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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/10 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 10. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 I n h a l t : Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 561 A Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung durch die Bundes- kanzlerin mit anschließender Aussprache . . . 561 B Dr. Angela Merkel,  Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 C Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 571 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 575 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 583 A Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 586 B Monika Grütters, Staatsministerin  BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 592 A Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 C Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 595 D Martin Dörmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 A Außen, Europa und Menschenrechte . . . . . 598 C Dr. Frank-Walter Steinmeier,  Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 600 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 601 D Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 606 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 606 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 608 C Tagesordnungspunkt 2: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der inte- grierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) sowie des Beschlusses des Nordatlantikrates vom 4. Dezember 2012 Drucksachen 18/262, 18/347. . . . . . . . . . . 609 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung  Drucksache 18/382 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 A Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 610 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . 610 D Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 612 B Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 613 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 614 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 B Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 616 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . 616 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 618 A Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 D Tagesordnungspunkt 3: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour im gesam- ten Mittelmeer Drucksachen 18/263, 18/348 . . . . . . . . . . . 618 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung  Drucksache 18/383 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 623 A Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 624 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 B Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 D Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 626 D Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 A Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 627 B Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 C Tagesordnungspunkt 4: a) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Einsetzung des Ver- trauensgremiums gemäß § 10a Ab- satz 2 der Bundeshaushaltsordnung Drucksache 18/358. . . . . . . . . . . . . . . . 627 C – Wahl der Mitglieder des Vertrauens- gremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung Drucksache 18/359. . . . . . . . . . . . . . . . 627 C b) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Gremiums gemäß § 3 des Bundes- schuldenwesengesetzes Drucksache 18/360. . . . . . . . . . . . . . . . 627 C – Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschulden- wesengesetzes Drucksache 18/361. . . . . . . . . . . . . . . . 627 C c) Wahl der Mitglieder des Wahlausschus- ses für die vom Deutschen Bundestag zu berufenden Richter des Bundesverfas- sungsgerichts gemäß § 6 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Drucksachen 18/362, 18/363, 18/364, 18/365 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 C d) Wahl der Mitglieder des Ausschusses für die Wahl der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes (Richterwahlaus- schuss) Drucksachen 18/366, 18/367, 18/368, 18/369 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 C, D; 660 A Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung durch die Bundes- kanzlerin  (Fortsetzung der Aussprache) . . . . . . . . . . . . . 631 D Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 633 D Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 635 D Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 637 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . 638 A Kathrin Vogler (DIE LINKE). . . . . . . . . . . 638 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 641 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 A Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 645 A Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 D Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 C Dr. Gerd Müller, Bundesminister  BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 649 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 650 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 III Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 652 D Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 653 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 A Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 657 A Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 658 C Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . . 661 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesre- gierung: Fortsetzung der Entsendung bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Natio- nen) sowie des Beschlusses des Nordatlantik- rates vom 4. Dezember 2012 (Tagesordnungs- punkt 2) Cansel Kiziltepe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 661 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 661 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 561 (A) (C) (D)(B) 10. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 Beginn: 11.00 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 661 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidi- gung der NATO auf Ersuchen der Türkei und auf Grundlage des Rechts auf kollektive Selbst- verteidigung (Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen) sowie des Beschlusses des Nordatlan- tikrates vom 4. Dezember 2012 (Tagesord- nungspunkt 2) Cansel Kiziltepe (SPD): Ich konnte der Mandats- verlängerung der Operation Active Fence nicht zustim- men.  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 29.01.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 29.01.2014 Freese, Ulrich SPD 29.01.2014 Gerdes, Michael SPD 29.01.2014 Heller, Uda CDU/CSU 29.01.2014 Juratovic, Josip SPD 29.01.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.01.2014 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 29.01.2014 Rüthrich, Susann SPD 29.01.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.01.2014 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 29.01.2014 Steinbrück, Peer SPD 29.01.2014 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 29.01.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29.01.2014 Die Entwicklung in Syrien bedaure ich zutiefst, vor allem das Leiden der Zivilbevölkerung im Bürgerkrieg verurteile ich aufs Schärfste. Es muss das Ziel sein, so bald als möglich einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien herbeizuführen. Gerade werden in Genf die ersten Verhandlungen zu einer Lösung des syrischen Konflikts geführt. Ich begrüße und unterstütze diesen Verhandlungsprozess. Für meinen Entschluss, der Mandatsverlängerung nicht zuzustimmen gibt es gute Gründe. Die Gesamtkon- zeption des Einsatzes ist, abgesehen von einer symboli- schen Solidaritätshandlung gegenüber der Türkei, frag- lich. So sind die Patriot-Flugabwehrraketenstellungen nicht geeignet, um gegnerische Artillerie- oder Mörser- granaten abzuwehren. Dies ist jedoch die einzige realis- tische Bedrohung, welche aktuell für die Türkei von Sy- rien ausgeht. Des Weiteren ist die Befürchtung eines möglichen Einsatzes von syrischem Giftgas hinfällig ge- worden. Seit der Resolution des Sicherheitsrats der Ver- einten Nationen zur Vernichtung der syrischen Chemie- waffen und dem bereits begonnenen Abtransport dieser Waffen ist dieses Bedrohungsszenario ausgeschlossen. Mit einem Abzug der Patriot-Flugabwehrraketenstel- lungen könnte von westlicher Seite ein Signal für eine Entmilitarisierung und Deeskalation der Region gesen- det werden. Es muss in erster Linie um die humanitäre Situation der Menschen in Syrien sowie der syrischen Flüchtlinge in den Anrainerstaaten gehen und nicht um ein sehr unwahrscheinliches Bedrohungsszenario. Das Ende des Patriot-Mandats in der Türkei wäre ein erstes Signal vonseiten der NATO, dass eine friedliche Lösung für Syrien gewünscht ist. Dies gilt insbesondere als Un- terstützung für die aktuellen Friedensverhandlungen in Genf. Denn ohne einen stabilen Waffenstillstand ist der Weg hin zu Frieden und humanitärer Hilfe unmöglich. Ähnlich wie es ein symbolischer Akt war, im Winter 2012/13 der Türkei die Bündnissolidarität deutlich zu zeigen, ist es heute angesagt, ein Zeichen zur Deeskala- tion und für die Friedensverhandlungen zu setzen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Ich stimme gegen den Antrag der Bundesregierung, deutsche Truppen an die türkisch-syrische Grenze zu entsenden, vor allem auch, weil die Begründung für den Einsatz auf einer Lüge und einer massiven Täuschung von