Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-
vor ich auf den Einzelplan 23 eingehe, erlauben Sie mir
einen Kommentar zu der gesamten Haushaltsdebatte und
all ihren Begleiterscheinungen hier im Haus und auch vor
dem Haus.
Ich habe versucht, mich in die Situation eines Durch-
schnittsweltbürgers hineinzuversetzen, sagen wir, in die
Situation eines Campesinos aus Lateinamerika, einer
Blumenpflückerin aus Afrika oder eines Teppichknüpfers
aus Indien. Stellen Sie sich vor, ein Gast aus einem dieser
Länder säße hier auf der Tribüne, würde sich die Argu-
mente anhören und draußen vielleicht in eine dieser vie-
len Demonstrationen geraten, die zurzeit stattfinden.
Wenn er fragen würde: Worum geht es? Wofür demons-
triert ihr? Wogegen wehrt ihr euch?, bekäme er die Ant-
wort: gegen die Reduzierung der Eigenheimzulage oder
gegen die Dienstwagenbesteuerung. Ich glaube, unser
Gast würde antworten: Eure Sorgen möchte ich haben.
Ganz gewiss soll darüber konstruktiv gestritten werden,
wie der Haushalt am besten konsolidiert werden kann,
welche Sparmaßnahmen vertretbar sind und welche nicht.
Aber wer mit offenen Augen auf den gesamten Globus
schaut und von den Lebensumständen weiß, unter denen
die Mehrheit der Weltbevölkerung leben muss, der wird
nicht mehr davon sprechen können, dass unserem Land
bald der Untergang droht oder dass den Bürgerinnen und
Bürgern das letzte Hemd genommen werden soll. Wir jam-
mern auf einem sehr hohen Niveau. Mich stört dabei, dass
die Relation und die Realität völlig aus dem Blick geraten.
Dazu gehört, dass nach wie vor 800 Millionen Menschen
dieser Erde nicht wissen, wie sie satt werden sollen. Sie
sind vom Hungertod bedroht. Dabei wird auf dieser Erde
genug Nahrung produziert, um doppelt so viele Menschen
zu ernähren.
Die Herausforderung ist enorm: Frieden kann es auf
dieser Welt nicht geben, solange die Schere zwischen den
extrem Armen und den Wohlhabenden so weit auseinan-
der klafft. Doch Hunger auf der einen und Überfluss auf
der anderen Seite stellen nicht nur ein Missverhältnis dar,
sondern stehen oft auch in einem ursächlichen Zusam-
menhang. Es geht also nicht nur darum, von unserem
Reichtum abzugeben und zum Teilen bereit zu sein, son-
dern es geht in erster Linie um Gerechtigkeit.
Die aktuelle Krise auf dem Kaffeemarkt belegt – wir
wurden erst gestern im AWZ darüber informiert –, dass
die Einkünfte der Kaffeebauern in den Anbauländern ra-
pide sinken.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 971
– Das war bei einem Gespräch der Obleute mit Oxfam im
AWZ zur Kaffeekampagne. – Während die Kaffeeprodu-
zenten immer weniger verdienen und von den Erlösen gar
nicht mehr leben können, klettern die Gewinne der fünf
marktbeherrschenden Kaffeekonzerne immer höher.
Auch wir Endverbraucher profitieren von diesem billigen
Kaffee. Wir können ihn zu völlig unrealistischen und un-
gerechten Preisen genießen. Die Menschen, die diesen
Kaffee für uns anbauen, können noch nicht einmal ihre
Grundbedürfnisse befriedigen.
Nachhaltige Entwicklungspolitik beschränkt sich des-
halb nicht auf die klassische Entwicklungshilfe, sondern
hat Gerechtigkeit zum Ziel, nämlich die gerechte soziale
und ökologische Gestaltung der Globalisierung. Das
bedeutet mehr Fairness im Welthandel und im interna-
tionalen Finanzsystem. Das bedeutet auch eine Global
Gouvernance, die von der Maxime ausgeht, dass jeder
Mensch gleich viel wert ist und die Chance haben muss,
sich ausreichend ernähren und in Würde leben zu können.
Die Bundesregierung hat in den letzten vier Jahren Ent-
wicklungspolitik immer auch als internationale Struk-
turpolitik verstanden, als Engagement für gerechtere
Strukturen in der Weltwirtschaft. Dieser Kurs soll ver-
stärkt fortgesetzt werden.
Entwicklungspolitik als Engagement für eine gerechte
Gestaltung der Globalisierung spiegelt sich nicht nur im
Einzelplan 23 wider, sondern ist eine Querschnittsauf-
gabe. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Akti-
vitäten des Auswärtigen Amtes, und zwar besonders in
Afghanistan, die Aktivitäten des Umweltministeriums
und ganz besonders das beharrliche Engagement von
Renate Künast für ein weltweites Recht auf Nahrung und
gegen die für die Entwicklungsländer katastrophalen EU-
Subventionen für Agrarexporte. Denn es ist ein Skandal,
dass zurzeit jede Kuh in Europa noch mit 2 Dollar pro Tag
subventioniert wird, während 1,2 Milliarden Menschen
dieser Welt mit noch nicht einmal 1 Dollar pro Tag zu-
rechtkommen müssen.
