Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mardom
mohtaram Afghanestan, payane ISAF payane hambaste-
giye ma nist. Ma shoma ra faromoush nakhahim kard. –
Ich übersetze: Verehrtes Volk von Afghanistan, das Ende
von ISAF bedeutet nicht das Ende unserer Solidarität.
Wir werden Sie nicht vergessen.
Mit diesen Worten durfte ich meine letzte Rede zur
Verlängerung des ISAF-Mandats beenden. Ich finde,
diese Worte sollten weiterhin gelten, genauso wie sie im
Februar gegolten haben.
Es ist kein Geheimnis: Wenn ein Großteil der Trup-
pen abzieht, sinkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
relativ schnell. Es ist kein Geheimnis, dass mit dem Feh-
len der Aufmerksamkeit auch der Wille immer kleiner
wird, genau hinzuschauen, wie die Entwicklungen lau-
fen und welche Mittel man dafür braucht. Jetzt sehen wir
ja bereits, dass sich NGOs beklagen, dass ihre Mittel für
die Afghanistan-Arbeit kleiner werden. Aber gerade bei
Afghanistan dürfen wir nicht nachlassen und nicht in die
Aufmerksamkeitsfalle tappen, unabhängig davon, was in
anderen Teilen der Welt passiert.
Der Afghanistan-Einsatz ist der teuerste, aufwen-
digste und opferreichste Einsatz – nicht nur bei der Bun-
deswehr, sondern auch, wie wir wissen, bei den Afgha-
ninnen und Afghanen – in der bundesrepublikanischen
Geschichte. Abertausende Entwicklungshelferinnen und
Entwicklungshelfer, Soldatinnen und Soldaten, Polizis-
tinnen und Polizisten, Diplomatinnen und Diplomaten
haben in Afghanistan am Wiederaufbau mitgearbeitet.
Ihnen gilt nicht nur unser Dank, sondern auch unsere
Verpflichtung, dass wir alles, was wir können, beitragen
mögen, dass die vielen Errungenschaften, die weit mehr
hätten sein können und müssen – das lag nicht an den
Menschen, die vor Ort gearbeitet haben –, nicht rückgän-
gig gemacht werden können.
Diese Verpflichtung gilt erst recht für die Menschen
in Afghanistan. Wir reden über Menschen, die sehr viel
Hoffnung haben, wir reden über ein sehr junges Volk.
70 Prozent der Bevölkerung sind zwischen 17 und
29 Jahre alt. Das ist eine Generation, die erstmals seit
Dekaden – der Krieg hat nicht mit ISAF angefangen; der
Krieg hat in den 70er-Jahren angefangen – erlebt, wie es
sein kann, wenn das Land ein Stückchen freier ist, wenn
man sich ein wenig mehr entfalten kann. Und es ist vor
allem eine Generation, die sich auch von Gewalt und
Drohungen nicht entmutigen lässt. Wenn man sich an-
schaut, dass 7 Millionen Menschen dieses Jahr zu den
Wahlen gegangen sind, dann sieht man, dass die Hoff-
nung dieser Menschen alles andere als verloren ist.
Aber diese Menschen haben nicht nur Hoffnung, son-
dern sie haben auch eine sehr große Unsicherheit. Die
Frage ist, welche Signale wir setzen und senden können,
damit diese Unsicherheit nicht Oberhand gewinnt und
damit die Hoffnung nicht verloren geht.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7089
Omid Nouripour
(C)
(B)
Wie geht es weiter mit der Regierung – es ist eine fra-
gile Situation –, wie geht es weiter mit der Unterstüt-
zung? Ich finde, wir sollten ein klares Signal setzen, dass
wir uns weiterhin langfristig und engagiert um Afghanis-
tan mit kümmern werden und dass wir helfen können
und helfen wollen, wo es geht, allen voran im zivilen
Bereich und in der Entwicklungspolitik. Ein gutes Bei-
spiel dafür ist die Polizeiarbeit, die zunächst sehr holprig
begonnen hat. Die deutsche Polizeiausbildung hat sehr
viel Gutes geleistet. Es gab sehr viele engagierte Polizis-
tinnen und Polizisten, die eine tolle Arbeit gemacht ha-
ben. Heute wissen wir, dass nicht nur die Alphabetisie-
rung in der afghanischen Polizei ein großer Erfolg war.
