Rede von
Stephan
Albani
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Liebe Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen
und zu Hause an den Bildschirmen! Die Medizintechnik
ist für uns Menschen und unsere Wirtschaft in Deutsch-
land von großer Bedeutung . Wir haben in Deutschland
ein Gesundheitsversorgungssystem, das uns Versicherten
eine umfangreiche medizinische Versorgung auf hohem
Niveau bietet . Das ist vorbildlich und weltweit anerkannt .
Der Gesundheitssektor in Deutschland ist zugleich
auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor . So sind in der
erweiterten Gesundheitswirtschaft derzeit rund 6,2 Milli-
onen Erwerbstätige beschäftigt . Fast jeder siebte Arbeits-
platz findet sich also in diesem Bereich, und Prognosen
gehen von einem deutlichen Zuwachs der Beschäftigten
in diesem Bereich aus .
Mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wer-
den im Gesundheitsbereich erwirtschaftet . Die erweiterte
Gesundheitswirtschaft ist damit die größte Wirtschafts-
branche in Deutschland . In ihr sind mehr Menschen
beschäftigt als in der Automobilindustrie und in der
Elektroindustrie zusammen . Allein die industrielle Ge-
sundheitswirtschaft beschäftigt in Deutschland mehr als
eine Viertelmillion Menschen und generiert zudem dop-
pelt so viele Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsberei-
chen .
Die Medizintechnik stellt innerhalb dieser Gesund-
heitswirtschaft einen zentralen Wachstumstreiber dar .
Mit rund 130 000 Mitarbeitern und einem jährlichen
Umsatz von 8,7 Milliarden Euro im Inland und 18,3 Mil-
liarden Euro im Ausland ist die Medizintechnik von ho-
her Bedeutung . Vor allem kleine und mittlere Betriebe in
Deutschland bilden mit 1 200 Betrieben und einer Ex-
portquote von 68 Prozent die große Stütze der Branche .
Die Medizintechnik hat viele Erfindungen hervorge-
bracht, die unser Leben heute lebenswerter machen und
überlebenswichtig sind . Wer möchte sich eine Welt ohne
diese Hilfsmittel vorstellen, deren Ziel es ist, die Gesund-
heit der Menschen durch Diagnostik und Therapie zu er-
möglichen und das Leben schlussendlich sogar zu retten?
Medizinische Innovationen retten immer wieder Leben .
So verringerte sich in Deutschland im Zeitraum 2000
bis 2010 die Sterblichkeit bei akutem Herzinfarkt um
rund ein Fünftel . Die hohe Überlebensquote verdanken
wir der verbesserten Notfallversorgung, wirksamen Me-
dikamenten und eben leistungsfähigen Medizinproduk-
ten .
Von Hilfs- und Verbandsmitteln über Geräte für Diagnos-
tik, Chirurgie und Intensivmedizin bis hin zu Prothesen,
Implantaten und der Bildgebungstechnik erstreckt sich
die Bandbreite . – So weit, so gut .
Aber: Angesichts der zunehmenden Komplexität im
Innovationsprozess bedarf es immer häufiger und mehr
gemeinsamer Anstrengungen und Abstimmungen von-
seiten der Forschungs-, der Gesundheits- und auch der
Wirtschaftspolitik, um dies in Zukunft zu verbessern . Ein
Transfer von Innovationen aus der Forschung in die Ge-
sundheitsversorgung zum Nutzen der Patientinnen und
Patienten muss effektiver und effizienter gestaltet wer-
den .
Forschungspolitisch hat sich die Bundesregierung mit
dem im Jahr 2010 verabschiedeten Rahmenprogramm
Gesundheitsforschung hier bereits auf den Weg gemacht .
Insbesondere durch den nationalen Strategieprozess
„Innovationen in der Medizintechnik“, den das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung, das Bundesge-
sundheitsministerium und das Bundeswirtschaftsminis-
terium gemeinsam mit zahlreichen Akteuren von 2010
bis 2012 durchführte, wurden Innovationshürden für die
Medizintechnik und Wege zu deren Überwindung aufge-
zeigt .
