, die ganz deutlich sagten, daß der Mann als Feind schlechthin aufgebaut wird. Dies ist sicherlich nicht die richtige Lösung dieses Problems der Gewalt in Familien.
Ich möchte anerkennend sagen, daß gerade Feministinnen den Stein ins Rollen gebracht haben, das öffentliche Bewußtsein für das Problem der Gewalt
gegen Frauen geweckt haben. Dies sage ich mit allem Ernst und schätze es hoch ein. Ich bedaure, aber daß einige radikale Feministinnen durch ihr Verhalten auch vielen Gutwilligen Argumente aus der Hand schlagen, ja, meiner Erfahrung nach manch einen Mann in einem Gemeinderat, in einem Stadtrat, die darüber zu entscheiden haben, zu einer Art Gegensolidarität oder sogar auch zu einer Gegenoffensive gebracht haben und sie in bezug auf dieses Problem total verstockt gemacht haben. Ich weiß von meinen zahlreichen Kolleginnen, von Politikerinnen vor Ort, die für die Errichtung von Zufluchtsstätten kämpfen und sie initiieren, daß sie auf Grund eines ganz bestimmten aggressiven Verhaltens einer bestimmten Richtung Widerstand bei den Männern spüren.
Meine Damen und Herren, die Errichtung von Zufluchtsmöglichkeiten für mißhandelte Frauen und Kinder — die Kinder möchte ich hier ganz eindeutig mit einbeziehen — fällt in die Zuständigkeit der Kommune. Bundesgesetzliche Regelungen, die bestimmen, daß die Länder und Kommunen zu zahlen haben, helfen uns doch da nicht weiter. Da verschieben wir das Problem doch nur. Eine neue Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen, wie ich es jedenfalls der Presseerklärung der GRÜNEN entnommen habe, ist auch nicht der richtige Weg. Wir sollten diese Gemeinschaftsaufgaben eher abbauen als neue schaffen.
Wir wissen, daß es finanzielle Schwierigkeiten beim Träger gibt. Nicht alle Frauen, die vor der Gewalt ihrer Männer Zuflucht suchen, finden Häuser in der Stadt, in der sie wohnen. Diese Häuser sind oft bis zur Hälfte von mißhandelten Frauen aus der Umgebung belegt, und da gibt es Abgleichungsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Kommunen. Der Bericht weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß die Kostenerstattung zwischen verschiedenen örtlichen Sozialhilfeträgern verbesserungsbedürftig ist. Ich meine, hier kommt es wirklich auf eine konstruktive Mitarbeit der benachbarten Kreise an.
Ich kenne ein Beispiel aus der Stadt Würzburg, wo man — übrigens mit Erfolg — den Weg der Einrichtung von dezentralen Zufluchtsstätten gegangen ist. Dieses Beispiel zeigt, daß es erfreuliche Entwicklungen und auch Lösungswege überregionaler Zusammenarbeit gibt. Diese sollten wir fördern.
Ein weiteres Problem — auch dies wird im Bericht angedeutet — scheint mir in der Frage zu liegen, inwieweit bei sehr kurzfristigen Aufenthalten in der Zufluchtsstätte unterhaltspflichtige Angehörige herangezogen werden sollen. Dieses Heranziehen der Angehörigen darf nicht dazu führen, daß man die Adresse dieser Frauen erfährt. Hier sollte man wirklich einige Zeit abwarten.
Schwachstellen gibt es auch in der mangelnden Kostenbeteiligung der Jugendhilfeträger. Der Bericht deutet es ja an.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2809
Frau Männle
Aber ich meine: Bundesgesetze helfen hier nicht weiter, diese Probleme zu lösen. Wir müssen auch in den Gemeinden, in den Kreisen, bei den Trägern der Sozialhilfe ein Problembewußtsein wecken.
Ich empfinde es als einen entscheidenden Mangel dieses Berichts, daß er — natürlich auf Grund des Prüfauftrages, der ihm zugrunde lag — allein auf die Finanzierungsfrage abstellt und nicht die Gelegenheit zu detaillierten inhaltlichen Erfahrungsberichten bietet. Wir kennen die Erfahrungen des Berliner Frauenhauses. Sie sind sicherlich nicht übertragbar auf andere Situationen, und sie dürfen nicht verallgemeinert angewandt werden. Wir wissen von einer Untersuchung der Forschungsstelle für Jugendfragen in Hamburg, die zu dem sehr erschreckenden Ergebnis kommt, daß die zunehmende Arbeitslosigkeit Männer immer aggressiver macht und immer mehr Frauen in überbelegte Frauenhäuser treibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die angekündigte Fachtagung Anfang nächsten Jahres kann einen Ansatz dafür bieten, endlich die Ursachen zunehmender Gewalt in der Familie noch genauer zu erforschen. Wir wissen ja noch nicht ausreichend darüber Bescheid. Wir müssen die Ursachen erforschen, wir müssen Präventivmaßnahmen anbieten. Wir müssen Hilfe in aktuellen Fällen geben und müssen auch Stabilisierungsmaßnahmen für die Zeit nach Überwindung der Krisensituation vorsehen. Von daher brauchen wir ein abgestimmtes Konzept.
