Rede von
Michael
Brand
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist eine gute Tradition, dass der Deutsche Bundestag
am Tag der Menschenrechte eine Debatte zur Lage der
Menschen auf unserem Planeten führt.
Die heutige Debatte will ich dazu nutzen, als Vorsit-
zender des Ausschusses für Menschenrechte und Huma-
nitäre Hilfe auf konkrete Fälle im Bereich Menschen-
rechte und im Bereich humanitäre Hilfe hinzuweisen.
Diese Beispiele werfen auch ein Licht auf die umfang-
reiche Arbeit in unserem Ausschuss, der von dem ge-
meinsamen Bemühen geprägt ist, den Krisen auf dieser
Welt etwas entgegenzusetzen und die Menschenrechte
zu stärken.
Man kann diese Debatte heute nicht führen, ohne auf
die großen humanitären Katastrophen im Irak, in Syrien
und die Folgen für die Gesamtregion hinzuweisen. Aus
Gesprächen mit Jesiden und auch mit Angehörigen der
christlichen Minderheiten in den letzten Wochen möchte
ich ausdrücklich auf die Situation in Syrien und im Irak
hinweisen. Wir alle wissen, dass diese humanitären Ka-
tastrophen durch Krieg, Terror und Menschenrechtsver-
letzungen brutalster Art verursacht wurden. Wir alle spü-
ren auch, dass wir mit den Mitteln Deutschlands und der
EU sowie der internationalen Gemeinschaft an Grenzen
stoßen, weil die Katastrophen erstens lange anhalten und
zweitens dabei Millionen von Menschen betroffen sind.
Zahlreiche Staaten in der Nachbarschaft sind in Mitlei-
denschaft gezogen, und eine rasche Lösung ist nicht in
Sicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was folgt daraus für
uns? Ich möchte zunächst die Frage damit beantworten,
davor zu warnen, was es nicht geben kann: Es kann kei-
nen kalten Zynismus geben, es darf keine Gewöhnung
geben, und es darf auch keine Verzweiflung geben. – Die
Antworten auf diese Krise bleiben schwer, und sie blei-
ben unvollständig. Dazu ist die Krise in ihrer Breite und
ihrer Tiefe zu komplex und zu gefährlich, im Übrigen
nicht nur für die Betroffenen, sondern mittelfristig und
manchmal sogar kurzfristig auch für uns alle.
Wir alle wissen, dass die Terrorgruppe IS nicht für
den Islam steht, sondern dass sie die Welt ins dunkelste
Mittelalter zurückbomben will, manche sagen sogar: in
die Steinzeit. Wir alle wissen, dass der syrische Diktator
Assad, der erheblich zum Erfolg der Terrorgruppe beige-
tragen hat, dieser in ihrer Brutalität kaum nachsteht. Da-
mit stehen diejenigen, die den Opfern helfen wollen,
nicht selten vor der Wahl zwischen Pest und Cholera.
Das kann uns aber nicht davon abhalten, den Blick auf
die Opfer zu richten.
Der bevorstehende und zum Teil schon angebrochene
Winter bringt für Millionen Flüchtlinge eine tödliche
Gefahr. Die Kinder sind dabei neben den Kranken und
den Alten am meisten gefährdet. Ich will Ihnen nicht
vorenthalten, was mich weniger politisch als sehr per-
sönlich mitgenommen hat. Eine Gruppe von Jesiden aus
Köln, darunter übrigens langjährige deutsche Staatsbür-
ger, hat mir vor wenigen Tagen von der Lage berichtet.
Sie berichteten mir, dass der IS nach seinem brutalen
Vorgehen die Jesiden im Sindschar-Gebirge nicht mehr
aktiv bekämpft. Der IS hat sich stattdessen darauf ver-
legt, Tausende Flüchtlinge in das nackte Gebirge zu trei-
ben und sie dort notfalls den Hungertod sterben zu las-
sen. Die Terrorgruppe hat ihren Terror rund um das für
die Jesiden heilige Gebirge verbreitet und setzt darauf,
dass Tausende unschuldiger Menschen dort oben – man
muss es so drastisch sagen, wie es der IS auch meint –
elendig verrecken.