Öffentlichkeit und Parlament durch die Bundesregierung beruht. Im Antrag der Bundesregierung zur Entsendung deut- scher Streitkräfte in die Türkei (NATINADS) heißt es unter Abs. 2, „Völkerrechtliche Grundlagen“, wörtlich: Auf Antrag der Türkei waren im Nordatlantikrat am 26. Juni und 3. Oktober 2012 Konsultationen nach Art. 4 des Nordatlantikvertrages durchgeführt wor- den. Angesichts einer dargelegten Bedrohung der Un- versehrtheit des türkischen Staatsgebiets und der ei- genen Sicherheit hatte der Nordatlantikrat auf An- Anlagen 662 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 (A) (C) (D)(B) trag der türkischen Regierung vom 21. November 2012 am 4. Dezember 2012 beschlossen, die Fähig- keiten im Bereich der integrierten Luftverteidigung der NATO zu verstärken. Mit ihrem Beschluss und einer entsprechenden Ver- legung schuf die NATO die Voraussetzung für die beteiligten Parteien, für den Fall eines bewaffneten Angriffes auf die Türkei (Artikel 5 des Nordatlan- tikvertrags) vom Recht zur individuellen oder kol- lektiven Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) Gebrauch machen zu kön- nen. Anlass dieser Konsultationen war zunächst der ver- meintliche Abschuss eines türkischen Aufklärungsflug- zeuges und später der vermeintliche Granatenbeschuss durch die syrische Armee. Auf dieser Grundlage und bei diesen Gelegenheiten wurde die Bedrohung der Türkei nach Art. 4 des Nordatlantikvertrages festgestellt. In ei- ner Erklärung des Nordatlantikrates nach diesem Treffen wurde festgestellt, dass es sich um einen „unacceptable“ Akt handele, der zu verurteilen sei. Zudem wurde der vermeintliche Abschuss des türkischen Kampfflugzeugs als weiteres Beispiel der syrischen Behörden in ihrer Missachtung völkerrechtlicher Normen, des Friedens, der Sicherheit und des menschlichen Lebens betrachtet, so der NATO-Rat. Auf diese Weise ist die NATO als for- males Verteidigungsbündnis überhaupt erst ins Spiel ge- kommen, und das hat die Türkei in ihrem eskalierenden Kurs gegenüber Syrien gestärkt. Die Darstellung der türkischen Regierung und der Vorwurf der NATO lautet also, dass die syrische Luftab- wehr über internationalen Gewässern ein Aufklärungsflug- zeug der türkischen Armee abgeschossen hätte, nachdem dieses versehentlich – und zwar im Tiefflug – in syri- schen Luftraum eingedrungen wäre. Ursächlich und un- umstritten liegt also eine türkische Verletzung des syri- schen Hoheitsgebietes vor. Dass aber der Abschuss über internationalen Gewäs- sern stattfand, wurde schnell bezweifelt; die Kenntnisse der NATO weichen von den Angaben der Türkei über die Absturzstelle ab und werden zudem geheim gehal- ten. Die Bundesregierung hat die Geheimhaltung dieser Informationen verteidigt und in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage entsprechend dargelegt: „Eine Offenle- gung könnte zur Folge haben, dass dem Bundesnachrich- tendienst künftig keine schutzbedürftigen Erkenntnisse anvertraut werden.“ (Bundestagsdrucksache 17/13515) Ich stimme gegen die Entsendung deutscher Bundes- wehrsoldaten, auch weil der Standpunkt der Bundesre- gierung einfach nicht der Wahrheit entspricht. Denn sicher ist doch, dass das türkische Flugzeug von keiner Rakete getroffen wurde, womit ein Abschuss in internationalem Luftraum ausscheidet. Mittlerweile er- scheint zweifelhaft, ob es überhaupt einen Beschuss des türkischen Flugzeugs gab oder dieses nicht aufgrund des riskanten Manövers und veralteter Technik abgestürzt ist. In einem Text der International Crisis Group heißt es hierzu: „Wie auch immer, es wurden keine Anzeichen ei- nes Raketeneinschlags auf dem Wrack des Flugzeugs, einer Phantom F4, entdeckt.“ Auch die Stiftung Wissen- schaft und Politik schreibt zu diesem Vorfall und der er- zwungenen Landung eines aus Moskau kommenden sy- rischen Flugzeugs: „In beiden Fällen musste die Türkei schon bald einräumen, dass ihre jeweilige Darstellung unrichtig war“. Trotzdem haben der NATO-Generalsekretär und der Nordatlantikrat, an dem Vertreter der Bundesregierung teilgenommen haben, denen zu diesem Zeitpunkt schon eigene und von der türkischen Darstellung stark abwei- chende Informationen vorlagen, anlässlich der Art.-4- Konsultationen gegenüber der Öffentlichkeit folgende Aussage gemacht: „Das ist ein weiteres Beispiel für die Missachtung der internationalen Normen, des Friedens, der Sicherheit und des Menschenlebens durch das syri- sche Regime.“ Damit haben die NATO, deren Generalsekretär und die deutsche Bundesregierung die Öffentlichkeit be- wusst und gezielt falsch informiert. Noch am 7. November 2012 wertete die Bundesregie- rung den vermeintlichen Abschuss des türkischen Mili- tärjets als „unverhältnismäßigen Akt“. Im Mai 2013 be- gründete sie diese Einschätzung mit „den zugrunde gelegten Informationen, dass ein Abschuss im interna- tionalen Luftraum ohne Vorwarnung erfolgt sei“. Bereits im November 2013 spätestens lagen jedoch auch der Bundesregierung die Erkenntnisse der NATO vor, wo- nach der Abschuss nicht in internationalem Luftraum er- folgt sein kann – sofern er überhaupt erfolgt ist. Ich stimme gegen eine Entsendung der Patriot-Rake- ten, weil auch der zweite Grund, der angebliche Grana- tenbeschuss durch syrische Streitkräfte ohne vorherige Angriffe türkischer Streitkräfte, äußerst zweifelhaft ist: Denn was die zweiten Konsultationen angeht, so er- folgten diese aufgrund von vermeintlichem Granatenbe- schuss türkischen Territoriums von Syrien aus. Auch hier wurden schnell auch aus NATO-Kreisen Zweifel laut, ob diese tatsächlich von der syrischen Armee oder den eng mit der Türkei kooperierenden Rebellen abge- schossen wurden: NATO-Vertreter gaben an, dass es sich um Granaten aus NATO-Beständen handelte. Eine Un- tersuchung der Vorfälle hat nach Angaben der Bundesre- gierung nicht stattgefunden und sei auch nicht angestrebt worden; auch hier hat man sich einfach und unkritisch der türkischen Darstellung angeschlossen. Die Bundes- regierung hat dazu keine eigenen Informationen und auch keine eigenen Untersuchungen angestrebt, aber „geht davon aus“, dass es zumindest in einem Fall Ende September „Beschuss türkischen Territoriums durch sy- rische Artilleriekräfte gab“. Am 3. Oktober 2012, am Tag der zweiten NATO-Konsultationen, gab es auch Be- schuss syrischen Territoriums durch die türkische Ar- mee. Hierzu gibt die Bundesregierung an, dass ihr „über die Presseberichterstattung hinaus … keine eigenen Er- kenntnisse“ vorlägen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Türkei zweifellos Handlungen vorgenommen hat, die völker- rechtlich als Angriffshandlungen gewertet werden kön- nen, Bundesregierung und NATO diese jedoch nicht zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 10. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2014 663 (A) (C) (B) Kenntnis nehmen. Demgegenüber werden vermeintliche Reaktionen der syrischen Armee auf diese Angriffshand- lungen als „Bedrohung der Unversehrtheit des türki- schen Staatsgebiets“ aufgefasst, welche die „Solidarität“ des Bündnisses unter anderem in Form der Patriot-Sta- tionierung aktivieren. Ich stimme gegen die Patriot-Entsendung, weil die Abgeordneten von der Bundesregierung bisher regel- recht getäuscht worden sind. Beide Begründungen für die Entsendung der Patriots sind schlicht nicht haltbar. Ich finde, in einer so wichtigen Frage, wenn es um Krieg oder Frieden geht, wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten, wie den abweichen- den NATO-Bericht, ist schon bemerkenswert. Da ist et- was ins Rutschen geraten, was die Demokratie in Deutsch- land insgesamt infrage stellt. Mit der Befreiung vom Faschismus und vom deutschen Militarismus hatte die Bundesrepublik einst auch mit einer Kriegspolitik gebro- chen, die von einer Geheimdiplomatie vorbereitet wird. Dies steht jetzt infrage. Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung manipuliert Informationen, um Aus- landseinsätze der Bundeswehr zu legitimieren. Deshalb stimme ich gegen den Einsatz der Bundeswehr. Der Fall der Patriots, aber nicht nur dieser Fall, zeigt klar und deutlich: Um Auslandseinsätze durchzusetzen, werden Öffentlichkeit und Parlament gnadenlos belogen. Wer dann auch nur wagt, kritisch nachzufragen, wird als Assad-Unterstützer diffamiert. Das ist ein Prinzip, das sich in Deutschland leider mittlerweile etabliert hat. Die NATO hat diese Kriegslüge mit auf den Weg gebracht. Sie wusste, dass an der türkischen Version etwas nicht stimmen kann. Damit werden die Deutschen mit zu Geiseln der AKP und der Brüsseler NATO-Zentrale und ihrer Desinformationspolitik. Von Bündnisverteidi- gung kann keine Rede mehr sein. Man kann sich des Ein- drucks nicht erwehren, als ginge es darum, die Bundes- wehr in möglichst viele Auslandseinsätze zu schicken. Die NATO sucht zudem nach ihrer sich abzeichnenden Niederlage am Hindukusch nach neuen Betätigungsfel- dern. Dass sie nunmehr an der Seite von islamistischen Milizen und Al-Qaida-Kämpfern in Syrien steht, ist mehr als eine Ironie der Geschichte. Für mich ist es ein Verbrechen. (D) 10. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin TOP 1 Außen, Europa und Menschenrechte TOP 2 Bundeswehr-Einsatz OAF (Türkei) TOP 3 Bundeswehr-Einsatz OAE TOP 4 a Wahl: Vertrauensgremium TOP 4 b Wahl: Gremium Bundesschuldenwesengesetz TOP 4 c Wahl: Wahlausschuss Bundesverfassungsrichter TOP 4 d Wahl: Richterwahlausschuss TOP 1 Verteidigung TOP 1 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Lammert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Nächster Redner ist der Kollege Anton Hofreiter für

