Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 bis 21 auf:
19. Beratung des Berichts zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1983
— Drucksache 10/216 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschul3 Verteidigungsausschuß
20. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomwaffen — Rechtsgrundlage
— Drucksachen 10/142, 10/487 —
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Beck-Oberdorf und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomeinsatz — Vetorecht
— Drucksachen 10/143, 10/487 —
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomwaffen-„Pakete" gegen die Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 10/175, 10/487 —
d) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomwaffen- Einsatzverhinderung
— Drucksachen 10/179, 10/487 —
e) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomwaffen-Einsatzfolgen
— Drucksachen 10/180, 10/487 —21. Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Bard, Bastian, Frau Beck-Oberdorf, Burgmann, Drabiniok, Dr. Ehmke , Fischer (Frankfurt), Frau Gottwald, Frau Dr. Hickel, Horacek, Hoss, Dr. Jannsen,
Frau Kelly, Kleinert , Krizsan, Frau Nickels, Frau Potthast, Reents, Frau Reetz, Sauermilch, Schily, Schneider (Berlin), Frau Schoppe, Schwenninger, Stratmann, Verheyen (Bielefeld), Vogt (Kaiserslautern), Frau Dr. Vollmer eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing II, Cruise Missile) in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 10/519 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Zu Tagesordnungspunkt 20 hat die Fraktion DIE GRÜNEN einen Entschließungsantrag auf Drucksache 10/594 vorgelegt.
Meine Damen und Herren, zu Gestaltung und Dauer der Aussprache liegt Ihnen ein Geschäftsordnungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP vor.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach § 35 unserer Geschäftsordnung werden Gestaltung und Dauer der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand auf Vorschlag des Ältestenrats vom Bundestag festgelegt. Kommt es im Ältestenrat nicht zu einer Vereinbarung gemäß Satz 1 oder beschließt der Bundestag nichts anderes, darf der einzelne Redner in der Aussprache nicht länger als 15 Minuten sprechen.Es ist uns im Ältestenrat gestern nicht gelungen, über die Gestaltung der Aussprache eine Vereinbarung zu treffen, wohl aber über die Dauer. Deswegen legen Ihnen die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP den Antrag vor, die vereinbarten vier Stunden Redezeit so zu verteilen, daß auf die Koalitionsfraktionen 140 Minuten, auf die SPD-Fraktion
Metadaten/Kopzeile:
2270 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Dr. Schäuble80 Minuten und auf die Fraktion DIE GRÜNEN 20 Minuten entfallen. Dies entspricht dem üblichen Schlüssel der Verteilung der Redezeiten in diesem Hause.Die Fraktion DIE GRÜNEN hat eine Vereinbarung über die Aufteilung der Redezeiten, wenn ich es richtig sehe, mit zwei Argumenten abgelehnt. Sie hat zunächst gesagt, die Tatsache, daß sie Große Anfragen eingebracht habe, deren Beantwortung durch die Bundesregierung Gegenstand der Debatte sei, müsse ihnen zusätzliche Redezeit zur Begründung ihrer Anfragen geben. Sie hat ferner die Auffassung vertreten, daß der Schlüssel der Verteilung der Redezeiten generell die Fraktion der GRÜNEN benachteilige.Zum ersten Gesichtspunkt will ich die Vorbemerkung machen, Herr Präsident, daß wir die Aufnahme des Gesetzentwurfes über die Durchführung einer konsultativen Volksbefragung auf die heutige Tagesordnung einvernehmlich vereinbart haben unter der Bedingung, daß daraus nicht zusätzliche Redezeitenansprüche abgeleitet werden; sonst würde hierfür selbstverständlich eine Begründungsredezeit zur Verfügung stehen.Was die Begründung Großer Anfragen betrifft, Herr Präsident, verweise ich darauf, daß die Großen Anfragen durch die Bundesregierung beantwortet sind. Damit steht eine zusätzliche Begründung den anfragenden Fraktionen gemäß § 101 unserer Geschäftsordnung nicht zu. Das ist die gegenteilige Situation zu § 102, wo Große Anfragen durch die Bundesregierung nicht oder noch nicht beantwortet sind.Dies hat auch seinen guten Sinn. Gegenstand der Debatte ist nämlich nicht die Große Anfrage, sondern die Antwort der Bundesregierung, und darüber wird debattiert. Es kann j a wohl nicht so sein, daß man Große Anfragen nicht deswegen einbringt, um Antworten, sondern um Redezeiten zu bekommen.
Der noch immer maßgebliche Kommentar für unsere Geschäftsordnung, Troßmann, bestätigt diesen eindeutigen Wortlaut auch ausdrücklich.Was die Frage betrifft, daß sich die GRÜNEN durch die übliche Verteilung der Redezeiten benachteiligt fühlen, so muß ich doch darauf hinweisen, daß die Fraktion der GRÜNEN gut 5 % der Mitglieder dieses Hauses umfaßt, wir ihnen aber immer annähernd 10 % der Redezeit zur Verfügung stellen.
Ich weiß, daß die Fraktionen in diesem Hause eine besondere Bedeutung haben. Aber es gilt auch — das ist der vorrangige Grundsatz —, daß alle Abgeordnete gleich sind. Die Fraktion der CDU/ CSU umfaßt 253 Mitglieder, aber sie hat regelmäßig nur knapp 40 % der Redezeit zur Verfügung. Das heißt, jedes einzelne Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN hat mehr als das Doppelte an Redezeit zur Verfügung wie die Mitglieder meiner Fraktion.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1959 festgestellt, daß eine Verteilung der Redezeiten auf die Fraktionen entsprechend den Stärkeverhältnissen der Fraktionen verfassungsgemäß sei. Wir gehen weit darüber hinaus, und wir lassen uns entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig die von den Vertretern der Bundesregierung in Anspruch genommene Redezeit anrechnen, was ein ganz entscheidendes Zugeständnis an die Opposition war, meine Damen und Herren von der SPD, heute ist und so auch weiterhin gilt. Das gilt wechselseitig; das ist so vereinbart. Daran wollen wir uns auch in der Zukunft halten. Aber eine noch weitergehende Begünstigung der Fraktion DIE GRÜNEN wäre meines Erachtens wegen der damit verbundenen Benachteiligung aller anderen Mitglieder dieses Hauses verfassungsrechtlich bedenklich.Unsere Geschäftsordnung ist auf Vereinbarung, auf Konsens angelegt. Wenn eine Vereinbarung nicht zustande kommt, entscheidet die Mehrheit unter Wahrung der Rechte der Minderheit. Unsere Geschäftsordnung will nicht gleichmachen, was auf Grund der Entscheidung der Wähler nicht gleich ist. Unsere Geschäftsordnung will nicht Mehrheit und Minderheit verwischen. Das wäre eine Verfälschung des Wählerwillens und damit undemokratisch.Ich appelliere an alle Fraktionen, an alle Mitglieder dieses Hauses, auf den Weg vernünftiger, fairer Vereinbarungen zurückzukehren. Aber ich lasse auch keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit zu, der Verantwortung gerecht zu werden, die uns durch den Wählerauftrag vom 6. März 1983 auferlegt ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Diese kurze Geschäftsordnungsaussprache hat eine Vorgeschichte, die ich jetzt im einzelnen nicht erläutern kann, weil man aus dem Ältestenrat nicht berichten soll. Es wäre uns in der Ältestenratssitzung, in der diese Sitzungswoche vorbereitet worden ist, fast nicht gelungen, eine Tagesordnung zustande zu bringen, weil die Fraktion der GRÜNEN nicht bereit war, eine Vereinbarung zu schließen. Und dort geht es eben nur im Einvernehmen.Die Sitzung wäre fast beendet worden, ohne daß der Bundestag — wenn ich mich recht erinnere, erstmals in seiner Geschichte — eine Tagesordnung gehabt hätte, d. h., er hätte mit seinen Beratungen ohne Tagesordnung beginnen müssen. Wir hätten eine solche dann mit Mehrheit beschließen müssen.Es mag manchem etwas kleinlich vorkommen und so aussehen, als ob wir um Minuten feilschten. Der Eindruck wäre falsch; denn die CDU/CSUFraktion hat knapp 50 % der Mandate und DIE GRÜNEN haben gut 5 % der Mandate. Das ist ein kleiner Unterschied, und das hat auch Folgen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2271
PorznerNun möchten DIE GRÜNEN heute vormittag in dieser Debatte dieselbe Redezeit bekommen wie z. B. die CDU/CSU-Fraktion, die fast zehnmal so groß ist. Ich glaube nicht, daß das geht.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode gibt es eine Praxis, die unter uns Geschäftsführern besprochen worden ist. Sie sieht für die Fraktion der GRÜNEN 10 % vor, für die SPD ein Drittel der Redezeit. Die verbleibende Redezeit teilen sich die Koalitionsfraktionen auf. Die kleinen Fraktionen, DIE GRÜNEN und die FDP, haben dadurch in der Regel Vorteile. Das wird keiner leugnen, wenn wir uns die Debatten anhören.
Ich habe keinen Anlaß — ich könnte mich damit auch nicht einverstanden erklären —, einer Beschränkung der Redezeit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zuzustimmen, die so aussieht, als ob sie bei der letzten Bundestagswahl 5 % der Mandate gewonnen hätte. Das geht eben nicht.Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag. Die Zeit, die darin für meine Fraktion empfohlen wird, entspricht genau dem, was wir in der Praxis bisher gemacht haben.Aber ich hoffe, meine verehrten Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, daß wir in Zukunft auch in Dingen, bei denen Sie glauben, Sie müßten größere Ansprüche stellen, als wir das akzeptieren möchten, wieder Einvernehmen im Ältestenrat herstellen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir hier erleben, das ist die Arroganz der Mehrheit
oder der Vorgeschmack dessen, Herr Dr. Marx, was passieren würde, wenn im Bund oder irgendwo in einem Bundesland wieder einmal eine Große Koalition entstünde.
Wir haben hier als zahlenmäßig kleine Fraktion allein fünf Große Anfragen eingebracht.
Wir haben eine weitere Initiative eingebracht, nämlich den Gesetzentwurf zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung.
Der erste Trick, der hier zur Verkürzung parlamentarischer Rechte angewendet wird, besteht darin, daß auf fünf Große Anfragen — die Großen Anfragen sind ja an sich ein Kontrollinstrument der Opposition —
eine Sammelantwort der Regierung kommt. Das bedeutet eigentlich eine Fünftelung in bezug auf den Gegenstand. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, daß Sie die sechs Initiativen, was nach der Geschäftsordnung möglich ist, zu einer verbundenen Debatte zusammenfassen.
Der dritte Punkt ist, daß noch — wir haben es das letzte Mal bei der Giftgasdebatte erlebt — eine langatmige Erklärung von seiten der Regierung vorgeschaltet ist.
Alles zusammengenommen haben Sie, schon wenn man an die Initiativen denkt, eine Verkürzung um ein Sechstel vorgenommen.
Jetzt kommen Sie mit dem Zahlenproporz. In Zahlenspielereien — siehe Raketenzählerei — sind Sie stark,
aber in der Erzielung qualitativer Ergebnisse — siehe ebenfalls Genf — sind Sie schwach. Das übertragen Sie spiegelbildlich auf die inhaltliche Debatte in diesem Hause. Es ist ein absolut beschämender Vorgang, was Sie hier spielen. Es ist im Grunde genommen sowohl gegen den Buchstaben als auch gegen den Geist der Geschäftsordnung.
Es handelt sich hier um eine echte Regelungslükke. Wenn wir hier solche Anfragen einbringen, haben wir an sich für jeden Punkt eine Begründungszeit von bis zu 10 Minuten.
— Doch durch die Tricks, die ich hier beschrieben habe, haben Sie sich ein Instrument geschaffen, das Ganze zu verkürzen.
Das Ganze ist nicht nur eine Verkürzung formaler Art, sondern darüber hinaus eine Verkürzung der geistigen Dimension, eine Informationsverweigerung, wenn man sich die Antworten auf die Großen Anfragen ansieht. Im Volksmund nennt man das, was Sie hier mit den Großen Anfragen gemacht haben, nichts anderes als — mit Verlaub, Herr Präsident — Verarschung.
Herr Kollege, ich bitte Sie, sich doch zu mäßigen. Der Präsident hat bisher solche Dinge, wie Sie sie behaupten, im Zusammenhang mit der Anwendung der Geschäftsordnung hier nicht feststellen können.
Herr Präsident, ich habe mir erlaubt zu zitieren, was im Volksmund in solchen Fällen gesagt wird.
Metadaten/Kopzeile:
2272 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Vogt
Zusammenfassend möchte ich nach § 35 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung das Verlangen meiner Fraktion ausdrücken, daß wir eine Redezeit von 45 Minuten in der verbundenen Debatte eingeräumt bekommen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Demokratie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ist die Entscheidung der Mehrheit unter Berücksichtigung der Rechte der Minderheit. Meine Vorredner Kollege Schäuble und Kollege Porzner haben sehr deutlich dargelegt, daß diese Rechte sehr wohl gewahrt werden, auch im Hinblick auf den Anteil Ihrer Redezeit.
Wenn Sie hier noch einmal ausführen, daß Sie Rechte aus der Begründung der Großen Anfragen herleiten, dann verweise ich auf die §§ 101 und 102 der Geschäftsordnung, in denen das geregelt ist. Formale Regelungen sind nicht spaßeshalber zu ändern, nur, weil Sie es wünschen, sondern sie sind auch ein Bestandteil der demokratischen Ordnung. Und wir halten uns an diese demokratische Ordnung. Wir alle halten uns daran.
Im übrigen müßten Sie sich an Ihren Verhandlungsführer im Ältestenrat wenden; denn es ist einvernehmlich beschlossen worden, daß wir hier eine verbundene Debatte vornehmen. Und es ist einvernehmlich beschlossen worden, daß wir Ihren zusätzlichen Antrag über die konsultative Volksbefragung aufnehmen, ohne daß ein zusätzliches Recht auf Redezeit erwächst. Das müssen Sie also intern austragen.
Auf Ihre Anmerkung über die Zahlenspielereien möchte ich wegen ihres minderen Niveaus nicht weiter eingehen. Aber die qualitativen Ergebnisse können Ihre Redner auch in der Ihnen zustehenden Redezeit, wenn sie das wollen, zum Ausdruck bringen.
Meine Damen und Herren, weitere Anträge zur Geschäftsordnung liegen nicht vor. Ich lasse über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Geschäftsordnung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, als erstem Redner erteile ich Herrn Staatsminister Möllemann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1983 dient der Unterrichtung des Parlaments. Mit ihm legt die Bundesregierung aber auch gegenüber der gesamten Bevölkerung Rechenschaft über ihre und die Bemühungen des westlichen Bündnisses ab, echte Fortschritte im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu erzielen. Diese Form der Bilanzierung erscheint gerade in einer Zeit notwendig, in der Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle in breiten Teilen unseres Volkes mit besonderem Nachdruck und Leidenschaft diskutiert werden. Die Bundesregierung hat den Bericht daher wie im vergangenen Jahr der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.Der diesjährige Bericht stellt zunächst die Grundlagen unserer Sicherheitspolitik dar, die sich aus den integralen Bestandteilen der Verteidigungsfähigkeit und der Abschreckung sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle zusammensetzt. Mit der Beschreibung der natürlichen Einfügung der Rüstungskontrolle in die Sicherheitspolitik des westlichen Bündnisses wird die ganze Breite der für die Bundesregierung maßgeblichen sicherheitspolitischen Entscheidungsgrundlagen deutlich gemacht.Diesem engen Zusammenhang der Elemente unserer Sicherheitspolitik entspricht auch die Darstellung der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis, die Teil des parlamentarischen Berichtsauftrags ist. Von der Entwicklung militärischer Bedrohung kann sich eine an der Sicherheit unseres Landes orientierte Rüstungskontrollpolitik nicht lösen. Ihre Gestaltung wird daher wesentlich von den militärischen Potentialen beeinflußt, die unsere Sicherheit und politische Unabhängigkeit in Frage stellen können.Der Bericht macht aber immer wieder deutlich, daß Sicherheitspolitik für die Bundesregierung auch heißt: Herstellung eines Kräftegleichgewichts auf möglichst niedrigem Niveau, um, darauf gestützt, Frieden und Freiheit zu sichern.Es ist ein besonderes Anliegen des Berichts, nicht nur den West-Ost-Zusammenhang der Rüstungskontrollpolitik darzustellen. Vielmehr war es wichtig, in der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion die Dringlichkeit rüstungskontrollpolitischer Einbindung gerade auch der Dritten Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Der multilaterale Abrüstungsprozeß, wie er sich im Rahmen der Vereinten Nationen und der Verhandlungen über weltweite Rüstungskontrollvereinbarungen im Genfer Abrüstungsausschuß ausdrückt, kommt daher in diesem Bericht ausführlich zum Tragen. Der Jahresabrüstungsbericht 1983 stellt die Verhandlungsprobleme
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2273
Staatsminister Möllemannim einzelnen, aber auch die grundsätzlichen Schwierigkeiten, denen sich die Rüstungskontrollbemühungen stellen müssen, objektiv und ausführlich dar.
Gegenüber der hier praktizierten Offenheit und Transparenz muß die wohl unvermeidliche sowjetische Kritik an dem Bericht in diesem Jahr besonders hilflos ausfallen. Von einem vergeblichen Versuch abgesehen, unserer Darstellung der sowjetischen INF-Aufrüstung einen Widerspruch nachzuweisen, fand der Osten keinen Ansatzpunkt zu substantieller Kritik. Es ist in diesem Zusammenhang, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zu bedauern, daß die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer Pakts, also Staaten mit geschlossenen Gesellschaften und einem anderen Transparenzverständnis, keine dem Jahresabrüstungsbericht vergleichbare objektive Rechenschaftslegung vorstellen können.
Da der Jahresabrüstungsbericht den Zeitraum bis Mitte Juni 1983 erfaßt und seither fünf Monate vergangen sind, halte ich es für notwendig, die seither eingetretene Entwicklung im Bereich der Rüstungskontrolle hier darzulegen. Lassen Sie mich zunächst zu der weiteren Entwicklung der Genfer Verhandlungen über die landgestützten weitreichenden Mittelstreckenraketen, die INF-Verhandlungen, in diesem Jahr kommen.Im Anschluß an die Einbringung des Vorschlags für ein Zwischenergebnis schlug der US-Botschafter Nitze, der Verhandlungsführer der westlichen Seite, am Verhandlungstisch eine ganze Reihe konkreter Obergrenzen unterhalb des vorgesehenen Stationierungsumfangs vor. Jeder dieser Vorschläge wurde von der Sowjetunion rundweg zurückgewiesen. Nach eingehender Analyse der sich hieraus ergebenden Verhandlungslage einigte sich das westliche Bündnis zu Beginn der sechsten Verhandlungsrunde im September dieses Jahres auf eine Fortentwicklung der westlichen Position. Der am 22. September von Botschafter Nitze in Genf eingeführte dritte Verhandlungsschritt des Bündnisses kommt wesentlichen Forderungen der Sowjetunion entgegen. Mit ihm erklären sich die USA bereit, bei Vereinbarung einer globalen Obergrenze nicht das gesamte sowjetische Mittelstreckenpotential durch Stationierung in Europa auszugleichen. Die USA erklären sich zu Parallelverhandlungen über INF-Flugzeuge bereit, und sie sichern zu, daß sich vereinbarte Reduzierungen anteilig sowohl auf Marschflugkörper wie auf Pershing II auswirken werden.Mit diesem umfassenden Kompromißvorschlag liegen nun alle Elemente für eine faire und ausgewogene Kompromißlösung auf dem Tisch. Dennoch hat es die Sowjetunion nicht für notwendig befunden, alle Aspekte dieses weitgehenden und bewußt flexibel gehaltenen Kompromißangebots der USA am Verhandlungstisch zu sondieren. Im Gegensatz zum Bündnis, das durch seinen neuen Schritt substantiell auf sowjetische Anliegen einging, hält die Sowjetunion bis jetzt an ihrer Weigerung fest, den USA das Recht auf Gleichheit zuzubilligen. Ihr Ziel ist unverändert die Verhinderung der Stationierung neuer amerikanischer Systeme bei westlicher Zustimmung zu einem sowjetischen Monopol bei landgestützten Mittelstreckenraketen, also die Abkoppelung unserer Sicherheit von einer durchgängigen und plausiblen amerikanischen Nukleargarantie.Positiv zu vermerken ist, daß die Sowjetunion jetzt bereit ist, die in Europa zu reduzierenden Raketen zu verschrotten und nicht lediglich in den Ostteil ihres Landes zu verlegen. Generalsekretär Andropow hat ferner erklärt, bereit zu sein, die Zahl der in Europa stationierten SS 20 auf ca. 140 zu senken und im Falle eines entsprechenden Abkommens die im Ostteil der Sowjetunion stationierten SS 20 einzufrieren. In der Flugzeugfrage deutete Generalsekretär Andropow in allerdings vager Form eine gewisse Flexibilität an, die am Verhandlungstisch noch zu sondieren sein wird. Auch in dieser Form ist die sowjetische Position für das Bündnis jedoch nicht annehmbar. Die Sowjetunion behielte danach insgesamt 248 SS 20 mit 744 Gefechtsköpfen, davon über 400 auf Europa gerichtet. Der Westen müßte dagegen voll auf die Nachrüstung verzichten. Damit würde der Zustand der einseitigen Bedrohung und Instabilität fortbestehen, der den Anlaß zum Doppelbeschluß gegeben hat.Meine Damen und Herren, das Bündnis wird jeden Tag nutzen, um vor Beginn der Stationierung ein konkretes und ausgewogenes Ergebnis zu erreichen. Sollte dies jedoch nicht möglich sein, wird das NATO-Bündnis, wie vorgesehen, mit der Stationierung beginnen.Der 22. November ist jedoch kein Enddatum für die Verhandlungen. Die USA werden den Verhandlungstisch nicht verlassen. Sie bleiben weiter verhandlungsbereit, unabhängig davon, ob die Sowjetunion ihre Drohung mit einem Verhandlungsabbruch wahrmacht. Das Bündnis ist bereit, jedes System, das in den nächsten fünf Jahren stationiert wird, wieder zu entfernen, sobald eine Vereinbarung dies ermöglicht.Die Bundesregierung appelliert an dieser Stelle an die Sowjetunion, den Dialog in diesem überaus wichtigen Bereich nicht mutwillig abzubrechen, sondern die nach wie vor gegebene Chance für eine vereinbarte Begrenzung und Verminderung der Nuklearrüstung in Europa wahrzunehmen.
Das Bündnis hat auf dem Ministertreffen der Nuklearen Planungsgruppe in Montebello am 28. Oktober seinen ernsthaften Willen zu einem solchen Abbau durch die Entscheidung belegt, 1 400 atomare Gefechtsköpfe taktischer Waffen einseitig und als Vorleistung aus Europa abzuziehen. Berücksichtigt man noch die Tatsache, daß bereits im Jahre 1980 1 000 atomare Gefechtsköpfe einseitig abgezogen wurden, so kann es keinen Zweifel an der Bereitschaft des Bündnisses geben, zu einer erheblichen Verringerung seines nuklearen Potentials in Europa beizutragen. Zu berücksichtigen ist
Metadaten/Kopzeile:
2274 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Staatsminister Möllemannhier außerdem, daß die eventuell neu zu stationierenden Systeme im Verhältnis 1 zu 1 ausgetauscht würden, d. h. die Sprengkopfzahl würde auch im Fall der Neustationierung nicht erhöht. Mit anderen Worten: Durch die gegebenenfalls notwendig werdende Nachrüstung würde sich am Umfang der beschlossenen einseitigen Reduzierung nichts ändern.Alle diejenigen, die heute den Doppelbeschluß und seine Umsetzung kritisieren, vor allem jene, die bis vor kurzem noch diesen von der früheren Regierung Schmidt/Genscher wesentlich geprägten Beschluß mitgetragen haben, müssen dreierlei beachten. Erstens. Seit dem Datum des Beschlusses — Dezember 1979 — hat der Westen verhandelt, aber nicht eine einzige neue Mittelstreckenwaffe neu aufgestellt. In der gleichen Zeit hat die Sowjetunion gehandelt. Parallel zu einer gigantischen Propagandakampagne gegen die Absicht des Westens, das schon 1979 bestehende Ungleichgewicht ab Ende 1983 auszugleichen — wenn es nicht auf dem Verhandlungswege beseitigt werden kann —, hat die Sowjetunion selbst dieses Ungleichgewicht vergrößert, indem sie Woche für Woche weiter aufrüstete und SS-20-Raketen aufgestellt hat. Heute sind 360 Abschußvorrichtungen mit je drei Sprengköpfen aufgestellt, also gut 1 080 Sprengköpfe, die unsere Sicherheit heute zahlenmäßig und politisch noch stärker bedrohen, als das schon 1979 der Fall war. Zusätzliche Probleme schafft dabei die Nachladefähigkeit der SS 20, also die Tatsache, daß an jeder dieser Abschußvorrichtungen eine zweite Rakete zum Nachladen bereitgehalten wird oder bereitgehalten werden kann.Ich glaube, daß dieses Faktum der seit 1979 eingetretenen zusätzlichen negativen Veränderungen des Kräfteverhältnisses sicherlich einer der Gründe gewesen ist, warum gestern in Singapur Helmut Schmidt eindeutig und nachdrücklich erklärt hat, daß die Nachrüstung erfolgen müsse. Ich hoffe sehr, meine geschätzten Kollegen von der SPD, daß Sie sich an das Wort Ihres stellvertretenden Parteivorsitzenden halten werden.
— Herr Voigt, zu Ihnen komme ich später.Ich möchte aber auf das Phänomen, das wir hier beobachten können, noch einmal eingehen. Ich halte es für in der Geschichte der Rüstungskontrolle und Abrüstung beispiellos, daß eine Großmacht es schafft — und auch bei uns es schafft —, gleichzeitig zu einer wirklich gigantischen Aufrüstungskampagne eine gigantische Abrüstungspropaganda aufrechtzuerhalten, und daß dieses bei uns nicht hinreichend deutlich gemacht wird. Das ist, wie wollte sich einer von uns in Bonn auf den Marktplatz stellen und irgendeinen zufällig daher kommenden Passanten rechts und links ohrfeigen und dabei unablässig rufen, man könne doch diese Gewaltanwendung nicht leiden.
Jeder würde sagen: Welche Logik steckt eigentlichdahinter? Das müßten wir in diesem Fall auch tun.Die zweite Bemerkung: Kein Land, meine Kolleginnen und Kollegen, ist in seiner Außenpolitik so sehr auf Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit angewiesen wie wir an der Nahtstelle zwischen Ost und West.
Jeder besonnene Analytiker der internationalen Politik wird bestätigen, daß unsere tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten und unser Einfluß auf die Staaten Osteuropas, aber auch unsere Möglichkeit, unsere Interessen im westlichen Bündnis gebührend zur Geltung zu bringen und die Solidarität unserer Partner zu erhalten, schweren Schaden nehmen würden, wenn wir uns jetzt in letzter Minute gegen eine Politik stellen wollten, die wir selbst entscheidend mitgeprägt haben. Die Sowjetunion müßte versucht sein, auch künftige Entscheidungen über unsere Sicherheit durch Drohungen und andere Formen der Einflußnahme zu beeinflussen. Unsere westlichen Partner — und da unterscheidet sich der republikanische Präsident der USA überhaupt nicht von seinen sozialistischen Kollegen in Frankreich, Italien und Portugal — würden Zweifel an unserer Zuverlässigkeit bekommen. Was heute noch vorsichtige Spekulationen über einen möglichen deutschen Neutralismus sind, würde dann nicht nur durch leichtfertige Sprüche von GRÜNEN und Sozialdemokraten genährt, sondern erhielte eine reale Grundlage.
— Ich glaube, Herr Klejdzinski, Sie und Ihre Kollegen im Verteidigungsausschuß wissen doch sehr genau, daß Ihre jetzt veränderte Position zum Doppelbeschluß innerparteilich-taktisch längst eine Auffangposition gegen Tendenzen im Blick auf den möglichen Neutralismus geworden ist.
