Rede von
Kathrin
Vogler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vie-
le Patientinnen und Patienten setzen große Hoffnungen
in den medizinischen Fortschritt und die Ergebnisse der
Gesundheitswissenschaften . Sie warten darauf, dass neue
Behandlungsverfahren ihr Leid mildern und ihre Lebens-
qualität verbessern können . Deshalb ist es wichtig, dass
Forschungsergebnisse und Innovationen in erster Linie
ihnen zugutekommen . Der Antrag, den die Koalition vor-
gelegt hat, weist aber leider in eine falsche Richtung .
Schon der Feststellungsteil, den der Kollege Albani zu
großen Teilen vorgelesen hat, ist dermaßen wirtschafts-
freundlich, als hätten Sie sich den von den Unternehmer-
verbänden schreiben lassen .
Ihre flammende Begeisterung für den Wachstumsmarkt
Gesundheitswirtschaft kann ich nur sehr begrenzt teilen .
Aus gesundheitspolitischer Sicht ist es nämlich eine Ka-
tastrophe, dass die Ökonomisierung im Gesundheitswe-
sen dazu führt, dass sehr viel Geld in Scheininnovationen
fließt, die lediglich den Aktienkursen nutzen, aber nicht
dem medizinischen Fortschritt .
Regelmäßig kommen unnütze oder sogar schädliche Arz-
neimittel und Medizinprodukte auf den Markt und lassen
die Kosten im Gesundheitswesen steigen und steigen .
Das können Sie nachlesen . Im Innovationsreport der
Techniker Krankenkasse werden neue Medikamente
nach ihrem Nutzen, ihrem Risikopotenzial und den Kos-
ten nach dem Ampelprinzip wissenschaftlich bewertet . In
diesem Jahr hat von 20 untersuchten Neuzulassungen nur
ein einziges Präparat grünes Licht bekommen . 60 Pro-
zent sind mit der roten Ampel versehen . Ihr Schadenspo-
tenzial ist also höher als der zu erwartende Nutzen . Trotz-
dem werden diese Mittel bereits massiv verordnet – zum
Schaden der Versicherten und der Kranken .
Angesichts dieser Missstände gäbe es also tatsächlich
einen großen Handlungsbedarf . Aber Sie ignorieren das .
Sie haben ja auch die Universitäten und Forschungsein-
richtungen systematisch zu Außenstellen der Wirtschaft
gemacht .
Unabhängige Forschung, die nicht von Drittmitteln aus
der Industrie abhängig ist, gibt es kaum noch . Es wird
vorwiegend beforscht, was wirtschaftlich interessant sein
könnte . Die Patente, also die Verwertungsrechte für die
Forschungsergebnisse, eignet sich dann die Privatwirt-
schaft an, auch wenn dafür öffentliche Gelder geflossen
sind .
Das wollen Sie mit Ihrem Antrag auch noch forcieren .
Oder wie soll ich es sonst verstehen, wenn Sie bei der
öffentlich geförderten Gesundheitsforschung verstärkt
die Effektivität in den Blick nehmen oder im Bereich
der Medizintechnik – ich zitiere – konsequent marktef-
fektiv forschen wollen? Mit Ihrer Forderung unter Punkt
2 d wollen Sie allen Ernstes die Krankenkassen auch
noch mit Forschungsausgaben belasten . Dabei steigen
die Beiträge schon jetzt zum Jahreswechsel, weil diese
Bundesregierung permanent für gesamtgesellschaftliche
Aufgaben in die Taschen der Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler greift .
Das machen Sie doch die ganze Zeit: Die Risiken
sollen die öffentliche Hand, die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler oder die Krankenversicherten tragen; den
Gewinn streicht irgendein privates Unternehmen ein .
Was bei Ihnen vollständig fehlt, ist eine Orientierung da-
rauf, was unbedingt erforscht werden müsste, aber eben
nicht marktkonform ist .
Ein Beispiel: Etwa eine halbe Million Menschen in-
fizieren sich in Deutschland jährlich mit sogenannten
Krankenhauskeimen . Zehntausende sterben daran, auch
deshalb, weil viele Erreger gegen Antibiotika resistent
sind . Die Entwicklung neuer Antibiotika müsste deshalb
ganz oben auf der Forschungsagenda stehen .
Antibiotika haben aber aus der Perspektive der Industrie
einen entscheidenden Nachteil: Sie heilen nämlich Kran-
ke .
Man nimmt sie drei Tage, zehn Tage oder ein paar Wo-
chen, und dann ist die Krankheitsursache beseitigt . Re-
serveantibiotika dürfen gar nicht in großen Mengen
verordnet werden; denn sonst geht der Teufelskreis der
Resistenzen wieder von vorne los . Aus wirtschaftlicher
Perspektive ist es schlicht uninteressant, solche Produk-
te zu entwickeln . Da sagen wir als Linke: Wir brauchen
eine öffentliche, staatliche Forschungsförderung, die sich
Stephan Albani
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 2015 14553
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eben nicht am möglichen Profit orientiert, sondern am
gesellschaftlichen Nutzen, also am Allgemeinwohl .
Die Ergebnisse dieser Forschung, die Patente, gehören
dann auch in öffentliche Hand .
Wir brauchen eine kritische und unabhängige Gesund-
heitswissenschaft, die auch erforscht, welche Therapien
vielleicht unnütz oder gar schädlich sind, selbst wenn das
bestimmte Geschäftsmodelle beenden könnte; denn sonst
wird unser Gesundheitswesen noch mehr zum Selbstbe-
dienungsladen für Unternehmen, die sich aus den Kassen
der Versicherten grandiose Gewinnspannen organisieren .
Aber CDU/CSU und SPD lehnen dies ab . Vor knapp
vier Wochen hat die Linke in den Haushaltsberatungen
500 Millionen Euro für eine nichtkommerzielle Pharma-
forschung gefordert . Dazu haben Sie Nein gesagt .
Stattdessen kommen Sie nun mit seitenweise Lobhudelei
für die Bundesregierung und deren wirtschaftsfreundli-
chen Kurs . Entschuldigung, dieser Antrag ist einfach nur
ein Armutszeugnis . Er ist forschungspolitisch nutzlos
und gesundheitspolitisch kontraproduktiv . Gesundheit ist
ein Menschenrecht und keine Ware .