Plenarprotokoll 18/168
            Deutscher Bundestag
            Stenografischer Bericht
            168. Sitzung
            Berlin, Freitag, den 29. April 2016
            Inhalt
            Tagesordnungspunkt 24:
            a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
            SPD: Tschernobyl und Fukushima mah-
            nen – Verantwortungsbewusster Um-
            gang mit den Risiken der Atomkraft
            und weitere Unterstützung der durch
            die Reaktorkatastrophen betroffenen
            Menschen
            Drucksache 18/8239 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 B
            b) Beschlussempfehlung und Bericht des
            Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
            Bau und Reaktorsicherheit
            – zu dem Antrag der Abgeordneten
            Hubertus Zdebel, Andrej Hunko, Karin
            Binder, weiterer Abgeordneter und der
            Fraktion DIE LINKE: Risiko-Reakto-
            ren abschalten – Atomausstieg in Eu-
            ropa beschleunigen
            – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
            Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,
            Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter
            und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
            GRÜNEN: 30 Jahre Tschernobyl,
            5 Jahre Fukushima – Atomausstieg
            konsequent durchsetzen
            – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
            Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,
            Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter
            und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
            GRÜNEN: Atomkraftwerk Cattenom
            sofort abschalten
            Drucksachen 18/7875, 18/7656, 18/7668,
            18/8266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 C
            in Verbindung mit
            Zusatztagesordnungspunkt 6:
            Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
            schusses für Wirtschaft und Energie zu dem
            Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
            Kai Gehring, Dr . Franziska Brantner, weite-
            rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
            NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine öffentlichen
            Forschungsgelder für den Wiedereinstieg
            in atomare Technologien – 6. Energiefor-
            schungsprogramm vollständig in Richtung
            Energiewende weiterentwickeln
            Drucksachen 18/5211, 18/8262 . . . . . . . . . . . . 16565 D
            in Verbindung mit
            Zusatztagesordnungspunkt 7:
            Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl,
            Kai Gehring, Annalena Baerbock, weiterer
            Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN: Europaweiten Atomausstieg
            voranbringen – Euratom-Vertrag reformie-
            ren oder aussteigen
            Drucksache 18/8242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 D
            Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin
            BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16566 A
            Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16567 D
            Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16568 C
            Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16570 C
            Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16571 D
            Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 16572 B
            Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16573 C
            Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16574 C
            Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16575 A
            Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16576 A
            Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016II
            Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16576 D
            Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 16578 A
            Tagesordnungspunkt 25:
            Unterrichtung durch die Bundesregierung:
            Weiterentwicklung der Konzeption zur Er-
            forschung, Bewahrung, Präsentation und
            Vermittlung der Kultur und Geschichte der
            Deutschen im östlichen Europa nach § 96
            des Bundesvertriebenengesetzes
            Drucksache 18/7730 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16580 B
            Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 16580 C
            Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16581 D
            Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 16583 C
            Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16585 B
            Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 16586 D
            Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 16587 D
            Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16588 D
            Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16590 A
            Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16591 B
            Tagesordnungspunkt 26:
            Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
            tionsausschusses: Sammelübersicht 289 zu
            Petitionen
            Drucksache 18/8092 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16592 B
            Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16592 B
            Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16593 B
            Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16594 C
            Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16595 B
            Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16595 D
            Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16597 A
            Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 16598 B
            Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16599 B
            Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 16599 C
            Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16601 B
            Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16602 D
            Kerstin Kassner (DIE LINKE)
            (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . 16603 D
            Tagesordnungspunkt 27:
            Erste Beratung des von der Bundesregierung
            eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
            Änderung der Vorschriften zur Vergabe
            von Wegenutzungsrechten zur leitungsge-
            bundenen Energieversorgung
            Drucksache 18/8184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16605 C
            Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16605 D
            Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 16606 C
            Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16607 C
            Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . 16608 C
            Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16609 B
            Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär
            BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16610 C
            Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16611 B
            Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16612 B
            Tagesordnungspunkt 28:
            Antrag der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms,
            Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden),
            weiterer Abgeordneter und der Fraktion
            BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Bundes-
            verkehrswegeplan zum Bundesnetzplan
            weiterentwickeln
            Drucksache 18/8083 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16613 C
            Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16613 C
            Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16615 A
            Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16615 B
            Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/
            DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16616 A
            Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16617 B
            Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16617 D
            Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16619 B
            Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16620 C
            Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16621 D
            Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16622 B
            Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16623 D
            Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16625 C
            Anlage 1
            Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 16627 A
            Anlage 2
            Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung
            über die Empfehlung des Petitionsausschusses
            Sammelübersicht 289 (Drucksache 18/8092)
            zur Petition 4-18-11-81503-001721
            (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 16628 A
            Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 III
            Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 16628 A
            Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16628 C
            Kersten Steinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16629 A
            Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . . 16629 D
            Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16630 B
            Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16630 C
            Sabine Zimmermann (Zwickau)
            (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16631 A
            Anlage 3
            Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16631 C
            (A) (C)
            (B) (D)
            Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16565
            168. Sitzung
            Berlin, Freitag, den 29. April 2016
            Beginn: 9 .00 Uhr
        
        
        
        
          
          
        (A) (C)
        (B) (D)
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16627
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Beck (Bremen),
        Marieluise
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Bleser, Peter CDU/CSU 29 .04 .2016
        Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 29 .04 .2016
        Castellucci, Dr . Lars SPD 29 .04 .2016
        Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 29 .04 .2016
        Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 29 .04 .2016
        Gabriel, Sigmar SPD 29 .04 .2016
        Gohlke, Nicole DIE LINKE 29 .04 .2016
        Grindel, Reinhard CDU/CSU 29 .04 .2016
        Gröhe, Hermann CDU/CSU 29 .04 .2016
        Held, Marcus SPD 29 .04 .2016
        Holmeier, Karl CDU/CSU 29 .04 .2016
        Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Klingbeil, Lars SPD 29 .04 .2016
        Kühn (Tübingen),
        Christian
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Kühn-Mengel, Helga SPD 29 .04 .2016
        Lerchenfeld, Philipp
        Graf
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Lotze, Hiltrud SPD 29 .04 .2016
        Ludwig, Daniela CDU/CSU 29 .04 .2016
        Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Maizière,
        Dr . Thomas de
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Middelberg,
        Dr . Mathias
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Müller, Bettina SPD 29 .04 .2016
        Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        29 .04 .2016
        Scheuer, Andreas CDU/CSU 29 .04 .2016
        Schulte, Ursula SPD 29 .04 .2016
        Steffel, Dr . Frank CDU/CSU 29 .04 .2016
        Strobl (Heilbronn),
        Thomas
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Thönnes, Franz SPD 29 .04 .2016
        Ulrich, Alexander DIE LINKE 29 .04 .2016
        Veit, Rüdiger SPD 29 .04 .2016
        Veith, Oswin CDU/CSU 29 .04 .2016
        Vogt, Ute SPD 29 .04 .2016
        Weinberg, Harald DIE LINKE 29 .04 .2016
        Weisgerber,
        Dr . Anja
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Wellmann,
        Karl-Georg
        CDU/CSU 29 .04 .2016
        Whittaker, Kai CDU/CSU 29 .04 .2016
        Wicklein, Andrea SPD 29 .04 .2016
        Wolff (Wolmirstedt),
        Waltraud
        SPD 29 .04 .2016
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 201616628
        (A) (C)
        (B) (D)
        Anlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zur Abstimmung über die Empfehlung des Peti-
        tionsausschusses Sammelübersicht 289 (Druck-
        sache 18/8092) zur Petition 4-18-11-81503-001721
        (Tagesordnungspunkt 26)
        Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme für
        die Petition von Inge Hannemann, und damit stimme ich
        heute mit weiteren 90 000 Unterstützerinnen und Unter-
        stützer dieser Petition zu .
        Ich stimme für die Petition von Frau Hannemann, weil
        man von Hartz IV nicht leben kann .
        Genau das ist aber von der Mehrheit der hier im Bun-
        destag vertretenen Parteien politisch gewollt:
        Hartz IV heißt Armut und Entbehrung per Gesetz .
        Deshalb hat Die Linke als einzige Partei von Anfang
        an Nein dazu gesagt .
        Ich stimme dafür, Sanktionen abzuschaffen, weil im
        vergangenen Jahr in den Amtsstuben der Jobcenter und
        der Optionskommunen knapp eine Million Mal Sank-
        tionen verhängt wurden: 416 292 Menschen wurden
        2015 erstmals mit der Kürzung des Existenzminimums
        bestraft . Die meisten davon nur wegen Meldeversäum-
        nissen .
        Einem nackten Menschen kann man nicht in die Ta-
        sche greifen .
