Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/124 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Als
erster Redner hat der Bundesminister Manfred Stolpe das
Wort.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Mit dem Bundeshaushalt des Jahres 2003 können wir
einen deutlichen Schwerpunkt für eine verlässliche Zu-
kunftsgestaltung setzen, und zwar erstens weil wir Spar-
maßnahmen realisieren, wie es nach Lage der Dinge un-
vermeidlich ist. Das ist, wie wir alle wissen, kein
Selbstzweck, sondern es ist zur Konsolidierung des Haus-
halts und damit zur Zukunftssicherung erforderlich. Wir
halten an diesem Konsolidierungskurs fest, sodass wir an-
gesichts der gegenwärtig weltwirtschaftlich nicht einfa-
chen Lage handlungsfähig bleiben.
Zweitens – damit komme ich zu dem Thema, weshalb
ich hier stehe – können wir mit den Ausgaben einen
Schwerpunkt bei den Zukunftsinvestitionen setzen,
nämlich auf der einen Seite bei dem wichtigen Bereich
Bildung und Forschung und auf der anderen Seite bei der
Infrastruktur. Dieser Haushalt hält die Balance zwischen
den erforderlichen Sparmaßnahmen auf der einen und
notwendigen Investitionen auf der anderen Seite.
Mit dem Bundeshaushalt und damit verbunden der mit-
telfristigen Finanzplanung legen wir nachvollziehbar und
nachrechenbar dar, was in den nächsten Jahren konkret
angepackt werden kann. Unser Investitionshaushalt, den
Sie nachlesen können und in Zahlen greifen können, ist
eine belastbare Grundlage.
Der Ausbau der Infrastruktur ist unser stärkster Ent-
wicklungshebel in West und in Ost.
Mit dem Haushalt 2003 wird die zukunftsorientierte In-
vestitionspolitik in diesem Bereich fortgesetzt. Der Haus-
halt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen hat ein Volumen von über 26 Milliarden
Euro. Davon ist mehr als die Hälfte für Investitionen vor-
gesehen.
Trotz der angespannten Lage der Weltwirtschaft haben
wir die Verkehrsinvestitionen in den vergangenen vier
Jahren massiv gesteigert. Mit 11,5 Milliarden Euro ver-
stetigen wir die Verkehrsinvestitionen auf dem Niveau
von 2002. Hinzu kommen 1,7 Milliarden Euro für den
Wohnungs- und Städtebau. Zusätzlich stellen wir mit dem
Fonds „Aufbauhilfe“ über 7 Milliarden Euro für die Be-
seitigung von Flutschäden in den Kommunen, bei Unter-
nehmen und an Privatgebäuden bereit.
Fast 1 Milliarde Euro aus diesem Fonds – das sei hier
nur am Rande vermerkt – werden für Infrastrukturaufga-
ben des Bundes, wo ebenfalls erhebliche Schäden ent-
standen sind, eingesetzt.
Der finanzielle Schaden durch die Hochwasserkata-
strophe – ich nehme die Gelegenheit wahr, dies hier bi-
lanzierend vorzutragen –, der an Elbe, Donau und Neben-
flüssen entstanden ist, beläuft sich nach einer vorläufigen
Schätzung auf rund 9,2 Milliarden Euro. Die Bundesre-
gierung hat schnelle, unbürokratische und umfangreiche
finanzielle Hilfe für die Opfer der Katastrophe geleistet.
Eine erste finanzielle Hilfe des Bundes ist inzwischen im
Gesamtumfang von mehr als 700 Millionen Euro geleis-
tet worden.
Der Bund hat außerdem mit über 73 000 Einsatzkräf-
ten von Technischem Hilfswerk, BGS und Bundeswehr
bei der Bewältigung der Katastrophe mitgeholfen. Die
Kosten für diesen Einsatz – lassen Sie mich das in aller
Zurückhaltung sagen – belaufen sich auf über 186 Milli-
onen Euro. Auf die Erstattung ist vonseiten der Bundesre-
gierung verzichtet worden.
