Rede:
ID1800500200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 16
    1. die: 2
    2. Ich: 1
    3. eröffne: 1
    4. Aussprache: 1
    5. und: 1
    6. erteile: 1
    7. das: 1
    8. Wort: 1
    9. zu-nächst: 1
    10. der: 1
    11. Kollegin: 1
    12. Sahra: 1
    13. Wagenknecht: 1
    14. für: 1
    15. FraktionDie: 1
    16. Linke.\n: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/5 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 5. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel . . . . . 239 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 239 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 243 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 A Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . 250 B Marieluise Beck (Bremen) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . 251 B Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 252 C Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 255 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 A Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 257 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 260 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 261 B Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 263 A Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 264 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 265 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 266 D Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (13. SGB V-Änderungsgesetz – 13. SGB V-ÄndG) (Drucksache 18/200) . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialge- setzbuch (14. SGB V-Änderungsgesetz – 14. SGB V-ÄndG) (Drucksache 18/201) . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 269 C Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 270 C Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 D Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 272 C Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 C Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 274 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 275 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 277 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU) zum Entschlie- ßungsantrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanz- lerin zum Europäischen Rat am 19./20. De- zember 2013 in Brüssel (Drucksache 18/192, Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 239 (A) (C) (D)(B) 5. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 277 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU) zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe ei- ner Regierungserklärung durch die Bundes- kanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. De- zember 2013 in Brüssel (Drucksache 18/192, Tagesordnungspunkt 5) Zum Antrag der Grünen auf Drucksache 18/192 unter anderem zur Außen- und Sicherheitspolitik der EU möchte ich mein Abstimmungsverhalten an einer beson- deren Frage aus diesem Bereich begründen, die auch in der heutigen Debatte immer wieder eine Rolle gespielt hat. Der EU-Gipfel morgen wird sich unter anderem mit der vom Deutschen Bundestag unterstützten, in der Be- völkerung dagegen sehr skeptisch betrachteten mögli- chen weiteren Erweiterung der EU, dieses Mal mit der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Serbien, be- fassen. Es trägt zweifelsfrei zur wachsenden EU-Skepsis in den Ländern dieser überlebenswichtigen Europäischen Union bei, wenn die EU sich immer weniger dazu bereit- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 18.12.2013 Barley, Dr. Katarina SPD 18.12.2013 Bülow, Marco SPD 18.12.2013 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 18.12.2013 Esken, Saskia SPD 18.12.2013 Hänsel, Heike DIE LINKE 18.12.2013 Pols, Eckhard CDU/CSU 18.12.2013 Schäuble, Dr. Wolfgang CDU/CSU 18.12.2013 Schick, Dr. Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18.12.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 18.12.2013 Zypries, Brigitte SPD 18.12.2013 findet, ihren eigenen Grundsätzen und ihren eigenen Be- schlüssen im konkreten Fall nachhaltig Geltung zu ver- schaffen. Wir alle hier haben die Kriege auf dem Balkan mit den schrecklichen Ergebnissen für die Menschen dort und die großen Risiken für die Stabilität Europas noch frisch in Erinnerung. Die Konflikte sind derzeit einge- froren, jedoch bei weitem nicht gelöst. Vor allem der Konflikt zwischen der Republik Serbien und der Repu- blik Kosovo birgt noch immer Potenzial für eine Desta- bilisierung des Balkan und darüber hinaus für Europa. Beide Länder haben umstrittene Führungen, deren Bekenntnisse zu Frieden, Aussöhnung und Europa von der eigenen Bevölkerung wie von der überwältigenden Mehrheit der Kenner der Region als schlicht nicht glaub- würdig angesehen werden. Während sich dies in der Bevölkerung anders darstellt, sind es vor allem der inter- nationale Druck und mehr noch die Hoffnung auf wirt- schaftliche Hilfe, die zu Zugeständnissen geführt haben, deren Bestand wir derzeit noch anzweifeln müssen. Wenn wir als Europäische Union zu früh und entge- gen unseren eigenen Kriterien die Beteiligten schon zu Beitrittsgesprächen in die EU hereinbitten, dann geben wir das stärkste politische Pfund aus der Hand, um auf eine irreversible Lösung und damit nachhaltige Befrie- dung der zentralen Konflikte zwischen der Republik Ser- bien und der Republik Kosovo zu drängen. Wir sind dabei, die Einwirkungsmöglichkeiten der EU auf eine nachhaltige Lösung leichtfertig zu vergeben, wenn wir nicht mehr darauf bestehen, dass unsere eigenen Bedin- gungen der letzten EU-Gipfel auch erfüllt werden. Poli- tischer „Discount“ statt standhafter Haltung hat sich auf dem Balkan bislang selten bis nie ausgezahlt, weder für die geplagte Bevölkerung dort noch mit Blick auf die politische Stabilität in Europa. Der Bericht der EU-Außenbeauftragten Ashton zum erreichten Stand der Verhandlungen ist überoptimistisch und blendet zentrale Risiken aus. Nachdem ich den Be- richt vom 16. Dezember 2013 an die EU-Außenminister zur Kenntnis genommen habe, will ich die Skepsis auch vieler Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause da- rüber festhalten, dass Serbien beim morgigen EU-Gipfel einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen erhalten soll, obwohl die Bedingungen aus dem EU-Be- schluss vom Juni 2013 wie auch diejenigen des Deut- schen Bundestages vom 27. Juni 2013 nicht erfüllt sind. Eine ganze Anzahl von Bedingungen sind auch des- halb nicht erfüllt, weil sie lediglich als Papier unter- zeichnet, jedoch bei der von der EU und den beiden Sei- ten im Aprilabkommen als Bedingung formulierten Implementierung und konkreten Umsetzung massiv boy- kottiert werden. Zu den großen ungeklärten Fragen zählt die für die Statik eines jeden Staates zentrale Frage der einheitli- chen Rechtsordnung und der Rechtsprechung. Die in den Gesprächen in der letzten Woche blockierte Integration Anlagen 278 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 (A) (C) (B) der Rechtsprechung im Norden des Landes in den Justiz- sektor der Republik Kosovo – wie dies in jedem europäi- schen Staat gilt, weil gleiches Recht für alle eben eine einheitliche und nicht eine ethnische Justiz voraussetzt – ist auch ein Fanal dafür, dass die Autorität der EU schwindet und die EU insgesamt bei der Durchsetzung der eigenen rechtsstaatlichen Kriterien als erschöpft gilt. Der Bundestag hatte am 27. Juni 2013 unter anderem als Bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhand- lungen beschlossen: – die vollständige Auflösung der serbischen Paral- lelstrukturen im Sicherheits- und Justizbereich im Norden Kosovos und stattdessen die Errich- tung neuer Strukturen im Sicherheits- und Justiz- sektor Kosovos, die allein der politischen Kon- trolle und Finanzierung durch die kosovarische Regierung unterliegen. Weil dieses zentrale Thema so bedeutsam ist, wäre es ein Fehler, die Beitrittsgespräche mit Serbien zu eröff- nen, solange diese zentrale und andere Bedingungen nicht erfüllt sind. Es ist ein großes Risiko, das die EU gerade eingeht. Sie hat sich bislang in der Analyse und bei der Konfliktbewältigung nicht als allzu erfolgreich erwiesen. Die Bundesregierung kann nur aufgefordert werden, sich auf dem EU-Gipfel im Interesse der Stabilität des Balkan und der noch immer nicht vollständig beseitigten Risiken für den Frieden in Europa nicht allzu schnell von Positionen zu verabschieden, die genau diese Risiken eindämmen sollten. (D) 5. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 5 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 6 Preismoratorium für Arzneimittel Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

