Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin er-
staunt, dass Herr Silberhorn so viel über die Befindlich-
keit der in Lebenspartnerschaften Lebenden in diesem
Land weiß.
Offensichtlich ist er der neue Sprecher des Lesben- und
Schwulenverbandes in Deutschland.
Ich sage Ihnen: Die Lesben und Schwulen wollen in
dieser Gesellschaft auf Augenhöhe mit den heterosexu-
ellen Bürgerinnen und Bürgern leben, und sie wollen
deshalb die Öffnung der Ehe; denn sie ist der Ausdruck
der Gleichberechtigung und der Gleichheit vor dem Ge-
setz. Alles andere als Gleichberechtigung ist Diskrimi-
nierung.
Sie kommen hier mit der Verfassung. Wie viele Ver-
fahren vor dem Bundesverfassungsgericht, angefangen
von 2001 mit der Klage der Bayerischen Staatsregierung
gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz, haben Sie in die-
304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2013
Volker Beck
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ser Frage denn schon verloren? Ihre Rechtsauffassung
von der Ungleichheit der Homosexuellen wird von dem
Bundesverfassungsgericht, das die Grundrechte der Bür-
gerinnen und Bürger schützt, eben nicht geteilt.
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Traditionelles
Eheverständnis war – es ist richtig – die lebenslange Ver-
bindung von Mann und Frau in einer Ehe. Dieses tradi-
tionelle Rechtsverständnis wurde aber vom Bundesver-
fassungsgericht selbst infrage gestellt. Das
Bundesverfassungsgericht hat die ersten gleichge-
schlechtlichen Ehen mit seiner Entscheidung zum Trans-
sexuellengesetz geschaffen und wir das Ganze – diese
Entscheidung – nachvollzogen. Wir, der Gesetzgeber,
hätten Transsexuellen nach der Geschlechtsumwandlung
gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
eine Lebenspartnerschaft mit völlig gleichen Rechten
und Pflichten wie in der Ehe anbieten können. Wir sind
das nicht angegangen, und damit haben wir hingenom-
men, dass es in Deutschland erstmals mit allen Rechten
versehene Ehen von Mann und Mann oder Frau und Frau
im Sinne des Personenstandsrechtes gibt. Damit ist Ihre
ganze verfassungsrechtliche Argumentation in sich zu-
sammengefallen.
Schauen wir uns an, was unsere Bevölkerung denkt:
Über 60 Prozent der Bevölkerung sagen Ja zur Öffnung
der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
Man spricht auch heute schon davon, dass ein gleichge-
schlechtliches Paar, das zum Standesamt geht, heiratet.
Die Bevölkerung vollzieht die bestehende Differenzie-
rung, an der Sie sich seit Jahren festklammern und die
Sie einbetonieren wollen, nicht nach.
Dieses Einbetonieren wird Ihnen aber am Ende des Ta-
ges nicht gelingen. Da bin ich mir sicher.
Schauen Sie sich die internationale Rechtsentwick-
lung an. Als 1993 das Verfassungsgericht die Verfas-
sungsbeschwerden zur Aktion Standesamt abgelehnt hat,
gab es weltweit noch keine Ehe von gleichgeschlechtli-
chen Paaren. Heute gibt es sie von Brasilien bis Norwe-
gen und Schweden,
von Südafrika bis Dänemark. Überall gibt es Staaten, die
die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet haben.
In der Mehrheit der Staaten in Westeuropa gibt es die
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, von Portugal bis zu
den Niederlanden. Das zeigt doch: Die Rechtsentwick-
lung ist auf unserer Seite. Wir werden durch Ihre rechtli-
che Haltung näher an Länder wie Russland und die
Ukraine gerückt als an Frankreich,
Großbritannien, Spanien oder Portugal, die alle die Öff-
nung der Ehe beschlossen haben.
Sie behaupten hier so vollmundig, eigentlich sei ja
schon fast alles gleichgestellt: In den letzten vier Jahren,
seitdem Sie von der Union mit der FDP zusammen re-
giert haben, wurde aber auch nicht ein Jota zugunsten
der Lebenspartnerschaft verändert, ohne dass es ein Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichtes gab.
