Rede von
Dr.
Günter
Krings
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vielleicht nur ein Satz, Herr Juratovic: Ihre Rede
war es inhaltlich nicht wert, auf sie einzugehen .
Aber ich muss sagen: Wir sollten uns hier untereinan-
der – das widerlegen Sie gerade – nicht mit Schimpfwor-
ten belegen . Das tun wir normalerweise auch nicht .
Ich sage Ihnen eins ganz klar: Menschen, die sich eh-
renamtlich in demokratischen Parteien organisieren, sei
es in der CDU, in der Jungen Union oder auch in der
SPD, haben es nicht verdient, mit Schimpfworten, wie
Sie es gerade getan haben, belegt zu werden .
Wir debattieren heute über einen Teilaspekt des deut-
schen Staatsbürgerschaftsrechts, nämlich den Umfang
der Optionspflicht im Kontext der doppelten Staatsbür-
gerschaft. Übrigens ist diese nie abgeschafft worden. Sie
ist abgeschwächt bzw . im Anwendungsbereich begrenzt
worden .
Es gab und gibt keine Abschaffung dieser Optionspflicht.
Aber es geht natürlich zugleich auch um eine Grundfra-
ge unseres Gemeinwesens . Der moderne Staat basiert
auf drei Grundelementen: Staatsgebiet, Staatsgewalt
und Staatsvolk . Aus guten Gründen gehen wir bei allen
diesen drei Elementen prinzipiell von einer Exklusivität
aus. Ein bestimmter Teil der Erdoberfläche ist nur einem
Staatsgebiet zugeordnet .
– Offenbar ist es wichtig, so etwas noch einmal zu wie-
derholen . Ich glaube, sachliches Wissen ist auch von Vor-
teil .
In einem Staat kann nur eine Staatsgewalt ausgeübt
werden – vielleicht gehen Sie auch da noch mit –, und
ein Mensch ist im idealtypischen Fall Bürger nur eines
Staates .
Nur bei diesem letzten Element des Staatsvolkes und da-
mit bei der Staatsbürgerschaft
Josip Juratovic
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21123
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lassen wir von dieser Regel der Exklusivität gewisse
Ausnahmen zu, aber wir halten an dieser Regel grund-
sätzlich fest, meine Damen und Herren .
Aber unsere Staatsbürgerschaft ist nach wie vor ein
ebenso wichtiges wie wertvolles Rechtsinstitut und eine
unverzichtbare Säule unseres Verfassungsstaates . Die
Staatsangehörigkeit ist – da sind wir uns vielleicht jeden-
falls in weiten Teilen dieses Hauses noch einig – mehr als
ein nützliches Papier, das mir ein unbefristetes Aufent-
halts- und beliebiges Einreiserecht gewährt . Sie bedeutet
vielmehr ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und
Bürger, das durch Identifikation und besondere Loyalität
geprägt sein muss . Die Staatsbürgerschaft erfüllt in der
nationalen wie internationalen Rechtsordnung eine un-
verzichtbare Schutz-, Ordnungs- und Zuordnungsfunk-
tion .
In einer global vernetzten Welt und in Gesellschaften
mit größeren Bevölkerungsteilen, die auch über Staats-
grenzen hinweg hochmobil leben, schwächt sich diese
wichtige Ordnungsfunktion aber allmählich ab . Wenn
durch Wanderungsbewegungen oder transnationale Ehen
immer mehr Menschen auch immer mehr Staatsangehö-
rigkeiten erwerben
und sich diese in der Generationenfolge ohne Limit wei-
tervererben, dann droht eine Spaltung der Gesellschaften
in den Teil derer, die mit einer Staatsbürgerschaft aus-
kommen müssen, und in den Teil derer, die über mehrere
Staatsbürgerschaften verfügen, um sich jeweils auch de-
ren Vorteile zunutze machen zu können .
Aus diesem Grunde bleibt es sinnvoll und notwendig,
sich Gedanken zu machen, wie wir die Problematik von
multiplen Staatsangehörigkeiten reduzieren und in der
Generationenfolge begrenzen können .