        Aber wissen Sie, was diese Zahl bedeutet? Genau das .
        Einem von 200 Menschen in diesem reichen Land wurde
        2015 noch einmal in die Tasche gegriffen, obwohl man
        mit Hartz IV eh nichts in der Tasche hat . 108 Euro waren
        das im Durchschnitt .
        Einem von 200 Menschen in unserem Land wurde
        2015 damit das Existenzminimum verweigert, einem von
        200 Menschen wurden die Menschenrechte gekürzt . Das
        darf nicht sein . Darum stimme ich für die Petition .
        Inge Hannemann zitiert in ihrer Petition das Bundes-
        verfassungsgericht: Das Existenzminimum gehört zur
        Menschenwürde . Es ist ein unverfügbares Grundrecht
        und muss zu jeder Zeit garantiert werden .
        Richtig, sage ich, und deshalb stimme ich heute gegen
        die Beschlussempfehlung des Ausschusses .
        Der Sozialstaat soll die Menschenwürde schützen und
        soll vor Zukunftsängsten schützen .
        Doch die Sanktionen bewirken das genaue Gegenteil,
        sie machen Angst .
        An dieser Angst haben die Arbeitgeber in den Jahren
        seit der Einführung von Hartz IV nicht schlecht verdient:
        Die Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen seit
        der Einführung von Hartz IV wäre ohne Sanktionen
        kaum möglich gewesen .
        Deshalb ist meine Stimme für die Petition zur Ab-
        schaffung der Sanktionen auch eine Stimme für gute Ar-
        beit und gute Löhne .
        Cornelia Möhring (DIE LINKE): Dem ablehnenden
        Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich
        nicht zustimmen . Dass die Petition von Frau Hannemann
        mit Ablehnung abgeschlossen wurde, ist ein Armuts-
        zeugnis . Die Petentin und mit ihr die 90 000 Unterstütze-
        rinnen und Unterstützer der Petition fordern die Abschaf-
        fung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und
        in der Sozialhilfe (SGB XII) . Hierbei geht es um nicht
        weniger als die Achtung der Menschenwürde: Die Ga-
        rantie des menschenwürdigen Existenz- und Teilhabemi-
        nimums ist ein in Artikel 1 und 20 Absatz 1 Grundgesetz
        (GG) verankertes Grundrecht jedes Menschen, der sich
        in Deutschland aufhält. Das Sozialstaatsgebot verpflich-
        tet den Staat, dieses Grundrecht zu gewährleisten . Die
        Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzmini-
        mums durch Sanktionen verletzt dieses Grundrecht .
        Was diese Verletzung für den Alltag der von Sanktio-
        nen betroffenen Menschen bedeutet, hat Frau Hannemann
        als langjährige Mitarbeiterin in einem Jobcenter in Ham-
        burg in der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschus-
        ses eindrücklich geschildert: Sanktionen entwürdigen die
        Leistungsberechtigten, sie bedeuten im Effekt Elend und
        Ausschluss . Sanktionen erzeugen Zukunftsängste, sind
        psychisch stark belastend . Verlust von Selbstvertrauen,
        Schlafstörungen oder Depressionen sind keine seltenen
        Erscheinungen . Viele Betroffene werden mit der Situati-
        on nicht fertig und werden krank . Insbesondere bei jun-
        gen Erwachsenen nehmen Sanktionen sogar Wohnungs-
        losigkeit in Kauf . Nicht selten führen Sanktionen in die
        soziale Isolation, weil mit Rückzug aus dem eigenen
        Umfeld reagiert wird . Oftmals verschulden sich sanktio-
        nierte Menschen, um überhaupt noch halbwegs über die
        Runde zu kommen .
        Sanktionen werden – so hat es auch Hannemann in der
        öffentlichen Sitzung ausgeführt – von den Betroffenen
        als Strafen verstanden; Strafen für ein Verhalten, welches
        die Jobcenter als falsch bewerten . Sanktionen behandeln
        damit erwachsene Menschen wie unmündige Kleinkin-
        der, denen ein Erziehungsberechtigter sagt, was es zu
        tun und zu lassen hat . Das Jobcenter wird im Auftrag des
        Gesetzgebers zu einem „Erziehungsberechtigten“ . Eine
        Funktion, die dem Jobcenter nicht zukommt, denn: Leis-
        tungsberechtigte sind keine unmündigen Kinder, son-
        dern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren
        Würde und Autonomie zu respektieren ist . Hannemann
        macht das Problem konkret deutlich: Leistungsberech-
        tigte haben vielfach gute Gründe, den Anforderungen
        der Jobcenter nicht nachzukommen, sei es die x-te als
        sinnlos empfundene, aber trotzdem vom Jobcenter auf-
        erlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand ge-
        gen einen nicht existenzsichernden Job . Hannemann sagt
        zu Recht: Die betroffenen Menschen wissen selbst am
        besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind
        und welche Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt
        Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengun-
        gen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bü-
        rokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt .
