Rede von
Eduard
Oswald
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister,
dem letzten Satz hätte ich natürlich zustimmen können.
Aber die Rede insgesamt kann ich nicht unterstreichen.
Der Beifall war wohl mehr als Ermunterung für zukünf-
tige Taten gedacht als für Ihre Ausführungen.
Wie in kaum einem anderen Bereich sind Verkehr und
Mobilität, Bauen und Wohnen Gestaltungs- und Zu-
kunftsfelder. Sie haben Ihre Chancen, mit der Verkehrs-
und Wohnungsbaupolitik die Zukunft wirklich zu gestal-
ten, nicht genutzt. Mit Ihren Entscheidungen gerade in der
Wohnungsbaupolitik haben Sie gravierende Fehler ge-
macht. Was Deutschland braucht, ist ein positives Woh-
nungsbauklima, das bei Kapitalanlegern und Unterneh-
men Interesse erweckt und zeigt, dass das Interesse des
Bürgers für Wohneigentum als Ausdruck seiner Lebens-
qualität und seiner familiären Fürsorge wie auch als Eck-
pfeiler der Altersvorsorge begriffen wird. Genau dies ma-
chen Sie nicht.
Sie bringen nicht nur die Baubranche in Turbulenzen,
sondern lähmen die gesamte Wohnungsbauwirtschaft.
Ohne ein leistungsfähiges Verkehrssystemwird es für
die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für den
Arbeitsmarkt keine Erfolge geben.
Erstens. Wir brauchen einen sich am Verkehrswachs-
tum orientierenden Ausbau der Infrastruktur.
Zweitens. Wir brauchen hierfür Planungs- und Finan-
zierungssicherheit für einen längeren Zeitraum.
Drittens. Wir brauchen wettbewerbsfähige Unterneh-
men auf der Straße, der Schiene, der Wasserstraße und im
Luftverkehr.
Viertens. Wir brauchen all unsere Verkehrsträger, um
sie im Gesamtverkehrssystem wirkungsvoll miteinander
zu verknüpfen. Darum ist die Vernetzung die zentrale
Herausforderung.
Fünftens. Wir brauchen statt Ihrer Stau-Ideologie eine
Verkehrspolitik mit Visionen und Ideen. Genau das ist das
Problem.
Früher war die Adventszeit die Zeit der großen Erwar-
tungen und der Zuversicht. Aber ich glaube, wir warten
umsonst.
Die Straße ist Verkehrsträger Nummer eins. Nahezu
97 Prozent – man muss sich die Zahl immer wieder vor
Augen halten – aller Fahrten im Personenverkehr werden
in Deutschland auf den Straßen zurückgelegt; in fünf von
sechs Fällen kommt der PKW zum Einsatz. Tatsache ist:
Die Straßen sind überlastet,
die Staus werden immer länger und die Autofahrer klagen
über die hohen Spritkosten und fühlen sich abkassiert. Bei
einer einzigen 50-Liter-Tankfüllung fallen über 38 Euro
an Steuern an. Das ist Realität in Deutschland.
Für uns gilt: Keine weitere Erhöhung der Öko- und der
Mineralölsteuer! Die Straßenbenutzer zahlen über Son-
derabgaben jährlich 50 Milliarden Euro an den Fiskus,
Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Eduard Oswald
aber nur 16 Milliarden Euro davon werden für Bau und
Unterhalt von Straßen ausgegeben. Für uns gilt: Wir müs-
sen unsere Straßen erhalten und ausbauen. Deshalb brau-
chen wir bedarfsgerechte Etatansätze. Genau das ist Ihr
Problem. Wie auch bei den anderen Themen war es beim
Straßenbau in diesem und im vergangenen Jahr nur Ihr
Ziel, mit möglichst vielen Baubeginnen und Zusagen gut
und unbeschadet über den Wahltag zu kommen.
Jetzt werden Sie von der Wirklichkeit eingeholt. Deswe-
gen sind Sie so unruhig.