Für die Vermeidung von Mehrstaatigkeit sind immer
noch die Gründe ausschlaggebend, von denen sich auch
der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrach-
te Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeits-
rechts vom 16 . März 1999 hat leiten lassen .
Ich zitiere aus der Gesetzesbegründung . Sie können
nicht sagen, sie sei vom Bundesrat wegen der Union um-
geschrieben worden .
Diese Gesetzesbegründung ist Rot-Grün pur . Sie ist von
den beiden Koalitionsfraktionen, also auch von den Grü-
nen, geschrieben worden . Dort heißt es wörtlich:
Dabei wird der Gesichtspunkt der Vermeidung von
Mehrstaatigkeit angemessen berücksichtigt . Insbe-
sondere unter Ordnungsgesichtspunkten besteht ein
staatliches Interesse, die Fälle mehrfacher Staatsan-
gehörigkeit einzuschränken .
Das steht in dem rot-grünen Dokument .
Die beiden Koalitionspartner hatten mit dieser Begrün-
dung damals recht .
Sie müssen also wissen, dass die Kollegen von den
Grünen hier gegen ein rot-grünes Gesetz krakeelen, das
sie damals so verfasst haben . Um den Gedanken der von
Ihnen so benannten Ordnungsfunktion des Staatsbür-
gerschaftsrechts zu erhalten, müssen wir beispielsweise
auch international offen darüber reden, dass Staaten kei-
ne Besitzansprüche auf ihre Bürger haben können . Ich
halte es für eine Frage des Menschenrechts, dass Bürger
auf ihren Wunsch aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen
werden können, wenn sie dauerhaft in einem anderen
Staat leben wollen .
– Ich will, dass sie es können .
Ich möchte Ihnen – vielleicht haben Sie noch einen
Augenblick Geduld – einen der traurigsten Momente
schildern, den ich jemals in meiner 14-jährigen Tätig-
keit als Abgeordneter erlebt habe . Das war ein Gespräch
mit einer weinenden Mutter von drei Kindern in meiner
Sprechstunde vor wenigen Jahren . Sie und ihr Mann wa-
ren in Afghanistan geboren, hatten aber längst, so wie
ihre Kinder, die deutsche Staatsangehörigkeit . Als die
Frau sich scheiden ließ und auch das alleinige Sorgerecht
für ihre Kinder erhielt, entführte der Mann die drei Kin-
der nach Kabul . Die afghanischen Behörden behandeln
die Kinder, die nie wirklich in Afghanistan gelebt haben,
als Afghanen, nach dem Grundsatz: einmal Afghane, im-
mer Afghane . Das gilt dann eben auch für die folgenden
Generationen . Unserer deutschen Botschaft ist es trotz
großer Anstrengungen nicht gelungen, die Kinder wie-
der mit ihrer Mutter zu vereinen . Auch das sind konkrete
und tieftragische Auswirkungen doppelter Staatsbürger-
schaft .
Eine notwendige zukunftsweisende Weiterentwick-
lung unserer Staatsbürgerschaft verlangt eben auch, über
solche Fälle und solche Folgen nachzudenken . Das erfor-
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621124
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dert Kopfarbeit . Sie stellen gerade unter Beweis, dass Sie
Kehlkopfarbeit können, aber ob Sie Kopfarbeit bei dem
Thema können, das müssen Sie erst noch beweisen .
Das heißt aber auch, dass es eine kurzfristige Änderung
des Staatsangehörigkeitsrechts, weil es eben etwas kom-
plizierter ist,
in dieser Koalition, in dieser Wahlperiode nicht geben
wird .
Erst im vorletzten Jahr haben Union und SPD gegen
den Widerstand der Linken und der Grünen nicht etwa
die Abschaffung der Optionspflicht, sondern deren Ver-
änderung und die Reduzierung ihrer Anwendungsfälle
gemeinsam verabschiedet . Diese Änderung des Options-
modells beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft
ist und bleibt geltendes Recht . Daran ändern weder Par-
teitagsbeschlüsse noch Resolutionen noch Migrationsbe-
richte etwas .
