Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur voraussichtlich letzten Plenar-
sitzung dieses Jahres. Änderungen für die bereits gestern
modifizierte Tagesordnung gibt es nicht mehr.
Wir können also gleich in den Tagesordnungs-
punkt 22 eintreten:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit
zur UN-Klimakonferenz in Lima
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 60 Minuten vorgesehen. – Dazu sehe ich Einver-
nehmen. Dann verfahren wir so.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit, Frau Hendricks. Bitte sehr.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Eine aktive Klimapolitik gehört heute zum gesell-
schaftlichen Konsens in Deutschland. Alle politisch akti-
ven Menschen, ob im Bundestag, in den Ländern oder
Kommunen, stellen sich heutzutage den Herausforde-
rungen des Klimaschutzes. Nehmen Sie die Energie-
wende! Sie ist eine Tochter unserer Klimaschutzpolitik.
Die Aktivitäten in Wirtschaft und Politik zur Minde-
rung von Treibhausgasemissionen bewirken zunehmend,
dass sich Wachstum und Wohlstand vom Ressourcenver-
brauch und vom Energieverbrauch abkoppeln. Das wäre
vor einigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen. Dies
ist ein Fortschritt und tatsächlich eine richtig gute Ent-
wicklung.
Wir nehmen in Deutschland Schritt für Schritt Ab-
schied von klimafeindlichen Technologien; mehr noch:
Wir entwickeln Technologien und Lösungen, mit denen
eine klimaverträgliche und wirtschaftliche Entwicklung
überhaupt erst möglich ist.
In der EU haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2050
80 bis 95 Prozent weniger CO2-Emissionen zu verursa-
chen. Für Deutschland bedeutet das, dass wir eher am
oberen Ende dieses Korridors landen wollen. Damit wer-
den wir aber nicht auf unseren Platz als eine führende In-
dustrie- und Exportnation oder als Technologieführer
verzichten – weder müssen wir das noch wollen wir das –;
ganz im Gegenteil: Der Kampf gegen den Klimawandel
und seine Folgen ist eine herausragende Chance, um un-
seren Wohlstand auch für die Zukunft zu sichern und um
Deutschlands Position als Industrienation zu festigen
und auszubauen.
Meine Damen und Herren, aber schauen wir nicht nur
auf uns selbst! Das Klima macht, wie wir alle wissen,
natürlich nicht an Ländergrenzen halt. Die Folgen des
Klimawandels sind schon heute ungerecht verteilt. Es
sind die Menschen in den ärmsten Staaten und in den
ärmsten Regionen, die am meisten unter Extremwetter-
ereignissen und deren Folgen wie zum Beispiel Ernte-
ausfällen zu leiden haben. Wenn sich diese Entwicklung
durch den fortschreitenden Klimawandel weiter ver-
schärft, dann verschärfen sich auch die regionalen und
die globalen Konflikte um Wasser, um Land, um Roh-
stoffe und um Energie.
Die Auswertung der Daten, die weltweit im Zusam-
menhang mit dem Klima gesammelt werden, hat erge-
ben, dass 12 der 14 wärmsten Jahre seit Beginn der Wet-
teraufzeichnungen im 21. Jahrhundert liegen. Als ich
dies in der Vorlage gesehen habe, habe ich ein Fragezei-
chen daran gemacht und gefragt: Ist das richtig? Das
21. Jahrhundert ist ja noch nicht lange im Gange. Trotz-
dem liegen 12 der 14 wärmsten Jahre seit Beginn der
Wetteraufzeichnungen in diesem 21. Jahrhundert.
Es gibt keine vernünftigen Zweifel mehr daran, dass
die Erkenntnisse der Klimawissenschaftler uns zum
Handeln zwingen. Der Kampf gegen den Klimawandel
und seine Folgen ist ein Kampf um eine gerechtere und
7384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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eine friedlichere Welt. Ja, Klimapolitik ist auch Frie-
denspolitik.
