Rede von
Peter
Hettlich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der bevorstehende Bevölkerungsrückgang,
unsere internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz,
die ungebremste Zersiedlung zulasten der Städte und ih-
rer Infrastruktur, die damit verbundene dringende Not-
wendigkeit der Reduzierung des Flächenverbrauchs von
derzeit 130 Hektar pro Tag auf 30 Hektar bis zum Jahr
2020 und das Erfordernis einer Stärkung des Faktors Ar-
beit in der Bauwirtschaft – dies alles lässt nur einen
Schluss zu: Wir müssen die Bau- und Wohnungspolitik
vom Kopf wieder auf die Füße stellen.
Im Zusammenhang mit dem hier zu diskutierenden
Haushalt heißt das vor allem, dass wir mit unserer Politik
weiterhin die Förder- und Investitionsmittel nicht auf
Mengenwachstum, sondern auf Bestandspflege und Be-
standssanierung konzentrieren müssen. Im Zuge der öko-
logischen Finanzreform werden wir daher Subventionen
und Förderungen, die der Politik der Nachhaltigkeit wi-
dersprechen, abschmelzen.
Die Änderung der Eigenheimzulage insbesondere
durch die Gleichstellung von Neubau- und Bestandsför-
derung und die Verringerung des Fördervolumens ist ein
erster Schritt in die Richtung. Denn die Eigenheimzulage
stellt immerhin einen der größten Ausgabeposten im
Bundeshaushalt dar. Sie ist zudem der größte wohnungs-
politische Einzelfaktor. Die für 2002 erwarteten Steuer-
ausfälle belaufen sich auf über 9 Milliarden Euro. Dies
entspricht fast der Hälfte des gesamten wohnungspoliti-
schen Fördervolumens und etwa 0,5 Prozent des Brut-
toinlandsproduktes.
Die in Teilen unseres Landes gesättigten Wohnungs-
märkte, die zunehmende Stadt-Umland-Wanderung, die
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1111
durch die Eigenheimzulage möglicherweise sogar mitver-
ursachten Bodenpreissteigerungen, die Gefahr eines Im-
mobilienwerteverfalls, wenn wir trotz rückläufiger Nach-
frage den Neubau künstlich auf einem hohen Niveau
subventionieren, und die Überkapazitäten in der Bauwirt-
schaft legen ein Abschmelzen des Fördervolumens und
einen Abbau der Neubauförderung ebenso nahe wie die
Tatsache, dass es in der Vergangenheit kaum einen Haus-
halt gab, der die Zulage nicht in Anspruch nehmen konnte.
Mit anderen Worten: Viele Haushalte hätten auch ohne
die Zulage gebaut oder bauen können. Rentenbezieher etwa
oder selbst Familien mit anderweitigem Immobilieneigen-
tum konnten und können sich dank steuerlich niedriger Ein-
künfte zum Kreis der Zulageberechtigten zählen, obwohl ihr
tatsächliches Haushaltseinkommen dies kaum nahe legen
dürfte.
Auch das sei gesagt: Die Entlastungen bei den baulichen
Investitionen durch die derzeit sehr günstigen Zinssätze lie-
gen deutlich über dem Niveau der alten Grundförderung der
Eigenheimzulage. Aber trotz Rückgangs der Zinssätze und
trotz Förderung durch die Eigenheimzulage gingen die
Wohnungsbauaktivitäten seit 1997 deutschlandweit zurück.
Deshalb gestalten wir die Förderpolitik um. Dazu
gehört für uns das neue Eigenheimzulagegesetz.
Der Klimaschutz am Bau bildete bereits in der ver-
gangenen Wahlperiode einen Schwerpunkt rot-grüner
Baupolitik. Das mit 200 Millionen Euro pro Jahr ausge-
stattete Altbausanierungsprogramm I wird fortgeführt.
Gleichzeitig wollen wir es stärker auf die Bedürfnisse der
Wohnungsunternehmen zuschneiden. Darüber hinaus
stocken wir den Ökobonus bei der Eigenheimzulage auf
300 Euro pro Jahr auf.
Zur Erschließung weiterer Energieeinsparpotenziale ins-
besondere bei Ein- und Zweifamilienhäusern stellen wir
außerdem zusätzlich 150 Millionen Euro für ein eigen-
ständiges Altbausanierungsprogramm II aus Ökosteuer-
mitteln zur Verfügung.
Der wohnungswirtschaftliche Strukturwandel in
den neuen Ländern – übrigens nicht nur dort, sondern
mehr und mehr auch in den alten Ländern – erfordert wei-
terhin erhebliche Anstrengungen.
Das Programm „Stadtumbau Ost“ mit einem Bundes-
anteil von 1,1 Milliarden Euro bis 2009 beruht maßgeb-
lich auf unseren Initiativen in der letzten Wahlperiode.
Die Beteiligung von mehr als 250 ostdeutschen Kommu-
nen am Wettbewerb „Stadtumbau Ost“ hat alle Erwartun-
gen übertroffen. In dieser Wahlperiode gilt es, das Er-
reichte zu sichern und weiterzuentwickeln.
Im Jahr 2003 wird für Rückbau und städtebauliche
Aufwertung ein Verpflichtungsrahmen von 153 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen 26 Millionen
Euro für das Sonderprogramm „Wohneigentumsbildung
in innerstädtischen Altbauquartieren“. Zur Entlastung der
von Leerständen betroffenen ostdeutschen Wohnungs-
wirtschaft werden wir außerdem die Altschuldenhilfe um
300 Millionen Euro auf 658 Millionen Euro aufstocken.
Die Bauwirtschaft befindet sich seit Ende der 90er-Jah-
re in einer dramatischen Talfahrt. Insbesondere die ver-
fehlte Ostförderpolitik der Kohl-Regierung führte mit zu
den heutigen Überkapazitäten, übrigens auch im Westen.
Der demographische Trend lässt darauf schließen, dass
die Baufertigstellungszahlen im Neubaubereich weiter
abnehmen werden, während die Alterung der Wohnungs-
bestände und die sich ändernden Wohnbedürfnisse eine
verstärkte Nachfrage nach Bestandsmodernisierung aus-
lösen werden. Wir unterstützen gerade dadurch die klei-
nen und mittelständischen Bauunternehmen, dass wir
Fördermittel wie zum Beispiel die Altbausanierungspro-
gramme und Investitionen in die arbeitsintensive Be-
standspflege und -modernisierung lenken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Städtebau- und
Wohnungspolitik ist – dies macht der Haushaltsentwurf
deutlich – von dem Gedanken der Nachhaltigkeit geprägt.
Nur eine ökologisch und sozial verträgliche und auf
Dauer bezahlbare Politik nützt unserem Land und schafft
und erhält Arbeitsplätze. Nur eine Politik, die Umwelt und
Arbeit sinnvoll miteinander verknüpft, ist nachhaltig. Wir
machen diese Politik.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.