        Es fehlt den Jobcentern massiv an Zeit und Empathie für
        das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse
        der hilfeberechtigten Personen . Hilfe und Unterstützung
        statt Gängelung und Entwürdigung – das ist das Leitmo-
        tiv von Inge Hannemann .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16629
        (A) (C)
        (B) (D)
        Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr aus-
        gesprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder
        Sanktion um über 100 Euro reduziert . Wird mit diesen
        beiden Eckdaten gerechnet, so spart die öffentliche Hand
        Jahr für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthalte-
        nen Leistungen . Der Staat spart damit auf Kosten der
        Hartz-IV-Berechtigten, auf Kosten also von Menschen,
        die in Armut leben .
        Sanktionen unterschreiten Leistungen, die bereits un-
        abhängig von den Kürzungen bereits viel zu gering sind .
        Ein Leben in Hartz IV bedeutet – politisch gewollt – ein
        Leben in Armut und Entbehrung . Eine Kürzung dieser
        bereits unzureichenden Leistung führt zu erheblichen
        sozialen Verwerfungen . Diese die Würde des Menschen
        verachtende Praxis muss endlich ein Ende haben .
        Kersten Steinke (DIE LINKE): Dem ablehnenden
        Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich
        nicht zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Gründen
        die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV
        (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) .
        91 500 Menschen haben die Petition unterstützt . Frau
        Hannemann hat in einer öffentlichen Sitzung des Petiti-
        onsausschusses aus ihrer Erfahrung als langjährige Mit-
        arbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich ge-
        macht, dass Sanktionen die Leistungsberechtigten nicht
        nur entwürdigen, sondern auch Elend und Ausschluss
        statt Hilfe und Unterstützung bedeuten . Dieser Argumen-
        tation und der Forderung der Petition kann ich mich aus
        Gesprächen mit Betroffenen nur anschließen .
        Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr ausge-
        sprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder Sank-
        tion um über 100 Euro reduziert . Dadurch kann der Staat
        Jahr für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthaltenen
        Leistungen auf Kosten der Ärmsten sparen .
        Sanktionen stellen eine Unterschreitung des men-
        schenwürdigen Existenzminimums dar . Es ist nicht zu
        akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutsch-
        land Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit –
        existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt
        werden . Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht
        wird ausgeführt, dass die Garantie des menschenwürdi-
        gen Existenzminimums durch die Menschenwürde und
        das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den
        Staat ist . Das Existenzminimum ist stets und zu jeder Zeit
        zu garantieren, so die Urteile . Mit diesem Grundrecht ist
        eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenz-
        minimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren . Diese
        Einschätzung der Petentin wird mittlerweile auch geteilt
        von dem Sozialgericht Gotha (S 15 AS 5157/14) . Das
        Sozialgericht führt die verfassungsrechtlichen Beden-
        ken an den Sanktionsregeln bei Hartz IV aus und hat die
        Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung
        vorgelegt . Mehr als jeder dritte Widerspruch und 40 Pro-
        zent aller Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen bekommen
        Recht .
        Sanktionen sind für die Betroffenen Strafen . Sanktio-
        nen behandeln damit erwachsene Menschen wie unmün-
        dige Kleinkinder, denen ein Erziehungsberechtigter sagt,
        was es zu tun und zu lassen hat . Das Sanktionsregime
        unterstellt, dass die Erwerbslosigkeit und die Hilfebe-
        dürftigkeit der Betroffenen in erster Linie ein Ergebnis
        falschen Verhaltens sei und durch Sanktionsandrohungen
        korrigiert werden könne . Das Jobcenter wird im Auftrag
        des Gesetzgebers zu einem ,,Erziehungsberechtigten“ .
