Rede von
Dr.
Angela
Merkel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Dass ich meine dritte Amtszeit als
Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland mit
einer Regierungserklärung zu Europa eröffne, das ist
nicht allein Folge der Terminlage, sondern das ist vor al-
lem Ausdruck einer neuen Realität.
Erstens zeigt sich daran, dass zwischen Europapolitik
und Innenpolitik heute kaum noch sinnvoll unterschie-
den werden kann. Dies gilt umso mehr, weil wir eine
Wirtschafts- und Währungsunion haben, in der nationale
Entscheidungen jeweils Auswirkungen auf alle anderen
Mitgliedstaaten der Währungsunion und den gesamten
Euro-Raum haben.
Zweitens drücken sich darin die größeren Informa-
tions- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundesta-
ges in der Europapolitik und die gewachsene Rolle der
nationalen Parlamente in ganz Europa aus.
Drittens ist dies eine Folge der gestiegenen Verant-
wortung Deutschlands für unseren ganzen Kontinent.
Heute im Bundestag über Europa zu sprechen, das be-
deutet auch, über die Rolle Deutschlands in der Europäi-
schen Union zu reden.
Die Bundesregierung der Großen Koalition will, dass
Deutschland als Gründungsmitglied der Europäischen
Union weiterhin eine verantwortungsvolle und integra-
tionsfördernde Rolle in Europa wahrnimmt. Für die
Große Koalition ist und bleibt das europäische Eini-
gungswerk eine der wichtigsten Aufgaben dieser Legis-
laturperiode.
Wir wollen, so sagt es der Koalitionsvertrag, Deutsch-
lands Zukunft gestalten, und wir wollen Europas Zu-
kunft mitgestalten.
Dass ich meine dritte Amtszeit mit einer Regierungs-
erklärung zu Europa beginnen darf, freut mich auch des-
halb sehr, weil wir am Ende des Jahres 2013 feststellen
können: Europa ist auf dem Weg zu Stabilität und
Wachstum ein gutes Stück vorangekommen. Das Jahr
2013 war ereignisreich, es war arbeitsreich, und es war
auch erfolgreich für Deutschland und für Europa. Eu-
ropa konnte in diesem Jahr auf den Fortschritten der Vor-
jahre aufbauen, und Europa kann die ersten Früchte ern-
ten – ich betone allerdings: die ersten.
Erstens. Wir haben weitere Fortschritte gemacht, um
die Euro-Zone zu stabilisieren und das Funktionieren der
Wirtschafts- und Währungsunion zu verbessern. Unser
permanenter Europäischer Stabilitätsmechanismus, der
ESM, funktioniert. Es zeigt sich, dass das Konzept
„Hilfe gegen Strukturreformen und Haushaltskonsolidie-
rung“ wirkt. Wir haben die wirtschafts- und haushalts-
politische Überwachung fortentwickelt. Wir haben mit
dem Fiskalvertrag eine Grundlage für solides Haushalten
in Kraft gesetzt. Wir haben beschlossen, eine engere
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wirtschaftspolitische Koordinierung einzuführen, und
wir haben die gemeinsame Währung attraktiv gehalten:
Zum 1. Januar 2014 wird Lettland das 18. Mitglied der
Euro-Zone werden.
Zweitens. Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht,
um ein solides und verantwortungsvolles Finanzsystem
zu schaffen. Die europäische Bankenaufsicht wurde auf
den Weg gebracht. Auf diese Weise werden wir Fehlent-
wicklungen im Bankensektor künftig frühzeitiger aufde-
cken und besser korrigieren können, also bevor Gefah-
ren für die gesamte Euro-Zone auftreten. Im Bereich der
Finanzmärkte werden zahlreiche Tätigkeitsfelder neu
oder verschärft reguliert. Dies gilt zum Beispiel für die
Vorschriften zum Eigenkapital der Banken.