In den nächsten Monaten kommen Sie in eine bedenk-
liche Haushaltssituation. Wie wollen Sie denn sicherstel-
len, dass es bei den Bauvorhaben nicht zum Stillstand
kommt? Über Ihr 90-Milliarden-Euro-Investitionspro-
gramm besteht keine Klarheit. Sie müssen doch sagen,
was Sie jedes Jahr in den Haushalt einstellen. Das ist die
entscheidende Zahl.
Zudem stellen Sie das Ganze unter einen Finanzierungs-
vorbehalt. So geht es doch nicht.
Insgesamt gibt es in Deutschland für rund 2 Milliar-
den Euro baureife und planfestgestellte Straßenbaupro-
jekte,
die nicht in Angriff genommen werden können.
Da rechtskräftige Planfeststellungsbeschlüsse zeitlich in
ihrer Wirkung begrenzt sind, drohen Baurechte zu verfal-
len.
Wir erwarten die Vorlage Ihres längst überfälligen Ver-
kehrswegeplanes; Sie selbst haben darauf hingewiesen,
Herr Bundesminister.
Für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik
ist die Verkehrswegeplanung ein wichtiges und unver-
zichtbares Steuerungselement. Für die Straße gilt: Vor-
dringlich müssen 2 800 Kilometer bestehende Autobah-
nen auf sechs oder acht Fahrstreifen ausgebaut werden.
2 400 Kilometer neue Lückenschlüsse und Netzergän-
zungen sind zusätzlich notwendig. Wir sind uns hoffent-
lich darin einig: Ortsumgehungen sind Menschenschutz.
Deshalb müssen auch sie konsequent weitergeführt wer-
den.
Von gut ausgebauten Straßen profitieren alle, und zwar
durch weniger Staus, einen besseren Verkehrsfluss und
eine geringere Umweltbelastung. Das ist der entschei-
dende Punkt.
Ich hoffe, wir sind uns wenigstens in einem Punkt völ-
lig einig: Wir dürfen in unserem Einsatz für eine größere
Verkehrssicherheit nicht nachlassen. Jeder Verkehrsun-
fall verursacht persönliches Leid und hohe Kosten und je-
der Verkehrsunfalltote ist einer zu viel. Die volkswirt-
schaftlichen Kosten durch den Straßenverkehr betrugen
im Jahr 2000 –man höre und staune – insgesamt 35,6Mil-
liarden Euro. Das ist das Sechseinhalbfache dessen, was
der Bund in diesem Jahr für die Fernstraßen ausgibt. Des-
halb müssen wir alles tun, um die Arbeit für die Ver-
kehrssicherheit weiter zu intensivieren.
Herr Bundesminister, ich erinnere an das Hin und Her
im Zusammenhang mit der Einführung der Maut. Zuerst
war der 1. Januar vorgesehen, dann ein anderer Zeitpunkt
Anfang des Jahres. Dann hieß es Sommer, dann zum
1.August und danach zum 1. September. Schaun wir mal!
Damit steht aber auch Ihr Anti-Stau-Programm auf einem
sehr brüchigen Finanzierungsfundament. Wenn ich Ihnen
einen Rat geben darf, dann empfehle ich dringend, die
Programmvielfalt Ihrer Vorgänger zu beenden. Sie haben
sicherlich schon festgestellt, dass diese Programmvielfalt
und der Programmwirrwarr das einzige Ziel hatten, per-
manente Aktivitäten vorzuspielen.
Kehren Sie zu einer verständlichen Finanzierung
zurück, die jeder versteht und bei der man nicht immer
wieder denkt, es gehe um neue Mittel, während sie in
Wirklichkeit gleich bleiben!
Verwenden Sie die Maut nicht als Geldquelle für Ihren
Haushalt,
sondern verwenden Sie die Gelder für den Straßenbau!
Sie wollen von den 3,4Milliarden Euro, die jährlich durch
die Maut eingenommen werden, nur 1,25Milliarden Euro
dem Verkehrssystem insgesamt zur Verfügung stellen.
