Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von
dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt ge-
schätzet würde… Und jedermann ging, dass er sich
schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt .
Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa aus
der Stadt Nazareth in das judäische Land zur Stadt
Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von
dem Hause und Geschlechte Davids war,
auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem
vertrauten Weibe, die war schwanger .
Joseph war Galiläer, und er stammte aus Judäa, eine
Zugehörigkeit zu zwei Provinzen, zu zwei Teilen des jü-
dischen Königreichs, sozusagen ein judäisch-galiläischer
Doppelstaatler . Jetzt sagen die Historiker unter Ihnen
vielleicht: Ja, aber das alles waren nur römische Pro-
vinzen, und es regierte der König Herodes, den wir alle
wegen des Kindermordes von Bethlehem kennen . – Ja,
dieser König Herodes regierte Judäa, Galiläa und Sama-
ria zusammen. Nach seinem Tod zerfiel das Reich wieder
und wurde von drei Königen regiert . Diese Herrschaft
ähnelte der von Königin Elisabeth II ., die Australien
und das Vereinigte Königreich als Staatsoberhaupt re-
giert . Keiner würde daran zweifeln, dass es hier um zwei
Staatsangehörigkeiten geht .
Oder nehmen wir Paulus, einen griechisch gebildeten
Juden, geboren in Tarsus in Kilikien,
vom israelischen Stamm Benjamin und römischer Staats-
bürger . Wir wissen viel über Paulus, zum Beispiel dass
ihn seine Identität damals vor Damaskus fast zerrissen
hätte, seine Doppelstaatlichkeit allerdings nicht . Paulus
hinterlässt uns das, worauf es ankommt – da möchte ich
Sie, die Sie das C im Namen Ihrer Partei führen, doch
dran erinnern –:
Da nun der Glaube kommen ist, sind wir nicht mehr
unter dem Zuchtmeister .
Unter säkularen Aspekten könnte man sagen: Es kommt
auf die Menschenrechte, die Gottesebenbildlichkeit oder
die Menschenwürde aller an . Paulus gibt uns mit auf den
Weg:
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Skla-
ve noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn
ihr seid allesamt einer in Christus Jesus .
Oder: Es kommt am Ende auf die Haltung zu Demo-
kratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten an und
nicht darauf, ob man zwei Pässe hat .
Vor einigen Jahren hat sich die Bild-Zeitung gefreut:
„Wir sind Papst“. Wir konnten aber nur Papst sein, weil
wir in unserem Staatsangehörigkeitsrecht hingenommen
haben, dass Benedikt XVI . zugleich Staatsbürger des Va-
tikan und Deutscher war . Ansonsten wären wir nie Papst
geworden .
Da sehen wir doch: Doppelstaatlichkeit kann zu Erfolgen
eines Landes beitragen und am Ende zum Guten dienen .
Aber was haben Sie auf Ihrem CDU-Parteitag be-
schlossen? Sie haben beschlossen, das, was Sie mit der
SPD mühsam vereinbart haben, nämlich den Options-
zwang, weitgehend einzudampfen, wenn auch leider
nicht völlig abzuschaffen, und das Ganze mit einer Phi-
lippika gegen die doppelte Staatsangehörigkeit . Mike
Mohring, Thüringer CDU-Landesvorsitzender, sagte
dem Münchner Merkur, es sei nötig – das müsse Schwer-
punktthema des Wahlkampfes sein –, dass unser Land die
uneingeschränkte staatsbürgerliche Loyalität seiner Bür-
Vizepräsidentin Petra Pau
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621114
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ger genießt, und dazu gehöre für ihn die Pflicht, sich für
einen Pass entscheiden zu müssen .
Sie haben damit 4,3 Millionen Doppelstaatlern in un-
serem Land den Fehdehandschuh hingeworfen und sie
durch den Verdacht der Illoyalität gegenüber unserem
Staat und den Werten unseres Grundgesetzes denunziert .
Das spaltet das Land; das treibt auseinander . Das ist so
etwas von 19 .-Jahrhundert-Denken . So kann man die Zu-
kunft im 21 . Jahrhundert, in der Zeit der Globalisierung,
in der Zeit von Migration, Immigration und Emigration,
einfach nicht gestalten .
Dieser Beschluss war ja nicht nur ein Tritt in die Knie-
kehlen der Kanzlerin. Nein, er ist auch eine Chiffre für
eine Koalitionsoption Richtung AfD .
Wer dieses Thema zum Wahlkampfschlager machen will,
weiß, dass er weder bei uns Grünen noch bei der SPD
auch nur einen Abgeordneten findet, der dabei mithilft,
ein entsprechendes Gesetz über die 50-Prozent-Hürde im
Deutschen Bundestag zu bringen .
Das ist Spaltung, und das dürfen wir nicht zulassen .
Meine Damen und Herren, wir bräuchten eigentlich
eine Reform der Staatsangehörigkeit, die nach vorne
geht und Einbürgerung erleichtert . Lassen Sie uns damit
Schluss machen, dass jedes zweite Kind, das von Aus-
länderinnen in Deutschland geboren wird, nicht als Deut-
scher geboren wird . Die Willkommenskultur muss im
Kreißsaal beginnen . Wer hier zur Welt kommt als Kind
von Eltern, die hier legal sich aufhalten und leben, dem
muss von Anfang an die Zugehörigkeit zu unserem Land
garantiert werden .