Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf
mich für die von den Sprechern der Fraktionen geäußerte
Zustimmung zu dem heute zu entscheidenden Mandat
recht herzlich bedanken. Das macht klar, dass wir uns jen-
seits der heute aufgetretenen Differenzen – um es ganz
milde zu formulieren – in der Sache im Wesentlichen ei-
nig sind.
Man muss die Mission in Mazedonien in die Gesamt-
strategie für den Balkan einordnen. Wenn wir uns an das
Jahr 1991, an das auseinander brechende Jugoslawien, an
das Setzen auf Gewalt und an die Grenzziehung mit den
Mitteln des Krieges, der ethnischen Säuberung und Ver-
treibung mit furchtbaren Verbrechen und Zerstörungen er-
innern, dann können wir heute feststellen, dass die Verbin-
dung von militärischer Festigkeit auf der einen Seite und
politischer Perspektive auf der anderen Seite letztendlich
das entscheidende Erfolgsrezept war. Das hat auch zur Sta-
bilisierung Mazedoniens ganz entscheidend beigetragen.
Ich stimme allen zu, die sagen, dass noch viel zu tun sei.
Deswegen können wir das Mandat heute nicht für beendet
erklären; das ist klar. Aber wer hätte noch vor anderthalb
Jahren zu denken gewagt, dass es – bei allen Schwierig-
keiten, die das Land noch hat – einen demokratischen
Ursula Lietz
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Bundesminister Joseph Fischer
Regierungswechsel, der auf freien Wahlen gründet, geben
wird? Das hätten damals nur ein paar sehr Wohlmeinende,
an Utopien Glaubende aus unserem Kreis gedacht. Heute
ist das Realität geworden. Dass es einen neuen Verfas-
sungskonsens zwischen den wichtigsten Volksgruppen
gibt, ist das Ergebnis der Entschlossenheit wie des Ver-
handlungsgeschicks von Javier Solana, dem Sonderbe-
auftragten der Europäischen Union, und George
Robertson, dem Generalsekretär der NATO, sowie der
Bereitschaft aller Mitgliedstaaten, sich hier zu engagie-
ren, und selbstverständlich auch der multinationalen
Truppe, das heißt nicht nur der Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr, sondern auch unserer Partner, die dort in
einem gefahrvollen und gleichzeitig sehr vernünftigen
Einsatz engagiert waren und sind. Ich denke, es ist wich-
tig, dass man das unterstreicht.
Mir wäre bei all dem, was wir in den kommenden Wo-
chen und Monaten in einer anderen Nachbarregion vor uns
haben, wesentlich wohler, wenn wir bereits heute sagen
könnten, dass es eine Strategie für die gesamte Region für
den Tag danach gibt. Dann wäre die Frage der regionalen
Stabilität zumindest in Umrissen erkennbar und dann viel-
leicht auch beantwortbar. Dann könnte die jetzige Diskus-
sion anders geführt werden. Genau das ist das Geheimnis
des Erfolgsrezepts auf dem Balkan: Die gesamte Region
soll an Europa herangeführt werden. Das wird zwar lange
dauern. Aber ich kann Ihnen versichern: Allein die Einstel-
lungsänderung in den Köpfen ist wichtig für den Erfolg.
Stellen Sie sich einmal vor, dass diese Region die Perspek-
tive, die ihr Brüssel eröffnet hat, nicht hätte und dass es nur
das militärische Engagement des Westens gäbe nach dem
Motto: Wir lassen nicht zu, dass ihr euch gegenseitig um-
bringt und furchtbare Verbrechen begeht. Dann gäbe es
keine politische Perspektive. Der Nationalismus in den
Köpfen würde dann nicht Schritt für Schritt transformiert.
Das wird alles dauern. Aber letztendlich gehört auch
diese Region zu Europa und das ist der entscheidende An-
satz. Dem dient der Stabilitätspakt, dem dienen unsere
Bemühungen, Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
men zu schließen, und dem dient auch die Bemühung, ein
engeres Verhältnis der Balkanstaaten – auch der neuen
Staaten, insbesondere Mazedonien – zur NATO herzustel-
len. Das ist genau der Punkt, Herr Hoyer. Dieser Antrag
steht zwar heute nicht zur Abstimmung; aber das wurde
gestern im Ausschuss für Ihre Fraktion wieder vorgetragen.