Dritte Bemerkung: Ein Teil der Kritik am Doppelbeschluß richtet sich nicht eigentlich gegen diesen Beschluß, sondern gegen unsere Strategie der Kriegsverhinderung durch atomare Abschreckung vom Krieg überhaupt. Hier liegt der eigentliche Kern der Auseinandersetzungen.
Diese Kritik ist allerdings so lange nicht ehrlich, wie man die Argumente nur auf Mittelstreckenraketen, nicht aber gleichzeitig auf alle anderen Atomwaffen anwendet. Ich erwähne dies, weil CDU/CSU, FDP und SPD ja wohl bis heute darin übereingestimmt haben, daß jede Art von Krieg u. a. dadurch verhindert werden soll, daß man auch durch die Androhung von Atomwaffeneinsätzen jedem Angreifer deutlich macht, daß ein Angriff für ihn mehr Schaden als Nutzen brächte. Diese gültige Strategie der NATO ist von Männern wie Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel mitbeeinflußt worden. Es wäre interessant, zu erfahren, ob die SPD sie so noch mitträgt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2275
Die grundsätzliche Kritik an dieser Strategie richtet sich gegen die Einbeziehung von Atomwaffen überhaupt. Das Argument ist, diese Waffen seien in ihrer Schrecklichkeit so inhuman, daß sie weltweit geächtet und abgeschafft werden müßten. Diese auf den ersten Blick ja sympathische Forderung,
die im übrigen in allen Parteien diskutiert worden ist und diskutiert wird, hat für mich am intelligentesten seinerzeit Kurt Biedenkopf in seinem Aufsatz in der „Zeit" formuliert, als er sagte, die Menschheit werde dauerhaft ein Verteidigungskonzept nicht tragen, das — im negativsten Fall zu Ende gedacht— die Existenz eben dieser Menschheit aufs Spiel setzen könne.
— Ja, ich möchte mich ja damit auseinandersetzen.— Diese Forderung, die auf den ersten Blick sympathisch erscheint,
ist aber bei näherem Überlegen, meine ich, nicht unproblematisch. Sie ist ja bei näherem Überlegen bisher auch von Ihrer Fraktion, der Union und uns abgelehnt worden, weil wir die gültige NATO-Strategie gemeinsam getragen haben.
— Lassen Sie mich diesen Gedanken bitte vortragen. — Ich fürchte, meine Kolleginnen und Kollegen, daß die Abschaffung der Atomwaffen bei NATO und Warschauer Pakt bei gleichzeitigem Fortbestand konventionell gerüsteter Armeen den Krieg als mit begrenztem Risiko wieder führbar erscheinen lassen würde
und damit in Wahrheit die Rückkehr zur Kriegsführungsstrategie wäre.
Meine Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir diese persönliche Bemerkung. Ich bin 1945 nach Kriegsende geboren. Ich kenne die Schrecken des Zweiten Weltkrieges nur aus den Erzählungen meiner Eltern, meiner Verwandten und aus den Berichten und Dokumenten; aber ich weiß, daß für unser Land auch ein konventioneller Krieg absolut unerträglich wäre.
Deswegen geht unser ganzes Denken dahin, zu überlegen, wie wir neben den Anstrengungen im Bereich der Politik, der Diplomatie der Rüstungskontrolle, der Abrüstung, im Bereich der Verteidigung unser Potential und unsere Konzeption so gestalten können, daß auf Dauer die Abschreckung vom Krieg mindestens so lange funktioniert, wiewir ein anderes Konzept, das den Krieg im militärischen Bereich auch verhindern kann, nicht entwikkelt haben.
Ist es nicht legitim, darauf hinzuweisen, daß nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen ganzen Schrekken weltweit, wiewohl man hätte annehmen können, der Schrecken dieses Krieges hätte alle anderen demnächst vom Krieg abgehalten, mehr als 120 Kriege konventioneller Art mit mehr als 30 Millionen Toten geführt worden sind? Unsere Besorgnis, meine Kolleginnen und Kollegen, geht dahin, daß der schlichte Verzicht auf Atomwaffen in Ost und West in den Köpfen der Planer hier wie dort den Krieg als Mittel der Politik wieder erträglich, weil mit begrenztem Risiko führbar, erscheinen lassen könnte, und das darf nicht eintreten.
Wir werden nach unserer Überzeugung also auf absehbare Zeit ein allerdings begrenztes Potential an Atomwaffen brauchen.
Über die Begrenzungen sprechen wir ja im Rahmen der Diskussion über den Bericht zur Rüstungskontrolle und Abrüstung. Diese Begrenzungen sollen in den hier diskutierten Verhandlungen erreicht werden. Zu den INF-Verhandlungen habe ich einiges gesagt.Nun komme ich zu den START-Verhandlungen, den Verhandlungen über die Reduzierung der strategischen Rüstung.
Auch bei diesen Verhandlungen über die Reduzierung der strategischen Rüstung haben die USA einen weiteren Vorstoß unternommen. Zentrales Element der amerikanischen Initiative vom 4. Oktober 1983 ist der Vorschlag eines „build down", eines Abbaus der strategischen Potentiale beider Staaten. Dieses Konzept sieht vor, die strategischen Rüstungen bei Modernisierung durch überproportionalen Abbau alter Systeme effektiv zu reduzieren. Auf diese Weise könnte erstmals eine verbindliche Grundlage für den kontinuierlichen Abbau der strategischen Waffen beider Seiten geschaffen werden.Ferner haben sich die USA zu weiteren Begrenzungen von luftgestützten Marschflugkörpern und zum Ausgleich sowjetischer Vorteile bei Raketen durch amerikanische Vorteile bei strategischen Bombern bereit erklärt. Ziel der USA in den START-Verhandlungen ist nach wie vor die Erhöhung der strategischen Stabilität durch einschneidende Reduzierungen der strategischen Potentiale.
Metadaten/Kopzeile:
2276 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Staatsminister MöllemannDabei soll die Zahl der Systeme und Gefechtskörper sowie die Gesamtzerstörungskraft der Raketen substantiell vermindert werden. Wir müssen feststellen, daß sich die Sowjetunion, von gewissen Korrekturen ihrer Verhandlungsposition in der vierten Runde vielleicht abgesehen, bisher kaum bewegt und damit keinen wirklichen Beitrag zum Fortschritt der Verhandlungen geleistet hat.Die gegenwärtige sicherheitspolitische Debatte in der Öffentlichkeit konzentriert sich nahezu ausschließlich auf nukleare Waffensysteme. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sicherheit und Stabilität in Europa ganz entscheidend vom Kräfteverhältnis der konventionellen Streitkräfte abhängen. Die bestehende konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes wirkt destabilisierend. Es bedarf deshalb verstärkter politischer Anstrengungen auch im Bereich der konventionellen Rüstungskontrolle, um den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Sicherheit Europas wirksam zu begegnen.Die Bundesregierung mißt daher den MBFRVerhandlungen in Wien, dem derzeit immer noch einzigen Forum für konventionelle Rüstungskontrolle, weiterhin große Bedeutung bei. MBFR hat sich als institutionalisierter Dialog zwischen den beiden Bündnissystemen bewährt.In Wien liegen jetzt ein Vertragsentwurf des Westens vom Juli 1982, Vorschläge des Ostens vom Februar 1983 und ein neuer Vertragsentwurf vom Juni 1983 vor. Das zeigt, daß beide Seiten diese Verhandlungen beharrlich fortführen wollen.Der westliche Entwurf bringt erstmals eine Verknüpfung aller Reduzierungsverpflichtungen in einem einzigen Abkommen und bietet damit eine Lösung für ein wichtiges Anliegen des Ostens. Die neuen Vorschläge des Ostens gehen von den bisherigen Überlegungen ab und sehen überhaupt keine Klärung der Ausgangsdaten vor. Die Regelung des Reduzierungsprozesses ist — vor allem was die Verifikation, die Überprüfbarkeit, betrifft, aber auch unter anderen Aspekten — unzureichend. Die Verifikationsvorschläge für die Reststärken sind nicht ausreichend, um Gewißheit über die Einhaltung der Vereinbarungen zu schaffen. Allerdings hat sich die östliche Position — gerade bezüglich der Verifikationsmaßnahmen — entwickelt.Meine Damen und Herren, nach unserer Einschätzung ist deshalb in Wien Spielraum für Bewegung in den Verhandlungen gegeben. Die Sachprobleme sind hinreichend definiert. Fortschritte sind möglich, wenn sich die östliche Seite in den noch offenen Kernfragen — in den Fragenkomplexen „Ausgangsdaten" und „Verifikation" — kompromißbereiter zeigt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Helsinki, wo vor acht Jahren die Schlußakte der KSZE unterzeichnet wurde, nimmt in diesen Tagen eine neue und bedeutsame Etappe des damals eingeleiteten Prozesses des Dialogs und der Zusammenarbeit ihren operativen Anfang. Seit dem 25. Oktober tagt das Vorbereitungstreffen für die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa.Die Einberufung dieser Konferenz ist eines der wichtigsten Ergebnisse des am 9. September erfolgreich abgeschlossenen KSZE-Folgetreffens von Madrid. Dieses Ergebnis zeigt, daß alle 35 Teilnehmerstaaten auch in einer schwierigen Phase der West-Ost-Beziehungen ein Interesse daran haben — und dieses Interesse offenbar auch behalten —, den Dialog über Sicherheit und Abrüstung in Europa fortzusetzen und zu intensivieren.In Helsinki beraten derzeit Abordnungen aller Teilnehmerstaaten über Tagesordnung, Zeitplan und organisatorische Modalitäten der Hauptkonferenz. Der Beginn dieser Hauptkonferenz ist in Madrid — und dies, wie ich betone, im Wissen um den Zeitplan bei den INF-Verhandlungen — auf den 17. Januar 1984 in Stockholm festgelegt worden.Nach dem vereinbarten Mandat wird es die Aufgabe einer ersten Konferenzphase sein, vertrauensund sicherheitsbildende Maßnahmen zu erarbeiten, die militärisch bedeutsam, politisch verbindlich, angemessen nachprüfbar sein und in ganz Europa, vom Atlantik bis zum Ural, Anwendung finden sollen. Diese Maßnahmen sollen ein höheres Maß an militärischer Transparenz und Berechenbarkeit schaffen und insbesondere die Gefahr von Überraschungsangriffen vermeiden.Ein Ergebnis der ersten Konferenzphase wäre damit in sich ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der militärischen Lage in Europa. Gleichzeitig würde ein rational begründetes Klima gemeinsamen Vertrauens geschaffen, das unabdingbare Voraussetzung für konkrete Abrüstungsschritte ist. Ziel muß es sein, die Risiken rücksichtsloser Gewaltanwendung durch einen vereinbarten Kodex für den Umgang mit militärischer Macht aufzufangen sowie den Verzicht auf Gewalt und Androhung von Gewalt als Mittel der Politik nachprüfbar und damit glaubhaft zu machen.In dieser Perspektive sehen wir die europäische Abrüstungskonferenz als wichtigen Schritt in Richtung auf eine auf Zusammenarbeit und Vertrauen gegründete Sicherheitsordnung für ganz Europa. Die Bundesregierung hat den ursprünglich französischen Vorschlag einer europäischen Abrüstungskonferenz von Anfang an nachdrücklich unterstützt und in Madrid wesentliche Beiträge zu ihrem Zustandekommen geleistet. Wie jetzt in Helsinki so auch in Stockholm wird sie alles in ihren Kräften Stehende tun, um möglichst bald konkrete Verhandlungsergebnisse zu erzielen.Bei den Vorbereitungsarbeiten im Bündnis und im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit haben wir bereits eine aktive politische Rolle übernommen. Daneben ist die Vorbereitung auf Stockholm wichtiger Gegenstand der Konsultationen, die der Abrüstungsbeauftragte der Bundesregierung in diesen Wochen mit seinen Gesprächspartnern aus der DDR, der Sowjetunion, Polen und Rumänien führt.Meine Kolleginnen und Kollegen, der für Rüstungskontrolle und Abrüstung zuständige Erste
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2277
Staatsminister MöllemannAusschuß der Vollversammlung der Vereinten Nationen sollte ein Dialogforum für die weltweite Sicherheitsdiskussion sein. Er droht aber, zu einem Forum der Ost-West-Auseinandersetzung zu degenerieren. Charakteristisch für die Entwicklung ist eine Reihe von propagandistischen Resolutionsentwürfen östlicher Staaten, die in der Substanz jedoch weit hinter den Zielen zurückbleiben, die wir anstreben und die in Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen verfolgt werden. Als Beispiele dafür nehme ich zwei Dringlichkeitsanträge der Sowjetunion, und zwar zur Verhinderung eines Nuklearkrieges und zur Verurteilung des Nuklearkrieges, die mit ihrer selektiven Heraushebung einer Waffenkategorie geeignet sind, das umfassende Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen abzuschwächen.
Wir dagegen treten in den Vereinten Nationen für die Verurteilung jedes Krieges, nuklear wie konventionell, ein. Wir sind bemüht, solchen Tendenzen entgegenzuwirken und eine einseitige Politisierung des Ersten Ausschusses zu verhindern.In diesem Zusammenhang treten wir für eine Konzentration der Diskussion auf konkrete, machbare Projekte im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle ein. Dementsprechend legen wir auch in dieser Generalversammlung das Schwergewicht unserer Arbeit weiterhin auf die Bereiche Vertrauensbildung, Überprüfung, Offenheit und Ausgewogenheit. Unser im Jahresbericht 1983 vorgelegtes Konzept zu vertrauensbildenden Maßnahmen werden wir auch in der 38. Generalversammlung weiterverfolgen und dazu eine Entschließung einbringen.Transparenz und Offenheit betrachten wir als unentbehrliches Element der Vertrauensbildung. Wir unterstützen deshalb die Resolution Österreichs zur Offenlegung militärischer Kapazitäten ebenso, wie wir seit Jahren die Bemühungen Schwedens um die Vergleichbarmachung von Verteidigungsausgaben in den Vereinten Nationen unterstützen. Wir bedauern es ganz besonders, daß sich der Osten in diesem Bereich, in dem konkrete Maßnahmen Fortschritte bei vielen Abrüstungsverhandlungen fördern könnten, ständig verweigert und seine Ablehnung sogar noch verstärkt.Die Überprüfbarkeit abgeschlossener Verträge durch Verifikationsmaßnahmen — durch Maßnahmen der konkreten Überprüfung — trägt erheblich zur Bildung von Vertrauen bei. Neben unseren eigenen Beiträgen, z. B. der Entwicklung eines Überprüfungskonzepts im Bereich der chemischen Waffen, unterstützen wir deshalb in den Resolutionen der Vereinten Nationen alle diejenigen Positionen, die eine Verbesserung von Überprüfungsmaßnahmen erreichen wollen. Dies gilt auch für die Forderung eines Mechanismus für das B-Waffen-Übereinkommen, durch das sichergestellt werden soll, daß die Einhaltung des B-Waffen-Übereinkommens überprüfbar wird, dem die Bundesrepublik Deutschland j a im April 1983 beigetreten ist.Die Ausgewogenheit von Verhandlungsergebnissen, meine Damen und Herren, bleibt der Maßstab auch für unsere Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik in den Vereinten Nationen. Ziel muß es sein, die Sicherheit aller Beteiligten auf einem möglichst niedrigen Niveau der Militärpotentiale zu verbessern. Niemand darf dabei einseitige Vorteile erlangen. Wir unterstützen deshalb die Bemühungen um konventionelle — nicht nur nukleare — Abrüstung und arbeiten aktiv in einer Expertengruppe über konventionelle Abrüstung mit.Ich komme zum Schluß. Meine Kolleginnen und Kollegen, es liegt mir daran, hier die seit Vorlage des Jahresabrüstungsberichts eingetretenen Entwicklungen im Rüstungskontrollbereich etwas ausführlicher darzulegen, um erneut deutlich zu machen, daß praktisch alle Elemente der sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Ost und West jetzt durch Verhandlungen erfaßt sind. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Stabilisierung der politischen Gesamtbeziehungen. Mit diesem dichten Verhandlungsnetz müssen Ergebnisse über konkrete und nachprüfbare Vereinbarungen und damit mehr Sicherheit mit immer weniger Waffen erzielt werden. Auf dieses Ziel hin
wird die Bundesregierung alle ihre Anstrengungen konzentrieren. — Und da Sie, Herr Vogt, sich nun erneut zu Wort melden, muß ich doch folgendes sagen: Uns beindruckt doch sehr, wie ausgerechnet die Gruppe in diesem Parlament, die durch ihre erste Sprecherin bei der Debatte über die Regierungserklärung die Friedlichkeit nicht nur als Ziel, sondern auch als Mittel ihrer eigenen Politik propagiert hat,
mit einer Sprache und einem Ton in diesem Parlament auftritt,
die den Gedanken an Friedlichkeit vermissen lassen.
Und ich möchte sagen: Solange Sie friedliche Politik von dieser Bundesregierung, von den Fraktionen in diesem Parlament verlangen, aber gleichzeitig Entschließungen herausgeben wie die sogenannte Kölner Erklärung, in der es wörtlich heißt — ich zitiere jetzt —:Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Unser politischer Gegner, das sind die in Bonn herrschenden politischen Kräfte.— und so geht es weiter —, solange jemand so redet, wie Sie es da mit dem „Hauptfeind" tun, soll er uns nicht kommen und Friedensliebe predigen.
Metadaten/Kopzeile:
2278 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Staatsminister MöllemannIch danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Kelly.
Liebe Freunde und Freundinnen! Herr Möllemann, dieses Zitat stammt nicht von den GRÜNEN. Ich würde Sie bitten, hier ehrlich vorzutragen, von wem dieses Zitat stammt.
Ich möchte ganz kurz mit einem Zitat aus dem „Stern" beginnen. Leider ist Herr Kohl nicht da. Ich hätte es ihm gern vorgetragen:Nach Hiroshima reist der Bundeskanzler nicht. Er braucht keine solche Demonstration, sagt er. Er habe das Grauen als Kind erlebt, Fliegeralarm im Keller überlebt und gesehen, wie man Verschüttete tot geborgen hat! Und wenn er dann noch an seinen toten Bruder denke! Also er wisse, was Krieg ist.Welch ein Irrtum! Hiroshima ist nicht Krieg. Hiroshima ist das Ende. Und so verpaßt er denn den Kniefall, von dem nicht nur die Seele satt geworden wäre: den Kniefall für den Frieden.Vier Monate benötigte die Bundesregierung, um die Großen Anfragen der GRÜNEN zu Atomwaffen und Giftgas in der Bundesrepublik zu beantworten. Fast ausnahmslos unbefriedigende, dennoch beklemmende Antworten, alle im Interesse der verbündeten Atommächte geäußert und gegen unsere Lebensinteressen! Es wird immer wieder betont, daß die Vollversammlung des Bundestages drei Grundrechte hat: Gesetzgebung, Kontrolle und Haushaltsrecht. Die Großen Anfragen sind dazu gedacht, Grundsatzfragen der Politik aufzugreifen. Außer der Prüfung und Änderung der Gesetzentwürfe verfügt das Parlament in bezug auf die Kontrolle der Regierung besonders über das Mittel der Großen Anfrage, der Fragestunde und der Aktuellen Stunde, bei denen die Regierung im Plenum Rede und Antwort stehen muß. Im Bundestagsplenum sollten auch die politischen Vorgänge und die Kräfteverhältnisse durchsichtiger werden. Die Rolle des Bundestages als höchstes demokratisches Organ soll sich am deutlichsten im Plenum widerspiegeln.Doch wie ist es um die parlamentarische Demokratie bestellt? Unsere Redezeit zu fünf Großen Anfragen, die wir an die Bundesregierung gestellt haben, sowie die Redezeit in bezug auf den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung sollen drastisch eingeschränkt werden. Unsere Großen Anfragen
waren zum Thema Atomwaffen — Rechtsgrundlage, Herr Möllemann, Atomeinsatz — Vetorecht,Atomwaffen — „Pakete" gegen die Bundesrepublik,Atomwaffen-Einsatzverhinderung und Atomwaffen-Einsatzfolgen.
Ich möchte an dieser Stelle den französischen Admiral Sanguinetti zitieren, weil er uns alle nachdenklich machen muß:Wenn man an einer Atomexplosion teilgenommen hat, dann stellt man keine Fragen mehr. Man ändert schlagartig seine Denkgewohnheiten. Unabhängig davon, in welchem Lager man sich befindet: Man wird niemals wieder in der gleichen Weise argumentieren wie vorher.Er sagt, er habe an sechs Atombombenexplosionen seines Landes teilgenommen. Doch anders denken, das durfte nicht sein. Als sich Admiral Sanguinetti so äußerte, wurde er postwendend entlassen.Wie schon in vorausgegangenen Antworten leugnet die Bundesregierung den grundlegenden Unterschied zwischen Atomwaffen und konventionellen Waffen. Atomwaffen als bessere Artillerie! Die Bundesregierung ignoriert, daß Atomwaffen keine Kriegswaffen im Sinne des Völkerrechtes, sondern illegale, blinde Waffenvernichtungswaffen sind. Art. 25 des Grundgesetzes erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes zum Bestandteil unserer Verfassung. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes gehen den Gesetzen vor und erzeugen unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bevölkerung und für die Bewohner des Bundesgebietes. Solche Prinzipien wie die Ächtung des Angriffskrieges und die Ächtung von Erstschlagswaffen werden also von der Verfassung ausdrücklich mit übernommen. Völkerrechtsprinzipien sind als Rechtsgut in jedem Fall höhenwertig als eine Straßenverkehrsordnung, so meinen wir.Da die Stationierung der neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen in unserem Lande den Atomkrieg wahrscheinlicher macht und da ihr die Doktrin vom atomaren Erstschlag zugrunde liegt, ist diese Stationierung verfassungswidrig. Diese Auffassung wird von vielen prominenten Staats- und Verfassungsrechtlern, z. B. von dem ehemaligen Verfassungsrichter Martin Hirsch, geteilt.Aus den Antworten lassen sich Standpunkte der Bundesregierung entnehmen. Herr Möllemann, zu einem haben Sie kein Wort gesagt: Die Bundesregierung räumt in diesen Antworten erstmals ein, es könne im Kriegsfall dazu kommen, daß NATOAtomwaffen gegen Ziele in der Bundesrepublik eingesetzt werden können. In Ihrem Bericht, Herr Möllemann, findet sich kein Wort davon, daß die Bundesregierung keine Maßnahmen vorgesehen hat, solche Einsätze zu verhindern. Sie beabsichtigt auch nicht, solche Maßnahmen vorzusehen. Die Bundesregierung ist auch der Auffassung, daß Atomwaffeneinsätze gegen militärische Ziele in der Bundesrepublik nicht notwendigerweise auch zivile Ziele verwüsten. Die Bundesregierung verzichtet auf deutsche Kontrollen der ausländischen Militärstützpunkte, Waffen- und Giftgaslager auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2279
Frau KellyIn den Antworten der Bundesregierung wird immer wieder von dem angestrebten Ziel der NATO gesprochen, Herr Wörner, von der Verhinderung eines Krieges durch glaubwürdige Abschreckung. Die unaufhörliche Aufrüstung ist jedoch längst über den perversen Abschreckungsauftrag hinausgegangen. Wenn die Bundesregierung über die Strategie der NATO Auskunft gibt, so vergißt sie die kleinen militärischen Feinheiten. So stellt die amerikanische Fachzeitschrift „Military Review" z. B. in einem Artikel fest — ich zitiere —, daß die Dienstvorschrift FM 100/5 nicht nur den Ersteinsatz, sondern auch die Möglichkeit eines Erstschlages vorsieht. Haben der Bundeskanzler, Herr Kohl, und der Verteidigungsminister, Herr Wörner, nicht mitbekommen, daß sich in der NATO-Strategie seit 1967 Grundsätzliches verändert hat? Die der Denkfigur der Abschreckung inhärenten Widersprüche zeigen sich auch in der NATO-Strategie der angemessenen Erwiderung. Atomwaffen sollen abschrecken, werden aber um der Glaubwürdigkeit willen zu Kriegführungswaffen weiterentwickelt. Militärische Einsatzplanung soll den Einsatz verhindern, muß ihn aber vorbereiten. Die Androhung eines umfassenden Atomkrieges soll Kriegsausbruch verhüten, doch die militärischen Planungen sehen um der Glaubwürdigkeit willen Begrenzungen der Atomkriege vor.In Krisensituationen ist das vorrangige politische Ziel angeblich die Deeskalation der Spannungen, um Krieg zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird aber das Mittel der Eskalation bereitgehalten. Das wissen Sie auch, Herr Wörner. Die Veränderung der Atomwaffen zu Gefechtsfeldwaffen mit begrenzter Schadenswirkung und ihr Einbau in die militärische Strategie der Kriegführung drohen diesen Waffen schon längst ihre abschreckende Wirkung zu nehmen.Die Antworten der Bundesregierung sind zynisch und voller Widersprüche. Die Bundesregierung schreibt z. B., daß Planung und Einsatz der NATO in bezug auf die Atomwaffen auf Wiederherstellung des Status quo ante zielen, wobei dem Grundsatz der Schadensbegrenzung eine besondere Bedeutung zukommt. Dies ist eine Feststellung, Herr Wörner und Herr Möllemann, die an Unwissenheit und Ignoranz nicht mehr zu überbieten ist. Wie die Bundesregierung beim Einsatz von Atomwaffen in der dichtbesiedelten Bundesrepublik die Einhaltung des Grundsatzes von Schadensbegrenzung sicherstellen will, bleibt ihr Geheimnis. Es dürfte jedermann klar sein, daß nach dem ersten Einsatz einer nur einzigen Atomwaffe nichts mehr so sein wird, wie es vorher war. Aber auch dazu wurde von Ihnen, Herr Möllemann, kein Wort gesagt.Ich kann an dieser Stelle aus Zeitnot nur auf zwei begrenzte Aspekte eingehen, und zwar im Sinne von exemplarischen Beispielen zum Thema des Vetoeinsatzes und des Vetorechts. Die Bundesregierung meint, daß die bestehenden Konsultationsverfahren den Interessen der Nichtnuklearmächte Rechnung tragen. Die Bundesregierung betont: Die Bundesrepublik sieht, insbesondere im Hinblick auf eine wirksame Abschreckung, keine Veranlassung, ein nationales Vetorecht anzustreben. Doch war es nicht der CSU-Chef Franz Josef Strauß, der im August 1983, diesmal wieder als Verteidigungspolitiker, neue Unruhe in die Koalition gebracht hat? Er forderte für die Europäer ein Vetorecht bei der Entscheidung über den Einsatz nuklearer Waffen. Und Strauß hat die alte Diskussion der 60er Jahre wiederbelebt, den NATO-Europäern einen zweiten Schlüssel zu geben, ohne den keine einzige stationierte US-Rakete abgefeuert werden kann. Peter Kurt Würzbach, Staatssekretär, erklärte damals, der Vorstoß von Strauß sei kein Thema. Wir wissen zur Zeit, daß Großbritannien ein Wort mitreden kann, und Frau Thatcher hat angekündigt, sie wolle dieses praktische Zwei-Schlüssel-System auch auf ihre Cruise Missiles ausdehnen. Wir wissen, daß die anderen Verbündeten kaum eine Mitsprache haben. Doch genau vor der Mitsprache warnen wir. Denn Mitsprache, Vetorecht, Zwei-Schlüssel-System, das kann ebensoschnell heißen: den deutschen Finger am Atomdrücker.Wir, die GRÜNEN, wollen kein Mitspracherecht in bezug auf die Entscheidungen über den Einsatz von Atomwaffen. Das ist zugleich ein Mitspracherecht in bezug auf ein Votum über Leben und Tod von Millionen von Bürgern. Wenn man die brisante Diskussion in den anderen Ländern verfolgt — Großbritannien, Italien —, so scheint es, als sei die Behauptung, man gehöre zum Kreis privilegierter Mitspracheländer, eher zur Beruhigung der Bevölkerung gedacht. Stände den Italienern tatsächlich ein Vetorecht zu, würde die Rechtfertigung für die erweiterte britische Mitsprache als die einer Nuklearmacht in sich zusammenfallen. Außerdem ständen Länder wie die Niederlande und Belgien, in denen das Nein der Bevölkerung unüberhörbar ist, längst bei den Amerikanern auf der Matte, um ebenfalls Sonderrechte zu verlangen.Die BRD
als größtes Stationierungsland und Hauptgefechtsfeld eines nuklearen Infernos ist sowieso Satellitenstaat und steht als drittklassiger Partner da — als drittklassiger Partner!Wir wollen kein Vetorecht, das praktisch auf eine Mitbestimmung beim Atomwaffeneinsatz auf deutschem Boden hinausläuft. Wir wollen ein Vetorecht, welches die Stationierung aller atomaren, biologischen und chemischen Waffen von vornherein verhindert. Das einzige zulässige Veto ist ein rechtzeitiges Veto von seiten der Bevölkerung. Vielleicht kann sich eine Regierung in Schwierigkeiten auch einmal vom Volk beraten lassen.
