Rede von
Wolfgang
Gehrcke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Es sind jetzt zwölf Jahre, in denen
der NATO-Bündnisfall in Kraft ist, und damit auch
zwölf Jahre des Krieges gegen den Terror, zwölf Jahre
Afghanistan-Krieg und ein Hineinziehen Deutschlands
in diesen Krieg. Denken Sie noch einmal an den völlig
absurden Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers
Gerhard Schröder von der uneingeschränkten Solidari-
tät. Uneingeschränkt bin ich nicht mal mit mir selbst so-
lidarisch. Das war eine Bekenntnispolitik, die unerträg-
lich ist.
Ich finde, jetzt muss man auch einmal den Mut haben,
nüchtern Bilanz zu ziehen.
Es gab damals drei Argumente: Man braucht den
Krieg gegen den Terror, um erstens die Gewalt einzu-
dämmen, zweitens Abrüstung herbeizuführen und drit-
tens Demokratie zu erreichen. Jetzt wollen wir uns das
einmal anschauen.
Zum ersten Argument. Der Krieg gegen den Terror
hat die Gefahr von Gewalt und die Gewalt selbst nicht
eingedämmt; ganz im Gegenteil. Dieser Krieg gegen den
Terror hat Zigtausende Menschen in verschiedenen Tei-
len der Welt in den terroristischen Untergrund getrieben
und damit den Terror erhöht. Gesellschaftsordnungen,
die akzeptieren, dass jeden Tag 57 000 Menschen in der
Welt verhungern, die sich abschotten, die das Mittelmeer
zum großen Friedhof gemacht haben, haben die Moral
verloren, mit der sich ein solcher Anspruch legitimieren
lässt.
Solche Gesellschaftsordnungen säen Gewalt und ernten
Hass. Also, Gewalt ist nicht abgebaut worden.
Zum zweiten Argument. Ist die Gefahr der Weiterver-
breitung von Massenvernichtungswaffen kleiner gewor-
den? Sie ist größer geworden. Es sieht doch heute jeder,
dass sie größer geworden ist; es gibt chemische, biologi-
sche, bakteriologische Waffen in vielen Teilen der Welt.
Was die Entwicklung von Atomwaffen angeht, so stehen
viele Länder an der Schwelle, es zu können, wenn sie es
wollten. Es gibt zwei Lichtblicke. Das eine ist die Ent-
scheidung, die syrischen Chemiewaffen zu vernichten
– das ist wirklich eine wichtige Entscheidung, weil es
eine Entscheidung gegen den Krieg und für Diplomatie
war –, und das andere ist die Vereinbarung mit dem Iran,
die in Fragen Atomwaffen im Nahen Osten außerordent-
lich wichtig ist. Also, der Krieg gegen den Terror hat die
Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-
waffen nicht eingeschränkt.
Zum dritten Argument. Hat der Krieg gegen den Ter-
ror mehr Demokratie gebracht? Wissen Sie, ich habe den
Eindruck, dass wir dem, was wir zu bekämpfen vorge-
ben, immer ähnlicher werden, und das macht mich in ei-
nem außerordentlich großen Maße besorgt. Die Spiona-
gegeschichte der NSA und anderer Geheimdienste, auch
des BND, wird damit begründet, dass man Terroristen
entlarven muss. Der Krieg gegen den Terror hat nicht
mehr Demokratie gebracht, sondern Demokratie ver-
nichtet.
Schließlich – ich bitte Sie, sich das anzuschauen –:
Die doppelten Standards sind zum Normalfall geworden.
Deutsche Konzerne verkaufen Waffen auch in Span-
nungsgebiete – mit Billigung der Bundesregierung.
Heckler & Koch ist eine Umschreibung für „Mord und
Totschlag“ geworden; auch das sollte man einmal fest-
halten.
Mit korrupten und antidemokratischen Regimen wie
Saudi-Arabien, Katar und anderen ist unser Land ver-
bündet. Auch das ist Ergebnis des Kriegs gegen den Ter-
ror, weil wir wahllos geworden sind.
Wenn das alles stimmt – wenn nicht, dann widerlegen
Sie mir das; das werden Sie nicht können –, dann muss
man den NATO-Bündnisfall aufheben – rechtlich ist er
sowieso überwunden –, die Beteiligung am Krieg gegen
den Terror einstellen und sofort und bedingungslos aus
Afghanistan abziehen. Das ist das Gebot der Stunde.
Vor Weihnachten darf man ein paar Wünsche äußern.
Ich wünsche mir, dass Sie an Weihnachten in sich gehen,
begreifen, dass diese ganze Politik falsch ist, zu einer an-
deren politischen Linie kommen, dass wir hier gemein-
sam über Friedenspolitik reden können, dass Schluss ist
mit dem Krieg gegen den Terror, dass der NATO-Bünd-
nisfall aufgehoben wird. Wenn Sie dabei, weil Sie an
mich denken, auch gleich noch entscheiden, die NATO
aufzulösen, bin ich natürlich außerordentlich dankbar.
Herzlichen Dank.