Damit gehen Sie einen völlig falschen Weg zulasten zahl-
reicher notwendiger Straßenbauvorhaben. Sie haben be-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1103
reits selber einige Straßenbauprojekte genannt. Wir könn-
ten noch viele andere aufzählen.
Das können wir so natürlich nicht akzeptieren.
Der Bundesminister fährt heute noch nach Brüssel. Sie
müssen in Brüssel die Dinge beim Namen nennen. Es geht
nicht an, dass bei unseren europäischen Nachbarn der
LKW-Verkehr hemmungslos subventioniert wird, während
bei uns die Unternehmen zusätzlich belastet werden.
Damit werden deutsche Arbeitsplätze vernichtet und Un-
ternehmen ins Ausland getrieben.
Im Straßenverkehrsgewerbe gilt: Ohne die verspro-
chene Harmonisierung sind in Deutschland 10 000 Be-
triebe und rund 100 000 Arbeitsplätze unmittelbar be-
droht. Ausländische Transportunternehmen, die teilweise
hoch subventioniert im europäischen Wettbewerb stehen,
warten darauf, in die von Konkursen deutscher Trans-
portunternehmen hinterlassenen Lücken vorzustoßen.
Das darf nicht sein. Das können wir nicht zulassen.
Wir sind uns darin einig, dass wir ein leistungs- und zu-
kunftsfähiges Schienensystem brauchen. Darüber wird
sicherlich noch viel diskutiert werden. Aber beim Schie-
nenverkehr muss die Politik sagen, was sie will und wo-
hin die Fahrt gehen soll. Nicht die Bahn, sondern das
Primat der Politik hat hier Vorrang. Das ist ein entschei-
dender Punkt und ich hoffe, das sehen wir alle so. Die Po-
litik muss Flankenschutz bieten, der die Bahn vor allem in
den Bereichen stärkt, in denen systembedingte Nachteile
auszugleichen sind.
Herr Bundesminister, ich begrüße Ihr Bekenntnis zum
Weiterbau der Schnellverkehrsstrecke zwischen Erfurt
und Nürnberg, das Sie heute bekräftigt haben. Ich sage
auch an dieser Stelle: Schau’n wir mal, wie es weitergeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sorgen Sie dafür,
dass bei der Schaffung einer leistungsfähigen Verkehrsin-
frastruktur die Wasserstraßen nicht ausgeklammert wer-
den und dass die Binnenschifffahrt ihren festen Platz in
unserem Verkehrssystem erhält! Sorgen Sie dafür, dass
der Luftverkehr nicht als Belastung, sondern als Chance
für Wohlstand, Fortschritt und die Schaffung von Arbeits-
plätzen verstanden wird! Übrigens hängen in Deutschland
rund 700 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Luft-
verkehr ab. Sorgen Sie außerdem dafür, dass Mobilität für
alle Menschen bezahlbar bleibt und dass das deutsche
Verkehrsgewerbe unter fairen Wettbewerbsbedingungen
arbeiten kann! Das sind die Herausforderungen.
Noch ein Wort zum Wohnungsbau. Sie haben ja in den
letzten Wochen waschkörbeweise Post bekommen, und
zwar nicht nur von denjenigen, die Häuser bauen wollen,
sondern auch von einer verunsicherten und irritierten
Branche. Dort, wo Impulse für die Wohnungs- und Bau-
wirtschaft dringend notwendig gewesen wären, sind die
Weichen falsch gestellt worden,
und zwar zum Nachteil der vielen Menschen, die auf der
Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, und zum Nach-
teil der Bauwirtschaft, die durch Ihre investitions-
feindliche Politik in eine schwere Krise manövriert wird.
Alles, was Sie gemacht haben, wird zu massiven Ein-
brüchen führen.
Sie werden damit auch Ihre Ziele, die Sie sich in Ihrer
Wohnungsbauprognose 2015 gesetzt haben, nicht errei-
chen, ja sogar weit verfehlen.