Vielen Dank, Herr Präsident. Ich war nur ganz kurz
etwas unsicher; denn Ihr Wort ist mir natürlich Befehl.
Aufgrund der Qualität der heutigen Schriftführerliste
kann das schon einmal passieren, dass man „Martin“
statt „Thomas“ liest.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir disku-
tieren heute über einen Antrag zum Meisterbrief. Man
muss sich den Hintergrund dieses Antrags vor Augen
führen. Die Europäische Kommission hatte festgestellt:
In vielen Handwerksbranchen, einschließlich des Bauge-
werbes, ist nach wie vor ein Meisterbrief oder eine
gleichwertige Qualifikation erforderlich, um einen Be-
trieb zu führen. – Liebe EU-Kommission, das ist richtig,
und daran werden wir festhalten.
Warum macht die Europäische Kommission Vorga-
ben? Ich glaube nicht, dass sie dies tut, um uns zu är-
gern. Was steckt dann also dahinter? Es ist die Frage:
Wie mobil können Menschen in Europa sein? Wie ein-
fach ist die Freizügigkeit in Europa gerade auch im be-
ruflichen Sektor?
Ja, es ist richtig, Mobilität zu fördern. Aber genauso
wichtig ist es, zu erkennen, dass Mobilität Qualität vo-
raussetzt, und Qualität im Bereich der Berufe und auch
im Bereich der beruflichen Bildung erreichen wir nur
durch eine starke Verzahnung von einem theoretischen
Teil und einem praktischen Teil, die dadurch sicherge-
stellt wird, dass Berufsschullehrer und Meister in her-
vorragender Art und Weise zusammenarbeiten. Liebe
Europäische Kommission, dies könnte doch ein Beispiel
für ganz Europa sein.
Über den Stellenwert von beruflicher Bildung und
akademischer Bildung ist bereits gesprochen worden. Da
schlagen – wie einige Kollegen wissen – zwei Herzen in
meiner Brust. Ich habe einen Gesellenbrief als Hei-
zungsmonteur und einen Doktortitel in Musikwissen-
schaft; eine typische ostdeutsche Bildungsbiografie, die
aber überall möglich ist.
– Es muss nicht jeder Musikwissenschaftler werden; das
ist in Ordnung. Aber dann wird man auch nicht gewählt;
das ist die Gefahr gerade in Thüringen. –
Diese beiden Herzen schlagen also in meiner Brust. Des-
wegen ist es mir wichtig, dass wir in dieser Debatte die
akademische nicht gegen die berufliche Bildung ausspie-
len, sondern die Gleichwertigkeit von beiden betonen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir für
den Verlauf der weiteren Beratung, dass wir die Gleich-
wertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung
anerkennen. Im Deutschen Qualifikationsrahmen haben
wir dazu einiges gesagt. Auch im Europäischen Qualifi-
kationsrahmen ist uns diesbezüglich Entscheidendes ge-
lungen. Lassen Sie uns daran festhalten.
Vor dem Hintergrund der Bildungsbiografien kann
man natürlich darüber diskutieren, ob es nicht besser
wäre, wenn eine berufliche Ausbildung der Regelfall
wäre und wenn der gesellschaftliche Druck, ein Studium
aufzunehmen, nicht noch mehr zunähme. Man kann
diese Frage stellen. Vor dem Hintergrund, dass ungefähr
30 Prozent der Studienanfänger ihr Studium vorzeitig
abbrechen, sollte man diese Frage sogar stellen. Dann zu
sagen – dieses Argument ist in dieser Debatte vorgetra-
gen worden –, dass bei einem Studienabbruch die beruf-
liche Bildung immer noch gut genug ist, halte ich für den
genau falschen Hinweis.
Wir müssen vielmehr sagen: Berufliche Bildung hat ih-
ren Wert, und aufgrund der Durchlässigkeit unseres Bil-
dungssystems kann jeder mit jeder Qualifikation alles er-
reichen. Das müssen wir den jungen Leuten noch
deutlicher sagen.
Was tun wir als Bund und wir Bildungspolitiker für
die berufliche Bildung? Wir setzen – Kollege Rabanus
hat es angesprochen – Geld ein. Das ist gut und richtig.
Das ist prima investiertes Geld. Aber auch in Sachen
Meisterbrief sind wir nicht untätig. Wir geben beispiels-
weise 24 Millionen Euro im Jahr für die Begabtenstif-
tung aus. Dadurch haben die Leute, die sich auf eine
Meisterprüfung vorbereiten, die Möglichkeit, bis zu zwei
Jahre lang einen bestimmten Betrag als Stipendium zu
erhalten.
Ich sage Ihnen: Drei Viertel der jungen Menschen, die
diese Förderung bekommen, nutzen sie, um eine Meis-
terprüfung abzulegen. Lassen Sie uns schauen, wie wir
sie noch weiter ausbauen können.
Führen wir uns noch einmal die duale Ausbildung vor
Augen. Als Bildungspolitiker ist mir dieses Thema ein
wichtiges Anliegen. Es geht nicht nur um die Frage, wie
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014 7077
Dr. Thomas Feist
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erfolgreich das Handwerk ist, sondern es geht auch um
das Image des Handwerks. Für junge Leute, die noch
nicht wissen, welchen Lebensweg sie einschlagen wol-
len – Berufsausbildung oder Studium –, spielt das Image
eine wichtige Rolle. Das Handwerk hat mit seiner
Imagekampagne viel dazu beigetragen, dass die Attrakti-
vität einer Ausbildung in einem Handwerksberuf gestie-
gen ist. Das spiegelt sich noch nicht überall in den Zah-
len wider; aber beispielsweise in Sachsen haben wir bei
den Ausbildungsverhältnissen im Handwerk im letzten
Jahr einen Zuwachs von 4 Prozent verzeichnen können.
