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Metadaten- insert_drive_fileAus Protokoll: 18005
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tocInhaltsverzeichnisPlenarprotokoll 18/5 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 5. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel . . . . . 239 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 239 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 243 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 A Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 250 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . 251 B Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 252 C Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 255 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 A Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 257 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 260 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 261 B Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 263 A Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 264 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 265 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 266 D Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (13. SGB V-Änderungsgesetz – 13. SGB V-ÄndG) (Drucksache 18/200) . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) (Drucksache 18/201) . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 269 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 270 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 D Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 272 C Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 C Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 274 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 275 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 277 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU) zum Entschlie- ßungsantrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanz- lerin zum Europäischen Rat am 19./20. De- zember 2013 in Brüssel (Drucksache 18/192, Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 239 (A) (C) (D)(B) 5. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 Beginn: 9.01 Uhr
-
folderAnlagen(D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 277 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe ei- ner Regierungserklärung durch die Bundes- kanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. De- zember 2013 in Brüssel (Drucksache 18/192, Tagesordnungspunkt 5) Zum Antrag der Grünen auf Drucksache 18/192 unter anderem zur Außen- und Sicherheitspolitik der EU möchte ich mein Abstimmungsverhalten an einer beson- deren Frage aus diesem Bereich begründen, die auch in der heutigen Debatte immer wieder eine Rolle gespielt hat. Der EU-Gipfel morgen wird sich unter anderem mit der vom Deutschen Bundestag unterstützten, in der Be- völkerung dagegen sehr skeptisch betrachteten mögli- chen weiteren Erweiterung der EU, dieses Mal mit der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Serbien, be- fassen. Es trägt zweifelsfrei zur wachsenden EU-Skepsis in den Ländern dieser überlebenswichtigen Europäischen Union bei, wenn die EU sich immer weniger dazu bereit- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 18.12.2013 Barley, Dr. Katarina SPD 18.12.2013 Bülow, Marco SPD 18.12.2013 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 18.12.2013 Esken, Saskia SPD 18.12.2013 Hänsel, Heike DIE LINKE 18.12.2013 Pols, Eckhard CDU/CSU 18.12.2013 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 18.12.2013 Schick, Dr. Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18.12.