Rede von
Sevim
Dağdelen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Tauber, wer hier ideologische Scheuklappen hin-
sichtlich des Themas doppelte Staatsbürgerschaft trägt,
das sind Sie . Das haben Sie gerade mit Ihrer Parteitagsre-
de statt einer Bundestagsrede bewiesen .
Sie sind so etwas von Ideologie verbrämt . Sie sprechen
davon, dass Sie Ihren Standpunkt nicht zu einer Region
überhöhen wollen . Dabei sind Sie der Einzige, der hier
bisher zum Thema Religion gesprochen hat .
Deshalb lade ich Sie dazu ein, sachlich zu diesem Thema
zu sprechen .
Wissen Sie, was das Problem ist? Ich gebe Ihnen teil-
weise recht:
Nichts ist in den letzten Jahren in der Innenpolitik so stark
ideologisiert worden wie das Thema doppelte Staatsbür-
gerschaft – was ich als ein Kind von Gastarbeitern aus
der Türkei allerdings bedauere, weil ich weiß, wie es
bei vielen Tausenden Jugendlichen in Deutschland, die
Eltern haben, die aus der Türkei kommen, die dort viel-
leicht selbst geboren sind, ankommt: Es ist ausgrenzend,
und es ist das Gegenteil von Integration . Glauben Sie
mir, meine Damen und Herren .
Es bringt auch nichts, dass die Kanzlerin selbst oder
Minister in staatsmännischer Manier versöhnlich auftre-
ten, aber auf der anderen Seite die Basis der CDU und
viele anderen Funktionäre rechts außen gewähren lassen .
Das ist eine fiese und miese Doppelstrategie der CDU.
Ich sage Ihnen: Sie wird nächstes Jahr im Wahlkampf
nicht aufgehen .
Vor 18 Jahren fand im Bundesland Hessen, wo ich zu
dem Zeitpunkt studiert habe, der bisher geschmackloses-
te und auch gefährlichste Wahlkampf in der Geschichte
des Bundeslandes Hessen statt . Ihr Spitzenkandidat, der
später aufgrund eines Wahlkampfes gegen den Doppel-
pass Ministerpräsident wurde, hat auf dem Rücken von
Migrantinnen und Migranten Stimmung gemacht . Die
Menschen sind zu den CDU-Infoständen in den Fußgän-
gerzonen gegangen und haben gefragt: Wo kann ich ge-
gen Ausländer unterschreiben?
Sie wollten nicht etwa gegen die doppelte Staatsbürger-
schaft oder etwas Ähnliches unterschreiben . Die CDU
hat das bewusst kalkulierend, also aus wahltaktischen
Gründen, gemacht . Der Beschluss des Essener Bundes-
parteitages, die doppelte Staatsbürgerschaft abzulehnen,
die sogenannte Optionspflicht wieder einzuführen, ist
nichts anderes als „Roland Koch reloaded“. Das ist ein
Dr. Peter Tauber
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21117
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(D)
Weg zurück in die Vergangenheit, und wir wollen dies
nicht mitmachen .
Dieser Beschluss richtet sich vor allen Dingen gegen
Türkinnen und Türken in diesem Land; denn EU-Bür-
gerinnen und -Bürger sollen selbstverständlich weiterhin
zwei Pässe haben dürfen . Damit treiben Sie einem Dikta-
tor wie dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan viele
Menschen in die Arme, und Sie spielen seinem Netzwerk
in die Hände . Das ist Gift für die gesellschaftliche Stim-
mung in diesem Land . Deshalb bitte ich Sie: Kommen
Sie zur Vernunft! Sagen Sie Nein zu rassistischen Wahl-
kämpfen wie in der Vergangenheit!
Sie schüren damit Vorbehalte und Misstrauen – und
das allein aus diesen niederen wahltaktischen Gründen .
Das ist schäbig und wird im Ergebnis weder der CDU
noch der CSU, sondern eher den Parteien rechts außen
nutzen, weil es in der Vergangenheit immer so war: Das
Original und nicht die miese Kopie wird gewählt .
Deshalb sage ich Ihnen auch noch einmal – ich kann
es nicht oft genug betonen –: Dieser Beschluss zur Op-
tionspflicht gibt ein abweisendes Signal an die Hundert-
tausenden jungen Deutschen, deren Eltern aus der Türkei
nach Deutschland eingewandert sind; denn diese Gruppe
wird vor allem betroffen sein, und das wissen Sie auch.
Das wurde in den Reden auf dem Parteitag ja auch ge-
sagt . Sie sagen nämlich: Ihr seid Deutsche nur auf Probe
und Bürger zweiter Klasse .
Das hat eine ausgrenzende statt eine integrierende Wir-
kung .
Ich möchte auch an Ihren Bundesinnenminister de
Maizière erinnern . Er sprach hier im Bundestag über den
Kompromiss zwischen CDU, CSU und SPD und erin-
nerte in seiner Rede zu dieser Neuregelung daran, dass
die Haltung der Union – ich zitiere – eine grundlegende
innere Ablehnung einer doppelten Staatsbürgerschaft sei .
Daneben erinnerte er daran, dass hierzu erbitterte Wahl-
kämpfe geführt worden sind .
Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns wirklich kei-
nen Schritt zurück in die Vergangenheit machen, sondern
einen Schritt vorwärts in Richtung Zukunft! Hören Sie
mit Ihrer Diskriminierung und Ausgrenzung von türki-
schen Jugendlichen auf! Hören Sie auch auf, den Inte-
grationsfeinden in unserem Land in die Hand zu spielen!
Es muss doch möglich sein, das antiquierte Staatsbür-
gerschafsrecht des Deutschen Kaiserreiches von 1913
ohne Wenn und Aber zu beerdigen und zu einem fort-
schrittlichen Staatsbürgerschaftsrecht des 21 . Jahrhun-
derts zu kommen . Dazu gehört aber eben auch die Mög-
lichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft .
Vielen Dank .