Je später der Abend, umso länger werden die Reden. –
Jetzt hat der Abgeordnete Christian Ströbele das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Götzer hat mal wieder in die Kiste gegriffen und
all die Gesetzentwürfe aus der vorletzten, aus der letzten
und zum Teil auch aus dieser Legislaturperiode hervor-
geholt, die er hier verabschiedet haben möchte.
Ich will einen theoretischen Gedanken anführen, um
einmal etwas Neues zu sagen. Das Schlimme ist nicht,
dass Sie dies immer wieder hervorholen. Das Schlimme
liegt meiner Meinung nach ganz woanders: Ich habe ein-
mal gelernt, dass die parlamentarische Demokratie,
also die vermittelte Demokratie, die bessere Staatsform ist
Dr. Wolfgang Götzer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Hans-Christian Ströbele
im Vergleich zur direkten Demokratie, in der das Volk alle
Angelegenheiten direkt regelt; das könnte man heute viel-
leicht schon über Computer möglich machen. Die parla-
mentarische Demokratie ist deshalb besser, weil sie unab-
hängiger von den Emotionen des Augenblicks in der
Bevölkerung ist, weil in ihr sachlicher mit den Problemen
umgegangen werden kann und die Gesetze und die
Rechtsordnung sachlicher gestaltet werden können.
– Das habe ich gelernt.
Jetzt erlebe ich aber, dass Sie von der CDU/CSU die-
sen richtigen Gedanken und damit das Prä der parlamen-
tarischen Demokratie immer wieder unterlaufen, indem
Sie auf Emotionen in der Bevölkerung setzen, diese Emo-
tionen in das Parlament hineintragen und immer wieder
Gesetze fordern, die überhaupt nichts von dem bringen,
was Sie behaupten.
Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen.
Fahren Sie hier in Berlin mit der U-Bahn oder der S-Bahn,
dann sehen Sie verkratzte Scheiben, voll gemalte Türen
usw.
Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Zerkratzen einer
Scheibe in Berlin bzw. in der Bundesrepublik Deutsch-
land eine Straftat ist. Wenn Sie diejenigen, die das ge-
macht haben, erwischen, dann werden sie, wenn man ih-
nen das nachweisen kann, vor Gericht gestellt und
verurteilt,
weil das Zerkratzen von Scheiben ganz unzweifelhaft den
heutigen Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt. Da
gibt es keinen Irrtum. Kein Richter wird das anders sehen.
Genauso ist es mit dem anderen Bereich. Sie setzen auf
die berechtigten Ängste und Emotionen in der Bevölke-
rung, wenn solche schlimmen Straftaten wie Kindesmiss-
brauch mit anschließender Ermordung geschehen.
Sie wissen genau, dass die Fälle, die Sie hier genannt ha-
ben, genauso passiert wären, wenn all die Gesetze, die Sie
fordern, in Kraft gesetzt würden.
Auf diese Straftat steht schon heute lebenslänglich. Der
Täter, von dem Sie reden, ist nicht aus der Haftanstalt ent-
lassen worden, obwohl man wusste oder es Anhaltspunkte
gegeben hat, dass er gefährlich gewesen ist.
Das heißt, Sie spielen mit diesen Emotionen, weil Sie
meinen, damit in der Bevölkerung Pluspunkte zu machen.
Das ist schlimm und gefährlich, weil Sie damit die Illu-
sion schüren, dass man in der Gesellschaft insgesamt sol-
che Straftaten auf Dauer verhindern kann. Das ist leider
nicht wahr.
Wir haben häufig darauf hingewiesen, dass die Strafta-
ten in diesem Bereich weitgehend eingedämmt worden
sind. Leider passiert immer noch die eine oder andere
ganz schlimme Straftat. Jede, die passiert, ist zu viel. Aber
Sie drücken sich um das Phänomen, dass die große Mehr-
zahl dieser Straftaten, also Kindesmissbrauch, in den Fa-
milien passiert. Ihre Rezepte für die Verhinderung dieser
Straftaten sind kontraproduktiv.
Dabei geht es nämlich darum, die Opfer zu ermutigen,
sich gegen den Täter zu wehren. Den Opfern muss Hilfe-
stellung gegeben werden, damit sie den Täter anzeigen.
Von dieser Seite muss dagegen angegangen werden, weil
dann der Täter in der Familie oder in der nahen Bekannt-
schaft damit rechnen muss, dass er vor Gericht gestellt
wird. Straftaten wie Kindesmissbrauch sind heute mit ei-
nem ganz geringen Risiko verbunden. Das wollen wir än-
dern. Deshalb wollen wir die Rechte der Opfer stärken.
Wir wollen die Behandlung der Opfer vor Gericht oder
bei der Polizei so schonend ablaufen lassen, wie es ir-
gendwie geht, um die Opfer zu ermutigen, zur Polizei,
zum Staatsanwalt oder zum Gericht zu gehen. Möglicher-
weise müssen sie dann vor Gericht selber gar nicht mehr
aussagen. Das ist der andere, der bessere Weg, den wir ge-
hen wollen.
Jetzt lasse ich das einmal beiseite, weil dazu fast alles
gesagt worden ist. Wir haben in der letzten Legislaturpe-
riode in vielen Bereichen erst einmal unsere Pflichtaufga-
ben erledigt. Wir haben die ZPO überarbeitet.
Wir haben die gleichgeschlechtlichen Lebenspartner-
schaften endlich gesetzlich geregelt. Darauf haben viele
gewartet.
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Wir haben mit der Verlängerung der Fristen im Rahmen
des Verwaltungsrechts die Möglichkeit von Rechtsmitteln
verbessert.
Darüber hinaus haben wir eine Reihe von Gesetzen ge-
macht, über die wenig gesprochen wird. Wir haben zum
Beispiel das Untersuchungsausschussgesetz eingebracht,
das es in der Bundesrepublik Deutschland bisher leider
nicht gab. Sie als Opposition profitieren jetzt davon, weil
wir auch den kleineren Parteien wie der CDU/CSU
und der FDP damit bessere Möglichkeiten zur Mitarbeit in
Untersuchungsausschüssen eröffnet haben. Dafür sollten
Sie uns loben. Sie haben damals schließlich mitgemacht.
Wir haben das Parteiengesetz geändert. Die FDP ver-
heddert sich jetzt gerade in den Stricken, die durch dieses
Gesetz gelegt worden sind, obwohl sie seinerzeit zuge-
stimmt hat.