Lassen Sie mich noch ein Problem herausgreifen. Wenn es stimmt, daß prügelnde Väter in ihrer Kindheit selbst geprügelt worden sind, dann müssen wir sehen, daß Söhne und Töchter diesen negativen Lernprozeß des Mit-ansehen-Wissens und Mit-ertragen-Müssens von Gewalt von seiten des späteren Ehemannes, des Erduldens körperlicher und seelischer Gewalt auf seiten der späteren Ehefrau in ihren Rollen sozusagen internalisieren. Wir müssen dafür sorgen, daß dieser Teufelskreis durchbrochen wird.
Hier, meine ich, könnte vorbeugende Hilfe tatsächlich etwas ändern und helfen. Wir müssen die gesamte Familie einbeziehen und dürfen nicht isoliert nur einen Teilbereich, die Frauen herausgreifen.
Lassen Sie mich zum Schluß versuchen, eine Art Gebrauchsanweisung — ich glaube, sie wird nicht überall akzeptiert, aber ich möchte es einmal versuchen — zur Schaffung von Zufluchtsmöglichkeiten bei Gewalt gegen Frauen zu geben. Den Männern, die ja immer noch an den Schaltstellen von Macht und Geld sitzen, möchte ich raten, sich zu öffnen für die Not von Frauen, die sie durch Gewaltanwendung ihrer „Brüder" — ich darf einmal das Wort gebrauchen — erleiden. Sie sollen sensibel werden für das Unrecht,
das diesen Frauen von ihrem Geschlecht zugefügt wird.
Auch an die Frauen möchte ich appellieren, die sich oft in wirklich aufopfernder Weise für ihre gepeinigten Schwestern einsetzen; ich möchte an sie appellieren, keine Lösungen zu finden, die die Männer aussperren. Ich möchte auch die Männer an ihrer Ehre packen und sie nicht aus der Verantwortung für ihre gewalttätigen Brüder entlassen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrem Bericht zu der Frage, ob bundesgesetzliche Grundlagen zur Finanzierung von Frauenhäusern geschaffen werden können, kommt die Bundesregierung zu folgendem Schluß:
Die geltenden Vorschriften werden für ausreichend gehalten. Die praktizierten Finanzierungsregelungen haben sich grundsätzlich bewährt.
Diese Schlußfolgerung kann ich bestätigen. Natürlich haben sich die praktizierten Finanzierungsregelungen bewährt. Die Frage ist halt nur: Für wen? Für die mißhandelten Frauen oder für eine männerdominierte Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen alltäglich ist und in der der Bundesgerichtshof bis in die jüngste Zeit hinein aus dem sogenannten „Wesen der Ehe" eine spezielle Duldungspflicht der Ehefrau bei Mißhandlung und Vergewaltigung zu begründen versuchte, ähnlich wie Sie, die wenigen hier noch anwesenden Vertreter der Mehrheitsfraktion, es vorhin in drastischer Form auch getan haben?
Daß es sich bei der Mißhandlung in der Ehe und in der Partnerschaft um kein schichtenspezifisches Problem handelt, geht nicht zuletzt aus einem Skandal hervor, der sich vor kurzem im Kreis Dithmarschen ereignet hat, wo nämlich ein Frauenhaus von seiten des CDU-Landrats mit der Begründung abgelehnt wurde, Gewalt gegen Frauen sei in diesem Kreis kein Thema, und kurze Zeit später einer der Bürgermeister dieser Region seine Frau krankenhausreif schlug.
Dem Bericht der Bundesregierung geht eine Geschichte vorweg, die nicht unerwähnt bleiben soll. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre haben engagierte Frauen das bisher tabuisierte Thema „Gewalt gegen Frauen" und „Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe" in die Öffentlichkeit getragen. In den bestehenden sozialen Institutionen konnten mißhandelte Frauen und deren Kinder keinen Schutz finden, so daß der Ruf nach Zufluchtsstätten lauter wurde und Fraueninitiativen 1976 das erste Frauenhaus in West-Berlin eingerichtet haben.
