Rede von
Thomas
Rachel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir lesen jeden Tag, dass sich Europa von den
Menschen entfernt habe, dass die Nationalstaaten Proble-
me besser alleine bewältigen könnten, dass Europa in der
Krise stecke . Denjenigen, die dies behaupten, empfehle
ich die Lektüre dieses Antrags .
Denn dieser Antrag erzählt von einer Erfolgsgeschichte,
einer Erfolgsgeschichte, die die Europäische Union und
ihre Mitgliedstaaten gemeinsam geschrieben haben .
Es stimmt: Europa steht derzeit vor großen Herausfor-
derungen . Seit dem Brexit beschleicht mich die Sorge,
dass die historischen Errungenschaften der Europäischen
Union verspielt werden . Europa wird von vielen Men-
schen nicht mehr als selbstverständlich hingenommen,
sondern kritisch hinterfragt . Wir müssen uns gemeinsam
diesen Fragen stellen und die richtigen Antworten fin-
den. Der Antrag „Starke Forschung und Innovation für
Europas Zukunft“ kommt deshalb genau zum richtigen
Zeitpunkt .
Josip Juratovic
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21095
(C)
(D)
Zur Bewältigung großer Herausforderungen hilft es,
sich auf seine Stärken zu besinnen . Und eine Stärke der
europäischen Zusammenarbeit ist die europäische For-
schungspolitik . Es gibt keinen anderen Politikbereich in
der Europäischen Union, in dem so eng zusammengear-
beitet wird wie in Wissenschaft und Forschung . Dies ist
eine erfreuliche Entwicklung, aber nicht nur das . Es ist
vielmehr der einzige Schlüssel zur Bewältigung der gro-
ßen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie sie vom
Forschungsprogramm „Horizont 2020“ adressiert sind.
Ich möchte daran erinnern: Das Leben im System
Erde basiert auf Vielfalt . Die passenden wissenschaftli-
chen Antworten können nur aus einer ebensolchen Viel-
falt des Zusammenwirkens entstehen . Denn wenn es um
Antworten geht, dann wissen wir, dass diese nur transna-
tional zu finden sind.
Wissenschaft und Forschung sind deshalb hervor-
ragende Beispiele für den europäischen Gedanken und
auch den unmittelbaren Mehrwert Europas für die Bür-
gerinnen und Bürger . Die Bundesregierung hat die eu-
ropäische Forschungspolitik von Anfang an unterstützt
und mitgestaltet . Sie hat für uns höchste Priorität . Und
wir waren 2014 das erste Land, das eine nationale Stra-
tegie für den Europäischen Forschungsraum vorgelegt
hat . Andere Mitgliedstaaten sind dem nun gefolgt . Der
vorliegende Antrag greift das Thema „Europäischer For-
schungsraum“ daher zu Recht prominent auf.
Die europäische Forschungs- und Innovationspolitik
ist mittlerweile ein zentraler und integraler Bestandteil
der Forschungspolitik der Bundesrepublik Deutschland .
Verantwortung übernehmen bedeutet aber auch, dass wir
durch unsere gute nationale Förderung deutsche Forsche-
rinnen und Forscher im europäischen Wettbewerb kon-
kurrenzfähig machen . Hier sprechen die Zahlen für sich .
Deutschland ist sehr erfolgreich in „Horizont 2020“.
Bis heute wurden mehr als 3 Milliarden Euro einge-
worben . Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an
deutschen Forschungseinrichtungen konnten unter „Ho-
rizont 2020“ allein beim Europäischen Forschungsrat,
ERC, also in der absoluten Spitzenforschung, in einem
hochkompetitiven Auswahlverfahren 368 Grants einwer-
ben . Voraussichtlich werden wir im nächsten Jahr den
1 000 . Grantee in Deutschland begrüßen können . Diese
ERC-Förderung bedeutet bisher 1,7 Milliarden Euro zu-
sätzlich für die deutsche Spitzenforschung .
Europa ist eine Gemeinschaft, basierend auf dem Ge-
danken der Solidarität . Wenn wir wollen, dass Europa
insgesamt stark ist, dann müssen wir allerdings auch die
Staaten mit einbeziehen, die noch nicht ihr volles Poten-
zial haben heben können . Hier sehen auch wir uns in der
Verantwortung .
