Rede von
Markus
Kurth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Koalition bringt heute auch eine Änderung des
Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs ein. Es steht dieser
Haushaltsdebatte gut an, im Zusammenhang mit dieser
Gesetzesänderung den Blick auf die mehr als 1Million er-
werbsfähigen schwerbehinderten Menschen zu werfen,
die dank Rot-Grün wieder Chancen auf einen Arbeitsplatz
bekommen haben.
Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das aus Ihren Rei-
hen auch einmal angesprochen. Ich kann aber verstehen,
dass Sie das nicht tun; denn dann müssten Sie den Kurs
des allgemeinen Lamentos verlassen und anerkennen,
dass wir in diesem Politikfeld einen großen Erfolg erzielt
haben.
In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente
des Sozialgesetzbuchs IX gelungen, vielen Tausend be-
hinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Zu
diesen Instrumenten – das ist eben ausgeführt worden –
gehört neben dem Aufbau eines Netzes von Integrations-
fachdiensten auch die Absenkung der Pflichtquote zur
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf
5 Prozent und die Kampagne „50000 Jobs für Schwer-
behinderte“.
Diese Maßnahme, als Teil eines umfassenden Anreiz-
systems für Arbeitgeber konzipiert, ist ein voller Erfolg:
Entgegen dem allgemeinen Trend haben wir es geschafft,
die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten um nahezu
50 000 oder um knapp 25 Prozent zu reduzieren. Um jetzt
die Arbeitgeber nicht zu demotivieren, um die erkennbar
gestiegene Motivation weiter zu steigern und um mit die-
sem erfolgreichen Programm weitermachen zu können,
setzen wir die eigentlich fällige Anhebung der Beschäfti-
gungspflichtquote um 1 Prozentpunkt für ein Jahr, also bis
zum 1. Januar 2004, aus.
Die positive Bilanz rot-grüner Behindertenpolitik kann
sich aber nicht nur an diesem sachlichen Erfolg messen
lassen. Nein, es geht auch darum, wie es uns gelungen ist,
diese Ziele zu erreichen.
Dr. Heinrich L. Kolb
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Markus Kurth
Ich komme zunächst auf die Selbstbestimmung und
Teilhabe zu sprechen. Diese Prinzipien haben wir zum Aus-
gangspunkt unserer Politik für Menschen mit Behinderung
gemacht. Wir haben diese Politik gemeinsam mit den In-
teressenvertretungen entworfen. Es war von Beginn an
klar, dass bei der beruflichen Integration schwerbehinder-
ter Menschen die Beachtung der Prinzipien Selbstbestim-
mung und Teilhabe bedeuten musste, unsere Eingliede-
rungsbemühungen klar auf den ersten Arbeitsmarkt zu
konzentrieren. Bemerkenswert dabei ist, dass die Vermitt-
lungserfolge nicht durch zusätzliche Subventionen nach
dem Motto „Viel hilft viel“ erreicht worden sind. Grundle-
gend für unseren Erfolg war ein kooperativer Politikansatz,
der auf Überzeugung und Bewusstseinsbildung setzt.
Die Integrationsfachdienste haben im Zusammenspiel
mit den Arbeitsämtern Beratungsarbeit in den Betrieben
geleistet. Arbeitgeber haben gelernt und lernen, dass
Menschen mit Behinderung nicht leistungsgemindert
sind, sondern lediglich einen Arbeitsplatz brauchen, der
ihren besonderen Bedürfnissen entspricht.
Die Instrumente zur Gestaltung dieser Arbeitsplätze – wie
Arbeitsassistenz oder etwa die Gewährung von Gebär-
densprachdolmetschern – haben wir als Gesetzgeber den
Unternehmen in die Hände gegeben.
Wir können gerade deswegen auf die Anhebung der
Beschäftigungspflichtquote für Schwerbehinderte in die-
sem Jahr verzichten, weil der von uns angestoßene
Prozess eine ganz enorme Eigendynamik entfaltet hat.
Unternehmen sind dabei, Netzwerke zum Erfahrungsaus-
tausch zu etablieren. Sie sammeln Best-Practice-Bei-
spiele, um Nachahmer und Nachahmerinnen anzuregen.
Wir werden auch im nächsten Jahr die konstruktive Zu-
sammenarbeit mit den Arbeitgebern fortsetzen.
Ich denke, wir können uns bei der anstehenden Reform
der sozialen Sicherungssysteme an diesem Politikansatz
durchaus ein Beispiel nehmen. Es ist an den gesellschaft-
lichen Akteuren und natürlich auch an Ihnen, meine Da-
men und Herren von der Opposition, bei der Reform der
sozialen Sicherungssysteme einen ähnlich konstruktiven
und womöglich sogar – man hofft ja noch – kooperativen
Politikansatz mitzutragen oder sich ins Abseits zu stellen.
Nutzen Sie Ihre Chance! Oder verabschieden Sie sich –
nur sind Sie dann zwar vielleicht selbstbestimmt, aber
ohne jede Teilhabe.