Als mir Jesiden vom Fall eines kleinen Kindes berich-
teten, das dort oben vor den Augen seiner Familie
schmerzvoll und langsam an einem eigentlich behandel-
baren Schlangenbiss sterben musste, weil inmitten des
Terrors keine Hilfe möglich war, da war ich – das be-
kenne ich offen – auch persönlich betroffen. Wenn ein
Vater sagt: „Ich hätte lieber meine Tochter angesteckt,
als sie so elendig leiden und krepieren zu sehen“, dann
ist das kaum zu ertragen.
Ich sage es für mich und für die allermeisten hier im
Haus ganz klar: Es ist nicht hinnehmbar, dass wir ange-
sichts eines solchen mörderischen Treibens nur zu-
schauen. Es ist bei allen Schwierigkeiten im Zusammen-
hang mit dem Haushalt dringend geboten, dass wir noch
vor der harten Winterzeit mehr als bisher mobilisieren,
um nicht nach dem Winter viele Verstorbene beklagen
zu müssen, deren Tod wir durchaus hätten verhindern
können. Der Ausschuss für Menschenrechte und Huma-
nitäre Hilfe hat sich jüngst darauf verständigt, dass wir
angesichts dieser besonderen Lage einen aktuellen
Schwerpunkt auf die Debatte über die humanitäre Lage
legen werden. Der jüngste Bericht der Bundesregierung
über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland bietet ei-
nen sehr guten Anlass dazu, sich intensiver mit dieser in
qualitativer und quantitativer Hinsicht neuen Herausfor-
derung zu befassen. Die Antworten – das ist klar – wer-
den sicher nicht einfach sein, und nicht jede Frage wer-
7118 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Michael Brand
(C)
(B)
den wir zufriedenstellend beantworten können. Aber es
bleibt richtig, die Augen vor der Realität auch oder ge-
rade dann nicht zu verschließen, wenn es besonders
schwierig wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so ist es gut, dass
Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen in die-
sen Tagen vorbildlich nachkommt; auch das will ich in
der Debatte unterstreichen. In einem einzigartigen Kri-
senjahr wie dem Jahr 2014 – man weiß ja gar nicht mehr,
wo man hinschauen soll; es brennt an allen Ecken – be-
laufen sich allein die Mittel für humanitäre Hilfe in die-
sem Jahr auf weit über 400 Millionen Euro; das sind
über 100 Millionen Euro mehr, als zu Beginn des Jahres
im Haushalt standen. Es ist eine besondere Sache, wenn
Bundesregierung und Bundestag in diesen Tagen noch
mal eins draufpacken, um die Versorgung der Flücht-
linge in Syrien und den Nachbarländern vor dem Winter
sicherzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein ärgerliches
Thema will ich nicht aussparen. Besonders ärgerlich ist
es nämlich – alle Fraktionen waren im Ausschuss in die-
ser Woche völlig zu Recht darüber empört –, dass das
Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen die Hilfe
eingestellt hatte. Es muss auch von diesem Parlament ein
Signal ausgehen: Wenn die UN trotz monatelanger War-
nungen nicht rechtzeitig vor dem Winter die Versorgung
der Opfer von Krieg und Massenmord sicherstellen kön-
nen, dann ist das schlicht ein Armutszeugnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann nicht sein,
dass auf Geberkonferenzen vollmundige Versprechun-
gen im Sinne der Menschlichkeit abgegeben werden und
dann einzelne Regierungen die Menschen in höchster
Not im Stich lassen und ihre Zusagen nicht einhalten.
Wir bitten die Bundesregierung ausdrücklich, den inter-
nationalen Partnern diese Haltung des Deutschen Bun-
destages zu vermitteln. Das geht so nicht, und das wollen
wir im Sinne der Menschen nicht noch einmal erleben.
Ich habe eben meine Anerkennung gegenüber der
Bundesregierung ausgedrückt. Ich will ihr Respekt dafür
zollen, dass sie auf nationaler Ebene, innerhalb der EU
und im Rahmen der Vereinten Nationen bei denjenigen
an vorderster Stelle steht, die versuchen, die Auswirkun-
gen dieser gewaltigen Katastrophe auf die Menschen zu
lindern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte bei die-
ser Gelegenheit einmal auf ein anderes Gebiet unserer
Arbeit zu sprechen kommen, nämlich auf den konkreten
Einsatz für Menschenrechte und politische Gefangene,
den Abgeordnete des Deutschen Bundestages leisten.
