Rede von
Dr. h.c.
Edelgard
Bulmahn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Jetzt spricht Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Damen und Herren! Die ehrliche Bilanz von zehn
Jahren Hartz IV, so ist gesagt worden: Das heißt, bei
Hartz IV war nicht alles schlecht, liebe Katja Kipping.
Es haben tatsächlich Leute davon profitiert, die ver-
deckte Armut ist gesunken. Aber, lieber Matthias
Zimmer: Es ist auch nicht alles gut – wahrlich nicht.
Die Armut ist gestiegen, die Langzeitarbeitslosigkeit hat
sich verfestigt, und die Existenzängste in diesem unse-
rem Land haben zugenommen; auch das muss man zur
Kenntnis nehmen. Unsere Position dazu ist, dass Hartz
IV tatsächlich grundlegend reformiert werden muss.
In dem Antrag, den die Linken vorlegen, findet man
viel Altes, viele Forderungen, die sie schon immer erho-
ben haben. Eine Stelle ist aber interessant. Der Satz „Das
Hartz-IV-System muss weg“ steht nach wie vor drin,
aber neuerdings heißt es „mittelfristig“. Mittelfristig soll
Hartz IV abgeschafft werden. Das heißt, da gibt es jetzt
eine gewisse Anschlussfähigkeit an die SPD und an uns.
Und kurzfristig soll es eine Hartz-IV-Reform geben. Ich
werte das als weiteren Schritt in Richtung Realitätstaug-
lichkeit.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014 7403
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
(C)
(B)
Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kanzlerin
Merkel die Wahl 2017 nicht wieder gewinnt.
Was Sie vorschlagen, ist aber durchaus problema-
tisch. Sie fordern einen Regelsatz von 500 Euro. Das be-
deutet – da gebe ich dem Kollegen Zimmer durchaus
recht –, dass der Anreiz, zu arbeiten, geringer bzw. die
Belohnung von Arbeit schwieriger wird. Die Hartz-IV-
Hürde zu überwinden, wird damit noch schwieriger. Und
zur Finanzierung sagt die Linke – wieder einmal – auch
nichts.
Ich beschränke mich nur auf vier Punkte, die aus un-
serer Sicht geändert werden sollten:
Erstens. Der Regelsatz ist deutlich zu niedrig; er
reicht für soziokulturelle Teilhabe nicht aus. Deswegen
muss der Regelsatz sehr schnell deutlich erhöht werden.
Punkt zwei. Das ganze System ist viel zu kompliziert.
Wir haben ein sehr komplexes, sehr intransparentes Sys-
tem der Grundsicherung eingeführt. Das muss dringend
entschlackt, entbürokratisiert und vereinfacht werden,
und zwar, damit der Zugang zu Hartz IV vereinfacht
werden kann, vor allen Dingen aus Sicht der Betroffenen
und nicht, wie es die Bundesregierung vorhat, nur aus
Verwaltungssicht. Das Interesse der Betroffenen muss da
im Vordergrund stehen.
Dritter Punkt. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Tä-
tigkeiten, Erwerbstätigkeit und eigene Aktivitäten, mehr
lohnen und stärker belohnt werden. Es kann nicht sein,
dass wir mittlerweile eine Niedriglohnfalle haben, in der
Leute infolge von Aufstockung und Hartz-IV-Bezug ste-
cken bleiben. Diese Niedriglohnfalle müssen wir drin-
gend überwinden.
Der Mindestlohn war hier ein Schritt in die richtige
Richtung.
Wir finden es aber wichtig und richtig, dass sich auch
Teilzeiterwerbs- und selbstständige Tätigkeiten lohnen.
Diese müssen stärker belohnt werden.
Punkt vier. Es ist wichtig, das Ziel der Existenzsiche-
rung bei der Grundsicherung wieder nach vorne und ins
Zentrum zu stellen. Das ist das eigentliche Ziel der
Grundsicherung. Ehrlicherweise muss man sagen: Die
Vermischung von Existenzsicherung und Arbeitsmarkt-
politik war auch ein Fehler, über den wir noch einmal
nachdenken müssen.
An dieser Stelle ist es für uns auch wichtig, dass wir
über das gesamte Sanktionsregime noch einmal grundle-
gend nachdenken. Deswegen fordern wir ein Sanktions-
moratorium, dass also die Sanktionen ausgesetzt werden
und noch einmal genau darüber nachgedacht wird, wie
man ein Sanktionsregime so ausgestaltet, dass der
Grundbedarf, der zur soziokulturellen Teilhabe notwen-
dig ist, tatsächlich immer gesichert ist.
Das sind für uns die zentralen Punkte. Für uns steht
die Freiheit des Einzelnen, des Individuums, im Mittel-
punkt. Eine stabile Grundsicherung ist die Vorausset-
zung für ein selbstbestimmtes Leben. Das ist für uns das
Wichtigste.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen frohe Weih-
nachten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.