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 18.12.2013 Zypries, Brigitte SPD 18.12.2013 findet, ihren eigenen Grundsätzen und ihren eigenen Be- schlüssen im konkreten Fall nachhaltig Geltung zu ver- schaffen. Wir alle hier haben die Kriege auf dem Balkan mit den schrecklichen Ergebnissen für die Menschen dort und die großen Risiken für die Stabilität Europas noch frisch in Erinnerung. Die Konflikte sind derzeit einge- froren, jedoch bei weitem nicht gelöst. Vor allem der Konflikt zwischen der Republik Serbien und der Repu- blik Kosovo birgt noch immer Potenzial für eine Desta- bilisierung des Balkan und darüber hinaus für Europa. Beide Länder haben umstrittene Führungen, deren Bekenntnisse zu Frieden, Aussöhnung und Europa von der eigenen Bevölkerung wie von der überwältigenden Mehrheit der Kenner der Region als schlicht nicht glaub- würdig angesehen werden. Während sich dies in der Bevölkerung anders darstellt, sind es vor allem der inter- nationale Druck und mehr noch die Hoffnung auf wirt- schaftliche Hilfe, die zu Zugeständnissen geführt haben, deren Bestand wir derzeit noch anzweifeln müssen. Wenn wir als Europäische Union zu früh und entge- gen unseren eigenen Kriterien die Beteiligten schon zu Beitrittsgesprächen in die EU hereinbitten, dann geben wir das stärkste politische Pfund aus der Hand, um auf eine irreversible Lösung und damit nachhaltige Befrie- dung der zentralen Konflikte zwischen der Republik Ser- bien und der Republik Kosovo zu drängen. Wir sind dabei, die Einwirkungsmöglichkeiten der EU auf eine nachhaltige Lösung leichtfertig zu vergeben, wenn wir nicht mehr darauf bestehen, dass unsere eigenen Bedin- gungen der letzten EU-Gipfel auch erfüllt werden. Poli- tischer „Discount“ statt standhafter Haltung hat sich auf dem Balkan bislang selten bis nie ausgezahlt, weder für die geplagte Bevölkerung dort noch mit Blick auf die politische Stabilität in Europa. Der Bericht der EU-Außenbeauftragten Ashton zum erreichten Stand der Verhandlungen ist überoptimistisch und blendet zentrale Risiken aus. Nachdem ich den Be- richt vom 16. Dezember 2013 an die EU-Außenminister zur Kenntnis genommen habe, will ich die Skepsis auch vieler Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause da- rüber festhalten, dass Serbien beim morgigen EU-Gipfel einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen erhalten soll, obwohl die Bedingungen aus dem EU-Be- schluss vom Juni 2013 wie auch diejenigen des Deut- schen Bundestages vom 27. Juni 2013 nicht erfüllt sind. Eine ganze Anzahl von Bedingungen sind auch des- halb nicht erfüllt, weil sie lediglich als Papier unter- zeichnet, jedoch bei der von der EU und den beiden Sei- ten im Aprilabkommen als Bedingung formulierten Implementierung und konkreten Umsetzung massiv boy- kottiert werden. Zu den großen ungeklärten Fragen zählt die für die Statik eines jeden Staates zentrale Frage der einheitli- chen Rechtsordnung und der Rechtsprechung. Die in den Gesprächen in der letzten Woche blockierte Integration Anlagen 278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 (A) (C) (B) der Rechtsprechung im Norden des Landes in den Justiz- sektor der Republik Kosovo – wie dies in jedem europäi- schen Staat gilt, weil gleiches Recht für alle eben eine einheitliche und nicht eine ethnische Justiz voraussetzt – ist auch ein Fanal dafür, dass die Autorität der EU schwindet und die EU insgesamt bei der Durchsetzung der eigenen rechtsstaatlichen Kriterien als erschöpft gilt. Der Bundestag hatte am 27. Juni 2013 unter anderem als Bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhand- lungen beschlossen: – die vollständige Auflösung der serbischen Paral- lelstrukturen im Sicherheits- und Justizbereich im Norden Kosovos und stattdessen die Errich- tung neuer Strukturen im Sicherheits- und Justiz- sektor Kosovos, die allein der politischen Kon- trolle und Finanzierung durch die kosovarische Regierung unterliegen. Weil dieses zentrale Thema so bedeutsam ist, wäre es ein Fehler, die Beitrittsgespräche mit Serbien zu eröff- nen, solange diese zentrale und andere Bedingungen nicht erfüllt sind. Es ist ein großes Risiko, das die EU gerade eingeht. Sie hat sich bislang in der Analyse und bei der Konfliktbewältigung nicht als allzu erfolgreich erwiesen. Die Bundesregierung kann nur aufgefordert werden, sich auf dem EU-Gipfel im Interesse der Stabilität des Balkan und der noch immer nicht vollständig beseitigten Risiken für den Frieden in Europa nicht allzu schnell von Positionen zu verabschieden, die genau diese Risiken eindämmen sollten. (D) 5. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 5 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 6 Preismoratorium für Arzneimittel Anlagen
-
insert_commentVorherige Rede als Kontext
Rede von Dr. Sahra Wagenknecht
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Frau Bundeskanzlerin, während der fast drei Monate, in