Die deutsche Bundesregierung hat nach Auffassung der GRÜNEN die verfassungsmäßige und völkerrechtliche Pflicht, unbedingt jegliche Stationierung von Massenvernichtungswaffen und jeglichen Einsatz auf und von deutschem Boden zu verhindern.
Metadaten/Kopzeile:
2280 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Frau KellyDie heutigen Rechtsgrundlagen für die Stationierung der Atomwaffen sind ja nach Auffassung der Bundesregierung zwei Verträge aus dem Jahre 1954, also unter Besatzungsrecht entstandene Diktatverträge. Atomwaffenstationierung als Besatzungsrecht —
ein Verstoß gegen die Souveränität der Bundesrepublik und ein Bruch des Völkerrechtes!In Ihrer Antwort auf die Anfragen gab die Bundesregierung bekannt, daß seit 1954 Atomwaffen hier lagern. Dies ist auch nach unserer Feststellung völkerrechtswidrig, denn Atomwaffen sind keine rechtmäßige Bewaffnung von Besatzungstruppen.Vor kurzem hat Strauß seine Meinung in bezug auf den zweiten Schlüssel geändert. Er erklärt nun, er bevorzuge eine Entsendung europäischer NATOVertreter in den Stab des Präsidenten. Dort könnten sie sich direkt informieren und einschalten. Einmal abgesehen davon, daß sich die Amerikaner kaum derartige Beobachter in ihren allerletzten Entscheidungsapparat setzen lassen, sieht der Strauß-Vorschlag sehr danach aus, daß sich Bonn durch die Hintertür doch noch zur Nuklearmacht machen möchte und damit am Aufbau einer europäischen Atomstreitmacht mitwirkt. Warum hat die Bundesregierung nicht deutlich ausgesprochen, was nach den Athener Beschlüssen in den Jahren 1962 bis 1969 klar und deutlich geworden ist? Ich zitiere:Nach diesen Beschlüssen werden die Europäer von den Amerikanern vor einem Nukleareinsatz konsultiert, wenn es die Zeit erlaubt.Herr Möllemann, „wenn es die Zeit erlaubt". Das ist die Sprachregelung, und darüber sprechen wir: „wenn es die Zeit erlaubt". Denken Sie an die Kuba-Krise, an die Konsultationsprozesse von Präsident Kennedy zu diesem Zeitpunkt! Dies freilich dürfte den US-Präsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit nicht einschränken. Doch dieser Grundsatz ist bisher von keinem Kabinett angetastet worden.Schalten wir ein bißchen in der Geschichte zurück zu dem Zeitpunkt, in dem Strauß, um die atomare Bewaffnung der noch jungen Bundeswehr durchzusetzen, vehement die Beschränkung der deutschen Befugnisse verteidigte. Kaum aber war im Mai 1958 von diesem Bundestag beschlossen worden, daß die Bundeswehr mit modernsten amerikanischen Waffen ausgerüstet werden sollte, eilte Strauß in die andere Ecke. Seine Lieblingsidee, auch die von Herrn Dregger, von der Atomstreitmacht Europa pflegte er mit öffentlichen Forderungen nach einem Mitbestimmungsrecht bei der Verwendung der strategischen Bewaffnung. Er verlangte ein System von Garantien und Formeln, das den europäischen NATO-Staaten das Bewußtsein und die Rolle als Partner gibt. So blieb Strauß den Gaullisten ein Gaullist und den Atlantikern ein Atlantiker.Der CDU/CSU-Fraktionschef Dregger ist wohl sehr traurig über den nicht wiedergutzumachendenFehler im Zusammenhang mit der Zwei-SchlüsselLösung; denn wie er immer wieder gesagt hat, träumt er von einem europäischen Bundesstaat und einer europäischen Streitmacht.Wie ich sehe, wandelt aber auch die SPD auf den Spuren des SPD-Verteidigungsexperten der 60er Jahre Fritz Erler. In einem Strategiepapier des Vorstandes aus dem Jahr 1983 wird wieder von einer Mitbestimmung über die nuklearstrategische Planung gesprochen sowie über ein mögliches Vetorecht gegen einen eventuellen Einsatz von Atomwaffen. Vielleicht sollte sich die SPD aber nicht so sehr um das Vetorecht gegen den Einsatz von Atomwaffen kümmern. Sie hätte sich vielmehr, so meine ich, darum kümmern sollen, wie der Stationierungsbeschluß vom 12. Dezember 1979 hätte verhindert werden können. Sie hätte sich in ihrer Regierungszeit darum kümmern sollen, wie sie die Giftgaslager aus diesem Land hätte entfernen können.Ein deutsches Vetorecht, mit dem verhindert werden soll, daß gegen den Willen der Bundesregierung von bundesdeutschem Territorium aus Nuklearraketen gestartet werden, ist nicht der Weg, den wir anstreben. Die Hand am Sicherheitshebel kann allzuleicht der Schleichweg und die Hintertür für das werden, das Herr Strauß und Herr Dregger einmal angestrebt haben.Wir meinen, daß es statt des Vetorechts die Durchführung einer konsultativen Volksbefragung geben muß; denn nur so kann sichtbar gemacht werden, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in diesem Lande die neuen Atomraketen ablehnt.Ist die Bundesregierung nun dabei — wie Brecht einmal sagte —, sich ein anderes Volk zu wählen? Warum wurde Mitte Oktober im Rechtsausschuß ein von den GRÜNEN und von der SPD beantragtes Expertenhearing zu juristischen Fragen des Atomwaffeneinsatzes abgelehnt? Warum spricht man im Petitionsausschuß nicht mit den Vertretern Zehntausender von Eingaben gegen eine Raketenstationierung und für eine konsultative Volksbefragung? Warum wird der von uns eingebrachte Gesetzentwurf für eine konsultative Volksbefragung als eindeutig verfassungswidrig bezeichnet?
Der Vorschlag für eine solche stärkere Einbeziehung der Bevölkerungsmeinung in die parlamentarische Willensbildung kommt selbst aus dem Umfeld der Bundesverfassungsrichter. Die Aufstellung der neuen Massenvernichtungsmittel wird nicht nur als gefährliche Eskalation empfunden, sondern auch als existentielle Bedrohung. Deswegen forderte auch Bundesverfassungsrichter Helmut Simon eine stärkere Einbeziehung der Bürger in den Entscheidungsprozeß. Wir fordern ein Grundrecht auf Mitbestimmung in Sachen Krieg und Frieden.Die Sicherheitspolitik und damit auch die Bundesrepublik befinden sich an einer Wegegabel. Die Entscheidung, welcher Weg heute beschritten wird, ist eine Entscheidung für Jahrzehnte. Die Steige-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2281
Frau Kellyrung oder Verminderung der Abrüstungschance ist keine abstrakte Sache, um die sich der Bürger nicht kümmern muß. Sie hat allein mit seinem grundgesetzlich garantierten Recht auf Leben zu tun — Art. 2 des Grundgesetzes —, das das Bundesverfassungsgericht gerade dazu veranlaßt hat, ein diesbezügliches Grundrecht auf Mitwirkung festzustellen. Vielleicht sollten Sie auch das nachlesen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.Das hat auch mit dem bewußten, oft aber auch unbewußten Ausmaß an Angst zu tun, mit dem der Bürger angesichts der atomaren Bedrohung leben muß. Angstfreiheit in menschenmöglichem Maße gehört auch zu den Grundrechten jedes Bürgers.Wir meinen, die Bundesregierung und ihre parlamentarische Mehrheit können nicht behaupten, sie hätten am 6. März 1983 das Mandat erhalten, in der Sache Raketenstationierung zu tun und zu lassen, was sie für richtig erachten.
Dieses Mandat haben Sie demokratisch gesehen nicht. So sehr in Art. 38 des Grundgesetzes die Unabhängigkeit der Repräsentanten prinzipiell statuiert ist, so wenig darf doch verkannt werden, daß sie letztlich all ihre Legitimation und Kraft aus der prinzipiell geltenden Volkssouveränität ziehen. Bestimmte existentielle Entscheidungen, so meinen wir, bedürfen einer mehr als üblichen Legitimation.
Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes sagt:Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung ... ausgeübt.Wo bleibt eigentlich in diesem Bundestag das Bundesabstimmungsgesetz?
Da uns aber im Grunde genommen keine Zeit zur Verfügung steht, auf all die anderen Großen Anfragen einzugehen, auf die unbefriedigenden Antworten dieser Bundesregierung einzugehen — es muß ja wohl möglich sein, im Bundestag zu den unbefriedigenden Antworten zu sprechen; das können wir in diesen 20 Minuten nicht tun —, werden wir das jetzt draußen in der Öffentlichkeit machen.Ich möchte darauf hinweisen: Es ist nicht demokratisch, fünf Große Anfragen in diesem Stil unbeantwortet zu lassen, wie dies geschehen ist, Herr Möllemann. Aus diesem Grund werden wir aus Protest den Saal verlassen und die Antworten der Bundesregierung draußen erläutern.
Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Länge der Redezeit, die der Vertreter der Bundesregierung in Anspruch genommen hat, habe ich der Fraktion DIE GRÜNEN nach § 35 Abs. 2 der Geschäftsordnung eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten gegeben.
Ich bitte deshalb, diese Zettel dort zu entfernen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Berger .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, daß die GRÜNEN den Saal verlassen haben, erspart es mir, nun besonders auf die Rede der Kollegin Frau Kelly einzugehen. Aber eine Bemerkung möchte ich dennoch machen: Mir ist einmal mehr aufgefallen, daß die GRÜNEN jede Verteidigung ablehnen, aber unentwegt über Waffen sprechen.
Ich finde das einen klassischen Widerspruch.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß Demokratie wohl mit der Geschäftsordnung beginnt,
während die GRÜNEN offensichtlich dabei sind, sogar die Verfassung überspielen zu wollen und dazu auch das Mittel des glatten Rechtsbruchs anwenden. Dies ist kein positiver Beitrag für die deutsche Politik.
Meine Damen und Herren, im Unterschied zu Herrn Staatsminister Möllemann gehöre ich zu den Kollegen im Hause, die den letzten Krieg noch miterlebt haben. Ich habe als Kind die Stadt Mainz brennen sehen und das nicht nur bei Weinfreunden beliebte Schloß Johannisberg. Ich habe also Erfahrungen, was Krieg bedeuten kann. Ich weiß auch noch, wie zur damaligen Zeit wohl alle Deutschen geglaubt haben, dies sei der letzte Krieg gewesen, unter dem sie, unter dem die Menschheit gelitten habe. Das Stichwort „Nie wieder Krieg!", das auch in der Diskussion dieser Tage immer wieder zitiert wird, war dort und damals wohl allgemeine Überzeugung.Aber dann mußten wir sehr schnell erfahren, daß Gewalt nicht aus der Welt war, daß weiter Menschen unter fremder Herrschaft und Gewaltherrschaft leiden mußten. Wir mußten erfahren, wie z. B. die Siegermacht Sowjetunion das Jalta-Abkommen gebrochen hat. Statt Demokratisierung der von ihr unterworfenen und militärisch besetzten Gebiete begann sie dort eine brutale Sowjetisierung. Dies war der Ausgangspunkt dafür, daß wir in unserer Staatlichkeit die Frage gestellt haben, ob es lohnt, dieses neue Gemeinwesen zu verteidigen.Die Diskussion dieser Tage, meine Damen und Herren, kann man unter vier Fragen zusammenfassen. Erstens. Lohnt es, dieses Gemeinwesen wirklich zu verteidigen? Zweitens. Gibt es etwas, was uns bedroht? Drittens. Haben wir eine Chance, dieser Bedrohung zu entgehen? Viertens. Wenn wir
Metadaten/Kopzeile:
2282 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Bergereine solche Chance haben, haben wir dann nicht auch die Pflicht, dieser Bedrohung zu begegnen?Meine Damen und Herren, dieser Staat, die Bundesrepublik Deutschland, ist der freieste Staat der deutschen Geschichte. Nie zuvor war mehr Freiheit verwirklicht und, wie ich hinzufüge, auch mehr soziale Gerechtigkeit. Dies ist ein Gemeinwesen, das sich gründet auf die unantastbare Würde des Menschen und auf die Freiheit des Einzelnen, das das Gemeinwesen, den Staat, an eine Rechtsordnung bindet, die es unmöglich macht, daß etwa der Staat in seinem Innern diese Menschenwürde nicht in dem notwendigen Umfang und auf Dauer gewährt.Wir müssen aber auch erkennen, daß dies nicht überall in der Welt der Fall ist. Die katholischen Bischöfe haben in ihrem Hirtenwort darauf hingewiesen, daß der Friede nicht etwa zunächst durch Waffen oder durch den Rüstungswettlauf bedroht sei, sondern durch die Tatsache, daß es totalitäre Diktaturen gebe, die in ihrem Herrschaftsbereich menschliche Würde nicht nur nicht gewährten, sondern unterdrückten und darüber hinaus die Tendenz hätten, diese ihre Gesellschaftsform anderen aufzuzwingen. Solange dies so ist, meine sehr geehrten Kollegen auf allen Seiten dieses Hauses, behaupte ich, daß das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland, daß dieser unser Staat es wert ist, daß wir ihn verteidigen.
Gegenüber dieser unverkennbaren Bedrohung müssen wir die Pflicht des Art. 1 des Grundgesetzes erfüllen, die da lautet:Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Solange dies so ist, meine Damen und Herren, bleibt die Sicherheit unseres Gemeinwesens nach außen eine der ersten Aufgaben, ja, der Organisationszweck des Staates überhaupt. Wir können nicht denen vertrauen, die etwa Gewaltfreiheit als prinzipielles Mittel der Politik dahin gehend auslegen, daß sie sagen, es sei sittlich nicht erlaubt, die Vorkehrungen zu treffen, die wir brauchen, um gegenüber der Bedrohung von außen bestehen zu können.Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sagte in diesem Zusammenhang:Es dient dem Frieden nicht, wenn die Bergpredigt mißdeutet wird. Die Mahnung zur Versöhnung und zum Verzicht auf Vergeltung gilt nicht nur für den einzelnen Christen, sondern auch für die Staaten. Der Heilige Augustinus hat darauf hingewiesen, daß grausame Rachsucht und unversöhnliche Gesinnung auch im Kriege schuldhaft sind. Es kann der Fall eintreten, daß ein Staat um des Friedens willen auf Rechtsansprüche verzichten muß.Aber dann fährt er fort: Die Aufforderung Jesu zur Versöhnung und zum Verzicht auf Rache bedeutet jedoch nicht, daß Recht und Ordnung aufgehoben werden. Die staatliche Gewalt, die das Zusammenleben der Menschen durch die Rechtsordnung sicherstellt, ist von Gott eingesetzt. Nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienste Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut.Meine Damen und Herren, dies meine Antwort an Franz Alt.Gestern war der Geburtstag Martin Luthers.
Auch er hat einmal darüber nachgedacht, Herr Klejdzinski, ob es möglich sei, die Welt etwa mit der Bergpredigt zu regieren. Er sagte dazu:Die Welt mit der Bergpredigt regieren zu wollen, das wär', also tät' ein Hirt in einem Stall zusammen Wolf, Löwe, Adler und Schaf. Da würde das Schaf wohl Frieden halten, aber nicht lange leben.Lassen Sie mich ein letztes Zitat in diesem Zusammenhang nachtragen. Der jetzige Papst, Johannes Paul II., hat vor kurzem auf dem Katholikentag in Wien in diesem Zusammenhang ein bedeutendes Wort gesprochen. Der Katholikentag dort wurde übrigens im Gedenken an eine erfolgreiche europäische Verteidigung gegenüber einer asiatischen Gefahr veranstaltet. Der Papst sagte:Die Bergpredigt zwingt uns, im Feind den Bruder zu sehen, selbst wenn wir uns seines Angriffes erwehren müssen.Meine Damen und Herren, knapper und präziser kann man diesen Sachverhalt nicht zusammenfassen.
Ich möchte nun darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß unsere Außen- und Sicherheitspolitik von Anfang an diesem Geist gefolgt ist und auch heute noch folgt. Dies wird aus der Antwort der Bundesregierung auf die zitierten Großen Anfragen deutlich. Dies wird insbesondere einmal mehr in diesem Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1983 deutlich.Wir, d. h. der freie Westen, die von uns eingesetzten militärischen Mittel und Strukturen, wir bedrohen niemanden. Unsere Waffen sind ausschließlich zur Verteidigung gedacht. Durch unsere Waffen muß sich niemand bedroht fühlen, es sei denn der, der uns angreifen wollte. Wir haben im Westen, und dies die gesamte Zeit hindurch, unsere Anstrengungen zur äußeren Sicherheit unter das Gesetz der strategischen Defensive gestellt. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Die Strukturen der NATO und ihre Potentiale ermöglichen keinen Angriff. Wir suchen zudem unsere Sicherheit darauf zu gründen, daß wir nicht etwa in der Lage sein wollen, einen Krieg erfolgreich zu führen und zu been-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2283
Bergerden, auch nicht einen Verteidigungskrieg. Wir wollen vielmehr in der Lage sein, einen solchen Krieg von vornherein durch Abschreckung zu verhindern. Abschreckung, die Strategie der flexiblen Antwort im Bündnis bedeutet nichts anderes, als daß wir sicherstellen wollen, daß derjenige, der uns angreifen wollte, dies nicht ohne unannehmbares Risiko für sich selbst könnte.
Dies ist ein hohes politisches Ziel, das wir übrigens nur im Bündnis erreichen und verwirklichen können. Deswegen ist der Zusammenhalt des Bündnisses für unsere Sicherheit eine entscheidende Größe. Wir haben diese Sicherheitspolitik unter drei Prinzipien gestellt und verfolgen diese in der Kontinuität sämtlicher Bundesregierungen seit dem Beitritt in das westliche Bündnis.Erstens: prinzipieller Gewaltverzicht. Das heißt, daß wir ein- für allemal und feierlich in allen Verträgen seither abgeschworen haben, etwa ein politisches Ziel durch den Gebrauch oder durch die Androhung von Gewalt durchsetzen zu wollen. Diesem Prinzip entspricht dann natürlich auch, daß wir nur soviel Rüstung haben, wie wir zu der genannten Abschreckung und zur Verteidigungsfähigkeit brauchen, und nicht etwa Rüstungspotentiale unterhalten, die wir für eigene Sicherheit nicht bräuchten, die aber andere bedrohen könnten.Das zweite Prinzip folgert sich daraus. Es ist das Prinzip des Gleichgewichts. Wenn ich von Gleichgewicht spreche, meine ich nicht ein numerisches, ein zahlenmäßiges. Das ist nicht zu haben, schon angesichts der geopolitischen Asymmetrien, in denen wir leben und in die diese Welt nun einmal aufgeteilt ist.
Ich meine dieses Gleichgewicht funktional, ein Gleichgewicht der Optionen. Es darf, Herr Kollege Voigt, keiner Seite ein Monopol an einem Waffensystem zugestanden werden, das es ermöglichte, daß eine Seite in diesem Konflikt, den wir nicht leugnen können, in der Lage wäre, sämtliche Abschrekkungsvorkehrungen der anderen Seite zu unterlaufen.
— Ich muß aus Kollegialität in drei Minuten schließen. Ich kann deswegen keine Zwischenfrage zulassen.Das dritte Prinzip — davon handelt der Bericht der Bundesregierung zum gegenwärtigen Stand der Abrüstungsbemühungen —, das den Gewaltverzicht und das Gleichgewicht ergänzt, ist die Bereitschaft zur Abrüstung und Rüstungskontrolle, allerdings mit dem Ziel, auf diese Weise mehr Sicherheit zu gewinnen, nicht etwa weniger.
Abrüstung und Rüstungskontrolle sind nicht losgelöste absolute Mittel oder Alternativen zur Sicherheit. Nein, es sind integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Wir müssen darauf achten, daß bei allen diesen einzelnen Schritten, die wir wollen und um die wir ringen — der Bericht der Bundesregierung macht deutlich, an wie vielen Tischen wir als Bundesrepublik Deutschland im Bündnis, außerhalb des Bündnisses, im KSZE-Prozeß, in Genf bei dem dortigen Unterausschuß initiativ sind —, deutlich wird, wie sehr wir uns um das Ziel der Abrüstung bemühen. Diese Abrüstung muß aber unserer Sicherheit dienen und darf uns nicht etwa neuen Gefährdungen aussetzen.Ich möchte zu diesem Bericht der Bundesregierung nicht mehr viel sagen, sondern vielleicht ein zusammenfassendes Zitat an den Schluß meiner Betrachtungen stellen, das diese noch einmal verdeutlicht:Der zweite Bestandteil der Sicherheitspolitik des Bündnisses ist eine Politik der Friedensgestaltung durch Dialog und Zusammenarbeit. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind integrale Teile dieser Politik. Rüstungskontrollverhandlungen sind Instrument kooperativer Friedenssicherung auf militärischem Gebiet. Ihr Ziel ist es, ein stabiles Kräftegleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau wiederherzustellen.Herr Kollege Voigt, ich bin überzeugt davon, daß es auch in Genf um nichts anderes geht. Die Sowjets haben durch diese Monopolsysteme, die sie sich geschaffen haben, das Gleichgewicht verletzt. Wir müssen mit ihnen darum ringen, daß sie es ermöglichen, daß dieses Gleichgewicht um unserer wechselseitigen Sicherheit willen in Europa wiederhergestellt wird.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß die Frage des Monopols in der einen oder anderen Waffenkategorie die politische und militärische Bedeutung hat, die Herr Kollege Berger ihr zurechnet. Aber wenn sie sie wirklich haben sollte, dann dürfte eigentlich der Kollege Berger nicht für die Stationierung der Cruise Missiles auf Land in Europa sein. Denn nach der Stationierung der Cruise Missiles auf Land in Europa hat in dieser Waffenkategorie der Westen zumindest für eine längere Zeit ein Monopol.Mir geht es aber um andere Fragen und auch andere Schwerpunkte. Auf Grund des bisherigen Verlaufs der Debatte und auch auf Grund der Vorlagen, die die Debatte begründen, möchte ich an alle Fraktionen des Bundestages — auch diejenige, die zur Zeit nicht anwesend ist — den Appell richten: widerstehen Sie in der friedenspolitischen Debatte einer um sich greifenden Militarisierung von Sprache und Denken.
Metadaten/Kopzeile:
2284 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Voigt
Wer Kriegsgefahren abwehren und Frieden schaffen will, muß auch von Waffentechnologien und Militärstrategien reden, vor allem aber muß er von Versöhnung, von Zusammenarbeit sprechen, für den Abbau von Feindschaft, für Vertrauensbildung und für einen friedlichen Interessenausgleich werben. Friedenspolitik ist mehr als jede herkömmliche, aber auch mehr als die beste alternative Militärpolitik. Auch kein alternativer Clausewitz vermag den Weg fort von der Angst vor der atomaren Apokalypse zu den Seligpreisungen der Bergpredigt zu führen.Und lassen Sie uns die Debatte über die Abwehr von Kriegsgefahren nicht unter einer ausschließlich auf Europa und den Ost-West-Konflikt verengten Sicht führen. Dies gebietet unsere Solidarität mit denen, die in der Dritten Welt unter militärischer Unterdrückung, unter den sozialen Folgen der Rüstungslasten und unter zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen leiden. Aber auch unser eigenes Interesse verbietet es uns, bei den zahlreichen militärischen Konflikten in Ländern der Dritten Welt die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers einzunehmen. Es ist gegenwärtig wahrscheinlicher, daß ein dritter Weltkrieg aus einem Konflikt in der Dritten Welt, als aus dem Gegensatz von Ost und West in Europa entsteht.Von der deutschen Verantwortung für eine aktive Friedenspolitik reden, heißt deshalb auch die mit dem Besuch Bundeskanzler Kohls in Saudi-Arabien eingeleitete verhängnisvolle Wende in der bundesdeutschen Sicherheitspolitik und Rüstungspolitik zu verurteilen.
Ich füge hinzu: es darf auch nicht zur Lieferung eines U-Bootes an das Chile Pinochets kommen.Wir leben militärisch und geographisch an der Nahtstelle des Ost-West-Konflikts. Die Reagan-Administration sieht als Ursache für Krisen in Ländern der Dritten Welt vor allem die Hand Moskaus und nicht wie wir die Folgen von sozialer Not, Ausbeutung und Unterdrückung. Sie greift wie in Grenada zu militärischen Mitteln, wo zu allererst politische, wirtschaftliche und soziale Lösungen geboten sind. Dieser Art von falscher Ost-West-Politik in der Dritten Welt ist kein Beitrag, sondern ein Risiko für unsere Sicherheit.
Wir sind so exponiert in unserer geographischen Lage, daß wir nicht auch noch zusätzlich gegen unseren Willen mit den Risiken von militärischen Engagements der USA außerhalb Europas verkoppelt werden wollen. Dies ist für mich einer der wichtigsten Gründe gewesen, um die alte Forderung von Fritz Erler nach einem Vetorecht wiederaufzugreifen.Die Forderung nach einem Vetorecht ist für die Bundesrepublik natürlich nur so lange von praktischer Bedeutung, wie Atomwaffen gelagert werden. Wir Sozialdemokraten treten für die Vereinbarung über atomwaffenfreie Zonen ein. Wir unterstützen die Vorschläge der Palme-Kommission. Aber trotzdem müssen wir doch wohl realistischerweise davon ausgehen, daß es noch einige Jahre dauern könnte, bis selbst diese begrenzten Vorschläge in die Wirklichkeit umgesetzt worden sind. Ein Vetorecht ist eine — aber nicht die einzige — denkbare Lösung mit dem Ziel einer verbesserten Interessenvertretung von Staaten, in denen Nuklearwaffen der USA stationiert sind. Ich kenne auch gewichtige Argumente gegen diese Forderung. Die SPD wird alle Argumente Pro und Kontra vor einer endgültigen Entscheidung ihrer Fraktion über die Frage des Vetorechts sorgfältig abwägen.Aber auch die GRÜNEN sind in dieser Frage keineswegs so einhelliger Meinung, wie Petra Kelly das hier hat erscheinen lassen. In einer offiziell veröffentlichten Zwischenbilanz gegen die Kriegsgefahr, einer Bilanz, die die GRÜNEN am 28. Juli 1983 veröffentlicht haben, heißt es:Die Bundesregierung verzichtet auf das Vetorecht gegen Atomwaffeneinsätze verbündeter Atomwaffenstaaten gegen Ziele in der Bundesrepublik und vom Boden der Bundesrepublik aus. Damit verzichtet die Bundesregierung auf den im Krieg überlebensentscheidenden Kern der nationalen Souveränität der Bundesrepublik. Die Bundesregierung verstößt damit gegen das Grundgesetz.Weiter heißt es:Dieses Vetorecht ist nach Auffassung der GRÜNEN im Zeitalter der Atomwaffen unverzichtbares Kernstück der nationalen Souveränität.So weit würde ich zwar nicht gehen, aber es macht deutlich, daß die Diskussion auf alle Parteien dieses Hauses übergreift.Wir können für die Sozialdemokraten verbindlich feststellen: Kein Sozialdemokrat strebt nach dem Finger am Abzugshebel. Kein Sozialdemokrat will den Status der Bundesrepublik als Nichtnuklearwaffenstaat in Frage stellen. Im Gegenteil: Wir wollen ein Verhandlungsergebnis in Genf, eine Regierungspolitik in Bonn und eine parlamentarische Entscheidung im Bundestag, die dazu führt, daß überhaupt keine Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik stationiert werden. Um jedes Mißverständnis von vornherein auszuschließen: Wir wollen nach wie vor ein Verhandlungsergebnis in Genf, das — zusammen mit einer drastischen Verringerung der sowjetischen SS-20-Rüstung — zum völligen Verzicht auf die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles führt.Wenn die Bundesregierung auf einen konstruktiven Kompromiß für die Berücksichtigung der britischen und französischen Systeme drängen würde, wenn der Westen bereit wäre, als Gegenleistung für eine drastische Verringerung der sowjetischen Mittelstreckenwaffen in Genf einen völligen Verzicht auf die geplante Stationierung anzubieten, dann — und davon bin ich fest überzeugt — wäre die Sowjetunion bereit, über ihre bisherigen Angebote für eine Verringerung der Zahl ihrer SS-20-Raketen erheblich hinauszugehen. Aber die Bundesregierung tut nichts für ein solches Verhandlungsergebnis.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2285
Voigt
Auch die lebhafte Reisetätigkeit von Bundeskanzler Kohl und Bundesaußenminister Genscher nach Ost und West dient mehr der psychologischen Verharmlosung der Stationierungsfolgen als tatsächlichen Fortschritten bei den Genfer Verhandlungen.