Eine vernünftige, zukunftsweisende Entwicklungspo-
litik braucht beide Komponenten: Engagement für Ge-
rechtigkeit und Kooperation mit Ländern des Südens, die
zu Eigenanstrengungen und Reformen bereit sind. Ent-
wicklungspolitik, wie sie von Heidemarie Wieczorek-
Zeul und Uschi Eid betrieben wird, verfügt über diese bei-
den Komponenten. Dies wird durch couragiertes
Engagement auf den internationalen Konferenzen deut-
lich und ist auch im Haushaltsentwurf ablesbar.
Wir alle wissen um die äußerst angespannte Haus-
haltslage. Ich bin sehr froh, dass die Mittel im Einzel-
plan 23 gegen den allgemeinen Haushaltstrend trotzdem
um 2,3 Prozent erhöht werden.
Es soll in den kommenden Jahren weitere Steigerungen
geben. Die Mittel für die öffentliche Entwicklungszusam-
menarbeit, die ODA, die von der Kohl-Regierung in den
90er-Jahren kräftig gekürzt wurden, konnten wieder
leicht angehoben werden. Der Trend ist umgekehrt. Bis
2006 wird Deutschland als Zwischenschritt zur Errei-
chung des 0,7-Prozent-Ziels mindestens 0,33 Prozent des
Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsaufgaben
zur Verfügung stellen.
Bei der ersten AwZ-Sitzung habe ich gedacht, dass sich
dieser Ausschuss von allen anderen unterscheidet, weil
alle an einem Strang ziehen und es überraschend viele Ge-
meinsamkeiten gibt. Nun war ich erstaunt, dass hier im
Plenum eigenartige Rechenbeispiele vorgeführt werden.
Ganz verschiedene Töpfe werden miteinander vermischt
und Äpfel mit Birnen verglichen. Fakt ist, dass die Mittel
im Einzelplan 23 um 2,3 Prozent steigen.
Besonders freue ich mich, dass in diesem Einzel-
plan 23 die Ansätze für die entwicklungspolitische Bil-
dungsarbeit deutlich angehoben werden.
Denn entwickeln müssen sich nicht nur die Länder im Sü-
den. Ändern und entwickeln muss sich auch viel im Be-
wusstsein und im Konsumverhalten der Menschen hier-
zulande.
Gerade die kirchlichen Hilfswerke „Brot für die Welt“
und Misereor und Organisationen wie FIAN, Oxfam,
Terre des Hommes und die Transfair-Stiftung machen in
diesen Tagen mit Aufklärungskampagnen darauf auf-
merksam. Sie werden darin noch stärker als bisher von der
Bundesregierung unterstützt.
Sosehr ich mich auch darüber freue, dass die Mittel
für die Entwicklungszusammenarbeit angehoben werden:
Angesichts der großen Herausforderungen – da muss ich
Herrn Ruck Recht geben – reichen diese Mittel nicht aus.
Zur Lösung globaler Umwelt- und Entwicklungsaufgaben
muss nach zusätzlichen Wegen der Finanzierung gesucht
werden. Meine Fraktion setzt sich sowohl für die inter-
national koordinierte Einführung von Entgelten für die
Nutzung von Luftraum und Weltmeeren als auch für
eine Devisenumsatzsteuer ein, die so genannte Tobin-
Tax. Hier hat es durch die Spahn-Studie bereits lobens-
werte Vorstöße des BMZ gegeben. Ich hoffe für die
Zukunft, dass auch der Bundesfinanzminister diese Be-
mühungen unterstützen wird.
Wir sind in der Adventszeit, also in einer Zeit, in
der Wunschzettel geschrieben werden. Ich habe einen
Thilo Hoppe
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Thilo Hoppe
konkreten Wunsch, der an uns alle – an mich und an Sie –
in diesem Haus gerichtet ist. Alle im Bundestag vertrete-
nen Parteien mit Ausnahme der FDP haben in ihrem
Wahlprogramm das 0,7-Prozent-Ziel festgeschrieben.
Wir wissen, dass bis 2006 nur ein Zwischenschritt erreicht
werden kann. Aber mittel- und langfristig sollte dieses
Ziel im Auge behalten werden.
Ich habe einen ganz konkreten Vorschlag, eine Bitte,
wie jeder von uns dazu beitragen kann, dass wir dieses
Ziel schneller erreichen.
Wenn jetzt der Lohnsteuerjahresausgleich vorbereitet
wird, kann jeder von uns, der dieses Ziel politisch verfolgt,
diesen Maßstab an sich selbst anlegen und darauf achten,
dass neben den Parteiabgaben und Spenden im Wahlkreis
0,7 Prozent seines Jahreseinkommens für Projekte der Ent-
wicklungszusammenarbeit ausgegeben werden.
Lassen Sie uns selber mit gutem Beispiel vorangehen!
Dann wird es auch leichter sein, in der Bevölkerung ein
Bewusstsein dafür zu erzeugen, dass noch größere An-
strengungen nötig sind, um der gerechten Gestaltung der
Globalisierung näher zu kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.