denen Sie mit der SPD um den Koalitionsvertrag ge-
feilscht haben, haben sich in Griechenland aus Verzweif-
lung über ihre soziale Situation schätzungsweise
120 Menschen das Leben genommen. Während der glei-
chen Zeit haben in Spanien etwa 45 000 Familien ihre
Häuser oder Wohnungen durch Zwangsversteigerungen
verloren. Mehr als 10 000 Unternehmer – vor allem
kleine und mittlere – in den Krisenländern haben in die-
ser Zeit den Kampf gegen die Wirtschaftskrise verloren
und mussten Konkurs anmelden. Es gibt keine offizielle
Statistik darüber, wie viele Menschen in dieser Zeit in
Europa gestorben sind, weil sie lebensnotwendige Medi-
kamente nicht mehr bezahlen konnten, und schon gar
keine Statistik misst, wie viele junge Menschen mit die-
ser Gesellschaft innerlich für immer abgeschlossen ha-
ben, weil sie bei einer Rekordjugendarbeitslosigkeit von
60 Prozent nie eine Chance haben werden.
Gut dokumentiert ist dagegen: In den gleichen drei
Monaten hat sich das Vermögen der europäischen Milli-
onäre und Multimillionäre wieder einmal erhöht: um fast
100 Milliarden Euro.
So sieht Ihr Europa aus, Frau Kanzlerin, so sehen die
Folgen der Politik aus, die Sie ganz Europa diktieren, ei-
244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013
Dr. Sahra Wagenknecht
(A) (C)
(D)(B)
ner Politik, die Banker und Oligarchen mit Samthand-
schuhen anfasst, aber die kleinen Leute dazu zwingen
will, für die Zockerverluste der oberen Zehntausend zu
bezahlen. Ich sage Ihnen, Frau Kanzlerin: Das ist nicht
christlich, das ist unmenschlich und brutal.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe noch gut im Ohr, wie uns – auch in diesem
Hause – immer wieder weisgemacht wurde, dass es gut
und richtig sei, dass die weisen Finanzmärkte über die
Zinsen entscheiden, die ein Staat auf seine Schulden zu
zahlen hat, und dass Regierungen auf Gedeih und Ver-
derb eine Politik machen sollen, mit der sie das Ver-
trauen der Märkte gewinnen. Seit einiger Zeit weiß man
nun etwas genauer, was es mit dieser Weisheit der
Märkte auf sich hat: Man weiß, dass zentrale Zinssätze
wie zum Beispiel der Libor von einer Handvoll Händler
manipuliert wurden. Man weiß auch, dass wenige In-
vestmentbanker die Wechselkurse gezielt gesteuert ha-
ben, und man weiß, warum solche Manipulationen mög-
lich sind: weil sogar auf einem riesigen Markt wie dem
Devisenmarkt, wo jeden Tag 5 Billionen Dollar umge-
setzt werden, etwa vier Bankgiganten ungefähr die
Hälfte des Marktvolumens kontrollieren. Auf dem Deri-
vatemarkt sind es etwa sieben Großbanken, die 90 Pro-
zent des Marktes beherrschen. Und da glauben Sie im
Ernst, dass die Zinsen für Staatsanleihen auf einem neu-
tralen Markt gebildet werden, der sachlich, weise und
selbstlos die Wirtschaftsdaten bewertet? Ich bitte Sie, so
naiv kann heute gar niemand mehr sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer die Finanzierung der Staaten von dieser Finanzma-
fia abhängig macht, der wird zum Spielball ihrer Betrü-
gereien und der hat sein demokratisches Gewissen aus-
verkauft. Genau so sieht die Politik in Europa aus:
4 500 Milliarden Euro sauer erarbeitetes Steuergeld wur-
den seit 2008 für die Rettung maroder Banken und Fi-
nanzinstitute verpulvert. In Deutschland ist die Staats-
verschuldung allein wegen der Bankenrettung um
360 Milliarden Euro angeschwollen – ein Betrag, im
Vergleich zu dem die Kosten eines flächendeckenden
Ausbaus von Kindertagesstätten mit einem Platz für je-
des Kind in diesem Land eine lächerliche Summe bilden
würden.
Sie wissen, dass die Leute es leid sind, für die abstru-
sen Geschäfte windiger Banker zu bezahlen. Deswegen
haben ja beide heutigen Großkoalitionäre im Wahlkampf
Besserung gelobt. Die SPD zum Beispiel hat in ihrem
Regierungsprogramm wörtlich versprochen, dass – ich
zitiere – „Steuerzahlerinnen und Steuerzahler … nie
wieder in Geiselhaft der Banken und Spekulanten ge-
nommen werden“ dürfen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Ja! – Dietmar Nietan [SPD]: Richtig! Daran arbeiten wir!)
Herr Steinbrück ist mit dieser Botschaft über die Markt-
plätze gezogen. Es hat zugegebenermaßen nicht viel ge-
nützt; aber das ist noch keine Rechtfertigung dafür, drei
Monate nach der Wahl das Gegenteil dessen zu tun, was
man vor der Wahl versprochen hat.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dietmar Nietan [SPD]: Das stimmt doch nicht!)