Nicht nur Franz Josef Strauß, sondern auch andere führende Vertreter der Koalitionsparteien warnen sogar vor weitergehenden Kompromissen. Das, worauf wir Sozialdemokraten drängen, versuchen Christdemokraten zu sabotieren. Es wird immer offensichtlicher: Für die Vertreter der Koalitionsparteien ist die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen der USA wichtiger als die drastische Reduzierung der sowjetischen SS-20-Rüstung.
Es ist beschämend, daß ausgerechnet Bundesaußenminister Genscher
einen Vorschlag der griechischen Regierung zur zeitlichen Verschiebung des Stationierungsbeginns als erster zurückwies.Willy Brandt hat angeregt, die westliche Bereitschaft zur Verschiebung des Stationierungsbeginns mit einer Forderung an die Sowjetunion, mit dem Abbau ihrer SS-20-Rüstung zu beginnen, zu verbinden. Ähnlich haben sich der DGB, aber auch — in den letzten Tagen — der rumänische Staatschef Ceaucescu geäußert.
Wir begrüßen dies und unterstützen solche Forderungen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Werden Sie nicht zum abrüstungspolitischen Aussteiger! Wiederholen Sie nicht gebetsmühlenartig alte Positionen und alte Vorschläge, sondern werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht und drängen Sie in den wenigen Tagen, die noch Zeit ist, auf neue, wirklich kompromißfähige westliche Vorschläge!
Durch Ihre abrüstungspolitische Tu-nix-Politik werden Sie entscheidend mitverantwortlich für ein mögliches Scheitern der Genfer Verhandlungen.Wir warnen: Ihre Politik führt nicht, wie Bundeskanzler Kohl versprochen hat, zum Frieden mit immer weniger Waffen, diese Politik führt zur Aufrüstung statt zur Abrüstung, zu mehr Spannung statt zu einem stabileren Frieden.
Die Bundesregierung täuscht die deutsche Öffentlichkeit, wenn sie den Eindruck erweckt, als würdendie Genfer Verhandlungen auch nach einem Beginnder Stationierung ohne Unterbrechung fortgeführt und zügig zu einem Ergebnis gebracht werden. Nach einem Beginn der Stationierung sind die Genfer Verhandlungen in ihrer bisherigen Form und für einen längeren Zeitraum am Ende. Daß dies so sein wird, weiß die Bundesregierung spätestens, seitdem sie hierüber vom sowjetischen Botschafter Semjonow informiert worden ist.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt gestern deshalb zu Recht, es sei sicherlich, so wörtlich, „viel berechnete Rhetorik dabei, wenn der Kanzler ständig versichert, in Genf bestünden noch Verhandlungsmöglichkeiten". Ich möchte hinzufügen: Es ist entlarvend für den geringen Einfluß der Bundesregierung auf die Administration der Vereinigten Staaten und noch bezeichnender für die oberflächliche Leichtfertigkeit Bundeskanzler Kohls, daß er nach der Rückkehr aus Tokio einen neuen westlichen INF-Vorschlag ankündigt und dieser prompt danach vom amerikanischen Verteidigungsminister Weinberger dementiert wird.
Obwohl der Beginn der Stationierung eine einschneidende politische Weichenstellung bedeutet, weigert sich die Bundesregierung, die Förderung des dänischen Folketings nach einer erneuten politischen Einschätzung des bisherigen Verhandlungsverlaufs durch die NATO zu unterstützen. Diese Weigerung widerspricht dem Sinn des NATO-Doppelbeschlusses. Wir Sozialdemokraten wenden uns gegen diese Abkehr der Bundesregierung vom NATO-Doppelbeschluß
und fordern eine außerordentliche Sitzung des NATO-Rates zumindest auf Ministerebene noch vor dem 22. November.
Wir verlangen auch, daß die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag verbindlich erklärt, daß auf keinen Fall mit der Stationierung der Pershing II begonnen wird, bevor der Bundestag nach Abschluß seiner Debatte am 21. und 22. November über die Stationierung entschieden hat.
Ich füge hinzu: Die Diskussion, die wir jetzt im Zusammenhang mit Frankfurt-Hausen haben, wobei Frankfurt-Hausen in diesem Fall in Wirklichkeit Frankfurt-Industriehof ist, über die Lagerung von bestimmten Teilen der Pershing II haben, konnte nur entstehen, weil die Bundesregierung und die Koalitionsparteien im Juni einen Antrag der SPD abgelehnt haben, der zum Inhalt hatte, daß vor dem Beginn und dem Abschluß unserer Debatte keine Teile, auch keine Systemteile der Pershing in die Bundesrepublik verbracht werden sollen.
Metadaten/Kopzeile:
2286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Voigt
Über eine solche verbindliche Erklärung seitens der Bundesregierung, wie ich sie soeben erwähnt habe, hinaus muß ich sagen: Wenn solche Erklärung nicht erfolgt, dann würde unsere Beratung und Entscheidung zur Farce. Der Parlamentarismus würde als Opfer eines exekutiven Zynismus zur Zielscheibe öffentlichen Gespötts werden.Ich stimme der Feststellung Richard Löwenthals vom 29. Oktober dieses Jahres ausdrücklich zu:
„Nach meiner Meinung haben die Vereinigten Staaten nicht alles getan, was getan werden konnte." Richard Löwenthal fügt ausdrücklich hinzu, daß dies keine Kritik an Paul Nitze sei, „sondern an den Leuten, von deren Weisungen er abhängig ist".Der Erfolg oder Mißerfolg der Genfer Verhandlungen und auch die Entscheidung des Deutschen Bundestages für oder gegen die Stationierung beinhalten eine der wichtigsten Weichenstellungen unserer Außen-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik in den letzten Jahren. Aber ich warne auch vor apokalyptischen Untergangsvisionen. In Europa steht kein Krieg bevor.
Die NATO beabsichtigt keinen Angriff auf den Warschauer Pakt.
Der Warschauer Pakt beabsichtigt keinen Angriff auf die NATO. Es könnte gegenwärtig auch keine Seite einen Angriff kalkuliert riskieren. Auch besitzt keine Seite gegenwärtig eine ausreichende Überlegenheit, um die andere Seite politisch erpressen zu können.Trotz der angespannten Lage zwischen Ost und West ist die Lage in Europa heute friedenspolitisch stabiler als zu manchen Zeiten während der Jahrzehnte nach dem Beginn des Kalten Krieges. Daß die Spannungen zwischen Ost und West heute nicht von Berlin und nicht von den beiden deutschen Staaten ausgehen, ist das Verdienst der Friedens- und Entspannungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Dies ist das Ergebnis einer erfolgreichen Vertragspolitik.
Ein neuer konstruktiver Geist in den Ost-WestBeziehungen ist friedenspolitisch meiner Meinung nach bedeutsamer als die beste alternative verteidigungspolitische Konzeption.Ich halte die Veränderung der bisherigen NATODoktrin der flexiblen Reaktion für sinnvoll und möglich. Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß die NATO zunehmend auf die Androhung des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen verzichten kann und davon unabhängig gemacht wird. Wir müssen die Möglichkeit der Ersetzung von Nuklearwaffen durch konventionelle Waffen überprüfen. Wir wollen nuklear abrüsten, ohne konventionell aufzurüsten. Wir wollen in Ost und West eine wirklich defensive Militärstrategie. Wir wollen die Risiken der wechselseitigen nuklearen Abschreckung verringern.Die Entwicklung von Nuklearwaffen führt zu einer veränderten Funktion des Soldaten im Krieg: Menschen können sich im Nuklearkrieg massenhaft wechselseitig vernichten, ohne daß viele Soldaten aktiv an dieser Vernichtung beteiligt sind. Die Risiken eines Nuklearkrieges werden auch dann nicht geringer, wenn viele potentielle Soldaten den Kriegsdienst verweigern. Auch der tapferste Einsatz von Soldaten vermag die Zivilbevölkerung nicht vor den Folgen eines Nuklearkrieges zu schützen. Die Tapferkeit und die Zivilcourage von Soldaten und von Kriegsdienstverweigerern haben bei uns das gemeinsame Ziel, den Nuklearkrieg und jeden anderen Krieg zu verhindern.
Nukleare Abschreckung ist immer auch Selbstabschreckung. Wer von der nuklearen Abschrekkung redet, darf über die Folgen eines Einsatzes von Nuklearwaffen nicht schweigen. Die Anfragen der GRÜNEN betonen das, was zur Selbstabschrekkung führt. Die Bundesregierung tut in ihrer Antwort so, als gäbe es nur eine Abschreckungswirkung nuklearer Waffen. Aber nicht nur die Abschreckung der Sowjetunion, sondern auch die Selbstabschreckung vor einer leichtfertigen Entscheidung zum Einsatz von Nuklearwaffen, zur Entfesselung eines nuklearen Infernos im Westen, ist für uns in der Bundesrepublik ein Schutz. Dieser Schutz ist aber nach wie vor mit der Drohung und dem Risiko des Einsatzes von Nuklearwaffen verbunden, und das sollte nicht nur für Kirchen, sondern für uns alle — da möchte ich Herrn Berger und Herrn Möllemann widersprechen — auf Dauer unerträglich sein.Aber die nukleare Abschreckung kann nicht mit den Methoden der wechselseitigen Abschreckung überwunden werden. Deshalb wollen wir aus potentiellen militärischen Gegnern potentielle Partner zur Sicherheit werden lassen. Dies ist ein mühsamer Prozeß. Er wird Jahrzehnte dauern.Man braucht uns Sozialdemokraten dabei nicht daran zu erinnern, daß es im Ost-West-Konfikt nicht nur um den Ausgleich von Machtinteressen, sondern auch um den Schutz und den Ausbau von Freiheitsrechten geht. Aber unsere Perspektive für den Schutz unseres Strebens nach mehr Freiheit und nach einer größeren sozialen Gerechtigkeit ist nicht das militärische Konzept des „airland battle 2000", sondern die Hoffnung auf eine europäische Friedensordnung im Jahre 2000.
Wenn Präsident Reagan von der Sowjetunion als dem „Reich des Bösen" spricht, und wenn er den Begriff „Harmagedon" aus der Offenbarung des Johannes — ich würde fast sagen, aus der Apokalypse — verwendet, der die letzte Schlacht zwischen dem Reich des Bösen und dem Reich Gottes beschreibt, und wenn wir Sozialdemokraten gleichzeitig für
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2287
Voigt
eine Sicherheitspartnerschaft mit der Sowjetunion werben, dann offenbart dies, worum es im Kern beim gegenwärtigen Raketenstreit geht: Es ist der Streit um die richtige Konzeption des Westens im Macht- und Systemkonflikt zwischen Ost und West. Ich kann Ihnen heute bereits ankündigen: Dieser Streit wird diesen Bundestag in den kommenden Jahren noch länger und noch häufiger als der gegenwärtige Streit um die Mittelstreckenwaffen beschäftigen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordneten Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen und das am 21./22. noch einmal Gegenstand einer ausführlichen Debatte sein wird, zu ernst ist, um ihn zu Konfrontation oder zu Polemik zu verwenden, und daß er vor allen Dingen eines erfordert: ein Festhalten an den Realitäten, mit denen wir es zu tun haben.Herr Kollege Voigt, wir sind uns sicher einig darin, wenn Sie sagen, wir wollen atomare Abrüstung ohne konventionelle Aufrüstung. Nur, die Frage, ob dies in der gegenwärtigen Situation eine reale Aussage ist, kann ich an dieser Stelle nicht unterdrükken, und Sie werden sie sich zweifellos selbst beantworten müssen.Ich möchte ausgehen von der Situation zwischen den Fraktionen dieses Hauses, aber auch in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Ich beginne mit einem Zitat aus einem Artikel der „Zeit", den die Gräfin Dönhoff am 26. August dieses Jahres unter der Überschrift veröffentlicht hat: „Und nun beginnt der heiße Herbst". Es heißt in diesem Artikel:Man kann sich durchaus fragen, wer sich der schlimmeren Übertreibung schuldig macht: die angeblich kommunistisch-neutralistischen Friedensinitiativen oder die Advokaten der Nachrüstung. Jene behaupten, diese lieferten mit ihrer Sicherheits-Hysterie die Welt dem Inferno eines Nuklear-Krieges aus, diese werfen jenen vor, sie wollten das Land jeglicher Sicherheit berauben und es der Versklavung durch den Osten preisgeben.Meine sehr verehrten Kollegen, bei aller Hochachtung vor der Journalistin Gräfin Dönhoff muß ich zu dieser Formulierung sagen, ich halte es für falsch, welche Einteilung, welche Konfrontation hier dargestellt wird. Ich halte die dargestellten Gegensätze für unzutreffend. Es wäre viel wichtiger, auch in unserer Auseinandersetzung — und auch von seiten der Kollegin Kelly wäre es schon eine dankbare Aufgabe gewesen —, einmal darauf hinzuweisen, daß wir gemeinsame Ziele haben, nämlich den Abbau von Spannungen, daß wir das Ziel der Abrüstung gemeinsam verfolgen, nicht nur der Rüstungskontrolle, und daß wir uns damit gemeinsam um eine Sicherung des Friedens bemühen. Daß diese Ziele uns allen gemein sind und daß sie alle die Bürger bewegen, die sich besorgt und ängstlich äußern, kann doch nicht bestritten werden.
Meine Damen und Herren, die Suche nach dem richtigen Weg zu diesem Ziel darf doch wohl nicht zu einer hoffnungslosen Konfrontation in diesem Hause oder in der Öffentlichkeit, in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland führen. Dies kann nicht unser Ziel sein. Deswegen gehe ich davon aus, daß wir gemeinsam etwas wollen, auch wenn wir die Wege dahin unterschiedlich sehen. Ich gehe in diese Debatte nicht mit dem Anspruch auf absolute und letzte Wahrheiten hinein, sondern ich gehe in diese Debatte heute und möglicherweise am 21./22. mit der Überzeugung hinein, daß wir uns unserer Verantwortung bewußt sein müssen und daß wir nach bestem Wissen und Gewissen den Weg suchen müssen, der den Frieden sicherer macht, als er denn möglicherweise heute ist. Dies schaffen wir aber nicht mit dem Absolutheitsanspruch, wie er von manchen Seiten erhoben wird.Deswegen hat in derselben Zeitung, aus der ich eben zitert habe, in der „Zeit", Christian Graf von Krockow in einem Artikel, in dem er sich mit dem Recht, anders zu denken, befaßt, folgendes gesagt:Weil absolute Ansprüche und letzte Überzeugungen ihrem Wesen nach tatsächlich nicht mehrheitsfähig sind, dürfen Mehrheitsregeln und Mehrheitsentscheidungen gar nicht mehr hingenommen werden, wenn sie dem eigenen Zugriff aufs Absolute widersprechen. Es ist dann heilige Pflicht, sie mit allen Mitteln zu bekämpfen. Die letzte Konsequenz in der Perspektive des Letzten wäre mit anderen Worten der Bürgerkrieg, der einzig mit dem Sieg und der Diktatur des jeweils Stärksten enden kann.Die Konsequenz, meine Damen und Herren — und dies wird hier zu Recht gesagt —, wäre die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie, der freiheitlichen und zukunftsoffenen Ordnung. Seien wir uns auch über diese Gefahren im klaren, wenn wir uns miteinander über diese uns gemeinsam bewegenden Fragen aussprechen.Abschreckung erfolgt nicht nur durch die objektiv vorhandene Fähigkeit zur Verteidigung, sondern auf deren Grundlage, also auf der Grundlage der Fähigkeit, durch die subjektiv beigemessene Glaubwürdigkeit der solidarischen Verteidigungsbereitschaft. Jede desolidarisierende Entscheidung eines der Partner im Bündnis schwächt diese notwendige Glaubwürdigkeit und gefährdet damit den Kern der Funktionsfähigkeit der Abschreckung oder — um es positiv zu sagen — gefährdet damit die Sicherung des Friedens.
Die Glaubwürdigkeit der solidarischen Entschlossenheit des westlichen Bündnisses, jeden Angriff auf nur einen der Partner mit den zur Verfügung stehenden Mitteln abzuwehren, ist doch wohl erst der Mantel, der Waffen wirklich zu politischen Waf-
Metadaten/Kopzeile:
2288 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Ronneburgerfen, der sie zu Instrumenten der Politik und damit zu Instrumenten zur Friedenssicherung macht.
Werden Waffen dieses Mantels beraubt, wird ihre komplexe Funktion mehr und mehr auf eine nur militärische reduziert — und was das gerade im Bereich atomarer und anderer Massenvernichtungsmittel heißt, wird jeder von uns sich unschwer selbst ausmalen können. Ein solcher Weg führt zwangsläufig weg von Kriegsverhütungsstrategien zu Kriegsführungsstrategien, jedenfalls so lange, wie die Kriegsverhütungsstrategie durch Abschrekkung nicht durch eine andere ersetzt worden ist oder ersetzt werden kann.Frieden durch Vertrauen und Zusammenarbeit! Vertrauen aber muß hergestellt, Zusammenarbeit muß organisiert werden. Mit der atomaren Exklusivbedrohung Europas durch sowjetische SS 20 kann kein Vertrauen erworben werden. Und durch einen exklusiven Verzicht auf den Ersteinsatz von Waffen bei völliger und eindeutiger und unbestrittener Überlegenheit des Warschauer Pakts im konventionellen Bereich kann ein solches Vertrauen auch nicht erschlichen werden.Die latente Gefahr des Abbröckelns der Glaubwürdigkeit der solidarischen Verteidigungsbereitschaft aber birgt zusätzlich die Gefährdung der westlichen Verhandlungspositionen in Genf, wie hier bereits mehrmals vor diesem Hohen Haus ausgeführt wurde. Wenn in Genf dennoch ein Ergebnis erreicht werden sollte — wie ein solcher Kompromiß auch immer aussehen könnte —, dann ist das ein Erfolg, meine Kollegen von der SPD-Fraktion, trotz Ihres Ausscheidens aus einer verantwortlichen Sicherheitspolitik für die Bundesrepublik Deutschland, trotz der dadurch erschwerten Bemühungen. Ein Erfolg in Genf ist dann nicht nur gegen die hartnäckige Haltung der Sowjetunion, sondern hier bei uns auch gegen die argumentative Schützenhilfe, auch wenn sie ungewollt ist, der SPD errungen worden.
Ein solcher Erfolg in Genf würde weit über den konkreten erzielten Kompromiß in Fragen der Mittelstreckenwaffen hinaus Bedeutung haben. Wir wollen den Erfolg in Genf, auch wenn im Augenblick nicht mehr als ein Kompromiß als Äußerstes möglich erscheint. Ziel bleibt die Null-Lösung, auch nach eventuellem Stationierungsbeginn.Herr Kollege Voigt, Sie haben gesagt, der Stationierungsbeginn sei das Ende der Verhandlungen. Sie waren doch mit in Moskau. Sie haben doch ebenfalls gehört, daß die sowjetische Seite nicht von einem Abbruch der Verhandlungen, sondern von einer Unterbrechung gesprochen hat. Dies hat der Kollege Bahr als Ergebnis der Reise des Unterausschusses mitgebracht.
Wenn hier von Erfolg oder Mißerfolg in Genf die Rede ist, so befindet sich der Bundeskanzler — ich rechne mich dabei gern an seine Seite — auch inÜbereinstimmung mit dem sowjetischen Außenminister, der noch vor kurzem ausdrücklich gesagt hat, die Verhandlungen seien so lange nicht gescheitert, wie noch verhandelt werde. Was veranlaßt uns eigentlich, einen Mißerfolg darzustellen, ein Ergebnis darzustellen, das wir alle nicht wollen, ehe ein solches Ergebnis tatsächlich auf dem Tisch liegt?
Herr Kollege Ronneburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Ja, bitte sehr.
Bitte schön, Herr Kollege Voigt.
Herr Kollege Ronneburger, genauso wie Sie wünsche ich eine Fortsetzung der Verhandlungen. Ich glaube aber, es gehört zur Realität, festzustellen
— ich möchte Sie danach fragen, ob Sie diese Information auch haben —, daß Botschafter Semjonow den im Bundestag vertretenen Parteien und der Bundesregierung mitgeteilt hat, welche Konsequenzen ein Ja bei einer Abstimmung zur Stationierung für die Genfer Verhandlungen haben würde. Ich sage: Ich billige die sowjetische Stellungnahme nicht, aber es gehört, glaube ich, zur Realität, sie zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Kollege Voigt, wir sind uns sicherlich darüber einig, daß bei dem gegenwärtigen Poker auch unterschiedliche Meinungen aus Moskau zu hören sind. Ich bin aber bereit, nicht nur die negativen Äußerungen, sondern auch diejenigen Äußerungen — ich habe eben eine zitiert —, und zwar auch aus Moskau, zu hören, die positiv im Sinne einer Weiterführung von Verhandlungen zu bewerten sind.
Herr Kollege Ronneburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Werner?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ronneburger, würden Sie mir recht geben, daß gerade die vom Herrn sowjetischen Botschafter gemachten Ausführungen Anlaß dafür sein müssen, darin eine Art Vorwegnahme des politischen Verhaltens der Sowjetunion gegenüber der Politik der Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft zu sehen, sofern die Stationierung in Anbetracht eines nicht genügenden Verhandlungsverlaufs in Genf nicht zustande kommt?
Herr Kollege, ich glaube, wir sind uns in der Beantwortung der von Ihnen gestellten Frage völlig einig. Dies ist die Situation, in der wir im Augenblick leben. Sie sollte uns veranlassen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2289
Ronneburgerpositiv auf die Möglichkeiten zu reagieren, die sich uns bieten.Herr Kollege Voigt, ich weiß aber natürlich auch, daß aus Delegationsberichten von sowjetischer Seite in Genf zu hören ist, daß bei Stationierungsbeginn den Verhandlungen in Genf der Boden entzogen sei. Dies müßten wir genauso zur Kenntnis nehmen. Wir sollten aber abwägen und unsere Möglichkeiten nicht verkennen.Die Sowjetunion sagt, sie wolle, wie es wörtlich heißt, nicht unter Druck verhandeln. Seit Jahren stationiert die Sowjetunion aber Woche für Woche eine SS 20. Meine Kollegen, wer verhandelt hier denn eigentlich unter Druck, die Sowjetunion oder die westliche Seite? Wenn die Sowjetunion eine solche Position für sich in Anspruch nimmt, dann werden wir so etwas im Bewußtsein unserer Verantwortung auch auf unserer Seite auf Dauer nicht ausklammern können. Die NATO hat ein solches Recht der Verteidigung. Sie hat jahrelang keine Gegenmaßnahmen unternommen. Sie hat aber auf diese Möglichkeit nicht verzichtet.Herr Kollege Möllemann hat vorhin eindeutig zu den Fragen des Ersteinsatzes von Waffen Stellung genommen. Ich will dem an dieser Stelle nur noch einmal hinzufügen: Die NATO hat etwas gesagt, was wir so auch gerne von seiten der Sowjetunion hören würden, daß nämlich keine ihrer Waffen je eingesetzt werden wird, es sei denn als Antwort auf einen Angriff. Wieweit kann man denn eigentlich mit dem Gewaltverzicht noch gehen?
Wieweit kann man die andere Seite von ihren möglichen Ängsten befreien und ihren Sicherheitsbedürfnissen nachkommen, wenn nicht durch einen solchen Satz? Ein solcher Verzicht auf jeden Ersteinsatz von Waffen ist unsere Verantwortung für den Frieden, wie wir diese Verantwortung sehen, und wie wir das im Interesse der Menschen in unserem Lande, aber auch weltweit für notwendig halten.An dieser Stelle kann es nicht ausbleiben, daß ich ein Wort an die Fraktion richte, die durch ihre Großen Anfragen die heutige Debatte veranlaßt hat, aber jetzt nicht anwesend ist.
Meine Damen und Herren, die Tätigkeit eines Parlamentariers besteht nicht nur in spektakulären Auftritten im Plenum des Bundestages,
sie besteht nicht nur in Demonstrationen in Ost-Berlin, Moskau und Washington, sondern die Arbeit des Parlamentariers ist auch Kleinarbeit für die Interessen der Menschen in unserem Lande.
Darum kann an dieser Stelle die Frage nicht unausgesprochen bleiben — ich hoffe, die Fraktion der GRÜNEN hört diese Frage; ja, ich sehe den Kollegen Fischer —: Wo ist denn eigentlich der Vertreter der GRÜNEN in einem Unterausschuß des Verteidigungsausschusses, der sich mit einer so simplen Frage befaßt wie der, wie die Wehrpflichtigen am Wochenende mit der Bundesbahn ihre Heimatorte erreichen können?
Wo ist denn, Herr Kollege Fischer, die Fraktion der GRÜNEN, wenn es um die Frage der Lärmbelästigung der Bevölkerung durch Truppenübungsplätze und Fluglärm geht? Wo ist die Fraktion der GRÜNEN, wenn es um die Benennung von Berichterstattern geht? Wo waren Sie im Verteidigungsausschuß, als es um so nüchterne Fragen ging wie die, wie denn die Unterkünfte der Soldaten ausgebaut und ausgestaltet werden könnten?
Hier ist ein Stück Aufgabe, nicht nur in dem Auftritt vor surrenden Fernsehkameras.
Eine Ablösung des Nichtkrieges durch Frieden, durch Vertrauen und Zusammenarbeit wird nicht plötzlich geschehen können, sondern nur schrittweise durch Abrüstung und Rüstungskontrolle auf beiden Seiten. Aber schrittweise, meine Damen und Herren, bedeutet, daß der Weg dorthin die Sicherheit für den jeweils nächsten Schritt bietet. Auch dies gilt für beide Seiten.Gespräche und Verhandlungen sind notwendig. Und zu keiner Zeit vorher — ich will das jetzt nicht im einzelnen ausführen — haben fest vereinbarte Gesprächsthemen und -termine in einer solchen Zahl wie gerade heute die Möglichkeit eröffnet, zu ebenfalls fest vereinbarten Inhalten zu kommen. Deswegen ist unsere Haltung in unserer Verantwortung für die Erhaltung des Friedens eindeutig. Wir haben uns dies weiß Gott nicht leicht gemacht.Wir haben gehört, meine Damen und Herren, was draußen von Friedensbewegungen und bei Demonstrationen und wann immer gesagt und ausgesprochen worden ist. Aber wenn dann die Frage nach einer konsultativen Volksbefragung kommt, muß doch wohl dazugesagt werden — auch von einem, der die Weimarer Demokratie noch aus eigener, wenn auch sehr früher Erinnerung kennt und der weiß, welches Maß an Emotionen und Konfrontationen bei der Vorbereitung von Volksabstimmungen und Volksbefragungen sich damals ereignet hat —, daß dies nicht zum inneren Frieden beiträgt und damit auch den äußeren Frieden nicht sicherer machen kann. Eine konsultative Volksbefragung würde Emotionen ausspielen, völlig unabhängig von der Frage, ob sie denn verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäuble?
