Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich habe gestern Nachmittag zu Herrn Ruck
gesagt, dass mir sein Beitrag in der neuen Ausgabe von
„E+Z“ gefalle. Daraufhin hat er gesagt, dass er wohl et-
was falsch gemacht habe, wenn ich ihn lobe. Heute würde
ich Sie nicht loben, Herr Ruck. Ich habe Sie in der Zu-
sammenarbeit als einen fairen Verhandlungspartner ken-
nen gelernt, der es eigentlich nicht nötig hat, wortgewal-
tig die Dinge so darzustellen, wie Sie es vorhin getan
haben. Wir haben bisher eigentlich gut zusammengear-
beitet, wenn es um die Entwicklungszusammenarbeit
ging.
Herr Löning, Sie sind zwar nur ein Jahr jünger als ich.
Aber Ihnen fehlt noch ein bisschen die Erfahrung im AwZ;
denn sonst wüssten Sie, dass das Geld dort ankommt, wo-
hin es gehört. Im Gegensatz zur Wirtschaft oder zu dem
Bereich, in dem Sie gearbeitet haben, stimmen bei uns In-
halt und Verpackung überein. Es kommt das heraus, was
draufsteht.
Wir alle wissen, dass die wirtschaftliche Zusammenar-
beit bzw. die Entwicklungszusammenarbeit – die Minis-
terin und Thilo Hoppe haben schon darauf hingewiesen –
einen zentralen Beitrag zur globalen Zukunfts- und Frie-
denssicherung leistet. In den letzten vier Jahren ist es uns
unter der Verantwortung der Regierung, der Ministerin
und der Fraktion gemeinsam gelungen, die Entwick-
lungspolitik aus ihrem Nischendasein herauszuholen, das
Gießkannenprinzip bei den Hilfeleistungen zu beenden
und vor allen Dingen dazu beizutragen, dass die Entwick-
lungspolitik ein eigenständiges Feld der Außenpolitik ge-
worden ist. Das war zu Zeiten von Minister Spranger
nicht immer der Fall. Ich kann mich noch sehr gut an das
Bundestagswahljahr 1998 erinnern. Damals haben einige
Organisationen aus dem Bereich der Kirchen der CDU/
CSU-FDP-Bundesregierung ein so genanntes Armuts-
zeugnis für das ausgestellt, was Sie in der Entwicklungs-
zusammenarbeit verbrochen und was Sie nicht eingelöst
haben. Diese verfehlte Entwicklungspolitik ist beendet.
Diese Zeiten sind längst vorbei.
Es gibt heute sehr viel wohlwollende Unterstützung für
den Kurs, den die Ministerin eingeschlagen hat. Um das
zu belegen, möchte ich – wir müssen uns nicht allein auf
die Berichte der Welthungerhilfe und von Terre des hom-
mes stützen, die in ihrer Analyse falsch liegen – Reinhard
Hermle zitieren, der Vorsitzender von Venro und gleich-
zeitig Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks Misereor
ist. Er sagt zur Koalitionsvereinbarung:
Der Text weist in die richtige Richtung, schreibt
fort, was bewährte entwicklungspolitische Praxis ist
bzw. in der vergangenen Leigslaturperiode begonnen
wurde.
Er sagt außerdem:
In den vergangenen vier Jahren hat die Koalition
viele positive Anstöße für die Entwicklungspolitik
gegeben.
Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang noch auf Fol-
gendes aufmerksam machen: Während des Bundestags-
wahlkampfes gab es eine Veranstaltung zu 40 Jahren Ent-
wicklungszusammenarbeit der Kirchen. Auf ihr wurde
gesagt, dass man Kerzen anzünde und bete, dass die rot-
grüne Regierung im Amt bleibe, weil sie die richtigen
Schritte in der Entwicklungszusammenarbeit eingeleitet
habe.
– Nicht alles im Advent ist besinnlich. Es muss auch ein
kleiner Verweis gestattet sein.
Wenn wir heute über die Gründe reden, warum die
Weichen in der Entwicklungspolitik neu gestellt worden
sind, dann dürfen wir nicht vergessen, dass das auch et-
was damit zu tun hat, was vor 25 Jahren – exakt: im Sep-
tember 1977 – eingeleitet worden ist. Damals kam zum
ersten Mal die Nord-Süd-Kommission unter Leitung
von Willy Brandt zusammen. Er hat bereits sehr früh er-
kannt, dass der Globalisierung der Probleme nur mit ge-
meinsamem globalen Handeln und mit einer Globali-
sierung der Politik, einer so genannten Weltinnenpolitik,
Markus Löning
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Karin Kortmann
begegnet werden kann. Ich erwähne das, weil heute Mor-
gen ständig von großen, schwergewichtigen Bundeskanz-
lern die Rede war. Willy Brandt mahnte schon damals eine
Neuordnung der internationalen Beziehungen an und be-
zeichnete das Interesse der Industrieländer an der wirt-
schaftlichen Entwicklung des Südens als gesundes Eigen-
interesse. Heute sprechen wir nicht mehr von einem
gesunden Eigeninteresse, sondern von einem wohlver-
standenen Eigeninteresse. Ich bin stolz darauf, dass es
diesen großen sozialdemokratischen Weltpolitiker gege-
ben hat, der entwicklungspolitische Weichen gestellt hat.
Wir sind ihm nach wie vor verpflichtet.