    nen und Kollegen! Dass ich meine dritte Amtszeit als
    Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland mit
    einer Regierungserklärung zu Europa eröffne, das ist
    nicht allein Folge der Terminlage, sondern das ist vor al-
    lem Ausdruck einer neuen Realität.

    Erstens zeigt sich daran, dass zwischen Europapolitik
    und Innenpolitik heute kaum noch sinnvoll unterschie-
    den werden kann. Dies gilt umso mehr, weil wir eine
    Wirtschafts- und Währungsunion haben, in der nationale
    Entscheidungen jeweils Auswirkungen auf alle anderen
    Mitgliedstaaten der Währungsunion und den gesamten
    Euro-Raum haben.
    Zweitens drücken sich darin die größeren Informa-
    tions- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundesta-
    ges in der Europapolitik und die gewachsene Rolle der
    nationalen Parlamente in ganz Europa aus.

    Drittens ist dies eine Folge der gestiegenen Verant-
    wortung Deutschlands für unseren ganzen Kontinent.
    Heute im Bundestag über Europa zu sprechen, das be-
    deutet auch, über die Rolle Deutschlands in der Europäi-
    schen Union zu reden.

    Die Bundesregierung der Großen Koalition will, dass
    Deutschland als Gründungsmitglied der Europäischen
    Union weiterhin eine verantwortungsvolle und integra-
    tionsfördernde Rolle in Europa wahrnimmt. Für die
    Große Koalition ist und bleibt das europäische Eini-
    gungswerk eine der wichtigsten Aufgaben dieser Legis-
    laturperiode.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wir wollen, so sagt es der Koalitionsvertrag, Deutsch-
    lands Zukunft gestalten, und wir wollen Europas Zu-
    kunft mitgestalten.

    Dass ich meine dritte Amtszeit mit einer Regierungs-
    erklärung zu Europa beginnen darf, freut mich auch des-
    halb sehr, weil wir am Ende des Jahres 2013 feststellen
    können: Europa ist auf dem Weg zu Stabilität und
    Wachstum ein gutes Stück vorangekommen. Das Jahr
    2013 war ereignisreich, es war arbeitsreich, und es war
    auch erfolgreich für Deutschland und für Europa. Eu-
    ropa konnte in diesem Jahr auf den Fortschritten der Vor-
    jahre aufbauen, und Europa kann die ersten Früchte ern-
    ten – ich betone allerdings: die ersten.

    Erstens. Wir haben weitere Fortschritte gemacht, um
    die Euro-Zone zu stabilisieren und das Funktionieren der
    Wirtschafts- und Währungsunion zu verbessern. Unser
    permanenter Europäischer Stabilitätsmechanismus, der
    ESM, funktioniert. Es zeigt sich, dass das Konzept
    „Hilfe gegen Strukturreformen und Haushaltskonsolidie-
    rung“ wirkt. Wir haben die wirtschafts- und haushalts-
    politische Überwachung fortentwickelt. Wir haben mit
    dem Fiskalvertrag eine Grundlage für solides Haushalten
    in Kraft gesetzt. Wir haben beschlossen, eine engere

    240 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013

    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    wirtschaftspolitische Koordinierung einzuführen, und
    wir haben die gemeinsame Währung attraktiv gehalten:
    Zum 1. Januar 2014 wird Lettland das 18. Mitglied der
    Euro-Zone werden.

    Zweitens. Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht,
    um ein solides und verantwortungsvolles Finanzsystem
    zu schaffen. Die europäische Bankenaufsicht wurde auf
    den Weg gebracht. Auf diese Weise werden wir Fehlent-
    wicklungen im Bankensektor künftig frühzeitiger aufde-
    cken und besser korrigieren können, also bevor Gefah-
    ren für die gesamte Euro-Zone auftreten. Im Bereich der
    Finanzmärkte werden zahlreiche Tätigkeitsfelder neu
    oder verschärft reguliert. Dies gilt zum Beispiel für die
    Vorschriften zum Eigenkapital der Banken.

    Drittens. Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht,
    um ein politisch und wirtschaftlich starkes, modernes
    und sozial gerechtes Europa zu schaffen. Mit dem Haus-
    halt der Europäischen Union, der gemäß der Einigung
    für die Jahre 2014 bis 2020 in Höhe von rund 1 Prozent
    der Wirtschaftsleistung der EU liegen wird, das heißt
    rund 1 Billion Euro, haben wir einen entscheidenden
    Hebel für Zukunftsinvestitionen, für Investitionen in
    Wachstum, Beschäftigung und Forschung. So können
    wir zum Beispiel die strukturellen Maßnahmen in den
    Mitgliedstaaten mit nationalen Mitteln und europäischer
    Unterstützung unterlegen. Damit können wir zum Bei-
    spiel die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf
    eine neue Grundlage stellen. Wir haben dazu auch ent-
    sprechende Gipfel in Berlin und Paris durchgeführt. Die
    Frage der Beschäftigung von jungen Menschen in Eu-
    ropa wird auch in den nächsten Jahren eine der zentralen
    Herausforderungen sein. Wir wissen: Durch Geld allein
    kann die Förderung der Jugendbeschäftigung nicht ge-
    lingen. Unser Ziel ist es deshalb auch, durch Erfahrungs-
    austausch mögliche erfolgversprechende Konzepte in
    ganz Europa zu verankern. Das gilt insbesondere für die
    duale Ausbildung; mit dieser hat Deutschland ein he-
    rausragendes Konzept, um jungen Menschen dauerhaft
    Arbeit zu geben. Dieses Konzept werden wir im europäi-
    schen Austausch weiter verbreiten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wir sind überzeugt: Europas Reichtum liegt im Wis-
    sen und Können seiner Menschen. Wir haben uns des-
    halb dafür eingesetzt und auch erreicht, dass im neuen
    Finanzrahmen für die Europäische Union die Ausgaben
    für Wettbewerbsfähigkeit und Forschung, wie es dort
    heißt, gegenüber rund 91,5 Milliarden Euro in der ak-
    tuellen Periode auf rund 125,6 Milliarden Euro anstei-
    gen. Das ist eine Steigerung um 37 Prozent. Auch die
    Ausgaben für das Forschungsprogramm Horizon 2020
    und das Mobilitätsprogramm Erasmus+ werden gegen-
    über dem Jahr 2013 noch einmal real zunehmen. Bei
    Erasmus+, dem Austauschprogramm für junge Men-
    schen, wird die Zunahme sogar 40 Prozent betragen. Da-
    mit unterstützen wir europäisch den wichtigen Trend,
    auf der Ebene der Mitgliedstaaten die Ausgaben für For-
    schung und Entwicklung zu steigern. In Deutschland ha-
    ben wir im Jahr 2012 mit 79,5 Milliarden Euro ein Re-
    kordniveau bei den Forschungsinvestitionen erreicht.
    Wir haben damit einen Anteil der Forschungsinvestitio-
    nen am Bruttoinlandsprodukt von 2,98 Prozent erreicht,
    das heißt, wir haben das 3-Prozent-Ziel, das für ganz Eu-
    ropa gelten soll, fast geschafft. Das ist ein großer Erfolg.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wir haben auch eine neue Strukturfondsförderung be-
    schlossen. Sie erhält mit der makroökonomischen Kon-
    ditionalität eine neue Dimension. Das hört sich sehr
    technisch an; das heißt aber nichts anderes, als dass es
    Auswirkungen auf die Vergabe von Strukturfondsmitteln
    haben kann, wenn Länder die Empfehlungen zur Ent-
    wicklung der Wettbewerbsfähigkeit, die seitens der Eu-
    ropäischen Union, der Kommission selbst, gegeben wer-
    den, nicht einhalten. Ich glaube, das verschärft und
    verbessert die notwendigen Überwachungsmechanismen
    und ist deshalb eine gute Weiterentwicklung.