    die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


    (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
    Kollegen! Lassen Sie mich aufgrund der aktuellen Ereig-
    nisse ganz kurz etwas zur Ukraine sagen. Nach den Er-
    gebnissen der letzten Tage ist die Hoffnung größer ge-
    worden, dass es eine friedliche Lösung gibt. Aber wir
    erwarten von Europa, wir erwarten insbesondere auch
    von der Bundesregierung, dass sie sich stark dafür einset-
    zen, dass es eine friedliche und demokratische Lösung
    gibt und dass die demokratische und proeuropäische Op-
    position nicht alleingelassen wird. Diese Erwartung ha-
    ben wir an Sie.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzle-
    rin, Sie haben über die Regierungspolitik in den kom-
    menden vier Jahren gesprochen. Sie haben die Unterstüt-
    zung von 80 Prozent der Abgeordneten hier. Das sind
    viele; das bezweifeln wir nicht. Aber Masse macht noch
    nicht automatisch Klasse. Ihre Mehrheit ist groß, der Ko-
    alitionsvertrag ist dick. Aber Ihr Regierungsprogramm
    ist zukunftsvergessen, perspektivlos, eine Verwaltung
    des Stillstandes.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die Große Koalition denkt nicht an morgen. Sie stellt
    nicht das Klima, sondern die Kohle unter Schutz. Sie in-
    vestiert nicht in die Zukunft. Und die rechte Hand der
    Koalition zündelt am gemeinsamen Haus Europa. Das
    ist ein arg kleiner Plan für so viel Masse, Frau Merkel.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Vor kurzem stand in der Zeitung: Angela Merkel ist
    auf dem Zenit ihrer Macht und am Tiefpunkt ihrer in-
    haltlichen Ansprüche angekommen. – Eine treffende Be-
    merkung! Dazu fällt mir ein altes Bild ein. Sie haben
    sich einmal als Klimakanzlerin inszeniert – erinnern Sie
    sich noch? Das schöne Bild von Ihnen mit der roten Ja-
    cke vor den fotogenen Eisbergen in Grönland. Was ist
    davon übrig geblieben? Ich kann nichts erkennen. Frau
    Merkel, Herr Gabriel, verspielen Sie die Chance nicht,
    die Ihnen die Menschen gegeben haben. Gehen Sie die
    großen Herausforderungen unserer Zeit an.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Was ist eigentlich Ihre Idee für die kommenden vier
    Jahre, Frau Merkel? Ich habe Ihnen gut zugehört, auch
    wenn es manchmal nicht einfach war, aber ich habe
    nichts gefunden. Sie setzen auf den kleinsten gemeinsa-
    men Nenner, anstatt etwas Großes zu wagen. Je größer
    die Mehrheit, desto kleiner der Anspruch, so scheint es
    zu sein. Das ist wohl die Realität dieser Großen Koali-
    tion.

    „Deutschlands Zukunft gestalten“ steht auf dem Titel-
    blatt des Koalitionsvertrages. „Den Status quo verwal-
    ten“ wäre die treffendere Bezeichnung gewesen. Überall
    da, wo neue Wege dringend erforderlich sind, hat die
    Dagegen-Partei CDU blockiert: gegen den Ausbau der
    Infrastruktur, gegen eine faire Verteilung der Steuerlast,
    gegen Klimaschutz, gegen Datenschutz, gegen Verbrau-
    cherrechte, gegen Gleichberechtigung und Gleichstel-
    lung. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Jetzt sitzen Sie, Frau Merkel, zum dritten Mal als neu
    gewählte Kanzlerin hier. Ich gratuliere Ihnen ehrlich und
    wünsche Ihnen wirklich gute Besserung. Sie falten die
    Hände zur Raute und sagen schöne Worte. Sie wollen
    die Banken und Finanzmärkte regulieren.


    (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist doch gut!)


    Wäre das Ihre erste Regierungszeit, würde ich sagen:
    Richtig! Aber Sie regieren seit acht Jahren, und passiert
    ist fast nichts.