Wir werden die WTO deshalb sozial und ökologisch
ausrichten. Wir werden die internationale Finanzarchitek-
tur, wie angekündigt und beschlossen, reformieren. Wir
werden eine globale Umweltordnung schaffen und an ei-
ner Weltfriedensordnung mitarbeiten, die die Teilhabe
aller ermöglicht. Wir werden des Weiteren die sozial-
demokratischen Leitlinien zu Innovation, Solidarität und
Gerechtigkeit in den Erneuerungskurs von IWF und Welt-
bank einbringen. Wir werden uns auch unseren bilate-
ralen, europäischen und internationalen Verpflichtungen
weiterhin so verantwortungsvoll stellen wie in den letzten
vier Jahren.
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat
diese Weichenstellungen bei der UN-Konferenz fortge-
setzt. Sie hat nämlich mit dazu beigetragen, dass sich die
internationale Staatengemeinschaft dem 0,7-Prozent-Ziel
verpflichtet hat und es jetzt schrittweise umsetzt. Wenn
wir mit dazu beitragen können, bis zum Jahre 2006 einen
0,33-Prozent-Anteil zu erreichen, dann haben wir einen
Riesenschritt gemacht.
Die Ministerin hat bereits darauf hingewiesen – ich
finde, es ist gut, dies zu wiederholen –, dass die ODA-
Quote zum Zeitpunkt der Wahl 1972 – ich nenne Willy
Brandt – bei 0,32 Prozent lag. Bis zu den Bundestags-
wahlen im Jahre 1982 gab es einen Aufwärtstrend; die
Quote erreichte 0,48 Prozent. Das ist ein Traumziel, das
wir heute gerne erreicht hätten. Dann begann der 16 Jahre
währende Abwärtstrend durch die Union. Als wir vor vier
Jahren die Regierungsverantwortung übernommen ha-
ben, lag die Quote wieder bei 0,26 Prozent. Trotz der
schwierigen Haushaltslage sind wir jetzt dabei, diesen
Trend umzukehren.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
am 29. Oktober dieses Jahres Folgendes dazu gesagt:
Die Finanzierungsbasis für die Entwicklung haben
wir festgeschrieben; wir werden bis zum Jahr 2006
das Ziel einer Quote von 0,33 Prozent für die Ent-
wicklungsarbeit umsetzen.
Dieses Ziel wollen wir erreichen. Dazu gehört aber noch
ein wenig mehr: Dazu gehört zunächst die Würdigung,
dass der Einzelplan 23 für das Jahr 2003 um 2,3 Prozent
auf 3,784 Milliarden Euro erhöht wird. Dazu gehört aber
auch, dass wir stabile Ausgaben für die europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit vorsehen, dass wir die Schul-
denerlasse im Rahmen der HIPC-Entschuldungsinitiative
der G-7-Länder fortsetzen, dass wir an der Einführung ei-
ner Devisenumsatzsteuer weiterarbeiten und dass wir uns
bei der Überwindung einer nicht tragbaren Verschuldung
für ein faires und transparentes Verfahren, für ein so ge-
nanntes internationales Insolvenzverfahren einsetzen.
Sie könnten jetzt fragen, was die ganze HIPC-Ent-
schuldungsinitiative gebracht hat. Herr Weiß wird mir
gleich in seinem Redebeitrag sicherlich bei folgendem
Verfahren zustimmen: Wir waren vor zwei Jahren in Bo-
livien und haben uns angeschaut, was in diesem so ge-
nannten Musterländle der Entwicklungszusammenarbeit
und der Entschuldung vonstatten geht. Dort gibt es ein
Höchstmaß an Zusammenarbeit von Staat und internatio-
nalen Gebergemeinschaften wie Wirtschaft, Zivilgesell-
schaft, Europäischer Kommission und Weltbank, um in
diesem Land zu einem fortschrittlichen Entwicklungs-
konzept beizutragen. Ich möchte dies nicht kleinreden,
aber ich bin bereit, darüber nachzudenken, ob alle unsere
Instrumente tatsächlich greifen. Wir brauchen jedoch ei-
nen multilateralen Ansatz, Herr Ruck, und keinen bilate-
ralen, um in diesen Bereichen dazu beitragen zu können,
dass Entwicklung möglich ist.
Ich möchte ein zweites Beispiel nennen, an dem deutlich
wird, dass wir mit bilateraler Arbeit allein nicht weiter-
kommen. Vor knapp einem Jahr haben wir in diesem Parla-
ment darüber beraten, wie wir dem Plan Colombia, den die
US-Regierung beschlossen hat, ein anderes Konzept entge-
gensetzen, um in Kolumbien dazu beizutragen, dass die
Friedensansätze, die die Pastrana-Regierung begonnen hat,
umgesetzt werden können. Das können wir nicht, wenn wir
bilateral in Regierungsverhandlungen stecken bleiben.
Umso wichtiger war es – dieses Parlament hat einen Rie-
senbeitrag dazu geleistet –, dass wir gesagt haben: Wir leh-
nen den Plan Colombia mit seinem militärischen Ansatz ab
und unterstützen soziale und wirtschaftliche Aufbaupro-
jekte. Wir wollen in Kolumbien zu einem Anbau kommen,
der es den Menschen ermöglicht, vom Koka-Anbau weg-
zukommen. – Wir haben festgestellt, dass das der richtige
Ansatz ist. Herr Ruck, Sie müssen zugeben, dass dies eine
Weichenstellung ist, die Sie nicht vorgenommen haben.
Das Konzept der Ministerin ist erfolgreich. Sie brauchen
nicht neidisch zu sein. Sie müssen uns nur gut unterstützen,
dann kommen wir alle weiter.