Spätestens seit dem Treffen der EU-Finanzminister ist
doch völlig klar: Das Versprechen, dass kriminelle Wett-
buden künftig für sich selber haften, ist keinen Pfiffer-
ling wert gewesen.
(Dietmar Nietan [SPD]: Wir arbeiten noch daran!)
In Art. 27 des ursprünglichen Richtlinienentwurfs wurde
stattdessen eine Ausnahmeregelung vereinbart, die es bis
einen Tag vor der Abwicklung einer Bank erlaubt, die
Eigentümer und Gläubiger mit Steuergeldern von jeder
Verantwortung freizukaufen. Für den Fall, dass Sie mir
nicht glauben, zitiere ich den Inhaber des Lehrstuhls für
Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Univer-
sität Bochum, Professor Stephan Paul:
Der jetzige Richtlinienentwurf macht die Tür auf
und ermöglicht es, für – so heißt es dort – „gesunde
Banken mit tragfähigem Geschäftsmodell“ auch
vorher schon
– also vor der Haftung von Eigentümern und Gläubi-
gern –
Hilfszahlungen von staatlicher Seite zu gewähren.
Ich frage mich an der Stelle aber: Wenn eine Bank
gesund ist, wenn sie ein tragfähiges Geschäftsmo-
dell hat, wozu braucht sie dann staatliche Hilfszah-
lungen?
So weit Professor Paul.
(Dietmar Nietan [SPD]: Das war ein Richtlinienentwurf!)
Wenn Sie ihm nicht folgen wollen, überzeugt Sie viel-
leicht die Meinung von Markus Ferber, Europaabgeord-
neter der CSU und Mitglied im Finanzausschuss des Eu-
ropäischen Parlaments. Ich zitiere:
Mit diesem neuen Artikel wird eigentlich der Ver-
such unternommen, über die Hintertür wieder den
Steuerzahler einzuführen, lange bevor Eigentümer,
nachrangige Gläubiger und Einleger betroffen sind.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!)
In einem internen Positionspapier jubelt die Rating-
agentur Standard & Poor’s – ich zitiere –:
Neue EU-Richtlinie erlaubt Regierungen, Banken
mit Steuergeldern zu retten.
(Dietmar Nietan [SPD]: Von wann ist denn der Entwurf? Der ist doch von vor den Koalitionsverhandlungen!)
Auch der von Ihnen vorhin zitierte Abwicklungsfonds
schützt die Steuerzahler doch überhaupt nicht. Dieser
Abwicklungsfonds soll 2016 aufgelegt werden und nach
zehn Jahren, also 2026, das grandiose Volumen von
55 Milliarden Euro erreichen. Ich erinnere noch einmal
daran: Die Finanzkrise hat die europäischen Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler bis jetzt 4 500 Milliarden Euro
gekostet. Das heißt, dieser Abwicklungsfonds wird,
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 245
Dr. Sahra Wagenknecht
(A) (C)
(D)(B)
selbst wenn er im Jahr 2026 vollständig gefüllt ist, ge-
rade einmal ein Hundertstel dieser Summe abdecken.
Wir schreiben heute nicht 2026, sondern 2013, und es
ist bekannt, dass heute immer noch faule Kredite im
Umfang von etwa 1 Billion Euro in den Bilanzen der eu-
ropäischen Banken lagern. Im nächsten Jahr will die
EZB ihre Stresstests durchführen, und jeder weiß, dass
dabei natürlich ein erheblicher Kapitalbedarf ermittelt
wird. Deshalb frage ich Sie: Wer soll den denn bezahlen,
wenn es den Abwicklungsfonds überhaupt noch nicht
gibt und außerdem die Haftung von Eigentümern und
Gläubigern in der Richtlinie auf 8 Prozent der Bilanz-
summe reduziert ist?
