Rede von
Christian
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident, ich möchte in meiner Rede fortfahren.
Das Spannungsverhältnis zwischen Kabul und dem
restlichen Afghanistan zeigt, dass wir die Sicherheit in Af-
ghanistan mit der ISAF-Präsenz allein überhaupt nicht
garantieren können. Herr Minister, Sie haben in einer Be-
merkung über das Thema Sicherheitspräsenz darauf hin-
gewiesen. In der Sicherheitspräsenz liegt das Problem.
Wir haben diese Woche die Frage diskutiert, ob es sinn-
voll ist, die Aufgaben von ISAF zu ändern. ISAF, das
heißt die Polizeischutzsicherungsgruppe in Kabul für die
Regierung und den Flughafen in Kabul. Mehr ist das
nicht. ISAF steht für die Sicherheitspräsenz in einem
Land, dessen Größe der unseres Landes entspricht. Was
die Bewegungsfreiheit in diesem Land und die Verschie-
denheit der Bevölkerungsgruppen in diesem Land angeht,
ist die Situation außerordentlich zersplittert. In diesem
Land gibt es sehr viele Waffen. Außerdem gibt es dort sehr
viele verschiedene Interessen und Völkerschaften.
Der Kollege der FDP hat darauf hingewiesen, dass uns
im letzten UN-Bericht gewisse Reorganisierungen der Ta-
liban und der al-Qaida angezeigt worden sind. Wenn es
diese Reorganisierungen wirklich gibt, dann wird sich
irgendwann die Frage stellen, welche Konsequenzen aus
dem Engagement für die Sicherheit in Afghanistan – die-
ses Engagement ist hier mehrfach beschworen worden –
zu ziehen sind. Zu klären wäre dann zum Beispiel die
Frage, ob Enduring Freedom und ISAF noch zu trennen
sind.
Natürlich ist es für uns gegenwärtig bequemer – ge-
statten Sie, dass ich das so sage; ich will das gar nicht he-
runterspielen –, beides zu trennen. Wenn die Entwicklung
zeigt, dass die Aktivitäten der Regionalteams, die versu-
chen sollen, ohne deutsche Beteiligung in dem einen oder
anderen Fall zu schlichten, nicht ausreichen, dann kann es
in diesem Lande aufgrund von Auseinandersetzungen
schneller zur Stunde der Wahrheit kommen, als uns allen
hier lieb ist.
Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen das nicht. Nicht
nur wegen der Burka, nicht nur wegen der Scharia, son-
dern auch, weil im Zusammenhang mit der Terror-
bekämpfung die Stabilität der ganzen Region im Wesent-
lichen von Afghanistan ausgeht, wollen wir nicht, dass in
Afghanistan gewisse Dinge wieder eintreten. Wer glaubt,
es handele sich hierbei allein um eine Frage von „Natio-
nen bilden“, der greift, sehr diplomatisch gesagt, sehr weit
in die Zukunft.
Diese Auffassung wird mehr von der Hoffnung als von der
Erkenntnis der Realität getragen.
Herr Karzai hat uns das afghanische Militär verspro-
chen. Wer ist Herr Karzai? Es ist eine hoch reputierliche
Persönlichkeit, die in Kabul Macht hat. 70 000 Mann
allein werden die Sicherheit nicht garantieren. Wenn es in
diesem Jahr zu Bewegung in Afghanistan kommt, dann
muss man sich dem stellen.
Ich komme nun auf einen Punkt zu sprechen, der zu
Beginn der Debatte eine Rolle gespielt hat. Es geht um die
Frage, ob die Freiheit, die Sicherheit unseres Landes am
Hindukusch verteidigt werden. Herr Minister Struck, Sie
gestatten, dass ich sage: Ich hatte den Eindruck, dass Sie
versuchen, das, was Sie in der Presseerklärung gesagt ha-
ben, ein bisschen „einzufangen“. Worauf können wir uns
einigen? Die Bekämpfung des internationalen Terrors
ist in der Tat ein Teil der Stabilität und damit auch der
Sicherheit unseres Landes.