        Eine Funktion, die dem Jobcenter nicht zukommt, denn:
        Leistungsberechtigte sind keine unmündigen Kinder,
        sondern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbürger, de-
        ren Würde und Autonomie zu respektieren ist . Die Pe-
        tentin macht das Problem konkret deutlich: Leistungsbe-
        rechtigte haben vielfach gute Gründe, den Anforderungen
        der Jobcenter nicht nachzukommen, sei es die x-te als
        sinnlos empfundene, aber trotzdem vom Jobcenter auf-
        erlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand ge-
        gen einen nicht existenzsichernden Job . Hannemann sagt
        zu Recht: Die betroffenen Menschen wissen selbst am
        besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind
        und welche Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt
        Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengun-
        gen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bü-
        rokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt .
        Es fehlt den Jobcentern massiv an Zeit und Empathie für
        das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse
        der hilfeberechtigten Personen . Hilfe und Unterstützung
        statt Gängelung und Entwürdigung – das ist das Leitmo-
        tiv von Inge Hannemann, denn Arbeitslosigkeit ist das
        Ergebnis der strukturellen Probleme des Kapitalismus .
        Betroffene werden zu Tätern der Arbeitsmarktkrise um-
        gedeutet . Zudem blendet das Aktivierungskonzept aus,
        dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte bereits jetzt vielfäl-
        tig aktiv sind – sie gehen bereits Erwerbsarbeit nach (so-
        genannte Aufstocker), sie leisten Erziehungs- oder Pfle-
        gearbeit, sie sind ehrenamtlich aktiv . Sie suchen aktiv
        nach Erwerbsarbeit . Die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit
        muss ihnen nicht aufgezwungen werden . Im Gegenteil:
        Die Betroffenen empfinden die Erwerbslosigkeit als
        Ausschluss aus einem wichtigen Aspekt der sozialen
        Teilhabe .
        Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ich stimme der
        Ablehnung der Petition von Inge Hannemann nicht zu .
        Es gibt gute Gründe, die Sanktionsregelung bei Hartz IV
        (SGB II) und der Sozialhilfe (SGB XII) abzuschaffen .
        Mit 90 000 Stimmen für die Petition war das Quorum für
        eine öffentliche Sitzung des Petitionsausschusses deut-
        lich überschritten – was die gesellschaftliche Brisanz und
        das hohe Interesse der Bürgerinnen und Bürger zeigt .
        Sanktionen bewirken, dass das menschenwürdige
        Existenz- und Teilhabeminium unterschritten wird und
        Menschen in Not in noch größere Not gezwungen wer-
        den, Unterversorgung und drohende Obdachlosigkeit in-
        klusive . Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr
        ausgesprochen . Mit Bezug auf das Bundesverfassungs-
        gericht führt die Petentin mit Recht aus, dass das men-
        schenwürdige Existenzminimum durch die Menschen-
        würde und das Sozialstaatsgebot zwingender Auftrag des
        Staates ist .
        Auch einer juristischen Prüfung hält die Sanktionspra-
        xis oft nicht stand, wie kürzlich eine kleine Anfrage der
        Linken-Abgeordneten Katja Kipping zeigte .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 201616630
        (A) (C)
        (B) (D)
        Sanktionen entmündigen die von Hartz IV und So-
        zialhilfe betroffenen Menschen und despektieren deren
        Würde und Autonomie . Statt Hilfe und Unterstützung er-
        fahren sie einen bürokratischen Apparat, der sie maßre-
        gelt und gängelt . Sanktionen führen stärker zu sozialem
        Rückzug, belasten den gesundheitlichen Zustand und die
        subjektive Befindlichkeit der Sanktionierten, wie eine
        unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zu Ursa-
        chen und Auswirkungen von Sanktionen bei Hartz IV
        und Sozialhilfe aufzeigt, die im Auftrag des Ministeri-
        ums für Arbeit, Integration und Soziales, NRW, erstellt
        wurde .
        Die Sanktionspraxis unterstellt den Menschen in
        Hartz IV und Sozialhilfe, dass sie durch eigenes falsches
        Verhalten in diese Hilfebedürftigkeit geraten sind oder
        verbleiben .