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 30 Projekte!)


    Der Soziologe Ulrich Beck bezeichnet solch ein Verhal-
    tensmuster als verbal aufgeschlossen bei weitgehender
    Verhaltensstarre.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Alles soll so bleiben, wie es ist. Aber ohne Verände-
    rung gibt es keine gute Zukunft in Deutschland und Eu-
    ropa, ob beim Klimawandel, der Erhaltung unseres
    Wohlstandes oder beim Zusammenhalt unserer Gesell-
    schaft. Gestalten statt verwalten: Darum muss es gehen.
    Aber dazu scheinen Ihnen der Mut, die Ideen oder viel-
    leicht sogar beides zu fehlen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
    kommt es Ihnen, wenn Sie morgens in Richtung Parla-
    ment laufen, nicht manchmal seltsam vor, dass Sie jetzt
    mit der Union die Politik machen, die Sie noch vor ein
    paar Monaten ach so sehr bekämpft haben? Wie sehr ha-
    ben Sie die ungleiche Verteilung von Vermögen und Ein-
    kommen beklagt. Was wollten Sie in der Steuerpolitik
    nicht alles anders machen. Und was haben Sie davon
    durchgesetzt?

    In Deutschland leben über 2,5 Millionen Kinder unter
    der Armutsgrenze. Was aber unternehmen Sie, um das
    zu ändern? Wie viel mehr haben Sie dafür übrig? Laut
    Ihrem Koalitionsvertrag nicht 1 Cent mehr. Ist das wirk-
    lich Ihr Ernst, Herr Gabriel?





    Dr. Anton Hofreiter


    (A) (C)



    (D)(B)

    Auch wenn es schön ist, dass Frau Schwesig nach-
    träglich Vorschläge macht, gilt auch hier: Für eine
    Ministerin ist reden allein zu wenig. Im Wahlkampf
    wollten Sie von der SPD die Steuern erhöhen, um in
    Schulen und Kitas zu investieren. Aber jetzt tragen Sie
    eine Politik mit, die diese Probleme ignoriert.

    Wie sehr haben Sie für einen radikalen Kurswechsel
    in der Europapolitik gekämpft. Jetzt tragen Sie die Poli-
    tik der Kanzlerin einfach mit, als ob nie etwas gewesen
    wäre. Sie waren gegen eine Politik für Banken und, wie
    Sie schrieben, Finanzjongleure. Jetzt müssen Sie diese
    Politik mittragen.

    Sie wollten für ein gemeinsames Haus Europa eintre-
    ten. Nun sitzen Sie am Kabinettstisch, mit Ihren neuen
    Freunden von der CSU, die auf das gemeinsame Haus
    Europa eintreten. Diesen ekelhaften Populismus der
    CSU gegen Rumänen und Bulgaren konnten Sie in Ihrer
    eigenen Koalition nicht unterbinden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
    Ihr Wahlprogramm hieß „Das WIR entscheidet.“ Sie ha-
    ben es vielleicht schon gemerkt: Es ist meist die Kanzle-
    rin, die entscheidet, wenn in dieser Koalition überhaupt
    etwas entschieden wird.

    Immerhin will auch Frau Merkel jetzt den Mindest-
    lohn: teilweise, mit Ausnahmen, später, aber immerhin.
    Bei der Mietpreisbremse oder der zaghaften Frauenquote
    gehen Sie immerhin in die richtige Richtung. Ich gratu-
    liere Ihnen zu diesen Schritten.

    Aber was ignoriert diese Regierung nicht alles? Vor
    dem Überwachungswahn der US-amerikanischen Regie-
    rung haben Sie kapituliert. Frau Merkel, Sie freuen sich
    über das Versprechen, dass Ihr Handy nicht mehr ausge-
    späht wird. Aber Sie sind nicht Kanzlerin, um nur Ihre
    persönlichen Grundrechte zu schützen. Als Kanzlerin
    sind Sie verpflichtet, für den Schutz der Grundrechte al-
    ler Menschen in Deutschland zu sorgen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Diese Menschen haben ebenfalls ein Recht darauf, dass
    ihre Daten geschützt werden. Auch dafür wurden Sie ge-
    wählt, wobei sich die Frage stellt, wer in diesem Kabi-
    nett eigentlich dafür zuständig ist.

    Anstatt die Kompetenzen zu bündeln, sind die Zu-
    ständigkeiten über acht Ministerien verstreut, bis hin zu
    einem neuen Minister für Ausländermaut und Breitband-
    kabel. Mit diesem Kompetenzwirrwarr gibt es bestimmt
    keine Verbesserung beim Datenschutz, selbst wenn Sie
    dies wollten, was allerdings angesichts Ihrer Position zur
    Vorratsdatenspeicherung leider mehr als fraglich ist.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben
    bekanntlich nichts dagegen, Lasten gerecht zu verteilen.
    Starke Schultern können mehr tragen als schwache. Das
    ist solidarisch und gerecht. Die Altersarmut ist ein mas-
    sives Problem. Reicht das Geld im Alter? Diese Frage
    bereitet vielen Sorgen. Sie wollen 160 Milliarden Euro
    an zusätzlichen Ausgaben für die Rente beschließen.
    Man könnte doch meinen, mit so einer Summe sollte das
    Problem sich lösen lassen. Aber Sie verschütten das
    viele Geld wie mit der Gießkanne, ohne das Problem der
    Altersarmut von heute oder von morgen zu lindern.

    Die armen Rentnerinnen und Rentner in der Grund-
    sicherung fallen durchs schwarz-rote Raster. Eine
    Rentnerin in der Grundsicherung, die Anspruch auf die
    Mütterrente hätte, bekommt diese wieder komplett abge-
    zogen und behält nicht einen Cent. Damit nutzt Ihre Re-
    form ausgerechnet den ärmsten Rentnerinnen nichts. Ist
    das gerecht?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Genauso ergeht es Menschen, die lange arbeitslos wa-
    ren: Von der Rente mit 63 haben sie nichts. Das ist unge-
    recht und auch noch ungerecht finanziert. Die zukünfti-
    gen Generationen, die das finanzieren müssen, müssen
    sogar noch mehr um ihre Rente bangen. Das ist eine
    traurige Form von Sozialpolitik. Es ist keine Politik für
    eine gute Zukunft.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich habe erwähnt, dass Sie die vielen Herausforderun-
    gen, die vor uns liegen, nicht anpacken, sondern den
    Stillstand verwalten. Ich will auf zwei Herausforderun-
    gen besonders eingehen. Erstens: Wie können wir die
    Energiewende klug und gemeinsam gelingen lassen, da-
    mit Wohlstand und unsere Lebensgrundlagen gesichert
    sind? Zweitens: Wie können wir Europa wieder zu ei-
    nem positiven Projekt machen, das uns auch morgen
    Frieden und Demokratie garantiert?