    Wir haben im Juni 2012 einen Wachstums- und
    Beschäftigungspakt beschlossen – viele werden sich
    erinnern – und zum Beispiel die hierfür bereitstehen-
    den Mittel bei der Europäischen Investitionsbank um
    10 Milliarden Euro aufgestockt. Am Freitagvormittag
    wird dann der Chef der Europäischen Investitionsbank,
    Herr Hoyer, uns Bericht erstatten, was mit diesem Geld
    in Richtung Wachstum und Beschäftigung jetzt schon
    auf den Weg gebracht wurde.

    Viertens. In diesem Jahr wurden weitere erhebliche
    Fortschritte gemacht, um durch Strukturreformen und
    Haushaltskonsolidierung auf nationaler Ebene die Wett-
    bewerbsfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten zu verbes-
    sern. Die europäische Staatsschuldenkrise ist ohne Zwei-
    fel noch nicht überwunden – das kann man nicht oft
    genug betonen –, aber wir sehen erste Ergebnisse. Und
    wir sind überzeugt: Sie kann dauerhaft überwunden wer-
    den. Die Europäische Kommission hat jetzt in ihrer
    Herbstprognose zum ersten Mal deutliche Zeichen für
    einen vorsichtigen Beginn der wirtschaftlichen Erholung
    gesehen. Bei allen Problemen, die wir noch haben, sind
    das doch, wie ich glaube, gute Nachrichten. Auch die au-
    ßenwirtschaftliche Situation des Euro-Raums als Ganzes
    hat sich verbessert. Wir haben in einzelnen Ländern zum
    ersten Mal seit langem wieder Leistungsbilanzüber-
    schüsse.

    Mit Irland und Spanien haben wir zwei Länder, die
    Früchte ihres Reformkurses ernten können: Sie können
    die europäischen Hilfsprogramme verlassen. Das zeigt,
    dass in diesen Ländern wirklich viel passiert ist; ich kann
    hierzu nur gratulieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wir sehen auch in Portugal positive Entwicklungen.
    Auch in den Programmländern Zypern und Griechen-
    land gibt es eine ganze Reihe von Fortschritten. Der
    Grundsatz, dass Solidarität und Eigenverantwortung zu-
    sammengehören, hat sich damit bei der Krisenbewälti-
    gung als richtig erwiesen.

    Meine Damen und Herren, so erfreulich die Fort-
    schritte auf dem Weg zu mehr Stabilität und Wachstum
    auch sind, so sehr müssen wir uns doch darüber im Kla-
    ren sein, dass der Aufschwung alles andere als schon ga-

    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 241

    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    rantiert ist. Das heißt, wir müssen durch Vorsorgepolitik
    die Ursachen beseitigen, die zu dieser Situation der Eu-
    ropäischen Union und des Euro-Raums geführt haben.
    Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von einer über-
    mäßigen Verschuldung einzelner europäischer Staaten
    über Defizite bei der Wettbewerbsfähigkeit, wirt-
    schaftliche Ungleichgewichte und natürlich gravie-
    rende Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten bis
    hin zu Konstruktionsmängeln der gesamten Europäi-
    schen Wirtschafts- und Währungsunion. Deshalb werden
    wir uns als Bundesregierung weiter für einen umfassen-
    den politischen Ansatz einsetzen; es gibt nicht die eine
    Maßnahme, mit der man krisenhafte Entwicklungen
    überwindet. Unser Ziel dabei ist ein gestärktes Europa,
    ein Europa der Stabilität, des Wachstums und natürlich
    der sozialen Sicherheit. Dazu ist es wichtig, dass wir die
    neu geschaffenen bzw. verbesserten Verfahren zur wirt-
    schafts- und haushaltspolitischen Überwachung konse-
    quent anwenden.

    Aus unserer Sicht bleibt es die große Herausforde-
    rung der Europapolitik, die Konstruktionsmängel in der
    Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu behe-
    ben und zu überwinden, damit wir nie wieder in eine sol-
    che Krise hineinkommen.

    Da ist zum einen die Bankenunion ein großes Thema.
    Deutschland unterstützt eine kluge Regulierung der Fi-
    nanzmärkte, insbesondere des Bankenbereichs. Wir ha-
    ben immer wieder gesagt: Wir wollen nicht, dass in Zu-
    kunft der Steuerzahler für strauchelnde Banken eintreten
    muss. – Wir schaffen jetzt eine einheitliche Bankenauf-
    sicht. Sie wird gerade, wie Sie wissen, bei der Europäi-
    schen Zentralbank entwickelt. Die einheitliche Banken-
    aufsicht alleine reicht aber nicht aus; wir brauchen
    natürlich auch einen einheitlichen Mechanismus zur Ab-
    wicklung von Banken, falls Banken Schwierigkeiten ha-
    ben. Damit beschäftigen sich die Finanzminister heute in
    Brüssel noch einmal, nachdem sie das in der Euro-
    Gruppe heute Nacht schon getan haben. Es gibt bereits
    – das ist von dem zu unterscheiden, was jetzt mit dem
    gemeinsamen Bankenabwicklungsmechanismus gemacht
    wird – eine Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie, das
    heißt eine Richtlinie, die besagt, wie in Europa einheit-
    lich Banken auf nationaler Ebene abgewickelt werden
    können, natürlich zuvorderst durch Zugriff auf die Ei-
    gentümer und Gläubiger. Die litauische Ratspräsident-
    schaft hat am 12. Dezember 2013 die Voraussetzungen
    für eine Einigung geschaffen. Ich hoffe, dass das Ganze
    im Trilog abgeschlossen werden kann.