In einer Zeit, in der Krisen und kriegerische Konflikte
immer mehr Menschen zu Flüchtlingen machen, brau-
chen wir Zeichen der Solidarität in der Welt. Dieses Zei-
chen könnte und sollte von einer erfolgreichen Klima-
schutzpolitik ausgehen. Wenn wir es schaffen, die
Erderwärmung zu begrenzen und damit neue Ungerech-
tigkeiten zu verhindern, wäre das ein unübersehbares
Symbol globaler Solidarität. Ein weltweites Klima-
abkommen, an dem alle Staaten beteiligt sind, kann, ja
muss ein Beispiel dafür sein, dass wir gute Lösungen
finden können, wenn wir fair miteinander verhandeln.
Ein solches Beispiel könnte auch bei anderen Konflikten
helfen. Lösungen können im Interesse aller Menschen
unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion gefun-
den werden, und dafür setzen wir uns doch alle ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bundesregie-
rung bekennt sich uneingeschränkt zur 2-Grad-Ober-
grenze und damit zur Notwendigkeit einer wirksamen
Klimaschutzpolitik. Wir nehmen unser nationales Kli-
maschutzziel für 2020 ernst, das haben wir bewiesen.
Wir haben das 40-Prozent-Ziel nicht einfach nur über-
nommen, wir haben uns ehrlich gemacht und gefragt, ob
es bis 2020 überhaupt erreichbar ist. Nein, wenn wir
nichts unternommen hätten, hätten wir dieses Ziel nicht
erreicht.
Mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, das
wir am 3. Dezember beschlossen haben, können wir
diese Lücke schließen. Nie zuvor hat eine Bundesregie-
rung ein so umfassendes Klimaschutzprogramm erarbei-
tet, das alle Sektoren und alle Akteure gleichermaßen in
die Pflicht nimmt. Egal ob Energiewirtschaft, Verkehr
oder Landwirtschaft – alle müssen ihren Beitrag leisten.
Daher auch an dieser Stelle nochmals die Bitte an Sie
alle, in Ihren Bereichen auch daran mitzuwirken.
Weil der Prophet in der eigenen Heimat oft nichts gilt,
kann ich Ihnen berichten, dass das Klimaaktionspro-
gramm auf der Weltklimakonferenz von vielen Rednern,
nicht zuletzt vom UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in
seiner Eröffnungsrede, ausdrücklich gelobt wurde.
In dem Transformationsprozess, der der ganzen Welt
bevorsteht, nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein.
Das deutsche Wort „Energiewende“ findet immer mehr
Einzug in die englische Sprache. Wir wollen andere
Staaten unterstützen, die noch nicht so weit sind, dies
aus eigener Kraft zu schaffen. Das funktioniert aber nur,
wenn wir glaubwürdig voranschreiten. Nach meinem
Eindruck werden weltweit immer mehr Menschen und
immer mehr Staaten aktiv. Das ist die gute Nachricht aus
den vergangenen Wochen.
Unser gemeinsames Ziel ist, im Dezember 2015 in
Paris einen neuen Klimavertrag abzuschließen. Die
ganze Welt wartet dringend auf ein neues Abkommen;
denn der Klimawandel findet, wie wir wissen, bereits
statt, und Menschen leiden bereits jetzt unter ihm. Wenn
wir den Sachstandsbericht des Weltklimarates und viele
andere Untersuchungen ernst nehmen, dann war die Not-
wendigkeit für ein Abkommen noch nie so groß wie
heute.
Die Konferenz in Lima hat zweierlei gezeigt: Es gibt
eine grundsätzliche Bereitschaft bei allen Staaten, ein
neues umfassendes Klimaabkommen zu treffen, aber es
gibt nach wie vor tiefe Gräben, die es zu überwinden
gilt. Ich will dies aus Sicht der Bundesregierung im Ein-
zelnen erläutern.
Als deutsche Delegation hatten wir im Vorhinein vier
Erfolgskriterien festgelegt:
Erstens. Wir wollten in Lima die Grundzüge eines
weltweiten Klimaabkommens festlegen. Das ist gelun-
gen. Im „Lima Call for Climate Action“ haben wir
wesentliche Elemente eines Verhandlungstextes festge-
halten, die das Gerüst für die Textverhandlungen im
kommenden Jahr bilden.