Viele von Ihnen kennen aus der eigenen Arbeit unser
Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“.
Dieses Programm haben wir aus guten Gründen auf
Menschenrechtsaktivisten in aller Welt ausgeweitet.
Der Einsatz von Abgeordneten für einzelne Verfolgte
– das wissen wir – ändert nicht die gesamte Lage der
Menschenrechte in einem Land. Aber es bleibt ein wich-
tiges Signal an Tausende und Abertausende unschuldig
Inhaftierte, dass sich das Parlament eines der wichtigsten
Länder in Europa und in der Welt mit darum kümmert,
dass in den Kerkern von Diktaturen die Menschen nicht
einfach vergessen werden. Denn es gilt immer noch der
Satz: Wer dort vergessen ist, der ist auch verloren. – Ich
bin deshalb sehr froh, dass es so viele Kolleginnen und
Kollegen gibt, die mit dabei helfen, dass Menschen-
rechte und die Aktivistinnen und Aktivisten eben nicht
vergessen werden. Dafür allen ein herzliches Danke-
schön.
Lassen Sie mich kurz ein aktuelles Beispiel konkret
schildern. Vor wenigen Monaten hatte ich das Glück und
die Ehre, die Mutter einer vietnamesischen Aktivistin
hier in Berlin zu sprechen, deren Tochter im kommunis-
tischen Vietnam ausgerechnet wegen ihres Einsatzes für
die Rechte der Arbeiterschaft willkürlich inhaftiert wor-
den war. Sie wurde im Gefängnis gefoltert und brutalen
Behandlungen ausgesetzt. Es haben viele dazu beigetra-
gen – die Bundesregierung, Abgeordnete des Deutschen
Bundestags; ich nenne hier ausdrücklich unseren Kolle-
gen Frank Heinrich, der vor Ort war und die Aktivistin
im Gefängnis besucht hat –, diese tapfere Frau aus dem
Gefängnis freizubekommen.
Ich weiß, dass es viele Tausend Fälle gibt, die nicht so
gut ausgegangen sind. Aber ich erwähne das Beispiel
deswegen, weil es uns bei unserer Arbeit motiviert und
zeigt, dass dieser Einsatz für einzelne Schicksale nicht
sinnlos ist, sondern dass er notwendig ist. Inzwischen
konnten wir hier in Berlin in der letzten Sitzungswoche
die Tochter begrüßen. Sie hat mit Tränen in den Augen
berichtet, dass sie nie geglaubt hätte, ihre Mutter wieder-
zusehen. Sie kämpft jetzt für ihre ehemaligen Mitinsas-
sen. Auch dort sind wir weiter mit Unterstützung von
Kollegen aus den Parlamenten und aus der Regierung
dabei, diesen Frauen und Männern zu helfen.
Damit konnten wir gemeinsame und lange Bemühungen
zu einem glücklichen Ende führen. Wir müssen nicht
stolz sein, dass dies gelungen ist. Aber wir dürfen uns
freuen, dass unser Patenschaftsprogramm konkrete Er-
folge für Menschenrechtler erreichen konnte.
So nehme ich abschließend die Gelegenheit wahr,
weitere Kolleginnen und Kollegen dazu einzuladen, sich
an diesem wunderbaren Programm aktiv zu beteiligen.
Melden Sie sich bei uns im Ausschuss für Menschen-
rechte! Wir helfen gern weiter, damit Sie anderen noch
effektiver helfen können.
Der Tag der Menschenrechte ist ein wichtiger Tag. Er
ist nie nur ein Tag der Freude. Das liegt in der Natur der
Sache. Dass wir im Deutschen Bundestag in jedem Jahr
im Umfeld des Tages der Menschenrechte in würdiger
Form eine Debatte um die Würde des Menschen führen,
zeichnet das Thema und ein wenig auch dieses Parla-
ment aus.
Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7119
Michael Brand
(C)
(B)