    Zum anderen gilt es natürlich, die Wirtschaftsunion
    zu stärken. Die Bankenaufsicht ist die eine Sache – der
    Fiskalpakt existiert bereits –, aber jetzt geht es auch da-
    rum, die Wirtschaftsunion zu stärken. Dabei müssen wir
    folgende Frage beantworten: Wie können wir aufbauend
    auf dem heute schon vorhandenen Verfahren, nötigen-
    falls aber auch darüber hinausgehend, eine Situation
    schaffen, durch die sichergestellt wird, dass Mitglied-
    staaten gar nicht in eine wirtschaftspolitische Schieflage
    kommen können, vielmehr diese vorsorglich vermieden
    wird? Wir sagen, dass wir das schaffen können, indem
    notwendige nationale Strukturreformen eingefordert
    werden können. Das heißt, wir müssen die bislang weit-
    gehend unverbindliche wirtschaftspolitische Koordinie-
    rung der nationalen Politikbereiche deutlich stärken.

    Sie alle wissen, dass wir jährlich im Frühjahr Emp-
    fehlungen erhalten, welche Veränderungen wir auf natio-
    naler Ebene umsetzen sollten. Diese Empfehlungen wer-
    den von den Mitgliedstaaten mehr oder weniger freudig
    aufgenommen – Deutschland ist diesbezüglich nicht viel
    besser als alle anderen –, und dann geht das Leben wei-
    ter; denn Verbindlichkeit entsteht aus diesen Empfehlun-
    gen bislang nicht. Deshalb wollen wir daran arbeiten,
    dass es in Zukunft vertragliche Vereinbarungen mit der
    europäischen Ebene gibt, also der Kommission. Das be-
    deutet natürlich nicht, dass die Kommission einfach et-
    was in solche vertraglichen Vereinbarungen hinein-
    schreiben kann, sondern dass die Mitgliedstaaten mit der
    Kommission eine solche vertragliche Vereinbarung aus-
    arbeiten. Weil es hier meistens um nationale Zuständig-
    keiten geht – zum Beispiel bei der Sozialpolitik, bei der
    Arbeitsmarktpolitik oder hinsichtlich der Funktionsfä-
    higkeit der Verwaltungen –, müssen natürlich auch die
    nationalen Parlamente zustimmen. Ansonsten erlangt
    das Ganze keine Verbindlichkeit. Über solche vertragli-
    chen Vereinbarungen werden wir auf dem anstehenden
    Europäischen Rat zum wiederholten Male sprechen und
    langsam Fortschritte erzielen.

    Viele fragen: Wozu brauchen wir das? – Ich sage: Wir
    brauchen das, weil Europas Glaubwürdigkeit darunter
    gelitten hat, dass wir uns unglaublich viel vorgenommen
    haben, aber sehr viel davon nie erreicht haben. Ich
    nehme als einfaches Beispiel das Ziel, jährlich 3 Prozent
    des Bruttoinlandsprodukts für Forschungsinvestitionen
    auszugeben. Dieses Ziel ist im Jahr 2000 von den Staats-
    und Regierungschefs beschlossen worden. Deutschland
    hat im Jahr 2012 zum ersten Mal sozusagen von unten
    an der 3-Prozent-Marke gekratzt. Es gibt einige skandi-
    navische Länder, die diese 3-Prozent-Marke erreichen
    oder sogar darüber liegen; alle anderen sind zum Teil
    weit davon entfernt, 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
    dukts in Forschung zu investieren. Wie will man eine
    Wirtschafts- und Währungsunion entwickeln, wenn zum
    Beispiel die Höhe der Investitionen im Bereich For-
    schung total unterschiedlich ist? Wenn keine Verbind-
    lichkeit entsteht und kein Plan existiert, wie man die
    Ziele schrittweise erreichen will, dann werden die 95
    bislang in Europa vereinbarten Indikatoren weiter nur
    auf dem Papier stehen; Glaubwürdigkeit und Vertrauen,
    dass das auch umgesetzt wird, werden sich aber nicht
    einstellen. Ich bin der Meinung: Lieber weniger als
    95 Indikatoren, vielleicht nur 5 oder 10, aber man arbei-
    tet langsam darauf hin, dass diese 5 oder 10 Indikatoren
    auch von allen eingehalten werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Wenn man zu einem echten qualitativen Sprung hin-
    sichtlich der Verbindlichkeit käme – das wird jetzt noch
    nicht passieren; wir werden darüber 2014 weiter verhan-
    deln –, dann könnten wir uns auch vorstellen, dass Wege
    und Mechanismen gefunden werden, um die Länder zu
    unterstützen, die zur Erreichung dieser Ziele zusätzliche
    materielle Mittel benötigen, weil sie anders nicht gleich-

    242 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013

    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    zeitig den Weg der Haushaltskonsolidierung fortsetzen
    könnten.

    Meine Damen und Herren, das, was wir jetzt tun, geht
    im Grunde genommen auf Versäumnisse von vor 20 Jah-
    ren zurück. Damals haben diejenigen, die die Wirt-
    schafts- und Währungsunion entwickelt haben, darauf
    hingewiesen: Es reicht nicht, einfach nur eine verge-
    meinschaftete Geldpolitik zu haben, sondern ihr muss
    eine gemeinsame Wirtschaftsunion zur Seite gestellt
    werden. Die Mechanismen der Wirtschaftsunion wurden
    aber nur sehr schwach ausgestaltet. Es heißt zwar Stabi-
    litäts- und Wachstumspakt, aber die Indikatoren des Sta-
    bilitäts- und Wachstumspakts sind alle haushalterischer
    Natur; es handelt sich nicht um wirkliche wirtschafts-
    politische Indikatoren. Mit den Folgen der damals nicht
    getroffenen Entscheidungen – es gab damals viele, die
    gewarnt haben: Das wird nicht gutgehen – müssen wir
    uns heute befassen; denn wir dürfen nie wieder in eine
    solche Situation kommen.