Bitte schön.
Herr Kollege Ronneburger, sind Sie mit mir der Auffassung, daß wir den Wiedereinzug der Fraktion der GRÜNEN in abseh-
Metadaten/Kopzeile:
2290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Dr. Schäublebarer Zeit zu erwarten haben, nachdem das sie offenbar begleitende Fernsehkamerateam die Pressetribüne inzwischen wieder betreten hat?
Es kann gut sein, daß Sie recht haben, Herr Kollege Schäuble. Aber es war immer meine Auffassung, daß man sich vor einem Auszug aus einem Parlament überlegen sollte, wie man wieder hereinkommt. Vor dieser Schwierigkeit stehen unsere Kollegen jetzt im Augenblick offenbar noch.
Ich glaube deswegen, wir sollten Argumente und Gegenargumente sorgfältig wägen und uns unserer Verantwortung in einer parlamentarischen Demokratie bewußt sein, einer Verantwortung, um die wir als Abgeordnete uns bei den Wählern beworben haben und die leicht zu nehmen sicherlich das Letzte wäre, was irgendeiner in diesem Hause denkt, tut oder sagt.
Deswegen möchte ich einen abschließenden Gedanken hinzufügen. In diesem Hause, dem Deutschen Bundestag, sitzen keine Gegner der Friedensbewegung. Ich betone das ausdrücklich für meine eigene Fraktion. Wir haben gesagt: Wir wollen nicht nur das Gespräch, wir wollen die Zuammenarbeit mit der Friedensbewegung.
Aber eines bleibt: Die Verantwortung, die wir zu tragen haben, wird uns keiner abnehmen können; weder kann das durch eine Fraktion geschehen noch durch eine konsultative Volksbefragung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel der Bundesregierung ist und bleibt eine Welt mit weniger Waffen. Wir sind nicht für Aufrüstung, sondern für Abrüstung, allerdings auf beiden Seiten und kontrolliert. Das ist der Grund, warum die Bundesregierung jede sinnvolle Abrüstungsinitiative nachdrücklich und energisch unterstützt.
Wir gehen noch weiter: Wir sind selbst zu einschneidenden einseitigen Abrüstungsschritten dort bereit, wo das gerade noch mit unseren Sicherheitsinteressen vereinbar ist.
Wir ziehen nun schon zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit einseitig atomare Waffen aus Europa ab:
1 400 Stück, nachdem wir schon 1981 einseitig 1 000 Stück abgezogen hatten. Insgesamt sind das also in wenigen Jahren 2 400 nukleare Sprengköpfe, die einseitig aus Europa verschwunden sind bzw. verschwinden. Das ist ein Drittel unseres gesamten atomaren Potentials in Europa. Das sind keineswegs, wie gelegentlich gesagt wird, etwa nur veraltete Waffen.
Wer nimmt eigentlich zur Kenntnis, daß wir auch im strategischen Bereich im Westen heute 8 000 Nuklearwaffen weniger und nur noch etwa ein Viertel der Sprengkraft des Jahres 1968 haben? Wer nimmt eigentlich zur Kenntnis, daß wir, wenn es nach uns ginge, auch keine neuen Raketen stationieren würden, wenn nämlich die Sowjets ihre abbauen würden?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheer?
Gern.
Herr Bundesminister, könnten Sie bestätigen, daß der zweimalige einseitige Abzug von taktischen Nuklearsprengköpfen aus der Bundesrepublik nicht zuletzt deswegen geschah bzw. geschieht, weil das Potential, militärisch gesehen, in dieser Zahl schon seit langem als völlig überflüssig betrachtet wird?
Das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Das Gegenteil ist der Fall. Darin kommt der Wille der Allianz zum Ausdruck, Herr Kollege Scheer, alles zu tun, um sichtbar zu machen: Wir halten uns Nuklearwaffen nur zum Zwecke der Abschreckung, um dafür zu sorgen, daß uns die Sowjets nicht mit Nuklearwaffen bedrohen oder uns gar durch deren Einsatz beeinträchtigen können.
Es kommt noch etwas hinzu. Selbst wenn wir stationieren müßten, würde für jede neue Waffe zusätzlich eine andere abgezogen. Daher ist es schlicht eine Unwahrheit, wenn sich Willy Brandt in Bonn auf der Kundgebung hingestellt und erklärt hat, Europa werde mit immer mehr Atomwaffen vollgestopft. Da kann er nur den Osten meinen, und er weiß das auch. Warum sagt er das dann nicht?
Daher ist auch das Bild vom Rüstungswettlauf falsch. Wir drehen nicht an der Rüstungsspirale. An der Rüstungsspirale drehen die Sowjets, die immer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2291
Bundesminister Dr. Wörnermehr konventionelle und nukleare Waffen nach Europa hineinbringen. Das ist die schlichte Wahrheit.Nun wissen auch und gerade wir, daß militärische Sicherheit allein nicht ausreicht. So notwendig das Gleichgewicht der Waffen ist, es reicht zur dauerhaften Friedenssicherung nicht aus. Sicherheit und Abrüstung setzen den politischen Willen zum Ausgleich auf beiden Seiten voraus. Daher betreiben wir eine Politik, die auf friedlichen Ausgleich, auf Abbau der Spannungen, auf Versöhnung zwischen Ost und West ausgerichtet ist, die Dialog statt Auseinandersetzung, die Zusammenarbeit statt Konfrontation will.Unser Ziel ist eine Welt in friedlichem Wettbewerb, im Wettbewerb der Gedanken, der Ideen, der Systeme. Wir haben überhaupt keine Scheu vor einem solchen friedlichen Wettbewerb; denn eine freie Ordnung, die auf Menschenrecht und Menschenwürde gegründet ist wie unsere Ordnung, ist allemal stärker als Diktatur und Unfreiheit.
Ich sage es wieder und wieder: Nicht Raketenzahlen, nicht Machtdifferenzen sind die eigentliche Ursache des Ost-West-Konflikts; es ist der Gegensatz zwischen Freiheit und Unfreiheit, der den fundamentalen Unterschied zwischen Ost und West ausmacht.
Wie friedlich wäre unsere europäische Welt, wenn sich die Völker Ost- und Westeuropas frei begegnen könnten! Wie friedlich wäre unsere Welt, wenn Mauer und Stacheldraht fielen, wenn sich die Sehnsucht der Menschen in der Sowjetunion, in der Deutschen Demokratischen Republik, also im anderen Teil unseres Vaterlandes, ebenso frei und ungehindert ausdrücken könnte, wie die Menschen das bei uns können! Wie friedlich wäre diese Welt, wenn Leute wie Sacharow nicht deswegen verbannt würden, weil sie die Wahrheit sagen!Wie friedlich wäre diese Welt, wenn auch Politiker des Westens, wenn auch wir dasselbe Recht hätten, das wir Politikern der Sowjetunion einräumen, hier in der Bundesrepublik aufzutreten: den Herren Arbatow, Sagladin und Proektor. Die Sowjets sollten doch endlich Politikern des Westens Gelegenheit geben, vor dem russischen Volk unseren Standpunkt, den Standpunkt des Friedens, darzulegen.
Niemand braucht uns zu sagen, schon gar nicht Frau Kelly, wie schrecklich Atomwaffen sind und wie fürchterlich die Folgen ihres Einsatzes wären. Es ist doch eine schlichte Unwahrheit, um das mindeste zu sagen — viel eher noch wäre es Heuchelei zu nennen —, wenn behauptet wird, wir verwischten den Unterschied zwischen atomaren und konventionellen Waffen. Das ist doch einfach nicht wahr! Schon gar nicht betrachten wir Nuklearwaffen, wie Frau Kelly gesagt hat, als Fortsetzung etwa der Artillerie. Sie hat nichts von dem zur Kenntnisgenommen, was in den letzten Monaten und Jahren passiert ist.
Da geht es offensichtlich nur darum, Panik zu schüren, um den parteipolitischen Zwecken der GRÜNEN zu nützen.
Es kann doch überhaupt keinen Zweifel daran geben, daß wir die Proteste der Menschen gegen Atomwaffen nicht nur verstehen; wir teilen sie. Ich möchte hier und anderswo denjenigen sehen, der den Moment nicht verwünscht, in dem die Atomwaffe entdeckt wurde. Ich möchte denjenigen sehen, der sich nicht lieber eine Welt ohne Atomwaffen wünschte.Aber es ist die Frage: Ist das möglich? Ist das realistisch? Ist der Weg zurück in eine solche Welt möglich? Alle Proteste schaffen diese Waffen nicht mehr aus der Welt, auch die leidenschaftlichen Anklagen der GRÜNEN nicht. Nicht eine einzige Rakete verschwindet wegen einer solchen Rede der GRÜNEN, meine Damen und Herren!
Die einzige sichere Gewähr dafür, daß diese Waffen nicht eingesetzt werden, besteht in einem stabilen kontrollierten Gleichgewicht, wobei es unser Ziel ist, dieses Gleichgewicht auf möglichst niedriger Ebene mit möglichst wenig Waffen herzustellen.
— Ich möchte zu Ende sprechen.
— Angst? Da müßten gewichtigere Leute als Sie kommen, bevor ich Angst kriegen würde.
Daraus folgt: Je weniger Gleichgewicht, je klarer die Überlegenheit einer Seite, desto größer die Gefahr des Einsatzes von Nuklearwaffen. Das ist doch die Erkenntnis. Wenn man mir schon nicht glaubt und der Bundesregierung schon nicht glaubt, dann glauben Sie doch wenigstens einem Mann wie Sacharow, der in der Sowjetunion, wenngleich in der Verbannung, lebt und einmal gesagt hat:Solange es nukleare Waffen auf der Welt gibt, ist eine strategische Parität der nuklearen Kräfte notwendig, damit keine Seite einen begrenzten oder regionalen Atomschlag wählt.Ich sage das nicht nur an die Adresse der GRÜNEN, sondern auch an die Adresse der sogenannten Friedensbewegung:
Ihr Protest, sollte er erfolgreich sein, würde nur eines bewirken: daß Atombomben wieder eingesetzt werden könnten zur politischen Erpressung oder zum Krieg. Das wäre die Folge, wenn ihr einseitiger
Metadaten/Kopzeile:
2292 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Bundesminister Dr. WörnerProtest im Westen Erfolg hätte, nicht aber in der Sowjetunion. Und die schert sich nicht darum.
Wir haben es geschafft, in den vergangenen 38 Jahren einen Krieg in Europa zu verhindern — wir haben nicht nur davon geredet, wir haben es durchgesetzt —, und zwar jeden Krieg, den nuklearen wie den konventionellen, weil wir der Sowjetunion die Gewaltanwendung unmöglich gemacht haben. Sie wußte und sie weiß bis heute: Sie hat keine Chance, Europa zu unterjochen, sie hat keine Chance, einen Krieg gegen uns zu führen, weil dies auch ein Krieg gegen die Vereinigten Staaten wäre. Das heißt, unsere Sicherheit, die Sicherheit all unserer Bürger in der Bundesrepublik Deutschland, ruht auf diesem Schicksalsbündnis mit den Vereinigten Staaten, ruht auf der Abwehrbereitschaft des Atlantischen Bündnisses, eines reinen Verteidigungsbündnisses. Und solange das so bleibt, meine Damen und Herren, so lange brauchen wir keinen Krieg in Europa zu befürchten.
Dieses Bündnis ist die beste und, ich sage, die einzige Sicherheits- und Friedensgarantie für unsere Bürger, die hält.Deswegen: Wer die Europäer auf die Straße des Neutralismus drängen will, öffnet den Weg in Unsicherheit und Unfreiheit.
Moskau stört dieser Zwang zu einer nicht gewaltsamen Politik. Daher will es ihn abschütteln. Diejenigen, die stillschweigend oder ohnmächtig zusehen, wie Moskau seine Rüstung konventionell und atomar aufbaut, aber hier im Westen die eventuelle Nachrüstung zu verhindern suchen, müssen wissen, was sie bewirken: nicht den sicheren Frieden, sondern die Vorherrschaft der Sowjetunion über Europa. Und die wollen wir nicht.Ich sagte, die Sowjets versuchten, das zu ändern, was sie seither gehindert hat, militärische Macht einzusetzen. Deswegen bauen sie nun für über 30 Milliarden Rubel diesen neuen Raketengürtel gegen uns auf. Und deswegen versuchen sie, den Willen des Westens zur Verteidigung zu unterlaufen. Europa, der freie Teil Europas, soll eingeschüchtert werden.
Europa soll von den Vereinigten Staaten abgekoppelt werden. — Wenn Sie sagen, Sie ließen sich nicht einschüchtern, kann ich nur entgegnen: Herr Voigt, anstatt sich hier hinzustellen und unkritisch ein Zitat des sowjetischen Botschafters wiederzugeben, der gesagt hat, sie würden dann, wenn wir stationierten, vom Verhandlungstisch weggehen, wäre es besser gewesen, wenn Sie dem sowjetischen Botschafter das geantwortet hätten, was ich ihm jetztantworte. Wenn wir zwei Jahre verhandelt haben, während die Woche für Woche stationiert haben, dann ist es kein Grund, vom Verhandlungstisch wegzulaufen, wenn wir jetzt anfangen mußten, meine Damen und Herren.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt zuzulassen?
Nein. Ich sagte Ihnen, daß ich unter Zeitdruck bin, Herr Präsident. Sonst gerne.
Das gilt also für die ganze Rede, habe ich festgestellt.
Werden Sie das nicht auf die Redezeit anrechnen?
Herr Bundesminister, dies würde nicht unseren Regeln entsprechen. Dies muß ich hier klarstellen. Das wird natürlich auf die Redezeit angerechnet. Wie sollte es anders sein?
Dann nicht.Der Sinn des Doppelbeschlusses ist, mit dieser sowjetischen Bedrohung fertig zu werden, entweder dadurch, daß wir die Sowjets zur Abrüstung bewegen — das wäre die Lösung, die mir am liebsten wäre —, oder dadurch, daß wir, wenn uns das nicht gelingt, dafür sorgen, daß ein Einsatz dieser neuen SS 20 gegen uns keinen Sinn macht. Das erzielen wir durch ein entsprechendes Gegengewicht.Hier hat Frau Kelly absolut unrecht, wenn sie sagt, damit drohe ein Nuklearkrieg, oder durch eine eventuelle Stationierung des Westens werde ein Krieg wieder möglich. Genau das Gegenteil ist der Fall, auch und gerade wenn wir stationieren müssen. Damit erzielen wir genau das, was der Zweck dieses Beschlusses war, der damals unter Bundeskanzler Schmidt von Ihnen, der SPD, mitgefaßt wurde, nämlich dafür zu sorgen, daß diese sowjetische Drohung neutralisiert wird, daß sie nicht gegen uns eingesetzt werden kann.Herr Kollege Voigt, zu Ihren Fragen sage ich Ihnen: Was den Stationierungszeitpunkt anlangt, so bleibt es bei der Zusicherung der Bundesregierung. Ich sage zu Ihrem zweiten Begehren nach der Einberufung einer Sondersitzung der NATO: Die Bundesregierung wird dieser Bitte nicht folgen. Dafür gibt es zwei klare Gründe. Der erste Grund ist: Wir sind dauernd dabei, innerhalb der Allianz die Verhandlungen zu bewerten, bei jeder unserer Sitzungen, beispielsweise auch in Montebello. Zum zweiten: Wenn Sie den Doppelbeschluß zitieren, dann zitieren Sie ihn bitte richtig. Da heißt es am Schluß: Der Bedarf der NATO wird im Lichte konkreter Verhandlungsergebnisse geprüft werden. Wenn solche konkreten Verhandlungsergebnisse nicht vor-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2293
Bundesminister Dr. Wörnerliegen, bleibt es bei dem von Ihnen gefaßten zweiten Teil des Beschlusses.
Sie haben jetzt wiederholt versucht, der Bundesregierung zu unterstellen, sie habe bei den Verhandlungen nichts getan. „Tu-nix-Politik" heißt das. Ich weiß nicht, ob Sie damit den Interessen der Bundesrepublik Deutschland und den Interessen des Westens sehr viel nützen. Sie wissen so genau wie ich, daß der Westen in entscheidenden Fragen bei diesen Verhandlungen der Sowjetunion zweimal entgegengekommen ist, während die Sowjetunion bis zum heutigen Tag im substantiellen Bereich nicht kompromißbereit war.
Es wäre besser, Sie würden das klarstellen, anstatt die Bundesregierung anzuklagen.
Eines geht nicht — das wird von uns nicht akzeptiert werden können —: daß die Sowjets das Monopol an diesen Waffen behalten und die Amerikaner überhaupt nichts dagegen tun dürfen. Genau das will die Sowjetunion. Aber das liegt nicht im Interesse der Bürger der Bundesrepublik Deutschland.
Konsultation und Vetorecht. Sie haben, als Sie an der Regierung waren, die Politik mitgetragen, die darauf hinausläuft, daß ein enges Konsultationsverfahren in der NATO geübt und praktiziert wird, das sicherstellt, daß nicht gegen den Rat der Bundesregierung der Bundesrepublik als eines der meistbetroffenen Staaten solche Waffen von unserem Territorium aus eingesetzt werden. Wer ein Vetorecht fordert — hier ist der Herr Vogel sehr viel zurückhaltender —, muß wissen, daß er damit ein Stück Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen beansprucht. Darauf hat die Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen verzichtet.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist ein friedliches Land. Aber wir sind nicht nur ein friedliches Land, wir sind auch ein freiheitliches Land, und wir wollen es bleiben. Weil wir unsere Freiheit lieben, sind wir entschlossen, diese Freiheit gegen jedermann zu verteidigen.
Frieden und Freiheit sind unser Ziel, genauer gesagt: Frieden in Freiheit. Beides gehört zusammen. Frieden auf Dauer gibt es nur im Zeichen der Freiheit aller Menschen und Völker. Wir werden daher nicht zulassen, daß man, wie der Kollege Bahr das immer wieder tut, beides auseinanderdividiert oder gar gegeneinander ausspielt. Nicht Frieden oder Freiheit ist die Alternative. Frieden und Freiheit sind unsere Devise und das Ziel unserer politischen Anstrengungen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hält es für richtig, der Antwort, die hier der Bundesminister der Verteidigung gegeben hat, gleich anzufügen, was wir über den Gesetzentwurf zur Durchführung einer konsultativen Volksbefragung zu sagen haben.Die Bundesregierung hält den vorliegenden Gesetzentwurf für verfassungswidrig. Auf Bundesebene ist eine Volksbefragung nach Art. 29 und 118 des Grundgesetzes lediglich im Rahmen einer Neugliederung des Bundesgebiets zulässig. In allen anderen Fällen könnte eine Volksbefragung nur vorgesehen werden, wenn das Grundgesetz zuvor entsprechend geändert oder ergänzt worden wäre.Hiervon ist auch die Enquete-Kommission „Verfassungsreform" des Deutschen Bundestages ausgegangen, die sich sehr eingehend mit der Frage einer Verstärkung der plebiszitären Elemente im Grundgesetz befaßt und sich in ihrem 1976 veröffentlichten Bericht mit überzeugenden Gründen dagegen ausgesprochen hat.Die Zulässigkeit einer, wie gesagt wird, lediglich konsultativen Volksbefragung zur Nachrüstungsfrage kann nicht etwa mit dem Hinweis darauf begründet werden, daß ihre Ergebnisse weder Regierung noch Parlament binden. Hierauf kommt es nicht an. Es ist schon erstaunlich, wie leichtfertig in diesem Punkt etwa auch von einem Richter des höchsten deutschen Gerichts, von einem Richter eines obersten Bundesgerichts sowie von dem in der Begründung zu dem vorliegenden Entwurf zitierten Komitee für Grundrechte und Demokratie argumentiert und mit unserer staatlichen Ordnung umgegangen wird. Denn die politisch-moralische Verbindlichkeit eines Volksbefragungsergebnisses unterscheidet sich in ihrer Stringenz kaum von einer verfassungsrechtlichen Verbindlichkeit. Auf sie kommt es den Urhebern des Vorschlags einer konsultativen Volksbefragung offensichtlich an.In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das hamburgische und bremische Gesetz über eine Volksbefragung über Atomwaffen — das gab es schon einmal — aus dem Jahre 1958, vor 25 Jahren, heißt es — in dieser höchstrichterlichen Entscheidung — auszugsweise:Entscheidend ist der erkennbare Zweck, den Gesetz und Volksabstimmung verfolgen. Die Bundesregierung hat sich auf dem Gebiet des Verteidigungswesens für eine bestimmte Politik entschieden und dafür die Zustimmung des Bundestages gefunden. Die Opposition im Bundestag hält diese politische Entscheidung für falsch und bekämpft sie leidenschaftlich. Sie vermag sich im Bundestag nicht durchzusetzen, glaubt aber sicher zu sein, daß ihre Auffassung von der Mehrheit des Volkes geteilt wird. Sie hofft, der von einer ihren Erwartungen entsprechenden Volksbefragung ausgehende poli-
Metadaten/Kopzeile:
2294 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Bundesminister Dr. Zimmermanntische Druck werde so stark sein, daß die Bundesregierung gezwungen wird, ihre politische Entscheidung aufzugeben und den Wünschen der Oppositon zu entsprechen. Das klare Ziel der Volksbefragungsaktion ist, die zuständigen Verfassungsorgane des Bundes zu zwingen, eine von ihnen für richtig gehaltene und getroffene Entscheidung im Bereich des Verteidigungswesens zu ändern.So das Verfassungsgericht vor 25 Jahren.Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das Gericht die Sach- und Rechtslage heute anders beurteilen könnte. Der verfassungsrechtliche Befund ist also eindeutig.Ebenso eindeutig ist die verfassungspolitische Beurteilung des Gesetzentwurfes. Das Grundgesetz geht vom Prinzip der repräsentativen Demokratie aus. Es ist — trotz einiger weniger ausnahmsweise plebiszitären Elemente — prononciert antiplebiszitär ausgestaltet. Dafür gibt es gute Gründe. In einem hochindustrialisierten Land wie der Bundesrepublik Deutschland mit seiner entscheidend durch Wissenschaft und Technik geprägten Wirtschaft und Gesellschaft, seinen vielfältigen Verbindungen zum Ausland, seiner Einbindung in die internationale Staatengemeinschaft sind vielfach hochkomplexe und differenzierte Entscheidungen zu treffen. Die Bürger dieses Landes derartige Entscheidungen treffen zu lassen — die Türe hier einmal aufgemacht, bedeutete für immer aufgemacht — hieße, sie zu überfordern. In dieser Einschätzung spiegelt sich nicht etwa Mißtrauen gegenüber der Urteilsfähigkeit des Bürgers, noch wird gar dem vielbeschworenen mündigen Bürger in Wahrheit seine politische Unmündigkeit bescheinigt. Entscheidend ist vielmehr, daß diejenigen, denen Entscheidungen abverlangt werden, diese auch müssen verantworten können, und die sitzen hier als Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
Dem Bürger derartige Entscheidungen abzuverlangen würde bedeuten, ihm nicht nur die Verantwortung für etwas anzulasten, wofür er die Verantwortung gar nicht tragen kann und ich füge hinzu: in der Regel auch nicht tragen will. Es bedeutet auch, den zuständigen staatlichen Entscheidungsträgern die Verantwortung abzunehmen, ihnen die Flucht aus der Verantwortung zu ermöglichen oder jedenfalls leicht zu machen.Hinzu kommt, daß angesichts der Vielfalt der zu berücksichtigenden Interessen dem ausgleichenden Moment der Fähigkeit und der Bereitschaft zum Kompromiß entscheidende Bedeutung zukommt. Denn kaum eine wichtige politische Fragestellung wird sich auf eine einfache Entweder-oder-Alternative reduzieren lassen. Das illustriert auch der vorliegende Gesetzentwurf in anschaulicher Weise. In einer Volksbefragung können dem Bürger sinnvollerweise nur Ja-oder-Nein-Entscheidungen abgefordert, Für-oder-Gegen-Alternativen angeboten werden. Hier soll auch nicht nach den Voraussetzungen und nach den Intentionen einer solchen Entscheidung gefragt werden; das sagt alles.Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Bundesregierung hält den vorliegenden Gesetzentwurf für verfassungswidrig. Ich gehe daher davon aus, daß der Entwurf keine Mehrheit im Deutschen Bundestag finden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des 2. Abrüstungsberichts hat die Bundesregierung ihre erste eigenständige Visitenkarte für diesen zentralen politischen Bereich vorgelegt. Dieser Bericht ist nach unserer Auffassung ein Dokument der politischen Wende, der Wende von der Entspannungs- und Rüstungskontrollpolitik der früheren sozialliberalen Koalition zu einer Aufrüstungspolitik,
die neue Spannungen und Risiken leichtfertig in Kauf nimmt.
Es wird Kontinuität vorgegaukelt, um sich bei dieser Wende von der deutschen Öffentlichkeit nicht erwischen zu lassen.
Der sogenannte Abrüstungsbericht steht in einem nahtlosen Zusammenhang mit dem vor zwei Wochen veröffentlichten Weißbuch des Verteidigungsministers, das eher die Bezeichnung Schwarz-WeißBuch verdient.
Ich will vor der Debatte des Bundestages am 21. und 22. November heute nicht zu den Ausführungen des Berichts der Bundesregierung Stellung nehmen, die die Mittelstreckenraketen-Verhandlungen behandeln. Statt dessen will ich die anderen im Bericht enthaltenen Teile ansprechen, auch um damit deutlich zu machen, daß sich die Abrüstungsdebatte natürlich nicht allein auf die Mittelstreckenraketen-Frage beschränkt.Insgesamt wird in diesem Bericht der Eindruck zu erwecken versucht, es gäbe breiteste und intensivste Bemühungen des Westens in der Abrüstungspolitik und nur der gute Wille des Ostens fehle. Dies steht in einem atemberaubenden Gegensatz zu den tatsächlichen Problemen und Entwicklungen. 1983 werden die weltweiten Rüstungsausgaben 800 Milliarden Dollar betragen; vor drei Jahren waren es 600 Milliarden Dollar. In einer Zeit der größten Umbruchskrise der Weltwirtschaft seit Beginn des Industriezeitalters, in der Zeit ökologischer Überlebensgefahren für den Erdball und eines für die Menschheit immer unerträglicher werdenden NordSüd-Konflikts leistet sich die Welt den dramatischsten und gefährlichsten Rüstungswettlauf, den es in Friedenszeiten jemals gegeben hat. Der Urheber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2295
Dr. Scheerdafür ist nicht allein die Sowjetunion. Die Welt setzt sich damit außerstande, ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Überlebensprobleme zu lösen. Abrüstung ist deshalb schon lange nicht mehr nur ein Gebot des friedlichen Idealismus, sondern des politischen Realismus. Die Menschen, die dieses zunehmend begreifen, haben keineswegs irrationale oder „nur", wie es immer heißt, emotionale, sondern sehr reale Ängste.
Was die Menschen immer mehr bewegt, kommt aber in diesem sogenannten Abrüstungsbericht in keiner Zeile zum Ausdruck.
Herr Abgeordneter Dr. Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes?
Ja.
Herr Kollege Scheer, teilen Sie meine Auffassung, daß der Rüstungswettlauf im wesentlichen auch Ausdruck eines Wettlaufs um politischen Einfluß ist, den die Sowjetunion im Frieden gewinnen will, und teilen Sie meine Auffassung, daß man die Frage der Sicherheit nicht von der Frage der Abrüstung abtrennen darf?
Ich teile Ihre Auffassung in dem letzten Punkt und komme gleich auch darauf zu sprechen. Ich teile nur nicht die Auffassung, daß die Ursache für den Rüstungswettlauf nur bei einer der beiden Weltmächte liegt,
sondern es ist der politische Weltmachtkonflikt, der in der Tat wesentlich dazu beiträgt, und zwar bis in die Dritte Welt hinein.Der Harmel-Bericht von 1967 hat militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung als die beiden parallel zu verfolgenden Hauptziele der Atlantischen Allianz bezeichnet. Diese Hauptziele werden jetzt von der Bundesregierung in ihrem Bericht in „Verteidigungsfähigkeit und glaubwürdige Abschreckung" uminterpretiert. Ausgerechnet im offiziellen Abrüstungsbericht wird die zentrale Zielsetzung der Entspannung an den Rand gerückt oder aus dem Verkehr gezogen.