Zweitens. Wir wollten in Lima festlegen, welche In-
formationen die Staaten gemeinsam mit ihren geplanten
Minderungsbeiträgen vorlegen müssen, damit diese ver-
ständlich und vergleichbar sind. Wir haben uns für kla-
rere Vorgaben und mehr Details eingesetzt. Hier mussten
wir in der Tat – bis jetzt jedenfalls – einen Kompromiss
eingehen. Es gibt eine Reihe von Schwellenländern, die
sich nicht in dem Umfang zu einer umfassenden Trans-
parenz verpflichten wollten, wie wir es gerne gesehen
hätten.
Drittens. Wir wollten, dass die Staatengemeinschaft
schon vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens
2020 mehr für den Klimaschutz tut. Dieses Ziel wurde
im Entscheidungstext entsprechend hervorgehoben.
Aber auch hier hätte ich mir weniger Appell und mehr
Handlungsorientierung gewünscht.
Dass Deutschland hier glaubwürdig entsprechende
Schritte geht, also zunächst bis 2020, wurde weltweit po-
sitiv wahrgenommen.
Viertens. Wir wollten Fortschritte bei der Umsetzung
früherer Entscheidungen machen, insbesondere bei der
Klimafinanzierung. Durch die frühzeitige Zusage
Deutschlands, 750 Millionen Euro in den Grünen Klima-
fonds einzuzahlen, wurde eine positive Dynamik ausge-
löst. Das hat dazu geführt, dass wir in Lima unser Etap-
penziel von 10 Milliarden Dollar sogar etwas haben
überschreiten können.
Ich habe mich sehr gefreut, dass neben den klassi-
schen Gebern jetzt auch Länder wie zum Beispiel Peru,
Kolumbien, Panama, die Mongolei oder Indonesien zum
Fonds beitragen.
Alle vier Punkte, die wir uns vorgenommen hatten,
sind erfüllt oder zumindest ein gutes Stück vorange-
bracht worden. Meine Damen und Herren, darüber hi-
naus wurde unser zusätzlicher Beitrag zum Anpassungs-
fonds in Höhe von 50 Millionen Euro gelobt. Dieser
Beitrag ist gut investiertes Geld und schafft weiteres
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014 7385
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Vertrauen. Besonders erfreulich finde ich, dass wir am
Rande der Verhandlungen in Lima einen Durchbruch zur
Ratifizierung der zweiten Verpflichtungsperiode des
Kioto-Protokolls durch die EU herbeigeführt haben. Das
war die Gelegenheit, noch einmal alle zusammenzubrin-
gen. Ich glaube, es wird allseits anerkannt, dass dies
ohne das monatelange Engagement Deutschlands nicht
gelungen wäre. Der gefundene Kompromiss konnte vor-
gestern, am Mittwoch, bereits im Umweltrat politisch
beschlossen werden. Jetzt steht der Ratifizierung von
Kioto II durch die EU nichts mehr im Wege.
Meine Damen und Herren, einer der Streitpunkte in
Lima war die sogenannte Firewall zwischen Industrie-
und Entwicklungsländern. Es ist eine unbestreitbare Tat-
sache, dass die industrialisierten Staaten in den vergan-
genen zwei Jahrhunderten den Großteil, fast 80 Prozent
der Summe aller CO2-Emissionen verursacht haben und
darauf ihren Wohlstand aufgebaut haben. Die ärmeren
Regionen, die diese Verschmutzung nicht zu verantwor-
ten haben, haben dagegen heute umso stärker mit den
Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Diese historische
Verantwortung war der Grund, warum im Jahr 1997 im
Kioto-Protokoll keine Reduktionsziele für Schwellen-
länder und Entwicklungsländer beziffert wurden. Eine
Brandmauer, eine Firewall, sollte die brennende Seite
von der Seite trennen, auf der es noch nicht brennt. Die
ersten Löschmaßnahmen wurden auf die brennende
Seite gerichtet.
Bei den Treibhausgasemissionen ist es heute so, um
im Bild zu bleiben, dass es auf beiden Seiten brennt.
Deshalb ergibt diese Unterscheidung keinen Sinn mehr.
