Rede von
Ulla
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
7110 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
(C)
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucher! Leider sind nicht so viele
Kinder anwesend. Es wäre anlässlich unserer heutigen
Debatte über die Kinderrechtskonvention schön, wenn
die Ränge auf der Zuschauertribüne voll mit Kindern
wären.
Heute ist ein besonderer Tag, da wir über die Kinder-
rechtskonvention sowie die Rechte der Kinder in unse-
rem Land und weltweit reden. Anlässlich des Jahrestags
der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention habe
ich am 20. November in meinem Wahlkreis die 3. und
4. Klassen einer Grundschule in Heidelberg besucht, um
über die Kinderrechtskonvention zu sprechen. Nachdem
ich mit den Kindern ein bisschen geredet hatte, meldete
sich ein Mädchen zu Wort und fragte: Was bedeutet „ein
Recht“? Ich fand es ziemlich schwierig, diese Frage zu
beantworten. Was bedeutet „ein Recht“? Was ist dein
Recht? Ich habe versucht, die Frage anhand von Beispie-
len zu beantworten. Ich habe gesagt: Dein Recht ist bei-
spielsweise, nicht geschlagen zu werden. Daraufhin mel-
dete sich ein Junge und sagte: Aber mein Papa haut
mich. Dann dachte ich: Das war wohl das falsche Bei-
spiel. Was habe ich damit nur provoziert? Dann sagte
ich: Dein Recht ist, genau gleich behandelt zu werden
wie alle anderen. Daraufhin meldete sich ein Mädchen
und fragte: Darf ich trotzdem über jemand anderen la-
chen? Das war auch keine einfach zu beantwortende
Frage. Ich habe gesagt: Nicht weil sie aus einem anderen
Land kommt oder anders ausschaut. Daraufhin meinte
das Mädchen: Wenn sie aber die Sprache nicht kann und
deswegen lauter Blödsinn sagt? Ich habe gesagt: Nein,
auch deswegen nicht. Dann sah ich, dass ein Mädchen in
der hinteren Ecke offensichtlich nicht so gut deutsch
sprach und etwas zusammenzuckte.
Dann habe ich die Kinder etwas gefragt: Wisst ihr
denn, wo ihr euch beschweren könnt, wenn ihr euch un-
gerecht behandelt fühlt? Dann war es relativ ruhig in der
Klasse. Nach einer Weile meldete sich ein Mädchen und
sagte: Bei der Lehrerin. Ich fand es beruhigend, dass die
Kinder in dieser Schule offensichtlich so viel Vertrauen
in die Lehrerin haben, um sich bei ihr zu beschweren.
Ich sagte dann: Bei uns gibt es eine Kinderschutzbeauf-
tragte in jedem Viertel. – Den Namen dieser Person hatte
keines der Kinder jemals gehört. Dann dachte ich: Ei-
gentlich ist es die Aufgabe dieser Person, Kinder wissen
zu lassen, wo sie sich beschweren können, wenn ihre
Rechte nicht eingehalten werden.
Frau Rüthrich, Sie haben zu Recht die Missstände in
Deutschland beschrieben und darauf hingewiesen, dass
diese in Zukunft beseitigt werden müssen, wie Kinder-
armut, keine gleichen Chancen für alle Kinder, Schutz
vor Gewalt und sexuellem Missbrauch sowie Ausgren-
zung, nicht die gleichen Rechte für Flüchtlinge. Erlau-
ben Sie mir, darauf hinzuweisen, dass Sie, wenn wir
dorthin wollen, wo Sie in 25 Jahren sein wollen, nun ent-
sprechende Schritte machen müssen. Sonst sind wir in
25 Jahren nicht dort.
Artikel 2 der Kinderrechtskonvention ist sehr deut-
lich:
Die Vertragsstaaten achten die in diesem Überein-
kommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie
jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind
ohne jede Diskriminierung unabhängig von der
Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache,
der Religion, der politischen oder sonstigen An-
schauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen
Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der
Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner
Eltern oder seines Vormundes.
Das ist doch enorm breit. Da steht nicht „jedem deut-
schen Kind“, sondern „jedem ihrer Hoheitsgewalt unter-
stehenden Kind“. Wenn wir diesem Anspruch in Artikel 2
gerecht werden wollen, dann müssen wir dringend etwas
mit Blick auf die Kinderarmut in unserem Land tun;
denn nach Artikel 2 sind die Rechte jedem Kind zu ge-
währleisten, unabhängig vom Vermögen. Das ist in
Deutschland keine Realität. Genauso wenig ist es Reali-
tät, dass ein Flüchtlingskind die gleichen Chancen hat.
Daher lautet mein Appell: Sorgen Sie für Änderungen!
Wir ändern gerade ständig Asylgesetze. Vielleicht kön-
nen wir sie in diesem Sinne positiv ändern. Das würde
mich und sicherlich auch viele Kinder in diesem Land
sehr erfreuen.
Ich möchte Ihnen noch Artikel 3 der UN-Kinder-
rechtskonvention vorlesen, über den wir mit Blick auf
das Grundgesetz gerade noch einmal diskutiert haben:
Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleich-
viel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtun-
gen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungs-
behörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen
werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt,
der vorrangig zu berücksichtigen ist.
Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Kinder oder
Familie. – Natürlich ist Familie immer ein Gesichts-
punkt. Im zitierten Artikel steht, dass das Wohl des Kin-
des ein Gesichtspunkt ist – dort steht überhaupt nicht,
dass es andere Gesichtspunkte gibt –, der, das ist
wichtig, „vorrangig zu berücksichtigen ist“. Das ist in
Deutschland nicht überall der Fall: dass das Kindeswohl
vorrangig berücksichtigt wird.
Das gilt für Verkehrsplanungen; das gilt für unser Bau-
recht. Auch im Asylrecht ist das nicht der Fall. Bei Fra-
gen von Inobhutnahmen ist es am Ende ebenfalls nicht
immer das Kindeswohl, das entscheidet.
Herr Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Die Veran-
kerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist nur eine
Symbolik. – Ich würde da widersprechen und sagen: Es
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7111
Dr. Franziska Brantner
(C)
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geht um mehr als nur um eine Symbolik. Aber selbst
wenn es nur ein Symbol wäre: Warum sind Sie gegen
dieses Symbol? Warum wollen Sie als CDU-Bundes-
tagsabgeordneter das Symbol, dass die Kinder gleiche
Rechte haben und dass ihre Rechte im Grundgesetz ver-
ankert sind, nicht haben? Wenn es nur ein Symbol ist, wa-
rum wollen Sie es dann nicht? Ich bin davon überzeugt,
dass die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz
mehr als ein Symbol ist, dass sie bei der Auslegung und
Fortentwicklung von Gesetzen etwas verändern würde.
Von daher halte ich Ihren Hinweis auf die Symbolik für
kein akzeptables Argument. Sie müssen schon inhaltlich
begründen, warum Sie das nicht wollen.