Rede von
Marcus
Weinberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen
und Herren, man muss schon einmal zurückschauen auf
die vergangenen 25 Jahre und darüber hinaus, um die
Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention zu erken-
nen. Wenn man sich ein wenig umschaut, dann landet
man schnell bei der Frau, die viel für Kinder geschrieben
hat und auch vieles ausdrücken konnte, nämlich bei
Astrid Lindgren. Sie hat schon 1978 bei der Verleihung
des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels eine ih-
rer so besonderen Geschichten erzählt:
Eines Tages hatte ein kleiner Junge etwas getan, wo-
für er nach Ansicht seiner Mutter eine Tracht Prügel ver-
diente, die erste in seinem Leben. Er sollte nun selbst im
Garten nach einem Stock suchen und ihn der Mutter
bringen. Ihr Sohn kam nach einiger Zeit weinend zurück
und sagte: „Ich habe keinen Stock finden können, aber
hier hast du einen Stein, den kannst du ja nach mir wer-
fen.“ Da fing auch die Mutter an, zu weinen; denn plötz-
lich sah sie alles mit den Augen des Kindes. Sie nahm
ihren Sohn in die Arme. Dann legte sie den Stein auf ein
Bord in der Küche. Dort blieb er liegen, als ständige
Mahnung an das Versprechen, das sie sich in dieser
Stunde selber gegeben hatte: „NIEMALS GEWALT!“
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7109
Marcus Weinberg
(C)
(B)
So weit Astrid Lindgren. – Möge in jedem Haus in
diesem Land ein kleiner Stein liegen und diese Mahnung
dann auch in jedem Haus umgesetzt werden.
Diese Geschichte bringt einen wichtigen Gedanken
zum Ausdruck, der mit der UN-Kinderrechtskonvention
verbunden war, nämlich die Welt aus Sicht der Kinder zu
sehen. Kinder sehen, fühlen und erkennen die Welt an-
ders. Diese Verabschiedung der Konvention am 20. No-
vember 1989 ist schon ein Meilenstein in der Geschichte
der Kinderrechte gewesen.
Unser Bewusstsein für die Rechte der Kinder ist seit
damals stark angewachsen, sowohl in Deutschland wie
auch weltweit. Diese Rechte sind jetzt in einem interna-
tionalen Vertragswerk verankert. Es geht darum, wie wir
den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und
Wasser, wie wir das Recht auf Leben, den Schutz vor
Gewalt, Misshandlung und Verwahrlosung national und
– mehr noch – international umsetzen können.
Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern: In
diesem Jahr wurde das dritte Zusatzprotokoll verab-
schiedet. Danach können sich jetzt Kinder gegen die
Verletzung ihrer Rechte dadurch wehren, dass sie sich an
den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden.
Es war eine richtige Entscheidung, die Rechte der Kin-
der dadurch zu stärken.
Nun müssen wir auch auf die internationale Ebene
schauen. Da kann man sicherlich Erfolge verbuchen, die
uns als globaler Teil derjenigen stolz machen können,
die hierfür Verantwortung übernommen haben. Immer-
hin: Die Kindersterblichkeit ist gesunken, und die Zahl
der arbeitenden Kinder ging um fast ein Drittel zurück.
Aber noch heute erleben 6,3 Millionen Kinder nicht ein-
mal ihren fünften Geburtstag. 168 Millionen Kinder
müssen arbeiten, und nur 5 Prozent aller Kinder leben in
Ländern, in denen jede Gewalt gegen Kinder verboten
ist. Es bleibt also auf internationaler Ebene noch viel zu
tun, um das zu ändern.