Nach und nach schlossen sich Frauen zu autonomen Initiativen zusammen und gründeten bis heute etwa 80 Frauenhäuser. Seit Bestehen dieser Frauenhäuser wird von der autonomen Frauenbewe-
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Frau Potthast
gung die finanzielle Absicherung dieser Projekte gefordert.
Nachdem der Bundestag 1980 beschlossen hatte, sich mit diesem Problem zu befassen, dauerte es noch zwei Jahre, bis eine Umfrage bei den Ländern, bei den Verbänden und den Frauenhäusern der Wohlfahrtsverbände durchgeführt wurde. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hielt es nicht einmal für nötig, den Fragebogen zur Finanzierung von Frauenhäusern auch an die autonomen Frauenhäuser zu verschicken. Erst auf Anfrage wurde das dann nachgeholt.
Ich frage mich, wie sich diese offensichtliche Mißachtung autonomer Projekte mit den Aussagen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit über Selbsthilfeprojekte verträgt.
Das wichtigste Prinzip der Konzeption autonomer Frauenhäuser ist es, den hilfesuchenden Frauen die Verarbeitung ihrer Mißhandlungserfahrung zu ermöglichen, indem ihnen Raum, Zeit und Unterstützung gegeben wird, damit sie ihr Selbstgefühl stabilisieren oder zurückerlangen können. Dabei steht die Selbstbestimmung der betroffenen Frau im Vordergrund. Gerade die autonomen Frauenhäuser sind es, die durch unzureichende Finanzierung gefährdet sind und kurz vor der Schließung stehen. Die Bundesregierung geht also in ihrer Einschätzung an der tatsächlichen Situation der Frauenhäuser vorbei. Der überwiegende Teil der Frauenhäuser wird nach § 11 des Bundessozialhilfegesetzes finanziert. Das heißt, die Frauenhäuser müssen ihre Personalkosten über Miet- und Heizkostenzuschüsse der Sozialämter abrechnen und sind damit abhängig von Tagessätzen und Einzelfallentscheidungen. Eine andere Finanzierungsmöglichkeit ergibt sich über die Pflegesatzvereinbarung nach § 27 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes.
Ganz abgesehen davon, daß es sich hierbei um eine Kann-Vorschrift handelt, bedeuten Pflegesatzvereinbarungen als Pro-Kopf-Gelder in der Praxis der Frauenhäuser, daß ihr Betrieb nur gesichert ist, wenn immer genügend und gleichbleibend viele Frauen mißhandelt werden und im Frauenhaus Zuflucht suchen: eine wahrlich absurde und an Zynismus grenzende Voraussetzung.
Die völlig unzureichende Finanzierungssituation der Frauenhäuser ist der Bundesregierung also sehr wohl bekannt. Denn bei der Beantwortung der von ihr unternommenen Umfrage weisen nicht nur die autonomen Frauenhäuser, sondern auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, das Diakonische Werk darauf hin und unterstreichen die Dringlichkeit gesetzlicher Neuregelungen.
Es gibt in der Bundesrepublik über 100 Frauenhäuser, wovon die größte Zahl in der Trägerschaft der autonomen Frauenbewegung liegt. Diese Frauenhäuser leisten seit Jahren Intensivstarbeit in dem Bereich der Gewalt gegen Frauen und haben dieses Thema durch die Frauenhausbewegung als Notstand der Gesellschaft öffentlich gemacht. Nach nahezu acht Jahren intensivster Arbeit dieser Frauenhausfrauen existiert immer noch keine institutionelle Förderung. Die kontinuierliche Arbeit kann nur durch die Autonomie in der inhaltlichen Arbeit, durch die Absicherung der Betriebs- und Lohnkosten der Frauenhäuser und durch einen Rechtsanspruch der mißhandelten Frauen auf Aufnahme ins Frauenhaus gewährleistet werden.
Für die institutionelle Förderung der Frauenhäuser fordern wir — im Einklang mit der autonomen Frauenbewegung — eine bundesgesetzliche Neuregelung außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes, und zwar in der Form eines neu zu schaffenden Haushaltstitels, der vom Bund zur Verfügung gestellt wird. Die kontinuierliche Arbeit der Frauenhäuser kann nur dadurch gewährleistet werden, daß sie in die Lage versetzt werden, auf Grund finanzieller Sicherheit die Projektarbeit zu planen, und zwar sowohl unter dem personalpolitischen als auch unter dem investiven Gesichtspunkt. Die Existenz der Frauenhäuser ist dadurch gefährdet, daß die Zuschüsse der Länder und Gemeinden in den letzten vier Jahren um mehr als 40 % abgenommen haben, während die Kosten in den sonstigen Lebensbereichen stets gestiegen sind.
