Rede von
Klaus
Ernst
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist gut, dass wir diesen Antrag hier behan-
deln. Es ist auch gut, dass wir das Handwerk würdigen.
Vieles in Ihrem Antrag können wir mittragen, insbeson-
dere die Kritik an der Handwerksnovelle 2004, die eben
auch zum Ausdruck kam. Es freut mich sehr, dass es da
wohl einen Meinungsumschwung bei den Sozialdemo-
kraten gab. Daher ein kurzer Rückblick.
Worum ging es damals? Ich habe es in den alten Pro-
tokollen mit Freude nachgelesen und festgestellt: Das
war ja die Zeit, in der Rot-Grün alles deregulieren wollte
und auch vieles davon umgesetzt hat – von der Arbeit
bis zu den Finanzmärkten. Auch die Handwerksordnung
blieb damals nicht ausgenommen. Es war der heute von
Ihnen nicht mehr so geliebte Herr Clement, der ja aus
der Partei ausgeschieden ist – nach mehreren Ausschluss-
anträgen ist er ausgetreten –, der 2004 diese Novelle be-
gründet hat.
Wie war der Zustand bis 2004? Bis 2004 war es üb-
lich, dass man für das Betreiben eines Handwerksbe-
triebs einen Meisterbrief brauchte. Übrigens war die
CDU/CSU damals mit der Reform nicht einverstanden;
sie hatte eine andere Haltung. Ich fand das gut, als ich
das in den Protokollen gelesen habe.
Mit der gesetzlichen Änderung wurde für mehr als die
Hälfte der Gewerke die Meisterpflicht als Voraussetzung
für das Betreiben eines Handwerksbetriebs abgeschafft.
Heute ist für viele Bereiche nicht einmal mehr ein Gesel-
lenbrief notwendig. Einige Beispiele und Blüten: Ein
Maler und Lackierer braucht bis heute einen Meister-
brief, ein Fliesenleger nicht. Ebenfalls muss ein Fein-
werkmechaniker Meister sein, ein Uhrmacher nicht. Ein
Schuhmacher muss kein Meister sein, ein Orthopädie-
schuhmacher schon. Ein Friseur muss Meister sein – das
gilt natürlich auch für Friseurinnen –, ein Feinoptiker
nicht. – Welchen Unfug haben Sie damals eigentlich be-
schlossen?
Bis heute sind die betroffenen Menschen, die Handwer-
ker, über diese Entwicklung stinksauer, und zwar zu
Recht, weil es absolut unlogisch ist.
Meine Damen und Herren, es war nicht alles schlecht:
Langjährige Berufserfahrung wurde aufgewertet, und das
Inhaberprinzip, nach dem der Inhaber des Betriebes un-
bedingt auch Meister sein musste, wurde mit der Novelle
abgeschafft. Aber im Kern haben Sie – das betrifft die
SPD, aber auch die Grünen, die damals mit im Boot wa-
ren – mit diesem Gesetz das Handwerk und damit auch
die qualifizierte Ausbildung massiv geschwächt. Diesen
Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen.
Heute haben die Kunden, die einen Handwerker be-
auftragen, nicht mehr die Gewähr, dass sie einen ausge-
bildeten Fachmann bekommen. Wir stimmen ausdrück-
lich mit Ihrem Antrag überein: Der Erfolg der dualen
Ausbildung im Handwerk hängt mit der Meisterqualifi-
kation zusammen. In Ihrem Antrag schreiben Sie – las-
sen Sie mich daraus zitieren –:
… die Zahl der Gesellenprüfungen im nicht mehr
meisterpflichtigen Fliesen-, Platten- und Mosaikle-
gerhandwerk ging von 1.665 im Jahr 2003 auf 658
im Jahr 2010 zurück. … die Zahl der Meisterprü-
fungen von 557 auf 84.
Selbstverständlich hat das Auswirkungen auf die er-
brachte Arbeit.
Sie halten in Bezug auf die Handwerksnovelle auch
fest – ich zitiere –, „dass Deregulierung nicht zwangs-
läufig zu einem Wachstumsschub und … mehr Beschäf-
tigung führt“. Ich wiederhole es, weil es so schön ist:
Deregulierung führt nicht zwangsläufig zu einem
Wachstumsschub und mehr Beschäftigung. – Das gilt al-
lerdings nicht nur für das Handwerk; das gilt auch für
andere Bereiche.
