Rede von
Burkhard
Blienert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Petzold, die
Öffentlichkeit ist hier. Es kann keinen besseren Ort für
eine Debatte geben als den Deutschen Bundestag . Des-
halb sollten wir dies auch so belassen . Ich empfehle allen,
den Antrag sorgfältig zu lesen . Das geht auch in Richtung
Medien . Ich habe mich heute Morgen darüber geärgert,
dass eine deutsche Zeitung mit vier großen Buchstaben
die Schlagzeile hatte: „DAS IST DEUTSCH – Bundestag
will Leitkultur beschließen“. Genau das steht gar nicht in
unserem Antrag . Es geht in diesem Antrag nicht um den
Begriff „Leitkultur“. Er findet sich in dem Antrag kein
einziges Mal wieder . Olaf Zimmermann sagt zu Recht
zu einer solchen Nachricht: Das sind Fake News . – Das
sollte uns zu denken geben .
Dass wir zum Teil ein unterschiedliches Kulturver-
ständnis haben – auch zwischen den Regierungsfraktio-
nen –, war durchaus ein Reibungspunkt bei den Verhand-
lungen zu diesem Antrag . Wir haben ihn nicht vorgelegt,
weil demnächst Weihnachten ist, sondern weil wir schon
lange darüber diskutiert haben . Anfang des Jahres – mei-
ne Kollegin ist eben schon darauf eingegangen – haben
wir diesen Diskussionsprozess angestoßen .
Für uns ist Multikulturalismus keine Ideologie, son-
dern gelebte Realität in Deutschland. Unser Land ist „ge-
prägt vom Zusammenleben verschiedener Kulturen, von
unterschiedlichen Lebenswelten, Werten und Traditio-
nen“. Unsere Gesellschaft „entwickelt sich … stetig wei-
ter und ist offen für andere kulturelle Einflüsse“. – Das
waren übrigens direkte Zitate aus dem Antrag .
Kultur ist kein starres, in sich geschlossenes Konzept;
Kultur wird von Menschen gemacht . Deshalb ist Kultur
immer einem ständigen Wechsel unterzogen . Eine Poli-
tik hingegen, die eine sogenannte Leitkultur propagiert,
hierarchisiert, grenzt Kulturen aus und versteht Integrati-
on als Annahme der dominanten Kultur bei gleichzeitiger
Aufgabe der Herkunftskultur . Das entspricht nicht unse-
rem sozialdemokratischen Verständnis von Kultur .
Wir verstehen Kultur nicht als Mittel der Abgrenzung,
sondern als Mittel der Inklusion .
Kulturen konstituieren sich in einem Prozess der
Überlagerung, Vermischung und Verschmelzung ver-
schiedener kultureller Einflüsse. Im Rahmen permanen-
ter Austauschprozesse verwischen die Grenzen zwischen
Eigen- und Fremdkultur . Wenn wir kulturelle Unter-
schiede verstehen, andere kulturelle Ausdrucksweisen
kennen und Respekt vor anderen Kulturen haben, wird
aus dem Fremden das vertraute Andere . Dieser dynami-
sche, hybride und heterogene Kulturbegriff findet sich in
Harald Petzold
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21091
(C)
(D)
diesem Antrag wieder . Wer den Antrag liest, wird ganz
klar erkennen: Das ist sozialdemokratische Handschrift .
Das sage ich ganz ohne Häme . Im Gegenteil: Ich freue
mich darüber, dass es uns in einem Diskussionsprozess
gelungen ist, die Union mitzunehmen und sie von ver-
krusteten Denkmustern ausgrenzender Leitkultur wegzu-
bewegen, hin zu einem Bekenntnis zu kultureller Viel-
falt . Deshalb sind wir nach einem Jahr zähen Ringens um
jede Formulierung ja auch so weit gekommen .
Als Berichterstatter war es mir wichtig, dass in dem
Antrag zum Ausdruck kommt, dass Integration keine
Einbahnstraße ist, sondern ein dynamischer und wech-
selseitiger Prozess, bei dem es darum geht, sich über die
gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenle-
bens zu verständigen . Das ist aus meiner Sicht gelungen .
Mein Verständnis und das Verständnis meiner Partei
von Integration lassen sich auf den ursprünglichen Be-
griff „integrare“, der aus dem Lateinischen kommt, zu-
rückführen. Das bedeutet „erneuern, ergänzen, geistig
auffrischen“. Auf diese ursprüngliche Bedeutung sollten
wir uns in diesem gesellschaftlichen Diskurs wieder be-
sinnen .
Unser beeindruckendes kulturelles Erbe hat sich über-
haupt erst aus dieser Heterogenität entwickelt . Dieses
kulturelle Erbe verpflichtet uns auch zu Humanität – ei-
ner Humanität, die im letzten Jahr von vielen Ehren- und
Hauptamtlichen in unserem Land auch im kulturellen
Sektor mit Leben erfüllt wurde . Deshalb gehört die Stär-
kung des bürgerschaftlichen Engagements zu den Kern-
forderungen des Antrags .
Eine weitere zentrale Forderung des Antrags ist die
Stärkung der soziokulturellen Zentren, die als Orte der
Begegnung fungieren und somit kulturelle Teilhabe und
kulturellen Austausch fördern . Schauen wir nach NRW!
Dort funktioniert das hervorragend . Das sollte man an
dieser Stelle einmal betonen .
Kulturelle Bildung kann vor allem geflüchtete Kinder
dabei unterstützen, Erlebtes zu verarbeiten und Neues zu
verstehen . Deshalb hat sich die SPD-Bundestagsfraktion
auch dafür eingesetzt, „Kultur macht stark“, das größte
Förderprogramm der kulturellen Bildung des Bundes,
auch nach 2017 fortzusetzen .
„Kultur baut Brücken“ – hinter diesem Titel steckt die
Überzeugung, dass kultureller Austausch dazu beitragen
kann, Vorurteile abzubauen und ein besseres Verständnis
füreinander zu entwickeln . Kulturelles Miteinander kann
Integration fördern und die Gemeinschaft festigen .
Wie sagte es ein sehr bekannter Sozialdemokrat:
„Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu
gestalten.“ Willy Brandt, einst selbst Flüchtling, wurde
vor 45 Jahren für seinen Einsatz für Versöhnung und die
europäische Einigung mit dem Friedensnobelpreis aus-
gezeichnet . Brandts Ziel war es, die Menschen zu einen
und nicht zu spalten . Dieser Grundsatz ist Teil unserer
Identität, eine Tradition, die wir als Sozialdemokraten
weiter aufrechterhalten wollen und die sich auch in dem
vorliegenden Antrag wiederfindet.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche allen
ein frohes Fest .