Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten ist
ein Untersuchungsausschuss von Anfang an auf so viel
Kritik aus buchstäblich allen Parteien – auch aus Ihren ei-
genen Reihen, meine Damen und Herren von der CDU/
CSU – wie auch in der Presse und in der Bevölkerung ge-
stoßen wie dieser Ausschuss.
Dieses unselige Vorhaben wird von einem allgemeinen
Kopfschütteln begleitet.
Wir können nur hoffen, dass diese Art der rückwärts
gewandten Selbstbeschäftigung des Parlaments ein ein-
maliger Vorgang bleiben wird. Ich hoffe dies, weil das,
was Sie vorhaben, abschreckend genug in die Zukunft hi-
nein wirken dürfte.
Ich zitiere nur eine von vielen kritischen Stimmen.
Der FDP-Landtagsabgeordnete aus meinem Wahlkreis
Schwäbisch Hall, der stellvertretende Ministerpräsident
des Landes Baden-Württemberg
und stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Dr. Walter
Döring, hat diesen Untersuchungsausschuss als „abenteu-
erlichen Schwachsinn“ bezeichnet.
Das Vorhaben, so Döring, sei an Mut- und Einfallslosig-
keit wie auch an „Scheinheiligkeit“ nicht mehr zu über-
bieten. Das kommt auch aus den Reihen derer, die das
Vorhaben in Berlin offiziell unterstützen. Döring gibt den
dringenden Rat, sich mit inhaltlichen Positionen statt mit
derart unseligen Vorhaben zu profilieren.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Menschen wollen Ant-
worten auf die anstehenden Sachfragen und keine recht-
haberische Vergangenheitsbewältigung, wie Sie sie be-
treiben.
Alle Zahlen, die den Bundeshaushalt oder die Finanz-
lage der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
betreffen, waren den damit befassten Parlamentarierinnen
und Parlamentariern und den zuständigen Landesminis-
tern ebenso bekannt wie den jetzt ins Visier genommenen
Mitgliedern der Bundesregierung. Diese Zahlen sowie die
Einschätzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung
waren im Übrigen während des gesamten Bundestags-
wahlkampfes immer wieder Gegenstand von Erörte-
rungen.Zum Beispiel haben wir Sie mit allem Nachdruck
darauf hingewiesen, dass aufgrund der Haushaltsentwick-
lung Ihre Wahlkampfversprechen absolut unerfüllbar
sind. Das hat Sie aber nicht weiter gestört. Sie haben ge-
nau gewusst, dass Sie Ihre Versprechen nicht hätten hal-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1073
ten können. Davon wollen Sie jetzt ablenken. Das war ja
wohl auch der Grund dafür, weshalb Ihnen die Wählerin-
nen und Wähler am 22. September nicht abgenommen ha-
ben, dass Sie Ihre Versprechungen erfüllen werden. Des-
halb führen Sie heute dieses Vernebelungsmanöver durch.
Sie haben dennoch einen Anspruch darauf, auch
Dinge, die an und für sich Teil der ganz alltäglichen und
normalen parlamentarischen Auseinandersetzung sein
sollten, in einem Untersuchungsausschuss zu behandeln,
der mit den Mitteln der Strafprozessordnung die Wahrheit
zu ergründen sucht. Dieses Recht steht Ihnen nach dem
Grundgesetz zu. Wir wollen Sie deshalb nicht daran hin-
dern, den Untersuchungsausschuss ins Werk zu setzen,
der Ihnen – auch das prophezeie ich Ihnen – noch auf die
eigenen Füße fallen wird.
Unsere Aufgabe ist es allerdings – dabei bleiben wir
auch –, dafür zu sorgen, dass auch ein derartiger Untersu-
chungsausschuss verfassungsrechtlich korrekt zustande
kommt.
Der Untersuchungsauftrag muss eine hinreichende Ba-
sis für die Untersuchungsarbeit darstellen. Auf seiner
Grundlage müssen auch hinreichend bestimmte Beweis-
anträge behandelt und beschlossen werden können. Das,
was Sie uns heute als Einsetzungsantrag vorlegen, lässt
zwar, wenn man viel Fantasie aufbringt,
erahnen, was Sie in diesem Untersuchungsausschuss alles
zu untersuchen gedenken. Von hinreichender Bestimmt-
heit des Untersuchungsgegenstandes kann allerdings
nicht die Rede sein.