Wir sollten den jungen Leuten sagen: Fangt eine Ausbil-
dung im Handwerk an, bringt euch ein, und später könnt
ihr euch vielleicht weiterqualifizieren. Das ist der rich-
tige Ansatz. Dazu sollten wir die jungen Leute ermuti-
gen.
Für die Ausbildung im Handwerk ist eine Person von
zentraler Bedeutung: der Meister. Der Meister steht wie
kein anderer für das Handwerk. Das sind Menschen, die
mitten im Leben stehen. Das sind Menschen, die Berufs-
und Bildungserfahrung haben. Das sind Menschen, die
sich für andere einsetzen. Da wir heute den Tag des Eh-
renamtes haben, kann man schon einmal sagen, dass
nicht nur das ehrenamtliche Engagement der Meister in
den Handwerkskammern ein hohes Gut ist, sondern auch
das darüber hinausgehende Engagement vieler Hand-
werksmeister. Beispielsweise engagieren sich viele für
die Weiterbildung derjenigen, die in ihrem ersten Bil-
dungsweg nicht so erfolgreich waren.
Wir sollten die Meister auch deswegen stärken, weil
wir dem Handwerk ein Gesicht geben müssen. Deswe-
gen ist dieser Antrag trotz aller Kritik am Antragstext,
die verschiedentlich geäußert worden ist, wichtig. Es ist
doch richtig, dass sich das deutsche Parlament in diese
Debatte einbringt und sagt: Wir entscheiden uns für eine
Unterstützung des Handwerks; wir entscheiden uns für
eine Unterstützung des Meisterbriefs. – Das ist doch ein
wichtiges Signal nach draußen.
– Den Elan habe ich mir von Ihnen, Frau Andreae, abge-
schaut.
Allerdings: Ich fokussiere mich auf die Inhalte. Das ist
der Unterschied.
Wenn wir nach Europa und darüber hinaus schauen,
dann stellen wir fest, dass oft gefragt wird: Wie können
wir etwas für unsere jungen Menschen im Bereich der
dualen beruflichen Bildung tun? – Oftmals wird verges-
sen, welchen Anteil die Unternehmen mit ihren Meistern
an der Ausbildung haben und welche finanziellen Mittel
eingesetzt werden. 24 Milliarden Euro im Jahr, die die
Unternehmen einsetzen, sind doch kein Pappenstiel. Üb-
rigens sind viele davon kleine und mittlere Unterneh-
men, die einen Meister oder eine Meisterin an der Spitze
haben.
Schauen wir einmal über Europa hinaus. Wo sind
denn die Länder, in denen Hochtechnologie und Produk-
tion, also Wertschöpfung im eigenen Land, am besten
miteinander verbunden werden? Da fällt mir ein schönes
Beispiel aus Israel ein. Dort gibt es einen Kibbuz, der
Beth El heißt. Der stellt unter anderem Hochtechnolo-
giegüter her. Der Kibbuz hat eine eigene Berufsschule
mit Meistern. Dort werden nicht nur die eigenen Leute
ausgebildet, sondern auch viele Zuwanderer, für die
diese Ausbildungsstätte der erste Anlaufpunkt und eine
Chance für eine gelungene Integration in die Gesell-
schaft ist. Dieses Modell sollte uns doch Mut machen.
Wenn wir außerhalb unseres Landes unser System entde-
cken, sollten wir stolz darauf sein und dazu stehen.
Dass der Meisterbrief in Deutschland auch in letzter
Zeit eine stärkere Aufmerksamkeit erfahren hat, sieht
man nicht zuletzt daran, dass sich auch unser Bundesprä-
sident zu diesem Thema mehrfach geäußert hat. Ende
November war Bundespräsident Gauck in Dresden und
hat dort an einer Meisterfeier teilgenommen. Er hat da-
von gesprochen, wie wichtig diese Säule in Deutschland
ist.
Dazu muss ich sagen: Ich verstehe oftmals Vorbehalte
unserer europäischen Partner, die sagen: Jetzt kommen
die Deutschen und wissen schon wieder irgendetwas
besser. – In diesem Punkt kann ich sie beruhigen. Wir
wissen nicht nur etwas besser, sondern wir machen das
auch besser. Deswegen sollte dieses Modell des Meister-
briefs auch in Europa das Modell sein, an dem wir uns
orientieren.
Da es manchmal schwierig ist, von Brüssel nach Ber-
lin zu schauen und zu wissen, was die Abgeordneten hier
machen, würde ich der Kommission empfehlen, in den
Dokumenten nachzuschauen, die von der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates in Straßburg veröf-
fentlicht worden sind. Dort habe ich in diesem Jahr eine
Rede zu diesem Thema gehalten, das nach Europa ge-
hört. Mit einem kurzen Zitat möchte ich schließen:
Exzellenz in der beruflichen Bildung heißt für mich
und meine Kollegen aus dem Deutschen Bundes-
tag, dass wir uns über gemeinsame Ausbildungs-
standards an dem orientieren, was in Deutschland
und anderen Ländern der Gesellenbrief und der
Meisterbrief ist. Auf diese Weise schaffen wir Mo-
bilität im beruflichen Sektor auf hohem und höchs-
tem Niveau. Mobilität der exzellent Qualifizierten
statt Mobilität der Unterbezahlten. Mobilität mit
Mehrwert für alle. Und ein Stück mehr Gerechtig-
keit für junge Menschen in Europa.
Vielen Dank.
7078 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
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