Rede von
Dr.
Sahra
Wagenknecht
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Millionen Menschen fühlen, dass es in diesem Staat
nicht gerecht zugeht …
Wenn ein Konzernchef verheerende Fehlentschei-
dungen trifft, dafür noch Millionen an Boni kassiert,
eine Verkäuferin dagegen aber für eine kleine Ver-
fehlung rausgeschmissen wird, dann geht es nicht
gerecht zu .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
wundere mich, dass Sie jetzt nicht alle geklatscht haben .
Sven-Christian Kindler
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21957
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Das waren Aussagen Ihres Kanzlerkandidaten und künf-
tigen Parteichefs .
Martin Schulz hätte natürlich ehrlicherweise dazu-
sagen können, dass die SPD in ihren letzten 15 Jahren
Regierungszeit erhebliche Mitverantwortung für die von
ihm zu Recht kritisierten Zustände trägt . Aber egal, späte
Einsicht ist besser als gar keine Einsicht .
Natürlich ist es ein Skandal, dass in diesem Land im-
mer mehr Menschen trotz harter Arbeit auch nicht ansatz-
weise einen halbwegs gesicherten Wohlstand erreichen
können, während am oberen Ende der Einkommenspy-
ramide Millionen eingestrichen werden, die jeden Bezug
zur persönlichen Leistung verloren haben, wo elementare
Prinzipien von Haftung und persönlicher Verantwortung
völlig außer Kraft gesetzt sind . Das sind himmelschrei-
ende Ungerechtigkeiten .
Und das empfinden die meisten Menschen zu Recht so.
Deswegen ist es gut, dass Sie von der SPD das inzwi-
schen auch so sehen . Darüber freuen wir uns .
Die Freude wäre allerdings ungetrübter, wenn wir das
Gefühl hätten, den Reden von Herrn Schulz würden jetzt
auch reale Taten folgen . Es klang ja zunächst gut, als die
SPD-Fraktion angekündigt hat, im März einen Gesetz-
entwurf vorzulegen mit einem festgeschriebenen Maxi-
malverhältnis zwischen Vorstandsgehältern und durch-
schnittlichem Einkommen im Unternehmen .
Das wäre vernünftig . Deshalb haben wir als Linke ge-
nau das schon mehrfach in diesem Parlament beantragt .
Allerdings hat sich Ihre eigene Wirtschaftsministerin
davon schon wieder abgewandt und die Forderung auf
eine Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von
Managergehältern reduziert – also das, was jetzt auch die
Grünen beantragt haben .
Ja, glauben Sie denn im Ernst, dass die Begrenzung
der steuerlichen Abzugsfähigkeit irgendeinen Konzern
davon abhalten wird, weiter seine Gehaltsexzesse aus-
zuleben? Das ist doch völlig absurd, das hätte doch gar
keinen Effekt .
Und dann will die SPD ihren Gesetzentwurf natürlich
auch nur dann im Parlament einbringen, wenn sie sich
mit der CDU geeinigt hat . Nun hat zwar die Kanzlerin
diese Woche, wie ich der Presse entnommen habe, ihre
Fraktionskollegen sogar ermuntert, sie könnten ruhig
über die Begrenzung von Managergehältern diskutie-
ren – das finden wir wirklich großzügig von ihr –,
aber für den Fall, dass es um mehr als ums Diskutieren
geht, hat Herr Schäuble schon einmal vorsorglich verfas-
sungsrechtliche Bedenken angemeldet . Ich muss sagen:
Es ist eigentlich schade, dass Herrn Schäuble solche ver-
fassungsrechtlichen Bedenken bei Milliardenbetrügerei-
en mit Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäften von Banken
komischerweise nie gekommen sind . Das hätte dem Staat
und damit dem Steuerzahler Mindereinnahmen in Höhe
mehrerer Milliarden ersparen können; aber das nur ne-
benbei .
So oder so: Jede Erfahrung, und auch der Redebeitrag
von Herrn Meister natürlich, spricht dagegen, dass die
SPD mit der CDU in dieser Frage eine vernünftige Rege-
lung erreichen wird .
Deshalb möchten wir in Erinnerung rufen, dass es im
Bundestag längst eine Mehrheit von SPD, Linken und
Grünen gibt .
Sie brauchen also gar nicht Frau Merkel oder Herrn
Schäuble zu überzeugen, Sie müssen allenfalls einige all-
zu wirtschaftsliberale Grüne überzeugen. Aber ich finde:
Das sollte machbar sein, und es ist auch dringend not-
wendig, wenn man sich die Entwicklungen ansieht .
– Ich habe gesagt: „einige“ Grüne, da müssen Sie sich
nicht so sehr aufregen .
Anfang der 90er-Jahre lag das Verhältnis der Mana-
gerbezüge zu dem Einkommen eines durchschnittlichen
Arbeitnehmers bei 1 : 28, das heißt, ein Manager bekam
in einem Jahr so viel wie ein Arbeitnehmer in 28 Jahren .
