Rede von
Frank
Heinrich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als Phirun am Strand erwacht, stehen Männer und
Frauen um ihn herum und reden auf ihn ein. Er hus-
tet, spuckt Wasser, fühlt den Sand im Gesicht. Er
lebt.
Phirun, 26, wohnte in einem Dorf nahe der Stadt
Siem Reap, im Norden von Kambodscha, als ihn
ein Mann aus dem benachbarten Thailand ansprach
und ihm einen gut bezahlten Job in einer Konser-
venfabrik versprach. Bis zu 500 Baht könne er täg-
lich verdienen, wenn er ein paar Überstunden ma-
che, umgerechnet gut zwölf Euro. Für Phirun, der
seit Jahren schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs
machte, war das ein verlockendes Angebot.
Aber Phirun besaß keine Papiere und hatte kein
Geld für die Reise nach Thailand. Der Mann er-
klärte, das sei kein Problem, er würde das alles
schon organisieren. Anstatt misstrauisch zu werden,
willigte Phirun ein. Immerhin musste er kein Geld
an einen Schleuser zahlen. Anfang 2014 ließ er sich
über die Grenze schmuggeln.
Doch anstatt in einer Fabrik Ananas in Dosen zu
füllen, fand er sich auf einem alten Fischkutter wie-
der, auf dem es an allen Ecken rostete. Menschen-
händler hatten ihn an den Schiffsbesitzer und Kapi-
tän verkauft, für umgerechnet 300 Euro. „Man
sagte mir, dass ich dafür zwei Monate ohne Lohn
arbeiten müsse“, erzählt Phirun. Doch auch danach
sah er kein Geld. Stattdessen wurden er und andere
junge Männer an Bord geschlagen und mussten täg-
lich 15 Stunden und mehr arbeiten, sieben Tage die
Woche, ohne Aussicht auf Urlaub. …
Neun Monate lang war Phirun Sklave an Bord eines
thailändischen Fischkutters. „Wir legten nie in ei-
nem Hafen an. Lebensmittel und sonstigen Nach-
schub brachte uns ein anderes Schiff, ebenso neues
Personal.“ Phirun berichtet, dass ein Sklave, der
sich einen Arm gebrochen hatte, über Bord gewor-
fen wurde. „Der Kapitän sagte uns: ‚Wenn ihr euch
weigert zu arbeiten, blüht euch auch dieses Schick-
sal.‘ Dabei hatte der sich gar nicht geweigert zu ar-
beiten, sondern war verletzt.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörer! Dieses Beispiel – aktualisiert
im Spiegel vor zwei Tagen – zeigt: Es gibt eine Riesen-
spanne zwischen den Erklärungen und Vorsätzen und der
Wirklichkeit in unserer Welt. Es gibt eine ganze Menge
zu tun, um die Menschenrechte global durchzusetzen.
Und doch hat die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte eine große richtungsweisende und rechtliche
Bedeutung. Deshalb lohnt es sich, ganz kurz zurückzu-
schauen, wie sich die Menschenrechte entwickelt haben;
denn wir reden über ein globales Phänomen. Der Weg,
der zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ge-
führt hat und der sehr lang war, der sich aber gelohnt hat,
darf hier nicht zu Ende sein; denn es liegt noch eine
Menge Arbeit vor uns.
Gestatten Sie mir eine kurze Rückschau. Die Ge-
schichte der Menschenrechte begann 2 000 vor Christus
in der Antike, also vor 4 000 Jahren, mit dem Gesetz des
Hammurabi in Babylonien. In der Bibel finden wir nicht
nur die zehn Gebote, sondern auch den prägenden Be-
griff der Ebenbildlichkeit Gottes. Das war 600 vor
Christus. In Athen, im vierten Jahrhundert vor Christus,
gab es die Bürgerrechte, allerdings, wie wir alle wissen,
nur für eine eingeschränkte Personengruppe.
Meilensteine waren die Unabhängigkeitserklärung
der Vereinigten Staaten 1776 und die französische Erklä-
rung der Menschen- und Bürgerrechte im Jahr 1789. Da-
nach gab es verschiedenste Abkommen, zum Beispiel
die Genfer Konventionen. 1948 wurde dann die Allge-
meine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet.
Warum 1948? Das war eine Reaktion auf „die Nichtan-
erkennung und Verachtung der Menschenrechte“, die
„zu Akten der Barbarei geführt“ hatten. So steht es in der
Präambel. Wir wissen, dass das sehr nahe bei uns ge-
schah.
Die Botschaft des Artikels 1 der Allgemeinen Erklä-
rung der Menschenrechte lautet: „Alle Menschen sind
frei und an Würde und Rechten gleich geboren.“ Diese
Erklärung wurde am 10. Dezember 1948 in Paris – an-
lässlich dessen führen wir diese Debatte – verabschiedet.
Aus dieser Erklärung erwuchsen verschiedenste Instru-
mente und Konventionen. Zwei davon möchte ich nen-
nen – jeder von uns hat seine Schwerpunkte, und es ist
gut, wenn wir uns fokussieren –:
Erstens: die 1969 – ein Jahr nach dem Tod von Martin
Luther King – verabschiedete Anti-Rassismus-Konven-
tion. Diese Errungenschaft führte unter anderem dazu,
dass die USA inzwischen einen afroamerikanischen Prä-
sidenten haben. Dort – in Klammern gesetzt – ist das
Thema noch lange nicht erledigt, wie wir in den letzten
Tagen und Wochen immer wieder gehört haben.