Das heißt, Sie wollen weiter Steuergeld verbrennen,
und zwar für Banken, in Bezug auf die Sie bis heute
nicht das Kreuz haben, ihnen wenigstens vernünftige
Regeln aufzuzwingen, die sie dazu zwingen, ihre Auf-
gabe als Diener der Realwirtschaft, als Finanzier von
Innovationen und Investitionen endlich wieder einmal
wahrzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie wollen Steuergeld für Banken verbrennen, denen Sie
bis heute noch nicht einmal abverlangen, wenigstens or-
dentlich Eigenkapital zu bilden, damit sie vielleicht ir-
gendwann einmal in Zukunft für ihre Verluste haften
können. Stattdessen sehen Sie seit Jahren zu, wie diese
Banken Boni und Dividenden nach Belieben ausschüt-
ten. Im Finanzsektor wird bis heute das meiste Geld ver-
dient. Die Zahl der Einkommensmillionäre in diesem
Bereich ist längst wieder auf Vorkrisenniveau.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!)
Sie haben den Banken ganze 3 Prozent Eigenkapital
verbindlich vorgeschrieben. Ich sage Ihnen: Wenn man
als Unternehmen mit 3 Prozent Eigenkapital bei einer
Bank vorspricht, dann muss man damit rechnen, dass
man relativ schnell aus der Filiale gejagt wird. Bei den
Banken soll das aber offensichtlich ausreichend sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Wahrheit ist doch: Wir brauchen keine Banken-
union, sondern wir brauchen endlich eine ordentliche
Bankenregulierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Finanzinvestor Warren Buffett hat Derivate ein-
mal „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ genannt.
Wenn ich mir ansehe, dass die Deutsche Bank aktuell
mit solchen „finanziellen Massenvernichtungswaffen“
im Nominalvolumen von 60 000 Milliarden Euro he-
rumspielt, dann frage ich mich, wie Sie noch ruhig schla-
fen können.
Wir brauchen Regeln, die die Banken klein machen.
Wir haben doch nicht nur das Problem „too big to fail“,
das heißt, die Banken sind nicht nur zu groß, um zu fal-
len, sondern sie sind auch zu groß, um reguliert zu wer-
den. Das ist doch das Kernproblem: das Problem wirt-
schaftlicher Macht.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist das Problem, das einst Walter Eucken als Vertre-
ter des Ordoliberalismus ins Zentrum seiner Theorie ge-
stellt hat. Er hat gesagt: Wirtschaftliche Macht kann man
nicht kontrollieren; man kann nur verhindern, dass sie
entsteht, oder man liefert sich ihr aus. – Sie haben uns
den Banken ausgeliefert, und genau so sieht Ihre Ban-
kenunion jetzt auch aus.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn man dann noch weiß, dass die Aufsicht über die
europäischen Banken ausgerechnet an den ehemaligen
Investmentbanker und Goldman-Sachs-Mann Mario
Draghi übergeben werden soll, dann kann man nur sa-
gen: Gute Nacht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich stelle deshalb für meine Fraktion fest: Diese Ban-
kenunion ist eine Lebensversicherung für Schrottbanken
und eine schwere Hypothek für die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler. Das ist Wahlbetrug, ganz klar Wahlbe-
trug und nichts anderes.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie von der SPD haben so schön plakatiert: „Das Wir
entscheidet.“ Ich glaube, es wäre ehrlicher gewesen, Sie
hätten plakatiert: „Die Deutsche Bank entscheidet, und
das Wir bezahlt.“ Das ist nämlich die Politik, die Sie ma-
chen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Steinmeier hat sich kürzlich auf einer Veranstaltung
des Arbeitgeberverbandes bitter beklagt, dass es die
Wirtschaftsbosse der SPD so wenig danken, dass sie sich
mit ihrer Agenda 2010 so massiv für deren Interessen ins
Zeug gelegt hat. Herr Steinmeier, ich sage Ihnen voraus:
Auch Ihren Kotau vor den Interessen der Banker und
Millionäre in der Europapolitik werden sie Ihnen nicht
danken. Das Einzige, was Sie mit dieser Politik errei-
chen, ist, dass die einst so stolze und einflussreiche Par-
tei Willy Brandts sich in der deutschen Politik mehr und
mehr überflüssig macht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich komme nun zu einem weiteren Thema des
EU-Gipfels, dem Wettbewerbspakt.
(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Kommen Sie zum Schluss!)