        Die Sanktionen nehmen den Menschen das Recht,
        Nein zu sagen – zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen,
        -zeiten oder zu geringen Löhnen, und zermürbt sie . Die
        Konzessionsbereitschaft – also die Bereitschaft dahin
        gehend, Zugeständnisse zu machen, steigt. Profiteure
        dieser Praxis sind bekanntlich die Leiharbeitsfirmen, die
        die Betroffenen in nicht nachhaltige Jobs und prekäre Le-
        benssituationen trotz Arbeit zwingen .
        Wie schon in unserem Antrag „Sanktionen bei
        Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozial-
        hilfe abschaffen“ (18/1115) dargelegt, sind Sanktionen
        nicht nur in Bezug auf Demokratie und Verfassungsrecht
        abzulehnen, sie sind überdies arbeitsmarktpolitisch gera-
        dezu sinnlos .
        Katrin Werner (DIE LINKE): Dem ablehnenden
        Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich
        nicht zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Grün-
        den die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei
        Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) .
        90 000 Menschen habe die Petition unterstützt . Damit
        war das Quorum für eine öffentliche Sitzung des Petiti-
        onsausschusses deutlich überschritten . Frau Hannemann
        hat in dieser öffentlichen Sitzung aus ihrer Erfahrung als
        langjährige Mitarbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg
        deutlich gemacht, dass Sanktionen die Leistungsberech-
        tigten entwürdigen und im Effekt Elend und Ausschluss
        statt Hilfe und Unterstützung bedeuten . Dieser Argumen-
        tation und der Forderung der Petition kann ich mich mit
        meinen eigenen Erfahrungen nur anschließen .
        Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr ausge-
        sprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder Sank-
        tion um über 100 Euro reduziert . Wird mit diesen beiden
        Eckdaten gerechnet, so spart die öffentliche Hand Jahr
        für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthaltenen Leis-
        tungen . Der Staat spart damit auf Kosten der Ärmsten,
        auf Kosten der Hartz-IV-Berechtigten und ihrer Kinder .
        Das Sanktionsregime unterstellt, dass die Erwerbs-
        losigkeit und die Hilfebedürftigkeit der Betroffenen
        selbstverschuldet seien . Die falschen Verhaltensweisen,
        so die Unterstellung weiter, könne durch „Aktivierung“,
        durch Sanktionsandrohungen korrigiert werden . Diese
        Vorstellung geht an der Wirklichkeit vorbei . Zunächst
        ignoriert die Idee der Aktivierung die Tatsache, dass Ar-
        beitslosigkeit das Ergebnis der strukturellen Probleme
        des Kapitalismus ist . Stattdessen werden die Betroffe-
        nen zu den Verantwortlichen der Arbeitsmarktkrise um-
        gedeutet . Zudem blendet das Aktivierungskonzept aus,
        dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte bereits jetzt viel-
        fältig aktiv sind – sie gehen bereits Erwerbsarbeit nach
        (sogenannte Aufstocker), sie leisten Erziehungs- oder
        Pflegearbeit, sie sind ehrenamtlich aktiv, sie suchen aktiv
        nach Erwerbsarbeit . Die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit
        muss ihnen nicht aufgezwungen werden . Im Gegenteil:
        Die Betroffenen empfinden die Erwerbslosigkeit als Aus-
        schluss aus einem wichtigen Aspekt der sozialen Teilha-
        be . Die Vorstellung einer „Hängemattenmentalität“ bei
        den Betroffenen, die quasi mit Gewalt ausgetrieben wer-
        den müsse, geht an der Wirklichkeit vorbei und befördert
        soziale Diskriminierung und Stigmatisierung .
        Birgit Wöllert (DIE LINKE): Dem ablehnenden
        Abschluss der Petition von Frau Hannemann – mit der
        Forderung, die Normen im Zweiten Buch Sozialgesetz-
        buch und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ersatzlos
        zu streichen, die Möglichkeiten von Sanktionen bzw .
        Leistungseinschränkungen vorsehen – kann ich nicht
        zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Gründen
        die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV
        (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) .
        91 500 Menschen haben die Petition unterstützt . Frau
        Hannemann hat in einer öffentlichen Sitzung des Petiti-
        onsausschusses aus ihrer Erfahrung als langjährige Mit-
        arbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich ge-
        macht, dass Sanktionen die Leistungsberechtigten nicht
        nur entwürdigen, sondern auch Elend und Ausschluss
        statt Hilfe und Unterstützung bedeuten .
