Rede von
Paul
Lehrieder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich darf, bevor ich mit meiner Rede be-
ginne, zunächst dem Kollegen Markus Koob aus dem
Familienausschuss im Namen unserer Fraktion alles
Gute zu seinem heutigen Geburtstag wünschen.
Meine Damen und Herren, von den Vorrednern wurde
bereits darauf hingewiesen: Im Jahr 1989 ereignete sich
nicht nur der Fall der Mauer. Im selben Jahr wurde am
20. November, just an meinem Geburtstag, auch eines
der wegweisendsten Dokumente der internationalen
Staatengemeinschaft verabschiedet. Von der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen wurde die UN-Kin-
derrechtskonvention angenommen. Am 2. September
1990 traten die insgesamt 54 Artikel, die gemeinsame
Standards zum Schutz der Kinder auf der ganzen Welt
festlegten, schließlich in Kraft.
Ich will, bevor ich auf die Artikel im Einzelnen ein-
gehe, noch zwei Sätze zu der mehrfach angesprochenen
Thematik „Aufnahme der Kinderrechte in die Verfas-
sung“ verlieren. Es wurde von mehreren Kolleginnen
und Kollegen – so von Kollegin Rüthrich und Kollegin
Brantner – moniert, dass die Aufnahme der Kinderrechte
in unser Grundgesetz eine weitaus höhere Gewichtung
der Kinderrechte ergeben würde. Ich bitte Sie: Schlagen
Sie mit mir gemeinsam das silberne Buch, das Grundge-
setz der Bundesrepublik Deutschland, das im Schubfach
Ihres Tisches liegt, Seite 15 unten rechts auf; ich gehe
somit nicht zu Artikel 6, sondern zu Artikel 3. In Arti-
kel 3 Absatz 2 ist normiert – es ist der Gleichbehand-
lungsgrundsatz; das kennen Sie vielleicht –:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Frau Kollegin Brantner, Ihre Auffassung als zutref-
fend unterstellt, brauchten wir in den nächsten Monaten
sicher nicht über eine Frauenquote zu diskutieren und
hätten längst nicht mehr das Problem des Gender Pay
Gap. Wir hätten viele Probleme nicht, wenn allein die
Aufnahme in die Verfassung die Lösung des Problems
wäre.
Meine Damen und Herren, am 27. November 2014,
also vor wenigen Tagen – das wurde ebenfalls zitiert –,
wurde anlässlich des 25. Jahrestages der Kinderrechts-
konvention eine Entschließung der UN durch das Euro-
päische Parlament zu den Kinderrechten gefasst. Darin
fordert es alle Mitgliedstaaten dazu auf, den Kreislauf
der Benachteiligung zu durchbrechen, die UN-Kinder-
rechtskonvention in nationales Recht zu gießen und si-
7114 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Paul Lehrieder
(C)
(B)
cherzustellen, dass der Vorrang des Kindeswohls tat-
sächlich umgesetzt ist.
Selbst das Europäische Parlament hat in dieser Resolu-
tion vom 27. November noch nicht einmal die Auf-
nahme in die Verfassung gefordert, sondern nur, dass
sichergestellt werden muss, dass die Kinderrechte umge-
setzt werden.
Kollege Weinberg hat bereits darauf hingewiesen:
Wir haben in Deutschland Kinderschutzrechte, die viele
andere Länder in diesem Umfang überhaupt nicht haben:
die materielle Absicherung, der Schutz von Kindern vor
Gewalt, unser Kinderschutzgesetz, das wir im kommen-
den Jahr evaluieren werden. Wir diskutieren jetzt über
Führungszeugnisse im Kinderschutz. Wir haben in den
letzten Jahren sehr vieles zum Kinderschutz auf den Weg
gebracht, und ich denke, das ist im europäischen Raum
vorbildlich. In vielen anderen Ländern der Welt wären
die Kinder heilfroh, wenn sie nur ansatzweise die Rechte
hätten, die die Kinder in Deutschland bereits jetzt für
sich in Anspruch nehmen können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere zäh-
len zu den Schutzrechten der Kinder das Recht, ohne
Gewalt, Diskriminierung und in Sicherheit leben zu kön-
nen, das Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung
– das wird in Deutschland keinem Kind ernsthaft abge-
sprochen –, das Recht auf Bildung, das Recht auf Nah-
rung sowie ein Mitspracherecht bei kinderrelevanten
Entscheidungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 25 Jahre
nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention
ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen: Was haben wir in ei-
nem Vierteljahrhundert erreicht? Wo müssen wir noch
weiterarbeiten, und wo müssen wir noch nachbessern?
Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung der
Konvention ganz klar dazu bekannt, das Wohl unserer
Kinder, unserer künftigen Generationen und somit der
Hoffnungsträger unseres Landes als Leitlinie für sein
politisches und gesellschaftliches Handeln zum Maßstab
zu nehmen.
Einige Forderungen der Konvention zur besseren Ver-
wirklichung der Kinderrechte konnten wir bereits umset-
zen, beispielsweise die gesetzliche Regelung zur gewalt-
freien Erziehung in § 1631 Absatz 2 BGB seit dem Jahr
2000 oder die Gleichstellung von ehelichen und nicht-
ehelichen Kindern. Zudem belegen aktuelle Forschungs-
ergebnisse, dass es unserer heutigen jungen Generation
so gut geht wie keiner Generation zuvor.
Das außenpolitische Engagement Deutschlands zur
Förderung und zum Schutz der Kinderrechte wird welt-
weit ausdrücklich gelobt. Human Rights Watch und
andere Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass
Deutschland weltweit zu den Vorreitern und größten
Verfechtern des Schutzes der Kinderrechte zählt. Da-
rüber hinaus wird den Kinderrechten in der Entwick-
lungshilfezusammenarbeit – auch durch unseren ge-
schätzten Minister Dr. Gerd Müller – eine herausragende
Stellung eingeräumt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kinder und
Jugendliche brauchen den Schutz unserer Gesellschaft.
Für sie ist es schwierig, sich zu organisieren und sich ei-
genständig für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Sie sind auf
die Unterstützung Erwachsener angewiesen, seien es die
Familien, seien es politische oder gesellschaftliche Gre-
mien wie wir. 1988 wurde daher vom Deutschen Bun-
destag die Kinderkommission eingesetzt, um die Be-
lange der Kinder und Jugendlichen in einem besonderen
Gremium wahrzunehmen.
Ich darf den Leiter der Kinderkommission, Kollegen
Eckhard Pols, der vor mir gesprochen hat, zitieren. Lie-
ber Eckhard, du hast darauf hingewiesen: Wir sind beru-
fen, uns Gedanken zu machen, wie wir Kindern Be-
schwerdemöglichkeiten einräumen können. Ich finde die
Idee durchaus sympathisch, und es wäre erwägenswert,
sie aufzugreifen: die Einrichtung einer unabhängigen Be-
schwerdestelle für Kinder im Allgemeinen, angelehnt an
die sogenannten Ombudsstellen. Man könnte es eventuell
so verwirklichen, dass man eine Beschwerdemöglichkeit
für Kinder als Unterabteilung im Petitionsausschuss ein-
richtet. Dann könnten Kinder sich bei empfundener Ver-
letzung ihrer eigenen Rechte tatsächlich aktiv an ein
Gremium, in diesem Fall im Bundestag, wenden. Das
finde ich durchaus diskussionswürdig.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, lassen Sie uns
vernünftige Realpolitik für die Kinder machen. Das ist
besser, als wenn wir eine Norm in die Verfassung schrei-
ben, liebe Frau Kollegin Brantner. Trotz einer solchen
Norm ist die Gleichstellung von Frauen bis heute ja im-
mer noch nicht so toll umgesetzt worden.
Herzlichen Dank.
– Sie haben auch ein Exemplar der Verfassung vor sich
liegen. Dort können Sie einmal nachschauen.