Vielleicht meinen Sie, Sie hätten Ihre Arbeit getan
– ich habe Herrn Kauder gerade versprochen, ihm nach-
her die entsprechende Liste zu geben –: Es gibt 27 Ge-
setze, in denen die eingetragene Lebenspartnerschaft
anders behandelt wird als die Ehe. Das geht vom Bun-
deskindergeldgesetz über das Versammlungsrecht über
das Sprengstoffgesetz über Approbationsordnungen für
Ärzte bis hin zur Höfeordnung, einer Sonderrechtsrege-
lung im Erbrecht. In einer Zeit von „Bauer sucht Mann“
ist es notwendig, dass das Erbrecht für Bauern in dem
Maße angepasst wird, wie Sie die Ehen schützen.
Das ist überfällig. Ich gebe Ihnen gern die Hausaufgaben
mit.
Sie haben sich im Koalitionsvertrag etwas vorgenom-
men. Da steht, Herr Silberhorn:
Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden
wir beseitigen.
Wenn Sie diese Beseitigung bei allen solchen Rege-
lungen vornehmen würden, würde ich Ihnen schon kon-
zedieren: Da machen Sie einen Fortschritt. Aber im
nächsten Satz im Koalitionsvertrag wird der vorherige
Satz gleich völlig aufgehoben:
Bei Adoptionen werden wir das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts zur Sukzessivadoption zügig
umsetzen.
Das ist aber freundlich, dass Sie ein Urteil des Verfas-
sungsgerichtes, das unmittelbar Rechtskraft erlangt hat,
auch tatsächlich umsetzen werden. Das ist dann Ihre
gleichstellungspolitische Meisterleistung? Nein, das ist
eben nicht die Beseitigung aller Benachteiligungen von
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Wenn Sie
diese Benachteiligungen beseitigen wollen, dann müssen
Sie auch die gemeinsame Adoption für gleichgeschlecht-
liche Paare einführen; denn das Verfassungsgericht hat
in seinem Urteil zur Sukzessivadoption unter Randzif-
fer 104 festgestellt: Es gibt keine Rechtfertigung für eine
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2013 305
Volker Beck
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unterschiedliche Behandlung von Ehe und Lebenspart-
nerschaft bei der Adoption. –
Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, und setzen Sie
das gemeinsam mit der SPD um!
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gleichstel-
lung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mittels
Gerichtsurteilen keine politische Option ist.
Wir wollen die Ehe für gleichgeschlechtliche Le-
benspartnerschaften öffnen und diese damit auch
im Adoptionsrecht und im Steuerrecht gleichstel-
len.
– Jetzt erwarte ich Applaus von Ihnen; das ist aus Ihrem
Wahlprogramm.
Sie haben versprochen, Sie würden die Ehe öffnen,
Sie würden nicht auf das nächste Urteil zur Adoption
warten, und Sie würden hier jetzt endlich klar Schiff ma-
chen. Das haben Sie im Koalitionsvertrag aber leider
nicht durchgesetzt. Da haben Sie den Mund zu voll ge-
nommen.
Es gibt eine Mehrheit hier im Haus für die Öffnung
der Ehe. Wenn Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner an
diesem Punkt nicht einigen können, dann geben Sie die
Abstimmung frei,
lassen Sie nicht nur eine Handvoll Abgeordnete dissen-
tierend abstimmen, sondern realisieren Sie die Mehrheit
in der Bevölkerung und die Mehrheit im Deutschen Bun-
destag für die Öffnung der Ehe! Das wäre der richtige
und konsequente Weg. Die Union darf hier nicht immer
die Sperrminorität haben. Gleichheit vor dem Gesetz –
dazu gibt es keine Alternative. Das ist ein verfassungs-
rechtliches Gebot.
Schließen Sie sich uns und den Linken in dieser Position
an!
– Herr Petzold, Sie haben eine Frage?