Auch wir haben Vorrechte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden heute über den Haushalt, das heißt, wir reden
über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und über das,
was wir in den nächsten Jahren machen wollen. Der Kol-
lege Laumann hat natürlich Recht: Das größte Problem
für die Haushaltsentwicklung ist die Massenarbeitslosig-
keit. Die Zahlen, die uns gestern vorgelegt wurden, sind
wirklich nicht zufriedenstellend. Das gilt vor allem für
den Bereich der Jugendarbeitslosigkeit.
Darum gilt es, Herr Laumann, Instrumente wie das
JUMP-Programm für jugendliche Arbeitslose fortzu-
führen. Wir müssen auch die Hartz-Vorschläge umsetzen,
und zwar zum 1. Januar 2003.
Genau hier liegt das Problem. Wenn es an die Umset-
zung unserer Vorschläge geht, macht sich Herr Laumann
Sorgen, weil er meint, dass Herr Hartz die Vaterschaft sei-
nes Projektes etwas kritisch sieht. Ich sage Ihnen – das
kann ich als Frau aus großer Überzeugung tun –: Die Er-
fahrung zeigt, dass sich Kinder, die von ihren Vätern kri-
tisch angeschaut werden, sehr propper entwickeln kön-
nen. Wenn es uns gelingen wird, die Hartz-Vorschläge so
umzusetzen, wie sie eingebracht wurden, glaube ich, dass
im nächsten Jahr plötzlich mehrere Väter auftauchen wer-
den, die die Vaterschaft für dieses Kind übernehmen wol-
len. Das kennen wir schon.
Einer, der für Sie Stichwortgeber bei den Reformen
insgesamt und natürlich auch im Zusammenhang mit dem
Hartz-Konzept ist, ist heute nicht da. Das ist Herr Koch.
Für Sie sind ja die Ministerpräsidenten sowieso eher
Stichwortgeber als Ihre eigene Fraktion. Ich habe Ihnen
einige Ausführungen von Herrn Koch mitgebracht, damit
daraus in dieser Debatte ein wenig zitiert werden kann.
Ich finde es nämlich sehr interessant. Wir reden hier
darüber, dass wir in einer schwierigen Situation sind. Wir
müssen die Haushalte konsolidieren, um zukunftsfähig zu
sein. Gleichzeitig müssen wir Reformen machen, um zu-
kunftsfähig zu sein und die Massenarbeitslosigkeit zu be-
seitigen. Da lesen wir dann Interessantes. Herr Koch
wurde zum Beispiel auf die von ihm selbst, aber auch von
seinem Umfeld organisierte Totalblockade angesprochen
oder darauf, dass Bürgerinnen und Bürger auf die Barri-
kaden gerufen werden oder dass der Kollege von der FDP,
Herr Gerhardt, die Finanzämter lahm legen will, um alles
das, was an Vorschlägen umgesetzt werden muss, unmög-
lich zu machen. Auf die Frage, ob es sich dabei um einen
maßvollen Umgang bei dem Versuch, Probleme zu lösen,
handele, antwortete er, das sei ein maßvoller Umgang. Er
verstieg sich sogar noch dazu, zu sagen, dass die heutige
Situation bzw. der Unmut der Bevölkerung, den man an
vielen Punkten nachvollziehen kann, bei Politikern, His-
torikern und Wissenschaftlern dazu geführt hat, kreative
Formen des Widerstandes oder der Äußerung zu ent-
wickeln.
Ich sage Ihnen: Herr Koch entblödet sich nicht, eine
geistige Armut darzustellen, die er in Form politischer Ar-
mut fortführt. Auf eine weitere Frage antwortete er, Auf-
gabe der Regierung sei es, Konzepte vorzulegen. Die Op-
position sage dazu Ja oder Nein.
Meine Damen und Herren, es tut mir furchtbar Leid:
Wenn wir hier darum ringen, mit welchen Instrumenten
Karl-Josef Laumann
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Dr. Thea Dückert
wir ab dem 1. Januar 2003 in die Umsetzung gehen, dann
können wir vielleicht um Details streiten. Aber dann müs-
sen auch Alternativen vorgelegt werden.