Drittens. Wir haben erhebliche Fortschritte gemacht,
um ein politisch und wirtschaftlich starkes, modernes
und sozial gerechtes Europa zu schaffen. Mit dem Haus-
halt der Europäischen Union, der gemäß der Einigung
für die Jahre 2014 bis 2020 in Höhe von rund 1 Prozent
der Wirtschaftsleistung der EU liegen wird, das heißt
rund 1 Billion Euro, haben wir einen entscheidenden
Hebel für Zukunftsinvestitionen, für Investitionen in
Wachstum, Beschäftigung und Forschung. So können
wir zum Beispiel die strukturellen Maßnahmen in den
Mitgliedstaaten mit nationalen Mitteln und europäischer
Unterstützung unterlegen. Damit können wir zum Bei-
spiel die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf
eine neue Grundlage stellen. Wir haben dazu auch ent-
sprechende Gipfel in Berlin und Paris durchgeführt. Die
Frage der Beschäftigung von jungen Menschen in Eu-
ropa wird auch in den nächsten Jahren eine der zentralen
Herausforderungen sein. Wir wissen: Durch Geld allein
kann die Förderung der Jugendbeschäftigung nicht ge-
lingen. Unser Ziel ist es deshalb auch, durch Erfahrungs-
austausch mögliche erfolgversprechende Konzepte in
ganz Europa zu verankern. Das gilt insbesondere für die
duale Ausbildung; mit dieser hat Deutschland ein he-
rausragendes Konzept, um jungen Menschen dauerhaft
Arbeit zu geben. Dieses Konzept werden wir im europäi-
schen Austausch weiter verbreiten.
Wir sind überzeugt: Europas Reichtum liegt im Wis-
sen und Können seiner Menschen. Wir haben uns des-
halb dafür eingesetzt und auch erreicht, dass im neuen
Finanzrahmen für die Europäische Union die Ausgaben
für Wettbewerbsfähigkeit und Forschung, wie es dort
heißt, gegenüber rund 91,5 Milliarden Euro in der ak-
tuellen Periode auf rund 125,6 Milliarden Euro anstei-
gen. Das ist eine Steigerung um 37 Prozent. Auch die
Ausgaben für das Forschungsprogramm Horizon 2020
und das Mobilitätsprogramm Erasmus+ werden gegen-
über dem Jahr 2013 noch einmal real zunehmen. Bei
Erasmus+, dem Austauschprogramm für junge Men-
schen, wird die Zunahme sogar 40 Prozent betragen. Da-
mit unterstützen wir europäisch den wichtigen Trend,
auf der Ebene der Mitgliedstaaten die Ausgaben für For-
schung und Entwicklung zu steigern. In Deutschland ha-
ben wir im Jahr 2012 mit 79,5 Milliarden Euro ein Re-
kordniveau bei den Forschungsinvestitionen erreicht.
Wir haben damit einen Anteil der Forschungsinvestitio-
nen am Bruttoinlandsprodukt von 2,98 Prozent erreicht,
das heißt, wir haben das 3-Prozent-Ziel, das für ganz Eu-
ropa gelten soll, fast geschafft. Das ist ein großer Erfolg.
Wir haben auch eine neue Strukturfondsförderung be-
schlossen. Sie erhält mit der makroökonomischen Kon-
ditionalität eine neue Dimension. Das hört sich sehr
technisch an; das heißt aber nichts anderes, als dass es
Auswirkungen auf die Vergabe von Strukturfondsmitteln
haben kann, wenn Länder die Empfehlungen zur Ent-
wicklung der Wettbewerbsfähigkeit, die seitens der Eu-
ropäischen Union, der Kommission selbst, gegeben wer-
den, nicht einhalten. Ich glaube, das verschärft und
verbessert die notwendigen Überwachungsmechanismen
und ist deshalb eine gute Weiterentwicklung.
Wir haben im Juni 2012 einen Wachstums- und
Beschäftigungspakt beschlossen – viele werden sich
erinnern – und zum Beispiel die hierfür bereitstehen-
den Mittel bei der Europäischen Investitionsbank um
10 Milliarden Euro aufgestockt. Am Freitagvormittag
wird dann der Chef der Europäischen Investitionsbank,
Herr Hoyer, uns Bericht erstatten, was mit diesem Geld
in Richtung Wachstum und Beschäftigung jetzt schon
auf den Weg gebracht wurde.