Deutschland hingegen hat in der Familienpolitik viel
getan. Nun kann man die familienpolitischen Leistungen
nicht nur am Geld festmachen. Aber es ist schon so, dass
wir in den letzten Jahren den Familien und den Kindern
deutlich mehr Geld haben zukommen lassen. Ganz zen-
tral – das ist auch für uns in der Großen Koalition ein
wichtiger Punkt – ist: Das staatliche Handeln ist auf das
Wohl des Kindes ausgerichtet. Aber wir sagen auch: Wir
wollen nicht nur das Wohl des Kindes in den Fokus neh-
men, sondern immer auch die Frage stellen: Wie können
wir Eltern stärken, und wie können wir Familien insge-
samt stärken? Unsere Aufgabe in der Familienpolitik ist
es, die Familie als Keimzelle der Gesellschaft zu stär-
ken;
denn dann, wenn das Verhältnis zu den Kindern in der
Familie gut ist, sind die Kinder besser geschützt und ha-
ben stärkere Unterstützung.
Viele Maßnahmen dienen diesem Ziel: Die Alleiner-
ziehenden werden bessergestellt, das Kindergeld wurde
erhöht, der Kitaausbau wurde vorangetrieben, das El-
terngeld wurde nicht nur eingeführt, sondern auch modi-
fiziert und verändert – immer im Sinne der Familien und
ihrer Wünsche. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass
es auch für Kinder gut ist, wenn die Eltern mehr Zeit für
sie haben.
Zum besseren Schutz haben wir 2012 ein Bundeskin-
derschutzgesetz eingeführt. Als weiteres Beispiel sei
hier der Ausbau des Netzwerkes „Frühe Hilfen“ ge-
nannt. Wir werden das Bundeskinderschutzgesetz aber
auch evaluieren. Die Frage – das ist für uns die Heraus-
forderung – ist: Was bringen unsere Maßnahmen? Wir
geben über 8 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung
aus. Trotz dieser Hilfen und trotz des Bundeskinder-
schutzgesetzes gibt es dramatische Fälle von Misshand-
lung und in Teilen eine Zunahme von Fällen von Ver-
wahrlosung und Inobhutnahmen. Wenn 40 000 Kinder
im Jahr in Deutschland in Obhut genommen werden
müssen, dann stimmt etwas in dieser Gesellschaft nicht.
Daran müssen wir arbeiten, und daran werden wir auch
arbeiten.
Voraussetzung wird aber auch sein, dass wir uns in
den nächsten Jahren mit folgenden Fragen beschäftigen:
Was eigentlich heißt „Kindeswohl“? Was ist für Kinder
wichtig? Wo gibt es Strukturdefizite? Wo gibt es mögli-
cherweise Finanzierungsdefizite? Wo können wir als
Bundesgesetzgeber die Kommunen entlasten und die
Länder unterstützen? Schließlich sind Länder und Kom-
munen für das Thema Kinder- und Jugendhilfe verant-
wortlich.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Dann
gibt es die interessante Diskussion: Reichen Änderungen
im Grundgesetz aus? Dazu nur zwei Bemerkungen. In
10 von 16 Länderverfassungen sind die Kinderrechte be-
reits verankert. Ich glaube, wir sollten uns darum küm-
mern, was real wirkt, und keine Symbolpolitik betreiben.
Wir sagen klar: Wir müssen die Strukturen überprüfen.
Wir müssen die Hilfsmaßnahmen verstärken. Wir dürfen
aber durch eine eventuelle Grundgesetzänderung nicht
dahin kommen, dass wir Kinder sozusagen weiter von
ihren Eltern trennen. Werter Kollege Lehrieder, Sie wer-
den sicherlich noch das eine oder andere zu der Frage sa-
gen, ob Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen
werden sollen. Ich bin weiterhin zurückhaltend, weil ich
glaube, dass wir schauen müssen, was wir real für Kin-
der tun können. In den letzten Jahren hat sich viel getan.
Unser aller Auftrag ist im Sinne von Astrid Lindgren, ei-
nen kleinen Stein im Herzen zu tragen, der uns gemahnt:
„NIEMALS GEWALT!“ und „Hilfe für Kinder“.
Vielen Dank.