Rede von
Dr. h.c.
Susanne
Kastner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nächste Rednerin in der Debatte ist Silke Stokar,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde
versuchen, wieder etwas Ruhe und Sachlichkeit in diese
aufgeregte Debatte zu bringen. Beginnen wir damit: Die
Gewährleistung der Sicherheit ist eine elementare Staats-
aufgabe. – Diesem Satz kann sicherlich jedes Mitglied
dieses Hauses und jede Fraktion zustimmen.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie versuchen
zwar immer wieder, es so darzustellen, aber es trifft trotz-
dem nicht zu, dass Sie sozusagen den Kampf gegen den
internationalen Terrorismus gepachtet haben, während
wir, die Fraktion der Grünen, die Blockierer sind und die
SPD deswegen ihre Aufgaben nicht wahrnehmen kann.
Wir haben damals, als es um das Sicherheitspaket ging,
auch in den Expertengesprächen sehr genau abgewogen,
ob die von den politischen Parteien und von Experten vor-
geschlagenen Maßnahmen tatsächlich geeignet waren, ei-
nen Beitrag zum Kampf gegen den internationalen Ter-
rorismus zu liefern. Diese Arbeit werden wir in aller
Ruhe fortsetzen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch genau, dass
die Vorschläge, die Sie jetzt wiederholen, einen langen
Bart haben. Mir sind Ihre Vorschläge seit Beginn dieser
Auseinandersetzung bekannt.
– Ich erläutere Ihnen gleich, weswegen sie falsch sind.
Teilweise ist Ihnen bereits nachgewiesen worden, dass
Ihre Vorschläge verfassungswidrig sind.
Ich höre gern zu und bin auch bereit, Vorschläge aus ei-
ner konservativen Innenpolitik aufzugreifen. Ich habe
aber immer mit konservativer Innenpolitik in Verbindung
gebracht, dass Sie ein Gefühl dafür haben, dass in einem
demokratischen Rechtsstaat nicht alle Mittel erlaubt sind.
Sie waren in den 70er-Jahren diejenigen, die uns vorge-
worfen haben, wir hätten uns verfassungswidrig verhal-
ten. Heute sitzt auf Ihrer Seite eine Fraktion von Verfas-
sungsfeinden; denn Ihre Vorschläge verstoßen in jedem
einzelnen Punkt gegen die Grundwerte, von denen Sie
selbst ausgehen.
Das haben wir auch heute wieder gehört: Sie fordern die
Türken auf, sich an die deutsche Kultur und an die deut-
sche Verfassung zu halten. Dabei stellen Ihre eigenen Vor-
schläge elementare Verfassungsverstöße dar.
Ich bin nicht bereit, mich weiter damit auseinander zu
setzen.
Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen in einem an-
deren Punkt durchaus Recht. Im Bereich der inneren
Sicherheit gibt es tatsächlich noch Reformbedarf. Ich
merke zu diesem Haushaltsplanentwurf kritisch an: Aus
den Aufwüchsen, die hier eindrucksvoll geschildert wor-
den sind, können im Laufe dieser Legislaturperiode wirk-
lich keine Auswüchse werden. Deshalb setzen wir Grüne
einen deutlichen Schwerpunkt darauf, im Bereich der ge-
samten Sicherheitsbehörden zu prüfen, an welchen Stel-
len die Strukturen – auch in der internationalen Zusam-
menarbeit – nicht mehr sachgerecht sind und wo es zu
Reibungsverlusten durch Zersplitterung oder doppelte
Aufgabenwahrnehmung kommt.
Mir geht es nicht darum, über das zu diskutieren, was
wir schon vor dem Bundestagswahlkampf vorgeschlagen
haben. Vielmehr würde ich gern über die zukünftigen
Aufgaben diskutieren. Ich würde gern die Frage erörtern,
was der Beschluss hinsichtlich des Aufbaus einer europä-
ischen Grenzpolizei für den BGS konkret bedeutet. Auch
die Konzepte zu den Krisenreaktionskräften und den Auf-
bau einer europäischen Polizei würde ich gern diskutie-
ren. Dabei handelt es sich um Beschlüsse des Europä-
ischen Parlaments, aus denen sich Zukunftsaufgaben
ergeben, zu denen Sie aber keine Vorschläge einbringen.