Viertens. In diesem Jahr wurden weitere erhebliche
Fortschritte gemacht, um durch Strukturreformen und
Haushaltskonsolidierung auf nationaler Ebene die Wett-
bewerbsfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten zu verbes-
sern. Die europäische Staatsschuldenkrise ist ohne Zwei-
fel noch nicht überwunden – das kann man nicht oft
genug betonen –, aber wir sehen erste Ergebnisse. Und
wir sind überzeugt: Sie kann dauerhaft überwunden wer-
den. Die Europäische Kommission hat jetzt in ihrer
Herbstprognose zum ersten Mal deutliche Zeichen für
einen vorsichtigen Beginn der wirtschaftlichen Erholung
gesehen. Bei allen Problemen, die wir noch haben, sind
das doch, wie ich glaube, gute Nachrichten. Auch die au-
ßenwirtschaftliche Situation des Euro-Raums als Ganzes
hat sich verbessert. Wir haben in einzelnen Ländern zum
ersten Mal seit langem wieder Leistungsbilanzüber-
schüsse.
Mit Irland und Spanien haben wir zwei Länder, die
Früchte ihres Reformkurses ernten können: Sie können
die europäischen Hilfsprogramme verlassen. Das zeigt,
dass in diesen Ländern wirklich viel passiert ist; ich kann
hierzu nur gratulieren.
Wir sehen auch in Portugal positive Entwicklungen.
Auch in den Programmländern Zypern und Griechen-
land gibt es eine ganze Reihe von Fortschritten. Der
Grundsatz, dass Solidarität und Eigenverantwortung zu-
sammengehören, hat sich damit bei der Krisenbewälti-
gung als richtig erwiesen.
Meine Damen und Herren, so erfreulich die Fort-
schritte auf dem Weg zu mehr Stabilität und Wachstum
auch sind, so sehr müssen wir uns doch darüber im Kla-
ren sein, dass der Aufschwung alles andere als schon ga-
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rantiert ist. Das heißt, wir müssen durch Vorsorgepolitik
die Ursachen beseitigen, die zu dieser Situation der Eu-
ropäischen Union und des Euro-Raums geführt haben.
Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von einer über-
mäßigen Verschuldung einzelner europäischer Staaten
über Defizite bei der Wettbewerbsfähigkeit, wirt-
schaftliche Ungleichgewichte und natürlich gravie-
rende Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten bis
hin zu Konstruktionsmängeln der gesamten Europäi-
schen Wirtschafts- und Währungsunion. Deshalb werden
wir uns als Bundesregierung weiter für einen umfassen-
den politischen Ansatz einsetzen; es gibt nicht die eine
Maßnahme, mit der man krisenhafte Entwicklungen
überwindet. Unser Ziel dabei ist ein gestärktes Europa,
ein Europa der Stabilität, des Wachstums und natürlich
der sozialen Sicherheit. Dazu ist es wichtig, dass wir die
neu geschaffenen bzw. verbesserten Verfahren zur wirt-
schafts- und haushaltspolitischen Überwachung konse-
quent anwenden.
Aus unserer Sicht bleibt es die große Herausforde-
rung der Europapolitik, die Konstruktionsmängel in der
Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu behe-
ben und zu überwinden, damit wir nie wieder in eine sol-
che Krise hineinkommen.
Da ist zum einen die Bankenunion ein großes Thema.