Dieser Wettbewerbspakt soll offenbar Griechenland zum
Vorbild für die gesamte EU machen. Die nationalen Re-
gierungen sollen bilaterale Knebelverträge mit der Kom-
mission abschließen,
(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn alles aufgeschrieben? Das ist ja nicht zu ertragen!)
in denen sie sich zu so tollen Maßnahmen wie der Sen-
kung von Unternehmenssteuern, Entlassungen im öffent-
lichen Dienst, Einschränkungen des Streikrechts, An-
griffen auf Tarifverträge und vielem Schönen mehr
verpflichten. Um diese Politik gegen die Mehrheit der
Menschen abzusichern, sollen die Parlamente möglichst
246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013
Dr. Sahra Wagenknecht
(A) (C)
(D)(B)
entmachtet werden. Frau Merkel, da kann ich mir den
Kommentar nicht verkneifen: Mir scheint Ihre Sensibili-
tät für demokratische Grundsätze da etwas selektiv zu
sein. Undemokratische Politik ist nicht nur in Russland
ein Problem. Undemokratische Politik ist auch ein Pro-
blem, wenn sie mit Ihrer Zustimmung auf einem EU-Gip-
fel verabschiedet wird.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Dass es im zweiten Teil des Gipfels auch noch um
Aufrüstung gehen soll, dass Sie sich also in der schwers-
ten Krise der EU offensichtlich auch noch darum sorgen,
wie man mehr Geld für Waffen aufbringen kann, das,
finde ich, setzt dem Ganzen die Krone auf.
Ich komme zum Schluss.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!)
– Sie wollen das nicht hören; das kann ich mir schon
vorstellen. Sie müssen sich das aber anhören; tut mir
leid.
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Koalitionsvertrag ist nicht nur in der Frage der
Bankenunion ein Koalitionsvertrag der gebrochenen
Versprechen. Was sich hier zusammengefunden hat, ist
keine Koalition der großen Aufgaben, sondern eine Ko-
alition der großen Ignoranz gegenüber den anstehenden
Aufgaben.
Wo tatsächlich die politischen Aufgaben unserer Zeit
liegen, daran hat, während Sie über so richtungweisende
Probleme wie die Pkw-Maut für Ausländer gestritten ha-
ben, Papst Franziskus in seinem jüngsten Apostolischen
Schreiben
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ach Gott!)
sehr deutlich erinnert. Ich lege gerade dem Teil des Hau-
ses, der sich „christlich“ nennt, aber meines Erachtens
aufgrund der Wertevorstellungen seiner Politik damit
nichts mehr zu tun hat, sehr nahe, diese Botschaft einmal
zu lesen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen
Das kann man dort zum Beispiel nachlesen. Oder auch:
Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt,
wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der
Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um
zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht.
Sie, sowohl CDU/CSU als auch SPD, tun mit Ihrer
Europapolitik – da gab es auch in der letzten Legislatur
schon eine große Gemeinschaft – tatsächlich Ihr Bestes,
dass die Zahl der alten Menschen, die auf der Straße le-
ben müssen, in Europa steigt und nicht sinkt. Sie haben
mit Ihrem Koalitionsvertrag den Deutschen Aktienin-
dex, DAX, freilich nicht in die Baisse getrieben, sondern
ihn zu einem Jubelsprung angeregt. Es ist erschütternd,
dass Ihnen beides offenbar noch nicht einmal zu denken
gibt.
Die Linke zumindest nimmt die päpstliche Botschaft
ernst,
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)
und zwar nicht nur zu Weihnachten. Meine Fraktion sagt
daher Nein zu dieser unverantwortlichen Europapolitik,
Nein zu einer Bankenrettung auf Kosten der Steuerzah-
ler, Ja zu Demokratie und Sozialstaat in Europa und des-
wegen Nein zur Politik dieser Großen Koalition.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Rede von Dr. Norbert Lammert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nächster Redner ist der Kollege Niels Annen für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
-
insert_commentNächste Rede als Kontext
Rede von Niels Annen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin Wagenknecht, ich wollte Ihnen
eigentlich zu Ihrer ersten Rede als Stellvertreterin des
Oppositionsführers gratulieren.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das lassen wir!)
Aber wenn Sie das tragische Schicksal von Menschen
hier in einen Zusammenhang stellen, der nicht adäquat
ist,
(Widerspruch bei der LINKEN)
dann ist das, finde ich, ein Beitrag zur Debatte, der die-
sem Hause nicht würdig und übrigens auch der demokra-
tischen Debatte nicht angemessen ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wovon wird der Mann denn arm?)