Aus den Handlungsempfehlungen dieser Strategie
lässt sich nun erkennen, dass es hier noch weiterer An-
strengungen in Bezug auf eine kohärente Innovations-
politik der Bundesregierung bedarf . Dies fordern wir in
dem vorliegenden Antrag . Wir wollen darum die ressort-
übergreifende Zusammenarbeit weiter unterstützen und
weiter ausbauen und den Transfer von Forschungsergeb-
nissen stärken .
Nach umfassenden technischen Innovationen in den
vergangenen Dekaden ist es wichtig und richtig, die For-
schungsförderung nicht allein, aber verstärkt am Bedarf
der Versorgung zu orientieren . Daher müssen wir nun in
einem nächsten Schritt Forschungsförderung bedarfsori-
entierter verfolgen .
Wir stellen fest, dass das Spannungsfeld von teilre-
gulierten Märkten und komplexen Versorgungssystemen
die Entwicklung eines Medizinproduktes auf dem Weg
von der Idee zur Anwendung erheblich erschwert . Es
darf nicht sein, dass ein Patient 14 Jahre auf ein innovati-
ves Medizinprodukt warten muss . 14 Jahre!
Das ist der Durchschnitt . Das bedeutet: Wenn einer oder
zwei das Medizinprodukt innerhalb von einem Jahr oder
zwei Jahren bekommen, müssen andere bis zu 30 Jahre
darauf warten .
Stellen Sie sich einen Patienten vor, der beim Arzt
oder Apotheker in einer Zeitschrift oder Tageszeitung
liest, dass in einem hervorragenden Forschungsinstitut
oder an einer Universität ein neues Verfahren entwickelt
Vizepräsidentin Petra Pau
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 2015 14551
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wird, und zwar just genau für die Erkrankung, unter der
er leidet . Was tut er? Er fragt seinen Arzt . Dieser antwor-
tet: Das habe ich noch nicht .
Der Patient schaut dann in den kleinen Kasten unter
dem Artikel, in dem der Name des Instituts steht . Er ruft
dort an . Auf der anderen Seite ist ein Wissenschaftler,
dem Transfer natürlich verpflichtet, und sagt ihm: Ja, wir
haben dieses Medikament oder dieses Verfahren gefun-
den . – Daraufhin fragt der Patient: Ja, wann kann ich das
kriegen? – Sie müssen schon ein sehr hartgesottener Wis-
senschaftler sein, wenn Sie dann dem Patienten erzählen:
Jetzt müssen wir erst einmal Start-ups gründen und Li-
zenzen erwerben . Danach müssen wir die Phasen eins,
zwei und drei der Zulassung durchlaufen . All das dauert
noch – ich sage einmal – 10 bis 20 Jahre .
Wenn der Patient am anderen Ende sagt: „Wer weiß, ob
ich dann noch lebe“, müssen Sie schon sehr hart sein,
um das zu ertragen . – Das ganze Verfahren müssen wir
schneller machen .
Wir wollen daher weiter in die medizinische For-
schung investieren und brauchen einen schnelleren
Transfer zum Nutzen des Patienten . Dass neue Medizin-
produkte – das ist jetzt sehr wichtig – vor Einführung
in den Versorgungsalltag einen klinischen Beleg für ihre
Schadlosigkeit und ihre Wirksamkeit erbringen müssen,
ist im Sinne der Patientensicherheit nicht umkehrbar . Pa-
tientensicherheit steht über allem, fraglos . Wenn aber die
Genehmigung der Begleitdiagnostik bei einer klinischen
Studie die Testung einer Therapie über Monate und Jahre
verzögert, dann kann ich nur sagen: Das darf nicht sein .
Stellen Sie sich vor, Sie bringen Ihr Auto zum TÜV .
Auch hier geht es um die persönliche Sicherheit und um
die Sicherheit der Allgemeinheit .
Auf die Frage hin, wann Sie Ihr Auto denn wiederbekä-
men, kommt die Aussage: Wenn wir fertig sind . – Das ist
nicht akzeptabel .