Entspannungspolitik ist aber die unverzichtbare Grundlage für die erfolgreiche Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Wer diese Grundlage nicht ernst nimmt, nimmt Abrüstung nicht ernst. Dies wird deutlich bei den von der Bundesregierung vorgelegten Vergleichen der militärischen Kräfteverhältnisse zwischen NATO und Warschauer Pakt. Wir beschönigen keinesfalls die unverantwortlichen Rüstungen der Sowjetunion; aber wir unterstellen, daß derjenige eher auf Aufrüstung statt auf Abrüstung zielt oder es zumindest in Kauf nimmt, der die westlichen militärischen Entwicklungen systematisch untertreibt, um die Bedrohung aus dem Osten besonders furchterregend erscheinen zu lassen.Da heißt es z. B., der Westen habe dem sowjetischen Mittelstreckenraketenpotential „nichts Gleichwertiges" entgegenzusetzen. Kein Wort wird über die Poseidon-U-Boote mit Nuklearwaffen verloren. Es geht hierbei nicht um die Frage, was wo bei Verhandlungen berücksichtigt worden ist, sondern ob etwas Gleichwertiges entgegengesetzt werden kann. Es wird kein Wort über die in diesem Zusammenhang stehenden französischen und britischen Potentiale verloren, als würden diese nicht zum Westen gehören. Wenn dieses Potential in den Berichten überhaupt einmal angetippt wird, dann immer nur in einer Art und Weise, die es weder besonders nennenswert noch als für die Verhandlungen beachtenswert erscheinen läßt, als wäre dies nicht eine Schlüsselfrage für den Erfolg bei den unmittelbar anstehenden Verhandlungen.Ein zweites Beispiel. Ausführlich wird nicht nur das gegenwärtige sowjetische Mittelstreckenpotential, sondern auch das mögliche zukünftige dargelegt, oder es wird darauf hingewiesen. Aber die Einführung von Cruise-missile-Waffen auf U-Booten durch die amerikanische Regierung wird gar nicht, die neuen Cruise missiles auf Flugzeugen werden nur beiläufig erwähnt. Im Schwarz-Weiß-Buch fehlt sogar dazu jedes Wort.
Es hatte seine guten Gründe, warum im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des SALT-II-Vertrages vereinbart worden war, die Einführung weiterreichender Cruise missiles bis Ende 1981 zu verbieten und bis dahin Verhandlungen über die weitere politische Kontrolle dieser neuen Waffentechnologie zu führen, die Rüstungskontrolle bekanntlich schwieriger macht. Statt diese Verhandlungen zu führen, hat die amerikanische Regierung im Herbst 1981 außerhalb des NATO-Doppelbeschlusses die Einführung umfangreicher Cruise-missileProgramme beschlossen. Im Rüstungsbericht wird hierüber kein Wort verloren.
Ein drittes Beispiel: Die Modernisierung der sowjetischen atomaren Kurzstreckenraketen wird zwar genannt, jedoch in Form eines lapidaren Hinweises, mit dem die damit besonders für Deutschland insgesamt verbundenen Gefahren nach meinem Eindruck ausnahmsweise einmal beschönigt werden. Aber auch Vorbereitungsarbeiten für eine Modernisierung amerikanischer und die Einführung der neuen französischen Kurzstreckenraketen werden mit keinem Wort erwähnt. Ebenso unerwähnt bleibt die amerikanische Entscheidung für den Bau der Neutronenwaffe.Wir fragen uns, warum die Bundesregierung die angekündigte Stationierung der neuen sowjetischen Kurzstreckenraketen in der DDR und der CSSR nur beiläufig erwähnt. Immerhin handelt es
Metadaten/Kopzeile:
2296 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Dr. Scheersich um Waffen, die eine Vorwarnzeit von nur noch drei Minuten bei höchster Treffgenauigkeit haben. Will die Bundesregierung damit herunterspielen, welche Reaktion besonders für Deutschland die bevorstehende Stationierung von Mittelstreckenraketen zur Folge hat?
Denn bisher wurden ja Rüstungsschritte des Ostens von Ihrer Seite keineswegs heruntergespielt, sondern eher aufgebauscht. Oder wartet die Bundesregierung die Stationierung dieser neuen sowjetischen Kurzstreckenraketen, vor der wir seit Jahren warnen, erst einmal ab, um nach der Nachrüstung mit westlichen Mittelstreckenraketen eine weitere Nachrüstung mit westlichen Kurzstreckenraketen besser begründen zu können? Diese Frage muß man sich stellen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jetzt nicht. — Brauchen Sie vielleicht ein besonderes Vehikel, um unseren Bürgern demnächst die Einführung der Neutronenwaffe besser begründen zu können? Wir haben nicht vergessen, daß Herr Wörner im letzten Jahr die Entscheidung Präsident Reagans für den Bau der Neutronenwaffe ja nur deshalb nicht für richtig gehalten hat, weil er den Zeitpunkt für falsch hielt. Er befürchtete noch größere innenpolitische Probleme in der Auseinandersetzung um die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen.
Daraus geht j a wohl hervor, daß Herr Wörner lediglich für einen geeigneteren Zeitpunkt der Einführung der Neutronenwaffe eingetreten ist. Es drängt sich der Eindruck auf, daß dieser Zeitpunkt der Vollzug der Stationierung neuer sowjetischer Kurzstreckenwaffen in der DDR, die wir für verhängnisvoll halten, sein könnte.
Herr Abgeordneter Dr. Scheer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner? — Bitte, Herr Dr. Wörner.
Herr Kollege Scheer, ist Ihnen, wenn Sie mich schon damit konfrontieren, eigentlich bewußt, daß die von Bundeskanzler Schmidt geführte Bundesregierung mit Ihrer Unterstützung einer Entscheidung des Bündnisses, solche Neutronenwaffen einzuführen, zugestimmt hatte?
Mir ist eine ganz andere Entscheidung bewußt.
Im Jahre 1978 — ich war damals noch nicht im Bundestag, weiß das aber in diesem Falle trotzdem besser als Sie, Herr Wörner — hat Helmut Schmidt den einseitigen Stopp des Baus der Neutronenwaffe durch Präsident Carter aus folgendem Grund nicht für richtig gehalten: Er hat gesagt, besser wäre es, der Sowjetunion eine zweijährige Verhandlung anzubieten, um es mit diesen Verhandlungen möglich zu machen, daß die Sowjetunion ihre Modernisierung von Mittelstreckenwaffen unterläßt und der Westen dafür auf die Neutronenwaffe verzichtet.
Dies war der Grundgedanke, der später — nur mit Bezug auf ein anderes Waffensystem — zum NATO-Doppelbeschluß führte.
Das war der Punkt! Helmut Schmidt hat dies hier im Bundestag sehr deutlich hervorgehoben.Mir drängt sich der Eindruck auf, daß aus dem Motto der Bundesregierung „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" — das ist ja das offizielle Konzept — eher eine Politik zu werden droht, durch die mehr Waffen in Ost und West herauskommen. Ob damit der Frieden erhalten werden kann, wird immer fraglicher.Die Waffenvergleiche in den Vorlagen der Bundesregierung in Form willkürlicher schematischer Aufteilung für die Atomstammtische sind für einen Abrüstungsbericht nichts wert. Sie sagen über die tatsächlichen Probleme nichts aus, wenn man kaum etwas über die Eigenarten dieser Waffen und über die Einsatzkonzeption sagt. Sie berühren wiederum mit keinem Wort das zentrale Problem, das sich für eine Abrüstung und Rüstungskontrolle zunehmend stellt, wenn künftig bei beiden atomaren Supermächten vermehrt die jeweils gleichen Raketen teilweise mit nuklearen, teilweise mit chemischen und teilweise mit konventionellen Sprengköpfen geladen werden. Wenn vor der Detonation eines Sprengkopfes nicht mehr erkannt werden kann, ob eine Rakete eine nukleare oder eine konventionelle Waffe ist, verschwindet die Trennlinie zwischen konventionellen und nuklearen Waffen.
— Jetzt nicht mehr, Herr Kollege Mertes.Durch solche Entwicklungen sind die Gefahren unübersehbar, daß die nuklearen Schwellen nicht nur auf beiden Seiten, von beiden Seiten her gesenkt werden, sondern sogar ganz verschwinden könnten und die nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung damit unmöglich wird. Dies muß hier hervorgehoben werden, denn es ist eine Diskussion und eine Entwicklung, die schon in Gang gesetzt worden ist durch die 1982 in Kraft getretene neue amerikanische Heeresdienstvorschrift, die solche Vorstellungen über den gleichartigen Einsatz von konventionellen und nuklearen Waffen und auch von chemischen Waffen enthält.Bei der Sowjetunion ist dies offensichtlich nicht anders. Das liest man weniger aus Erklärungen oder aus dem Schrifttum ab, sondern an der Art und Weise der Waffen, die sie einführt. Auch die SS 21 hat eine konventionelle Version, wie sich jetzt gerade an der Lieferung dieser Rakete nach Syrien gezeigt hat. Es ist die gleiche Waffe, deren nukleare Version in der DDR und in CSSR stationiert wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2297
Dr. ScheerDaß die Sowjetunion das gleiche macht, relativiert aber doch nicht unsere Befürchtungen gegenüber solchen Konzeptionen. Es verschlimmert diese Befürchtungen. Diese akuten Entwicklungen dürfen in einem Abrüstungsbericht nicht verschwiegen werden.Wir haben die Befürchtung, daß beide nuklearen Supermächte zwar offiziell sagen, ein Atomkrieg sei nicht begrenzbar und würde zu einem allgemeinen Krieg führen. Daß sie das Risiko der Selbstvernichtung für sich selbst zu mindern suchen, liegt auf der Hand und ist verständlich. Der richtige Weg wäre der einer zügigen nuklearen Abrüstung. Indem sie aber zunehmend dabei sind, nukleare Gefechtsfeldwaffen mit konventionellen Gefechtsfeldwaffen in integrierten Einsatzkonzeptionen zu mischen, muß man vermuten, daß sie versuchen, die atomaren Selbstvernichtungsgefahren von ihrem eigenen Territorium weg zu verlagern und dafür ihren Verbündeten zusätzliche Risiken aufzubürden. Es ist abzusehen, daß die Atommächte der existentiellen Befürchtung, ein Atomkrieg sei nicht begrenzbar, dadurch aus dem Weg zu gehen versuchen, daß sie an Entwicklungen arbeiten, ihn doch im Falle des Falles begrenzen zu können.Niemand hat deshalb ein größeres, unmittelbareres Interesse an atomarer Rüstungskontrolle als unser Land. Keiner hat mehr Anlaß, auf atomare Abrüstung zu drängen und den Sog von nuklearen Nach- und Nachnachrüstungen zu durchbrechen als wir.
Dabei kommt es nicht — das sage ich zu Minister Wörner — auf die Gesamtzahl der Sprengköpfe an, sondern auf die Qualität und Funktion moderner Trägersysteme und ihrer Sprengköpfe. Aber die Bundesregierung tut so, als sei unsere Lage und seien unsere Anliegen in der Abrüstung vollständig identisch mit allen Bündnispartnern in der NATO, insbesondere den Nuklearmächten in der NATO. Ich sehe an keiner Stelle des Berichts eine Differenzierung.Die Bundesregierung beschreibt, wie sie sich im Genfer Abrüstungsausschuß um einen umfassenden weltweiten Atomteststopp und um weltweite chemische Abrüstung bemühe. Die Schwierigkeiten, zu einem umfassenden Atomteststopp zu kommen, werden mit den Schwierigkeiten einer Überprüfbarkeit des Abkommens begründet.
Aber diese Schwierigkeiten gibt es angesichts der zur Verfügung stehenden seismographischen Techniken nicht mehr. Wir wissen doch, daß die Atommächte und hier eher die Amerikaner vor allem deshalb den umfassenden Teststopp verzögern, weil sie an der Erprobung immer neuer Sprengköpfe interessiert sind.
Zum Beispiel muß auch die Neutronenwaffe getestet werden, bevor sie eingeführt wird.
— Ich bemühe mich um eine objektive Darstellung. Ich habe ja eben dargestellt, daß Sie bei einem Teil der sowjetischen Rüstung sogar untertreiben. — Es sind vor allem kleine Sprengköpfe für nukleare Gefechtsfeldwaffen, die Bestandteile der Testprogramme sind.
Die Bundesregierung könnte ihren wirkungsvollsten Beitrag zu einem Teststopp leisten, wenn sie definitiv die Stationierung der Neutronenwaffe in der Bundesrepublik ablehnen würde.
Ein umfassender Teststopp könnte die atomaren Supermächte nämlich daran hindern, den Weg der Verlagerung des atomaren Risikos nach Mitteleuropa durch Modernisierung nuklearer Gefechtsfeldwaffen weiter zu beschreiten. Machen Sie den Anfang dazu, daß Sie diesen Weg der Nuklearwaffenentwicklung nicht mitgehen!
Das gleiche gilt für die chemischen Waffen. Der deutsche Beitrag zur chemischen Abrüstung ist nicht glaubwürdig,
solange im Gegensatz dazu daran gearbeitet wird, wie aus dem Schwarz-Weiß-Buch erkenntlich ist, Herr Kollege Wimmer,
die C-Waffen-Abwehrfähigkeit zu verbessern. Nichts hat die Bundesregierung getan, sich für den Verzicht auf die Produktion neuer binärer Waffen durch die Vereinigten Staaten einzusetzen, die ja wohl auch bei uns stationiert werden sollen.
Diese Bemühungen blieben uns selbst und zahlreichen amerikanischen Kongreßabgeordneten überlassen, die sich dafür einsetzen. Die Entscheidung im amerikanischen Kongreß stand lang auf der Kippe. Ein Wort der Bundesregierung hätte vielleicht den Ausschlag geben können, daß dieser chemische Aufrüstungsschritt entfällt.
Ich frage mich: Was ist das für eine Bundesregierung, die sich weniger Sorgen über den Zuwachs an Gefahren in der Bundesrepublik durch neue Massenvernichtungswaffen macht als die amerikanischen Senatoren Hatfield und Kennedy!
Metadaten/Kopzeile:
2298 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Dr. ScheerAuch bei den Wiener Truppenreduzierungsverhandlungen müssen wir Fehlanzeige feststellen, obwohl inzwischen die Sacherörterungen der Verhandlungsdelegationen seit längerem so weit gediehen sind, daß eine Einigung möglich wäre. Aber der politische Wille fehlt offenbar.
Ich komme gleich zum Schluß. — Die von der Bundesregierung angegebenen Gründe, warum eine Einigung noch nicht möglich sei, sind bürokratisch. Wir haben den Eindruck, daß der Bundesregierung der Verhandlungsrahmen nicht paßt, nämlich die geographische Beschränkung auf Mitteleuropa, und daß sie deshalb die weitere Verhandlung verschleppt.
Nach zehn Jahren verweisen Sie in Ihrem Bericht auf die Möglichkeiten, im Rahmen der kommenden Konferenz für Abrüstung in Europa auch Fortschritte für die Wiener Verhandlungen zu erzielen.
Bei dieser Konferenz wird aber erst einmal für lange Zeit, wenn etwas Positives zunächst einmal tatsächlich passieren kann, über vertrauensbildende Maßnahmen gesprochen.
Wir werden es nicht hinnehmen, wenn Sie die Konferenz für Abrüstung in Europa als Argument mißbrauchen sollten, .. .
Herr Abgeordneter, ich muß Sie mahnend daran erinnern, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Ende. —... mißbrauchen sollten, die Wiener Verhandlungen zunächst weiter dahinsiechen zu lassen, um ihnen dann ein Begräbnis zweiter Klasse zukommen zu lassen.
Das sind Punkte, auf die wir achten werden und wo wir unsere Maßstäbe,
so wie wir sie immer hatten, an Ihre Politik anlegen werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hoffmann .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Politiker sind immer in der Gefahr, das, was sie für wichtig erachten, gleich zum Hauptanliegen des ganzen Volkes zu erklären. Dabei befinden sie sich in guter Gesellschaft mit denjenigen, die in Presse, Funk und Fernsehen Politik kommentieren, analysieren und kritisieren. Diese Feststellung mag von manchem von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht geteilt werden und mag auch bei manchem Pressevertreter Stirnrunzeln hervorrufen. Für das Thema, das uns heute morgen beschäftigt, stimmt dies nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate sicher.Wir dürfen nicht vergessen, daß viele unserer Mitbürger, was ihr gutes Recht ist, hundert andere Dinge lieber tun, als sich mit schwierigen politischen Einzelfragen zu befassen. Dazu kommt, daß die Frage des NATO-Doppelbeschlusses offensichtlich für die allermeisten Bürger nicht einmal die wichtigste Frage ist, wie eine kürzliche Umfrage der Wickert-Institute aufzeigte.
Danach sind nur 10% der Bevölkerung an dieser Frage interessiert. Um Umweltverschmutzung und -schädigung fürchten hingegen 44 %, ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit befürchten 41 %, daß die Verbrechen zunehmen und man daheim und auf der Straße nicht mehr sicher ist, befürchten 29%. Friedens- und Sicherheitsdiskussion hat für unsere Mitbürger lange nicht den Stellenwert, den manche unter uns ihr geben möchten.
Dies ist auch mein Erfahrungssatz. Man sollte sich aber auch einmal um die schweigende Mehrheit und ihre Meinung kümmern. Mit dieser Frage möchte ich mich hier einmal auseinandersetzen. Dies ist, wie gesagt, auch mein Erfahrungssatz, der Erfahrungssatz einer Abgeordneten, die in den vergangenen Jahren jahraus, jahrein in vielen Gesprächen, Diskussionen, bei Bürgersprechstunden und Stammtischen Einblick in die Empfindungen der Mitbürger bekommen hat.Auf einen kurzen Nenner gebracht, lauten diese Erfahrungen und meine Analyse vor Ort so: Es gibt keine Bevölkerungsgruppe in unserer Gesellschaft, die mit einem Ausschließlichkeitsanspruch ausgestattet wäre, um sich das Etikett „Friedensbewegung" an die Strickjacke zu stecken. Ich habe stets einen Widerwillen dabei verspürt, eine politische Gruppierung so zu kennzeichnen.
Eine derartige Benennung grenzt automatisch andere Menschen aus und verkennt, daß es kein Friedensmonopol geben kann.
— Hören Sie nur zu; Sie werden gleich hören, worauf ich hinaus will. Wer sich als Friedensbewegung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2299
Frau Hoffmann
kennzeichnet, führt bewußt oder unbewußt einen semantischen Feldzug gegen seine Mitmenschen.
Diese Ausgrenzung läuft damit in Wirklichkeit dem vorgegebenen Ziel der Friedensschaffung zuwider.Im Bundestag haben wir in der Vergangenheit Versuche erlebt, eine derartige Monopolisierung mit dem Begriff der Friedensfähigkeit zu erreichen.
Diese Versuche mußten scheitern, denn ebenso wie die gesamte Bevölkerung sind auch die im Bundestag vertretenen politischen Parteien Teil dieser umfassenden Friedensbewegung.
Lassen Sie mich eines hinzufügen, nicht zuletzt auf Grund vieler Gespräche mit unseren Mitbürgern: Auch die Bundeswehr ist ein Teil dieser Friedensbewegung, ein sehr wichtiger Teil dieser Friedensbewegung.
Es wirft im übrigen ein bezeichnendes Licht auf den Zustand unserer politischen Diskussion, wenn letztere Tatsache immer wieder hervorgehoben werden muß.Meine Damen und Herren, der Bürger hat für unsere politischen Auseinandersetzungen um die eben getroffenen Feststellungen wenig Verständnis. Der Bürger hat uns gewählt und erwartet von uns zu Recht, daß wir nunmehr verantwortungsbewußt entscheiden und handeln. Für die Friedens- und Sicherheitsdiskussion heißt dies, den richtigen Weg der Friedenserhaltung in praktische Politik umzusetzen.Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Der Bürger weiß, daß derzeit leider ein echter Frieden nicht anders gewährleistet werden kann als mit den nötigen Abschreckungsmitteln. Trotz aller ideologischen Gegensätzlichkeiten hat es nämlich in Europa seit bald vier Jahrzehnten keinen Krieg zwischen den großen Blöcken gegeben. Manche Kritiker beschreiben diesen Zustand als lediglich Abwesenheit von Krieg. Doch ich möchte hervorheben, daß dieser nach meiner Ansicht nicht perfekte Frieden immerhin für die westeuropäischen Völker eine unerläßliche Voraussetzung gewährleistet hat: Freiheit.Wir haben uns leider angewöhnt, über den Wert der Freiheit allzu leicht hinwegzugehen.
Ich habe Verständnis für diejenigen, die sich angesichts der waffenstarrenden Welt bedroht fühlen und Angst empfinden. Ich habe auch für diejenigen Verständnis, die aus tief empfundener Glaubensüberzeugung für sich jegliche gewaltsame Verteidigung ablehnen. Es hat immer Gruppen wie z. B. die Quäker gegeben, die vor allem die Bergpredigt als unmittelbare Handlungsanweisung auffassen. Ichrespektiere dies. Was jedoch einzelne außergewöhnliche Menschen für sich persönlich zu leisten vermögen, ist für die Politik schlicht untauglich.Ich zitiere den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der auf dem Kant-Kongreß am 12. März 1981 ausgeführt hat:Der Politiker wird nicht schon dadurch gerechtfertigt, daß er die richtigen, die moralisch begründeten Zwecke und Ziele verfolgt. Das ist bestenfalls ein Teil seiner Legitimation. Seinem politischen Handeln muß eine kritische Analyse der Situation, der Zusammenhänge vorausgehen. Ein Politiker, der für andere handelt, darf sich keineswegs auf seine Gesinnung, auf Gesinnungsethik zurückziehen. Vielmehr hat er für die Folgen seines Handelns aufzukommen.Diese Verantwortung gebietet es, klar zu erkennen und klar zu sagen, daß unsere Freiheit nicht aus sich heraus garantiert ist, solange es eine Ideologie gibt, die im Namen des selbsternannten Heils Menschen- und Bürgerrechte unterjocht.
Ich stimme Josef Kardinal Höffner zu, der erklärt hat, daß gerade die religiöse Verantwortung zum Schutz des Lebens und insbesondere das christliche Gebot der Nächstenliebe jeden Christen verpflichten, die Freiheit und Unversehrtheit seiner Mitmenschen zu schützen und unrechte Gewalt von ihnen abzuwehren. Wer dies ablehne, so meint er, stelle seine private Gesinnungsethik höher als die Verantwortungsethik gegenüber der Allgemeinheit, der Gemeinschaft.Meine Damen und Herren, das Wort „Lieber rot als tot" ist Ausfluß solchen Denkens. Ich habe als deutsche Abgeordnete in einem frei gewählten demokratischen Parlament im übrigen wenig Verständnis dafür. Wer diese Formel vertritt, mißachtet noch im nachhinein den mutigen Einsatz der Männer und Frauen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Lieber braun als tot — wenn diese Männer und Frauen damals so gedacht hätten!Ich habe zu Ihnen nicht als Parteipolitikerin gesprochen. Dies sollte ein Versuch sein, eine Begründung für unser eigenes politisches Handeln zu liefern. Ich weiß Sie mit mir darin einig, daß uns die Welt so, wie sie ist, aber auch unsere persönlichen Unzulänglichkeiten nicht befähigen, im strengsten Sinn nach der Bergpredigt zu handeln. Lassen wir uns persönlich von ihr leiten, aber entscheiden wir verantwortungsbewußt für unsere Mitbürger. Ich meine, daß wir auf diese Weise am ehesten unserer Verantwortung für die Deutschen und Europäer beiderseits des Eisernen Vorhanges gerecht werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Metadaten/Kopzeile:
2300 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Predigt, die wir gerade gehört haben, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit wieder auf Einzelheiten des Abrüstungsberichts lenken, der ja heute zur Diskussion steht.
Wenn man diesen Bericht liest, kann man nur staunen über den Mut zur Lücke und die Großzügigkeit im Umgang mit den Fakten, die ihn auszeichnet. Der Bericht ist nur in einem einzigen Punkt erhellend. Er enthüllt das Dilemma einer Abrüstungspolitik, die mit Maßstäben und Zielvorstellungen arbeitet, an denen ernsthafte Abrüstungsbemühungen scheitern müssen.
Wenn man die Abrüstungsfrage einem so simplen Gleichgewichtsbegriff unterordnet, wie es in diesem Bericht getan wird, dann darf man sich nicht wundern, wenn das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen nicht Abrüstung, sondern eine neue Umdrehung der Rüstungsspirale ist.Das Bild, das sich aus diesem Bericht ergibt, steht in einem krassen Gegensatz zu der vollmundigen Abrüstungsrhetorik der Bundesregierung. Ein Jahrzehnt der Abrüstung hat man uns verheißen, Abrüstung als die alles überragende Aufgabe der Politik für den Rest des Jahrhunderts, Überrüstung als Herausforderung an die menschliche Vernunft charakterisiert. Ich glaube, das ist alles richtig. Aber wo bleibt die Tat dieser Gedanken? Kaum irgendwo ist die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit so kraß wie auf diesem Feld.Soll man sich dann wundern, wenn mehr und mehr Menschen die Geduld mit einer Politik verlieren, die Abrüstung predigt und Rüstung betreibt? Soll man sich wundern, wenn immer mehr Menschen von Verhandlungen nichts mehr erwarten, sondern einseitigen Rüstungsabbau verlangen?Nun wird im Abrüstungsbericht gesagt, daß einseitige Abrüstungsschritte natürlich nicht in Frage kämen, obwohl der Bundesregierung bei der Abfassung des Berichts längst bekannt war, daß genau so ein einseitiger Abrüstungsschritt unmittelbar bevorstand. Der Herr Verteidigungsminister hat sich dessen ja eben auch noch gerühmt. 1 400 Atomsprengköpfe werden abgezogen, die meisten aus der Bundesrepublik. Schafft das nun das Ungleichgewicht, was in dem Bericht als Folge einseitiger Abrüstungsschritte vorhergesagt wird, oder waren wir bisher etwa zu hoch gerüstet? Oder ist es vielleicht so, daß man auf die alten Waffen jetzt verzichten kann, weil man viel effektivere neue bekommt? Das ist doch der wahre Grund.
Macht sich eigentlich irgend jemand klar, welche Reaktionen ausgelöst werden müssen, wenn ständig gleichzeitig über Abrüstungsbereitschaft und Nachrüstungsentschlossenheit gesprochen wird? Ich bezweifle ganz entschieden das Selbstlob, das sich die Bundesregierung erteilt, wenn sie feststellt, ihre Friedens- und Sicherheitspolitik werde von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen. Es ist wohl im Gegenteil so, daß die Mehrheit der Bevölkerung eine Politik nicht trägt, die mehr und mehr den Eindruck vermittelt, ihr sei die Stationierung neuer Waffen wichtiger als ein Verhandlungserfolg mit der Konsequenz einer substantiellen Reduzierung sowjetischer Mittelstreckenwaffen.
Man braucht doch überhaupt nicht erst Umfragen zu bemühen, Herr Kollege, weil es mit Händen zu greifen ist, was die Menschen in der Bundesrepublik von der Aussicht halten, daß ihr ohnehin schon mit Atomwaffen geradezu gespicktes Land nun auch noch eine neue und gefährliche Generation von Atomwaffen aufnehmen soll. Diesen Unterschied, Herr Verteidigungsminister, muß man schon mit erwähnen, wenn man über den Abzug der 1 400 Atomsprengköpfe spricht.
Meine Damen und Herren, es gibt eine typisch konservative Reaktion auf ein solches Meinungsbild, die darin besteht, daß man den Leuten sagt, sie hätten von der Sache keine Ahnung. Herr Dregger, der sich bestimmt nicht gekränkt fühlt, wenn man ihn einen Konservativen nennt, hat das in seiner Beurteilung der Teilnehmer an den Demonstrationen der Friedenswoche so ausgedrückt — ich zitiere —: „Sie sind außerdem in hohem Maße falsch informiert."
