Rede von
Wolfgang
Gehrcke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wenn ich darüber nachdenke, wie
eine künftige Gesellschaftsordnung aussehen könnte,
welche Elemente sich in einer solchen Gesellschaft wie-
derfinden müssten, dann wäre ein Zusammenführen der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem
Grundgesetz unseres Landes für mich der Maßstab, was
man verwirklichen müsste, wenn man über Sozialismus
nachdenkt.
Wenn man sich die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte anschaut, erkennt man: Sie hat einen großar-
tigen Zug, auch dadurch, dass sie soziale und Freiheits-
rechte nicht gegeneinanderstellt, sondern völlig deutlich
macht: Ohne soziale Rechte gibt es keine Freiheits-
rechte, und ohne Freiheit kann man keine sozialen
Rechte erkämpfen.
Diesen Grundgedanken müssten wir viel stärker an uns
heranlassen.
Ich glaube, das Neue, was man der Allgemeinen Er-
klärung der Menschenrechte hinzufügen müsste, wäre,
dass auch die Wahrung der Natur eine elementare Be-
deutung hat, ein Menschenrecht ist, und es müssten viel
stärker, als das damals in der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte möglich war, die Frauenrechte als
Grundrechte betont werden. Ich finde, über eine solche
Gesellschaft nachzudenken, lohnt sich.
Um auf einen Kollegen zurückzukommen, der vor
mir in dieser Debatte gesprochen hat: Wenn man die All-
gemeine Erklärung der Menschenrechte mit der Realität
des Lebens auf diesem Planeten konfrontiert, dann wird
man feststellen, dass die Realität des Lebens eine völlig
andere ist. Da muss man sich doch die Frage stellen, was
wir ändern wollen: Sollen wir die Texte an die Realität
anpassen – auch in unserem Land – oder die Realität an
die Texte, an die entsprechenden Vorgaben, an die gro-
ßen gesellschaftlichen Vorstellungen? – Ich will Zweite-
res, ich will diese Veränderungen. Wenn Sie über Verän-
derungen nachdenken, werden Sie jedoch nicht drum
herumkommen, auch über die Veränderung von Eigen-
tumsfragen, über Verteilungsfragen nachzudenken; sonst
werden Sie das alles nicht erreichen können.
In dieser Hinsicht gefällt mir die Debatte hier. Ich
möchte diesen gesellschaftlichen Impuls.
Vieles, was die Kollegin Heinrich vorgetragen hat,
finde ich, auch unter diesem Gedanken, erschütternd. Ich
möchte das mit nur drei Dingen noch weiter erhärten:
Täglich sterben 57 000 Menschen in der Welt – täg-
lich! – an Unterernährung. Das ist ein Krieg, der gegen
die Menschheit geführt wird, ein Krieg mit ökonomi-
schen Waffen, mit dem Terror der Ökonomie. Ein
Mensch, der hungert oder gar am Verhungern ist, kann
nicht frei sein. Wenn wir über Freiheit in der Welt reden
wollen, dann müssen wir auch darüber reden, wie man
den Kampf gegen Hunger durch eine neue Verteilung in
der Welt gewinnen kann.
Oder schauen Sie auf die Wasserversorgung. Nach
Berichten der Vereinten Nationen sterben jährlich unge-
fähr 2,4 Millionen Menschen – darunter 4 000 Kinder
am Tag! – daran, dass es kein sauberes Trinkwasser für
sie gibt. Ist es vor diesem Hintergrund nicht ein Verbre-
chen, wenn Wasser privatisiert wird, wenn auf Wasser
zugegriffen wird? Müssten wir nicht alle sagen, dass wir
öffentliche Rechte, öffentliche Güter verteidigen müs-
sen, gerade wenn man Menschenrechte einlösen will?
Mein dritter Gedanke – ich frage mich selber, ich
frage uns, was wir in der Realität tun können; wir kön-
nen uns da schnell auf zwei Punkte einigen – gilt den
Flüchtlingen. Wenn Europa und Deutschland nicht eine
andere Flüchtlingspolitik machen, dann brauchen wir
über Menschenrechte in unserem Land überhaupt nicht
zu reden.
Es gibt kein Recht, Menschen im Mittelmeer ertrinken
zu lassen.
Wie finden wir es denn, dass im Dezember dieses
Jahres das UNO-Welternährungsprogramm angekündigt
hat, die Lebensmittelhilfe für 1,7 Millionen syrische
Flüchtlinge zu streichen? Begründung hierfür sind die
nicht eingehaltenen Spendenzusagen. Wir haben hier ei-
nen Widerspruch zur reichen Erde und zur reichen Pro-
duktivität. Mit dem, was produziert wird und produziert
werden könnte, könnten, wenn auf eine andere Art und
Weise produziert würde, alle Menschen ernährt und die
Probleme gelöst werden. Müssen wir, auch die christ-
lich-konservativen Kollegen, nicht sagen, dass aus die-
sem Teil der Menschenrechte die Anforderung resultiert,
dass wir anders produzieren, anders konsumieren und
anders verteilen müssen? Dazu gehört auch, uns deutlich
zu machen: Wenn wir Rüstungsexporte nicht überwin-
den, dann werden wir den Flüchtlingen nicht helfen kön-
nen.
Ich bitte Sie sehr, damit wir nicht folgenlos aus der
Debatte gehen, lassen Sie Folgendes an sich heran:
Wenn das Freihandelsabkommen, das jetzt zwischen der
EU und den USA ausgehandelt werden soll, nicht ver-
hindert wird – zumindest in der Form, wie es bisher prä-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7117
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
sentiert wird –, dann wird unser Kampf für Menschen-
rechte in Europa, in den USA und weltweit sehr viel
schwieriger werden.
Konkrete Schlussfolgerungen sind also: zumindest
eine andere Flüchtlingspolitik und Ablehnung des Frei-
handelsabkommens. Das wären Initiativen an diesem be-
deutsamen Tag. Ich lade Sie ganz herzlich ein: Lassen
Sie uns das gemeinsam machen. Dann bekommen wir
vielleicht auch eine andere Gesellschaftsordnung. Das
ist dann mein Ding. Dann nehme ich gerne Ihre Unter-
stützung entgegen.
Danke sehr.