Die Welt im Jahr 2014 ist nicht mehr die von 1997. In
der Gruppe der Schwellenländer finden sich Staaten wie
China oder Indien. China ist derzeit der größte und In-
dien der drittgrößte CO2-Emittent der Welt; allerdings
noch nicht pro Kopf, sondern wegen der schieren Menge
der Bevölkerung. Über die Hälfte aller Emissionen
kommt heute aus Schwellen- und Entwicklungsländern.
Auch die Differenzierung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit verläuft nicht mehr entlang der alten
Linien und in den alten Kategorien. Dabei rede ich nicht
nur von Singapur und den Vereinigten Arabischen Emi-
raten. Auch zum Beispiel Malaysia hat heute ein höheres
Pro-Kopf-Einkommen als zum Beispiel Rumänien. Wir
müssen deshalb zu einer neuen, differenzierteren Be-
trachtung der Verantwortung für den Klimaschutz kom-
men. Alle müssen etwas beitragen.
Der Umfang dieses Beitrages muss sich aus dem An-
teil an den Treibhausgasemissionen und der wirtschaftli-
chen Leistungsfähigkeit ergeben. Wer mehr zur Er-
hitzung der Erde beiträgt, muss auch mehr beim
Klimaschutz tun. Wer wirtschaftlich leistungsfähiger ist,
muss mithelfen, die ärmeren Länder bei Anpassung und
klimaverträglicher Wirtschaftsentwicklung zu unterstüt-
zen. Um diese grundlegend veränderte Herangehens-
weise haben wir in Lima gerungen, und wir werden es in
den nächsten Monaten bis zur Klimakonferenz in Paris
weiter tun, auch tun müssen. Alte Kampfparolen, wie sie
in Lima leider gerade von der sogenannten Group of
Like Minded Developing Countries besonders lautstark
hervorgebracht wurden, bringen uns da nicht weiter.
Meine Damen und Herren, Lima eignet sich nicht für
Superlative. Es war nicht der großartige Durchbruch, der
den Erfolg schon quasi vorzeichnet; aber es war auch
kein Scheitern. Wir haben eine solide Grundlage für die
weiteren Verhandlungen gelegt, aber auch ich hätte mir
natürlich eine weiter gehende Annäherung der Positio-
nen gewünscht.
Alle Staaten mit ihren unterschiedlichen Ausgangs-
positionen hinter einem Abkommen zu versammeln,
verlangt beharrliche Arbeit. Die konkreten Erfolge, die
wir erreicht haben, sind mehr als nur große Worte, und
sie sind allemal besser als das Genörgel mancher Zu-
schauer am Spielfeldrand.
Lima ist nicht das Ziel, sondern eine Etappe auf dem
Weg nach Paris. Ein Abkommen in Paris ist das Ziel; da-
rauf muss unser Engagement abzielen.
Mit dem Petersberger Klimadialog und der G-7-Präsi-
dentschaft im kommenden Jahr wird die Bundesregie-
rung ihre Möglichkeiten nutzen, um Paris zum Erfolg zu
bringen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Mitgliedern
der deutschen Delegation, nicht zuletzt auch bei den be-
teiligten Mitgliedern des Deutschen Bundestages für ihre
Arbeit bedanken.
Gleichzeitig will ich sehr deutlich machen, dass ich es
für vollkommen inakzeptabel halte, dass Abgeordnete
des Deutschen Bundestages an der Einreise nach Ecua-
dor gehindert worden sind. Das war nicht nur ein un-
freundlicher Akt gegenüber den sehr engagierten Abge-
ordneten des Umweltausschusses; es schadet vor allem
dem gemeinsamen Interesse am Schutz der Umwelt und
fällt auf die Entscheider zurück.
Ich kann nur hoffen, dass dies ein einmaliger Vorgang
war.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Mo-
naten und Wochen ist in Deutschland viel über die
schwarze Null im Bundeshaushalt diskutiert worden, die
wir ja gemeinsam erreicht haben. Es gibt eine weitere
Null, die wir uns unbedingt vornehmen sollten: weltweit
null Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrhun-
derts. Eine solche grüne Null sollten wir uns auf die
Agenda schreiben, und von dort darf sie dann auch nicht
mehr verschwinden, bis wir das Ziel erreicht haben.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
7386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014
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