Im Übrigen stelle ich fest: Die Große Koalition und
die sozialdemokratische Fraktion haben in den letzten
Wochen und Monaten genau daran gearbeitet, dass sich
diese Krise nicht wiederholt, dass wir die Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler entlasten und dass wir vernünf-
tige Regelungen einführen. Sie sollten sich an dieser
Diskussion beteiligen. Wir wissen nämlich ganz genau,
dass es auch – Sie haben den Wahlkampf miterlebt – un-
terschiedliche Sichtweisen zwischen den Fraktionen die-
ser Bundesregierung gegeben hat.
Aber das ist der Unterschied, Frau Wagenknecht: Wir
sind überzeugte Europäerinnen und Europäer.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das glaube ich nicht! Das sind Sie nicht!)
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Niels Annen
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Deswegen sind wir in der Lage, uns auf eine gemein-
same wirksame Politik zu verständigen, statt wie Sie alte
Klischees zu bedienen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, es sollte bei diesem Gipfel eigentlich schwerpunkt-
mäßig um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspoli-
tik gehen. Deswegen möchte ich mit Ihrer Erlaubnis
dazu ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen.
Denn die Ausgangslage dafür – Catherine Ashton hat
das in ihrem Bericht an den Rat deutlich gemacht – hat
sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Sie
schreibt: Das strategische Umfeld Europas ist heute do-
miniert von der Neuorientierung der USA in Richtung
Pazifik, von wachsenden Sicherheitsrisiken und von re-
gionalen Konflikten. – Was für ein Unterschied zu dem
optimistischen Grundtenor der Europäischen Sicher-
heitsstrategie von vor zehn Jahren, in der es heißt:
Die Gewalt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
ist einer … beispiellosen Periode des Friedens und
der Stabilität gewichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit ist:
Europa hat an Gewicht verloren. An Gewicht gewonnen
hat damit die Notwendigkeit, für uns Europäer eine ge-
meinsame Außenpolitik zu formulieren – eine Einsicht,
die in ihrer Bedeutung vielleicht auch deswegen in
Deutschland noch nicht ganz so gut verstanden worden
ist, weil unser relatives Gewicht in der Krise zugenom-
men hat. Die bilateralen Beziehungen, die wir zu Län-
dern wie China und Indien haben, sind ein Beispiel für
diese Entwicklung. Regelmäßige Regierungskonsulta-
tionen erlauben es der Bundesregierung, ihre Interessen
effektiv zu vertreten.
Wahr ist aber auch, dass diese bilateralen Formate
manchmal auch im Interesse von Ländern wie China und
Indien sind. Deswegen ist es aus meiner Sicht entschei-
dend, dass wir dieser globalen Charmeoffensive nicht in
der Form erliegen, dass wir glauben, wir könnten mittel-
fristig unsere Interessen national wahrnehmen. Deswe-
gen möchte ich an dieser Stelle sagen, Frau Bundeskanz-
lerin: Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie deutlich
gemacht haben, dass diese Bundesregierung an dem eu-
ropäischen Integrationskurs festhält, weil das Vertrauen
schafft und unsere Möglichkeiten erweitert, unsere Poli-
tik zu formulieren. Denn das Modell der westlichen De-
mokratie ist heute nicht mehr so unangefochten wie noch
vor zehn Jahren. Autoritäre Entwicklungsmodelle wie
etwa das chinesische haben enorme Erfolge im Bereich
von Wirtschaftswachstum, aber auch von Armutsbe-
kämpfung erreicht und damit auch an Legitimität ge-
wonnen. Gerade deshalb brauchen wir eine Stärkung der
Instrumente der gemeinsamen Außenpolitik.
Dass mit Staaten wie Indien oder China selbstbe-
wusste Akteure die Bühne betreten, ist ja im Prinzip
positiv;
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Im Prinzip ja!)
denn es ist auch ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit in
der Welt. Das internationale System ist nach wie vor
nicht gerecht organisiert.
