Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
nen und Kollegen! Ich will einige wenige Bemerkungen
zum Bundeshaushalt machen.
Erstens. Der Einzelplan ist neu geschnitten, weil das Mi-
nisterium neu geschnitten wurde. Das bisherige Gesund-
heitsministerium wurde um weitere soziale Sicherungssys-
teme ergänzt. Das macht es schwierig, den Haushalt zu
lesen. Er ist auch – das muss ich leider feststellen – an man-
chen Stellen etwas mangelhaft geschrieben.
Ich will nur ein Beispiel nennen. In Kap. 15 02 geht es
um die Programmausgaben, also zum Beispiel Gesund-
heits- und andere Vorsorgeprogramme. Bei einem Ver-
gleich der Gesamtausgaben stelle ich fest, dass die Zahl
für 2002 aus dem Haushalt des alten Bundesgesundheits-
ministeriums stammt und die Zahl für 2003 sich auf das
neue Ministerium bezieht. Die Zahlen sind überhaupt
nicht miteinander vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit
wäre aber für die Fortschreibung der Politik sehr notwen-
dig.
Zweite Bemerkung. Ich will auf die Risiken in dem
Haushalt, für den Frau Schmidt steht, eingehen. Es geht
um die Frage, die der Bundesrechnungshof uns gestern
zugesandt hat. Ihr Haushalt ist ja jetzt ziemlich wichtig
geworden. Sie haben mit 81,8 Milliarden Euro immerhin
den größten Einzelplan zu vertreten. Nun muss man wis-
sen, dass das am Zuschuss für die Rentenkassen liegt.
Dieser nimmt eine Besorgnis erregende Entwicklung.
2001 betrug der Zuschuss noch 69,6 Milliarden Euro,
2002 sind es 72,5 Milliarden Euro und 2003 werden es
77,6 Milliarden Euro sein. Das sind Steigerungen um
2,9 bzw. 5,1 Milliarden Euro. Diese Zuschüsse müssen
die Menschen im Land zum Beispiel mit der Ökosteuer
bezahlen.
Aber das führt eben nicht zur Stabilisierung der Bei-
tragssätze, wie es einmal versprochen wurde. Vielmehr
brauchen Sie jetzt noch ein Beitragssatzsicherungsgesetz.
Normalerweise müssten die Rentenbeiträge von 19,1 auf
mindestens 19,9 Prozent steigen. Sie lassen dies nicht zu,
sondern setzen ihn auf 19,5 Prozent und verbinden damit
– ich zitiere aus der Haushaltsvorlage – „eine maßvolle
Absenkung des Zielwertes für die Höhe der Schwan-
kungsreserve bei der Bestimmung des Beitragssatzes von
80 auf 50 Prozent einer Monatsausgabe“.
Nun ist das politisch schwierig zu kommunizieren,
weil kein Mensch weiß, was die Schwankungsreserve ei-
gentlich ist. Die Schwankungsreserve gleicht die Diffe-
renz aus, die entsteht, weil die Einnahmen für die Ren-
tenkassen nicht stetig sind, aber die Renten monatlich
pünktlich ausgezahlt werden müssen.
Mit der Absenkung der Mindestschwankungsreserve
um 20 Prozent
– dieses Instrument hatten Sie im letzten Jahr schon ein-
mal angewendet –
hat sich der finanzielle Spielraum der Rentenversi-
cherung im Jahr 2002 bereits verringert.
So der Bundesrechnungshof. Ich zitiere weiter:
Mit der im Entwurf des Beitragssatzsicherungsge-
setzes vorgesehenen Absenkung der Mindest-
schwankungsreserve um weitere 30 Prozent auf eine
halbe Monatsausgabe der Rentenversicherung
wächst die Gefahr, dass deren Zahlungsfähigkeit ab
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1097
dem Jahr 2003 nur mit zusätzlichen Bundesmitteln
gewährleistet werden kann.
Die Schwankungsreserve der Rentenversicherung
wird bei ungünstiger Entwicklung im Monat Okto-
ber 2003 voraussichtlich auf etwa 3,4 Milliarden
Euro sinken.
Davon sind nur rund 1,7 Milliarden Euro oder
11 Prozent einer Monatsausgabe tatsächlich kurzfris-
tig verfügbar.