Deutschland unterstützt eine kluge Regulierung der Fi-
nanzmärkte, insbesondere des Bankenbereichs. Wir ha-
ben immer wieder gesagt: Wir wollen nicht, dass in Zu-
kunft der Steuerzahler für strauchelnde Banken eintreten
muss. – Wir schaffen jetzt eine einheitliche Bankenauf-
sicht. Sie wird gerade, wie Sie wissen, bei der Europäi-
schen Zentralbank entwickelt. Die einheitliche Banken-
aufsicht alleine reicht aber nicht aus; wir brauchen
natürlich auch einen einheitlichen Mechanismus zur Ab-
wicklung von Banken, falls Banken Schwierigkeiten ha-
ben. Damit beschäftigen sich die Finanzminister heute in
Brüssel noch einmal, nachdem sie das in der Euro-
Gruppe heute Nacht schon getan haben. Es gibt bereits
– das ist von dem zu unterscheiden, was jetzt mit dem
gemeinsamen Bankenabwicklungsmechanismus gemacht
wird – eine Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie, das
heißt eine Richtlinie, die besagt, wie in Europa einheit-
lich Banken auf nationaler Ebene abgewickelt werden
können, natürlich zuvorderst durch Zugriff auf die Ei-
gentümer und Gläubiger. Die litauische Ratspräsident-
schaft hat am 12. Dezember 2013 die Voraussetzungen
für eine Einigung geschaffen. Ich hoffe, dass das Ganze
im Trilog abgeschlossen werden kann.
Zum anderen gilt es natürlich, die Wirtschaftsunion
zu stärken. Die Bankenaufsicht ist die eine Sache – der
Fiskalpakt existiert bereits –, aber jetzt geht es auch da-
rum, die Wirtschaftsunion zu stärken. Dabei müssen wir
folgende Frage beantworten: Wie können wir aufbauend
auf dem heute schon vorhandenen Verfahren, nötigen-
falls aber auch darüber hinausgehend, eine Situation
schaffen, durch die sichergestellt wird, dass Mitglied-
staaten gar nicht in eine wirtschaftspolitische Schieflage
kommen können, vielmehr diese vorsorglich vermieden
wird? Wir sagen, dass wir das schaffen können, indem
notwendige nationale Strukturreformen eingefordert
werden können. Das heißt, wir müssen die bislang weit-
gehend unverbindliche wirtschaftspolitische Koordinie-
rung der nationalen Politikbereiche deutlich stärken.
Sie alle wissen, dass wir jährlich im Frühjahr Emp-
fehlungen erhalten, welche Veränderungen wir auf natio-
naler Ebene umsetzen sollten. Diese Empfehlungen wer-
den von den Mitgliedstaaten mehr oder weniger freudig
aufgenommen – Deutschland ist diesbezüglich nicht viel
besser als alle anderen –, und dann geht das Leben wei-
ter; denn Verbindlichkeit entsteht aus diesen Empfehlun-
gen bislang nicht. Deshalb wollen wir daran arbeiten,
dass es in Zukunft vertragliche Vereinbarungen mit der
europäischen Ebene gibt, also der Kommission. Das be-
deutet natürlich nicht, dass die Kommission einfach et-
was in solche vertraglichen Vereinbarungen hinein-
schreiben kann, sondern dass die Mitgliedstaaten mit der
Kommission eine solche vertragliche Vereinbarung aus-
arbeiten. Weil es hier meistens um nationale Zuständig-
keiten geht – zum Beispiel bei der Sozialpolitik, bei der
Arbeitsmarktpolitik oder hinsichtlich der Funktionsfä-
higkeit der Verwaltungen –, müssen natürlich auch die
nationalen Parlamente zustimmen. Ansonsten erlangt
das Ganze keine Verbindlichkeit. Über solche vertragli-
chen Vereinbarungen werden wir auf dem anstehenden
Europäischen Rat zum wiederholten Male sprechen und
langsam Fortschritte erzielen.