Maßnahmen, wie von den freien Verbänden und den Länder-Kommissionen vorgeschlagen, müssen abgelehnt werden. Denn ein neuer § 73 z. B. ist keine Lösung. Mißhandelte sind keine Randgruppe dieser Gesellschaft und mithin keine Objekte der Sozialhilfe. Ein Bundesgesetz, das die Finanzierung der Häuser regelt, um deren Bestand zu sichern und eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen, ist von daher unverzichtbar.
Das Wort hat der Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bewertung und die Notwendigkeit der Frauenhäuser haben meine Vorrednerinnen vorgenommen bzw. angesprochen. Ich kann mich dem nur anschließen, allerdings nicht den Unterstellungen in Teilen der Rede von Frau Potthast von den GRÜNEN; diese teile ich nicht.
Mit der Vorlage dieses Berichtes kommt die Bundesregierung einem Wunsch des Parlaments aus dem Jahre 1980 nach. Ich bin für die konzentrierte Form, in der dieser Bericht vorgelegt worden ist, sehr dankbar. Ich meine, er enthält viele und gute Informationen. Ich muß allerdings auch gestehen, daß ich nicht sehr viel schlauer geworden bin.
Wir wissen nicht erst aus diesem Bericht, daß Mangel an Plätzen in Frauenhäusern und an Frauenhäusern insgesamt herrscht. Ich finde das beschämend, und noch beschämender finde ich es, daß solche Einrichtungen überhaupt nötig sind.
Nach wie vor besteht Unsicherheit über die Finanzierung. In einer dpa-Meldung bestätigen uns dies auch die Frauen aus den autonomen Frauen-
Eimer
häusern. Der Finanzbedarf dieser Häuser besteht auf zwei Ebenen: Zum einen geht es um die Förderung der Institution Frauenhaus — sie erfolgt über die unterschiedlichen freiwilligen Leistungen —, zum anderen geht es um die Förderung der einzelnen Frauen über das Bundessozialhilfegesetz.
Die Vorstellungen über die Finanzierung und damit über das, was uns eigentlich schlauer machen sollte, sind zwischen den betroffenen Verbänden, Selbsthilfegruppen, Ländern und Kommunen höchst unterschiedlich. Die einen halten eine Regelung für nötig, die anderen nicht. Die einen sind für eine Regelung innerhalb des Sozialhilfegesetzes, die anderen dagegen. Die Bundesregierung und alle Länder — bis auf ein Land — sehen keinen Regelungsbedarf. Dem kann ich mich in dieser Form nicht anschließen.
Der Bericht, meine Damen und Herren, ist auch wesentlich differenzierter, als die Schlußfolgerung dies ausdrückt. Unser Problem — damit meine ich: unser aller Problem — ist es, daß es keine Konzeptionen gibt, die uns alle überzeugen. Sonst hätten wir auch nicht derart divergierende Meinungen.
Es bleibt jedenfalls das Unbehagen, daß die Finanzierung von Frauenhäusern nicht optimal geregelt ist. Angesichts leerer Kassen kommen, so sagt die Bundesregierung, kostenwirksame Gesetze nicht in Frage. Dem muß ich leider zustimmen. Wir können und wir dürfen nichts versprechen, was anschließend nicht zu halten ist. Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß bereits Forderungen versteckte Versprechen sein können, die Hoffnungen erwecken, die wir dann nur enttäuschen müßten.
Ich mache diese Vorbemerkungen deswegen, weil ich nicht mißverstanden werden möchte, wenn ich meine, daß wir dennoch weiterdenken müssen; leere Kassen dürfen nicht das Ende der Sozialpolitik sein.
Die Frauenhäuser, die wir heute haben, liegen meist in Ballungsgebieten. Sie müssen auch Frauen aufnehmen, die aus weiter entfernten Gemeinden kommen. Und deshalb fallen in den Gemeinden mit Frauenhäusern Kosten für die Sozialhilfe an, die eigentlich von anderen Gemeinden getragen werden müßten.
Notwendig ist deshalb die Überprüfung, ob ein überörtlicher Ausgleich unter den Trägern der Sozialhilfe besser geregelt werden kann, als dies jetzt der Fall ist. Das geht für meine Begriffe aus dem Bericht nicht deutlich genug hervor.