Das war schon ziemlich viel . Aber heute ist es völlig an-
ders . Heute liegt das Verhältnis im Schnitt bei 1 : 83, das
heißt, ein Manager streicht in einem Jahr doppelt so viel
ein wie ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in seinem
ganzen Erwerbsleben . Und dieser absurden Entwicklung
haben Sie alle jahrelang zugeschaut .
Während Herr Schulz Gerechtigkeitsreden hält,
stimmt Herr Weil der viel diskutierten 12-Millionen-Eu-
ro-Abfindung bei VW zu, und obendrauf – das ist noch
nicht erwähnt worden – gibt es auch noch eine Rente
von rund 8 000 Euro für Frau Hohmann-Dennhardt bis
zum Lebensende, und das Ganze für eine 13-monatige
Tätigkeit . Angesichts dieser schamlosen Selbstberei-
cherung möchte ich Sie daran erinnern, wie hoch die
Dr. Sahra Wagenknecht
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721958
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Durchschnittsrente ist, die ein Arbeitnehmer nach 40
bis 45 Beitragsjahren erhält . Sie beläuft sich dank Ihrer
Rentenkürzung auf etwa 1 000 Euro . Und dann wundern
Sie sich, dass die Menschen empört sind und dass viele
den Politikbetrieb nur noch für korrupt und verlogen hal-
ten? Wenn Ihnen der Zusammenhalt unserer Gesellschaft
wirklich am Herzen liegt, dann tun Sie doch endlich et-
was dafür, dass diese Schere nicht immer weiter ausein-
andergeht .
Tun Sie etwas dafür, dass die Durchschnittsrente
steigt; man kann es nicht oft genug betonen . In Öster-
reich zum Beispiel bekommt ein Durchschnittsrentner
800 Euro mehr Rente, und zwar im Monat . Tun Sie etwas
dafür, dass diese Boniexzesse nicht mehr möglich sind .
Der einzig effektive Weg dazu ist tatsächlich eine Koppe-
lung der Managervergütungen an die Lohnentwicklung
im Unternehmen, etwa in der Relation 1 : 20 zur unteren
Lohngruppe, so wie wir das ja auch beantragt haben . Das
wäre übrigens nicht nur sozial gerechter, es würde vor al-
lem ganz andere Anreize setzen; denn statt in erster Linie
auf den Aktienkurs zu schielen, würden Manager dann
belohnt, wenn sie ein Unternehmen so führen, dass auch
die Arbeitnehmer von der Entwicklung profitieren.
Ich sage Ihnen: Der Ehrgeiz in den Vorstandsetagen, jede
sich bietende Möglichkeit zur Lohndrückerei auszunut-
zen, würde ganz schnell gravierend ermatten; und das
wäre ja vielleicht auch nicht schlecht .
Es gibt übrigens sehr erfolgreiche Unternehmen, in
denen es eine solche Regelung gibt . Die Carl-Zeiss-Stif-
tung etwa hat seit dem 19 . Jahrhundert eine Begrenzung
der Managergehälter auf das Zehnfache des Durch-
schnittslohns in ihrem Statut . Und das ist ein Unterneh-
men, das seit etwa 150 Jahren erfolgreich ist .
Wir sollten natürlich auch darüber reden, weshalb es
sich die großen Konzerne überhaupt leisten können, Jahr
für Jahr auf der einen Seite Rekorddividenden auszu-
schütten und auf der anderen Seite ihr Management in
Millionen zu baden . Dafür gibt es Gründe, und die Grün-
de haben ganz wesentlich mit den Gesetzen der letzten
20 Jahre zu tun . Sie haben etwas zu tun mit der schlech-
ten Lohnentwicklung dank Leiharbeit und Werkverträ-
gen, woran auch diese Koalition wieder nichts verändert
hat . Sie haben zu tun mit der Deckelung der Sozialversi-
cherungsbeiträge, weil die abhängig Beschäftigten einen
immer größeren Teil für Kranken- und Rentenversiche-
rung inzwischen selber zahlen müssen . Sie haben zu tun
mit den Steuergesetzen, die bewirken, dass inzwischen
80 Prozent des Steueraufkommens ausschließlich aus
Lohn- und Verbrauchsteuern stammen, während sich die
Konzerne immer leichter um ihre Steuerpflichten drü-
cken können . Das alles muss dringend geändert werden,
wenn es in diesem Land wieder gerecht zugehen soll .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn
Sie die vorhandene Mehrheit jetzt nicht nutzen, wer soll
Ihnen glauben, dass Sie das nach der Wahl tun werden?
Die Linke jedenfalls redet nicht nur von sozialer Gerech-
tigkeit, sondern wir stimmen und streiten auch dafür .