Außerdem sind diese Leute laut Dregger natürlich Opfer von Desinformation, Propaganda und Angstmache durch die Sowjetunion.Meine Erfahrungen sind ein bißchen anders. Eine sehr große Zahl, eine erfreulich große Zahl von Bürgern weiß nämlich sehr gut über sicherheitspolitische Fragen Bescheid. Ich bin nicht sicher, daß jedes Mitglied des Hauses hier in einer Diskussion mit einer beliebigen Friedensinitiative garantiert gut aussähe, was Sachkunde und Kompetenz angeht.
Ich halte es für einen Fortschritt, daß die Diskussion über sicherheitspolitische Fragen seit langer Zeit endlich einmal aus dem Elfenbeinturm einer bandvoll — teils selbsternannter — Strategieexperten herauskommt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2301
VerheugenDaß man jetzt an jedem Stammtisch und leider auch in jeder Redaktionsstube — ich gebe es ja zu — einen kleinen Clausewitz des Atomzeitalters findet, ist weniger erfreulich, aber auch weniger wichtig.
Wichtig ist die Demokratisierung der sicherheitspolitischen Diskussion durch mehr Offenheit und Öffentlichkeit. Das ist deshalb wichtig, weil die Grundentscheidungen der Sicherheitspolitik eine breite Zustimmung brauchen, wie sie nur aus umfassender Information und tatsächlicher Mitentscheidung erwachsen kann.Wenn es aber so wäre, wie der Herr Dregger sagt, daß die Menschen gar nicht wissen, warum sie eigentlich demonstrieren, dann allerdings muß man fragen, warum eine Chance zur Vertiefung der Information, wie ein Abrüstungsbericht sie bieten könnte, einfach vertan wird.Es fängt damit an, daß der Bericht mit einem nebulösen Gleichgewichtsbegriff hantiert, ohne diesen Begriff mit einem präzisen Inhalt zu füllen. Was ist denn das, ein „stabiles Kräftegleichgewicht"? Aus welchen einzelnen Elementen bildet es sich? Nach welchen Maßstäben wird es errechnet?
Der Bericht verwendet den Begriff ,,Gleichgewicht" einmal global, einmal regional, einmal auf die Gesamtheit aller Verteidigungskapazitäten bezogen und manchmal sogar im Hinblick auf einzelne Waffensysteme. Er spricht eben, Herr Kollege Berger, nicht vom Gleichgewicht der Option.
Das hätten Sie gleich hineinschreiben sollen. Natürlich kommt man, je nachdem, welcher Gleichgewichtsbegriff zugrunde gelegt wird, zu ganz anderen Ergebnissen.Ich entnehme dem Bericht: Gleichgewicht als Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit friedenssichernder Abschreckung. Ist das wirklich wahr? Die Abschreckungsdoktrin besagt, daß soviel Verteidigungskraft vorhanden sein muß, daß für einen potentiellen Gegner das Angriffsrisiko unerträglich wird. Wenn man diese Verteidigungskapazität ausschließlich im Gleichgewicht von Waffen und Waffensystemen sieht, wenn man die technologische und ökonomische Überlegenheit nicht einbezieht, dann ist ein Rüstungswettlauf unvermeidlich.Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, daß sie einmal offenlegt, welche und wie viele Atomwaffen ausreichen, um die Abschreckung zu garantieren. Es hat doch keinen Sinn, daß sich beide Seiten ständig gegenseitig hochschaukeln. Die These „Abschreckung durch Gleichgewicht" wird an einer mathematisch berechenbaren Stelle absurd. McNamara hat — nicht erst jetzt, sondern schon in den 60er Jahren, als er Verteidigungsminister war — das zur Abschreckung notwendige Potential strategischer Atomwaffen beziffert. Diese Zahl betrug ein Zwanzigstel der heute vorhandenen strategischen Nuklearkapazität der USA. Demnach hätten wir heute eine zwanzigfache Überabschrekkung.Wenn man erkennen muß, daß eine Politik in ihren Auswirkungen absurd zu werden anfängt, dann ist es Zeit, sich etwas Besseres einfallen zu lassen. Wir denken, daß das Konzept der Sicherheitspartnerschaft eine bessere Chance bietet, in der Abrüstungsfrage endlich vom Reden zum Handeln zu kommen.
Verworrene Begriffe, meine Damen und Herren, zeugen meistens von verworrenem Denken, oder aber die Begriffe werden verwendet, um die wahren Gedanken zu verschleiern.
— Herr Reddemann, da kennen Sie sich aus.Begriffliche Unklarheit herrscht auch dort, wo es um die Zuordnung einzelner Waffensysteme zu strategischen Kategorien geht. Da werden die britischen und französischen Systeme in Beziehung gesetzt zu dem interkontinentalstrategischen Potential der Sowjetunion, trotz der absolut nicht vergleichbaren Reichweiten und obwohl an anderer Stelle im Bericht die Reichweite als Unterscheidungskriterium zwischen strategischen und eurostrategischen Waffen genannt wird. Da werden dieselben Systeme als Ultima-ratio-Waffen bezeichnet. Meine Damen und Herren, gibt es nach Auffassung der Bundesregierung etwa Atomwaffen, die das nicht sind? Die Frage ist doch nicht bloß rhetorisch. Der Bundeskanzler hat erst jüngst erklärt, die britischen und französischen Systeme bedrohten doch niemanden, seien nur zur Verteidigung da und müßten deshalb nirgendwo eingerechnet werden. Nichtsdestoweniger gehören sie zur westlichen Gesamtverteidigung. Das ist auch richtig so. Entsprechend müssen sie rüstungskontrollpolitisch behandelt werden, durch Einbeziehung in Gespräche, und zwar jetzt.
— Ja.Grotesk wird es geradezu, wenn der Bericht begründet, warum diese Systeme bei den derzeitigen Verhandlungen nicht angerechnet werden können. Mit dieser Forderung, so heißt es, strebe die Sowjetunion Überlegenheit über die USA an.
Ja, was wäre denn die Alternative? Ein jeweils separates Gleichgewicht zwischen der Sowjetunion und jedem einzelnen westlichen Nuklearstaat?
— Ich lasse keine Zwischenfragen zu.
Metadaten/Kopzeile:
2302 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
VerheugenWie soll das funktionieren? Oder sollen die britischen und die französischen Systeme in Wahrheit für jede Rüstungskontrolle tabu sein?
Meine Damen und Herren, diese Fragestellungen führen bereits mitten in die Problematik der Mittelstreckenwaffen hinein. Das Thema nimmt in dem Bericht mit Recht breiten Raum ein, weil diese Genfer Verhandlungen der erste große und erfolgreiche Test auch eines speziell deutschen Beitrags zur Rüstungskontrollpolitik hätten werden können.
Wenn Genf scheitert — und ich halte das Scheitern für gewiß —, dann bedeutet dies, daß dieser erste ernsthafte Versuch, den schrecklichen Teufelskreis von Rüstung und Nachrüstung zu durchbrechen, nichts gebracht haben wird — und das auch deshalb, weil die deutsche Bundesregierung nicht alles getan hat, was ihre Pflicht gewesen wäre.
— Da Sie „Helmut Schmidt" gerufen haben: Die sozialliberale Koalition hat seinerzeit eben keinen Rüstungsbeschluß fassen wollen. Ihr ging es darum, die Bedrohung durch die SS-20-Rüstung auf dem Verhandlungsweg zu korrigieren.
Und der dann eingeschlagene Weg, den etwa Ihr Freund Franz Josef Strauß von Anfang an als falsch und irreal bezeichnet hat, hat sich bewährt; denn es liegt ein substantielles sowjetisches Reduzierungsangebot vor. Ich sage nicht, daß man das so unterschreiben könne, ganz gewiß nicht. Aber nachdem sich die Sowjetunion doch, zugegebenermaßen sehr zäh, aber immerhin Stück für Stück, bewegt hat, muß man doch fragen: Wer sagt denn, daß das Ende dieser Bewegung schon erreicht ist?
Jedenfalls bedeuten die jetzt vorliegenden Zahlen, daß das nukleare sowjetische Bedrohungspotential für Europa künftig geringer sein könnte, als es vor dem Beginn des dramatischen SS-20-Aufwuchses im Jahre 1978 war. Das steht in dem Bericht natürlich nicht drin. In dem Bericht stehen die Zahlen über die Entwicklung des sowjetischen Mittelstrekkenpotentials nur global. Es wäre interessant gewesen, einmal zu sehen, wie es von Jahr zu Jahr in und für Europa ausgesehen hat.
Meine Damen und Herren, die Oberflächlichkeit des Umgangs mit Daten wird auch dann deutlich, wenn man einen ganz unschuldig klingenden Satz liest: „Beginn der Modernisierung erster britischerSLBM-Polaris" steht da. Um aber mit dieser Information etwas anfangen zu können, muß man wissen, daß diese neuen SLBM mit je sechs JavelinSprengköpfen ausgerüstet werden, so daß ein Polaris-U-Boot allein 96 Sprengköpfe trägt.
— Sechs mal sechzehn ist 96.Diese Zahlen spielen eine Rolle, wenn man den Genfer Verhandlungsstand richtig würdigen will; denn seit dem Andropow-Vorschlag vom Dezember 1982 war erkennbar, daß die Berücksichtigung der britischen und französischen Systeme die Schlüsselfrage werden würde.
Gegen die Anrechnung hatte der Bundesaußenminister, auch schon bei der alten Koalition, immer argumentiert, sie seien bei den strategischen Systemen bereits berücksichtigt.
Die Amerikaner erzählen aber jedem, der es hören will, daß das nicht stimme. Wenn die Systeme bei SALT nicht angerechnet waren, warum dann nicht bei INF?
Und wenn man es bei INF partout nicht wollte, warum hat man dann an den getrennten Tischen festgehalten? Spätestens ab dann hätte global verhandelt werden müssen.Wenn man dies alles bedenkt, drängt sich ein sehr harter Schluß auf: Ein Genfer Verhandlungsergebnis war in Wirklichkeit nicht gewollt, jedenfalls keines, das den Verzicht auf die Stationierung der Pershing II und der Cruise Missiles ermöglicht hätte.
Mir scheint, diese Waffen werden gewollt, unabhängig davon, ob es eine spezifische SS-20-Bedrohung gibt oder nicht.
Deshalb hat das alles mit dem Doppelbeschluß nichts mehr zu tun. Und deshalb kann sich diese Politik nicht auf die seinerzeitige Initiative der sozialliberalen Koalition berufen, ohne die es die Genfer Verhandlungen nicht gegeben hätte.
Meine Damen und Herren, es war bitter zu sehen, wie hier eine historische Chance vertan wird. Das Scheitern in Genf ist nicht zwangsläufig. Es folgt vielmehr einem Muster, das wir schon aus Wien von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2303
Verheugenden MBFR-Verhandlungen her kennen. Ziele werden so definiert, daß sie nicht zu erreichen sind.
Es sind viele verpaßte Chancen zu beklagen. Genf steht nicht allein.Warum eigentlich hält die Bundesregierung den sowjetischen Vorschlag auf Abschluß eines Gewaltverzichtsvertrages zwischen den beiden Blöcken nicht einmal für verhandlungswürdig? Immerhin ist die Gewaltverzichtspolitik Kernstück des deutschen Beitrags zum Abbau möglicher Konfliktursachen in Europa gewesen.
Warum hat sie es abgelehnt, über den Vorschlag der Palme-Kommission zu reden, eine atomwaffenfreie Zone beiderseits der Blockgrenzen zu schaffen?
Wäre das nicht ein Weg, die von der Bundesregierung nicht bestrittene Problematik der atomaren Gefechtsfeldwaffen zu verringern, einfach deshalb, weil die Use-or-lose-Situation aufgeschoben würde. Bei diesen Versäumnissen wundert es nicht mehr, wenn die rüstungskontrollpolitischen Auswirkungen geplanter Neueinführungen von Waffensystemen in dem Bericht verschwiegen werden.Meine Damen und Herren, das Urteil über den vorliegenden Abrüstungsbericht muß deshalb hart ausfallen: Flüchtigkeiten und Nachlässigkeiten erklären vielleicht doch, warum in Genf nichts herauskommen kann. Dieser Bundesregierung fehlt nicht nur die Fähigkeit, Rüstungskontrolle und Abrüstung voranzutreiben, ihr fehlt der Wille dazu.
Sie ist auf Nachrüstung fixiert, nicht auf Rüstungsverzicht. Die Chance, die in diesen Tagen leichtfertig und unter Mißachtung der elementaren Interessen der Deutschen verspielt wird, wird so schnell nicht wiederkommen.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Helmrich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich zum Volksbefragungsgesetz zu Wort gemeldet, einem entlarvenden Gesetz, wie ich meine. Die GRÜNEN bringen dieses Gesetz ein, wortwörtlich gleichlautend mit zwei Petitionen von außerparlamentarischen Gruppen. Diese Petitionen sind zwischenzeitlich als verfassungswidrig abgewiesen worden. Jetzt haben wir sie hier wieder auf dem Tisch. Nichts anderes haben Sie gemacht mit einem großen Teil der Fragen, die in Ihren Großen Anfragen enthalten sind und
die in der Fragestunde bereits gestellt und beantwortet waren. Es geht Ihnen in erster Linie gar nicht um die Antworten, sondern es geht Ihnen um Aktionen,
wie auch heute der Auszug wieder zeigt, wie das Fernsehteam zeigt, mit dem Sie heute morgen herumgelaufen sind.
Ihnen geht es um Blockadekampagnen, Auszug aus dem Parlament, Aktionen zivilen Ungehorsams, Unterschriftenaktionen, Mitreißen, in Bewegung bringe, eine Volksbewegung sein, nicht eine Partei.
Das Nachdenken, die Debatte, das Argumentieren, die Toleranz gegenüber Andersdenkenden, das Zuhören können kommen dabei zu kurz. Recht hat nur, wer sich mitbewegt. Das emotionale Abgeschlepptwerden herrscht vor. Das ist der Charakter politischer Bewegungen.
In diesem Aktionismus, den die GRÜNEN betreiben, ist das Volksbefragungsgesetz auch nur ein Teil einer Kampagne. Am 14. Juli 1983 hat die Geschäftsführung des Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung in Bonn die „Kampagne Volksbefragung" gestartet.
Das ist übrigens ein mißliches Datum: nicht nur der Sturm auf die Bastille, sondern genau vor 50 Jahren, am 14. Juli 1933 kurz nach der Machtergreifung, haben die Nationalsozialisten ihr Gesetz über Volksabstimmung beschlossen.
Das ist übrigens kein unbekanntes Datum in der Parteien- und Parlamentsgeschichte. Denn am gleichen Tage wurde die Monopolstellung der NSDAP durch Gesetz festgeschrieben;
alle anderen Parteien wurden verboten und die damalige SPD wurde enteignet. Sie können das nachlesen. Ich nenne dieses Datum nur deshalb, weil in der ganzen Begründung des Gesetzentwurfs sich eine bodenlose geschichtslose Denkweise zeigt.
Zur verfassungsrechtlichen Begründung, weshalb wir das ablehnen, hat der Innenminister heute
Metadaten/Kopzeile:
2304 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Helmrichschon Ausführungen gemacht. Lassen Sie mich noch einiges zu den verfassungspolitischen Gründen sagen. Die Väter des Grundgesetzes vor 35 Jahren und die Mitglieder der Verfassungsreformkommission vor sieben Jahen haben sich gegen Volksbefragungen entschieden. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile kamen sie zu dem Ergebnis, daß die Nachteile die Vorteile überwiegen. Die Reformkommission meint, daß nach aller Erfahrung den Demagogen ein zu weiter Spielraum eingeräumt würde. Theodor Heuss nannte die Volksinitiative in großräumigen Demokratien gar eine Prämie für jeden Demagogen.
Das Hauptproblem liegt in der Schwierigkeit der Fragestellung. Die GRÜNEN wollen fragen, ob jemand dafür oder dagegen ist, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik neue atomare Mittelstreckenraketen der Typen Pershing II und Cruise Missiles stationiert werden? Stellen Sie die Frage einmal anders, etwa so:Sind Sie dafür oder dagegen, daß aus der Bundesrepublik alte Atomraketen abgezogen und als Gegengewicht gegen die modernen SS 20 der Sowjets neue Pershing II und Cruise Missiles stationiert werden?Sie werden völlig andere Antworten bekommen.Oder machen Sie es noch anders. Lassen Sie Differenzierungen bei den Antworten zu. Etwa so: schildern Sie den Sachverhalt und geben Sie vier verschiedene Antworten vor:1. Ich bin auf jeden Fall dafür.2. Ich bin nur dafür, wenn die Sowjets immer weiter neue SS 20 stationieren.3. Ich bin nur dafür, wenn die Sowjets ihre SS 20 nicht verschrotten.4. Ich bin auf jeden Fall dagegen.Hier werden Sie durch die unterschiedliche Möglichkeit, Kreuze zu machen, sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Hans Schneider hat einmal geschrieben, die Gefahr solcher Volksbefragungen liege in der Plumpheit der Fragestellung und der Unmöglichkeit, differenziert zu antworten.Ich muß Sie noch mit ein paar Fragestellungen konfrontieren, über die in Deutschland abgestimmt worden ist. Die erste Volksabstimmung unter Hitler besiegelte den Austritt aus dem Völkerbund. Die zweite Abstimmung erfolgte noch dem Tode des Reichspräsidenten Hindenburg über die Vereinigung des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers und die Wahrnehmung beider Ämter durch Hitler. Die Frage lautete:Stimmst du, deutscher Mann, und du, deutsche Frau, der in diesem Gesetz getroffenen Regelung zu?Die dritte Abstimmung — 1938 — erfolgte über folgende Frage:Bist du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs ist dem Deutschen Reich einverstanden, und stimmst du für die Liste unseres Führers Adolf Hitlers?Kurz vor dem Einmarsch in Österreich hatte die österreichische Regierung Schuschnigg direkt für diesen 13. März 1938 eine Volksabstimmung vorbereitet, wo durch Ja und Nein zu folgender Parole Stellung genommen werden sollte — ich zitiere —:Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich, für Friede und Arbeit und die Gleichberechtigung aller, die sich für Volk und Vaterland bekennen.Die Abstimmung hierüber in Österreich wurde dann in letzter Minute abgeblasen. Aber weil es noch kein Fernsehen und wenig Radio gab, wurde die Volksbefragung am Tage des Einmarsches in einigen entlegenen Dörfern doch durchgeführt — mit einem positiven Ergebnis für Schuschnigg. In den gleichen Dörfern wurde vier Wochen später die Abstimmung über die Hitler-Frage betreffend den Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland mit dem gleich hohen Stimmenergebnis durchgeführt.
Ich glaube, das macht sehr nachdenklich.
Ich will nicht nur über Volksbefragungen von früher sprechen. Meine Damen und Herren, wie schnell können wir auch heute noch Volksbefragungen haben! Wenn wir glauben, plebiszitäre Elemente in unsere Verfassung einführen zu sollen, können wir Volksbefragungen über die Todesstrafe, ja oder nein, haben. Wir können Volksbefragungen über Minderheitenprobleme
— über Steuern —, über Probleme von Homosexuellen haben.Aber wir können Volksbefragungen nicht nur über Fragen haben, die ich mir jetzt ausgedacht habe. Meine Damen und Herren, wir hatten uns mit dieser Thematik just in diesem Sommer in Nordrhein-Westfalen betreffend das Ausländerproblem zu beschäftigen. Mit dem Begehren, eine Volksbefragung durchzuführen, wurden emotionale Verhetzung und Ausländerfeindlichkeit angestrebt. Und, meine Damen und Herren: Die Regierung in Nordrhein-Westfalen hatte große Mühe, diese Volksbefragung abzulehnen; alle gesetzlichen Voraussetzungen waren schon erfüllt. Nur über eine Bestimmung in einem Vertrag mit der UNESCO war es der Regierung Rau möglich, diese Volksbefragung abzulehnen.
In diesem Zusammenhang darf ich aus der „Deutschen National-Zeitung" vom 3. Juni 1983 zitieren. In ihr wird zur Durchführung eines Volksbegehrens
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2305
Helmrich— genauso wie der Wunsch nach Durchführung einer Volksbefragung von den GRÜNEN — aufgerufen. Ich weiß nicht, ob das den Deutschen Bundestag jemals erreicht hat, aber es wurde vorgeschlagen, eine Petition an den Bundestag zu richten, wonach über ein Volksbegehren die Errichtung einer zentralen nationalen Ehrenstätte für deutsche Soldaten erreicht werden sollte; dieser Vorschlag wurde vom Ehrenbund des Nationalhelden Rudel eingebracht. Ich kann nur sagen: Mich machen diese Dinge sehr nachdenklich.Ich wiederhole: Die größte Schwierigkeit liegt in der Plumpheit der Frage und in der Unmöglichkeit, differenzierende Antworten zuzulassen.
Die Fragen, die ich hier genannt habe, sind alles Fragen, in denen wir in der Politik immer versuchen die Emotionen herunterzuspielen und sie nicht aufzuputschen, wie Sie es jetzt mit Ängsten in der Bevölkerung wegen der Raketenstationierung tun.
Hier schließt sich der Kreis zu dem, was ich über Bewegungen gesagt habe: Aktionismus statt Politik; aufgeputschte Gefühle statt Vernunft; Konfliktstrategie statt Bemühung um Einigkeit; Destabilisierung statt Integration. Nach der Presseerklärung der GRÜNEN vom 8. Oktober 1983 sollen diese Aktionen — ich zitiere wörtlich — „den Prozeß einer massenhaften Aufkündigung der Staatsloyalität einleiten".
Damit gerät die Aktion „Volksbefragung" in den üblen Geruch eines nackten Propagandainstruments gegen diesen Staat.
Diese Form der Propaganda ist der Demokratie abträglich. Die Volksabstimmung, die doch nur im Rahmen eines freiheitlichen Staatswesens ein sinnvolles Mittel zur Entscheidung von Grundfragen sein kann, wendet sich gegen ihre eigene Lebensbasis. Die Konsequenz bringt ihre Prämisse um.Das ist der tiefere Sinn, weshalb Theodor Heuss und die Verfassungsreformkommission von dem zu großen Spielraum für Demagogen sprachen, weshalb wir derartige Volksbefragungen für mehr schädlich als nützlich halten und weshalb wir sie ablehnen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zu dem Teil der Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der GRÜNEN reden, die sich mit dem Themenkreis Atomwaffen — Rechtsgrundlage befaßt. Hier bestätigt sich das, was schon bei der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Thema Kriegsvölkerrecht festzustellen war. Die Regierung versucht, die rechtliche Dimension der Nachrüstung herunterzuspielen, weil dies die politische Durchsetzbarkeit ihrer Ziele erleichtern könnte. Deshalb bleiben auch dieses Mal ihre Antworten ungenau und ausweichend oder sie fehlen gänzlich. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen im Rechtsausschuß eine Klärung der nicht einfachen Rechtsfragen mit ihrer Mehrheit verhindert.Natürlich bin auch ich der Meinung, daß politische Fragen einer politischen Antwort bedürfen; denn in der Vergangenheit ist manchmal zu Recht der Versuch konservativer Juristen beklagt worden, den politischen Entscheidungsspielraum dadurch einzuengen, daß sie politische Fragen ausschließlich zu Rechtsfragen erklärt haben, um demokratisch zustande gekommene Entscheidungen zu torpedieren. Auf der anderen Seite muß aber auch klar sein, daß Politik nicht im rechtsfreien Raum stattfindet. Hier werden vom Recht, insbesondere von der Verfassung, Grenzen gesetzt, und deshalb ist es notwendig, diese Grenzen exakt zu definieren.Frau Kollegin Kelly hat heute morgen gemeint, die beabsichtigte Stationierung von Raketen sei verfassungswidrig. Ich würde mich nicht so erheben. Nach unserer staatlichen Ordnung hat allein das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz, festzustellen, ob ein hoheitlicher Akt der Verfassung entspricht oder nicht. Aber es ist das Recht eines jeden einzelnen Bürgers, und es ist die Pflicht jedes einzelnen Abgeordneten, sich nicht nur über die politische, sondern auch über die rechtliche Tragweite Klarheit zu verschaffen, deren Entscheidung demnächst bevorsteht. Bundesregierung und Koalitionsparteien müssen sich das traurige Verdienst auf ihre Fahnen schreiben lassen, daß sie zu dieser Klarheit nicht beigetragen haben.
Wir Sozialdemokraten halten dies für verhängnisvoll. In der parlamentarischen Demokratie ist die Mehrheit legitimiert, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Diesem Recht der parlamentarischen Mehrheit entspricht aber auch die besondere Pflicht, bei der Durchsetzung ihrer Vorstellungen penibel Recht und Gesetz zu beachten und alles zu tun, damit in dieser Hinsicht keine Zweifel aufkommen. Nichts von alledem findet sich bei dieser Regierung.
Die Auskünfte, Herr Kollege Erhard, der Bundesregierung auf unsere Fragen im Rechtsausschuß waren so dürftig, daß sie selbst bei Abgeordneten der Koalitionsfraktionen Kopfschütteln hervorgerufen haben.
Metadaten/Kopzeile:
2306 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Fischer
— Sie waren aber dürftig.
Unser Antrag, Sachverständige zu diesen Fragen zu hören, wurde ohne Diskussion abgelehnt. Dies war vor allem auch deshalb eine kaum zu überbietende Brüskierung der Opposition und ein Indiz, wie ich meine, für ein höchst unterentwickeltes Demokratieverständnis, weil diese Anhörung zu keinerlei Terminschwierigkeiten geführt hätte. In diesem Hearing hätten wichtige verfassungsrechtliche Fragen einer Klärung zugeführt oder ihr zumindest nähergebracht werden können.Ich denke insbesondere an die Frage, ob es zur Stationierung eines förmlichen Gesetzes als Grundlage bedarf. Hier handelt es sich nicht um eine Formfrage. Aus dem Demokratiegebot des Grundgesetzes ergibt sich, daß wesentliche Fragen vom Parlament und nicht von der Regierung zu entscheiden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mehrfach erklärt. Ich meine, wenn schon bei der Einführung des Sexualkundeunterrichts in Schulen der Gesetzgeber tätig werden muß, dann wohl erst recht bei Fragen, die von existentieller Bedeutung für unser Volk sind!
Und wie steht es mit der Grundrechtsrelevanz der beabsichtigten Stationierung? Es ist doch unbestreitbar, daß im Krisenfalle landgestützte Raketen den Gegner zu einem Präventivschlag reizen könnten, um sie vorzeitig auszuschalten. Müßte nicht zumindest die Frage ernsthaft diskutiert werden, ob dies nicht eine das Grundrecht auf Leben tangierende Gefährdung ist, die allenfalls auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen darf?
Ungeklärt ist auch die Frage, ob das Alleinentscheidungsrecht des amerikanischen Präsidenten hinsichtlich des Einsatzes der im Falle einer Nachrüstung zu stationierenden Waffensysteme mit Nuklearsprengköpfen die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland berührt.Nun sagt die Bundesregierung in ihrer Antwort, es gebe eine ausreichende gesetzliche Grundlage, denn der Deutsche Bundestag habe durch Gesetz dem Generalvertrag und dem Aufenthaltsvertrag im Jahre 1954 zugestimmt; der Aufenthaltsvertrag sehe aber vor, daß eine Erhöhung der Effektivstärke der ausländischen Truppen mit Zustimmung der Bundesregierung erfolgen könne, und damit sei die Bundesregierung durch Gesetz legitimiert, der Stationierung ohne weitere förmliche Einschaltung des Parlaments zuzustimmen.
Ich frage: Will die Bundesregierung damit etwa allen Ernstes behaupten, das Parlament habe mit dem Zustimmungsgesetz aus dem Jahre 1954 bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag eine Blankovollmacht für jede Erhöhung der Effektivstärke ohne Rücksicht auf die Qualität der Waffen erteilt?
Heißt das etwa, daß Neutronenbomben eingeführt werden könnten, ohne daß das Parlament vorher gefragt werden muß? Soll etwa der Bundestag gehindert sein, festzulegen, nach Maßgabe welcher Kriterien die Bundesregierung die Zustimmung nach den Bestimmungen des Aufenthaltsvertrages erteilen oder nicht erteilen darf?