    Meine Damen und Herren, wir haben in Europa die
    Situation, dass Deutschland oft vorgeworfen wird, dass
    wir uns gegen bestimmte Entwicklungen sperren. Das ist
    nicht der Fall. Wir zum Beispiel gehören zu denen, die
    sagen: Wir müssen, wenn die vertraglichen Grundlagen
    nicht ausreichen, Verträge eben auch weiterentwickeln.
    Aber es gibt seit dem Lissabon-Vertrag in Europa die Si-
    tuation, dass jeder sagt: Wir können alles weiterentwi-
    ckeln, nur die Verträge dürfen wir nicht ändern. Ich
    glaube, so wird man ein wirklich funktionsfähiges Eu-
    ropa nicht entwickeln können.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich weiß, dass es zum Teil schwierig ist, Vertragsän-
    derungen in den Nationen durchzusetzen. Aber wer
    mehr Europa will, der muss auch bereit sein, bestimmte
    Kompetenzen neu zu regeln.


    (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann muss man gute Verträge machen!)


    – Ja, man muss gute Verträge machen, aber man kann
    sich nicht in einer Welt, die sich dauernd verändert, auf
    den Standpunkt stellen, dass man irgendwann einmal ei-
    nen Lissabon-Vertrag gemacht hat und von Stund an nie
    wieder die Verträge ändern will. Das wird nicht funktio-
    nieren.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Damit bin ich auch beim Punkt der sich verändernden
    Welt. Europa darf nicht nur das tun, was es selbst für
    richtig hält, sondern Europa muss sich auch immer im
    globalen Kontext sehen. Die Wettbewerbsfähigkeit Eu-
    ropas bestimmen wir nicht alleine, sondern sie wird mit-
    bestimmt von der Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder.
    Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um
    das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht,
    den Blick über Europa hinaus lenken.

    Es wird am heutigen Tage aller Voraussicht nach
    eine Entscheidung der Kommission zu einem Beihil-
    feverfahren wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
    in Deutschland geben, in dem es darum gehen wird, dass
    energieintensive Industrien von der EEG-Umlage befreit
    sind. Ich und ebenso der Bundeswirtschafts- und Ener-
    gieminister – ich glaube, so sagt man es jetzt –


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


    oder Energie- und Wirtschaftsminister – ich muss noch
    üben –, wir beide werden der Kommission sehr deutlich
    machen: Deutschland möchte ein starker Industriestand-
    ort bleiben. Wir brauchen wettbewerbsfähige Unterneh-
    men.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unter-
    nehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden
    wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbei-
    ten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa
    nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Ar-
    beitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang wer-
    den wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.

    Im Februar wird der Europäische Rat eine Vorlage
    von Energiekommissar Oettinger bekommen, in der alle
    Subventionen, die in Europa für Strompreise gewährt
    werden, aufgelistet werden. Ich sage ganz schlicht und
    ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen
    der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe
    ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung
    beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


    Meine Damen und Herren, wir haben erfolgreiche
    Verhandlungen bei der WTO gehabt. Die Ministerkonfe-
    renz der Welthandelsorganisation hat in Bali erhebliche
    Fortschritte bei der Handelspolitik erzielt. Das wird auch
    einem Exportkontinent, wie es Europa ist, sehr helfen.

    Wir werden uns auf dem Rat auch mit der Gemeinsa-
    men Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassen. Wir
    sind dafür, dass es einen umfassenden Ansatz von zivi-
    lem, militärischem und entwicklungspolitischem Heran-
    gehen gibt. Dieser gemeinschaftliche Ansatz muss zum
    Tragen kommen. Wir haben damit in Deutschland bei
    unserem Herangehen in Afghanistan gute Erfahrungen
    gesammelt. Wir stimmen zu, dass die Sicherheits- und
    Verteidigungspolitik effizienter, sichtbarer und wirksa-
    mer werden muss. Wir haben in den Verhandlungen über
    neue Leitlinien Vorschläge unterbreitet.

    Wir haben zum Beispiel die sogenannte Ertüchti-
    gungsinitiative eingebracht; dabei geht es darum, strate-
    gische Partner und Regionalorganisationen – ich denke
    jetzt zum Beispiel an Regionalorganisationen in Afrika –
    auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung zu un-
    terstützen. Wir wollen, dass Regionalorganisationen
    überall auf der Welt von sich aus in der Lage sind, regio-
    nale Konflikte zu bekämpfen. Wir zeigen durch unsere
    Ausbildungsmission in Mali, dass wir dazu einen Bei-
    trag leisten.

    Zu Ausbildung gehört natürlich auch immer Ausrüs-
    tung; auch darüber müssen wir uns im Klaren sein, und
    darüber werden wir sicherlich noch gemeinsam diskutie-
    ren müssen. Der malische Präsident hat mich vor einigen
    Tagen besucht. Wir bilden dort die Armee aus. Wir ha-

    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 243

    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    ben 100 Ausbilder der Bundeswehr in Mali. Aber diese
    Soldaten haben, wenn sie ausgebildet sind, nichts, womit
    sie dann auch wirklich ihre Tätigkeit verrichten können.
    Jetzt wird es darum gehen, sie auch adäquat auszurüsten,
    damit sie in ihren regionalen Kämpfen dann überhaupt in
    der Lage sind, gleichwertig aufzutreten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Meine Damen und Herren, auf dem Rat werden auch
    wieder Erweiterungsfragen zu behandeln sein. Hier geht
    es um Serbien. Serbien hat in starkem Maße umgesetzt,
    was notwendig ist, um den Normalisierungsprozess mit
    Kosovo fortzusetzen. Wir haben im Sommer verlangt, dass
    wirklich sichtbare Implementierungsschritte erfolgen. Das
    können wir nach dem Bericht der Hohen Vertreterin für
    Außen- und Sicherheitspolitik vom 16. Dezember dieses
    Jahres bejahen, sodass die erste Beitrittskonferenz im Ja-
    nuar 2014 zusammentreten kann.

    Wir werden uns auch mit Albanien befassen. Wir
    wollen die neue Regierung in Tirana weiter bei ihren Re-
    formbemühungen stärken, besonders beim Kampf gegen
    Korruption. Wie andere Mitgliedstaaten halten wir es
    aber vor der Verleihung des Beitrittskandidatenstatus für
    nötig, dass weitere Schritte bei der Reformgesetzgebung
    und ihrer Umsetzung getan werden.

