Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In der Vergangenheit habe ich hier immer die
gleiche Rede halten dürfen – jahrein, jahraus.
Jetzt habe ich ein kleines Problem, aber, ich glaube, das
kriege ich hin.
Zum einen, zu der Linken: Man sollte schon einen ei-
genen Entwurf vorlegen. Der Kollege Beck hat es ja ge-
sagt. Abschreiben ist wirklich keine Meisterleistung.
In der Sache – das muss ich aber zugeben – ist der Ent-
wurf gut; er ist ja auch mit von uns, und deswegen kann
er nicht schlecht sein. Also, in der Sache ist der vorge-
legte Entwurf richtig, wichtig und gut.
– Wir stimmen heute nicht ab, Herr Kollege.
Zum anderen: Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 105:
Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende
Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Le-
benspartnerschaften und von Menschen auf Grund
ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen
Bereichen beendet werden.
Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden
wir beseitigen.
Dann heißt es:
Bei Adoptionen werden wir das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zügig
umsetzen.
Dass dieser Satz da steht, liegt daran, dass es bei der
CDU in der Vergangenheit mit der Umsetzung von Ur-
teilen des Verfassungsgerichts schwierig war. Da wollten
wir sichergehen.
Wenn man das liest, stellt man fest, dass CDU/CSU
und SPD sich einig sind, bestehende Diskriminierungen
abzubauen.
Jetzt diskutieren wir also mit den Kollegen von der
Union die Frage: Was ist eine Diskriminierung? Der
Kollege Silberhorn hat seine geschätzte Interpretation ja
zum Besten gegeben.
Ich sehe das anders: Wenn man nicht gleichbehandelt,
diskriminiert man. Das ist eigentlich eine ganz einfache
Geschichte.
Das betrifft die Bereiche Ehe, Adoption und – Art. 3
Grundgesetz – sexuelle Identität. Das sind die drei
Punkte, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Alles
andere haben wir im Koalitionsvertrag geregelt.
Was die Ehe angeht, gibt es verschiedene Interpreta-
tionen, die man hier auch vortragen kann. Ich möchte
aber anmerken, Herr Silberhorn, dass auch Koalitions-
verträge nicht vor der Wirklichkeit schützen. Wir werden
in den nächsten vier Jahren dieses Thema Diskriminie-
rung auf die Tagesordnung setzen, weil im Koalitions-
vertrag steht, dass bestehende Diskriminierungen abge-
baut werden sollen. Das heißt, wir gehen erst einmal
davon aus, dass wir in den nächsten Jahren alles das, was
eine rechtliche Nichtgleichbehandlung von Lebenspart-
nerschaften darstellt, beseitigen werden.
Erst danach streiten wir uns um den Begriff der Ehe.
Herr Kauder, wir haben das hier ja häufiger diskutiert.
Sie haben einmal gesagt, dass es keinen Koalitionsver-
trag geben wird, der die Öffnung der Ehe enthält. Ich
muss sagen: Sie haben sich durchgesetzt. Leider Gottes
muss man bei Koalitionsverträgen Kompromisse ma-
chen. Dieser ist mir ganz besonders schwergefallen. Für
mich als Sozialdemokrat ist das einer der Punkte, bei
dem man sagen muss: Das ist schwierig. Das will ich
nicht. Das mag ich nicht. – Aber man muss es in der Ge-
samtheit betrachten.
Deswegen möchte ich hier darauf hinweisen, dass wir
als Sozialdemokraten der Meinung sind und uns auch
dafür einsetzen werden, die eben angesprochenen
Punkte – Art. 3, Ehe und Adoption – in dieser Legisla-
turperiode mit diesem, von uns neuerdings geschätzten
Koalitionspartner umzusetzen.
Dazu wollen und werden wir vorschlagen, die Abstim-
mung zu diesem Punkt freizugeben, weil es eine Gewis-
sensfrage ist.
Wenn man die Abstimmung freigeben würde, würden
auch Sie, Herr Kauder, und die Union merken, dass ein
Großteil der Kollegen von CDU und CSU dem zustim-
men würde. Denn es ist ja nicht so, dass das, was Sie hier
vertreten, eine allgemeine Meinung innerhalb der Union
ist. Zwar hat es dazu einen Beschluss auf dem Bundes-
parteitag der CDU gegeben, aber es gibt ja in Ihren Rei-
hen ein Fähnlein Aufrechter.
Man muss sehen, dass das Leben sich weiterentwi-
ckelt. Das Problem, das wir immer wieder haben, ist,
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2013 307
Johannes Kahrs
(C)
(B)
dass bei den Diskussionen hier im Deutschen Bundestag
von einer Lebenswirklichkeit ausgegangen wird, die es
im realen Leben nicht gibt. Bei den Menschen gibt es
eine andere Empfindung. Da ist es so, dass Menschen
heute diskriminiert werden. Da ist es so – das kann man
vielleicht nachvollziehen –, dass sich im Arbeitsleben
viele nicht outen, weil sie Nachteile befürchten. Da ist es
so, dass viele, die lesbisch oder schwul sind, auf Schul-
höfen ein Problem haben, sich zu outen, weil das eines
der am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter ist. Da ist
es so, dass es in Familien Probleme beim Outing gibt.
Dass dann über die Fernseher auch noch vermittelt
wird, dass die Bundeskanzlerin sich in den Reden im
Wahlkampf hinstellt und sagt: „Die Gleichbehandlung
von Lesben und Schwulen ist kein Anliegen. Wir werden
die Öffnung der Ehe verhindern“, ist für junge Men-
schen natürlich eine Katastrophe, ist etwas, was nicht
geht.
Wir als Sozialdemokraten werden – ich mache das
hier im Deutschen Bundestag seit 1998; wir haben hier
alle Konstellationen erlebt – weiterhin für die Gleichstel-
lung von Lesben und Schwulen kämpfen, weil Gleich-
stellung etwas damit zu tun hat, wie man mit Menschen
in diesem Land umgeht und ob man sie achtet.
Es genügt nicht, dass man respektiert, dass einige
vielleicht ein bisschen anders sind, sondern es ist wich-
tig, dass man akzeptiert, dass sie so sind. Wer die glei-
chen Pflichten hat, der hat auch die gleichen Rechte zu
haben.
Ich glaube, das ist einer der Punkte, für den wir als
Sozialdemokraten in der 150-jährigen Geschichte unse-
rer Partei immer gekämpft haben. Ich glaube auch, dass
es stimmt, was der Kollege Petzold von der Linken am
Anfang gesagt hat. Er hat ein Schild hochgehalten: Voll-
ständige Gleichstellung gibt es nur mit der SPD. – Daran
hat sich nichts geändert.
Glück auf!