    Wofür machen wir die Energiewende eigentlich? Wir
    machen sie doch nicht, weil wir Windräder schön finden
    oder weil Solaranlagen wunderbar blau funkeln auf den
    Dächern. Wir machen sie, um aus der Atomkraft und der
    Kohlenutzung auszusteigen. Wir machen sie, damit nicht
    noch mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft
    geblasen wird. Der internationale Klimarat stellt fest:
    Gelingt nicht bald eine radikale Verminderung dieser
    Klimakiller, dann wird das Weltklima völlig aus den Fu-
    gen geraten. – Die Klimakatastrophe ist für viele Men-
    schen jetzt schon real. Extreme Wetterereignisse häufen
    sich, und der steigende Meeresspiegel vertreibt bereits
    jetzt Menschen aus ihrer Heimat. Der Klimawandel ge-
    fährdet die Lebensgrundlagen von uns allen auf diesem
    Planeten. Es ist höchste Zeit, zu handeln. Liebe Kolle-
    ginnen und Kollegen von der Großen Koalition, nutzen
    Sie doch Ihre 80-Prozent-Mehrheit! Nehmen Sie den
    Kampf gegen den Klimawandel auf.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Aber was ist die Antwort von Ihnen, Herr Gabriel?
    Der Klimakiller Kohle bleibt der liebste Genosse der So-
    zialdemokratie. 2013 hat Deutschland so viel Braun-
    kohle zu Strom verbrannt wie seit 1990 nicht mehr. Die
    klimafreundlichen Erneuerbaren bremsen Sie aus. Das
    ist doch das Gegenteil von verantwortlicher Politik.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






    Dr. Anton Hofreiter


    (A) (C)



    (D)(B)

    Das ist nicht nur schlecht für das Klima. Es ist auch
    schlecht für die deutsche und die europäische Wirtschaft,
    wie sogar die EU-Kommission, die nicht gerade für be-
    sonderen Ehrgeiz beim Klimaschutz bekannt ist, zuge-
    ben muss. 1,25 Millionen neuer Jobs könnten entstehen,
    wenn die Energiewende klug angepackt werden würde.
    Das wären viele Jobs in den südlichen Krisenländern.
    Aber auch in Deutschland, zum Beispiel in Nordrhein-
    Westfalen, hängen Tausende Jobs von der Energiewende
    ab. Es stehen alleine dort Investitionen von 1 Milliarde
    Euro auf dem Spiel. Die Zukunft Deutschlands finden
    Sie nicht in Ihren Braunkohlegruben! Die Zukunft
    Deutschlands entsteht im Sektor der erneuerbaren Ener-
    gien. Sie entsteht durch die Nutzung von Sonne und
    Wind.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


    Wir Grüne wollen, dass die Energiewende gelingt.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    Wir wollen mit Ihnen zusammenarbeiten, weil wir uns
    unserer Verantwortung im Bundestag, in den Landtagen
    und als Partei bewusst sind


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    und die Energiewende nur in einem gesellschaftlichen
    Konsens gelingen kann. Wir strecken die Hand zum
    Konsens aus, Ihren Fehlstart zu korrigieren. Hören Sie
    auf, ausgerechnet die kostengünstigste Form der Erneu-
    erbaren, die Windenergie, auszubremsen! Lassen Sie die
    Energiewende in den Händen der Bürger!


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Machen Sie Deutschland wieder zum Vorreiter des Kli-
    maschutzes! Dann können wir gemeinsam dieses histori-
    sche Projekt voranbringen.

    Sehr geehrte Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Rede
    von einem starken Deutschland in einem starken Europa
    gesprochen. Wer würde sich das nicht wünschen? Ich be-
    fürchte nur, dass wir nicht das Gleiche darunter verste-
    hen. Ich wünsche mir ein Deutschland, das solidarisch
    ist mit seinen Partnern, dessen Regierung eine Wirt-
    schaftspolitik betreibt, die zu Stabilität und Wachstum
    beiträgt, mit einer Regierung, die beim Klimaschutz vor-
    angeht, die mehr Flüchtlinge aufnimmt und nicht zu-
    sieht, wie Menschen – Männer, Frauen und Kinder – im
    Mittelmeer ertrinken. Stattdessen bauen Sie weiter mit
    an der Festung Europa, einem Europa der Ausgrenzung,
    der Abschottung. Ich wünsche mir ein Europa, das stark
    ist, weil es die Freiheit der Menschen nicht nur achtet,
    sondern auch garantiert.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Die offenen Grenzen innerhalb Europas sind eine rie-
    sige Errungenschaft. Sie geben uns die Freiheit, dort zu
    leben und zu arbeiten, wo wir wollen. Diese Freiheit ist
    in Gefahr durch die Rechtspopulisten von Wilders bis Le
    Pen. Aber auch das unverantwortliche Geschwätz von
    Ihrem Koalitionspartner CSU vergiftet das gesellschaft-
    liche Klima in Deutschland.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Die Populisten von der CSU gaukeln vor, die Sorgen der
    Menschen ernst zu nehmen.


    (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die nehmen wir auch ernst!)


    Das tun sie nicht. Sie vergiften die Debatte, machen Vor-
    urteile hoffähig und erschweren damit genau die Lösung
    von Problemen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist ja nicht wahr!)


    Frau Merkel, wir erwarten von einer verantwortungsvol-
    len Kanzlerin, dass sie diesen Unsinn beendet. Stellen
    Sie sich klar auf die Seite der Offenheit und Freiheit in
    Europa und gegen die kleingeistigen Brandstifter, die
    nicht erkennen, dass Deutschland nur in einem starken
    und einigen Europa eine gute Zukunft hat.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Europa als Verheißung, als Ort der Solidarität und des
    Fortschritts, Europa als Ort der Freiheit und als eine Idee
    im Dienst der Menschen – so soll unser Europa sein. Es
    soll keines der Schlagbäume und Grenzen sein, kein Eu-
    ropa des Freihandelsabkommens auf Kosten des Ver-
    braucherschutzes und keines nur für die Interessen ein-
    zelner Lobbys.

    Frau Merkel, Sie tragen schon acht Jahre lang große
    Verantwortung für Europa.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)


    In der Vergangenheit haben Sie Ihre Macht für lasche
    Regeln für die Automobilindustrie und die Deutsche
    Bank eingesetzt. Damit gewinnt man weder das Herz
    noch den Verstand der Menschen für unser Europa. Nut-
    zen Sie Ihre dritte Amtszeit richtig, damit Europa zu ei-
    nem Erfolg für alle wird, mit einer Politik, die die Fi-
    nanzmärkte endlich an den Krisenkosten beteiligt, die
    die Banken endlich in ihre Schranken weist und nicht
    nur hier davon redet, die den sozialen Fortschritt über
    die Interessen einzelner Lobbyisten stellt, mit einer
    Politik, die gegen Massenarbeitslosigkeit in den Kri-
    senstaaten vorgeht, mit einer Politik, die gegen den Kli-
    mawandel kämpft und den Verfolgten einen sicheren Zu-
    fluchtsort bietet,


    (Zuruf von der CDU/CSU: Amen!)


    mit einer Politik, die Zukunft nicht verwaltet, sondern
    klug und weitsichtig im Interesse aller gestaltet.