Ein Wort zu den Fristen bei der Zulassung der Anwen-
dung von Röntgenstrahlen in klinischen Studien . Hier hat
das Bundesamt für Strahlenschutz in den vergangenen
Jahren bereits Erhebliches verbessert . Aber entscheidend
sind die Verbindlichkeit und die Planbarkeit des Prozes-
ses .
Dies erscheint vielleicht hier und da als ein kleiner Schritt .
Aber es ist ein wichtiges Signal für die in Deutschland
forschenden Unternehmen .
Kommen wir zu einem weiteren Hinweis auf dem lan-
gen Weg von der Idee zum medizinischen Produkt: Es
ist völlig normal, dass ein entwickelndes Unternehmen
ein unternehmerisches Risiko trägt, fraglos . Wenn es am
Ende der Entwicklung und nach einem Beleg des Nut-
zens aber noch lange – mitunter gefühlt ewig – dauert,
bis eine Finanzierung im Versorgungssystem geregelt
wird, dann darf auch das nicht sein . Wir können die Un-
ternehmen auf diesem Weg nicht alleinelassen .
Ein Stichwort ist hier die Innovationsfinanzierung.
Hierdurch kann das Wachstumspotenzial der Medizin-
technikbranche besser unterstützt und das gesellschaftli-
che Klima für den Gründergeist weiter gefördert werden .
Dies trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass Innovati-
onsprozesse deutlich zeit- und kostenintensiver gewor-
den sind . So verständlich die Forderung nach Sprungin-
novationen an dieser Stelle auch ist, so darf man doch
nicht darüber hinweggehen, dass dem Patienten auch vie-
le kleine Schritte eine erhebliche Verbesserung bringen
können . Viele Schritte ergeben mitunter dieselbe Strecke
wie ein Sprung .
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, hierzu an
verschiedenen Stellen die Initiative zu ergreifen . Innova-
tionsprozesse müssen vor allem effizienter und koopera-
tiver gestaltet werden . Wir brauchen dafür neue Formen
der Zusammenarbeit, neue Versorgungskonzepte, neue
Innovationsmodelle und eine neue Kooperationskultur
entlang der gesamten Prozesskette .
Hier bin ich insbesondere dafür dankbar, dass die Zusam-
menarbeit für diesen Antrag nicht nur zwischen den Ko-
alitionspartnern – hier danke ich dem Kollegen Röspel –,
sondern insbesondere auch in unseren Fraktionen über
die Arbeitsgruppen Wirtschaft und Gesundheit ganz her-
vorragend funktioniert hat .
Wir wollen durch diesen Antrag einen wesentlichen
Beitrag dazu leisten, dass sich all diese Vorgänge verbes-
sern . Wir beschleunigen den Transfer von Forschungs-
ergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversor-
gung . Dies umfasst das Vorgetragene, aber auch noch
viele andere Dinge: Die Ergebnisse des Pharmadialogs
sollen dem Parlament vorgestellt und zeitnahe Umset-
zungen vorgeschlagen werden . Zudem sollen ein Akti-
onsplan Wirkstoff und Arzneimittelforschung vorgelegt
und geeignete Rahmenbedingungen für die aktive Ein-
bringung von Interessengemeinschaften, Patientenver-
bänden sowie Kostenträgern in den Innovationsprozess
geschaffen werden . Vorgesehen sind auch die Weiter-
entwicklung des Konzeptes für die Zentren der Gesund-
heitsforschung und die Förderung der interdisziplinären
Zusammenarbeit .
Kehren wir zu dem eingangs erwähnten Patienten zu-
rück, der über eine Therapie seiner Krankheit gelesen
hat . Ich möchte, dass wir ihm in Zukunft sagen können,
dass er schneller als in 10 bis 20 Jahren eine entsprechen-
de Hilfe bekommt .
Stephan Albani
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 201514552
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Anbetracht der
Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung der
Zukunft haben wir den Auftrag, weiter konsequent ei-
nen integrierten Politikansatz bezogen auf Gesundheits-
forschung, Wirtschaft und Versorgung des Patienten zu
verfolgen .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . Frohe Weih-
nachten!