Viele fragen: Wozu brauchen wir das? – Ich sage: Wir
brauchen das, weil Europas Glaubwürdigkeit darunter
gelitten hat, dass wir uns unglaublich viel vorgenommen
haben, aber sehr viel davon nie erreicht haben. Ich
nehme als einfaches Beispiel das Ziel, jährlich 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Forschungsinvestitionen
auszugeben. Dieses Ziel ist im Jahr 2000 von den Staats-
und Regierungschefs beschlossen worden. Deutschland
hat im Jahr 2012 zum ersten Mal sozusagen von unten
an der 3-Prozent-Marke gekratzt. Es gibt einige skandi-
navische Länder, die diese 3-Prozent-Marke erreichen
oder sogar darüber liegen; alle anderen sind zum Teil
weit davon entfernt, 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts in Forschung zu investieren. Wie will man eine
Wirtschafts- und Währungsunion entwickeln, wenn zum
Beispiel die Höhe der Investitionen im Bereich For-
schung total unterschiedlich ist? Wenn keine Verbind-
lichkeit entsteht und kein Plan existiert, wie man die
Ziele schrittweise erreichen will, dann werden die 95
bislang in Europa vereinbarten Indikatoren weiter nur
auf dem Papier stehen; Glaubwürdigkeit und Vertrauen,
dass das auch umgesetzt wird, werden sich aber nicht
einstellen. Ich bin der Meinung: Lieber weniger als
95 Indikatoren, vielleicht nur 5 oder 10, aber man arbei-
tet langsam darauf hin, dass diese 5 oder 10 Indikatoren
auch von allen eingehalten werden.
Wenn man zu einem echten qualitativen Sprung hin-
sichtlich der Verbindlichkeit käme – das wird jetzt noch
nicht passieren; wir werden darüber 2014 weiter verhan-
deln –, dann könnten wir uns auch vorstellen, dass Wege
und Mechanismen gefunden werden, um die Länder zu
unterstützen, die zur Erreichung dieser Ziele zusätzliche
materielle Mittel benötigen, weil sie anders nicht gleich-
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zeitig den Weg der Haushaltskonsolidierung fortsetzen
könnten.
Meine Damen und Herren, das, was wir jetzt tun, geht
im Grunde genommen auf Versäumnisse von vor 20 Jah-
ren zurück. Damals haben diejenigen, die die Wirt-
schafts- und Währungsunion entwickelt haben, darauf
hingewiesen: Es reicht nicht, einfach nur eine verge-
meinschaftete Geldpolitik zu haben, sondern ihr muss
eine gemeinsame Wirtschaftsunion zur Seite gestellt
werden. Die Mechanismen der Wirtschaftsunion wurden
aber nur sehr schwach ausgestaltet. Es heißt zwar Stabi-
litäts- und Wachstumspakt, aber die Indikatoren des Sta-
bilitäts- und Wachstumspakts sind alle haushalterischer
Natur; es handelt sich nicht um wirkliche wirtschafts-
politische Indikatoren. Mit den Folgen der damals nicht
getroffenen Entscheidungen – es gab damals viele, die
gewarnt haben: Das wird nicht gutgehen – müssen wir
uns heute befassen; denn wir dürfen nie wieder in eine
solche Situation kommen.
Meine Damen und Herren, wir haben in Europa die
Situation, dass Deutschland oft vorgeworfen wird, dass
wir uns gegen bestimmte Entwicklungen sperren. Das ist
nicht der Fall. Wir zum Beispiel gehören zu denen, die
sagen: Wir müssen, wenn die vertraglichen Grundlagen
nicht ausreichen, Verträge eben auch weiterentwickeln.
Aber es gibt seit dem Lissabon-Vertrag in Europa die Si-
tuation, dass jeder sagt: Wir können alles weiterentwi-
ckeln, nur die Verträge dürfen wir nicht ändern. Ich
glaube, so wird man ein wirklich funktionsfähiges Eu-
ropa nicht entwickeln können.
Ich weiß, dass es zum Teil schwierig ist, Vertragsän-
derungen in den Nationen durchzusetzen. Aber wer
mehr Europa will, der muss auch bereit sein, bestimmte
Kompetenzen neu zu regeln.
– Ja, man muss gute Verträge machen, aber man kann
sich nicht in einer Welt, die sich dauernd verändert, auf
den Standpunkt stellen, dass man irgendwann einmal ei-
nen Lissabon-Vertrag gemacht hat und von Stund an nie
wieder die Verträge ändern will. Das wird nicht funktio-
nieren.
Damit bin ich auch beim Punkt der sich verändernden
Welt. Europa darf nicht nur das tun, was es selbst für
richtig hält, sondern Europa muss sich auch immer im
globalen Kontext sehen. Die Wettbewerbsfähigkeit Eu-
ropas bestimmen wir nicht alleine, sondern sie wird mit-
bestimmt von der Wettbewerbsfähigkeit anderer Länder.
