Rede von
Dr.
Andreas
Schockenhoff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Liebe Frau Kollegin, Ihre Frage ist sehr komplex.
Präsident Putin hat wiederholt von einem gemeinsamen
europäischen Raum von Wladiwostok bis Lissabon ge-
sprochen, einem gemeinsamen ökonomischen Lebens-
raum. Ich glaube – das ist durchaus im Sinne Ihrer
Frage –: Wir sollten ihn beim Wort nehmen.
Wenn wir über Europa reden, liebe Kolleginnen und
Kollegen, so ist nach zwei Jahrhunderten furchtbarer Er-
eignisse wie dem Streben nach Hegemonie, nach wirt-
schaftlicher Übervorteilung, nach Dominanz über den
Nachbarn unsere Erfahrung, dass unsere nationalen Inte-
ressen am besten vertreten werden, wenn den Menschen
Zukunftsperspektiven im Rahmen von ökonomischer
und politischer Integration gegeben werden. Nicht Hege-
monie, nicht Bevormundung und nicht das Schaffen von
Einflusszonen, sondern Integration und Zusammenarbeit
machen Stärke aus und untermauern globale Machtan-
sprüche im 21. Jahrhundert. Aufgrund unserer Erfahrung
sollten wir die Russen beim Wort nehmen und auf die
Visionen von Präsident Putin eingehen.
Eines ist jedenfalls ganz klar: Die Menschen auf dem
Maidan-Platz schwenken die europäische Fahne. Sie
schwenken sie nicht wegen irgendeines Programmes
oder irgendeiner Summe, die im EU-Haushalt für die
Östliche Partnerschaft unterlegt ist. Deswegen ist auch
das Geschacher von Präsident Janukowitsch, jetzt noch
ein paar Milliarden Euro mehr herauszuholen, so unan-
gebracht. Die Menschen wollen so leben wie wir. Die
Menschen wollen zu unserem Teil der Welt gehören. Sie
wollen unser gesellschaftliches und politisches Modell.
Deshalb wird die Kraft der Freiheit siegen. Das ist nicht
gegen Russland gerichtet. Dies sollten wir mit ausge-
streckter Hand gegenüber unseren russischen Partnern
immer hervorheben.
Ich hoffe, damit Ihre komplexe Frage einfach beant-
wortet zu haben, liebe Frau Kollegin.
252 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013
Dr. Andreas Schockenhoff
(C)
(B)
Ich komme zurück, Herr Präsident, auf die Gemein-
same Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, begrüßen nach-
drücklich, dass dies ein Schwerpunkt des Europäischen
Rates am Ende der Woche ist; denn das strategische Um-
feld Europas befindet sich in einem tiefgreifenden Wan-
del. Nicht nur die Veränderungen im nördlichen Afrika
und im Nahen Osten können erhebliche Auswirkungen
auf die Sicherheit Europas haben. Zugleich kann Europa
nicht mehr in ähnlichem Umfang wie in der Vergangen-
heit auf die Unterstützung der USA für die praktische
Durchsetzung unserer Sicherheitsinteressen bauen. Das
bedeutet: Europa muss mehr Handlungsfähigkeit schaf-
fen. Zugleich müssen wir in den EU-Staaten aufgrund
rückläufiger Verteidigungsetats Verluste bei den nationa-
len Fähigkeiten feststellen. Wenn wir also Europas
Handlungsfähigkeit stärken wollen, brauchen wir eine
engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit und mu-
tige Schritte in Richtung einer Vertiefung der militäri-
schen Integration. Darauf müssen wir Antworten geben.
Auf dem EU-Gipfel werden wichtige Arbeitsaufträge
erteilt. Das unterstützen wir ausdrücklich, und wir hof-
fen, dass diese Arbeitsaufträge auch baldmöglichst er-
füllt werden. Eine wichtige Frage muss dabei auch sein,
wo die EU geografisch ihre Prioritäten setzen will. Die
Forderung Frankreichs, den Einsatz seiner Streitkräfte in
der Zentralafrikanischen Republik durch die EU zu fi-
nanzieren, macht deutlich, wie dringend diese Diskus-
sion ist. Natürlich liegt der Militäreinsatz der Franzosen
in Zentralafrika im europäischen Interesse. Denn Anar-
chie dort bedroht uns genauso wie Anarchie in Mali.
Deswegen begrüßen wir es nachdrücklich, Frau Ver-
teidigungsministerin, dass die Bundesregierung Frank-
reich mit strategischem Lufttransport sowie mit Verwun-
detentransport unterstützt. Wenn Paris darüber hinaus
eine finanzielle Unterstützung des Einsatzes durch die
EU fordert
– ich komme ja gerade darauf zu sprechen –, dann kann
ich das aus französischer Sicht durchaus verstehen, ins-
besondere angesichts der finanziellen Situation Frank-
reichs. Aber unabhängig von der Frage, ob wir einen
Krisenfonds für EU-Einsätze überhaupt schaffen wollen,
wie es Frankreich jetzt vorschlägt – das klingt einfach,
aber es birgt bei der Durchführung sehr viele Pro-
bleme –, brauchen wir eine strategische Diskussion aller
Staaten darüber, was die EU mit zivilen und militäri-
schen Missionen erreichen kann und wo sie geografische
Prioritäten setzen will.
Natürlich legt es das aktuelle Krisen- und Konflikt-
potenzial im Nahen Osten und im nördlichen Afrika nahe,
zunächst dort geografische Schwerpunkte zu setzen. Aber
sind wir uns denn in der EU über diese Schwerpunktset-
zung einig? Das sehen nicht alle unsere östlichen Partner
so. Insofern zeigt sich, wie wichtig diese strategische
Diskussion ist. Je eher wir in der EU einen sicherheits-
politischen Konsens über die geografische Prioritäten-
setzung erreichen, desto mehr werden wir im Hinblick
auf eine gemeinsame Fähigkeitsentwicklung, auf Poo-
ling und Sharing, auf Anlehnungspartnerschaften und
vor allem auch auf mögliche militärische Einsätze der
EU mit einer größeren Geschlossenheit rechnen können.
Deshalb ist diese strategische Diskussion hier bei uns im
Deutschen Bundestag und in der EU dringend erforder-
lich, um zu einer Klärung hinsichtlich der strategischen
Prioritätensetzung zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn eine solche
Diskussion in eine Neufassung der Europäischen Sicher-
heitsstrategie von 2003, die noch sehr stark als Antwort
auf die amerikanische Sicherheitsstrategie nach dem
11. September 2001 erarbeitet wurde, oder in die Erar-
beitung einer globalen Strategie mündete, dann wäre
dies durchaus zu begrüßen. Wir würden dies im Deut-
schen Bundestag sehr lebendig begleiten. Ich freue mich
auf unsere Arbeit in der 18. Legislaturperiode.
Herzlichen Dank.