Herr Abgeordneter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ronneburger?
Ich bitte um Entschuldigung, aber aus kollegialen Gründen muß ich sehen, daß ich meine Zeit einhalte.
Welch ein Verfassungsverständnis würde sich bei einer Bejahung dieser Fragen offenbaren!Die Bundesregierung ist Antworten schuldig geblieben. Die Koalitionsparteien haben durch die kaltschnäuzige Ausnutzung ihrer Mehrheit im Rechtsausschuß eine umfassende Information und Aufklärung des Parlaments verhindert.
Meine Damen und Herren, es wird so oft davon gesprochen, die NATO sei auch eine Wertegemeinschaft. Es wäre schlimm, wenn in dieser Gemeinschaft der Stellenwert des Rechts so gering veranschlagt würde, daß man darüber hinwegsehen könnte, wie es hier geschehen ist.
— Hören Sie bitte einmal zu! Gerade wer von den Gegnern der Nachrüstung zu Recht verlangt, daß sie sich bei ihren Aktionen gegen die Nachrüstung an das geltende Recht halten, der müßte selbst sorgsam darauf achten, daß er rechtliche Zweifel an seinem Verhalten so weit wie möglich ausräumt.
Die Bundesregierung hat fast nichts getan, um diese Zweifel zu klären. Im Gegenteil, sie hat nach meiner Meinung alle Register gezogen, um dies zu verhindern.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2307
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wimmer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind ja inzwischen wirklich so unter uns, daß wir auf die Argumente, die hier von den Vorrednern ausgetauscht worden sind, von dieser Stelle aus durchaus noch eingehen können, und ich darf das in bezug auf den von mir sehr geschätzten Kollegen Dr. Scheer auch in der Tat tun.Herr Dr. Scheer, Sie merken j a nicht nur im Verteidigungsausschuß, daß Sie in Ihrer Argumentation im Grunde immer von der Wirklichkeit eingeholt werden. Ich darf das an zwei Beispielen gerade in dem von Ihnen angesprochenen Zusammenhang sehr deutlich machen.
— Nein, nein. — Sie haben den Eindruck zu erwekken versucht, als würden wir in diesem Lande uns an einem Rüstungswettlauf beteiligen. Das ist der Eindruck, den Sie zu erwecken versucht haben. Tatsache ist aber, daß zumindest seit dem Jahre 1978, zu einer Zeit, als Sie noch an der Regierung waren, der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt von 22 % auf 17,6 oder 17,7 % gesunken ist und daß wir nur einen Anteil von etwa 2,2 % für Verteidigungsausgaben am gesamten Bruttosozialprodukt haben. Das heißt doch, daß die Bundesregierungen — das gilt auch für die von Ihnen gestellten — sich so verhalten haben, daß man in diesem Land von einer Beteiligung am Rüstungswettlauf in bezug auf uns zumindest nicht reden kann.
— Für Sie gilt das doch auch; ich klage Sie doch gar nicht an.Ich muß das vor allen Dingen auch vor einem weiteren Hintergrund sagen. Wir sind inzwischen in eine solche Situation geraten, daß wir uns fragen müssen, ob wir das so weiterbetreiben können.
— Nein, Herr Kollege Scheer, Sie kennen die Redezeit hier, und ich will sie auch einhalten. Wir reden im Verteidigungsausschuß über das, was Sie vielleicht noch fragen wollen.Ich darf noch einen weiteren Zusammenhang ansprechen. Sie haben hier darzustellen versucht, als wäre der Westen ganz allgemein und vor allen Dingen auch die Bundesregierung nicht daran interessiert, in der Frage der chemischen Rüstung zur Abrüstung zu kommen. Das genaue Gegenteil ist doch zutreffend. Sie wissen doch, daß die Vereinigten Staaten seit rund 14 Jahren, nachdem sie sich entschieden haben, auf diesem Gebiet nicht weiterzumachen, auf eine positive Antwort der UdSSR warten und daß sie bis heute nicht eingetroffen ist. Von daher, Herr Kollege Dr. Scheer, rennen Sie dem Schimmelreiter nach; die Wahrheit ist ganz anders als das, was Sie hier darzustellen versuchen.Das gilt auch für Ihre Überlegungen, daß die Bundesregierung mit diesem Abrüstungsbericht einen Bericht vorgelegt habe, der die Wende deutlich mache. Das ist nicht zutreffend. Dieser Abrüstungsbericht ist sehr gut, nicht nur deshalb, weil er von den Kollegen Todenhöfer und Würzbach in diesem Hause angeregt worden ist und sehr deutlich macht, auch in seiner zweiten Auflage, daß es bisher das Bemühen einer jeden Bundesregierung gewesen ist, unseren Beitrag dazu zu leisten, daß wir in dieser Welt weiterkommen, und zwar in dem Versuch, auch der UdSSR gegenüber durch ständiges Bohren dicker Bretter in der Tat dazu zu kommen, daß wir im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu vernünftigen Lösungen kommen. Dieser Bericht macht vielleicht eines deutlich, daß die Bundesregierung unter Helmut Kohl die internationale Glaubwürdigkeit wiederhergestellt hat, die Ihre Bundesregierung zumindest in weiten Teilen hat vermissen lassen.
Das wird nicht nur deutlich, wenn die Bundesregierung schildert, wie schwierig sich neben den INFVerhandlungen vor allen Dingen die Verhandlungen über die chemische Abrüstung und die sogenannten Teststoppabkommen gestalten.Ich meine, daß wir insgesamt feststellen müssen, daß der tatsächliche Grund, warum es da nicht zu essentiellen Vereinbarungen gekommen ist und kommen kann, bisher in der Weigerung der UdSSR liegt, Inspektionen vor Ort zuzulassen. Das ist der Grund. Jeder, der sich mit diesen beiden Problembereichen auseinandersetzt, weiß doch eines deutlich: Ich kann eben nur durch Inaugenscheinnahme vor Ort feststellen, ob in einem Unternehmen chemische Waffen produziert werden oder nicht. In Anbetracht der tektonischen Gegebenheiten unserer Erde kann ich auch bei Teststoppabkommen, die hier in Rede stehen, nur vor Ort auf dem Territorium der Nation feststellen, ob etwas passiert oder nicht. Deswegen liegt unser ganzes Bestreben darin, auf dem Gebiet der Verifikation weiterzukommen. Es hat doch keinen Sinn, weder für Sie noch für uns, zu Abkommen mit der UdSSR zu kommen, die bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in Anbetracht ungeklärter Vertragsgegenstände den Dissens zum Inhalt haben und damit im Grunde die Veranlassung geben, auf Dauer weiteren Streit zu kultivieren. Das ist doch das Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.Weil die UdSSR im Grunde diese Inspektionen vor Ort nicht zuläßt, müssen wir uns doch fragen: Warum tun die das nicht? Es gibt dafür zwei Gründe. Erstens wollen sie uns keinen Aufschluß über ihr Potential zubilligen, zum zweiten sind sie möglicherweise an einem Abkommen mit uns nicht interessiert. Aber ein Gesprächspartner, der sich so verhält, legt doch in seinem Verhalten selbst die Ursache, daß die Spannungen nicht abgebaut werden, sondern daß die Spannungen im Grunde unkontrolliert in Bereichen steigen, wo wir es mit gefährlichen Waffen, mit gefährlichen Möglichkeiten zu tun
Metadaten/Kopzeile:
2308 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Wimmer
haben. Es kann doch nicht für uns übrigbleiben, daß wir uns im Zusammenhang mit diesen Überlegungen nur mit den Bildern konfrontiert sehen müssen, die aus den praktischen Manövereinsätzen aller Staaten des Warschauer Paktes resultieren. Wir wollen aus diesem Teufelskreis raus, und das setzt voraus, daß hier mit uns seriös so verhandelt wird, wie es das Bemühen einer jeden Bundesregierung bisher gewesen ist. Für uns ist es doch auch keine Alternative, daß die Diskussion über diese beiden Bereiche immer nur damit beantwortet werden muß, daß man eben auf das gestiegene sowjetische Potential im Bereich der chemischen Waffen und die damit insgesamt verbundenen Fähigkeiten verweist oder sich in dem Hinweis des amerikanischen Präsidenten erschöpfen muß, daß in der zurückliegenden Zeit die vorhandenen Testbeschränkungen möglicherweise bis zu 20mal gebrochen worden sind. Aus diesem Kreis wollen wir doch raus. Es ist doch nicht unser Interesse, ein neues Buch in unserem Zusammenwirken mit der UdSSR zu schreiben, worin man auf Vertragsverletzungen hinweist, statt in der Tat zu beständigen Vereinbarungen mit der UdSSR zu kommen.Nur, dieses ständige Bestreben jeder Bundesregierung, mit der UdSSR zu einem vernünftigen Übereinkommen zu gelangen, ist für uns doch nicht Selbstzweck. Wir wissen doch für uns eines genau: daß das, was wir im Hinblick auf die UdSSR formulieren und gestalten wollen, für uns Ausdruck des Bemühens ist, die Friedenszone, die wir in Europa haben und die unser Verhältnis zu unseren westeuropäischen Nachbarn charakterisiert, auch denen gegenüber auszudehnen, die bisher von diesen Prinzipien, die unser Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn bestimmen, nichts gehalten haben.Ich lebe 20 km von der holländischen Grenze entfernt. Ich weiß doch so sicher wie Sie: Im Verhältnis zu unseren holländischen, belgischen, französischen, englischen Nachbarn könnten wir auf all das verzichten, was Bundeswehr heißt. Herr Dr. Wörner, wir könnten uns wirklich die 45 Milliarden DM in jedem Jahr deshalb sparen, weil wir im Verhältnis zu diesen Staaten von zwei tragenden Grundsätzen ausgehen können: daß wir erstens die innere Ordnung des Nachbarn respektieren und akzeptieren und seine Gestaltungsfreiheit zulassen und zweitens im Verhältnis untereinander darauf verzichtet haben, jemals Gewalt anwenden zu wollen. Das heißt doch: Diese tragenden Prinzipien müssen wir auch dem Machtsystem gegenüber in einem Verfahren des kontrollierten Vertrauens durchzusetzen versuchen, das bisher, zumindest in der historischen Erfahrung seit 1945 Anlaß zu begründeten Zweifeln gegeben hat, ob es mit diesen beiden für die Völkergemeinschaft so wichtigen Fragen genauso meint, wie es unserem Selbstverständnis entspricht. Ich glaube, daß wir auf dieser Basis durchaus Möglichkeiten genug haben, zu einem Konsens dann zu kommen, wenn guter Wille vorhanden ist.Ich darf das vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Probleme ansprechen, die sich für uns in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs ergeben haben. Ich glaube, auf dieser Basis kann man dochZustimmung finden: Wir sind in Europa — und das haben doch die Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs gezeigt — zum Frieden verdammt. Wir müssen nur aufpassen, daß nicht das erste Opfer einer solchen Situation in Europa die Freiheit für uns wird. Ich glaube, es zeigt sich vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Umstände, daß doch zumindest seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Anbetracht der konventionellen Vernichtungsmöglichkeit und der nuklearen Vernichtungsmöglichkeit, die gegeben sind, unter keinen Umständen eine Regierung davon ausgehen kann, daß die Substanz des eigenen Volkes dann erhalten werden kann, wenn es eben zu diesen Konfliktsituationen kommt.Uns werden in diesen Wochen und Monaten immer wieder die Bilder von Hiroshima und Nagasaki vor Augen gehalten. Ich will das nicht relativieren. Jeder hier in diesem Saal ist sich dessen bewußt, was die Konsequenz ist. Nur, ich frage mich, warum uns in dieser Diskussion nicht die Bilder von Hamburg, von Dresden, von Tokio und von Nanking vor Augen gehalten werden.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen in diesem Sommer im deutschen Fernsehen den Film über den Untergang Hamburgs gesehen hat. Was macht für uns eigentlich noch den Unterschied zwischen einer konventionellen Katastrophe und einer nuklearen Katastrophe dann aus, wenn uns das in diesem hochindustrialisierten Gebiet treffen würde? Deswegen muß unser Interesse doch darin bestehen, es insgesamt hier in Europa nicht mehr zum Ausbruch eines Konflikts kommen zu lassen.
In dieser Situation — das muß man doch wissen — unterscheiden wir uns territorial von jedem anderen Gebiet auf dieser Welt. Das ist die Ausnahmesituation, in die wir uns in Europa auch in Anbetracht der Geographie begeben mußten. Dies verlangt für jeden von uns entsprechende Konsequenzen.Wir wissen doch eines sehr wohl. Bei dieser bedrohlichen Entwicklung können wir uns im Grunde nur dann freiheitlich bewegen, wenn wir uns in Anbetracht des konventionellen Vernichtungspotentials, das die andere Seite — verbunden fast mit dem Datum des Harmel-Berichts — uns gegenüber aufgebaut hat, nicht nur unter den Atomschirm der Amerikaner begeben, sondern auch darunter verharren. Wenn wir nämlich diesen Nuklearschirm verlassen — das geschieht dann, wenn wir den Doppelbeschluß nicht tragen —, wird im Grunde nur noch das konventionelle Ungleichgewicht zu unseren Lasten übrigbleiben.
Damit wird für uns und für jede Regierung, die hier in Bonn handelt, die Gefahr der Erpreßbarkeit nicht nur latent vorhanden, sondern von einem bestimmten Tag und einer bestimmten Stunde an auch gegeben sein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2309
Wimmer
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, als müßten wir nur für dieses Volk Entscheidungen treffen und uns nur vor diesem Volk verantworten. In dem Augenblick, da dieses Land seine Entscheidungsfreiheit verliert, verraten wir unsere unmittelbaren östlichen Nachbarn, die Polen, die Tschechen, die Bulgaren und die Ungarn; denn deren Möglichkeiten, so gering sie auch sind, hängen davon ab, daß in Bonn eine Regierung zusammen mit dem Bündnis Politik in Europa betreiben kann, die die UdSSR veranlaßt, auf das Interesse dieser Völker noch etwas Rücksicht zu nehmen. Wenn dieser Moment vorbei ist, haben wir nach 1938 Europa erneut verraten.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder, der vor diesem Hause redet, ist enttäuscht darüber, wenn die Beteiligung gering ist. Das kennen wir alle.
Vielleicht führt der Tatbestand, den wir vor uns sehen, einmal dazu, daß sich aus solchen Gründen die Frage nach einer Volksbefragung oder einem Volksentscheid stellt.
— Natürlich, das ist der Punkt. Ich bin der Meinung, daß wir irgendwann so weit sein werden, darüber eine Debatte zu führen, z. B. in der Richtung, ob die Entschädigung für uns Abgeordnete damit zusammenhängen sollte, ob wir hier im Plenum anwesend sind oder nicht.
Ich weiß — wie Sie auch — aus vielen Debatten draußen, daß es so wie jetzt jedenfalls nicht geht und daß die Bürger das nicht akzeptieren.
Es paßt sehr gut, dieses im Zusammenhang mit dem Thema „Volksbefragung" einmal zu sagen.
Jetzt zur Sache. Der Antrag der Fraktion der GRÜNEN auf Durchführung einer konsultativen Volksbefragung gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik klingt auf den ersten Blick — ich gebe das zu, Herr Fischer — auch für Nachrüstungsgegner in der SPD verlockend. Vielleicht ist der Antrag ja auch, außerhalb der politischen Überzeugung der GRÜNEN, so gemeint, um als Nebeneffekt einmal festzustellen, in welcher der beiden Fraktionen in der Minderheit dieses Hauses, die sich gegen die Nachrüstung wehren, die besseren Abrüstungsgegner sind.
Deshalb will ich drei Feststellungen treffen. Erstens. Ziel der sozialdemokratischen Politik war und ist es, Aufrüstung jeder Art zu verhindern. Niemand in der Bundestagsfraktion der SPD wünscht sich Atomraketen. Alle Sozialdemokraten in diesem Hause — ohne Ausnahme — wollen die Aufstellung neuer Atomraketen politisch verhindern.
Zweitens. Über die politischen Handlungsmöglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen, gibt es in der SPD unterschiedliche Auffassungen. Das ist übrigens eine Tatsache, die weder das Regierungslager noch die GRÜNEN zum Anlaß nehmen sollten, Schadenfreude zu zeigen. Dem demokratischen Grundprinzip dient eine Partei, die um inhaltliche Positionen ringt, viel mehr als eine Partei, die nach dem Motto verfährt: Egal was die Bürger und Bürgerinnen denken, tun und fordern — Hauptsache, wir ändern unsere Position nicht und überlassen im übrigen den Großmächten, was mit uns geschieht.
Diese Position der Regierungsparteien nimmt in Kauf, daß unser Schicksal weltmachtpolitischen Interessen untergeordnet wird.
Das wollen wir eben nicht. Wir wollen, daß wir unsere Interessen vertreten.
Drittens. Viele Sozialdemokraten stehen dem in dem Antrag der GRÜNEN zum Ausdruck kommenden Willen einer stärkeren Beteiligung des Volkes an politischen Grundsatzentscheidungen auch zwischen den Wahlen sehr nahe.
Herr Abgeordneter Jansen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert?
Natürlich.
Herr Kollege, da Sie soeben von der Notwendigkeit des Nachdenkens gerade auch um der demokratischen Glaubwürdigkeit willen gesprochen haben: Halten Sie es für denkbar, daß ein Ergebnis des Nachdenkens auch sein könnte, bei Positionen zu bleiben, die man aus guten Gründen bezogen hat?
Wenn man sich mindestens öffnet für die Debatte, ist das schon etwas wert. Wenn man aus Debatten auch einmal lernt und seine Position verändert, dann ist das die Qualitätsfrage demokratischer Entscheidungsprozesse. Und ich habe bei Ihnen den Eindruck, daß Sie, egal bei welchem Sachthema etwas läuft, immer die Luken geschlossen halten und sich nicht von außen beeinflussen lassen.
Recht zu behalten, ist eine Prinzipfrage,
Metadaten/Kopzeile:
2310 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Jansenaber das muß nicht immer das Prinzip einer demokratischen Partei sein.
Tatsache ist, daß wir eine vielleicht einmalig demokratisch und rechtsstaatlich orientierte Verfassung haben, aber nicht danach leben oder nicht danach leben lassen.
— Hören Sie zu: Konservative Mehrheiten
— und dazu gehören Sie ja unter der positiven Wertschätzung dieses Begriffes —
verhindern überall die tatsächliche demokratische Praxis.
Ich will das beweisen. Schüler- und Universitätsgremien werden von der allgemeinen politischen Debatte durch Kultuserlasse freigestellt.
In Betrieben wird die gesellschaftspolitische Diskussion mit den politischen Vertretern der Parteien eingegrenzt, behindert und untersagt. Konservative Mehrheiten
unterbinden überall die kommunale friedenspolitische Diskussion.
Landtage werden formaljuristisch von diesem Thema weggehalten.
— Es kommt dicker. — Beamte in der Friedensbewegung werden mit Sanktionen bedroht. Journalisten in der Friedensbewegung haben das bereits erfahren.
Bundeswehrangehörige, die gegen die atomare Nachrüstung sind, werden strafversetzt und nicht befördert.
Ich verweise auf den Fall Stock im Wahlkreis des Staatssekretärs Würzbach.
Und dieses Parlament bekommt von Ihnen gnädig Debattenzeit für den 21. und 22. November eingeräumt.
Dabei bleibt die Frage nach dem Handlungsspielraum dieses Parlaments noch unbenannt,
wenn es darum geht, eine falsch verstandene Bündnispolitik mit Waffensystemen auf deutschem Boden zu unterstützen oder zu verhindern. Sie wollen im Grunde nicht einmal, daß dieses Parlament darüber diskutiert.
Meine Damen und Herren der Regierungsparteien, alles dies, was Sie praktizieren landauf und landab, ist aus meiner Sicht nach wie vor ein vordemokratisches Politikverständnis.
Sie mißachten immer wieder Eckwerte der Verfassung in Ihrer praktischen Form, Demokratie stattfinden zu lassen.
— Ich hätte gar nicht gedacht, daß Sie so betroffen reagieren; sonst sind Sie bedeutend abgeklärter.
Auf der Grundlage dieser Tatsachenbeschreibung wollen die GRÜNEN ein Gesetz durchsetzen, das eine das Parlament beratende Volksbefragung vorsieht.
Meine Damen und Herren, es ist ja interessant, die Zwischenrufe zu hören und sie mit zu verdauen. Aber eine Übertreibung darf eigentlich nicht eintreten.
Lassen wir doch den Redner zu Ende kommen!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983 2311
Vizepräsident Westphal— Vom Abgeordneten Ronneburger wird eine Zwischenfrage erbeten. Lassen Sie sie zu?
Herr Kollege Jansen, wenn Sie die Prinzipien so nachdrücklich bekämpfen, nach denen die Koalitionsfraktionen Politik machen, sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, daß diese beiden Fraktionen in den angesprochenen Punkten genau die Politik fortsetzen, die von der sozialliberalen Koalition jahrelang betrieben worden ist, nicht zuletzt von den Bundeskanzlern und Verteidigungsministern, die von Ihrer Partei gestellt worden sind?
Herr Kollege Ronneburger, ich weiß, wie man das macht, wenn man etwas falsch verstehen will und daraus dann eine Frage formuliert. Wenn Sie genau zugehört hätten, hätten Sie gemerkt, daß ich deutlich machen will, wie in unserem Staat mit einer hervorragenden Verfassung, mit den bestehenden demokratischen Grundrechten in der politischen Praxis draußen Demokratie stattfindet, wie Bürger zwischen den Wahlen völlig von politischer Beteiligung ferngehalten werden. Wenn Sie nicht merken, Herr Ronneburger, daß das eine Frage demokratischen Fingerspitzengefühls ist, dann allerdings muß ich sagen, ist es richtig, daß wir Sozialdemokraten nach der Wende der FDP auch in diesem liberaldemokratischen Bereich Erhebliches übernehmen müssen, was wir sonst von Ihnen erwartet hätten.
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Jansen?
Das ist dann die letzte.
Herr Kollege Jansen, wenn Sie mir gegenüber so argumentieren, frage ich allerdings: Haben Sie mir eigentlich zugehört, als ich heute morgen zu den von Ihnen angeschnittenen Fragen Stellung genommen habe?
Ich habe im Zusammenhang mit dem, was Sie gesagt haben, auch keine Zwischenfrage mit der Unterstellung verbunden, wie Sie das bei meinen Ausführungen getan haben, Herr Ronneburger.
Ich meine, es ist dringend erforderlich, daß wir nicht nur wählen lassen und Parlament praktizieren, sondern endlich Wege finden, um Bürger von der kommunalen Ebene bis in die Größenordnung der Bundespolitik hinein echt zu beteiligen.
Die Regierungsmehrheit wird im Falle eines Volksbefragungsgesetzes die Fragestellung nicht nur im Zusammenhang mit der Nachrüstung bestimmen, verfälschen und komplizieren, sondern sie wird auch bei jeder anderen Frage, die in diese Richtung läuft, versuchen, ihre Mehrheit auszuspielen, um Volksbefragungen dieser Art dann auch noch für ihre Interessen zu nutzen. Das wollen wir nicht. Die Möglichkeit einer Volksbefragung darf nach unserer Ansicht nicht unter taktischen Gesichtspunkten ins Spiel gebracht werden. Sie hat nur dann einen Sinn und ist nur dann demokratisch legitimiert, wenn sie als Verfassungsverfahren nach einer grundsätzlichen Debatte im Deutschen Bundestag konsensfähig ist. Diese Situation haben wir nicht. Die Parteien der Regierungskoalition sind eingepanzert oder haben sich einpanzern lassen in eine rüstungspolitische Position der atomaren Abschreckung und für neue amerikanische Mittelstreckenraketen. Sie sind der Meinung, daß sie damit die größere Weisheit gepachtet haben. Sie treten verschlossen — und ich sage: politisch arrogant — der Friedensbewegung und der Mehrheit der Bevölkerung in dieser Sache gegenüber.
Wir Sozialdemokraten erklären unsere Bereitschaft zu einer grundsätzlichen Debatte über das Thema Volksbefragung und Volksbegehren. Aber wir wollen eine fundierte und keine taktisch orientierte Debatte. Wir brauchen eine Debatte, die sich grundsätzlich und verfassungsrechtlich an Eckwerten ausrichtet,
eine Debatte, die z. B. festschreibt, daß keine Grund- und Menschenrechte zur Disposition stehen; daß die Bereiche, die der Befragung unterliegen, feststehen; daß für die Volksbefragung z. B. nur die Zustimmung eines Drittels des Bundestages und nicht der Mehrheit erforderlich ist; daß Volksbegehren durch die Unterschriften eines bestimmten Prozentsatzes der Bevölkerung stattfinden können; daß z. B. ein unabhängiger Volksbeauftragter für dieses Verfahren zuständig ist, damit die Ergebnisse solcher Befragungen im Interesse der Bürger auch im Bundestag vertreten werden können.
Wir wären bereit, in eine so geführte Debatte offen hineinzugehen. Aber ich habe den Eindruck, daß Sie nicht einmal im Ansatz dazu bereit sind. Sie wollen nicht einmal auf Grund der Erfahrungen, die wir mit der Verfassung gemacht haben, einen bestimmten Weg gehen.
In der Bundestagsdebatte am 21. und 22. November 1983 wird es um mehr gehen als um die Frage der Volksbefragung und darum, welches Ergebnis sie gehabt haben könnte. In der Zukunft, d. h. in der Zeit nach der Nachrüstung — wenn Sie sie denn wollen —, müssen wir einen Weg beschreiten — das ist im Plenum deutlich geworden —, der klar auf-
Metadaten/Kopzeile:
2312 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 34. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. November 1983
Jansenzeigt, wie die Opposition in diesem Hause ihre alternative Politik praktiziert. Dieses wird heißen, daß wir im Falle einer Regierungsübernahme das Abziehen der Mittelstreckenraketen in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen haben.
Das gilt für die amerikanischen Raketen, wenn sie installiert sind,
und das gilt im Endergebnis für das Angebot, das die Sowjetunion bereits jetzt gemacht hat, ihre Mittelstreckenraketen auf das zu reduzieren, was in Genf angeboten wurde.Wir wollen, daß KSZE-Abrüstungsverhandlungen stattfinden, um die Zahl der atomaren Waffen in Europa insgesamt zu minimieren. Wir wollen die Durchsetzung einer alternativen, konsequent defensiven Verteidigungspolitik, und wir wollen versuchen, daß die NATO und der Warschauer Pakt begreifen, daß sie auch auflösbar sind,
daß die Abrüstungsverhandlungen über alle Waffenpotentiale in Europa erfolgen und wir den Weg gehen, daß die Stationierungstruppen der Sowjetunion in Europa und die Stationierungstruppen der westlichen Bündnispartner Schritt für Schritt aus Europa herausgezogen werden.
Atomwaffenfreie Zonen und der Versuch, eine wirkliche Friedenspolitik zu machen — das wird unsere Zielsetzung sein.Dieses ist die politische Perspektive, nicht der Streit um eine wirkungslose konsultative Volksbefragung. Ich bitte deshalb um Verständnis, daß wir Politik machen wollen, um das, was Sie falsch praktizieren, wieder in Ordnung zu bringen. Deshalb stimmen wir einem Ad-hoc-Volksbefragungsgesetz nicht zu. Wir werden die Grundsatzdebatte zur Volksbefragung führen, aber wir werden für die Mehrheit der Bürger dafür eintreten, daß der Fehler, den Sie jetzt machen, hier neue Mittelstreckenraketen aufzustellen, beendet wird. Dafür werden wir in der Bundesrepublik um Regierungsmehrheiten kämpfen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 10/216 und den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/519 an die Ausschüsse zu überweisen. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sie sind mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? Kann ich das feststellen? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Für den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/594 ist Ausschußüberweisung beantragt worden, und zwar zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Innenausschuß und den Rechtsausschuß. Sind Sie mit diesen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist ebenfalls so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Montag, den 21. November 1983, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche ein angenehmes Wochenende.