Schnelle Hilfe wurde für die Unternehmen geleistet.
Die Soforthilfe in Höhe von bis zu 15 000 Euro ist bis auf
ganz wenige Ausnahmen inzwischen vollständig ausge-
zahlt worden. Für Aufbauhilfe wurden etwa 9 500 An-
träge gestellt. Davon wurden 7 000 bewilligt; die übrigen
sind noch in der Prüfung.
Bei den Schäden an Wohngebäuden werden die An-
träge noch sehr zögerlich gestellt. Das macht die Landes-
regierungen, die hier betroffen sind, und auch uns ein
bisschen nachdenklich. Sachsen geht zum Beispiel davon
aus, dass 10 000 Wohnungen betroffen sein müssten; bis-
her aber hat es nur rund 2 000 Anträge gegeben. Bitte ver-
argen Sie es mir nicht, wenn ich diese Gelegenheit nutze,
noch einmal gerade an die geschädigten Wohneigentümer,
aber auch an andere, die in den Regionen Verantwortung
tragen oder Einfluss haben, deutlich zu appellieren: An-
träge müssen gestellt werden. Wenn es dazu Fragen gibt,
verweise ich auf mehrere Hotlines. Das ist ein im Grunde
sehr unkompliziertes Verfahren, das in Abstimmung zwi-
schen Bund und Ländern gestaltet worden ist. Sie können
im Übrigen davon ausgehen, dass gelegentlich verbreitete
Gerüchte in Bezug auf Unstimmigkeiten und Schwierig-
keiten zwischen Bund und Ländern, welche auf dem
Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, jetzt nicht
mehr zutreffen. Wir haben inzwischen eine sehr enge Zu-
sammenarbeit.
Für den Schadensausgleich stellen Bund, Länder und
Gemeinden mit dem Fonds „Aufbauhilfe“ von 7,1 Milli-
arden Euro einen erheblichen Teil zur Schadensminde-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1099
rung zur Verfügung. Hinzu kommen 444 Millionen Euro
aus dem Solidaritätsfonds der Europäischen Union, die
beeindruckenden Spenden, die allein bei den Großorgani-
sationen inzwischen bei über 300 Millionen Euro liegen
– man vermutet, dass sie sich auf fast eine halbe Milliarde
Euro zubewegen –, und dazu erhebliche Versicherungs-
leistungen, deren Summen sinnvollerweise hier nicht ge-
nannt werden sollen. Die Botschaft heißt – das können wir
alle miteinander getrost weitersagen –: Deutschland wird
mit vereinten Kräften in der Lage sein, allen Geschädig-
ten wirksam zu helfen und die Infrastrukturschäden zu be-
seitigen.
Meine Damen und Herren, Aufbau Ost und Ausbau
West gehören nach meiner Überzeugung untrennbar zu-
sammen. Das gilt insbesondere für die Modernisierung
der Verkehrsinfrastruktur. Wir investieren dort, wo der Ef-
fekt am größten ist, und dort, wo die Verkehrswege am
nötigsten gebraucht werden. Das ist einerseits in Bal-
lungsräumen der Fall, wo Wirtschaftszentren ein hohes
Verkehrsaufkommen bewältigen müssen, und das ist an-
dererseits dort der Fall, wo Verkehrswege raumwirksame
Bedeutung haben. In diesem Sinne ist Investitionspolitik
auch gezielte Strukturpolitik.
Um es konkret zu machen: Bei den Ballungsräumen
denke ich zum Beispiel an den Kölner Ring. Bis zu 180 000
Fahrzeuge quälen sich dort am Tag über den Ostring. Da
muss ausgebaut werden. Deshalb beginnen dort schon im
kommenden Jahr die Arbeiten. Ich denke dabei aber auch
an die Region Leipzig-Halle. Dort gibt es neue Industrie-
ansiedlungen. Sie sorgen dafür, dass das Verkehrsauf-
kommen steigt. Dort werden wir bis Ende des Jahres noch
drei weitere Autobahnteilstücke für den Verkehr freige-
ben.
