Rede von
Dr.
Julia
Verlinden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Nach den mutmachenden Beschlüs-
sen von Paris zum internationalen Klimaschutz kommt
es jetzt auf die Umsetzung in jedem einzelnen Land an .
Das heißt: Es geht um nichts weniger als darum, jetzt den
Planeten zu retten .
Da hat die Bundesregierung großen Nachholbedarf; denn
bisher hat sie die Energiewende im Wärmesektor und
beim Verkehr völlig verschlafen .
Das zeigt sich zum Beispiel an den Absatzzahlen für
neue Heizungen . Laut dem Bundesverband der Hei-
zungsindustrie waren über 80 Prozent der im vergange-
nen Jahr verkauften Wärmeerzeuger Öl- oder Gasheizun-
gen . Mehr als 80 Prozent! Ich frage Sie: Wie wollen wir
eine Dekarbonisierung schaffen, wenn heute immer noch
überwiegend Technik eingebaut wird, die die nächsten
30 Jahre lang Öl und Gas verbrennt?
Durch Heizung, Warmwasser und Industriewärme
verursachen wir in Deutschland etwa ein Drittel der ge-
samten CO2-Emissionen des Landes . Wenn die Regie-
rung ihre Zusagen für ambitionierten Klimaschutz in Pa-
ris ernst nimmt, muss sie endlich etwas vorlegen für eine
klimaschonende Wärmepolitik .
Tino Sorge
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 2015 14559
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Damit meine ich nicht nur neue Strategiepapiere wie zu-
letzt Ihre Energieeffizienzstrategie Gebäude. Darin ste-
hen sicherlich viele richtige Fakten . Nur: Das alles sind
keine neuen Erkenntnisse . Es gibt in der Wärmepolitik
und beim Energiesparen auch gar keine Erkenntnispro-
bleme . Es gibt vielmehr ein Umsetzungsproblem . Daran
schuld ist diese Bundesregierung, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
Weil die Regierung jetzt selbst erkannt hat, dass sie in
der Wärmepolitik nicht vom Fleck kommt, versucht sie
es mit Rechentricks . Im Monitoringbericht zur Energie-
wende für das Jahr 2013 betrug der Anteil der erneuerba-
ren Energien an der Wärmeversorgung wie schon in den
Jahren zuvor nur knapp 10 Prozent . Im jüngsten Monito-
ringbericht ist der Anteil dann auf wundersame Weise auf
12 Prozent angestiegen, aber nicht etwa, weil tatsächlich
mehr erneuerbare Energien zur Wärmeerzeugung ein-
gesetzt worden wären . Das Gegenteil ist sogar der Fall .
Nein, die Regierung hat einfach die Berechnungsmetho-
de geändert, um besser dazustehen . In anderen Zusam-
menhängen würde man da wohl von Bilanzfälschung
sprechen .
Jetzt werden Sie vermutlich sagen: Ach, die in der
Opposition, die haben ja gar keine Ahnung von Regie-
rungsstatistik . – Dann schauen wir doch mal, was die von
Ihnen einbestellten Experten dazu sagen . Den Experten
sind Ihre Rechentricks nämlich auch aufgefallen . Ich
zitiere aus der Stellungnahme der Wissenschaftler zum
Monitoringbericht:
Im Bereich der erneuerbaren Wärme lässt der Mo-
nitoring-Bericht der Bundesregierung große Da-
tenunsicherheiten und wiederholte Umstellungen
der Berechnungsmethodik erkennen, ohne dass dies
transparent erläutert würde .
Und weiter heißt es bei den Experten:
Der Einsatz erneuerbarer Wärme war im Jahr 2014
rückläufig.
Das nenne ich eine schallende Ohrfeige für Ihre Art, sich
den Stand der Energiewende im Wärmesektor schönzu-
rechnen .
Sehen Sie der Tatsache doch ins Auge . Es geschieht
einfach nicht genug im Wärmesektor, und das, was pas-
siert, geschieht viel zu langsam . Mit dem Zeitlupentempo
der Bundesregierung kommen wir im Klima- und Res-
sourcenschutz einfach nicht voran, meine Damen und
Herren . Mit Zahlentricks lässt sich die Klimakatastrophe
aber nicht aufhalten . Wir brauchen echte Energieeinspa-
rung, echte CO2-Einsparung und keine Einsparung nur
auf dem Papier .
Was wir jetzt brauchen, sind konkrete Gesetze mit kon-
kreten Maßnahmen, und da geben wir Ihnen heute Start-
hilfe .
Während die Bundesregierung noch an ihrer Ge-
bäudestrategie feilt, haben wir schon mal losgelegt und
einen Entwurf für ein erweitertes Erneuerbare-Energi-
en-Wärmegesetz ausgearbeitet . Wir stützen uns darin auf
das entsprechende Gesetz aus Baden-Württemberg, im
Übrigen das einzige Bundesland, in dem es bisher eine
Regelung für erneuerbare Energien für die Wärmeversor-
gung im Gebäudebestand gibt . Und es spricht viel dafür,
so eine wichtige Sache jetzt bundeseinheitlich zu regeln .
Mit unserem grünen Gesetzentwurf werden also künf-
tig automatisch erneuerbare Energien zum Einsatz kom-
men, sobald eine Heizung ausgetauscht wird . Die neue
Anlage muss dann mindestens 15 Prozent erneuerbare
Wärme nutzen . So kommen wir endlich voran mit der
Energiewende und mit dem Klimaschutz, und wir kom-
men voran mit der Unabhängigkeit von teuren Öl- und
Gasimporten . Fast 100 Milliarden Euro gibt Deutschland
jedes Jahr für Kohle-, Erdgas- und Erdölimporte aus .
Und wir Grüne machen bei der erneuerbaren Wärme al-
lein nicht halt . Die grüne Bundestagsfraktion hat ein gan-
zes Paket an Maßnahmen und Instrumenten geschnürt,
wie wir uns eine zukunftsweisende, eine sozial gerechte
Wärmepolitik vorstellen . Wir wollen faire Wärme .
Faire Wärme heißt für uns, dass energetische Sanie-
rungen nicht länger für die Vertreibung von Mieterinnen
und Mietern aus beliebten Innenstadtlagen missbraucht
werden . Für Haushalte mit kleinem Einkommen wol-
len wir warmmietenneutrale Sanierungen ermöglichen .
Dazu haben wir in der Haushaltsdebatte ja auch deutlich
mehr Geld gefordert, zum Beispiel für die energetische
Quartierssanierung . Faire Wärme heißt für uns auch,
dass sich Bürgerinnen und Bürger und Genossenschaf-
ten an Sanierungen beteiligen können, zum Beispiel an
der energetischen Modernisierung von Schwimmbädern,
Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden . So mobi-
lisieren wir das notwendige Kapital und schaffen breite
Unterstützung für eine vorsorgende Wärmepolitik .
Und faire Wärme heißt nicht zuletzt, dass wir mehr
erneuerbare Energien für die Wärmeversorgung nutzen;
denn Erdöl und Erdgas aus Krisenregionen haben wenig
mit fairen Verhältnissen zu tun und genauso wenig mit
ernstgemeintem Klimaschutz, meine Damen und Herren .
Wir Grüne zeigen, wie faire Wärme geht . Nehmen
Sie sich ein Beispiel daran, und legen Sie endlich los .
Einen Baustein haben wir Ihnen heute mit dem Erneu-
erbare-Energien-Wärmegesetz auf dem Silbertablett prä-
sentiert . Und jetzt sind Sie dran .
Dr. Julia Verlinden
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 201514560
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