Es ist deutlich geworden, dass Herr Koch Ihr Anführer
bei dieser Art der Blockadepolitik sein will. Ich habe
große Sorge, ob das, was Herr Laumann hier ankündigt,
nämlich in den Auseinandersetzungen im Bundesrat
Kompromisse zu finden, überhaupt möglich ist. Nein, Sie
verstricken sich mit Hilfe von Herrn Koch in einer
Blockadepolitik, die uns überhaupt nicht weiterbringt.
Wir haben mit diesem Haushalt ein großes Problem;
das ist richtig. Wenn man sich das näher anschaut, dann
sieht man das sehr genau. Wir haben hohe Belastungen bei
den Zinsausgaben. Das heißt, wir dürfen nicht weiter in
die Verschuldung gehen. Nichts anderes aber wird von Ih-
nen immer wieder vorgeschlagen. Wir haben auch hohe
Belastungen bei den Sozialausgaben, zum Beispiel bei
den Zuschüssen für die Rentenversicherung. Die derzeiti-
gen Belastungen liegen bei Zinsen und Renten zusammen
bei über 57 Prozent. Das ist natürlich ein Päckchen, das
uns aufgibt, nicht nur die Reformen am Arbeitsmarkt auf
den Weg zu bringen, sondern gleichzeitig eine Konsoli-
dierung der Haushalte und eine Reform der sozialen Si-
cherungssysteme vorzunehmen. Wenn wir diese zusätz-
lichen Lasten in Zukunft nicht reduzieren, werden wir
nicht handlungsfähig sein.
Im Wirtschaftshaushalt wird genau dieses getan. Es
wird konsolidiert. Zum Beispiel im Bereich der Bundes-
anstalt für Arbeit und der Arbeitsmarktpolitik werden wir
7 Milliarden Euro einsparen. Das ist schmerzlich, weil
hierdurch die Arbeitslosenhilfe betroffen sein wird, indem
die Einkommen stärker auf die Arbeitslosenhilfe ange-
rechnet werden. Einsparungen sind schwierig, weil wir
gleichzeitig Reformen, das heißt Effizienzsteigerungen in
der Arbeitsmarktpolitik bzw. eine Verkürzung der Dauer
von Arbeitslosigkeit, auf den Weg bringen. Das ist aber
genau das Rezept: Reformen und Einsparen, Konsolidie-
ren und Einsparen. Sonst werden wir in der Zukunft nichts
auf die Reihe bringen.
Ich sage Ihnen eines: Lassen Sie sich nicht ein auf die-
ses Blockadesüppchen, das Ihnen da der Herr Wulff kocht
bzw. das Ihnen da der Herr Koch mit Hilfe von Herrn
Wulff kocht; das wollte ich eigentlich sagen. Der Koch
kocht und der Wulff würzt schlecht dazu.
Wir haben Anfang dieser Woche gehört, dass Sie nun of-
fenbar die Erkenntnis erreicht hat, dass Sie selbst Konzepte
vorschlagen müssen. Herr Wulff hat jetzt zehn Punkte
in die Debatte gebracht. Ich habe nicht die Zeit, auf diese
zehn Punkte einzugehen. Ich muss Ihnen nur sagen: Ich
habe sie mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich hatte
angenommen, dass jetzt etwas kommen würde, aber da
hat der Berg gekreißt und gebar eine Maus. Es kam das
heraus, was uns Herr Laumann soeben schmackhaft zu
machen versuchte, zum Beispiel bei der Deregulierung
der Zeitarbeit.
Meine Damen und Herren, wir gehen bei der Deregu-
lierung der Zeitarbeit sehr viel weiter als all das, was Sie
jemals vorgeschlagen haben, weil wir der Ansicht sind,
dass gerade die Zeitarbeit genutzt werden muss, um Lang-
zeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt hinein-
zubringen, und zwar in dem Maße, wie es uns unsere
Nachbarländer schon längst vorgemacht haben, beispiels-
weise die Niederlande.