Zu strukturpolitischen Maßnahmen zähle ich den
Weiterbau der A 31 von Bottrop nach Emden. Da geht es
um eine eher strukturschwache Region. Dass dieses Pro-
jekt wichtig ist, zeigt auch das Engagement der ansässi-
gen Wirtschaft. Sie hat sich zusammengetan, um den
Lückenschluss dieser Autobahn gemeinsam mit dem
Bund zu finanzieren.
Im Osten zeigt schon ein Blick auf die Straßenver-
kehrskarte einen großen weißen Fleck zwischen Magde-
burg und Schwerin. Den sehen natürlich auch potenzielle
Investoren und machen leider bis zur Stunde noch einen
großen Bogen um die Altmark und die Prignitz. Deshalb
werden wir die A 14 von Magdeburg nach Schwerin ver-
längern und über die A 24 damit den mittel- und süddeut-
schen Raum an den sich entwickelnden Wirtschaftsraum
der Ostseeanrainer anbinden.
Meine Damen und Herren, aufgrund verschiedener
Meldungen will ich hier nur vorsorglich sagen, dass wir
den Ausbau der ICE-Strecke von Berlin über Halle, Leip-
zig, Erfurt nach Nürnberg durchführen werden.
Die gegenwärtige Kostendebatte ist nötig. Wir brauchen
dazu natürlich Präzisierungen; aber das Vorhaben wird
dadurch weder verzögert noch verhindert. Hier ist eine
klare, eindeutige Entscheidung getroffen worden.
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Wirtschafts-
und strukturpolitische Faktoren sind zentrale Elemente
beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Hinzu kommen
die Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der
Osterweiterung der Europäischen Union auf unsere Ver-
kehrswege zukommen; denn dann wird der Verkehr auf
zahlreichen Strecken noch erheblich anwachsen. Es gilt,
schon heute dafür Vorsorge zu treffen, um unsere Regio-
nen auf diese Herausforderungen einzustellen.
Das wird auch seinen Niederschlag im neuen Bundes-
verkehrswegeplan finden müssen. Wir wollen diesen
Bundesverkehrswegeplan mit Ihnen und den Ländern und
Verbänden in den ersten Monaten des nächsten Jahres
vorbereiten.
Das Wachstum des Verkehrs erfordert von Bund, Län-
dern und Gemeinden immer mehr Mittel für die Infra-
strukturfinanzierung. Deshalb ist es richtig, dass wir die
LKW-Maut einführen werden. Wir wollen gemeinsam
mit den Ländern im kommenden Jahr die Maut-Erfassung
auf den deutschen Autobahnen beginnen. Ab September
fließen dann die Einnahmen, die wir dringend für das
Anti-Stau-Programm brauchen. Wir haben damit einen
wichtigen Finanzierungsweg erschlossen und werden zu-
gleich ein wegweisendes Infrastruktur- und Technologie-
projekt umsetzen können, das in Europa und darüber hi-
naus schon jetzt große Aufmerksamkeit findet.
Die Infrastrukturinvestitionen der Deutschen Bahn
können 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Milliarden
Euro gesteigert werden. Für weitere 8,5 Milliarden Euro
hat die Bahn bereits verbindliche Aufträge erteilt, die
überwiegend der deutschen Wirtschaft zugute kommen.
Ein mehr technisches, aber spannendes Problem ist die
Jährlichkeit unseres Haushaltes einerseits und die Be-
triebswirtschaft der Deutschen Bahn andererseits. Da-
durch könnte es zum Jahresabschluss, formal betrachtet,
zu einem Minderabfluss der Investitionsmittel kommen.
Ich gehe jedoch davon aus, dass die gesamte Investitions-
summe 2002 für notwendige Vorhaben im Bahnbereich
gebraucht und eingesetzt wird.