    Wir werden natürlich auch bei diesem Europäischen
    Rat auf unsere östliche Nachbarschaft schauen. Ich be-
    daure die Entscheidung von Präsident Janukowitsch, das
    weitreichende Assoziierungs- und Freihandelsabkom-
    men mit der EU nicht zu unterzeichnen, jedenfalls der-
    zeit nicht zu unterzeichnen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Aber das Angebot bleibt auf dem Tisch. Wir fordern,
    glaube ich, gemeinsam, dass die Ukraine das garantiert,
    was wir von jedem Land erwarten: vernünftige Voraus-
    setzungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Demon-
    stration und Einhaltung der demokratischen Grundre-
    geln. Das werden wir auch entschieden einfordern.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben gesehen, dass die Ukraine mit Russland
    gestern ein weitgehendes Abkommen abgeschlossen hat.
    Wir werden das überprüfen und es uns genau anschauen.
    Man muss allerdings sagen – ich habe das in meiner Re-
    gierungserklärung zur Östlichen Partnerschaft deutlich
    gemacht –: Wir müssen aus dem Entweder-oder heraus-
    kommen. Es darf nicht sein, dass eine Situation entsteht,
    in der ein Land, das zwischen Russland und der Europäi-
    schen Union liegt, eine Grundentscheidung fällen muss,
    die nur so verstanden werden kann: entweder für den ei-
    nen oder für den anderen. Hieran werden wir sicherlich
    weiter intensiv arbeiten.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    Die südliche Nachbarschaft rückt natürlich auch im-
    mer wieder in den Blick. Die tragischen Ereignisse im
    Mittelmeer haben uns deutlich gemacht, wie dringlich
    die Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsstaa-
    ten ist. Von der litauischen Präsidentschaft werden wir
    erste Ergebnisse darüber hören, was von der sogenann-
    ten Taskforce Mittelmeer, die im Oktober eingesetzt
    wurde, vorgelegt worden ist.

    Meine Damen und Herren, die neue Bundesregierung
    wird deutlich machen – das ist ja unser Grundverständ-
    nis –: Deutschland wird auf Dauer nur stark sein, wenn
    auch Europa stark ist. Der jetzt anstehende Rat zeigt, in
    wie vielen Dimensionen hier gearbeitet werden muss.
    Wir werden uns dieser Arbeit intensiv stellen, gerade
    auch mit Blick auf das kommende Jahr, ein Jahr, in dem
    wir einen Europawahlkampf haben werden. Ich kann
    dazu sagen, dass die neue Bundesregierung und die sie
    tragenden Fraktionen alles tun werden, damit die gedeih-
    liche Entwicklung Europas gut fortgesetzt werden kann.
    In einer globalen Welt ist Europa unsere gemeinsame
    Heimat, an der wir arbeiten müssen. Ein starkes Europa,
    ein bürgernäheres Europa, ein wettbewerbsfähiges Eu-
    ropa, ein gerechteres Europa, das ist unser Ziel. Dazu
    wird der anstehende Rat hoffentlich einen kleinen Bei-
    trag leisten.

    Herzlichen Dank.


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Sahra Wagenknecht


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

    Frau Bundeskanzlerin, während der fast drei Monate, in
    denen Sie mit der SPD um den Koalitionsvertrag ge-
    feilscht haben, haben sich in Griechenland aus Verzweif-
    lung über ihre soziale Situation schätzungsweise
    120 Menschen das Leben genommen. Während der glei-
    chen Zeit haben in Spanien etwa 45 000 Familien ihre
    Häuser oder Wohnungen durch Zwangsversteigerungen
    verloren. Mehr als 10 000 Unternehmer – vor allem
    kleine und mittlere – in den Krisenländern haben in die-
    ser Zeit den Kampf gegen die Wirtschaftskrise verloren
    und mussten Konkurs anmelden. Es gibt keine offizielle
    Statistik darüber, wie viele Menschen in dieser Zeit in
    Europa gestorben sind, weil sie lebensnotwendige Medi-
    kamente nicht mehr bezahlen konnten, und schon gar
    keine Statistik misst, wie viele junge Menschen mit die-
    ser Gesellschaft innerlich für immer abgeschlossen ha-
    ben, weil sie bei einer Rekordjugendarbeitslosigkeit von
    60 Prozent nie eine Chance haben werden.

    Gut dokumentiert ist dagegen: In den gleichen drei
    Monaten hat sich das Vermögen der europäischen Milli-
    onäre und Multimillionäre wieder einmal erhöht: um fast
    100 Milliarden Euro.

    So sieht Ihr Europa aus, Frau Kanzlerin, so sehen die
    Folgen der Politik aus, die Sie ganz Europa diktieren, ei-

    244 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013

    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    ner Politik, die Banker und Oligarchen mit Samthand-
    schuhen anfasst, aber die kleinen Leute dazu zwingen
    will, für die Zockerverluste der oberen Zehntausend zu
    bezahlen. Ich sage Ihnen, Frau Kanzlerin: Das ist nicht
    christlich, das ist unmenschlich und brutal.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ich habe noch gut im Ohr, wie uns – auch in diesem
    Hause – immer wieder weisgemacht wurde, dass es gut
    und richtig sei, dass die weisen Finanzmärkte über die
    Zinsen entscheiden, die ein Staat auf seine Schulden zu
    zahlen hat, und dass Regierungen auf Gedeih und Ver-
    derb eine Politik machen sollen, mit der sie das Ver-
    trauen der Märkte gewinnen. Seit einiger Zeit weiß man
    nun etwas genauer, was es mit dieser Weisheit der
    Märkte auf sich hat: Man weiß, dass zentrale Zinssätze
    wie zum Beispiel der Libor von einer Handvoll Händler
    manipuliert wurden. Man weiß auch, dass wenige In-
    vestmentbanker die Wechselkurse gezielt gesteuert ha-
    ben, und man weiß, warum solche Manipulationen mög-
    lich sind: weil sogar auf einem riesigen Markt wie dem
    Devisenmarkt, wo jeden Tag 5 Billionen Dollar umge-
    setzt werden, etwa vier Bankgiganten ungefähr die
    Hälfte des Marktvolumens kontrollieren. Auf dem Deri-
    vatemarkt sind es etwa sieben Großbanken, die 90 Pro-
    zent des Marktes beherrschen. Und da glauben Sie im
    Ernst, dass die Zinsen für Staatsanleihen auf einem neu-
    tralen Markt gebildet werden, der sachlich, weise und
    selbstlos die Wirtschaftsdaten bewertet? Ich bitte Sie, so
    naiv kann heute gar niemand mehr sein.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wer die Finanzierung der Staaten von dieser Finanzma-
    fia abhängig macht, der wird zum Spielball ihrer Betrü-
    gereien und der hat sein demokratisches Gewissen aus-
    verkauft. Genau so sieht die Politik in Europa aus:
    4 500 Milliarden Euro sauer erarbeitetes Steuergeld wur-
    den seit 2008 für die Rettung maroder Banken und Fi-
    nanzinstitute verpulvert. In Deutschland ist die Staats-
    verschuldung allein wegen der Bankenrettung um
    360 Milliarden Euro angeschwollen – ein Betrag, im
    Vergleich zu dem die Kosten eines flächendeckenden
    Ausbaus von Kindertagesstätten mit einem Platz für je-
    des Kind in diesem Land eine lächerliche Summe bilden
    würden.