    Vielen Dank.


    (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (D)(B)



Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Nun erhält Volker Kauder das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Kauder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

    Thomas Oppermann hat es in seinem Beitrag angespro-
    chen: Wir, die CDU/CSU und die SPD, haben während
    des ganzen Bundestagswahlkampfes nicht daran ge-
    dacht, dass wir zum Start in die neue Legislaturperiode
    des Deutschen Bundestages in einer Koalition landen
    würden.


    (Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


    Wenn man dies weiß, ist auch verständlich, dass es
    uns nicht leichtgefallen ist, bei dem, was Schwerpunkt
    und Ziel dieser Großen Koalition sein soll, zusammen-
    zukommen. Ich finde, dass es eine gute Grundlage für
    diese Koalition ist, dass wir dies auch nicht verborgen
    haben, sondern dass wir in den Koalitionsverhandlungen
    ernsthaft gerungen haben und dass wir die Themen offen
    auf den Tisch gelegt haben. Aber es war uns auch klar,
    dass wir nicht um unseretwillen in den Deutschen Bun-
    destag gewählt worden sind, sondern dass wir für dieses
    Land in einer schwierigen Situation eine stabile und
    handlungsfähige Regierung stellen müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Es hat auch andere gegeben, die dieses nicht so gese-
    hen haben. Deswegen kam es zur Großen Koalition. Ich
    bin dankbar, dass dies jetzt gelungen ist. Wenn man den
    Koalitionsvertrag anschaut und das, was die Bundes-
    kanzlerin vorhin für die Bundesregierung gesagt hat, an-
    hört, dann kann man doch erkennen, dass dies eine gute,
    gemeinsame Ausgangslage darstellt, um dieses Land tat-
    sächlich in eine gute Zukunft zu führen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Ja, Thomas Oppermann, ich teile die Auffassung: Wir
    müssen uns daran messen lassen, dass es den Menschen
    und dem Land nach diesen vier Jahren Großer Koalition
    besser geht als vorher.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Dafür gibt es eine ganze Reihe von wichtigen Punk-
    ten. Das zentrale Thema, auf das es ankommt, ist auch in
    den nächsten Jahren dieser Großen Koalition Europa.
    Wenn wir in Europa Fehler machen, schwere Fehler ma-
    chen, können wir sie mit keiner nationalen Gesetzge-
    bung mehr korrigieren. Deswegen ist Europa so ent-
    scheidend.

    In Europa gibt es politische Leitlinien, die zu beach-
    ten sind. Da ist die wirtschaftliche, die finanzielle Situa-
    tion. Ich finde es gut, dass wir uns trotz unterschiedlicher
    Ausgangslage in dieser Koalition darauf verständigt ha-
    ben, wie wir die Europapolitik in den nächsten Jahren
    gestalten wollen. Wir waren uns einig: Ja, wir Deutsche
    sind solidarisch in Europa; aber wir verlangen auch die
    notwendigen Veränderungen. Solidarität ja, aber auch
    die notwendigen Reformen. Keine Leistung ohne Ge-
    genleistung.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Das ist unsere Position. Man sieht ja, dass dieser Kurs
    durchaus erfolgreich ist.


    (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit!)


    Jetzt muss man natürlich eines auch sagen: Meine Ge-
    neration weiß, dass es, gerade wenn man an Europa
    denkt, einige Zeit dauern kann, bis man Ziele erreicht.
    Wir alle sind in einer so ungeduldigen Hektik: heute Be-
    schluss, morgen Erfolg. Wir müssen uns alle ein wenig
    Zeit geben, die Entwicklung hinzubekommen. Große
    Werke gelingen natürlich nur mit einem entsprechenden
    Startschuss. Aber dann bedürfen sie auch einer geduldi-
    gen Betreuung und Pflege, damit die Dinge vorankom-
    men.

    Da sind wir, wie ich finde, auf einem guten Weg. Na-
    türlich ist ein zentrales Thema, dass wir die Jugendarbeits-
    losigkeit in Europa bekämpfen. Von jungen Menschen,
    die erleben, dass sie keinen Einstieg in die Berufswelt
    und in ein selbstständiges Leben bekommen, kann man
    kaum Begeisterung für dieses Europa erwarten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Deshalb ist es richtig, dass diese Bundesregierung
    entsprechende Initiativen ergreift, um in Europa junge
    Menschen voranzubringen. Daher ist es richtig, dass wir
    in Deutschland jungen Menschen aus Europa die Mög-
    lichkeit geben, hier zu arbeiten, Erfahrungen zu sam-
    meln und dann auch wieder in ihre Heimat zu gehen.
    Das ist alles in Ordnung. Und es ist auch richtig, dass
    wir unser anerkanntes System der dualen Berufsausbil-
    dung in die anderen europäischen Länder tragen, wenn
    sie dies wünschen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


    Dies heißt aber auch, dass wir selber diese duale Be-
    rufsausbildung in unserem Land ernst nehmen und dass
    wir sagen: Jawohl, ein exzellent ausgebildeter Meister
    ist uns so wichtig wie ein Diplom-Ingenieur.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wir brauchen beides. Wir sehen ja beispielsweise in Spa-
    nien, wohin es geführt hat, wenn man glaubt, nur akade-
    mische Ausbildung führe zum Erfolg. Das heißt, auch
    wir in Deutschland müssen unsere duale Berufsausbil-
    dung weiter auf Kurs halten.

    Es ist natürlich richtig, dass wir in Europa all die
    Dinge bekämpfen und korrigieren, die zu diesen Ergeb-
    nissen geführt haben. Es ist natürlich richtig, dass wir
    eine europäische Bankenaufsicht schaffen und dass da-
    raus entsprechende Konsequenzen folgen, dass diese
    Bankenaufsicht also bestimmte Auflagen erteilen kann.





    Volker Kauder


    (C)



    (D)(B)

    Wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass in
    manchem europäischen Staat die nationale Bankenauf-
    sicht nicht so hingeschaut hat, wie es notwendig gewe-
    sen wäre, um zu dem entsprechenden Ergebnis zu kom-
    men. Ich finde es richtig, dass die Aufsicht in einer
    besonderen Abteilung der EZB angesiedelt wird. Liebe
    Kolleginnen und Kollegen, eine Bankenaufsicht, die ei-
    ner politischen Kontrolle unterstellt wäre, würde nie die-
    selben Ergebnisse bringen wie eine unabhängige Ban-
    kenaufsicht. Deswegen ist die Ansiedlung, die jetzt
    gemacht wird, völlig richtig, und wir unterstützen sie
    auch.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir
    dieses Europa anschauen, müssen wir sagen: Europa hat
    auch deshalb immer wieder Probleme gehabt, weil man
    sich nicht an das gehalten hat, was man miteinander ver-
    einbart hat. Dabei ist der Satz „Europa hat deshalb Pro-
    bleme bekommen“ sogar noch falsch. Nicht Europa trägt
    dafür Verantwortung, sondern es sind noch immer die
    Nationalstaaten, die dieses Europa bilden und die Ver-
    antwortung tragen.