        Sanktionen stellen eine Unterschreitung des men-
        schenwürdigen Existenzminimums dar . Es ist nicht zu
        akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutsch-
        land Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit –
        existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt
        werden . Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht
        wird ausgeführt, dass die Garantie des menschenwürdi-
        gen Existenzminimums durch die Menschenwürde und
        das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den
        Staat ist . Das Existenzminimum ist stets und zu jeder Zeit
        zu garantieren, so die Urteile . Mit diesem Grundrecht ist
        eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenz-
        minimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren . Diese
        Einschätzung der Petentin wird mittlerweile auch vom
        Sozialgericht Gotha (S 15 AS 5157/14) geteilt . Das So-
        zialgericht führt die verfassungsrechtlichen Bedenken an
        den Sanktionsregeln bei Hartz IV aus und hat die Frage
        dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorge-
        legt . Zudem sind Hartz-IV-Sanktionen grundrechtswid-
        rig, weil sie das ohnehin zu geringe Existenzminimum
        kürzen . Sie verletzen das Recht auf Berufsfreiheit, weil
        schon die Sanktionsandrohung einen faktischen Zwang
        ausübt, einer nicht frei gewählten Arbeitstätigkeit nach-
        zugehen .
        Hinzu kommt, dass jedem dritten Widerspruch und
        40 Prozent aller Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen
        stattgegeben wird . Hier entstehen hohe Kosten, die bei
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16631
        (A) (C)
        (B) (D)
        Abschaffung der Sanktionen wirksamen arbeitsmarktpo-
        litischen Maßnahmen zugutekommen könnten .
        Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen An-
        strengungen erfahren die Menschen in den Jobcentern
        einen bürokratischen Apparat, der sie entwürdigt und
        maßregelt . Es fehlt den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
        tern der Jobcenter massiv an Zeit, um auf die individuel-
        len Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen
        einzugehen .
        Menschen, die von Sanktionen betroffen sind, haben
        nur selten die Möglichkeit, die finanziellen Einbußen
        zu überbrücken . Die Folgen sind abzusehen und belegt:
        Durch Leistungskürzungen werden Betroffene in die so-
        ziale Isolation getrieben, der Weg zurück auf den Arbeits-
        markt und in die Mitte der Gesellschaft wird erschwert
        oder gar verhindert . Viele, besonders junge Erwerbslose,
        brechen nach Sanktionserfahrungen ihren Kontakt zu
        den zuständigen Behörden ab und verschwinden damit
        sowohl aus der Statistik als auch aus den öffentlichen
        Unterstützungssystemen . Positive Effekte auf den Ar-
        beitsmarkt sind dagegen nicht spürbar .
        Aus den vorgenannten Gründen stimme ich gegen die
        Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, das Peti-
        tionsverfahren abzuschließen .
        Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE):
        Die Petition von Frau Hannemann verfolgt ein richtiges
        Ziel . Der Hartz-IV-Regelsatz soll das Existenzminimum
        sichern . Der Regelsatz ist ohnehin schon viel zu knapp
        bemessen . Davon sollen Menschen das bezahlen, was
        sie zu ihrer Existenz, also zum Nötigsten, brauchen . Von
        diesem Geld darf grundsätzlich nichts mehr weggekürzt
        werden . Denn das bedeutet, Menschen staatlicherseits in
        existentielle Not zu stoßen .
        Die Jobcenter verhängen Sanktionen für geringfügig-
        ste Regelverletzungen, in den meisten Fällen dafür, dass
        Termine versäumt wurden . Wir wissen von Mitarbeite-
        rinnen und Mitarbeitern der Jobcenter, dass Sanktionen
        eingesetzt werden, um die Ausgaben der Jobcenter zu
        reduzieren . Das führt zusätzlich zu einer exzessiven An-
        wendung von Sanktionen . Dass diese rechtlich oft nicht
        gerechtfertigt sind, beweist die hohe Zahl von erfolgrei-
        chen Widersprüchen und Klagen . Und dabei kennen bei
        Weitem nicht alle Betroffenen ihre Rechte und wissen,
        dass sie Einspruch erheben können .