Nach Vorliegen präziser Daten werden wir unverzüglich
mit den zuständigen Ausschüssen des Bundestags darüber
sprechen.
Die Tankerkatastrophe in der Biskaya hat uns ein-
dringlich daran erinnert, dass wir verschärfte Sicher-
heitsmaßnahmen vor unseren Küsten brauchen.
Für den Schutz können wir das gemeinsame Havarie-
kommando des Bundes und der Küstenländer nach den zu
Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
erwartenden letzten Zustimmungsbeschlüssen am 17. De-
zember in Cuxhaven förmlich in Dienst nehmen. Tatsäch-
lich arbeitet es bereits und ist mit dem Schiff „Neuwerk“
auch im Hilfseinsatz vor der spanischen Küste tätig.
Im Anschluss an unsere Debatte, meine Damen und
Herren, werde ich vom Plenum aus zu meinen Kollegen
Verkehrsminister in Brüssel reisen. Ich will dort die Vor-
schläge der dänischen Ratspräsidentschaft unterstützen,
die dringend für die Erhöhung der Schiffssicherheit vo-
tiert. Dazu gehört, dass wir versuchen wollen, den Zeit-
raum für die Ausphasung von Einhüllentankern erheblich
zu verkürzen.
Wir müssen unsere Küsten schützen.
Wir arbeiten daran, dass wir für bestimmte Bereiche der
Ostsee Sonderzonen einrichten und dass sich die Schiffe
in besonders gefährdeten Bereichen wie in der Kadetrinne
nicht mehr ohne Lotsen bewegen dürfen.
Ich werde das Parlament über den Fortgang unserer
Bemühungen unterrichten.
Dieser Haushalt versetzt uns in die Lage, die massiven
Probleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft anzu-
packen und zu lösen. Im Rahmen der Altschuldenhilfe ha-
ben wir die Mittel verdoppelt. Das ist auch erforderlich;
denn wenn die meisten kommunalen Wohnungsgesell-
schaften im Osten wegbrechen würden, dann wären dort
ganze Städte in ihrer Substanz gefährdet.
Deshalb stellen wir diese Mittel bereit. Das ist ein klares
Zukunftssignal. Das ist eine Grundlage für den Stadtum-
bau Ost.
Der Stadtumbau Ost geht erfolgreich voran. Ich rate
Ihnen, sich einfach Beispiele dafür anzusehen,
wie Plattensiedlungen so gestaltet werden, dass sie men-
schenfreundlich sind. Leinefelde in Thüringen oder auch
Leipzig-Ost sind dafür gute Beispiele.
Die Erfahrungen, die wir beim Stadtumbau in diesen
dringenden Projekten im Osten machen, sind durchaus
auch auf vergleichbare Situationen anwendbar. So sind wir
jetzt dabei, nicht nur vom Stadtumbau Ost, sondern auch
vom Stadtumbau West zu reden. Ein erstes hoffnungsvolles
Projekt in dieser Richtung wird die Stadt Pirmasens sein,
die ebenfalls mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat.
Meine Damen und Herren, der Aufbau Ost ist – um es
noch einmal ganz deutlich zu sagen – für ganz Deutsch-
land eine vordringliche Aufgabe. Die noch immer beste-
henden Rückstände und Schwächen des Ostens drücken
die Wirtschaftskraft ganz Deutschlands. Mein Ziel ist es,
in den neuen Ländern einen Entwicklungsstand zu errei-
chen, bei dem der Osten nicht mehr belastet, sondern kräf-
tig an der Leistungskraft Deutschlands mitträgt. Von die-
sem Ziel sollten wir nicht abrücken.
Dazu wollen wir neue, frische Ideen umsetzen und sol-
che Projekte auf den Weg bringen, mit denen verstärkt
jungen Unternehmern Chancen gegeben werden, und
zwar vor allem in der Startphase ihrer Existenzgründung,
bei der sie Begleitung, Hilfe und insbesondere ein finan-
zielles Rückgrat benötigen. Ich denke, dass es uns gelin-
gen wird, die Mittelstandsbank in absehbarer Zeit ans
Laufen zu bringen, die für diesen Zweck von großer Be-
deutung sein kann. Mit Blick auf den Mittelstandwerden
wir im Laufe des ersten Quartals des nächsten Jahres wei-
tere Vorschläge vorlegen können.
