Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kultur als Brücke braucht Sprache als Funda-
ment . Menschen verstehen sich, wenn sie sich verstän-
digen können . Es ist daher keine Zumutung, sondern
eine Selbstverständlichkeit, wenn wir als Schlüssel zur
Integration nicht nur den Erwerb, sondern auch den Ge-
brauch der deutschen Sprache fördern und einfordern .
Das ist die erste und wichtigste Botschaft dieses Antrags .
Wenn Menschen nicht oder noch nicht die gleiche
Sprache sprechen, gibt es ein weiteres Fundament, das
verbindet . Das ist die gemeinsame Begeisterung für Mu-
sik oder Kunst, für Kulinarisches oder Architektur, für
gelebte Traditionen und Bräuche . Die innere Kraft un-
seres Landes zur Integration erwächst aus der Stärke
der eigenen kulturellen Werte und Traditionen und nicht
aus deren Relativierung . Eine vermeintliche Rücksicht-
nahme auf Neues oder eine Ausblendung von Traditio-
nen und Konventionen, beispielsweise – um im Bild der
Jahreszeit zu bleiben – indem Sankt-Martins-Umzüge in
Lichterfeste und der Christkindlmarkt in Wintermarkt
umbenannt werden, stärken nicht die Integration . Damit
werden jene, die wir respektvoll in unserer Gesellschaft
begrüßen wollen, am Ende irgendwie entmündigt, weil
wir ihnen den Eindruck vermitteln, ihnen seien unsere
Traditionen nicht zumutbar . Das Gegenteil ist der Fall .
In welche Gesellschaft sollen sich Menschen integrieren,
wenn wir selbst unsere Traditionen und Werte hinterfra-
gen? Eine Kulturnation braucht Beständigkeit, aber eben
Ulle Schauws
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21093
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(D)
auch Offenheit und Neugierde. Sie braucht Respekt und
Toleranz, aber eben keine Duldung von Intoleranz .
Das bringt uns zu der ganz grundlegenden Frage, was
denn eine Kulturnation ist . Das ist der Kern dieses An-
trags: dass wir einen Versuch unternehmen, dies auch zu
definieren.
Meine Damen und Herren, von viel berufenerer Seite
ist die Kultur in unserem Land in den Dimensionen von
Glaube und Vernunft vermessen worden . Dabei meint
Glaube kein religiöses Verständnis, sondern das Wissen
um die notwendige Orientierung in einer Gesellschaft,
Werte also, die unser Gemeinwesen begründen und zu-
sammenhalten . Vernunft dagegen, ohne dass dies ein Ge-
gensatz ist, fordert in der Tradition der Aufklärung frei-
es Denken und Reden und einen säkularen Rechtsstaat,
dessen Regeln allgemeine Geltung besitzen . Daraus wird
klar: Der Staat selbst darf keine bestimmte Kultur vor-
schreiben oder gar verordnen . Er hat vielmehr diese Ge-
sellschaft zu schützen, aus der er in Freiheit entstanden
ist. Das kann letzten Endes nur eine offene demokrati-
sche Gesellschaft sein, die trotz aller Veränderungen auf
der Grundlage der Ideen des Rechts, der Freiheit und der
Menschenwürde existiert .
Die Menschen, meine Damen und Herren, fragen
sich, wie sich unser Land verändert, und nicht wenige
machen sich Sorgen, in welchem Ausmaß diese Verän-
derung spürbar sein wird . Manche sagen gar, dass Verän-
derungen völlig ausgeblendet werden müssen . Das aber
zu behaupten, wäre unehrlich, im schlimmsten Fall gar
demagogisch . Literatur, Architektur, Wissenschaft und
Technologie, aber auch Kunst und Kultur sind Verände-
rungen unterworfen .
Es gibt aber auch eine Sphäre, die sich nicht verän-
dern darf . Das sind die grundlegenden Regeln und Wer-
te unseres Zusammenlebens . Dazu gehört die Würde
des Menschen, der bereits das Grundgesetz das Attri-
but „unantastbar“ verleiht. Die universelle Geltung der
Menschenrechte und die Freiheit als Prinzip, wie eine
Gesellschaft organisiert wird, damit sich jeder Einzelne
mit seinem Lebensentwurf darin wiederfinden kann, die
Gleichheit aller Menschen und die Gleichheit zwischen
Mann und Frau, die Freiheit, seinen Glauben zu leben
oder auch keinen zu besitzen, die Gewissheit, dass ein sä-
kularer Rechtsstaat diese Werte nicht nur garantiert, son-
dern sie auch aktiv einfordert – wer immer auch zu uns
kommt, für den sind diese Regeln keine unverbindlichen
Handlungsempfehlungen . Wir fordern zu Recht ein, dass
sie gelten, und zwar für alle und ausnahmslos .
Wenn wir in diesen Tagen auf die Welt blicken, dann
sehen wir so viele Menschen, denen dieses Leben in Frie-
den und Freiheit verwehrt bleibt, die nicht ihre Kultur le-
ben können, die nicht von einer Kulturnation profitieren.
Umso kostbarer ist es, zu schätzen, was wir erreicht ha-
ben durch Toleranz, in Gemeinsamkeit und im Vertrauen
auf diese Werte . Wir haben alles dafür zu tun, dass die-
ser Frieden, dieser Weihnachtsfrieden überall entstehen
kann. Das ist unsere Verpflichtung. Sie erwächst auch aus
einer viel bedeutenderen Kultur, nämlich der Kultur der
Mitmenschlichkeit . Darauf lässt sich bauen .
Vielen Dank .