Zweitens: die Frauenrechtskonvention von 1979.
Gleichberechtigung wurde vorher schon in den Konven-
tionen erwähnt, aber bis heute hat sie sich nicht wirklich
bis zum Ende durchgesetzt. Denken wir hier nur noch
einmal an den Sklavenhandel und an das Schicksal von
Herrn Phirun. Eurostat sagt, dass in unseren 28 EU-Mit-
gliedsländern – also nicht irgendwo, sondern hier, unter
und bei uns – in den Jahren 2010 bis 2012 über 30 000
Opfer von Menschenhandel registriert wurden – 80 Pro-
zent davon weiblich.
Ich komme nun zu Deutschland: Welche Instrumente
zum Messen unserer Leistungen – auch der Deutsche
Bundestag und wir als Politiker müssen Rechenschaft
ablegen – gibt es? Sie kennen vielleicht den bekannten
Spruch von McKinsey – er wurde auch von anderen zi-
tiert –, der in der Wirtschaftswelt eine Selbstverständ-
lichkeit ist: „What you can measure you can manage!“
Übersetzt heißt das: Mit dem, was man messen kann,
kann man auch etwas bewegen.
Wir haben Rechenschaft abzulegen gegenüber den
Vereinten Nationen – dem Menschenrechtsrat, dem
Hochkommissar –, dem Europarat und der Europäischen
Union. Auch das von Ihnen angesprochene DIMR ist un-
ter anderem eine kritische Instanz nach innen. Der vor
zwei Tagen herausgegebene 11. Menschenrechtsbericht
7122 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Frank Heinrich
(C)
(B)
der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang eben-
falls zu erwähnen.
Ich habe es eben schon gesagt: Wir alle haben
Schwerpunkte, bei denen wir uns einbringen. Wenn wir
in den Spiegel schauen, dann müssen wir uns fragen: Wo
müssen wir noch besser werden? Ich zitiere von der
Webseite des Auswärtigen Amtes:
Die Bundesregierung betrachtet den Einsatz für
Menschenrechte als eine Querschnittsaufgabe, die
alle Politikfelder durchzieht.
Erstes Beispiel: die Wirtschaftspolitik. Wir brauchen
faire – möglicherweise fairere als bisher – Handelsab-
kommen. Wie weit das gehen muss, werden wir noch
weiter diskutieren. Zweites Beispiel: die Außen- und
Verteidigungspolitik. Wir brauchen Frühwarnsysteme –
nicht nur im humanitären Bereich. Drittes Beispiel: die
EU-Politik. Wir brauchen in kritischen Situationen ein
Eintreten für eine – aktueller kann es nicht sein – ge-
meinsame Flüchtlingspolitik und für gemeinsame Stan-
dards.
Hier tun wir viel; einer meiner Kollegen hat das vor-
hin gesagt. Aber wir tun das manchmal viel zu leise.
Dies zeigt ja auch der Zeitpunkt der Debatte ein wenig.
Wir können uns an Kampagnen beteiligen, wie
Michael Brand vorhin gesagt hat, als er die Patenschaf-
ten erwähnte. Ein Beispiel ist die Kampagne „Human
Rights Challenge“ anlässlich des Internationalen Tags
der Menschenrechte. In der nächsten Woche werden
viele von Ihnen dazu etwas zugesandt bekommen, zum
Beispiel auch ein entsprechendes Logo. Anstatt mit ir-
gendwelcher Werbung herumzurennen, kann man ja
auch dieses Logo zeigen. Beantworten Sie die Frage,
warum Sie dafür sind! Wenn es im Netz ist, dann leiten
Sie es weiter! Unterstützen Sie diese Kampagne!
Was können wir tun? Wir können in unserer Medien-
landschaft besser hinhören und vielleicht auch die Me-
dien auffordern, die unangenehmen Nachrichten noch
mehr in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt inzwischen
vier Krisen der Stufe 3, und über maximal drei Krisen
wissen die meisten Bürger Bescheid.
Wir können zum Beispiel den Organisationen, die im
humanitären Bereich aktiv sind, den NGOs und den vie-
len Ehrenamtlichen, die sich auch um die Flüchtlinge in
unserem Land bemühen – die Bandbreite reicht also vom
globalen bis hin zum persönlichen Bereich –, unsere
Wertschätzung sehr deutlich ausdrücken; denn das Enga-
gement muss am Schluss aus der Mitte unserer Gesell-
schaft kommen.
Schließlich – wir alle sind auch Konsumenten – ist
hier auch an unser Kaufverhalten zu denken. Es geht um
unsere Bemühungen – sowohl im politischen als auch im
privaten Bereich – in Bezug auf die Billig- und Hunger-
löhne in der Textilwirtschaft, aber auch in Bezug auf Fi-
schereiprodukte; hier können wir etwas tun.
In der letzten Woche waren Vertreter der Environ-
mental Justice Foundation bei mir. Sie haben deutlich
gemacht, dass das Schicksal von Herr Phirun kein Ein-
zelfall ist, sondern dass Schiffe vor Thailand teilweise
jahrelang solche Sklaven an Bord haben.
Wenn unser Fisch möglichst exotisch und zugleich
möglichst billig sein soll, werden Menschen wie Phirun
weiterhin als Sklaven arbeiten müssen.