Rede von
Frank
Tempel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Gewalt ist
grundsätzlich abzulehnen, wenn sie nicht zum eigenen
Bundesminister Heiko Maas
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21939
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Schutz oder zum Schutz Dritter dringend erforderlich ist .
Selbstverständlich gilt das insbesondere dann, wenn sie
gegen Menschen gerichtet ist, deren Aufgabe es ist, ande-
ren Menschen zu helfen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese Rede
für meine Fraktion gerade deshalb übernommen, weil ich
viele Jahre selbst als Polizeibeamter unterwegs war – ich
bin Streife gelaufen –, weil ich mit vielen Polizeibeamten
bis heute in vielfältigem Dialog bin und weil ich als Be-
richterstatter meiner Fraktion für den Bereich Katastro-
phenschutz mit vielen Helfern von THW, Feuerwehr und
Rettungsdiensten regelmäßige Kontakte pflege. Mit die-
sem Blickwinkel sage ich ganz klar: Eine zunehmende
Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Ret-
tungsdienste ist nicht hinnehmbar . Wir sind gemeinsam
dazu aufgerufen, dem wirksam entgegenzutreten .
Eines ist aber auch klar: Zunehmende Gewalt ist kein
Phänomen, das nur Polizei, Feuerwehr und Rettungs-
dienst betrifft . Betroffen sind auch Zugbegleiter, Lehrer,
Verkäuferinnen und viele andere . Es ist richtig, dass die
Politik für Polizeibeamte und Rettungsdienste im Dienst
des Staates eine besondere Verantwortung hat . Das ist der
Punkt, bei dem wir uns hier im Plenum alle einig sein
dürften . Das Kriterium, ob die Linke dem Entwurf der
Regierungskoalition zustimmen kann, ist also nicht, ob
ein besonderer Schutz für Polizeibeamte und andere not-
wendig ist, sondern ob neue Strafrechtsvorschriften die-
sen Schutz zumindest ansatzweise gewährleisten können .
Und genau daran, meine Damen und Herren, hat die Lin-
ke erhebliche Zweifel .
– „Nicht nur die Linke“, das höre ich gerne .
Es gibt bereits einen Sonderparagrafen: § 113 Straf-
gesetzbuch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte .
Dieser wurde ursprünglich mit Blick auf die besondere
Situation des Bürgers bei der Vollstreckungshandlung
geschaffen . Schutzgut ist übrigens nicht das Individual-
recht des Beamten, sondern die Vollstreckungsgewalt des
Staates .
Das nur mal so zur Erinnerung . Es geht also zum Beispiel
um aktive Gegenwehr bei einer Festnahme oder aktiven
Widerstand gegen die Beschlagnahmung eines Gegen-
standes .
Mit den von Ihnen vorgeschlagenen §§ 114 und 115
StGB sollen nun zahlreiche weitere Handlungen un-
abhängig von Vollstreckungshandlungen in das Son-
derstrafrecht übernommen werden, also Angriffe auf
Polizeibeamte, die zum Beispiel einer allgemeinen Strei-
fentätigkeit nachgehen . Gibt es eine Rechtslücke, die das
erforderlich macht? Gibt es verwerfliche Handlungen,
die bisher nicht unter Strafe gestellt werden können?
Gibt es gar Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute
oder Rettungsdienstler, die nicht geahndet werden kann?
Gehen wir es durch: Werden Einsatzkräfte beleidigt,
bespuckt, bepöbelt, kann das wegen Beleidigung nach
§ 185 Strafgesetzbuch geahndet werden . Auch einfache
Ohrfeigen und Schubser können als tätliche Beleidigung
zur Anzeige gebracht werden . Angriffe mit tätlicher Ge-
walt können nach § 223 StGB – Körperverletzung –,
§ 224 StGB – Gefährliche Körperverletzung – und § 226
StGB – Schwere Körperverletzung – geahndet werden .
Wenn, wie in dem von Ihnen vorgeschlagenen § 115
StGB beschrieben, Hilfeleistende der Feuerwehr, des
Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch
Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt an ihrer Tätig-
keit gehindert werden, entspricht das einer Handlung ge-
mäß § 240 Strafgesetzbuch, der Nötigung .
Meine Damen und Herren, es gibt keine einzige mög-
liche Handlung, die Sie unter Strafe stellen wollen, die
nicht bereits jetzt strafbar ist .
– Ich komme auf die Signale noch zu sprechen . – Glau-
ben Sie im Ernst, dass jemand, der Polizeibeamte atta-
ckiert, der Feuerwehrleute am Löschen hindert, der Ret-
tungsdienste nicht durchlässt, auch nur einen Augenblick
überlegt, nach welchem Paragrafen er jetzt belangt wer-
den kann? Das ist Tätern egal .
Täter denken nicht darüber nach, welches Strafmaß sie
jetzt ereilt .
Das kann ich aus vielen Beschuldigtenvernehmungen
durchaus sagen . Wissenschaftliche, kriminologische Er-
kenntnisse und die Rechtspraxis zeigen immer wieder,
dass Strafverschärfung keinen Einfluss auf die Häufigkeit
von Straftaten hat . Das ist jetzt wirklich nichts Neues .
– Melden Sie sich doch einfach mal! So viel Erziehung
muss doch sein . – Wenn Sie glauben, dass gewaltsame
Übergriffe durch ein härteres Strafmaß verhindert wer-
den können, dann ist das eine Illusion .