    Sie wissen, dass die Leute es leid sind, für die abstru-
    sen Geschäfte windiger Banker zu bezahlen. Deswegen
    haben ja beide heutigen Großkoalitionäre im Wahlkampf
    Besserung gelobt. Die SPD zum Beispiel hat in ihrem
    Regierungsprogramm wörtlich versprochen, dass – ich
    zitiere – „Steuerzahlerinnen und Steuerzahler … nie
    wieder in Geiselhaft der Banken und Spekulanten ge-
    nommen werden“ dürfen.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Ja! – Dietmar Nietan [SPD]: Richtig! Daran arbeiten wir!)


    Herr Steinbrück ist mit dieser Botschaft über die Markt-
    plätze gezogen. Es hat zugegebenermaßen nicht viel ge-
    nützt; aber das ist noch keine Rechtfertigung dafür, drei
    Monate nach der Wahl das Gegenteil dessen zu tun, was
    man vor der Wahl versprochen hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dietmar Nietan [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


    Spätestens seit dem Treffen der EU-Finanzminister ist
    doch völlig klar: Das Versprechen, dass kriminelle Wett-
    buden künftig für sich selber haften, ist keinen Pfiffer-
    ling wert gewesen.


    (Dietmar Nietan [SPD]: Wir arbeiten noch daran!)


    In Art. 27 des ursprünglichen Richtlinienentwurfs wurde
    stattdessen eine Ausnahmeregelung vereinbart, die es bis
    einen Tag vor der Abwicklung einer Bank erlaubt, die
    Eigentümer und Gläubiger mit Steuergeldern von jeder
    Verantwortung freizukaufen. Für den Fall, dass Sie mir
    nicht glauben, zitiere ich den Inhaber des Lehrstuhls für
    Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Univer-
    sität Bochum, Professor Stephan Paul:

    Der jetzige Richtlinienentwurf macht die Tür auf
    und ermöglicht es, für – so heißt es dort – „gesunde
    Banken mit tragfähigem Geschäftsmodell“ auch
    vorher schon

    – also vor der Haftung von Eigentümern und Gläubi-
    gern –

    Hilfszahlungen von staatlicher Seite zu gewähren.
    Ich frage mich an der Stelle aber: Wenn eine Bank
    gesund ist, wenn sie ein tragfähiges Geschäftsmo-
    dell hat, wozu braucht sie dann staatliche Hilfszah-
    lungen?

    So weit Professor Paul.


    (Dietmar Nietan [SPD]: Das war ein Richtlinienentwurf!)


    Wenn Sie ihm nicht folgen wollen, überzeugt Sie viel-
    leicht die Meinung von Markus Ferber, Europaabgeord-
    neter der CSU und Mitglied im Finanzausschuss des Eu-
    ropäischen Parlaments. Ich zitiere:

    Mit diesem neuen Artikel wird eigentlich der Ver-
    such unternommen, über die Hintertür wieder den
    Steuerzahler einzuführen, lange bevor Eigentümer,
    nachrangige Gläubiger und Einleger betroffen sind.


    (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!)


    In einem internen Positionspapier jubelt die Rating-
    agentur Standard & Poor’s – ich zitiere –:

    Neue EU-Richtlinie erlaubt Regierungen, Banken
    mit Steuergeldern zu retten.


    (Dietmar Nietan [SPD]: Von wann ist denn der Entwurf? Der ist doch von vor den Koalitionsverhandlungen!)


    Auch der von Ihnen vorhin zitierte Abwicklungsfonds
    schützt die Steuerzahler doch überhaupt nicht. Dieser
    Abwicklungsfonds soll 2016 aufgelegt werden und nach
    zehn Jahren, also 2026, das grandiose Volumen von
    55 Milliarden Euro erreichen. Ich erinnere noch einmal
    daran: Die Finanzkrise hat die europäischen Steuerzahle-
    rinnen und Steuerzahler bis jetzt 4 500 Milliarden Euro
    gekostet. Das heißt, dieser Abwicklungsfonds wird,

    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 245

    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    selbst wenn er im Jahr 2026 vollständig gefüllt ist, ge-
    rade einmal ein Hundertstel dieser Summe abdecken.

    Wir schreiben heute nicht 2026, sondern 2013, und es
    ist bekannt, dass heute immer noch faule Kredite im
    Umfang von etwa 1 Billion Euro in den Bilanzen der eu-
    ropäischen Banken lagern. Im nächsten Jahr will die
    EZB ihre Stresstests durchführen, und jeder weiß, dass
    dabei natürlich ein erheblicher Kapitalbedarf ermittelt
    wird. Deshalb frage ich Sie: Wer soll den denn bezahlen,
    wenn es den Abwicklungsfonds überhaupt noch nicht
    gibt und außerdem die Haftung von Eigentümern und
    Gläubigern in der Richtlinie auf 8 Prozent der Bilanz-
    summe reduziert ist?

    Das heißt, Sie wollen weiter Steuergeld verbrennen,
    und zwar für Banken, in Bezug auf die Sie bis heute
    nicht das Kreuz haben, ihnen wenigstens vernünftige
    Regeln aufzuzwingen, die sie dazu zwingen, ihre Auf-
    gabe als Diener der Realwirtschaft, als Finanzier von
    Innovationen und Investitionen endlich wieder einmal
    wahrzunehmen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie wollen Steuergeld für Banken verbrennen, denen Sie
    bis heute noch nicht einmal abverlangen, wenigstens or-
    dentlich Eigenkapital zu bilden, damit sie vielleicht ir-
    gendwann einmal in Zukunft für ihre Verluste haften
    können. Stattdessen sehen Sie seit Jahren zu, wie diese
    Banken Boni und Dividenden nach Belieben ausschüt-
    ten. Im Finanzsektor wird bis heute das meiste Geld ver-
    dient. Die Zahl der Einkommensmillionäre in diesem
    Bereich ist längst wieder auf Vorkrisenniveau.


    (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es!)


    Sie haben den Banken ganze 3 Prozent Eigenkapital
    verbindlich vorgeschrieben. Ich sage Ihnen: Wenn man
    als Unternehmen mit 3 Prozent Eigenkapital bei einer
    Bank vorspricht, dann muss man damit rechnen, dass
    man relativ schnell aus der Filiale gejagt wird. Bei den
    Banken soll das aber offensichtlich ausreichend sein.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Die Wahrheit ist doch: Wir brauchen keine Banken-
    union, sondern wir brauchen endlich eine ordentliche
    Bankenregulierung.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Der Finanzinvestor Warren Buffett hat Derivate ein-
    mal „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ genannt.
    Wenn ich mir ansehe, dass die Deutsche Bank aktuell
    mit solchen „finanziellen Massenvernichtungswaffen“
    im Nominalvolumen von 60 000 Milliarden Euro he-
    rumspielt, dann frage ich mich, wie Sie noch ruhig schla-
    fen können.