Wir werden auch weiterhin verhindern, dass die Axt
an die Fundamente unseres gewachsenen und bewährten
Staatsangehörigkeitsrechts gelegt wird . Deshalb haben
wir in der Koalition dafür gesorgt, dass etwa ein Antrag
der Grünen aus dem letzten Jahr, im dem gefordert wur-
de, Mehrstaatigkeit generell hinzunehmen und die Not-
wendigkeit der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts
und auch das Erfordernis, über grundlegende deutsche
Sprachkenntnisse zu verfügen, weitgehend abzuschaffen,
mit breiter Mehrheit in diesem Hause abgelehnt worden
ist .
Ebenso lehnen wir abstruse Vorschläge aus den Rei-
hen der Linken ab, wonach alle Flüchtlingskinder sofort
und automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhal-
ten sollen . So etwas passt nicht zu unserem Staatsbürger-
schaftsrecht .
Wenn die Integrationsbeauftragte der Bundesregie-
rung in ihrem aktuellen Migrationsbericht – ich zitie-
re – die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit in
Einbürgerungsverfahren fordert, so respektieren wir das
natürlich als ihre persönliche Meinung, aber wir sagen
auch dazu sehr klar: Eine solche Hinnahme von Mehr-
staatigkeit wird die Bundesregierung nicht beschließen .
Denn auch die Union steht zum Koalitionsvertrag und zu
den Grundprinzipien unseres Staatsangehörigkeitsrechts .
Beide schließen genau diese generelle Mehrfachstaats-
bürgerschaft aus .
Ich kann daher verstehen, dass viele Praktiker der In-
tegrationspolitik, etwa der SPD-Politiker und ehemali-
ge Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, sich sehr
grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft
wenden .
Anders als dieser Kollege bin ich aber nicht der Mei-
nung, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft generell
der Integration schadet . Wir gehen beim Erwerb unserer
Staatsbürgerschaft vom Menschen und seiner individu-
ellen Biografie aus. Deshalb weiß ich, dass es natürlich
Menschen gibt, die zum Beispiel aufgrund eines längeren
Aufenthalts in verschiedenen Staaten, aufgrund beson-
derer Umstände auch Loyalität zu mehr als einem Staat
empfinden können.
Aber wir wollen es nicht hinnehmen, wenn Menschen
zwar aus rein praktischen Erwägungen neben einer aus-
ländischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft für sich
reklamieren, dabei aber nur eine Loyalität empfinden,
und zwar gerade nicht zu unserem deutschen Staat und
seiner Verfassung, meine Damen und Herren .
Genau aus diesem Grunde haben CDU und CSU
gegen den Widerstand fast aller politischen Kräfte in
Deutschland den Einbürgerungstest durchgesetzt . Wir
alle werden diesen Test als Herzstück unseres Einbür-
gerungsrechts auch erhalten und gegen alle Widerstände
verteidigen .
Das Gleiche gilt eben für die Vermeidung von Mehr-
fachstaatsangehörigkeiten . Es bleibt dabei: Wir wollen
Mehrfachstaatsangehörigkeiten im Einklang mit der
geltenden Rechtslage in dieser besonders begründungs-
würdigen Konstellation akzeptieren, aber eben nicht als
generelles Prinzip etablieren .
Dass die Bundesregierung an der Stelle auch im
nächsten Jahr beim geltenden Recht bleibt, ist eigentlich
für alle eine gute Nachricht . Wir werden im neuen Jahr
an dieser Stelle dasselbe Recht wie im alten Jahr haben .
In diesem Sinne darf ich Ihnen allen als letzter Redner
seitens der Bundesregierung ein gutes neues Jahr mit viel
Stabilität, ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen schö-
nen vierten Advent wünschen .
Vielen Dank .
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