Deshalb müssen wir, wenn es uns um Arbeitsplätze, um
das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in Europa geht,
den Blick über Europa hinaus lenken.
Es wird am heutigen Tage aller Voraussicht nach
eine Entscheidung der Kommission zu einem Beihil-
feverfahren wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
in Deutschland geben, in dem es darum gehen wird, dass
energieintensive Industrien von der EEG-Umlage befreit
sind. Ich und ebenso der Bundeswirtschafts- und Ener-
gieminister – ich glaube, so sagt man es jetzt –
oder Energie- und Wirtschaftsminister – ich muss noch
üben –, wir beide werden der Kommission sehr deutlich
machen: Deutschland möchte ein starker Industriestand-
ort bleiben. Wir brauchen wettbewerbsfähige Unterneh-
men.
Hier geht es um Unternehmen, und wenn es um Unter-
nehmen geht, geht es um Arbeitsplätze. Deshalb werden
wir natürlich eng mit der Kommission zusammenarbei-
ten, aber wir werden auch deutlich machen, dass Europa
nicht dadurch stärker wird, dass auch in Deutschland Ar-
beitsplätze gefährdet werden. Mit diesem Angang wer-
den wir unsere Position dort sehr deutlich darlegen.
Im Februar wird der Europäische Rat eine Vorlage
von Energiekommissar Oettinger bekommen, in der alle
Subventionen, die in Europa für Strompreise gewährt
werden, aufgelistet werden. Ich sage ganz schlicht und
ergreifend: Solange es europäische Länder gibt, in denen
der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, sehe
ich nicht ein, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung
beitragen. Das werden wir ganz genau so vertreten.
Meine Damen und Herren, wir haben erfolgreiche
Verhandlungen bei der WTO gehabt. Die Ministerkonfe-
renz der Welthandelsorganisation hat in Bali erhebliche
Fortschritte bei der Handelspolitik erzielt. Das wird auch
einem Exportkontinent, wie es Europa ist, sehr helfen.
Wir werden uns auf dem Rat auch mit der Gemeinsa-
men Sicherheits- und Verteidigungspolitik befassen. Wir
sind dafür, dass es einen umfassenden Ansatz von zivi-
lem, militärischem und entwicklungspolitischem Heran-
gehen gibt. Dieser gemeinschaftliche Ansatz muss zum
Tragen kommen. Wir haben damit in Deutschland bei
unserem Herangehen in Afghanistan gute Erfahrungen
gesammelt. Wir stimmen zu, dass die Sicherheits- und
Verteidigungspolitik effizienter, sichtbarer und wirksa-
mer werden muss. Wir haben in den Verhandlungen über
neue Leitlinien Vorschläge unterbreitet.
Wir haben zum Beispiel die sogenannte Ertüchti-
gungsinitiative eingebracht; dabei geht es darum, strate-
gische Partner und Regionalorganisationen – ich denke
jetzt zum Beispiel an Regionalorganisationen in Afrika –
auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung zu un-
terstützen. Wir wollen, dass Regionalorganisationen
überall auf der Welt von sich aus in der Lage sind, regio-
nale Konflikte zu bekämpfen. Wir zeigen durch unsere
Ausbildungsmission in Mali, dass wir dazu einen Bei-
trag leisten.
Zu Ausbildung gehört natürlich auch immer Ausrüs-
tung; auch darüber müssen wir uns im Klaren sein, und
darüber werden wir sicherlich noch gemeinsam diskutie-
ren müssen. Der malische Präsident hat mich vor einigen
Tagen besucht. Wir bilden dort die Armee aus. Wir ha-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 243
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ben 100 Ausbilder der Bundeswehr in Mali. Aber diese
Soldaten haben, wenn sie ausgebildet sind, nichts, womit
sie dann auch wirklich ihre Tätigkeit verrichten können.
Jetzt wird es darum gehen, sie auch adäquat auszurüsten,
damit sie in ihren regionalen Kämpfen dann überhaupt in
der Lage sind, gleichwertig aufzutreten.
