Rede von
Ulle
Schauws
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In Zeiten, in denen wir mehr als je zuvor über
Perspektiven und Chancen für Migration, Inter- und
Transkultur reden müssen, legen Sie einen Antrag vor,
der einzig und allein seinem Selbstzweck dient . Alles,
was dieser Antrag leistet, ist eine Aufzählung von Ini-
tiativen und Projekten, die zum Thema „Kulturpolitik
und Integration“ bereits laufen. Dafür hätten wir keinen
zehnseitigen Antrag gebraucht, da hätte ein Link auf der
Homepage der Beauftragten für Kultur und Medien ge-
nügt .
Darum wirft ein solcher Antrag auch berechtigte Fragen
auf, nämlich: Was ist denn Ihr Vorschlag, Ihr Konzept
für Interkultur? Worin besteht Ihr neuer Beitrag zur Inte-
gration, wie Sie das in der Überschrift ankündigen? Ich
kann hier kein Konzept erkennen . Etwas Wegweisendes,
etwas in die Zukunft Gerichtetes? Da kann ich nur sagen:
Leider Fehlanzeige!
Meine Damen und Herren, kulturelle Integration ist
keine Einbahnstraße . Wenn Sie über den Beitrag von
Kulturpolitik zur Integration reden, dann geht es Ihnen
offensichtlich nicht um eine interkulturelle Auseinander-
setzung auf Augenhöhe . Ihnen fällt zum Thema kaum et-
was anderes ein, als dass die aufnehmende Gesellschaft
Regeln festlegt, Erwartungen und Anforderungen formu-
liert . Wer so redet, der baut keine Brücken . Dialog geht
eindeutig anders .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist
doch längst ein Einwanderungsland . Durch Migration
und Flucht ist es demografisch in den letzten Jahrzehn-
ten stetig vielfältiger geworden . Deshalb ist doch eine
zentrale Frage: Wie verändert sich die Kultur der soge-
nannten Mehrheitsgesellschaft durch diese Entwicklung?
Gerade in der Kultur ist diese Veränderung nicht nur eine
Chance für all jene, die zu uns kommen, sie ist auch eine
Chance für uns, meine Damen und Herren .
Burkhard Blienert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621092
(C)
(D)
Kultur ist ein Kommunikationsmedium zur Verstän-
digung in einer pluralen Gesellschaft, und sie ist kein
Megafon, das anderen die Meinung ins Ohr brüllt . Echte
Partizipation bedeutet, diese Veränderungen und Wech-
selwirkungen zuzulassen . Und diese Chance vergeben
Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
wenn Sie einer Projekteritis, wie in diesem Antrag, hin-
terherlaufen .
Es kann nicht darum gehen, Maßnahmen für Migran-
tinnen und Migranten immer nur additiv hinzuzufügen .
Ein reiner Maßnahmenkatalog ändert die Verfasstheit der
Kulturinstitutionen nämlich noch lange nicht, aber genau
darum geht es .
Darum ist für uns Grüne klar: Wir brauchen kulturelle
Infrastrukturen, die eine langfristige interkulturelle Öff-
nung der Kulturlandschaft ermöglichen .
Kultur kann sicherlich kurzfristig Willkommensräume
bereitstellen, aber langfristig muss gleichberechtigte
Teilhabe ermöglicht werden . Also, werte Kolleginnen
und Kollegen, inwiefern muss sich hierfür der etablierte
Kulturbetrieb öffnen? Wie sollte die Kulturförderung im
Hinblick auf interkulturelle Kriterien neu gestaltet wer-
den? Auf diese wesentlichen Fragen finde ich in diesem
Antrag gar keine Antworten, und das ist zu wenig .
Dafür wären aktuelle Daten zum Stand der interkultu-
rellen Öffnung von Kulturinstitutionen als erster Schritt
unerlässlich . Ich sage Ihnen: Schon da kneifen Sie . Un-
seren Haushaltsantrag, den wir vor drei Wochen genau
zu diesem Thema vorgelegt haben, haben Sie abgelehnt .
Das ist wenig glaubwürdig .
Ich frage mich: Wie wichtig ist Ihnen dieses Thema
wirklich, wenn Sie dann auch noch die politische Ausei-
nandersetzung nicht wollen? Sie wollen heute sofort ab-
stimmen . Warum keine Überweisung in den Ausschuss?
Über die Zielsetzung, durch Kultur Brücken zu bauen,
müssen wir doch fachpolitisch diskutieren können . Ich
verstehe das überhaupt nicht . Der richtige Ort dafür ist
der Ausschuss .
Wir sind ein Parlament, in dem in den Ausschüssen de-
battiert wird, und das verweigern Sie . Oder wird das Ihre
neue Art, Politik zu machen? Keine Kulturdebatten mehr
wie auch beim Beschluss zum Wiederaufbau der Ko-
lonnaden? Das ist höchst kritikwürdig, und das wissen
Sie auch . Deswegen muss ich das an dieser Stelle noch
einmal betonen .
Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist
weder falsch noch richtig, er ist nichtssagend . Er bringt
nichts nach vorne . Aber weil wir die vielen aufgezählten
Initiativen und Projekte unterstützen, insbesondere die
Soziokultur, werden wir als Bundestagsfraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen diesen Antrag nicht ablehnen, wir
werden aber auch nicht zustimmen .
Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koali-
tion, haben ein wichtiges Thema mit viel heißer Luft auf-
geblasen und dabei eine echte Chance vertan. Ich finde,
ein Schaufensterantrag ohne Impulse, der den Stillstand
der Großen Koalition widerspiegelt, ist zu wenig für Ihr
Brückenbauprojekt Kultur. Ich kann nur sagen: Ich finde
das sehr bedauerlich . Dennoch wünsche ich Ihnen schö-
ne Feiertage . Bis im nächsten Jahr!
Vielen Dank .