    (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)


    Deswegen kann ich nur sagen: Deutschland muss da-
    für sorgen, dass die einmal getroffenen Vereinbarungen
    eingehalten werden. Das gilt sowohl bei den finanziellen
    Fragen als auch bei anderen. Es macht keinen guten Ein-
    druck, wenn wir beispielsweise nicht energisch sagen:
    Die Stabilitätskriterien müssen eingehalten werden. –
    Jede Ausnahme gilt nämlich nicht nur für einen, sondern
    für das ganze System, und so kam das System ins Rut-
    schen. Wir haben Vereinbarungen, die wir getroffen ha-
    ben, selber nicht eingehalten, und das kann so nicht wei-
    tergehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Das gilt aber auch in allen anderen Bereichen. Damit
    will ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der in der
    politischen Diskussion der letzten Wochen durch die
    Klausurtagung der CSU-Landesgruppe eine gewisse
    Rolle gespielt hat. Zunächst einmal rate ich immer dazu,
    sich genau anzuhören, was gesagt worden ist. Dann rate
    ich dazu, in den Koalitionsvertrag zu schauen und zu le-
    sen, was zu dem Thema dort vereinbart wurde. Und dann
    wird in den allermeisten Fällen ein gutes Ergebnis he-
    rauskommen.


    (Lachen der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Auch das hat mit Europa zu tun. In Europa haben wir
    uns selbst das große Geschenk der Freizügigkeit ge-
    macht, und daran will auch überhaupt niemand rütteln.


    (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ach?)


    – Daran will niemand rütteln. – Aber wir haben in den
    Regelungen zur Personenfreizügigkeit in der EU klar
    und deutlich gesagt, dass in Europa Zuwanderung in Ar-
    beit richtig ist, aber Zuwanderung in soziale Sicherungs-
    systeme nicht erwünscht ist. Wenn man sieht, dass sich
    das in dem einen oder anderen Fall anders verhält, muss
    man dies auch ansprechen. Liebe Kolleginnen und Kol-
    legen, im Koalitionsvertrag steht ausdrücklich, dass wir
    uns solche Fehlentwicklungen anschauen wollen.


    (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Schlimm genug, dass das da steht!)


    Wir sind für die Freizügigkeit und die Zuwanderung.
    Aber wir werden mehr Verständnis der Bürgerinnen und
    Bürger für Europa und für die Politik nur dann bekom-
    men, wenn wir die eine Botschaft klar sagen – und uns
    nicht von Populisten von links oder rechts beeindrucken
    lassen –, wenn wir aber auch den Mut haben, in aller
    Nüchternheit und Klarheit Fehlentwicklungen anzuspre-
    chen und dafür zu sorgen, dass sie abgestellt werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Das ist das gemeinsame Thema, und da brauchen wir
    Belehrungen von links oder von ganz rechts außen nicht.
    Wenn wir das so machen, dann kommen wir auch gut
    voran; das findet sich im Koalitionsvertrag wieder.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Europa muss
    auch mehr sein als ein Europa von Euro und Cent. Ich
    bin Thomas Oppermann dankbar, dass er angesprochen
    hat, dass wir eine Wertegemeinschaft sind. Es geht na-
    türlich auch darum, dass wir diese Werte umsetzen. Da
    haben wir – auch das muss man sagen – in unserem eige-
    nen europäischen Haus an der einen oder anderen Stelle
    noch miteinander zu tun. Wir sind mit der Situation von
    Rechtsstaatlichkeit, von Unabhängigkeit der Justiz in
    dem einen oder anderen europäischen Land nicht zufrie-
    den. Das müssen wir klar und deutlich sagen. Wir kön-
    nen auch nicht zufrieden sein, wenn ein europäisches
    Land – ich nenne einmal den Namen, nämlich Rumänien –
    sich nicht noch mehr anstrengt, Roma im eigenen Land
    besser zu integrieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


    Das muss angemahnt werden. Dafür hat die Europäische
    Union Geld zur Verfügung gestellt. Es gehört also beides
    zusammen: Wir sind eine Wertegemeinschaft und müs-
    sen diese Werte auch umsetzen.

    Dann sage ich auch: Die Erfahrung der letzten Jahre
    hat gezeigt, dass wir bei Verhandlungen mit Ländern, die
    zur Europäischen Union gehören wollen, nicht nur ein-
    seitig auf die wirtschaftliche Situation schauen dürfen
    – das sowieso –, sondern auch dafür sorgen müssen, dass
    der Rechtsstaat und auch die Freiheits- und Bürgerrechte
    umgesetzt werden. Wir dürfen uns nicht darin täuschen,
    dass sie erst dann umgesetzt werden, wenn ein Land in
    Europa ist. Vielmehr muss dies vorher geschehen. Des-
    wegen bitte ich die Bundesregierung ausdrücklich, bei
    den Verhandlungen mit der Türkei das Thema Rechts-
    staatlichkeit, Religionsfreiheit nicht bis zu den Verhand-
    lungen über das letzte Kapitel zu verschieben, sondern
    deutlich zu machen, dass dieses Thema ein Wesensele-
    ment der Wertegemeinschaft Europa ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    (A)






    Volker Kauder


    (A) (C)



    (D)(B)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass es den
    Menschen nach vier Jahren dieser Großen Koalition bes-
    sergeht, wird darüber hinaus ganz entscheidend – auch
    dies ist von Thomas Oppermann gesagt worden – von
    der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Deswegen
    muss es das erste Ziel sein, alles dafür zu tun, dass die
    deutsche Wirtschaft sich entwickeln und wachsen kann.
    Unser Mittelstand steht in einer unglaublichen Wettbe-
    werbssituation, in Asien, aber auch in Europa. Es sind
    enorme Investitionen notwendig, um die neuen Heraus-
    forderungen annehmen zu können. Deswegen war es
    richtig, das Geld dort zu lassen, wo es gebraucht wird,
    um die Wirtschaft wachsen zu lassen, statt es durch Steu-
    ererhöhungen in den Staatshaushalt hineinzuspülen. Da-
    mit haben wir eine richtige Entscheidung getroffen. Ich
    bin dankbar dafür, dass diese Entscheidung in der Gro-
    ßen Koalition möglich war. Ich will es nur noch einmal
    sagen – wir brauchen es nicht weiter zu vertiefen –: Bei
    der Entscheidung „keine Steuererhöhungen“ bleibt es in
    dieser Koalition in den nächsten vier Jahren.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Ich bin der Auffassung, auch wenn unterschiedliche
    Positionen in unseren Gesprächen bei der einen oder an-
    deren Frage zum Vorschein gekommen sind, dass das,
    was wir jetzt im Koalitionsvertrag vereinbart haben, ver-
    antwortet werden kann, sowohl das Rentenpaket als
    auch die Maßnahmen, die wir im Umfeld des Arbeits-
    marktes vereinbart haben. Aber wir sollten uns immer
    auch darüber im Klaren sein: Verantwortet werden kann
    es – und wir stehen dazu – nur dann, wenn die wirt-
    schaftliche Entwicklung stabil verläuft. 100 000 Arbeits-
    lose mehr bedeuten 2,2 Milliarden Euro Mehrausgaben
    bei der Bundesanstalt für Arbeit. Es soll uns immer lei-
    ten, alles, was wir machen, daraufhin genau anzuschauen,
    ob es dazu dient, mehr Arbeit zu schaffen, mehr Men-
    schen in Arbeit zu bringen und nicht weniger. Das muss
    die Hauptaufgabe bei all diesen Dingen bleiben, diesen
    Kontrollmechanismus müssen wir genau im Auge behal-
    ten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur
    die innenpolitischen Themen sind entscheidend für unser
    wirtschaftliches Wachstum. Die Energiepolitik – sie ist
    schon angesprochen worden – ist ein zentrales Thema.
    Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich kann es an die-
    ser Stelle nur noch einmal sagen: Diese große Aufgabe,
    die Energiewende voranzubringen und zum Erfolg zu
    führen, diese Aufgabe, die Sie nun in der Regierung und
    wir in der gesamten Koalition haben, betrachten wir
    nicht als die Aufgabe eines SPD-Bundesministers; viel-
    mehr ist es die gemeinsame Aufgabe von uns allen, liebe
    Kolleginnen und Kollegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Sie können sicher sein, dass wir Sie bei dieser Aufgabe
    begleiten, vielleicht zuverlässiger als mancher aus Ihren
    eigenen Reihen, den Sie jetzt gerade hören.