Bei der nationalen Konferenz zum Europäischen For-
schungsraum am 10 . Oktober hat Ministerin Professor
Wanka die Stipendiaten und Stipendiatinnen des neuen
BMBF-Programms „ERA Fellowships“ persönlich be-
grüßt . Damit wollen wir engagierten Nachwuchswissen-
schaftlern aus den mittel- und osteuropäischen Ländern
das Angebot machen, eine Zeitlang praktische Erfahrung
besonders im Wissenschaftsmanagement in Deutschland
zu sammeln . Damit kriegen sie die Chance, sich europä-
isch zu vernetzen .
Dies ist ein Beispiel dafür, wie wir unsere gesamteu-
ropäische Verantwortung wahrnehmen wollen, und auch
bei anderen Mitgliedstaaten besteht noch erhebliches
Potenzial, den europäischen Forschungsrahmen gerade
auch durch solche bilaterale Maßnahmen auszugestalten .
Es reicht eben nicht, nur den Blick nach Brüssel zu rich-
ten, meine Damen und Herren .
Gerade den Mitgliedstaaten, die in einer wirtschaftlich
und sozial schwierigen Lage sind, kann man nur sagen:
Investitionen in Forschung helfen . Sie sind ein Schlüssel,
diese Phase zu überwinden . – Forschungskooperationen
können neuen Schub geben . Aktuell haben wir gerade
in der letzten Woche das zweite Deutsch-Griechische
Forschungsprogramm gestartet. Dieses eröffnet gerade
jungen Wissenschaftlern neue Perspektiven im eigenen
Land und wirkt so einem Braindrain entgegen .
Nicht zuletzt: Die europäische Forschungsförderung
ist wichtig für das gegenseitige Verständnis und den
gemeinsamen Fortschritt . Kulturelle, soziale und wirt-
schaftliche Vielfalt, das sind die großen Stärken der Eu-
ropäischen Union . Das Zusammenbringen der europäi-
schen Forschung bringt viele positive Synergieeffekte.
Viele junge Menschen, die durch die Mobilitätsprogram-
me „Erasmus“ oder die Marie-Curie-Maßnahmen geför-
dert werden, können Europa hautnah erleben, machen
Erfahrungen in anderer kultureller und wissenschaftli-
cher Umgebung und kommen mit diesen Erfahrungen in
ihr eigenes Land zurück .
Bei allen positiven Betrachtungen des Istzustands
möchte ich aber auch den Blick in die Zukunft rich-
ten; denn wir gehen jetzt darauf zu, das Rahmenpro-
gramm 2021 zu erarbeiten . Und dazu werden wir uns
frühzeitig einbringen . Lassen Sie mich vier Elemente
unserer Position benennen:
Erstens. Wir wollen eine gute finanzielle Ausstattung.
Damit setzen wir ein klares Signal an die Bürger und an
die Mitgliedstaaten: Forschung hat Priorität, auch in Zu-
kunft .
Zweitens . Bei der Debatte zum nächsten Rahmenpro-
gramm müssen wir uns klar dazu positionieren, was wir
national machen wollen, was wir gemeinsam bilateral
organisieren wollen und was wir auf gesamteuropäischer
Ebene organisieren wollen . Der Antrag beschreibt hier
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621096
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eine kluge und kohärente Arbeitsteilung nationaler, bi-
lateraler und europäischer Forschungs- und Innovations-
politik .
Drittens . Bei der derzeitigen Debatte um einen euro-
päischen Verteidigungsfonds darf nicht übersehen wer-
den, dass das bisherige EU-Forschungsrahmenprogramm
aus gutem Grund rein zivil ausgerichtet ist .
Bei der verteidigungsorientierten Forschung bedarf es
aufgrund der besonderen Sensibilität eigener Richtlinien
und eigener Teilnahmebedingungen . Dies kann deshalb
nur in einem eigenen Programm verwirklicht werden .
Und schließlich viertens . Europa kann sich keine For-
schungs- und Innovationslücke zwischen den alten Mit-
gliedstaaten und den EU 13 leisten .
Nein, wir sind ein Europa .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaft, For-
schung und Innovation spielen eine zentrale Rolle für
Wohlstand und Lebensqualität im vereinten Europa . Sie
stehen für eine freie und offene Gesellschaft. Dies wol-
len wir gemeinsam fördern und unterstützen . Wenn die-
se Werte jetzt infrage gestellt werden, müssen wir mehr
denn je die Debatte über die Zukunft Europas führen .
Forschung und Innovation sind immer auch ein Plädoyer
für Vielfalt und Freiheit, und der Antrag für starke For-
schung und Innovation in Europa ist ein solches Plädoyer
für ein starkes, freies und für die Zukunft gerüstetes Eu-
ropa – ein richtiges Signal zur rechten Zeit .
Herzlichen Dank .