Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Men-
schenhandel ist eines der schlimmsten Menschenrechts-
verbrechen, das in unserem Lande stattfindet. 500 bis
1 000 Verdachtsfälle zählt das Bundeskriminalamt jedes
Jahr. Das betrifft den Handel mit Menschen, deren Ar-
beitskraft ausgebeutet wird oder die sexuell ausgebeutet
werden.
Wenn wir Menschenhandel bekämpfen wollen, dann
müssen wir von den Opfern des Menschenhandels her
denken, ihre Rechtsposition schützen und sie stärken.
Dem dient der Gesetzentwurf, den wir heute vorgelegt
haben.
Meine Damen und Herren, wir fordern, dass Men-
schenhandelsopfern unabhängig von ihrer Aussagebereit-
schaft und unabhängig davon, ob sie eine Strafanzeige ge-
stellt haben, ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik
Deutschland zugesprochen wird. Denn für viele Men-
schenhandelsopfer ist es aufgrund der Situation ihrer Fa-
milie, ihrer Kinder, ihrer Eltern oder ihrer Geschwister
im Heimatland nicht möglich, einfach zur Polizei zu ge-
hen und die Täter anzuzeigen. Wenn wir das nicht durch-
brechen und nicht dem Opferschutz Vorrang vor dem In-
teresse an der Strafverfolgung der Täter einräumen,
werden wir die überwiegende Anzahl der Täter auch
nicht fassen.
Das gegenwärtige Recht bindet den Aufenthaltstitel
allein an die Aussage- und Zeugenbereitschaft der Men-
schenhandelsopfer. Wenn das Verfahren vorbei ist, dann
ist der Aufenthaltstitel nicht mehr verlängerbar. Diesen
Zustand müssen wir dringend ändern. Ich bin sehr ent-
täuscht, dass die Bundesregierung, Herr Schröder, in ih-
rem Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsrechts,
den sie in dieser Woche beschlossen hat, zwar vorsieht,
dass nach einem Prozess unter Umständen aus humanitä-
ren Gründen oder aus Gründen des öffentlichen Interes-
ses der Aufenthaltstitel verlängert werden kann. Men-
schenhandelsopfer, die nicht aussagen können, genießen
danach aber überhaupt keinen Schutz. Damit werden
viele Strafverfahren gegen die Täter vereitelt. Zudem
schützen wir nicht wirksam und mit Rechtssicherheit die
Rechtsposition der Opfer des Menschenhandels.
Ich will Ihnen einmal zwei Lebensschicksale schil-
dern, die zeigen, wie sich diese Rechtslage negativ aus-
wirkt für die Opfer, aber auch für das Strafverfolgungs-
interesse. Der Katholische Verband für Mädchen- und
Frauensozialarbeit hat mir von einer jungen Frau erzählt,
die mit 14 Jahren nach Deutschland gebracht und zur
Prostitution gezwungen wurde. Als sie 17 Jahre alt war,
wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die Täter durch-
geführt. Diese Frau bekam aber nur einen Aufenthaltsti-
tel für sechs Monate.
Zu der Angst um sich selbst, der Angst vor den Tä-
tern, kam die Angst um ihren unsicheren Status. Das hat
dieses Mädchen psychisch stark destabilisiert und hat
dazu geführt, dass auch ihre Aussagen unzuverlässig wa-
ren, sodass die Staatsanwaltschaft gesagt hat: Diese Aus-
sagen sind nicht verwertbar, wir müssen das strafrechtli-
che Ermittlungsverfahren einstellen.
Ein zweiter Fall. Eine junge Frau namens Grace aus
Nigeria, 19 Jahre alt, berichtete darüber, dass sie mit
dem Versprechen, sie könne in Deutschland eine Ausbil-
dung machen, etwas lernen und dann hier eine gute Ar-
beit finden, von einem Nigerianer nach Deutschland ge-
lockt wurde. Als sie hier ankam, wurde ihr der Pass
abgenommen und ihr eröffnet, sie schulde diesem Herrn
nun 50 000 Euro. Sie wurde zur Prostitution gezwungen
und arbeitete bei einer Bordellbetreiberin, über die sie
selber sagte: Ich arbeitete für diese Madame bis zu mei-
ner Festnahme. – Danach war sie in Abschiebehaft.
Sie wurde 2009 nach Nigeria abgeschoben. Dort
wurde sie von dem Umfeld des Täters bedroht und er-
neut bedrängt. Ihr wurde mitgeteilt, sie schulde ihm im-
mer noch 20 000 Euro. Sie konnte nicht bezahlen. Da-
raufhin wurde ihre Familie unter Druck gesetzt, und sie
wurde erneut nach Europa gebracht. Dort wurde sie wie-
der aufgegriffen und erneut abgeschoben. Vor der Ab-
schiebung hatte sie fürchterliche Angst davor, was mit
ihr passieren würde, wenn sie ohne die 20 000 Euro nach
Nigeria zurückkommen würde.
Solchen Menschen ist es nicht zuzumuten, bei uns
auszusagen. Sie riskieren Leib, Leben und Freiheit, aber
nicht nur von sich selbst, sondern auch von ihren Famili-
enangehörigen. Wenn wir hier als Gesetzgeber nicht
endlich ein Einsehen haben und diesen Menschen, weil
sie Opfer eines Menschenrechtsverbrechens geworden
sind, bedingungslos einen aufenthaltsrechtlichen Schutz
geben, dann brauchen wir hier im Plenum auch nicht den
Tag der Menschenrechte zu begehen. Vielmehr gehen
wir dann in unserem Land sehenden Auges an den Op-
fern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Nöten
vorbei.
Wir wollen, dass ein Aufenthaltsrecht gewährt wird.
Wir wollen auch – das betrifft vor allen Dingen die Aus-
beutung als Arbeitskraft –, dass es endlich einen Opfer-
fonds gibt, aus dem die Menschen den ihnen vorenthal-
tenen Lohn bekommen können, unabhängig von der
Frage, ob die Menschen oder die Unternehmen, die sie
ausgebeutet haben, rechtlich belangbar sind. Dieser soll
sich auch darum kümmern, dass dieses Geld eingetrie-
ben wird.
Wir wollen die Opfer besserstellen. Das verlangt von
uns, die Menschenhandelsrichtlinie umzusetzen, was
Deutschland skandalöserweise immer noch nicht getan
hat. Wir müssen in diesem Zusammenhang schauen, wo
es im Strafrecht Lücken gibt. Aber wir sollten nicht
glauben, dass dieses Problem durch mehr Strafrecht zu
lösen ist. Es ist nur zu lösen, wenn wir uns mit Empathie
7124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Volker Beck
(C)
(B)
um die Opfer dieser Menschenrechtsverbrechen küm-
mern und ihren Status verbessern.
Ich hoffe, dass wir anhand Ihres und unseres Gesetz-
entwurfes zu einer Lösung für die Opfer kommen. Wenn
wir eine gute Lösung finden – das garantiere ich Ihnen –,
werden wir das Dunkelfeld aufhellen und viele straf-
rechtliche Verfahren gegen die Täter mit Erfolg führen
können. So werden wir in jeder Hinsicht eine Verbesse-
rung der Menschenrechtslage für die vielen Frauen und
auch Männer, die Opfer dieser Verbrechen werden, errei-
chen.