Ein weiterer Punkt, der für mich nicht geklärt ist, ist der Rückgriff auf den Ehemann. Der Verzicht auf den Rückgriff, wie er teilweise gefordert wird, kostet Geld. Und das ist nicht da. Darüber hinaus würde ein Verzicht diejenigen Ehemänner belohnen, die ihre Frauen mit Gewalt in die Obhut der Frauenhäuser jagen. Wir verkennen nicht das Problem des Rückgriffs, daß nämlich die Geltendmachung der Unterhaltsforderungen den Aufenthaltsort der geflüchteten Ehefrauen bloßlegen kann. Dieser Druck — das wurde bereits von meinen Vorrednerinnen aufgezeigt — schmälert die Sicherheit und auch die Freiheit zu einem neuen Anfang. Hier lohnt es sich, noch einmal zu überprüfen, ob und wie diese Lücke zu schließen ist. Wie kann ein Rückgriff auf den Ehemann vorgenommen werden, ohne daß die Frau ihren Aufenthaltsort preisgeben muß?
Ich will in diesem Punkt weiter fragen: Welche Rolle spielt eigentlich das Gesetz über die Unterhaltsvorschußkassen? Ich habe dem Bericht nicht entnehmen können, ob hier Untersuchungen vorgenommen worden sind. Ich habe den Eindruck, daß hier ein Ansatzpunkt gegeben wäre, Probleme zu lösen. Wir sollten diesen Punkt in den Beratungen im Ausschuß etwas genauer anschauen.
Ich darf daran erinnern: Die Unterhaltsansprüche werden an diese Kassen abgetreten, und die Frauen bekommen dann einen Vorschuß auf den zu leistenden Unterhalt. Diese Regelung ist besser als die Zahlung von Sozialhilfe, weil der Frau dann, anders als bei der Sozialhilfe, ein eigener Verdienst nicht abgezogen wird.
Ich komme auf meine Eingangsworte zurück: Der Bericht bringt viel Information, aber er stellt auch neue Fragen. Mehr als der Finanzbedarf ist es nach meiner Einschätzung die Unsicherheit, die viele bedrückt. Wir sollten versuchen, ob nicht auch ohne großen Finanzbedarf geholfen werden kann.
Ich stelle fest: Die Bundesregierung hat die Hausaufgabe, die sie von uns bekommen hat, erfüllt, aber sie hat gleichzeitig sich und uns allen neue Hausaufgaben gegeben. Wir werden sie im Ausschuß beraten müssen. Und ich habe die Hoffnung, daß wir dort zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Berichts der Bundesregierung auf Drucksache 10/291 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
— aus Drucksache 10/171 —
Erste Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/668 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Fischer
2812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983
Vizepräsident Frau Renger
Die Begründung für die Bezeichnung „Erste Beschlußempfehlung" können Sie dem Vorblatt zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses entnehmen.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist in der zweiten Beratung so angenommen.
Wir treten in die dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen eine Stimme angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. Februar 1981 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL" vom 13. Dezember 1960 und zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 12. Februar 1981 über Flugsicherungs-Streckengebühren
— Drucksache 10/182 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr — Drucksache 10/622 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Ibrügger
b) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/661 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann Metz
Dr. Weng
Verheyen
Wird das Wort zur Berichterstattung erbeten? — Das ist nicht der Fall. — In der Aussprache wird das Wort auch nicht gewünscht.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Artikeln 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Es gibt hier keine zweite Lesung. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen ist dieses Gesetz angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Verwendung von Mietfahrzeugen im Güterkraftverkehr
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Straßengüterverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Artikel 79 Absatz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
— Drucksachen 10/168 Nr. 2, 10/603 —
Berichterstatter: Abgeordneter Hinsken
Wird hierzu das Wort vom Berichterstatter erbeten? — Das ist nicht der Fall; auch in der Aussprache nicht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf der Drucksache 10/603. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist abgelehnt, meine Damen und Herren.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Zinszuschüsse für bestimmte im Rahmen des Europäischen Währungssystems gewährte Darlehen
— Drucksachen 10/376 Nr. 100, 10/599 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann Borchert
Wird dazu das Wort gewünscht, meine Damen und Herren? — Das ist nicht der Fall.
Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/599 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1983 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
— Drucksache 10/574 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 40. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1983 2813
Vizepräsident Frau Renger
Das Wort wird nicht erbeten.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 2. Dezember 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.