Sie sollten sich den Satz aus Ihrem Antrag wirklich zu
Gemüte führen.
2003 forderten Sie noch für die meisterfreigestellten
Gewerke – ich zitiere –:
Zumindest … müssen die Gesellenprüfung und die
Ausbildereignungsqualifikation nachgewiesen wer-
den.
Sie forderten eine Revisionsklausel. Alle sieben Jahre
sollte die geltende Liste der Meisterberufe überprüft
werden. Seit 2005 ist die CDU/CSU mit an der Macht.
Was ist mit Ihren Forderungen von damals? Ich hätte
mich gefreut, wenn Sie in Ihren Antrag die Forderung
aufgenommen hätten, die Liste zu überprüfen oder das
zu revidieren. Aber nein, das bleiben Sie in Ihrem An-
trag schuldig. Einen entsprechenden Antrag von uns ha-
ben Sie abgelehnt.
Dabei gibt es seit 2004 viele offene Fragen, die da-
mals auch hier im Bundestag diskutiert worden sind. Ei-
nige davon möchte ich Ihnen noch einmal stellen: Wie
viele der nicht mehr meisterpflichtigen Gewerke werden
noch von einem Meister geführt? Hat die Freiwilligkeit,
einen Meister zu machen, irgendeine Auswirkung ge-
habt? Wie wirkt sich die Novelle auf die Ausbildungs-
leistung aus? Wie wirkt sich die Novelle auf die Qualität
der Arbeit aus? Wie wirkt sich die Novelle auf die Be-
schäftigung und insbesondere auf die sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigung aus? – Alle diese Fragen
stehen im Raum. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie in Ih-
rem Antrag ein Stück weit in diese Richtung diskutiert
hätten.
Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren: Wer
den Meisterbrief verteidigen will, tut das am besten, in-
dem er innerhalb der Organisation des Handwerks, den
Handwerkskammern, für demokratische Zustände sorgt.
Auch das erhöht die Glaubwürdigkeit gegenüber der Eu-
ropäischen Union. Da haben wir einen Nachholbedarf;
das wissen Sie. Man braucht nur die Presse zu lesen, um
zu wissen, was da zum Teil intern los ist.
7060 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Klaus Ernst
(C)
(B)
In Ihrem Antrag fordern Sie von der Bundesregie-
rung, also eigentlich von sich selber, das Handwerk vor
dem Zugriff der Europäischen Union zu schützen. Rich-
tig; das teilen wir völlig. Aber was ist denn, wenn die
internationalen Handelsabkommen CETA und TTIP tat-
sächlich kommen? Können Sie ausschließen, dass die
Handwerksordnung im Rahmen dieser Handelsabkom-
men nicht als klassische Marktzugangsschranke für
Amerikaner und Kanadier gewertet wird? Können Sie
ausschließen, dass die verbleibenden 41 Gewerke, für
die ein Meisterbrief und damit eine vernünftige Qualifi-
kation im Interesse der Kunden erforderlich ist, nicht
auch als Handelsschranke angesehen werden? – Meine
Damen und Herren, das können Sie nicht. Trotzdem be-
fürworten Sie diese Handelsabkommen. Das ist ein Pro-
blem. Darüber müssen Sie einmal nachdenken.
Meine Damen und Herren, Sie promoten eine mög-
lichst weitgehende Liberalisierung und Deregulierung
und wundern sich am Ende, dass genau diese Liberali-
sierung und Deregulierung den Meisterbrief und andere
Standards gefährden. So gut Ihr Antrag auch gemeint
sein mag: Ihre Politik geht nach dem Motto „Mitma-
chen, um Schlimmeres zu verhindern“, „Das haben wir
nicht gewollt“ und zum Schluss „Wie konnte es dazu
kommen?“.
Ich hoffe, dass Sie bezüglich der Handelsabkommen
noch einmal darüber nachdenken.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag geht in die rich-
tige Richtung. Er wäre glaubwürdiger und meines Er-
achtens für das Handwerk erfolgreicher, wenn Sie versu-
chen würden, den Unsinn von 2004 zu korrigieren. Sie
von der CDU/CSU wollten das damals. Inzwischen sind
Sie mit der SPD in einer Koalition. Die machen sicher
mit.
Danke fürs Zuhören.