Frank Tempel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721940
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Die Justiz hat übrigens die Möglichkeit, die besonde-
re Verwerflichkeit einer Handlung gegen Polizeibeamte
oder Feuerwehrleute beim Strafmaß zu berücksichtigen .
Deswegen haben wir einen Spielraum beim Strafmaß .
Das könnte die Justiz ohne zusätzlichen Paragrafen be-
rücksichtigen . Auch hier brauchen wir kein neues Gesetz .
Jeder hier im Saal weiß genau, meine Damen und Her-
ren, dass die von Ihnen beabsichtigten neuen Paragrafen
im Strafgesetzbuch keine einzige Straftat gegen Polizei-
beamte und Rettungskräfte verhindern wird – nicht eine
einzige . Was Sie vorhaben – jetzt komme ich auf den net-
ten Kollegen zu sprechen, der sich nicht traut, sich dazu
zu melden –,
ist, ein Zeichen zu setzen, ein Signal zu setzen .
– Ja, ich beachte hier jeden . – Das halte ich grundsätzlich
für richtig . Auch Zeichen können wichtig sein . Es macht
sogar Sinn, den Blick der Öffentlichkeit auf diese üble
Entwicklung zu richten und den Dialog mit der Gesell-
schaft zu suchen . Das halte ich, wie gesagt, für richtig .
Aber das Strafrecht ist doch nicht das richtige Mittel
dazu .
Es gibt politische Möglichkeiten, Signale zu setzen .
Gesetze – das gilt auch für das Strafgesetzbuch – sind
keine Signalgeber der Politik, sondern sie sind das Rüst-
zeug und die Arbeitsgrundlage für die Justiz . Also über-
lassen Sie das denen .
Gibt es Ihnen gar nicht zu denken, dass gerade juristi-
sche Organisationen Ihren Gesetzentwurf so deutlich kri-
tisieren? Dass Sie den Linken nicht glauben, sind wir ja
gewohnt . Der Deutsche Anwaltverein hat im Januar eine
Stellungnahme abgegeben, in der Ihr Vorhaben sehr deut-
lich kritisiert wird und in der er darlegt, warum die Än-
derungen dieses Strafgesetzes falsch und unnötig sind .
– Wieder einer, der sich nicht traut, sich zu melden . – Der
Deutsche Richterbund hat eine Stellungnahme abgege-
ben, in der er den Gesetzentwurf ebenfalls deutlich kri-
tisiert . Auch das scheint Sie nicht zu interessieren . Sie
möchten ja Signale setzen . Auch von der Neuen Rich-
tervereinigung haben Sie eine sehr kritische Bewertung
bekommen . Meine Damen und Herren, Sie bekommen
aus den Reihen der Justiz ganz klare Argumente gegen
Ihren Gesetzentwurf .
Ich verstehe ja durchaus, dass insbesondere Polizei-
gewerkschaften gesonderte Strafrechtsnormen begrüßen;
auch das registrieren wir . Aber auch sie verstehen das
mehr oder weniger als politisches Signal . Sie fordern
durchaus zu Recht, dass etwas gegen die Zunahme der
Übergriffe unternommen wird, selbst wenn es nur ein
Signal ist . Wenn den Polizeigewerkschaften die Alter-
native geboten würde, statt politische Signale zu setzen,
über andere wirksame Maßnahmen zu reden, kämen wir
wahrscheinlich weiter .
Es ist ein Unterschied, ob bei einem Polizeieinsatz
zwei, vier oder sechs Beamte auftauchen, um einer kriti-
schen Lage Herr zu werden . Es ist eine Ressourcenfrage,
ob ausreichend Polizeibeamte vor Ort sind, um die Arbeit
von Rettungskräften abzusichern . Der Stellenabbau bei
der Polizei in Bund und Ländern hat für die Eigensiche-
rung der Beamten im Einsatz erhebliche Risiken mit sich
gebracht . Darüber muss man reden . Darüber wird auch
die Linke mit Ihnen reden, wenn Sie tatsächlich über die
Sicherheit von Einsatzkräften reden wollen .
Auch bei der persönlichen Ausrüstung kann noch sehr
viel für die Sicherheit der Polizeibeamten getan werden .
Vieles ist veraltet, zu schwer und wenig praktikabel . Wir
haben beim Thema Bodykamera signalisiert: Wenn es
rechtlich sauber ausgestaltet ist, wenn Sie da die Haus-
aufgaben nachholen, dann sind wir bereit, über solche
Mittel, die möglicherweise die Hemmschwelle für Ge-
walttaten gegen Polizeibeamte heben, tatsächlich zu dis-
kutieren .
Lassen Sie uns gemeinsam mit den Betroffenen und
der Zivilgesellschaft aber auf die Suche nach den Ur-
sachen einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft
gehen .
Daraus werden sich dann auch die richtigen Maßnahmen
ergeben . Ohne Ursachensuche führt das nicht zum Er-
folg .
Fehlende Straftatbestände sind nicht die Ursache für
Gewalt, und neue Straftatbestände werden diese Gewalt
auch nicht minimieren . Auch falsche Lösungen geben
zunächst einmal das Gefühl, etwas getan zu haben . Da-
mit verhindern Sie aber gleichzeitig, dass wir das Richti-
ge tun . Auch das kann nicht im Interesse von Polizeibe-
amten, Feuerwehrleuten usw . sein .
Danke schön .
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