Meine Damen und Herren, auf dem Rat werden auch
wieder Erweiterungsfragen zu behandeln sein. Hier geht
es um Serbien. Serbien hat in starkem Maße umgesetzt,
was notwendig ist, um den Normalisierungsprozess mit
Kosovo fortzusetzen. Wir haben im Sommer verlangt, dass
wirklich sichtbare Implementierungsschritte erfolgen. Das
können wir nach dem Bericht der Hohen Vertreterin für
Außen- und Sicherheitspolitik vom 16. Dezember dieses
Jahres bejahen, sodass die erste Beitrittskonferenz im Ja-
nuar 2014 zusammentreten kann.
Wir werden uns auch mit Albanien befassen. Wir
wollen die neue Regierung in Tirana weiter bei ihren Re-
formbemühungen stärken, besonders beim Kampf gegen
Korruption. Wie andere Mitgliedstaaten halten wir es
aber vor der Verleihung des Beitrittskandidatenstatus für
nötig, dass weitere Schritte bei der Reformgesetzgebung
und ihrer Umsetzung getan werden.
Wir werden natürlich auch bei diesem Europäischen
Rat auf unsere östliche Nachbarschaft schauen. Ich be-
daure die Entscheidung von Präsident Janukowitsch, das
weitreichende Assoziierungs- und Freihandelsabkom-
men mit der EU nicht zu unterzeichnen, jedenfalls der-
zeit nicht zu unterzeichnen.
Aber das Angebot bleibt auf dem Tisch. Wir fordern,
glaube ich, gemeinsam, dass die Ukraine das garantiert,
was wir von jedem Land erwarten: vernünftige Voraus-
setzungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Demon-
stration und Einhaltung der demokratischen Grundre-
geln. Das werden wir auch entschieden einfordern.
Wir haben gesehen, dass die Ukraine mit Russland
gestern ein weitgehendes Abkommen abgeschlossen hat.
Wir werden das überprüfen und es uns genau anschauen.
Man muss allerdings sagen – ich habe das in meiner Re-
gierungserklärung zur Östlichen Partnerschaft deutlich
gemacht –: Wir müssen aus dem Entweder-oder heraus-
kommen. Es darf nicht sein, dass eine Situation entsteht,
in der ein Land, das zwischen Russland und der Europäi-
schen Union liegt, eine Grundentscheidung fällen muss,
die nur so verstanden werden kann: entweder für den ei-
nen oder für den anderen. Hieran werden wir sicherlich
weiter intensiv arbeiten.
Die südliche Nachbarschaft rückt natürlich auch im-
mer wieder in den Blick. Die tragischen Ereignisse im
Mittelmeer haben uns deutlich gemacht, wie dringlich
die Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsstaa-
ten ist. Von der litauischen Präsidentschaft werden wir
erste Ergebnisse darüber hören, was von der sogenann-
ten Taskforce Mittelmeer, die im Oktober eingesetzt
wurde, vorgelegt worden ist.
Meine Damen und Herren, die neue Bundesregierung
wird deutlich machen – das ist ja unser Grundverständ-
nis –: Deutschland wird auf Dauer nur stark sein, wenn
auch Europa stark ist. Der jetzt anstehende Rat zeigt, in
wie vielen Dimensionen hier gearbeitet werden muss.
Wir werden uns dieser Arbeit intensiv stellen, gerade
auch mit Blick auf das kommende Jahr, ein Jahr, in dem
wir einen Europawahlkampf haben werden. Ich kann
dazu sagen, dass die neue Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen alles tun werden, damit die gedeih-
liche Entwicklung Europas gut fortgesetzt werden kann.
In einer globalen Welt ist Europa unsere gemeinsame
Heimat, an der wir arbeiten müssen. Ein starkes Europa,
ein bürgernäheres Europa, ein wettbewerbsfähiges Eu-
ropa, ein gerechteres Europa, das ist unser Ziel. Dazu
wird der anstehende Rat hoffentlich einen kleinen Bei-
trag leisten.
Herzlichen Dank.