Es ist mutlos, was Sie an dieser Stelle vorschlagen.
Nun kaprizieren Sie sich auf die Personal-Service-Agen-
turen und auf die Frage, ob es Einstiegstarife für Lang-
zeitarbeitslose geben wird. Ich möchte Ihnen dazu nur sa-
gen: Es ist ein Scheingefecht, was Sie hier abziehen. Sie
wissen ganz genau, dass sowohl in der Hartz-Kommission
wie auch danach die Erkenntnis, dass es Einstiegstarife
für Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt über
Zeitarbeit geben muss, längst Platz gegriffen hat und dass
mittlerweile auch die Gewerkschaften und die Zeitar-
beitsfirmen darüber diskutieren. Es ist im Grunde völlig
egal, ob wir das in das Gesetz schreiben. An dieser Stelle
den Tarifparteien das notwendige Vertrauen entgegenzu-
bringen und ihnen die Aufgabe zu stellen, dieses Problem
zu lösen, darin kann ich nun überhaupt keinen Staats-
interventionismus oder eine falsche Arbeitsmarktpolitik
erkennen. Das heißt vielmehr, die Arbeitsmarktpartner
hier im Lande ernst zu nehmen.
Meine Damen und Herren, alles das, was Sie im Zu-
sammenhang mit der Blockade des Hartz-Konzeptes, die
Sie offenbar vorhaben, vorschlagen, ist wirklich recht
kurz gesprungen, ebenso die Vorschläge, die Sie zum Bei-
spiel zur Ich-AG vorgebracht haben. Sie haben sich gar
nicht dazu geäußert, sondern wollen einfach das Schein-
selbstständigengesetz streichen. Ich kann Ihnen nur sa-
gen: Sie haben nicht begriffen, worüber wir hier reden.
Wir reden hier über ganz unterschiedliche Personen und
Arbeitsbereiche. Wir reden hier nicht über Leute, die
schon jetzt in der Scheinselbstständigkeit angemeldet
sind und übrigens auch Sozialabgaben abführen – das ist
gut so –, sondern wir reden über Schwarzarbeit, über
kleine handwerkliche Tätigkeiten, die heute im Rahmen
von Schwarzarbeit erledigt werden und die wir dort he-
rausholen wollen. Sie haben an dieser Stelle einfach nicht
den Mut, so viel Veränderungsbereitschaft aufzubringen,
weil Sie nicht an die Lockerung der Handwerksrolle und
des Meisterzwanges heranwollen. Das ist doch der wirk-
liche Hintergrund.
Sie verteidigen an dieser Stelle vorsintflutliche Rege-
lungen in der Ökonomie und am Arbeitsmarkt mit dem
Etikett:
Streichen wir die Scheinselbstständigkeit und lassen wir
die Ich-AG! Ich sage Ihnen: Wir werden die Ich-AG und
die Minijobs brauchen, um Schwarzarbeit in legale Be-
schäftigung zu überführen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1039
Meine Damen und Herren, viele Punkte werden wir
mit dem Hartz-Gesetz angehen. Es sind innovative
Punkte. Man kann über vieles reden. Sie machen Vor-
schläge im Detail. Ich würde sagen: Es ist oft Flickschus-
terei. Aber wenn es Ihnen dann gelingt, an dieser Stelle
mitzutun – denn wir brauchen diese Gesetze –, kann man
auch über Einzelpunkte reden. Das sage ich Ihnen hier,
weil es uns wichtig ist, die Massenarbeitslosigkeit in die-
sem Land auf die Hörner zu nehmen, weil es uns wichtig
ist, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, weil es uns wichtig
ist, das Konzept „Fördern und Fordern“ endlich auf den
Weg zu bringen. Deswegen: Machen Sie mit! Wir können
an vielen Stellen miteinander reden.
Danke schön.