        Das Sanktionsregime bedeutet deshalb andauernde
        Rechtsbrüche durch eine staatliche Einrichtung . Es soll
        Menschen Angst machen und sie gefügig machen, damit
        sie jeden noch so schlechten Job annehmen, der ihnen an-
        geboten wird . Dieses Vorgehen ist einer Demokratie un-
        würdig . Es ist ein dauernder Angriff auf die Menschen-
        würde . Frau Hannemann hat mit ihrem Anliegen daher
        vollkommen Recht . Hartz IV und sein Sanktionsregime
        gehören abgeschafft . Wir brauchen eine sanktionsfreie
        soziale Mindestsicherung, die ein Leben in Würde er-
        möglicht .
        Es stünde dem Bundestag gut zu Gesicht, sich für die
        Grundrechte von Millionen Bürgerinnen und Bürgern un-
        seres Landes einzusetzen, die unter dem Hartz-IV-Sank-
        tionsregime existenziell zu leiden haben .
        Anlage 3
        Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
        Der Bundesrat hat in seiner 944 . Sitzung am 22 . April
        2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
        stimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
        des Grundgesetzes nicht zu stellen:
        – Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezoge-
        nen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU so-
        wie zur Ausführung der entsprechenden Vor-
        gaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014
        im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei
        Unternehmen von öffentlichem Interesse
        (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG)
        – Gesetz zu dem Vertrag vom 28. April 2015 zwi-
        schen der Bundesrepublik Deutschland und der
        Tschechischen Republik über die polizeiliche Zu-
        sammenarbeit und zur Änderung des Vertrages
        vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik
        Deutschland und der Tschechischen Republik über
        die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens
        über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April
        1959 und die Erleichterung seiner Anwendung
        – Gesetz zu dem Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwi-
        schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
        Königreich der Niederlande über die Nutzung
        und Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und
        12 Seemeilen
        – … Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
        Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie
        gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von
        einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen
        absehen:
        Auswärtiger Ausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des
        Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni
        2015
        Drucksachen 18/7983, 18/8129 Nr. 1.1
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des
        Europarats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezem-
        ber 2015
        Drucksachen 18/7984, 18/8129 Nr. 1.2
        Innenausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Zwölfter Bericht der Bundesregierung nach § 5
        Absatz 3 des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre
        2009 und 2010
        Drucksachen 17/6236, 18/641 Nr. 1
        16632
        (A) (C)
        (B) (D)
        Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
        Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de
        Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung nach § 5 Absatz 3
        des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre 2011 und
        2012
        Drucksachen 17/14424, 18/641 Nr. 22
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung nach § 5 Absatz 3
        des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre 2013 und
        2014
        Drucksachen 18/4532, 18/4732 Nr. 2
        Ausschuss für Wirtschaft und Energie
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energi-
        en-Wärmegesetz
        (EEWärmeG-Erfahrungsbericht)
        Drucksachen 17/11957, 18/770 Nr. 15
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Zweiter Erfahrungsbericht zum Erneuerba-
        re-Energien-Wärmegesetz (2. EEWärmeG-Erfah-
        rungsbericht)
        Drucksachen 18/6783, 18/6933 Nr. 1.5
        Verteidigungsausschuss
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Vierter Erfahrungsbericht der Bundesregierung
        zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz
        (Berichtszeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember
        2014)
        Drucksachen 18/7410, 18/7605 Nr. 4
        Ausschuss für Verkehr und digitale Agenda
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Bericht der Bundesregierung über ÖPP-Projekte
        im Betrieb
        Drucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2
        Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
        torsicherheit
        – Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Umweltbericht 2015
        Auf dem Weg zu einer modernen Umweltpolitik
        Drucksachen 18/6470, 18/6605 Nr. 1.7
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
        mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni-
        onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer
        Beratung abgesehen hat .
        Auswärtiger Ausschuss
        Dokumentennummer
        Drucksache 18/7733 Nr . A .1
        Ratsdokument 5801/16
        Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
        Dokumentennummer
        Drucksache 18/7612 Nr . A .30
        Ratsdokument 14992/15
        Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
        wicklung
        Dokumentennummer
        Drucksache 18/7934 Nr . A .26
        Ratsdokument 5857/16
        168. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 24, ZP 6 u. 7 Tschernobyl und Fukushima – Risiken der Atomkraft
        TOP 25 Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa
        TOP 26 Petitionen zum Thema „Arbeitslosengeld II“
        TOP 27 Vergabe von Wegenutzungsrechten zur Energieversorgung
        TOP 28 Weiterentwicklung des Bundesverkehrswegeplans
        Anlagen
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3