    Wir brauchen Regeln, die die Banken klein machen.
    Wir haben doch nicht nur das Problem „too big to fail“,
    das heißt, die Banken sind nicht nur zu groß, um zu fal-
    len, sondern sie sind auch zu groß, um reguliert zu wer-
    den. Das ist doch das Kernproblem: das Problem wirt-
    schaftlicher Macht.


    (Beifall bei der LINKEN)

    Das ist das Problem, das einst Walter Eucken als Vertre-
    ter des Ordoliberalismus ins Zentrum seiner Theorie ge-
    stellt hat. Er hat gesagt: Wirtschaftliche Macht kann man
    nicht kontrollieren; man kann nur verhindern, dass sie
    entsteht, oder man liefert sich ihr aus. – Sie haben uns
    den Banken ausgeliefert, und genau so sieht Ihre Ban-
    kenunion jetzt auch aus.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Wenn man dann noch weiß, dass die Aufsicht über die
    europäischen Banken ausgerechnet an den ehemaligen
    Investmentbanker und Goldman-Sachs-Mann Mario
    Draghi übergeben werden soll, dann kann man nur sa-
    gen: Gute Nacht.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ich stelle deshalb für meine Fraktion fest: Diese Ban-
    kenunion ist eine Lebensversicherung für Schrottbanken
    und eine schwere Hypothek für die Steuerzahlerinnen
    und Steuerzahler. Das ist Wahlbetrug, ganz klar Wahlbe-
    trug und nichts anderes.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie von der SPD haben so schön plakatiert: „Das Wir
    entscheidet.“ Ich glaube, es wäre ehrlicher gewesen, Sie
    hätten plakatiert: „Die Deutsche Bank entscheidet, und
    das Wir bezahlt.“ Das ist nämlich die Politik, die Sie ma-
    chen.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Herr Steinmeier hat sich kürzlich auf einer Veranstaltung
    des Arbeitgeberverbandes bitter beklagt, dass es die
    Wirtschaftsbosse der SPD so wenig danken, dass sie sich
    mit ihrer Agenda 2010 so massiv für deren Interessen ins
    Zeug gelegt hat. Herr Steinmeier, ich sage Ihnen voraus:
    Auch Ihren Kotau vor den Interessen der Banker und
    Millionäre in der Europapolitik werden sie Ihnen nicht
    danken. Das Einzige, was Sie mit dieser Politik errei-
    chen, ist, dass die einst so stolze und einflussreiche Par-
    tei Willy Brandts sich in der deutschen Politik mehr und
    mehr überflüssig macht.


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ich komme nun zu einem weiteren Thema des
    EU-Gipfels, dem Wettbewerbspakt.


    (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Kommen Sie zum Schluss!)


    Dieser Wettbewerbspakt soll offenbar Griechenland zum
    Vorbild für die gesamte EU machen. Die nationalen Re-
    gierungen sollen bilaterale Knebelverträge mit der Kom-
    mission abschließen,


    (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das denn alles aufgeschrieben? Das ist ja nicht zu ertragen!)


    in denen sie sich zu so tollen Maßnahmen wie der Sen-
    kung von Unternehmenssteuern, Entlassungen im öffent-
    lichen Dienst, Einschränkungen des Streikrechts, An-
    griffen auf Tarifverträge und vielem Schönen mehr
    verpflichten. Um diese Politik gegen die Mehrheit der
    Menschen abzusichern, sollen die Parlamente möglichst

    246 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013

    Dr. Sahra Wagenknecht


    (A) (C)



    (D)(B)

    entmachtet werden. Frau Merkel, da kann ich mir den
    Kommentar nicht verkneifen: Mir scheint Ihre Sensibili-
    tät für demokratische Grundsätze da etwas selektiv zu
    sein. Undemokratische Politik ist nicht nur in Russland
    ein Problem. Undemokratische Politik ist auch ein Pro-
    blem, wenn sie mit Ihrer Zustimmung auf einem EU-Gip-
    fel verabschiedet wird.


    (Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Unglaublich!)


    Dass es im zweiten Teil des Gipfels auch noch um
    Aufrüstung gehen soll, dass Sie sich also in der schwers-
    ten Krise der EU offensichtlich auch noch darum sorgen,
    wie man mehr Geld für Waffen aufbringen kann, das,
    finde ich, setzt dem Ganzen die Krone auf.

    Ich komme zum Schluss.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!)


    – Sie wollen das nicht hören; das kann ich mir schon
    vorstellen. Sie müssen sich das aber anhören; tut mir
    leid.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dieser Koalitionsvertrag ist nicht nur in der Frage der
    Bankenunion ein Koalitionsvertrag der gebrochenen
    Versprechen. Was sich hier zusammengefunden hat, ist
    keine Koalition der großen Aufgaben, sondern eine Ko-
    alition der großen Ignoranz gegenüber den anstehenden
    Aufgaben.

    Wo tatsächlich die politischen Aufgaben unserer Zeit
    liegen, daran hat, während Sie über so richtungweisende
    Probleme wie die Pkw-Maut für Ausländer gestritten ha-
    ben, Papst Franziskus in seinem jüngsten Apostolischen
    Schreiben


    (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ach Gott!)


    sehr deutlich erinnert. Ich lege gerade dem Teil des Hau-
    ses, der sich „christlich“ nennt, aber meines Erachtens
    aufgrund der Wertevorstellungen seiner Politik damit
    nichts mehr zu tun hat, sehr nahe, diese Botschaft einmal
    zu lesen.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Nein zu einem Geld, das regiert, statt zu dienen

    Das kann man dort zum Beispiel nachlesen. Oder auch:

    Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt,
    wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der
    Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um
    zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht.

    Sie, sowohl CDU/CSU als auch SPD, tun mit Ihrer
    Europapolitik – da gab es auch in der letzten Legislatur
    schon eine große Gemeinschaft – tatsächlich Ihr Bestes,
    dass die Zahl der alten Menschen, die auf der Straße le-
    ben müssen, in Europa steigt und nicht sinkt. Sie haben
    mit Ihrem Koalitionsvertrag den Deutschen Aktienin-
    dex, DAX, freilich nicht in die Baisse getrieben, sondern
    ihn zu einem Jubelsprung angeregt. Es ist erschütternd,
    dass Ihnen beides offenbar noch nicht einmal zu denken
    gibt.

    Die Linke zumindest nimmt die päpstliche Botschaft
    ernst,


    (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)


    und zwar nicht nur zu Weihnachten. Meine Fraktion sagt
    daher Nein zu dieser unverantwortlichen Europapolitik,
    Nein zu einer Bankenrettung auf Kosten der Steuerzah-
    ler, Ja zu Demokratie und Sozialstaat in Europa und des-
    wegen Nein zur Politik dieser Großen Koalition.

    Ich danke Ihnen.


    (Beifall bei der LINKEN)