Doch gleichzeitig stellen wir fest, dass außerhalb der
EU ein anderer Blick auf internationale Beziehungen
vorherrscht: ein Blick, der auf veralteten geopolitischen
Kategorien gründet.
Die Erfahrung unseres Kontinentes ist: Wir können
nur gemeinsam stark werden. Wir können nur erfolg-
reich sein, wenn auch unsere Nachbarn erfolgreich sind.
Diese Erkenntnis schien sich mit der Erweiterung der
Europäischen Union und der NATO durchzusetzen. Sie
ist heute, wenn wir ehrlich sind, Ernüchterung gewichen.
Ob es der Konflikt in der Ukraine ist oder Territorial-
streitigkeiten im Südchinesischen Meer sind, in weiten
Teilen der Welt scheint sich eine Nullsummenlogik als
Grundprinzip der internationalen Beziehungen durchzu-
setzen. Nun raten uns viele, Europa solle endlich er-
wachsen werden. Gemeint ist damit wohl, dass wir sel-
ber diese Nullsummenlogik übernehmen sollen. Meine
Damen und Herren, das kann nicht der richtige Weg
sein. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben erwähnt, dass die
Logik des Entweder-oder nicht funktionieren kann. Ich
glaube, Sie haben damit recht, weil es den Kern dessen
infrage stellen würde, was uns als Europäerinnen und
Europäer ausmacht. Richtig ist aber auch: Europa
braucht eine Antwort auf die neuen Herausforderungen.
Diese kann nur in einer gemeinsamen Politik gegenüber
den neuen Akteuren liegen. Dafür brauchen wir eine ef-
fizientere, eine wirksamere Außen- und Sicherheits-
politik. Europas Funktion als Stabilitätsanker darf nicht
weiter gefährdet werden; denn damit würden wir das
wichtigste Instrument unserer Politik – man redet gerne
von Soft Power – verlieren, nämlich die Attraktivität un-
seres Integrationsmodells.
Je krisenhafter die Entwicklung in unserer Nachbar-
schaft, desto höher die Erwartungen an unser Land, mehr
Verantwortung zu übernehmen. Wie wir alle wissen,
sinkt gleichzeitig die Bereitschaft, Ressourcen für eine
strategische Außenpolitik bereitzustellen. Eine langfris-
tige Stärkung der europäischen Fähigkeiten wird aber
ohne einen effizienteren Einsatz von Ressourcen nicht
erfolgreich sein. Dafür müssen wir die Bedingungen ver-
bessern. Hier fehlt es nicht an Konzepten, sondern an der
Umsetzung. Eine weitere Vertiefung der Europäischen
Union darf an der Sicherheitspolitik nicht vorbeigehen.
Denken Sie etwa an die Möglichkeit der ständigen struk-
turierten Zusammenarbeit. Deutschland sollte sich daran
intensiv beteiligen. Auch das will ich an dieser Stelle sa-
gen, weil die Kollegin von der Linkspartei von Aufrüs-
tungsgipfel und Ähnlichem sprach: Es ist meine feste
Überzeugung, dass wir Fortschritte dort nur machen
können, wenn wir unsere positiven Erfahrungen mit dem
Parlamentsvorbehalt auf europäischer Ebene einbringen
und für eine entsprechende Umsetzung sorgen. Deswe-
gen bin ich froh darüber, dass sich die neue Bundesregie-
rung zur Stärkung des Parlamentsvorbehaltes bekennt.
(Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Abwarten! Die eiern doch noch!)
Ebenso unverzichtbar ist es, den zivilen Aspekt der
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken.
Er kommt im Ratsdokument nach meiner persönlichen
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Meinung etwas zu kurz. Deutschland hat hier seit der
Kanzlerschaft von Gerhard Schröder wichtige Fort-
schritte gemacht. Ich bin froh darüber, dass die neue
Bundesregierung diese Arbeit fortsetzen will.
Meine Damen und Herren, die weitere Stärkung des
Europäischen Auswärtigen Dienstes bleibt damit eine
zentrale Aufgabe; denn was ein politisch geschlossenes
Europa erreichen kann, erleben wir gerade in den Ver-
handlungen über eine politische Lösung des Nuklear-
konflikts mit dem Iran. Dies sollte uns Mut machen für
die Aufgaben, die vor uns liegen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)