Ich habe mich über Ihren offensichtlich hastig zusam-
mengebastelten Antrag sehr gewundert. Er ist von einer
Pauschalität und einer Allgemeinheit, wie ihn das Parla-
ment wohl selten gesehen hat. Sie haben sich noch nicht
einmal Zeit für eine knappe Begründung Ihres Antrags ge-
nommen. Da Sie schon seit einigen Wochen wissen, dass
Roland Koch diesen Untersuchungsausschuss haben
will, habe ich von Ihnen erwartet, dass Sie sich auf den
Hosenboden setzen und wenigstens Ihre Hausaufgaben
machen. Das sind Sie Ihrem Wahlkämpfer Koch doch
schuldig. Sie haben aber nichts getan.
Natürlich haben Sie – ich wiederhole das – als qualifi-
zierte Minderheit das Recht, den Untersuchungsgegen-
stand, mit dem sich der Untersuchungsausschuss befassen
soll, festzulegen.
Das haben Sie allerdings nicht getan. Ihr Antrag soll wohl
das gesamte, sich ständig entwickelnde Haushalts- und
Finanzgeschehen des Staates und der Sozialversiche-
rungssysteme von Januar bis September 2002 auf den
Prüfstand stellen und an der gesamtwirtschaftlichen Ent-
wicklung messen. An dieser Messlatte wollen Sie dann als
Oberzensor der Nation prüfen, wer wann in welchem Sta-
dium der Wahrheit am nächsten kam. Uferloser, umfäng-
licher und unpräziser geht es wohl nicht. Viel Vergnügen
auf dieser Reise!
Ich halte das, was Sie uns vorgesetzt haben, hand-
werklich für eine ganz miserable Arbeit und verfassungs-
rechtlich für eine Zumutung. Sie selbst haben in Ihrer Re-
gierungszeit immer akribisch darauf geachtet, dass unsere
damaligen Untersuchungsaufträge rechtsstaatlich hinrei-
chend bestimmt waren. In einem Fall – unser damaliger
Antrag war wesentlich konkreter formuliert als Ihr heuti-
ger – haben Sie sogar ein teures Gutachten bei dem ehe-
maligen Bundesverfassungsrichter und späteren Direktor
des Max-Planck-Instituts für öffentliches Recht in Hei-
delberg, Professor Helmut Steinberger, einer wahrlich
prominenten Größe, in Auftrag gegeben. In dem lesens-
werten Gutachten von Professor Steinberger ist ausge-
führt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen zum
Beispiel an die Bestimmtheit eines Antrags auf Einset-
zung eines Untersuchungsausschusses zu stellen sind. An
diesen Maßstäben muss sich auch Ihr heutiger Antrag
messen lassen; denn dieses Gutachten hatten Sie damals
eingeholt.
Wir fordern Sie ausdrücklich auf, konstruktiv an einer
konkreteren Fassung Ihres Antrags mitzuwirken; denn
wir werden peinlich darauf achten, dass der Untersu-
chungsausschuss eine einwandfreie und hinreichend be-
stimmte Grundlage erhält. Nur dann kann im Übrigen
Ihren Vorwürfen zügig nachgegangen werden und nur
dann wird uns ein jahrelang buchstäblich dahindüm-
pelnder Ausschuss erspart bleiben.
Zuletzt möchte ich den ständig wiederholten Vorwurf
aufgreifen, wir wollten die Einsetzung des Untersu-
chungsausschusses und seine Arbeit verzögern bzw. be-
hindern. Ich weise solche Anschuldigungen in Namen der
SPD-Fraktion mit allem Nachdruck zurück.
Angesichts der Fakten finde ich diesen Vorwurf wahr-
lich unverfroren. Seit Wochen reden und reden Sie von
diesem Ausschuss und sagen, wie wichtig er ist und wel-
che Zeugen zuerst und wann gehört werden sollen. Aber
außer Reden passierte nichts. Den Einsetzungsantrag ken-
nen wir seit gerade einmal zwei Tagen. Uns vor diesem
Hintergrund Verzögerungstaktik vorzuwerfen ist schon
ein dreistes Stück, meine Damen und Herren.
Es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht,
diesen Antrag zu prüfen, auf seine Verfassungsverträg-
lichkeit hin abzuklopfen und darauf hinzuwirken, dass er
diesen Anforderungen entspricht. Nach dem Prinzip, das
Sie hier zum Maßstab erheben wollen, nämlich „Vogel
Hermann Bachmaier
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Hermann Bachmaier
friss oder stirb“, müssen, dürfen und werden wir nicht ver-
fahren.
Herzlichen Dank.