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)

    Damit wende ich mich an die Bundesländer – die
    Bundeskanzlerin hat es schon angesprochen –: Es geht
    nicht um Partikularinteressen. Wir müssen klar und deut-
    lich formulieren: Wir machen Energiepolitik für Deutsch-
    land. Dafür trägt auch der Bundesrat eine Verantwortung.
    Natürlich schauen wir auf das eine oder andere Anliegen
    der Länder. Aber wir machen Energiepolitik, damit
    Deutschlands Wirtschaft wachsen kann und die Men-
    schen nicht übermäßig zahlen müssen. Auf diesem Weg
    haben Sie uns an Ihrer Seite.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die
    deutsche Wirtschaft ist nicht nur entscheidend, was wir
    in diesem Land machen. Wir sind eine Exportnation.
    Deswegen sind wir natürlich auch auf die europäischen
    Märkte angewiesen. Aber wir sind nicht nur in Europa,
    sondern weltweit unterwegs. Das muss auch in Zukunft
    so bleiben. Wir müssen uns daher darum bemühen, dass
    es in einigen Krisenherden in der Welt wieder mehr Sta-
    bilität gibt, und wir müssen uns stattgefundene Verände-
    rungen anschauen. Wir werden deshalb in dieser Koali-
    tion für drei Bereiche eine neue Situationsbeschreibung
    machen müssen.

    Erstens. Die Veränderungen in Asien waren drama-
    tisch. Wir sehen, dass es neben Veränderungen im wirt-
    schaftlichen Bereich auch Unsicherheiten gibt. Denken
    Sie nur an die Situation auf der koreanischen Halbinsel
    oder die Beziehungen zwischen China und Japan. Wir
    brauchen deshalb eine neue Asien-Strategie. Wir müssen
    uns fragen: Wie gehen wir mit der neuen Situation um?

    Zweitens. In diesen Tagen sehen wir ja, was in Afrika
    los ist. Niemand glaube, dass wir nach dem Motto „Was in
    Afrika passiert, das geht uns nichts an!“ leben können.
    Wir brauchen daher eine neue Afrika-Strategie. Da müs-
    sen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie das Verhältnis
    von politischen Aktivitäten, also dem Vorhererkennen von
    Krisen und Präventionsmaßnahmen, zu militärischen
    Notwendigkeiten aussieht. Ich halte das für völlig rich-
    tig, was in der Bundesregierung gesagt worden ist, näm-
    lich dass wir auch in Afrika unseren Beitrag leisten.
    Aber ich bin schon der Meinung, dass wir uns noch ein-
    mal darüber unterhalten sollten, was wir konkret machen
    wollen.

    Ich kann beim allerbesten Willen nicht erkennen – ich
    halte unsere damalige Entscheidung für richtig –, dass
    der militärische Einsatz in Libyen tatsächlich ein Erfolg
    war. Die Waffen, die dort waren, sind in andere Staaten
    Afrikas gelangt. Deswegen ist es völlig richtig, wenn wir
    uns politische und diplomatische Maßnahmen sowie die
    Notwendigkeit für militärische Aktionen ganz genau an-
    schauen und auf ihre Erfolgsmöglichkeiten hin überprü-
    fen.

    Drittens. Wir brauchen eine neue Lateinamerika-Stra-
    tegie. In Lateinamerika wird zu Recht immer wieder be-
    klagt, dass wir uns zu wenig um diese Länder kümmern.

    Zum Schluss. All das, was wir jetzt beispielsweise in
    Afrika sehen, hat auch etwas mit unserer eigenen Sicher-
    heit zu tun. Wir sehen eine neue Entwicklung in der





    Volker Kauder


    (A) (C)



    (D)(B)

    Welt. Jeder weiß, dass ich mich mit dem Thema Reli-
    gionsfreiheit in besonderer Weise befasse. Früher hatten
    wir immer das Problem, dass Staaten Religionsfreiheit
    eingeschränkt haben und dass dort Gläubige verfolgt
    wurden. Zunehmend stellen wir fest, dass die Risiken
    von Unfreiheit, von Bekämpfung von Glaubensbekennt-
    nissen in sogenannten gefallenen Staaten, in denen es
    keine staatliche Autorität mehr gibt, steigen. Entlang von
    ethnischen Grenzen und Glaubensüberzeugungen wird
    eine Auseinandersetzung geführt. Wo es keine staatliche
    Gewalt mehr gibt, entstehen islamistische Terrorgrup-
    pen, die auch zum Leidwesen der einheimischen musli-
    mischen Bevölkerung ihr Unwesen treiben. Deshalb ist
    die Frage, mit welcher Strategie wir an diese Fragen he-
    rangehen, ein zentrales Thema der Menschenrechte, aber
    auch der wirtschaftlichen Entwicklung.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich finde, Herr Hofreiter, dass diese Koalition die
    wirklich großen Fragen in ihrem Koalitionsvertrag ange-
    sprochen hat; die Bundeskanzlerin hat diese genannt.
    Viele Punkte, die in der Koalitionsvereinbarung stehen,
    sind für Gruppen, aber auch für einzelne Menschen
    wichtig. Ich kann nur sagen: In Europa dafür zu sorgen,
    dass es wieder vorangeht, wirtschaftliches Wachstum
    und Frieden und Stabilität in dieser Welt zu fördern,
    das sind die großen Herausforderungen, denen wir uns
    stellen.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)