– Das ist richtig. Aber das hängt miteinander zusammen.
Die Vernetzung ist ein wichtiger Punkt. Es gibt inzwi-
schen eine ganze Reihe von Ansätzen, wie sich kleinere
Unternehmen miteinander verbünden können, wie sie da-
durch leistungsfähiger werden und wie sie aus diesen
Netzwerken heraus durchaus Exportchancen entfalten.
Als Beispiele nenne ich Ihnen nur den Präzisionsmaschi-
nenbau in Wismar, die Innovationsregion Mittelsachsen
um Chemnitz oder das Tourismusprojekt im Naturpark
Thüringen. Standorte müssen genutzt werden.
Wir haben in den letzten Jahren in Ostdeutschland gute
Erfahrungen mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleu-
nigungsgesetz gemacht –
ein langer Name für kurze Planungszeiten. Wir haben uns
vorgenommen, dass Bauen schneller und einfacher wer-
den soll. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dieses Ge-
setz angesichts der Erfahrung, dass es keine Minderung an
Demokratie gab, nicht 2004 enden lassen, sondern dass
wir gemeinsam Möglichkeiten zu dessen Fortbestand er-
arbeiten.
Lassen Sie mich etwas ketzerisch in den Raum stellen:
Warum sollen gute Erfahrungen, die wir im Osten ge-
macht haben, nicht auch für das ganze Land interessant
sein?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich nun noch auf ein brennendes Problem eingehen. In
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1101
den neuen Bundesländern wächst eine Generation heran,
für die die Gründe, die zu den wirtschaftlichen und struk-
turellen Problemen Ostdeutschlands geführt haben, be-
reits Geschichte sind, Gründe, die nicht mehr greifen und
nicht mehr überzeugen. Die jungen und qualifizierten
Menschen interessiert etwas anderes: Sie wollen vor al-
lem eine Antwort auf die Frage, wie es für sie weitergeht.
Da sagen viele: Es geht in den Westen, in eine Zukunft mit
höherem Verdienst für gleiche Arbeit.
Dieses Verhalten ist für den Einzelnen verständlich,
aber ist für den Standort Ostdeutschland ein Verhängnis.
Die aktuelle sächsische Abwanderungsstudie belegt das
sehr eindrucksvoll. Sie zeigt, dass sich durchaus auch
qualifizierte Menschen für diesen Weg entscheiden, weil
sie darin bessere Chancen für sich sehen. Wir wollen er-
reichen, dass diese Menschen in ihrer Heimat eine Chance
haben, dass sie dort bleiben und dass der Maßstab des
Verdienstes, der durchaus eine Rolle spielt, sie nicht mehr
dazu bewegt, zu gehen.
Auch deshalb müssen wir die Angleichung der Löhne
erreichen. Für den öffentlichen Dienst haben wir uns das
für 2007 vorgenommen. Lassen Sie mich ehrlich sagen:
Ich sehe dazu keine Alternative. Es gibt in Ostdeutschland
ein hohes Maß an Flexibilität. Wir dürfen uns aber nicht
daran gewöhnen, dass die Tariflöhne dort niedriger sind
oder gar nicht gelten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit,
das muss unser Ziel sein.
Zum Schluss möchte ich sagen: Der Aufbau Ost und
der Ausbau West sind für mich keine Konkurrenzveran-
staltungen. Sie sind keine Gegensätze, sondern bedingen
sich gegenseitig. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Zu-
sammen bringen sie Gewinn für unser ganzes Land. Diese
Mühe lohnt sich. Das ist eigentlich so etwas wie eine Ge-
meinschaftsaufgabe.
Vielen Dank für Ihre Geduld.