Sie wollen das auch gar nicht. Ihre Vorschläge, zum Bei-
spiel hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr im In-
nern, stammen aus den 80er-Jahren. Ich überlasse die
Diskussion über die Bundeswehr gern dem Verteidi-
gungsausschuss. Wir brauchen einen solchen Einsatz der
Bundeswehr in Deutschland nicht. Das wäre nur ein wei-
teres Vorhaben, das gegen die Verfassung verstößt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 987
Da ich nicht bereit bin, meine ganze Redezeit damit zu
verschwenden, mich über Ihre absurden Vorschläge aus-
zulassen, möchte ich einen weiteren Punkt ansprechen,
der uns besonders wichtig ist. Wir haben in dem vorlie-
genden Haushaltsentwurf 169 Millionen Euro für Maß-
nahmen der Integration und der Sprachförderung ein-
gestellt. Genau darum und nicht um die alten Fragen des
Staatsbürgerschaftsrechts – ich nenne nur das Stichwort
„Doppelpass“ – geht es jetzt. Lassen Sie uns doch die Zu-
kunftsaufgaben gemeinsam bewältigen. Wir befinden uns
schließlich in einer Situation, in der wir einige Punkte
tatsächlich gemeinsam angehen müssen. Die Zukunfts-
aufgabe lautet: Wie können wir die bereits in Deutschland
lebenden Zugewanderten und diejenigen, die noch zu uns
kommen werden, integrieren und wie können wir ihnen
durch mehr Sprachförderung eine soziale Perspektive in
unserem Land bieten?
Ihre Politik der Stigmatisierung und Ausgrenzung ver-
größert letztendlich die Risiken für die innere Sicherheit.
Sie leisten keinen Beitrag zu mehr Sicherheit. Sie leisten
vielmehr einen Beitrag zu einer unsicheren und in sich ge-
spaltenen Gesellschaft.
Ich bedauere es, dass in manchen Bereichen des vor-
liegenden Haushaltsentwurfs so viele Mittel bereitgestellt
werden müssen. Ich möchte zwei Bereiche ansprechen.
Es ist nach wie vor erforderlich, jüdische Einrichtungen in
Deutschland zu schützen. Ich habe es ganz besonders be-
dauert, dass die FDP, deren Fraktion nur noch spärlich
vertreten ist, weil sich ihre Mitglieder kaum noch in den
Plenarsaal trauen, und die einst eine liberale Bürger-
rechtspartei war, heute durch die Folgen eines skandalö-
sen antisemitischen Wahlkampfes gelähmt ist.
Eine solche Politik ist kein Beitrag zu mehr innerer Si-
cherheit. Sie führt vielmehr dazu, dass wir den Objekt-
schutz von jüdischen Einrichtungen sicherstellen müs-
sen. Ich finde es unerträglich, dass jüdische Kinder in
Deutschland in Kindergärten gehen müssen, die von der
Polizei geschützt werden. Nicht darüber, wie wir ein solch
Klima verschärfen können, sondern darüber, wie wir es
entschärfen können, möchte ich mir Gedanken machen.
Nur wer sich der Vergangenheit stellt, kann die Zukunft
bewältigen. Ich möchte damit auf ein weiteres Thema ein-
gehen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Wir wol-
len uns nicht der kilometerlangen Regale mit Akten voller
unschöner Erinnerungen entledigen, die in der Birthler-
Behörde auf weitere Aufarbeitung warten. Es darf auch
keine Verschlusssache Kohl geben. Es hat ja ein paar
kluge Köpfe in der CDU/CSU gegeben – schade, dass
Herr Schäuble nicht anwesend ist – , die durchaus mit uns
einer Meinung waren. Wir streiten für die Fortsetzung der
mutigen Arbeit von Marianne Birthler. Wir werden sehr
genau darauf achten, dass ihr nicht auf kaltem Weg, durch
den Entzug von Haushaltsmitteln, die Arbeit weiter er-
schwert wird.
Das Gleiche gilt auch für die Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“. Wir werden uns dafür ein-
setzen, dass die Entschädigungsleistungen an ehema-
lige Zwangsarbeiter durch das Einstellen entsprechender
Haushaltsmittel fortgesetzt werden.
Ich möchte mit folgendem Hinweis enden: Vor dem
Gebäude, in dem die Innenministerkonferenz tagen wird,
werden wahrscheinlich sehr viele Menschen – aus guten
Gründen – demonstrieren. Weil ich mich leider mit Ihrer
– beinahe hätte ich gesagt: absurden – Rede auseinander
setzen musste, konnte ich nicht mehr auf den vorhande-
nen Reformbedarf im Bereich des öffentlichen Dienst-
rechts und des Beamtenrechts eingehen. Ich würde mich
freuen, wenn die Fraktionen ehrlich gemeinte Konzepte
dazu auf den Tisch legen würden. Die Menschen, die mei-
ner Meinung nach zu Recht demonstrieren werden – ich
meine insbesondere die uniformierten Kolleginnen und
Kollegen der GdP aus unserem, dem Bundesbereich –, er-
warten von uns eine Antwort. Meine Antwort lautet:
Wenn wir im Bereich der Sicherheitsbehörden und des In-
nenministeriums keine strukturellen Reformen durch-
führen