Ganz weit vorausgedacht kann man sich die Frage stel-
len: Was wird am Hindukusch gemacht? Ich behaupte,
dort wird nicht verteidigt, sondern es wird versucht, Sta-
bilität zu erhalten. Das sind nämlich noch immer zwei
Paar Stiefel. Landesverteidigung und Bündnisverteidi-
gung sind vielleicht nicht mehr so aktuelle Fragestellun-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2002 1323
gen, wie sie es vor 15 Jahren waren. Diese Fragestellun-
gen sind deswegen aber nicht überflüssig geworden, auch
wenn sie anders geworden sind.
Hindukusch ist das eine, Hindelang und Hinterzarten
sind das andere.
Ob unser Land stabil und sicher vor Terror ist, ist ein
Thema, dem sich Innen-, Außen- und Sicherheitspolitiker
gemeinsam widmen müssen.
Beim Thema Struktur der Bundeswehr – darüber
können wir heute an dieser Stelle nicht ausführlich disku-
tieren – werden wir uns bei einer Frage treffen, nämlich
bei der Frage, inwieweit wir bereit sind, in unserem eige-
nen Land die Strukturen so zu verändern, dass die Bun-
deswehr nicht nur als Einsatzarmee zur Verfügung steht
– das ist richtig und wichtig –, sondern dass auch ihr zwei-
tes Standbein, die Landesverteidigung, neu definiert wird.
Wenn es stimmt und richtig ist – und es ist richtig –, dass
an unseren Grenzen Verteidigung nicht mehr prioritär
stattfinden muss, dann heißt das aber nicht, dass die Bun-
deswehr nur jenseits der Grenzen ein Augenmerk braucht;
sie muss auch innerhalb der Grenzen ein stärkeres Au-
genmerk bekommen. Die Bedrohungen von außen und
von innen gehen ineinander über. Das wird die Grundlage
aller weiterer Planungen für die Bundeswehr sein müssen.
Wenn man sich die Frage stellt, was und wo man ver-
teidigen muss, und wenn man über das Thema Terror-
bekämpfung diskutiert, dann muss man auch die Frage
nach Massenvernichtungswaffen stellen.
Wenn man von den Vereinten Nationen Ende Januar hören
sollte, dass Massenvernichtungswaffen unterwegs sind,
wenn man – –
– Entschuldigung, hören Sie doch mit diesem saudummen
Zwischenruf auf! Das ist ein saudummer Zwischenruf!
Ich muss das einmal deutlich sagen: Mir reicht es lang-
sam, in welcher Art und Weise diese selbst ernannten Frie-
densapostel meinen, sie könnten hier etwas für sich pach-
ten. Wir alle hier sind sehr dafür, dass in diesem Lande
und auf der Welt Frieden bleibt. Sie sollten sich endlich
mit solch dummen Bemerkungen zurückhalten!
Für den Frieden in der Welt tun diejenigen, die zum rech-
ten Zeitpunkt bereit sind, Flagge zu zeigen mehr, als die-
jenigen, die damit schäbigen Wahlkampf führen.
Damit eines völlig klar ist: Wer meint, ohne Mittel in
Kabul mitspielen zu können und meint, deutsche Interes-
sen dort, wo es notwendig ist, nicht vertreten zu müssen,
wie zum Beispiel im Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
nen, der muss sich die Frage stellen, ob er den Interessen
unseres Landes gerecht wird. Ich kann Ihnen sagen: Er
wird ihnen nicht gerecht.
Da Weihnachten vor der Tür steht, ein versöhnliches
Wort zum Ende.
Den Soldaten in unserem Lande und in Afghanistan
gehört natürlich unsere Solidarität. Sie müssen sich aber
sicher sein, dass ihnen die Solidarität aller in diesem
Hause gehört. Darüber hinaus müssen sie wissen, dass sie
so bald wie möglich, wenn es die Situation zulässt, wie-
der zurückgeholt werden.
Die Antwort auf diese Fragen steht noch aus.