Deutsche Polizistinnen und Polizisten haben im Sinne
von „train the trainer“ 2 000 afghanische Polizistinnen
und Polizisten ausgebildet, die wiederum weitere Afgha-
nen ausbilden, damit sie dort arbeiten können.
Wir müssen einen klaren Schwerpunkt setzen auf Bil-
dung, auf berufliche Chancen und auf Arbeitsplätze in
Afghanistan. Wenn Sie mit jungen Menschen in Afgha-
nistan reden und sie fragen, welche Wünsche und Hoff-
nungen sie haben, dann hören Sie, dass sie die gleichen
haben wie alle anderen jungen Menschen auf der ganzen
Welt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass klar ist, dass
wir den Schwerpunkt dort setzen, wo es notwendig ist,
nämlich im Bereich Bildung und Arbeit.
Da müssen wir weiterhin dranbleiben und dürfen
nicht nachlassen beim Aufbau von Institutionen. Ich
sage ganz bewusst „Institutionen“ und nicht „Personen“.
Gerade in solch einem Land ist es umso wichtiger, dass
Institutionen funktionieren.
Wenn ich jetzt sehe, dass die afghanische Menschen-
rechtskommission, mit der wir seit Jahren hervorragend
zusammenarbeiten, die eine grandiose Arbeit leistet, da-
von bedroht ist, dass die Ernennung der Mitglieder nun
politisch motiviert ist, dann kann ich nur sagen, dass die
internationale Gemeinschaft das keineswegs tolerieren
darf. Wir müssen hier deutlich machen, dass die Men-
schenrechte – in einem Land wie Afghanistan in erster
Linie die Rechte von Mädchen und Frauen – für uns
nicht verhandelbar sind.
Mein Kollege Schmidt hat bereits darauf hingewie-
sen, dass wir mit einigen Punkten des heute vorliegen-
den Antrags der Bundesregierung nicht einverstanden
sind. Ich finde, dass zur Ehrlichkeit gehört, Herr Außen-
minister, dass man einen solchen Einsatz endlich einmal
evaluiert. Sie haben gesagt, man müsse da kritisch drauf-
schauen. Wir wünschen uns immer noch eine unabhän-
gige und wissenschaftliche Evaluation. Es ist natürlich
mehr als ein Skandal, dass die Bundesregierung nicht
bereit ist, ihre Verantwortung – und zwar ohne bürokrati-
sche Hemmnisse – für die vielen lokalen Kräfte, die ihre
Sicherheit für die Deutschen in Afghanistan geopfert ha-
ben, voll zu übernehmen.
Wir müssen und werden dranbleiben, damit diesen Men-
schen geholfen werden kann.
Wir werden nichtsdestotrotz dem vorliegenden An-
trag zustimmen, weil wir durch eine möglichst geschlos-
sene Haltung dieses Hohen Hauses das Signal senden
wollen, dass wir die Afghanen nicht vergessen.
Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden weiterhin
mit kritischem Blick sehr genau darauf achten, dass die
gemachten Versprechen auch gehalten werden. Unabhän-
gig davon, wie die Grünen sich in Bezug auf Resolute
Support verhalten werden, gilt für meine Fraktion – und
ich glaube, wir sind nicht die Einzigen – absolut und
ohne jegliche Vorbedingung: Wir werden die Afghanin-
nen und Afghanen nicht vergessen. Wir stehen zur Ver-
fügung, zu helfen, wo es geht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.