Rede von
Christine
Lambrecht
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Woche, am Mittwoch, haben wir hier im Plenar-
saal der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, und wir
sind von den Rednern gemahnt worden, Verantwortung
zu übernehmen: Verantwortung nicht für das Gesche-
hene, sondern Verantwortung dafür, dass solche Verbre-
chen, wie sie unter der Naziherrschaft geschehen sind, in
unserem Land nicht wieder vorkommen.
Genau dieser Verantwortung stellen wir uns mit die-
sem Antrag. Deswegen geht es nicht darum, die Verfas-
sung aufzublähen und das Grundgesetz unübersichtlich
zu machen, sondern darum, Verantwortung zu überneh-
men.
– Ich werde Ihnen gleich erklären, was für ein passender
Vergleich das ist.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben genau
aus dieser Verantwortung heraus in Art. 3 Abs. 3 Grund-
gesetz genau die Merkmale aufgezählt, die Ursache bzw.
Grund für die Verfolgung der Menschen waren. Alle
Merkmale, die damals dazu geführt haben, dass Men-
schen zu Opfern wurden, sind aufgeführt worden, bis auf
zwei – das ist schon angeführt worden –: die Behinde-
rung und die sexuelle Identität. Genau diese beiden
Merkmale, die viele Menschen zu Opfern des National-
sozialismus werden ließen, werden in Art. 3 nicht aufge-
zählt.
Eines dieser Merkmale ist 1994 im Zuge der Wieder-
vereinigung ergänzt worden. Damals wurde das Merk-
mal Behinderung mit aufgenommen, weil es die ganz
klare Ansage gab: Wir wollen in Zukunft nicht mehr
dafür stehen, dass eine Diskriminierung Behinderter
möglich ist. Wir wollen von staatlicher Seite ein entspre-
chendes Signal geben. – Es war richtig so, dass das
Grundgesetz damals entsprechend ergänzt wurde.
Aus genau dem gleichen Grund wäre es mehr als an-
gebracht – die Mahnung der Opfer vom Mittwoch muss
Ihnen doch noch präsent sein –, dass wir uns auch jetzt
der Verantwortung stellen und das letzte noch fehlende
Merkmal von Opfern des Nationalsozialismus, nämlich
die sexuelle Identität, aufnehmen.
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1994 gab es dafür bereits eine Mehrheit, aber leider
eine Zweidrittelmehrheit, sonst wäre das Merkmal
eute schon längst aufgenommen. Wir haben jetzt die
öglichkeit – es gibt ja auch entsprechende Länderini-
ativen; das ist kein rot-rot-grüner Gedanke, sondern das
ommt ja auch aus Ländern, in denen die CDU an der
egierung beteiligt ist –, dieser Verantwortung, der wir
ns stellen wollen, auch dadurch gerecht zu werden, dass
ir drei Worte in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz aufnehmen,
ämlich: die sexuelle Identität.
Herr Luczak, wenn das stimmt, was Sie sagen, dass
ir nämlich Art. 3 Abs. 3 eigentlich gar nicht brauchen,
ann könnten wir ihn ja streichen. Es gäbe dann
rt. 3 Abs. 1, und damit wäre die Sache erledigt. So ein-
ch ist es aber nicht, und das wissen Sie auch. Sie weh-
n sich lediglich noch aus ideologischen Gründen gegen
ine solche Aufnahme. Das finde ich wirklich unerträg-
ch.
Ich finde es unerträglich, in Feierstunden zu nicken,
enn wir gemahnt werden, Verantwortung zu überneh-
en, und später mit fadenscheinigen Gründen ein einzi-
es Merkmal nicht ins Grundgesetz aufzunehmen, wenn
an dies tun könnte. Ich finde, so etwas kann man auch
ei einer ersten Rede nicht durchgehen lassen.
Deswegen kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie
ns in den anstehenden Ausschussberatungen darüber
den, wie wichtig es wäre, wenn unser Staat ein ent-
prechendes Signal geben würde.
Ich setze große Hoffnung in die FDP. Die Justizminis-
rin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hat dieses Jahr
ie Schirmherrschaft für den Christopher Street Day
bernommen und hat damit auch eine gewisse Verant-
ortung diesem Thema gegenüber. Ich kann sie nur auf-
rdern: Nehmen Sie diese Verantwortung entsprechend
ahr! Lassen Sie es nicht durchgehen, dass die Möglich-
eit vertan wird, ein solch wichtiges Signal auch in die
anze Welt zu senden, dass wir uns der Verantwortung
us der Vergangenheit stellen. Lassen Sie uns sachlich
iteinander diskutieren und diesen Schritt gehen! Ich
laube, das würde dem Ansehen Deutschlands guttun.
Vielen Dank.