Da die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
zu Beginn eines Monats liquide Mittel in Höhe von
rund 2 Milliarden Euro benötigt, um den so genann-
ten Risikostrukturausgleich für die gesetzliche Kran-
kenversicherung durchzuführen, werden die in der
Rentenversicherung voraussichtlich verfügbaren
Mittel zeitweilig nicht ausreichen.
So weit der Bundesrechnungshof. Ich denke, deutlicher
kann man die dramatische Situation der Rentenkassen
nicht beschreiben.
Sie höhlen die Finanzierungsgrundlagen der gesetzli-
chen Rentenversicherungen aus. Das muss hier festgehal-
ten werden. Sie ruinieren die Rentenkassen.
Was ist, wenn die Schwankungsreserve aufgebraucht
ist und wir unter Null kommen?
Dann tritt nicht der Fall ein, dass die Renten nicht mehr
ausgezahlt werden können, wie mir das besorgte Rentner
bei einem Gespräch im Vogtland letzthin gesagt haben.
Die Renten werden natürlich pünktlich gezahlt – das ha-
ben Sie, Frau Schmidt, in Ihrer Rede bereits gesagt – aber
die Bundesgarantie wird in Kraft treten. Ich stelle mir
diese Nachricht vor. Wie könnte die Überschrift lauten?
Vielleicht: Die deutschen Rentenkassen sind pleite, der
Bundeshaushalt muss für die Rentenkassen aufkommen.
Ich stelle mir vor diesem Hintergrund die Diskussion
mit unseren europäischen Nachbarn über das Stabilitäts-
kriterium von 3 Prozent vor. Es wäre äußerst fatal, wenn
diese Situation eintreten würde.
Als Haushälter will ich noch ein drittes Thema anspre-
chen. In einer Novembersitzung im Haushaltsausschuss
haben Sie die Abgeordneten über eine außerplanmäßige
Ausgabe für die Beschaffung von Pockenimpfstoff in
Höhe von 10 Millionen Euro unterrichtet. Die Ausgaben
sind vom Bundesgesundheitsministerium bereits im Au-
gust bewilligt worden – ich zitiere aus der Unterrichtung
des Haushaltsausschusses –, weil
die Beschaffung von Impfstoffen in der geplanten
Menge zur Gegenabwehr geeignet ist und die unver-
zügliche Erteilung des Auftrags für die Produktion
und Lieferung des Impfstoffes ein gegebenenfalls
rechtzeitiges Reagieren auf die dargelegten Gefah-
ren ermöglicht.
Um die zur Gefahrenabwehr erforderliche möglichst
zügige Beschaffung sicherzustellen, war eine ver-
bindliche Entscheidung bis zum 16. August 2002 zu
treffen. Angesichts dieser Fristenlage war die vorhe-
rige Unterrichtung des Haushaltsausschusses ... auf-
grund der Eilbedürftigkeit nicht möglich.
Nun kommt meine Frage. Es haben am 20. August und
am 12. September Haushaltsausschusssitzungen stattge-
funden. Warum konnten Sie den Haushaltsausschuss über
diese außerplanmäßige Ausgabe nicht bei diesen Sitzun-
gen unterrichten?
Es kommt noch etwas hinzu.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das eine außer-
planmäßige Ausgabe in Höhe von 10 Millionen Euro für
dieses Jahr ist. Daneben gibt es Verpflichtungsermächti-
gungen über 10 Millionen Euro für das nächste und
übernächste Jahr. Anschließend habe ich diesen Haus-
haltstitel im Haushaltsentwurf 2003 gesucht, aber nicht
gefunden. Er steht nicht drin.
Jetzt stelle ich die Fragen: Warum schreiben Sie das
nicht in den Haushaltsentwurf? Warum haben Sie den
Haushaltsausschuss nicht im Sommer informiert? Wollen
Sie von irgendetwas ablenken? Wollen Sie etwa davon ab-
lenken, dass möglicherweise eine Gefahr in Deutschland
besteht, die Sie in der gesamten Wahlkampfphase igno-
riert haben? Wird Deutschland möglicherweise durch den
Irak und dort eingesetzte Kampfmittel bedroht? Das hätte
natürlich nicht in Ihr Wahlkampfkonzept gepasst.