Rede von
Brigitte
Pothmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, den General-
verriss von Hartz IV teile ich in der Tat nicht. Ich finde,
das Bild ist deutlich differenzierter. Liebe Kollegin
Zimmermann, auch Sie müssen einmal zur Kenntnis
nehmen, dass Sie nicht die alleinige Definitionsmacht
über die Wirklichkeit haben.
In diesem Bundestag gilt das Motto „Die Partei hat im-
mer recht“ auch für die Linke nicht.
Es ist doch richtig – dem können Sie doch nicht wirk-
lich widersprechen –: Die Zusammenlegung von Ar-
beitslosenhilfe und Sozialhilfe war ein Fortschritt für die
Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger.
Das zentrale Politikversagen von Hartz IV liegt aus
meiner Sicht woanders: darin, dass das Teilhabe- und
Aufstiegsversprechen, das mit Hartz IV gegeben worden
ist, nicht erfüllt worden ist.
2,8 Millionen Menschen bewegen sich länger als vier
Jahre im Hartz-IV-System. Für sie ist der Hartz-IV-Be-
zug eben keine vorübergehende schwierige Zeit in ihrem
Leben, sondern für sie war Hartz IV das, was ihre Wirk-
lichkeit ausmacht. Sie konnten sich eben nicht, wie es ih-
nen versprochen wurde, mit Unterstützung und durchaus
auch mit eigener Anstrengung aus diesem System be-
freien. Für sie ist Hartz IV eine Sackgasse. Für sie gilt
das Motto „Einmal Hartz IV, immer Hartz IV“. Was das
angeht, sind Sie als Große Koalition in der Verantwor-
tung, und daran werden wir Sie messen.
Das wesentliche Problem bei Hartz IV liegt in der
Umsetzung. Die versprochene Ausgewogenheit zwi-
schen Fordern und Fördern hat es nie gegeben und gibt
es, lieber Herr Rosemann, bis heute nicht.
Da ist die Politik nicht vertragstreu. Da wären auch ein-
mal Sanktionen angemessen.
Es ist doch immer noch so, dass es die verschärften
Sanktionen für unter 25-Jährige gibt. Es ist doch so, dass
in den letzten Jahren rabiate Kürzungen bei der Arbeits-
förderung stattgefunden haben. Daran haben auch Sie
7410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014
Brigitte Pothmer
(C)
(B)
nichts geändert. Da kann es Sie doch nicht wundern,
dass ein Bild von Hartz IV entstanden ist, das als unge-
recht und repressiv empfunden wird. Das muss grundle-
gend geändert werden. Dafür brauchen wir einen echten
Paradigmenwechsel, insbesondere in der Arbeitsförde-
rung.
Lieber Herr Rosemann, wenn ich von Paradigmen-
wechsel in der Arbeitsförderung rede, dann meine ich
nun wirklich nicht das Miniprogramm, das Frau Nahles
vorgelegt hat. Es setzt doch nur das Programmhopping
der Vorgängerregierung fort und trägt nicht zu struktu-
rellen Verbesserungen in diesem Bereich bei. Wenn ich
von einem Paradigmenwechsel in der Arbeitsförderung
rede, dann meine ich: Wir müssen endlich weg von der
Devise „Hauptsache in Arbeit vermittelt, egal wie lange
dieser Arbeitsplatz behalten werden kann“. Ich sage Ih-
nen: Wir müssen weg von einem Vermittlungsvorrang
hin zu einem Investitionsvorrang. Wir müssen in die Ar-
beitslosen investieren, damit diese wirklich langfristig
auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Sie brauchen
Qualifikationen, die nachgefragt werden.
Wir müssen Schluss machen mit der On-off-Beschäfti-
gung. Das wäre Ihre Aufgabe.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir sollten uns jetzt end-
lich einmal ehrlich machen. Wir wissen doch längst, dass
es für ganz viele Menschen – 200 000, eher 400 000 –
keine Chance gibt, mittel- oder langfristig im ersten Ar-
beitsmarkt Fuß zu fassen. Für diese Menschen brauchen
wir ein Angebot: Das ist der soziale Arbeitsmarkt. Dafür
brauchen wir den Passiv-Aktiv-Transfer. Dazu hat Frau
Nahles nichts vorgelegt.
Ich mache Ihnen jetzt einmal einen ganz konkreten
Vorschlag: Herr Alt von der Bundesagentur für Arbeit
hat uns vorgerechnet, dass die Einführung des Mindest-
lohns bei den Ausgaben für das Arbeitslosengeld II eine
Einsparung in Höhe von 700 bis 900 Millionen Euro er-
bringen würde. Dieses Geld gehört den Arbeitslosen.
Lassen Sie uns dieses Geld nehmen und es in die Ar-
beitsförderung, in den Bereich der Qualifizierung und in
den Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes investieren.
Das ist doch ein Angebot, das Sie nicht ablehnen kön-
nen. Schlagen Sie ein. Das wäre ein echtes Weihnachts-
geschenk für die Langzeitarbeitslosen.
Ich danke Ihnen.