– Ich nehme an, Ihr Kollege ist da noch etwas unerfahren.
Angesichts der Lage auf dem Balkan wäre es ein fata-
ler Rückschritt, wenn wir dort etwas der OSZE Ähnliches
konstruieren wollten. Keiner unserer Partner würde das
verstehen. Gott sei Dank ist die Entwicklung in Richtung
des Heranführens an das Europa der Integration, an die
transatlantischen Strukturen viel weiter gediehen. Das
wissen Sie doch auch.
– Natürlich gibt es einen Widerspruch. Der Widerspruch
besteht darin, dass das Instrument, das Sie vorschlagen,
nicht mehr notwendig ist.
– Okay, vielleicht brauchen Sie dieses Instrument, um et-
was Eigenes zu haben. Ich akzeptiere ja, dass Sie es als
Identifikationsmerkmal brauchen. Aber Sinn macht es
nicht.
– Es hat doch nichts mit Oberlehrer zu tun, wenn ich auf
Ihre Argumente eingehe und versuche, sie zu entkräften.
Als einen Oberlehrer verstehe ich jemanden, der abkan-
zelt. Ich tue das Gegenteil: Ich versuche, mit Ihnen zu dis-
kutieren, Herr Gerhardt.
Aber meinetwegen, dann bin ich eben ein Oberlehrer. Ich
möchte nicht darüber streiten. Ich habe jedoch ein ande-
res Verständnis von Oberlehrern: Meine Oberlehrer haben
nie mit mir diskutiert.
– Ich habe viel zu viele Oberlehrer gesehen. Das macht
vielleicht einen Teil meiner Schulkarriere aus.
Ich sage Ihnen: Für mich ist das Mazedonien-Mandat
Ausweis einer Erfolgsgeschichte, die noch nicht abge-
schlossen ist und die in einem engen Zusammenhang mit
dem Engagement im Kosovo und in Bosnien steht.
Herr Freiherr von und zu Guttenberg, wir haben
gestern im Ausschuss ausführlich darüber gesprochen,
warum es noch kein ESVP-Mandat gibt. Das hat beim
besten Willen nichts damit zu tun, dass wir uns in Hoff-
nungserklärungen flüchten. Aber ich kann Ihnen bis zur
Stunde – bei allen Allmachtsvisionen, die Sie der Bun-
desregierung zuschreiben mögen – noch nicht die Eini-
gung zwischen Griechen und Türken liefern. Ich kann Ih-
nen allerdings eines sagen: Wenn wir dem Antrag Ihrer
Fraktion, der gestern Gott sei Dank abgelehnt wurde, zu-
gestimmt hätten, dann könnte ich Ihnen niemals präsen-
tieren, dass es eine Deblockierung geben wird.
Meine Damen und Herren, ich freue mich für unsere
Soldaten, dass es hier eine so breite Unterstützung für die-
sen Einsatz gibt. Ich erinnere daran, dass es nicht nur auf
der linken Seite dieses Hauses Auseinandersetzungen da-
rüber gegeben hat; mein Gedächtnis funktioniert sehr gut.
Gerade beim Mazedonien-Mandat hat es auch auf der
rechten Seite dieses Hauses, in Ihren Reihen, Diskussio-
nen gegeben. Allen, die damals zugestimmt haben, kann
ich nur sagen: Es war richtig, dass wir dieses Mandat ein-
gerichtet und eine Eskalation eines neuen Bürgerkrieges
mit den verheerenden Folgen nicht zugelassen haben.
Ohne Selbstüberheblichkeit können wir den Kolleginnen
und Kollegen aller Fraktionen, die damals aus guten Grün-
den Bedenken erhoben haben, sagen: Diese Bedenken wa-
ren Gott sei Dank nicht berechtigt. Auch das ist ein Be-
standteil dieser Erfolgsgeschichte. Deswegen möchte ich
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1021
mich für die Bundesregierung nochmals für die so breite
Unterstützung im Interesse unserer Soldaten bedanken.